Inhalt
Einleitende Fragen und Anmerkungen zum Anthropischen Prinzip sowie zu unserer Roten Linie der Evolution
Was hat es mir dem Anthropischen Prinzip auf sich
Die Rote Linie der Evolution zum Menschen
Die Begrenztheit des Modells einer Roten Linie durch die Quantenphysik
Zuordnung zu Forschungsergebnissen verschiedener Disziplinen
Zur Bedeutung populärwissenschaftlicher Darstellungen
Das Weltbild der Quantenphysik
Ein neues Verständnis des Universums und der Rolle des Menschen
Der Beobachter in der Quantenphysik und im Konstruktivismus
Das Unbestimmtheitsprinzip und die „spukhafte Fernwirkung“ von Teilchen
Wirklichkeit, Potenzialität und Realität - Grundlagen menschlichen Lebens
Die Frage nach einem kosmischen Bewusstsein und Gott seit Aufkommen der Quantenphysik
Die Welt als Wunder: Weltanstaunung als adäquate Form des Verstehens
Die Entstehung der Welt mit dem Urknall
Entstand das Universum aus einem Quantenvakuum?
Der Urknall und wir Menschen als potenzielle Wirklichkeit
Was war vor dem Urknall oder jenseits davon?
War der Urknall eine göttliche Schöpfung?
Die Planck-Zeit und der erste Moment der Welt
Die kosmische Inflation als Entwertung der Zeit
Feinabgestimmte Wechselwirkungen, Naturkonstanten und Elemente bei der Entstehung der Welt
Die Feinabstimmungen im Wirken der vier Wechselwirkungen bzw. physikalischen Grundkräfte
Was würde bei einer fiktiven Änderung der Werte der Wechselwirkungen geschehen?
Verweist das Zusammenwirken der physikalischen Grundgesetze auf ein natürliches oder göttliches Wirken zugunsten des Menschen?
Die Feinabstimmung der Naturkonstanten und anderer Werte
Die Fundamentalen Naturkonstanten
Die Kopplungskonstante
Das Elementare Wirkungsquantum
Newtons Gravitationskonstante
Die Sommerfeldsche Feinstrukturkonstante
Feinabgestimmte Massen von Protonen, Neutronen und Elektronen
Die Lichtgeschwindigkeit im Vakuum
Die Materiedichte des Universums
Die Kosmologische Konstante
Weitere Naturkonstanten und die Feinabstimmung der Quarks
Sind die Feinabstimmungen der Naturkonstanten Hinweise auf das Wirken einer schöpferischen Kraft?
Die Feinabstimmung der Elemente, von Materie und Antimaterie sowie von Dunkler Energie und Dunkler Materie
Die Elemente des Periodensystems
Das Verhältnis von Materie und Antimaterie
Dunkle Materie und Dunkle Energie
Das Anthropische Prinzip
Das Anthropische Prinzip und der Mensch als Beobachter der Welt
Die universelle Gültigkeit des Anthropisches Prinzip sowie die Hypothese der Einmaligkeit irdischer und der Unwahrscheinlichkeit außerirdischer Intelligenz
Der kreative Mensch in einem emergenten, offenen Universum und die Transzendierung der Natur
Anthropisches Prinzip, Zufälle und Chaos in der kosmischen Entwicklung Gott und Zufall
Der zufällige Mensch
Wie hätte das Anthropische Prinzip von wem gedeutet werden müssen, wenn wir zufällig nicht entstanden wären?
Hatten wir einfach nur Glück?
Varianten des Anthropischen Prinzips
Das starke Anthropische Prinzip und seine Nähe zur Hypothese eines Intelligent Design
Kritik am Anthropischen Prinzip und am Begriff der Feinabstimmung
Das Anthropische Prinzip und die Hypothese eines Multiversums bzw. paralleler Welten
Kritik an der Hypothese eines Multiversums
Das Anthropische Prinzip als induktive Methode
Das Universum
Die ersten Minuten
Die ersten Millionen Jahre
Das Verhältnis von Expansions- und Kontraktionskraft
Der habitable Zeitraum und die Größe des Universums
Anthropisches Prinzip und habitables Universum
Die Entstehung von Galaxien
Die Milchstraße
Die Milchstraße: Grundlage menschlichen Lebens
Lebensfeindliche Bereiche
Unser Sonnensystem in der habitablen Zone der Galaxie
Sterne, Sonne und Sonnensystem
Die Bildung erster Sterne und die Entstehung schwerer Elemente als Bausteinen des Lebens
Feinabstimmungen von Wechselwirkungen und Naturkonstanten als Grundlage für die Entstehung von Sternen, die Leben ermöglichen
Fred Hoyles Vorhersage der Bildung von Kohlenstoff auf Grundlage des Anthropischen Prinzips
Das Verbrennen von Kohlenstoff zu Sauerstoff in Roten Riesen
Supernovae und Neutrinos
Unser Star: Die Sonne
Der präsolare Nebel und die Bildung des Sonnensystems
Ohne Sonne keine Menschen
Lebensstiftende Kernfusion
Neutrinos, Gammaquanten und die chaotische Konvektionszone
Einige seltsame Eigenschaften der Sonne
Die Entstehung von Erde und Mond vor 4,6 Milliarden Jahren
Das Hadaikum vor 4,6 bis vier Milliarden Jahren
Die Kollision der Erde mit dem Planetoiden Theia und die Entstehung des Mondes
Asteroideneinschläge und das Große Bombardement
Die Trennung von Erdkern und Erdkruste vor 3,2 Milliarden Jahren
Zur Rolle der Plattentektonik
Wasser und die Gefahr einer irreversiblen Vereisung
Die Ausgasung unseres Planeten und die Entstehung einer ersten Uratmosphäre
Erde und Mond vor vier Milliarden Jahren
Sonnenstrahlen und Sonnenwinde auf der Erde
Masse und Entfernung der Sonne sowie die Erdumlaufbahn um unseren Stern
Die Erde in der habitablen Zone des Sonnensystems
Die Bedeutung anderer Planeten für uns
Größe und Masse der Erde
Die Bedeutung des Erdmagnetfelds bei der Ablenkung von Sonnenstürmen
Die Schräglage der Erdachse und die Rotationsgeschwindigkeit des Planeten
Die Größe des Mondes und der gemeinsame Schwerpunkt von Erde und Mond
Die Stabilisierung der Achsenneigung der Erde durch den Mond und die Rolle seines Magnetfeldes
Der Mond und die Gezeiten
Unser romantischer Mond: Guter Mond, du gehst so stille
Die Entstehung des Lebens im Archaikum vor vier bis 2,5 Milliarden Jahren
Die Feinabstimmung der Naturkonstanten als Grundlage menschlichen Lebens
Die Unwahrscheinlichkeit der Entstehung von Leben
Vom DNS-Molekül zur ersten Zelle
Was ist Leben eigentlich?
Entstand Leben auf der Erde mehrmals oder nur einmal?
Gab es Leben schon im Hadaikum vor 4,6 bis vier oder erst im Archaikum vor vier bis 2,5 Milliarden Jahren?
Die Uratmosphäre ohne Sauerstoff vor fünf bis drei Milliarden Jahren
Die chemische Evolution
Die Bedeutung der Elemente des Periodensystems für die Entstehung des Lebens
Nukleotide, die unmögliche Bildung eines Proteinmoleküls, die Entstehung der Ribonukleinsäure und der RNS-Welt sowie die Bildung der DNS
War der prokaryotische Einzeller Luca vor 3,8 Milliarden Jahren der erste und letzte gemeinsame Vorfahr allen Lebens?
Verschiedene Hypothesen der Entstehung des Lebens auf der Erde
Mögliche Entstehungsorte
Die Eisen-Schwefel-Welt an Land oder am Boden der Ur-Ozeane
Hydrothermale Tiefseequellen
Die Entstehung des Lebens in einer Ursuppe und die Rolle eines Replikators
Die Hypothese der Panspermie: Sind wir selbst die Aliens?
Für und Wider der Hypothese einer Panspermie
Fertigleben aus dem All und Giordano Brunos These vom lebendigen Universum
Wie und woher soll fertiges Leben auf die Erde gelangt sein?
Das Überleben einfacher Lebensformen im interstellaren Raum
Bausteine des Lebens in galaktischen Molekülwolken und im Sonnensystem
Kometen und Meteoriten als Transporteure von Bausteinen des Lebens
Wie überlebten die Bausteine den Sturz durch die Atmosphäre und den Aufprall auf die Erde?
Argumente der Gegner einer Panspermie-Hypothese
Die biologische Evolution zwischen Qantenphysik, Neo-Darwinismus und Intelligent Design
Die Rolle von Quantenphysik, Feinabstimmung und Entropie bei der Evolution
Quantenphysik und Darwinismus
Die Bedeutung der Feinabstimmung für die biologische Evolution und die Interpretation von Leben als Auflehnung gegen die Entropie
Mikro- und Makroevolution zwischen Konvergenz und Emergenz
Zufall, Kontingenz, Chaos, Gesetzmäßigkeiten und Quantenzustände
Zur Rolle von Mutation und Selektion in der Evolution
Die Steuerung der Gene durch die Zellen
Die Gaia-Hypothese: Selbstorganisation als kreative Kraft der Evolution und der Veränderung der Erde durch lebendige Organismen
War Gott der intelligente Designer des Lebens?
Gott und die wundersamen Wege der Evolution
Bedeutung und Hauptargumente der Hypothese eines Intelligent Design
Nichtreduzierbare Komplexität
Zielgerichtete Exaptation
Spielerische Komplexität und Luxusstrukturen
Tempo und Unterbrechungen der Evolution
Eignet sich Intelligent Design als Forschungsansatz?
Frühes Leben im Proterozoikum vor 2,55 Milliarden bis 541 Millionen Jahren: Von der ersten eukaryotischen Zelle zur sexuellen Revolution der Vielzeller
Die Photosynthese der Blaualgen (Cyanobakterien) und ihre Rolle bei der Umwandlung in eine Atmosphäre mit Sauerstoff vor 2,5 Milliarden Jahren
Rostige Erde, Große Sauerstoffkatastrophe, Huronische Eiszeit und die Gefährdung des Lebens vor 2,4 bis zwei Milliarden Jahren
Die Zunahme von Sauerstoff in der Atmosphäre und die Bildung von Ozon vor 1,4 Milliarden Jahren
Die Entstehung eines eukaryotischen Einzellers durch Endosymbiose
Schneeball- oder Schneematsch-Erde: Wie überstanden Lebewesen die Eiszeiten des Neoproterozoikums?
Die ersten eukaryotischen Vielzeller im Proterozoikum
Die sexuelle Revolution der Vielzeller
Vielzellige Tiere vor einer Milliarde bis vor 850 Millionen Jahren
Erste Entwicklungen tierischen Lebens und die Suche nach unseren frühesten Ahnen
Die Ediacara-Fauna: Sackgasse der Evolution oder Stufe auf dem Weg zum Menschen?
Von der Kambrischen Explosion vor 541 bis zum Landgang der Tiere im Silur vor 490 Millionen Jahren
Die Kambrische Explosion des Lebens
Die Entstehung der kambrischen Fauna „wie aus dem Nichts“ und das Problem der Diskontinuität der Evolution
Chordatiere: Vorfahren der Wirbeltiere in den kambrischen Meeren vor 600 Millionen Jahren
Pikaia: Das erste nachgewiesene Chordatier vor 530 Millionen Jahren
Wirbeltiere während und nach der Kambrischen Explosion
Lanzettfischchen und Seescheiden
Massensterben im Proterozoikum vor 500 bis 485 Millionen Jahren
Kontingenz und die Bedeutung der Entwicklung von Pikaia zum Menschen
Früheste Wirbeltiere in Form kieferloser Fische im Ordovizium vor 470 und Kieferfische vor 400 Millionen Jahren
Eiszeiten und Massensterben im Ordovizium
Das Silur vor 443 bis 419 Millionen Jahren
Fische, Amphibien, Reptilien und erste Säugetiere zwischen Devon und Perm
Die Entwicklung von Fischen über Amphibien zu landbewohnenden Reptilien im Karbon
Quastenflosser, Lungenfische und Knochenfische als Vorfahren der Landwirbeltiere vor 416 bis 397 Millionen Jahren
Panderichthys und Rhipidistia: Vom Knochenfisch zum Amphibium vor 390 bis 350 Millionen Jahren
Die Frasnium-Krise am Ende des Devons vor 382 bis 372 Millionen Jahren
Der Quastenflosser Tiktaalik vor 385 bis 376 und der Urmolch Ichthyostega vor 370 bis 360 Millionen Jahren
Erste Amphibien vor 350 Millionen Jahren, der Übergang von Flossen zu Beinen und die Bedeutung der Metamorphose vom Fisch zum Landtier
Landgang erster Pflanzen und Tiere zwischen Silur und Karbon vor 443 bis 298 Millionen Jahren
Die Entwicklung der Amphibien zu Reptilien
Von den Nabeltieren zu den Synapsiden: Eierlegende Reptilien und Vorfahren der Säugetiere im Oberkarbon vor 326 bis 320 Millionen Jahren
Die Teilung der Reptilien in Diapsiden, Synapsiden und Anapsiden vor 290 Millionen Jahren
Die Entstehung der Säugetiere und das Massensterben im Perm
Säugetierartige Reptilien vor 298 bis 252 Millionen Jahren
Tierzähner und Hundszähner vor 270 Millionen Jahren im Perm
Ursachen des Massensterbens vor 250 Millionen Jahren: Einschlag eines Asteroiden oder Vulkanaktivitäten durch den Bruch von Pangea?
Folgen des vulkanischen Gasausstoßes für die Atmosphäre
Vergiftung durch Schwefel, Überhitzung des Ozeans Panthalassa, Methan und andere Ursachen des Massensterbens
Opfer und Überlebende der globalen ökologischen Katastrophe
Die Bedeutung des Massensterbens vor 250 Millionen Jahren für Säugetiere und die Evolution zum Menschen
Säugetiere und erste Primaten in der Zeit der Dinosaurier zwischen Trias und Kreide vor 252 bis 66 Millionen Jahren
Zeit der Dinosaurier von der Mitte der Trias bis zum Ende der Kreidezeit
Säugerähnliche Tiere und erste Säuger vor 245 bis 200 Millionen Jahren
Das Massensterben beim Übergang von der Trias zum Jura vor 200 Millionen Jahren
Echte Säugetiere im Jura vor 200 bis 145 Millionen Jahren
Das Massensterben zu Beginn der Kreide vor 145 und die Aufspaltung der echten Säugetiere in Protheria, Theria und Eutheria vor 125 Millionen Jahren
Die Aufteilung der Höheren Säugetiere und die Entstehung der Plazenta-Tiere vor 100 Millionen Jahren
Primaten, Riesengleiter sowie Spitzhörnchen vor 88 Millionen und Purgatorius vor 70 Millionen Jahren
Der Asteroideneinschlag vor 66 Millionen Jahren
Das Ende der Dinosaurier vor 66 Millionen Jahren und das Überleben von Säugetieren sowie erster Urformen der Primaten
Die generelle Bedeutung von Katastrophen und Massenaussterben für die Evolution
Relativierung von Charles Darwins „Survival of the Fittest“
Die Bedeutung des Asteroideneinschlags für die Evolution zum Menschen
Planet der Affen: Vom Paläozän zum Pleistozän vor 65,5 bis 2,5 Millionen Jahren
Das Paläozän vor 65 bis 55 Millionen Jahren: Zeitalter der plazentalen Säugetiere
Die Entwicklung der Säugetiere im Eozän vor 55 bis 34 Millionen Jahren
Primaten im Eozän: Feucht- und Trockennasenaffen
Abkühlung, Asteroideneinschläge und Massensterben zwischen Eozän und Miozän vor 34 bis 24 Millionen Jahren
Geschwänzte Halbaffen vor 34 bis 24 Millionen Jahren
Menschenaffen in Afrika vor 22 bis 17 Millionen Jahren
Plattentektonik und Klimaveränderungen vor 18 bis 14 Millionen Jahren
Große Menschenaffen vor 17 bis zwölf Millionen Jahren sowie Trennung der Orang-Utans vom gemeinsamen Vorfahren der Menschen und Menschenaffen
Die Teilung der Menschenaffen in Afrika vor 14 Millionen Jahren
Die Rückkehr der Menschenaffen nach Afrika vor zehn bis neun Millionen Jahren und die Trennung der Gorillas von der Menschenaffenlinie
Die unklare Rote Linie der Entwicklung der Menschenaffen zum Menschen
Oreopithecus bambolii vor sieben Millionen Jahren
War Sahelanthropus tchadensis vor sieben Millionen Jahren der Stammvater der Menschen?
Orrorin tugenensis: Ein alternativer Weg der Evolution zum Menschen vor sechs Millionen Jahren?
Die Trennung der Linien von Schimpansen und Homininen vor sechs bis fünf Millionen Jahren sowie der letzte gemeinsame Vorfahr von Affen und Menschen
Die südlichen Affen (Australopithecinen) im Pliozän und Pleistozän
Erste Hominine: Ardipithecus ramidus vor 6,8 bis 5,2 Millionen Jahren
Australopithecinen vor fünf Millionen Jahren
Australopithecus anamensis vor 4,2 bis 3,8 Millionen Jahren
Kenyanthropus platyops vor 3,5 Millionen Jahren
Lucy und Australopithecus afarensis vor vier bis drei Millionen Jahren
Von Austrolopithecus afarensis zu Australopithecus africanus vor drei bis 2,5 Millionen Jahren
Australopithecus garhi und Australopithecus sediba vor 2,5 bis zum Ende der Australopithecinen vor einer Million Jahren
Robuste Australopithecinen (Paranthropus) vor 2,5 Millionen Jahren: Sackgasse der Evolution
Entstehung und Entwicklung der Gattung Homo vor 3,2 Millionen bis 50 000 Jahren
Austrocknung Afrikas, Eiszeiten und plattentektonische Bewegungen vor 3,1 bis zwei Millionen Jahren
Australopithecus sediba und Australopithecus africanus vor zwei Millionen Jahren
Homo habilis und Homo rudolfensis vor 2,4 bis 1,8 Millionen Jahren: Merkmale von Australopithecus und Homo erectus
Waffen, Werkzeuge und Faustkeile des frühen Homo vor zwei bis 1,4 Millionen Jahren
Australopithecus, Paranthropus und Homo bis vor einer Million Jahren
Die Gattung Homo und ihre Ausbreitung in Eurasien vor zwei Millionen Jahren
Von Homo habilis über Homo ergaster zu Homo erectus vor zwei bis 1,5 Millionen Jahren
Die Ausbreitung von Vertretern der Gattung Homo außerhalb Afrikas vor zwei Millionen Jahren
Eis- und Warmzeiten in Europa vor 1,6 bis einer Millionen Jahren
Homo antecessor vor 800 000 bis 600 000 Jahren: Ausgangspunkt der eurasischen Menschheitsgeschichte?
Vom Homo erectus über Homo heidelbergensis zum Homo neanderthaliensis und die Besiedlung Europas vor 800 000 bis 200 000 Jahren
Die Entstehung und Ausbreitung der Denisova-Menschen
Ante-Neandertaler, Pro-Neandertaler, archaische oder frühe Neandertaler sowie Steinheim-Menschen
Von der Holstein-Warmzeit vor 340 000 bis 325 000 bis zur Saale-Eiszeit vor 280 000 bis 126 000 Jahren
Die Entstehung des Homo sapiens in verschiedenen Regionen Afrikas vor 700 000 bis 200 000 Jahren
Die Entstehung von Homo sapiens archaicus aus Homo erectus in verschiedenen Regionen Afrikas vor 700 000 Jahren
Unbekannte Zwischenformen bei der Evolution zum Homo sapiens
Homo naledi: Zeitgenosse des archaischen Homo sapiens vor 335 000 bis 236 000 Jahren
Der Iwo-Eleru-Schädel in Nigeria als Nachweis regionaler Sonderentwicklungen von Homo sapiens
Vom Stammbaum zum Stammbusch: Afrikanischer Regionalismus und Homo sapiens vor 500 000 bis 200 000 Jahren
Die Gefahr des Aussterbens von Homo sapiens vor 195 000 Jahren, die afrikanische Eva und das Überleben unserer Vorfahren in Südafrika
Genetischer Flaschenhals und Gefahr des Aussterbens von Homo sapiens in Afrika vor 195 000 Jahren
Die Eva der Mitochondrien und der Adam des Y-Chromosoms
Flucht vor der Dürre: Südafrika vor 165 000 bis 55 000 Jahren
Die Auswanderung von Homo sapiens aus Afrika vor 220 000 bis vor 45 000 Jahren
Exodus aus Afrika vor 220 000 bis 150 000 Jahren
Zusammentreffen von Homo neanderthalensis und Homo sapiens im Nahen Osten vor 145 000 bis 130 000 Jahren
Die Auswanderung vor 130 000 bis 115 000 Jahren
Homo sapiens in Asien und Australien vor 70 000 bis 60 000 Jahren
Besiedlung Sibiriens und Westeurasiens vor 46 000 Jahren
Hybridisierungen von Neandertalern und Homo sapiens in Westasien und Osteuropa
Out-of-Africa-Hypothese versus Multiregionale Hypothese
Neandertaler (Homo neanderthalensis) in Eurasien
Die Neandertaler vor der Besiedlung Eurasiens durch Homo sapiens
Die Koexistenz von Neandertalern und Homo sapiens
Die mentale Überlegenheit von Homo sapiens
Der Rückgang der Neandertaler-Bevölkerung
Die Populationsdichte von Homo sapiens und Neandertaler: Ein Vergleich
Inzucht bei den Neandertalern
Die Rolle des Klimas beim Aussterben
War es ein Genozid? Die Rolle von Gewalt
Das Verschwinden der Neandertaler vor 50 000 bis 28 000 Jahren
Der Vulkanausbruch in den Phlegräischen Feldern vor 37 280 Jahren und die Umkehrung des Erdmagnetfeldes
Das genetische Erbe der Neandertaler und Denisovaner
Gehören Neandertaler zu unseren Vorfahren?
Das Erbgut der Denisovaner
Neandertaler-Gene bei heutigen Afrikanern
Gingen die Neandertaler in Homo sapiens auf? Haben die Anhänger der Multiregionalismus-Hypothese doch Recht?
Was bedeuten Neandertaler-Gene für uns heute?
Was wäre, wenn Neandertaler überlebt hätten? Eine kontrafaktische Spekulation über unsere andersirdische Verwandtschaft
Abstraktes Denken, Kultur und Kunst vor 40 000 bis 15 000 Jahren
Die Herausbildung von Intelligenz und Bewusstseins bei der Gattung Homo
Ruhender Intellekt des modernen Menschen bis zur Erfindung der Landwirtschaft
Die Rolle von Glauben und Religion bei der Menschwerdung
Die Dominanz von Homo sapiens nach seinem intellektuellen Erwachen
Das abstrakte Denken der Cro-Magnon-Menschen und die Erfindung der Kunst vor 40 000 Jahren
Höhlenzeichnungen in Frankreich vor 36 000 und 30 000 Jahren
Waffentechnik im Gravettien vor 35 000 bis 24 000 und das Solutréen vor 26 000 bis 18 000 Jahren
Das Magdalénien in der späten Jungsteinzeit vor 20 000 bis 14 000 Jahren
Die Neubesiedlung Europas vor 14 500 Jahren durch Homo sapiens aus dem Nahen Osten und Eurasien
Das Ende von Eiszeit und Altsteinzeit sowie die Entstehung verschiedener Kulturzonen klimatisch angeter Homo sapiens
Das Ende der Mittelsteinzeit und die Verbreitung der Landwirtschaft zu Beginn der Jungsteinzeit vor 12 000 bis 6 000 Jahren
Der Übergang von Jägern und Sammlern zu Ackerbauern und Viehaltern
Die Sintflut vor 8 200 Jahren
Die Ausbreitung der neolithischen Landwirtschaft nach Europa vor 10 000 bis 7 000 Jahren
Die Anatolische Hypothese
Beziehungen zwischen jungsteinzeitlichen Ackerbauern sowie steinzeitlichen Jägern und Sammlern
Die genetische Vermischung mesolithischer Jäger und Sammler mit neolithischen Landwirten
„Alteuropa“ und „Alteuropäer“
Die Besiedlung Zentraleuropas durch Indoeuropäer aus der pontischen Steppe vor 7 000 bis 4 400 Jahren
Entstehung und Entwicklung der Indoeuropäer am Ural seit der Zeit vor 8 000 Jahren
Unsere Vorfahren: Steinzeitliche Jäger und Sammler, jungsteinzeitliche Ackerbauern, indoeuropäische Steppenreiter und weinanbauende Kaukasier
Proto-Uralier und Proto-Indoeuropäer vor 8 000 Jahren
Gab es eine indoeuropäische Ursprache?
Die pontische Steppe: Urheimat der Indoeuropäer
Die Expansion der Indoeuropäer in Richtung Asien seit der Zeit vor 7 600 Jahren
Die indoeuropäische Kurgan-Kultur seit der Eroberung der pontischen Steppe vor ca. 6 500 Jahren
Die Chwalynsk-Kultur vor 6 700 bis 5 800 Jahren
Die Abspaltung indoeuropäischer Arier vom indoeuropäischen Stamm und ihre Einwanderung in Indien
Stammen die Indoeuropäer von iranischen Ariern ab?
Die drei Kurgan-Wellen vor 6 400 bis 4 200 Jahren
Die Rolle der Pest bei der Indoeuropäisierung
Die Migration der Uralier und Finno-Ugrier in Nordost-Europa vor 5 000 Jahren
Die Schnurkeramik-Kultur indoeuropäischer Jamnaja vor 4 800 bis 4 200 Jahren
Die Glockenbecher-Kultur vor 4 700 bis 4 400 Jahren
Die Indoeuropäisierung Alteuropas samt Verbreitung der indoeuropäischen Sprachen
Mitteleuropa-Theorien im Abseits: Indogermanen als Urbevölkerung Europas
Das genetische Erbe der Indoeuropäer
Die Haplogruppen der DNS: Möglichkeit der genetischen Bestimmung unserer Herkunft
Ausbreitung der Gene der Indoeuropäer ab der Zeit vor 4 500 Jahren
Regionale Unterschiede des genetischen Erbes
Veränderung des Phänotyps der Europäer
Die Menschheitsgeschichte zwischen Zufall, Chaos und Notwendigkeit
Der Übergang von der biologischen über die kulturelle Evolution hin zur Menschheitsgeschichte
Zufall und Chaos in der Geschichte
Die Bedeutung gravierender Ereignisse und mächtiger Akteure
Kontrafaktische Überlegungen bezüglich der Zeit vom Römischen Reich bis zur Gegenwart
Vom Wir zum Ich: Ein methodischer Perspektivwechsel
Wer waren und sind „Wir“?
Vom Wir zum Ich: Ein methodischer Perspektivwechsel
Meine ethnischen Vorfahren und deren Verflechtungsgeschichte im OstseeRaum
Meine Ahnen vor rund 1 000 Jahren
Die Besiedlung des Ostseeraums durch Indoeuropäer
Die Expansion finno-ugrischer Völker nach Nordeuropa
Der Ursprung von Kelten und Germanen in Nord- und Osteuropa
Balten, Slawen und Finnen seit dem Beginn der Eisenzeit vor 2 500 Jahren
Goten, Vandalen und Slawen seit der Zeitenwende
Die Völkerwanderung nach dem Einbruch der Hunnen in den Jahren 375 bis 568
Schweden zwischen dem 6. und 13. Jahrhundert
Die Wikinger und die Kiewer Rus vom 6. bis 11. Jahrhundert
Der Beginn polnischer Geschichte im 10. Jahrhundert und die Entstehung baltischer Völker ab dem 2. Jahrtausend
Deutsche und Juden seit dem 11. Jahrhundert
Der Deutsche Orden im 13. bis 15. Jahrhundert
Der Krieg zwischen Schweden und Nowgorod und Entwicklungen im Baltikum im 14. Jahrhundert
Meine Vorfahren, die Zufälligkeit meiner Zeugung und Existenz
Meine statistischen Vorfahren
Meine persönlichen Vorfahren
Zeugung und Geburt
Der Zufall des Augenblicks
Impulse im Leben
Die Rote Linie der Evolution: Ein Resümee
Gibt es eine durchgehende Rote Linie der Evolution und wenn ja, warum nicht?
Außerirdisches intelligentes Leben im All und andersirdisches intelligentes Leben auf der Erde
Probleme bei der Bestimmbarkeit des Verlaufs unserer Roten Linie
Kontinuität und Diskontinuität der Evolution
Die Rote Linie und das Durcheinander von Zwischenformen des Homo sapiens
Genetische Linien der Europäer seit Beginn der Geschichtsschreibung
Gilt das Anthropische Prinzip auch in Zukunft?
Literatur
1. Einleitende Fragen und Anmerkungen zum Anthropischen Prinzip sowie zu unserer Roten Linie der Evolution
Was hat es mit dem Anthropischen Prinzip auf sich?
Wir würden nicht wissen, dass es uns gibt, wenn es uns nicht gäbe. Das klingt tautologisch, birgt aber methodisches Potential. Es ist das Merkmal selbstbewussten Lebens, zu wissen, dass es da ist. Damit besteht ein Abgrenzungsmerkmal gegenüber Lebensformen die kein oder kaum ein Selbstbewusstsein haben. Da wir sind, ist auch klar, dass wir möglich waren. Die Schlussfolgerung daraus ist, dass, wenn das Universum uns hervorgebracht hat, es auch Hinweise darauf geben muss, wie und warum wir ausgerechnet die wurden, die wir sind. Entsprechende Fragen werden heute von Wissenschaftlern verschiedener Disziplinen mit Blick auf das Anthropische Prinzip kontrovers diskutiert. Sie werden gestellt, weil die Welt nicht erst seit Kenntnis der Feinabstimmungen von physikalischen Gesetzen, Naturkonstanten und Elementen den Eindruck erweckt, sie sei wegen uns so wie sie ist. Ist der Eindruck berechtigt oder lediglich ein Produkt unserer Egomanie und eines anthropozentrischen Weltbildes? Normalerweise werden in den Naturwissenschaften Anfangsbedingungen und Naturgesetze definiert, um daraus Entwicklungen abzuleiten. Beim Anthropischen Prinzip beginnt man hingegen beim jetzigen Endzustand, also bei der Tatsache, dass wir existieren, und versucht, „die Anfangssituation so einzugrenzen, dass aus ihr ein Universum hervorgegangen sein müsste, das menschliche Leben entwickelt“. (Dürr 1997, 109) Durch das Prinzip lassen sich exaktere Fragen stellen und klarere Antworten darüber erwarten, in welchem Verhältnis der Beginn der Welt zum momentanen Augenblick eines jeden Menschen steht. Wir wissen nicht, ob die Welt schon von Anfang an darauf angelegt war, Intelligenz hervorzubringen, oder ob sich dies erst später irgendwie ergab und wir das Ergebnis von Myriaden an Zufällen und chaotischen Prozessen sind. Mit Blick auf den Urknall ist zu fragen, was seit damals, vor etwa 13,8 Milliarden Erdenjahren, alles geschehen und unterbleiben musste, damit wir hier und heute darüber sprechen können. Gehen wir direkt in medias res und schauen uns Fragen an, die Anlass zum Schreiben dieses Buch waren. Die wichtigste hier behandelte Frage ist die, wie sich der mit dem Anthropischen Prinzip postulierte, scheinbar menschenfreundliche Impuls, über mehrere Milliarden Jahre hinweg bis zu
unserer Existenz aufbauen oder fortsetzen konnte, obwohl es uns während des mit Abstand größten Zeitraums gar nicht gab. Lässt sich erkennen, was das Anthropische Prinzip in der uns real erscheinenden Wirklichkeit konkret bedeutet? Welche Einflüsse hatte es auf den Verlauf der kosmischen, biologischen und kulturellen Evolution? Wie muss man sich das Wirken eines solchen Prinzips vorstellen, das über Jahrmilliarden Jahre auf kleiner Flamme vor sich hinköchelte, ohne dass Menschen oder vergleichbare intelligente Lebensformen absehbar waren? Lässt sich dies in physikalischen und mathematischen Formeln ausdrücken oder besser in Metaphern? Schließt es die Lücke zwischen Makro- und Mikrokosmos, die eine Zusammenführung von Quantenphysik und Relativitätstheorie so schwer macht? Schwingt das Anthropische Prinzip im Bereich des Mesokosmos gar den Zepter und verbindet Notwendiges mit Zufälligem? Gehört es zur Sammlung natürlicher Werkzeuge des Universums oder eher zum Repertoire Gottes? Wie wirkte das Anthropische Prinzip bei der Entstehung des Lebens sowie bei der Evolution und der Aufteilung unserer Ahnen in unsere sowie die Linien uns verwandter Lebensformen? Waren Zufälle unabdingbar, um uns entstehen zu lassen? Gab es permanent Zufälle oder waren sie eher die Ausnahme? Wie wäre z. B. die Entwicklung ohne den Zusammenprall des Planetoiden Theia mit der Erde verlaufen? Hätte das Anthropische Prinzip dann hinsichtlich unserer Existenz umsonst gewirkt bzw. gar nicht? Oder zeigt schon dieses Beispiel, wie anmaßend es ist, das Prinzip allein auf uns Menschen zu beziehen? War der Mensch in der Quantenwelt potenziell möglich und wurde nur zufällig oder aus Versehen real? Welche Rolle spielen Zufälle und Chaos in der Realität? Sind sie das Ergebnis uns unvorstellbarer Prozesse in Wirklichkeit und Potenzialität? Wie zufällig sind die fixen Feinabstimmungen der Naturkonstanten, Wechselwirkungen und Elemente auf das Kommen der Menschen ausgerichtet? Sind sie anthropisch? Stellen die Wirklichkeit und deren Möglichkeiten das Eigentliche, und die von uns wahrgenommene Realität nur einen materialisierten Schein dar, wie ihn schon Platon in seinem Höhlengleichnis 348 Jahre v. Chr. vermutete? Welche Bedeutung hat in diesem Zusammenhang Raimund Poppers These von einem offenen, nichtdeterminierten Universum mit kreativen Menschen? Widerspricht sie der Logik des Anthropischen Prinzips? Wie sind unterschiedliche Potenzen und Formen unserer und außerirdischer
Intelligenz zu bestimmen? Sind sie überhaupt vergleichbar? Sind wir Menschen die Dümmsten unter den Klugen oder die Klügsten unter Dummen? Gilt das Anthropische Prinzip auch für Neandertaler und Denisovaner? War die Beobachtung des Universums ein mit dem Wachstum unserer Hirne zunehmender Prozess? Gilt schon das verwunderte Hinaufschauen zu den Sternen an den Lagerfeuern der Urmenschen als Beobachtung? Was bedeutet es in diesem Zusammenhang, dass wir bis zur jüngsten Entdeckung, dass die Welt aus Milliarden Galaxien besteht, die Milchstraße betrachtet haben als sei sie die gesamte Welt? Und wie war es davor, als noch davon ausgegangen wurde, die Erde oder die Sonne sei der Mittelpunkt der Welt? Gibt die Quantenphysik Antworten auf die Frage, ob Beobachtung schon vor und neben uns notwendig und möglich war und ist? Was bedeutet die Auffassung, das Universum habe uns absichtsvoll als intelligente Beobachter hervorgebracht? Hat sich das Universum durch uns und unsere Kreativität tatsächlich verändert und sei es nur, weil sich gezeigt hat, dass die Welt die in ihr vorhandene Intelligenz auch in der Realität ausdrücken kann? Waren Australien oder Amerika vor der Besiedlung durch beobachtende Jäger und Sammler anders als danach? Hatte es durch die frühen Indianer und Aborigines plötzlich eine transzendente Dimension wie die Traumzeit? Wie muss man sich dieses Anderssein vorstellen? In welchen Dimensionen entfaltete das beobachtende Universum seine neu gewonnene Andersartigkeit? Und welche Auswirkung auf das Universum hatte es, als wir noch glaubten, wir lebten im Zentrum der Welt? Hat sich nur unsere Erkenntnis geändert, nicht aber das Beobachtete? Gibt es verschiedene Grade und Arten der Beobachtung? Gehört die Beobachtung unserer subjektiven Beobachtung zur Beobachtung? Wie ändert sich diese durch ihre Beobachtung? Sind wir nur Beobachter oder auch mit Blick auf das Universum mitfühlende und verständnisvolle Wesen? Wird auch Gott erst durch unsere Beobachtung real? Ist unser Dasein, um es mit Martin Heidegger auszudrücken, die Form des Seins, der Existenz zukommt? Sind wir in diesem Sinn eher Erscheinung oder Phänomen? Würde sich das Universum wieder ändern, wenn unser teilhabendes Interesse zurückginge oder wir ausgelöscht würden? Was sagt ein solches Szenario über den Charakter der Welt aus? Enthielten Teilchen und Wellen schon in der Planck-Phase gestalterische Informationen über uns und wenn ja, wie und warum? Hätte ein fiktiver Beobachter des Urknalls ahnen können, dass Leute wie du und ich Milliarden
Jahre später aus dem Geschehen hervorgehen würden? Ab wann und wo finden sich in der Evolution Hinweise darauf, dass, wann und wie wir unseren Auftritt beim kosmischen Casting haben würden? Was bedeutete es, dass das Universum dennoch die längste Zeit ohne die durch das Doppelspaltexperiment der Quantenphysik erstmals postulierten Folgen einer Beobachtung auskam? Wie würde das, was wir Anthropisches Prinzip nennen, in allen raumzeitlichen Zeiträumen bedeuten, in denen intelligente Beobachter nicht mehr denkbar sein werden? Welchen Stellenwert haben sie angesichts des irgendwann definitiven Endes dieser Welt? Was bedeutet Beobachtung, wenn sie nur für das Doppelspaltexperiment oder nur für die Phase gilt, in der es uns intelligente Menschen gibt, nicht aber mehr am Ende der Welt oder danach? War die Tatsache, dass wir potenziell möglich sind, für den Kosmos Antrieb für eine teleologische oder finale Entwicklung? Gab es vielleicht gar keinen Trend (Telos) hin zu intelligenten Wesen, und unsere Existenz ist der Wirkkraft von Kräften oder Prinzipien geschuldet, die wir nicht einmal ahnen? Stimmt die Behauptung, wir seien seit Beginn der Welt möglich, aber extrem unwahrscheinlich gewesen? Wie wahrscheinlich war die Entstehung eines jeden von uns? Waren einige von uns vor ihrer Zeugung wahrscheinlicher als andere? Gab es am Terminal in Richtung Leben Gedränge oder lief alles eher ruhig ab, weil jeder wusste, dass er irgendwann einmal drankommen würde und Zeit ohne Leben keine Rolle spielt? Oder änderten sich die Chancen, ins Leben zu treten, mit der Zeit? Ist statistisch gesehen jeder Einzelne von uns so unwahrscheinlich, dass es eigentlich unmöglich ist, dass er es „ohne den kleinsten Ausrutscher in die Realität“ geschafft hat? (Fritsche 2015, VI) Ist es anmaßend, zu meinen, es gebe uns als Menschheit oder als Individuen absichtlich? Wer sollte das Subjekt einer solchen Absicht sein? Sind wir vielleicht sogar unserer eigenen Absicht geschuldet? Gab es vor, neben oder jenseits des Urknalls, in früheren, parallelen oder von uns nicht einmal zu ahnenden Welten intelligentes Leben? Gilt das Anthropische Prinzip für alle intelligenten Lebensformen im Universum? War unsere Evolution, wie auch die von außerirdischer Intelligenz, von denselben Naturgesetzen, Konstanten und Elementen abhängig, aber auch die Folge regional unterschiedlicher Zufälle und chaotischer Prozesse? Eines wissen wir recht genau, dass nämlich die Erforschung der Welt seit der
Postulierung des Anthropischen Prinzips nicht leichter geworden ist. Es erschwert unser Verstehen in dankenswerter Weise eher, denn wie soll man erklären, auf welche Weise die Bildung von Galaxien oder die Abläufe bei einer Supernova mit unserer irdischen Existenz zusammenhängen oder die kosmische Inflation mit dem Aussterben des Homo neanderthalensis, der Migration der Indoeuropäer in Zentraleuropa und dem Massenmord der Nazis an den Juden? Hier drängt sich der Mesokosmos zwischen Makro- und Mikrokosmos und fordert den ihm zustehenden Platz in der Mitte der Welt ein.
Die Rote Linie der Evolution zum Menschen
Hier in Hannover gibt es einen 4,2 Kilometer langen „Roten Faden“, der in der Innenstadt Wege zu Sehenswürdigkeit markiert, allerdings an vielen Stellen schon sehr abgenutzt und kaum noch zu erkennen ist. Stellen wir uns eine vergleichbare Rote Linie auf dem Weg von der Entstehung der Welt bis zu uns vor. Der Begriff „Rote Linie“ dient hier nicht als Abgrenzung zwischen zwei Bereichen, sondern als lineare Markierung möglicher Abläufe der Evolution. Sie zieht sich durch das Geschehen und ist fiktiv, eine Abstraktion, ein Konstrukt unseres Denkens, nicht etwas, das außerhalb von uns existiert oder geschehen ist. Sie bedeutet keine von uns unabhängige Realität. Wollte man sie als Abgrenzung zweier Bereiche verstehen, dann würde sie wohl eher die Potenzialität von unserer Realität trennen. Sie käme dann im Sinne von Paul Tillich einer Gratwanderung „auf der Grenze“ gleich. (Tillich 1963) Hier aber dient sie ganz einfach zur Kennzeichnung eines Prozesses von Punkt a nach Punkt b, das heißt vom Urknall zum jeweiligen Ich im jetzigen Augenblick. Jedes selbstbewusste Lebewesen kann seine eigene Rote Linie zu bestimmen versuchen. Bis zum Ende der biologischen Evolution und zum Beginn der Geschichte lässt sie sich als unsere Linie verstehen, seitdem als Linie zum jeweiligen Ich. Dabei stellt das Individuum den Punkt b, Punkt a hingegen den Urknall dar. Die Rote Linie resultiert aus der Möglichkeit einer retrospektiven Sicht auf die Evolution vom jeweiligen „Ich“ bis zum Urknall und zurück. Es handelt sich um einen Rückblick, der es uns ermöglicht, den Verlauf der Entwicklung des Universums und des Lebens deswegen besser zu verstehen, weil wir den vorläufigen Endpunkt kennen und das Wissen um unsere Entstehung und Existenz als harte Fakten in die Analyse einbeziehen können. Die Rote Linie ist kein Dogma, sondern ein Denkmodell, das sich aus dem Anthropischen Prinzip bzw. Feinabstimmungen der Gesetze, Konstanten und Elemente ergibt und darauf wartet, sich durch immer neue Falsifizierungen entfalten zu können. Das freilich dürfte angesichts der Schärfe der Auseinandersetzungen innerhalb und zwischen den Wissenschaften hoffentlich das geringste Problem sein.
Neben der Roten Linie der kosmischen Evolution, die vom Urknall über die Entstehung des Universums, der Galaxien, der Sonne und unserer Erde führt, eignet sich das Modell besonders für die Beschreibung der biologischen Evolution bis zum Menschen. Hier hilft der Denkansatz Kontinuitäten und Diskontinuitäten der Evolution ebenso auszumachen wie Trends, Verzweigungen oder andere Spezifika. Mit Hilfe der Roten Linie soll aber nicht nur besser verstanden werden, was in der Evolution geschehen musste, wichtig sind auch kontrafaktische Überlegungen bezüglich dessen, was nicht ierte und wegen uns auch nicht hätte ieren können. Hier kommt man nicht umhin, mit Spekulationen zu arbeiten, die aber ahnen lassen, was auf Grund des bisher Geschehenen alles hätte anders ieren können. Um unsere Rote Linie der biologischen Evolution verfolgen zu können, müssen wir jeweils die Lebensformen bestimmen, die genetisch zu unseren direkten Vorfahren zählen. Zu diesem „Wir“ zählen alle Lebewesen, über die unsere Rote Linien bis hin zum Menschen führt. Alle anderen sind dank unser aller Entstehen aus dem ersten prokaryotischen Einzeller mehr oder weniger Verwandte. Am engsten verwandt sind wir wohl mit den Schimpansen, aber auch jede Blumenwiese steht voller Verwandtschaft. Im Grunde sind wir alle eins.
Die Begrenztheit des Modells einer Roten Linie durch die Quantenphysik
Vor der Suche nach unserer Roten Linie muss geklärt werden, welchen Erkenntniswert ein solcher Ansatz vor dem Hintergrund der Qantenphysik haben kann. Zunächst einmal verflüchtigt sich dadurch schlagartig jeder Erkenntnisoptimismus, müssen wir doch in Rechnung stellen, dass die Linie für uns wegen der mesokosmischen, dreidimensionalen und sinnlichen Wahrnehmung nur als wundersam anmutender Weg durch eine noch kaum erkundete, geheimnisvolle Quantenwelt erfahrbar ist. Wir wissen, dass die Welt anders ist, als wir sie wahrnehmen und mit unseren widersprüchlichen Wahrheiten zu verstehen versuchen. Unsere Suche gleicht der Reise von Alice ins Wunderland. Wie sie nicht weiß, dass sie nur eine Figur in einem wundervollen Märchen ist, können wir Wirklichkeit und Potenzialität nur als Realität wahrnehmen und versuchen, sie mit unseren ideologieträchtigen Wahrheiten zu verstehen. Uns Nicht-Physikern geht es wie Kindern, die ein Bilderbuch anschauen, ohne zu ahnen, wie, wo und warum es entstanden ist und wer es geschrieben bzw. gemalt hat. Naturwissenschaftler versuchen, den tatsächlichen Charakter der Wirklichkeit durch Formeln zu beschreiben, die, auch wenn sie stimmen, selbst den klügsten Köpfen der theoretischen Physik oder Mathematik nicht in Gänze verständlich sind. Auch für sie gibt es deswegen nur den Weg, Erkenntnisse der Quantenphysik oder Relativitätstheorie in der verständlicheren Sprache der klassischen Physik zu formulieren und zwecks Anschaulichkeit ihrer Modelle auf eine ultimative Genauigkeit zu verzichten. Was nutzen korrekte Formeln, wenn sie sich selbst den klügsten Experten nicht erschließen? Dem Laien bleibt ohnehin nur die Möglichkeit, Gleichungen in Gleichnisse zu übersetzen, um wenigstens ahnen zu können, worum es geht. Unsere Rote Linie markiert den wundersamen Weg zwischen der uns dreidimensional erscheinenden Realität und der Potenzialität der Wirklichkeit, die vielfältiger ist, als dies für uns jemals erkennbar sein wird. Im Sciencefiction-Film „Valerian - Die Stadt der tausend Planeten“, betrachten Agenten der Regierung der menschlichen Territorien bei einer Mission das bunte Treiben eines virtuellen Basars auf dem Planeten Kyrion durch eine spezielle Brille. Nur so können sie das Markttreiben überhaupt sehen, ohne Brille haben
sie einen leeren Platz vor sich. Leider ist eine solche Brille käuflich schwer zu erwerben, sie würde uns aber sicher weiterhelfen. Max Planck hat bereits Ende der 1920er Jahre auf die Notwendigkeit hingewiesen, unser Wahrnehmungsvermögen durch geeignete Instrumente etwas aufzupeppen. Uns erscheinen Zustände wie das Quantenvakuum leer, obwohl dort ein quirliges Treiben interagierender Fraktale herrscht. Offenbar entstand die Welt beim Urknall nicht aus dem Nichts, sondern schöpfte aus der unendlichen Potentialität der Wirklichkeit, die uns bis heute unbekannt und nicht erfahrbar ist. Wir wissen nur, dass es sie gibt, nicht aber was sie wirklich bedeutet.
Zuordnung zu Forschungsergebnissen verschiedener Disziplinen
Das Buch versteht sich als Untersuchung im Sinne der Big History und verbindet Kenntnisse verschiedener Wissenschaftsdisziplinen. (Christian 2018) Im Rahmen der Geschichtswissenschaft wird versucht, den Ansprüchen des Faches zu genügen, nicht aber hinsichtlich anderer Fachbereiche. Deren Ergebnisse werden laienhaft und mit Blick auf interdisziplinäre Zusammen hänge ausgewertet. Das Bemühen konzentriert sich darauf, exemplarisch konträre Sichtweisen in verständlicher Weise in Beziehung zueinander zu setzen, um dadurch einige Zusammenhänge besser zu verstehen. Zum Glück für interessierte Laien bemühen sich viele Naturwissenschaftler nach einigen Seiten Formeln, Kurven oder nach einem Feuerwerk aus Fachbegriffen, immer wieder einmal um ein paar verständliche Formulierungen, sei es um sich selbst der Richtigkeit von Aussagen zu vergewissern oder sei es, mit Experten anderer Disziplinen kommunizieren zu können. An diesen neuralgischen Punkten lohnt es sich für Laien, nach allgemein verständlichen Resümees wie im Wald nach Trüffeln zu suchen. Bei strittigen Themen kommen dabei, hoffentlich ausreichend, gegensätzliche Meinungen zu Wort, ohne dass diese immer bewertet werden. Daraus ergibt sich die den Lesefluss zwar störende, aber auf Grund des Charakters des Buches unabdingbare permanente Benennung zitierter Experten. So entsteht eine Art Forschungsüberblick von einer Metaebene aus und ohne jeden Anspruch auf Vollständigkeit. Ohne diese Verweise könnte der Eindruck entstehen, ich würde mir anmaßen, fremde Forschungsergebnisse als eigene auszugeben. Mein Beitrag beschränkt sich darauf, unterschiedliche Sichtweisen zu den behandelten Themen zueinander in Beziehung zu setzen. Die Tatsache, dass ein Historiker von einer selbstkonstruierten Metaebene aus versucht, das Geflecht sich überlappender und widersprüchlicher Forschungslinien vergleichend zu betrachten, kann den Eindruck erwecken, als würden involvierte Experten noch während des Disputs am lebendigen Leib historisiert. Um dies zu vermeiden, wurden die Expertenmeinungen meist im Präsens zitiert, auch wenn einige bereits verstorben sind. In wenigen Jahren gilt dann ohnehin für uns alle der Imperfekt. Naturwissenschaftler müssen diese Herangehensweise ebenso akzeptieren, wie der Autor kommende Vorwürfe mangelnder Kompetenz kontern muss. Selbstgenügsam ließe sich behaupten,
dass sich die Funktion des Historikers im vorliegenden Fall aus der Gleichgewichtigkeit seines relativen Unwissens bezogen auf alle tangierten Disziplinen ergibt. Ihm wird man dabei eher als einem Physiker oder Biologen vorwerfen, von Naturwissenschaften keine Ahnung zu haben; aber man wird ihm das hoffentlich auch eher nachsehen als einem Experten auf dem Feld der exakten Wissenschaften. Tröstlich ist dabei, dass fast alle Profis der exakten wie der Geisteswissenschaften in anderen Fachbereichen nur dilettieren, was Diskussionen fachübergreifender Aspekte erschwert. Dabei wird gerade dies immer wichtiger, weil, so Paul Feyerabend, die Wissenschaftslandschaft eigentlich von der Tendenz geprägt ist, die Welt als Ganzes zu erfassen, eine „Formel für alles“ zu finden. Heute werden große Teile der Chemie in die Physik absorbiert; Biologie und Physiologie überschneiden sich mit Physik und Chemie; die Archäologie zwingt Anthropologen und Erkenntnistheoretiker zum Umdenken; die Genetik alle Disziplinen zum Paradigmenwechsel. (Feyerabend 1992, 14) Hier kann der Historiker als Handwerker unter den Geisteswissenschaftlern mit Hilfe seines geschichtstheoretischen Instrumentariums einen interdisziplinären Überblick verschaffen, der so für Vertreter einzelner Fächer weder möglich noch anstrebenswert ist. Luici Cavalli-Sforza weist allerdings auf Schwächen historischer Forschung hin, die daher rühren, dass sich Geschichte nicht wiederholen lässt, weswegen ihr eine Beweisführung durch Experimente fehlt. Wir können die Völkerschlacht bei Leipzig 1813 nicht ein zweites oder drittes Mal stattfinden lassen, um die verschiedenen Abläufe vergleichend zu analysieren. Die Feststellung, es gebe keine experimentellen Versuche, stimmt inzwischen auch nicht mehr ganz. Nicht nur werden Schlachten wie die bei Leipzig oder Waterloo von engagierten Laien bis ins Detail nachgestellt und Dörfer unserer Vorfahren mit damaligen Werkzeugen nachgebaut, auch die Experimentelle Archäologie arbeitet mit wissenschaftlichen, unter kontrollierten Bedingungen durchgeführten und vollständig dokumentierten Experimenten. Man denke nur an den Versuch, Kolosse wie die in Stonehenge mittels der primitiven Technologie der Erbauer vor 4 000 Jahren zu transportieren. Historiker nutzen zudem Analogien, wobei verschiedene Disziplinen nützliche Informationen über die Geschichte der Evolution des Menschen beisteuern
können. Diese dienen als unabhängige Bestätigung oder als zusätzlicher Beweis einer historischen Hypothese. Die multidisziplinäre Forschung kann hier in beschränktem Maß als Äquivalent für die Verwendung von bestätigenden Experimenten verwendet werden. (Cavalli-Sforza, Luici 1996, 45) Mit Blick auf naturwissenschaftliche Disziplinen wird Korrektheit der Aussagen angestrebt, ebenso aber auch Anschaulichkeit. (Barkleit 2007, 101-157) Es ergibt sich das Problem, dass selbst die von einigen naturwissenschaftlichen Experten angestrebte vermeintliche Anschaulichkeit für Laien oft nicht nachvollziehbar ist. Für sie kommt fast jede Formel einem Rauswurf aus den Kernbereichen der Disziplinen gleich. Ich nutze deswegen das, was Odo Marquardt „Inkompetenzkompensationskompetenz“ nennt. (Marquardt 1981, 23-38) Die Inkompetenz bezieht sich auf die Naturwissenschaften ebenso wie auf andere Geistes- wie Sozialwissenschaften, die Kompetenz auf die Anwendung von Methoden der Geschichtswissenschaft. Ein weiteres Problem stellt die kaum bestreitbare fachliche Überheblichkeit vieler Naturwissenschaftler dar, besonders für die von Physikern, in deren Augen wir eine Art „Muggeln“ sind. Das liegt wohl daran, dass sich ihre Disziplin im Lauf des letzten Jahrhunderts zur Leitwissenschaft fast aller Fachbereiche entwickelt hat. Sie hat mit ihren neuen faszinierenden Gedanken und ausgeklügelten Methoden sogar die Philosophie teilweise abgelöst und drängt selbst Theologen zu neuen Denkansätzen. Dabei sind auch Physiker nicht in der Lage, alle selbstgestellten Fragen zu beantworten. Schon Emil Du Bois-Reymond forderte das notwendige „stille Bewusstsein“ des Naturwissenschaftlers für das Rätsel, „was Materie und Kraft seien, und wie sie zu denken vermögen“. Diesbezüglich müsse er „ein für allemal zu dem viel schwerer abzugebenden Wahrspruch sich entschließen: ‚Ignorabimus‘.“ (Wir werden es niemals wissen.) (Bois-Reymond 1872, 464) Mit ähnlicher Intention meint Harold J. Morowitz, die Naturwissenschaften hätten „das Ende des Verstehens noch nicht erreicht“ und stünden sogar „noch ziemlich dicht am Anfang“. Im 13,8 Milliarden Jahre alten Universum entspreche der Zeitraum des Bemühens, das Universum beobachtend zu erfassen, „kaum mehr als einem Millionstel der gesamten Zeit“. Es sei „erregend, wieviel noch zu entdecken bleibt“. (Morowitz 1988, 261) In allen Forschungsfeldern gibt es riesige Wissenslücken, die nach heutiger Erkenntnis auch nicht geschlossen werden können. Für Reinhard Schmoeckel handelt es sich dabei nicht nur um Lücken, sondern um „riesige schwarze Ozeane des Nichtwissens, aus denen für den historisch Normalgebildeten nur ein paar hell
beleuchtete Inseln herausragen, ohne dass klar wird, dass die meisten dieser Inseln aus gemeinsamem Urgrund emporgestiegen sind“. (Schmoeckel 1982, 11) Odo Marquard meint, viele Physiker seien nicht bereit, ihre Erkenntnis schranken zu akzeptieren. (Marquard 1981, 23-38) Für Hans-Peter Dürr leidet nicht nur die Physik, sondern die gesamte „dominierende selbst-bewusste Naturwissenschaft“ an einem überschätzten Wahrheitsanspruch. Viele Wissenschaftler fühlten sich „in der Nachfolge der Religion“ dazu akoren, „die eigentliche Wahrheit zu finden und zu verkünden“. Die Naturwissenschaften spielten sich dabei auf „wie die Inquisition zu Zeiten Galileis, wo es hieß: Wir haben die Wahrheit und du bist der Abtrünnige.“ Zwar könnten sie heute nicht mehr mit Verbrennung auf dem Scheiterhaufen drohen, aber „uns einen Ignoranten“ nennen und einen „Job verweigern“, das können sie schon. (Dürr 2004, 94) Ein fiktiver Blick auf noch unbekannte Forschungsergebnisse künftiger Wissenschaftsgenerationen kann jedoch nicht nur Physikern helfen, angesichts der rasanten Zunahme an Erkenntnissen bescheiden zu bleiben. Wir wissen nichts über zukünftiges Wissen, aber wir wissen, dass es weit über das hinausgehen wird, was wir heute bereits verstehen. Dazu reicht es in vielerlei Hinsicht schon, stabile statistische Trends zu extrapolieren. Wir haben keine Ahnung, wieviel wir wovon nichts wissen, weil wir gar nicht wissen, was es alles gibt und wo sich neue Wissenslücken dadurch auftun werden, dass weiterführende Fragen gefunden worden sein werden. Uns bleiben entscheidende zukünftige Erkenntnisse und Denkfehler durch den Zeitpfeil in Richtung Zukunft versperrt und erspart. Was unsere Nachfahren später wissen und denken, kann uns aber schon heute inspirieren, wenn wir akzeptieren, dass künftiges Wissen unsere Horizonte zwangsläufig überschreitet. So kann klar werden, dass wir nicht den Gipfel aller Erkenntnis erklommen haben, sondern dieser auch weiter in Wolken verhüllt bleibt. Immer wird unser Horizont fortrücken, sobald wir versuchen, uns ihm zu nähern. Nur wer seine Erkenntnis zwischen Vergangenheit und Zukunft richtig einordnet, ist in der Lage, den „Faktor des Unerkennbaren in die eigene Kalkulation“ einzuschließen. (Marquard 1981, 23-38) Nicht nur die Physik, auch die Genforschung entwickelt sich mit einem solchen Tempo und einer solchen Wucht, dass schon wenige Jahre alte Untersuchungen oft Makulatur sind und es manchem Experten peinlich ist, so etwas gerade erst
geäußert zu haben. Manchmal geht es so rasant, dass die Tinte noch nicht trocken ist, bis die Forschung neue relevante Erkenntnisse präsentiert. Früher hielten sich in Ideologie eingelegte Tatsachen Jahrhunderte. Heute befinden wir uns inmitten einer Explosion lebendigen Wissens. Wir spüren das Tempo oft selbst gar nicht so massiv, weil wir uns im Auge des Hurrikans befinden und unsere Überlegungen integraler Bestandteil der Wissensexplosion sind. Schon vor Jahrhunderten und Jahrtausenden habe Denker die Messlatte sehr hoch gelegt. Daher wissen wir, dass ein Zuwachs an Wissen und Verstehen kein linearer Prozess ist; vielmehr gab es zu allen Zeiten Personen, die sowohl den jemals aktuellen, als auch heutigen und künftigen Einsichten weit voraus waren. Kluge Köpfe wie Sokrates, Aristoteles, Laozi, Leonardo da Vinci, Hildegard von Bingen, Albert Einstein oder Max Planck, um nur einige zu nennen, waren möglicher Erkenntnis sicher näher als manch heutiger hochdotierter Dilettant. Wohl nicht ohne Grund hat Hermann Hesse hellsichtige Personen unterschiedlicher Zeitepochen und Kulturen zu Mitgliedern seiner imaginären „Morgenlandfahrt“ gekürt und nicht etwa nur Zeitgenossen. Eine Chance für die Fortentwicklung und ständige Erneuerung unseres Verstehens liegt darin begründet, dass es mit jedem Individuum wieder stirbt und nachfolgende Generationen sich alles neu erarbeiten müssen. Dadurch sind aus Falsifizierungen resultierende innovative Erkenntnisse gewährleistet und die Gefahren einer Ideologisierung durch Verifizierung begrenzt. Allerding muss jeder Lernende die Distanz von seinem relativen Nichtwissen bis zur Spitze des jeweiligen Forschungsstandes in immer kürzerer Zeit absolvieren und dabei immer größere Datenmengen verarbeiten. Hoffentlich überrundet uns die Künstliche Intelligenz nicht schon zu Lebzeiten.
Zur Bedeutung populärwissenschaftlicher Darstellungen
Welchen Stellenwert haben vor dem Hintergrund interdisziplinärer Kooperation populärwissenschaftliche Darstellungen wie die vorliegende? Zunächst ist zu bedenken, dass auch die Fähigkeit zur Verallgemeinerung das Ergebnis einer Spezialisierung ist. Auch populärwissenschaftliche Darstellungen sind vor diesem Hintergrund zu bewerten. Sie waren zu allen Zeiten unersetzliche Begleiter spezialisierter Forschung. Ihre Bedeutung erstreckt sich nicht nur auf die Vermittlung aktuellen Wissens, sondern auch auf den Meinungsaustausch von Experten. Der Preis dafür ist mangelnde Schärfe der Konturen. Aber ohne diese hätten viele Wissenschaftler kaum eine Ahnung vom Tun und Lassen ihrer Kolleginnen und Kollegen in anderen Fachbereichen. Die Spezialisierung ist so weit fortgeschritten, dass nicht nur Physiker wenig von Biologie oder Geologie verstehen, „sondern bereits der Quantenkosmologe nichts mehr vom Selbstorganisationstheoretiker oder einem anderen Fachphysiker“. Hier ist ein Austausch mit Hilfe der Populärwissenschaft wichtig und geboten. Noch gravierender aber ist die Sprachlosigkeit zwischen Natur- und Geisteswissenschaftlern. Auch Philosophen können, so Hans-Dieter Mutschler, gar nicht anders, als sich wechselseitig über populäre Wissenschaftsdarstellungen zu informieren. Dabei sieht er es jedoch als Problem an, dass Populärwissenschaftler oft „statt zu informieren weltanschaulich werden“. (Mutschler 2002, 80f.) Ich hoffe, mehr zur Informierung über Diskussionen zwischen den Wissenschaften als eigene Eingebungen beitragen zu können. Das wirklich Neue an diesem Buch ist die Postulierung einer hypothetischen Roten Linie der Evolution, mit der ich versuche, die Welt besser zu verstehen. Zwar ist in der Literatur immer mal wieder die Rede von einem Roten Faden, konsequent zu Ende gedacht ist dieser Gedanke jedoch nach meiner Kenntnis noch nicht. Vielleicht kann vorliegende Studie dazu ein Impuls sein. Im Sinn der damit verbundenen und angestrebten Selbstvergewisserung bin ich meine einzige reale Zielgruppe, aber ich lade gern jeden ein, sich mit meiner hiermit zur Falsifizierung freigegeben „Weltanstaunung“ zu befassen. (Richter, M., 2021)
2. Das Weltbild der Quantenphysik
Ein neues Verständnis des Universums und der Rolle des Menschen
Grundlage des aktuellen Weltbildes der Naturwissenschaften ist neben der Allgemeinen Relativitätstheorie die Quantenphysik. Die durch sie eingeleitete Wandlung betrifft alle Disziplinen. So müssen z. B. Biologen und Anthropologen neu definieren, warum es uns Menschen in der Quantenwelt überhaupt gibt und welche Bedeutung wir darin haben. Die Beschäftigung mit bewusstem Leben hat in den Naturwissenschaften nicht zu mehr Selbstvergewisserung, sondern zur Verunsicherung hinsichtlich unserer Rolle in der Realität geführt. Umgekehrt verändern neue Sichtweisen auf den Menschen die Quantenphysik. Wir sind nunmehr als Beobachter unentbehrlich, damit sich die Welt selbst verstehen kann. Problematisch für das allgemeine Verständnis der Quantenphysik ist allerdings, so Max Planck 1929, dass sich das physikalische Weltbild „immer weiter von der Sinneswelt entfernt, dass es seinen anschaulichen, ursprünglich ganz anthropomorph gefärbten Charakter immer mehr einbüßt, dass die Sinnesempfindungen in steigendem Maße aus ihm ausgeschaltet werden“. Dennoch, so fordert er, dürfe das Weltbild nicht länger „anthropomorphe Elemente“ enthalten. Die unzulänglichen menschlichen Sinnesorgane müssten durch physikalische Messgeräte ersetzt oder ergänzt werden. (Planck 1967, 14f., 40) Die Quantenphysik umfasst Quantenmechanik und Quantenfeldtheorie. Erstere beschreibt das Verhalten von Quantenobjekten unter dem Einfluss von Feldern, letztere die Felder als Quantenobjekte. Es wäre für den Laien vermessen, zu behaupten, er verstünde, was damit genau gemeint ist. Selbst Experten räumen ein, dass sie sich dessen nicht immer sicher sind. Deswegen können hier Details auch nicht so exakt beschrieben werden, wie es fachintern zu erwarten wäre. Zum Glück aber werden, wie schon in der Einleitung angemerkt, Forschungsergebnisse weiterhin in der Sprache der klassischen Physik kommuniziert, denn sonst, so Werner Heisenberg, könnten sich nicht einmal die Physiker unter sich selbst verständigen. (Heisenberg 1979, 58) Die klassische Physik ist weiterhin nötig, um Dinge wie Tische, Lampen oder Autos zu beschreiben. Sie prägt unseren unzulänglichen Blick in und auf unsere Realität. (Kaeser 2020)
Insgesamt funktioniert die Quantenphysik nach Meinung von Markus Aspelmeyer perfekt. Es gebe in den Naturwissenschaften kein Phänomen, das im Widerspruch zu ihr steht. Ein Problem sieht aber auch er darin, dass sie nicht zu unseren heutigen „naiven Weltbildern“ t. (Aspelmeyer 2014, 131) Ungeachtet dessen muss jeder, der sich eine Vorstellung von der Stellung des Menschen in der Welt machen will, so Bernard d’Espagnat, die Quantentheorie in den Mittelpunkt seines Fragens stellen. Allerdings konstatiert Hans-Jürgen Fischbeck eine Weigerung, die „grundstürzenden Konsequenzen“ der Quantentheorie anzuerkennen. Die Ursache dafür sei, dass sie verlange, die „von uns allen verinnerlichte und in der Alltagserfahrung unentwegt bestätigte Ontologie der an sich seienden Realität zu revidieren“. (Fischbeck 2005, 19) An der schwierigen Erklärbarkeit der abstrakten und theoretischen Quantenphysik liegt es, so auch Hans-Peter Dürr, dass „ein so tiefgreifender Umbruch in unserem Verständnis der Wirklichkeit“ bis heute „kaum philosophisch und erkenntnistheoretisch rezipiert, und auch im Bereich der Theologie nicht ausreichend wahrgenommen“ wurde. Die Zäsur in den Anschauungen sei einfach zu radikal, um akzeptiert zu werden. (Dürr 2004, 11f.)
Der Beobachter in der Quantenphysik und im Konstruktivismus
Neu und provozierend ist, dass der beobachtende Mensch als Subjekt im Sinne der Philosophie der Subjektivität von René Descartes und Immanuel Kant in die Forschung einbezogen wird. Schon in der deutschen Romantik wandte sich der Blick mehr dem beobachtenden Subjekt zu. Man denke nur an Capar David Friedrichs Männer bei der Betrachtung des Mondes. Sie stehen im Mittepunkt des Bildes, nicht der Mond. Unsere Subjektivität wird selbst zum Objekt subjektiver Untersuchung. Wir können nicht mehr länger die Natur an sich betrachten, sondern nur die Natur, „die unserer Art der Fragestellung ausgesetzt ist“. (Heisenberg 1979, 60) John Archibald Wheeler entwickelte die These von der Rolle des Beobachters, der vom Zuschauer zum Beteiligten wird. Auf „sonderbare Weise“ leben wir in einem „Universum des Beteiligtseins“. Dies ist das „sonderbarste Merkmal des Universums“ und der wichtigste Hinweis auf dessen Ursprung. Ein Objekt gewinnt demnach erst durch den teilnehmenden Akt der Beobachtung an Bedeutung. Das Universum entstand nicht eher, „als es garantieren konnte, dass an irgendeinem Ort und während irgendeiner Zeitspanne in seiner zukünftigen Geschichte etwa hervorgebracht werden würde, das beobachten konnte“. Ist Beobachtung also „das Verbindungsglied, das den Kreis der wechselseitigen Abhängigkeit schließt?“ Könnte es sein, dass die Beobachtung „das letzte Fundament der Gesetze der Physik“ ist und „damit der Gesetze von Raum und Zeit selbst“? War das Universum bedeutungslos, „solange nicht sichergestellt“ werden konnte, dass es „an irgendeinem Ort und für irgendeine kleine Weile in seiner zukünftigen Geschichte Leben, Bewusstsein und Observership hervorbringt?“ Wheeler konstatiert zwei Auffassungen. Nach einer wäre das Universum auch entstanden, „wenn die Konstanten und uranfänglichen Bedingungen die Entwicklung von Leben und Bewusstsein für immer ausschlössen“. Das Leben wäre dann „für die Maschinerie des Universums zufällig und nebensächlich“. Eine andere Auffassung frage, ob „das Universum durch irgendeine rätselhafte Verknüpfung der Zukunft mit der Vergangenheit, den zukünftigen Beobachter erforderte, um die Schöpfung in der Vergangenheit möglich zu machen.“ (Wheeler 1977, zit. b. Eccles 1982, 30-32) George Gale hält es sogar für möglich, dass „die Beobachter für die Entstehung
des Universums genauso wichtig sind wie das Universum für die Entstehung der Beobachter“. (Gale 1982, 99) Laut Max Planck kann die Wissenschaft das letzte Geheimnis der Natur nicht lösen, „weil wir in dieser letzten Analyse selbst ein Aspekt der Natur sind und daher ein Aspekt des Geheimnisses, das wir zu lösen versuchen“. (Planck 1983) Schon Novalis schrieb: Wir träumen vom Reisen durch das Weltall - ist denn das Weltall nicht in uns?“ (Novalis 1996, 103) Laut Dürr kann wegen der Quantenphänomene nicht mehr von einer gegenständlichen Realität gesprochen werden. Diese sei lediglich ein Konstrukt unseres Denkens. Eine Trennung in subjektive und objektive Wahrnehmung ist „nicht mehr streng möglich“. Der Mensch kann sich nicht aus der beobachteten Welt herausnehmen, denn er befindet sich untrennbar in ihr. (Dürr 1986 12-14; 2004, 15) Die Welt, so auch Paul Feyerabend, besteht nicht aus Feldern und Teilchen, die einander äußerlich beeinflussen, vielmehr sind beide „Teile der RaumzeitMaterie-Struktur, die sich nach den Feldgesetzen bilden und bewegen“. Die Scheidung zwischen Subjekt und Objekt stellt nur eine Annäherung dar. (Feyerabend 1992, 14) Paul Davies spricht von einer „rätselhaften Beziehung zur beobachteten Wirklichkeit“. (Davies 1996, 138) Arnold Benz meint, dass der Beobachter beim Betrachten des Universums selbst als ein Aspekt einbezogen wird. (Benz 1997, 111f.) Bei einer physikalischen Messung, so Lothar Schäfer, werde ein System, das sich im Zustand der Potenzialität befindet, durch eine „Beobachtungswechselwirkung“ in Realität überführt. (Schäfer, Lothar 2009, 292, 295) Es gibt, so auch Dirk Eidemüller, keine „Welt an sich“, sondern nur eine „Welt für uns“, wobei mit „uns“ jeder denkbare Beobachter oder makroskopische Beobachtungsapparat gemeint ist. Der Begriff „Welt an sich“ sei nicht länger auf Formen des Seins anwendbar, sondern allenfalls im Sinne einer „verschleierten Realität als metaphorische Redeweise für die Vermutung des gesunden Menschenverstandes, dass ‚da draußen‘ noch etwas sein müsse“. (Eidemüller 2017, Pos. 7771-7793) In der klassischen Physik sagt man, so Eduard Kaeser: „Wir messen mit einem Apparat Eigenschaften des Elektrons.“ Die Quantenphysiker sagten stattdessen: „Der Messapparat interagiert mit dem Elektron auf eine Weise, dass nach dem Prozess ein einziger Gesamtzustand Elektron-plus-Apparat resultiert.“ Es gibt nicht zwei separate Objekte, sondern eines, dessen Teile weit voneinander entfernt liegen können und die trotzdem miteinander verschränkt sind. (Kaeser 2020) Ähnlich sind die Positionen im Konstruktivismus, der ja ebenfalls ein Kind subjektiver Betrachtungsweisen und der Quantenphysik ist. Hier wird davon ausgegangen, dass ein Gegenstand vom Betrachter durch den Vorgang des
Erkennens erst entsteht. Es geht weniger um das Wesen der Dinge, sondern um den Prozess und die Entstehung ihrer Erkenntnis. Maßgeblich ist die Orientierung am Beobachter und nicht die an einer vom Beobachter vermeintlich unabhängigen Realität. Wie die Quantenphysik hat sich auch der Konstruktivismus von der Vorstellung einer absoluten Wahrheit und einer empirischen Objektivität verabschiedet, weil der Beobachter nicht als unabhängig von der Erkenntnis angesehen werden kann. (Pörksen 2015) So wird die quantenmechanische Wellenfunktion durch einen bewussten Beobachter auf eine messbare Größe reduziert, die nur eine Annäherung ist. Der Beobachter spielt selbst eine wesentliche Rolle in der physikalischen Beschreibung der Welt. (Vowinkel 2018) Die Rolle des Beobachters wirft die Frage auf, wie der Charakter der Welt vor dem Erscheinen intelligenter Wesen zu deuten ist. Zwar war der Mensch spätestens seit dem Urknall als Aspekt der Potenzialität möglich, es gab ihn aber über 13,8 Milliarden Jahre nicht, und es gab auch nie jemanden, für den er hätte absehbar gewesen sein können. (Gott 2020, 260f.) Christian de Duve hält deswegen die Behauptung für logisch, die Welt sei durch Beobachtung überhaupt erst entstanden. Er postuliert „eine Art rückwärts gerichtete Schöpfung“, die der menschliche Geist nach seiner Entstehung vollzog. (de Duve 1995, 439) Bei der Beobachtung des Menschen als Beobachter stellt sich die Frage, was und wie er überhaupt beobachten kann. Hat uns das Universum trotz der Tatsache hervorgebracht, dass wir bestenfalls die schillernde Oberfläche der Realität beobachten können, nicht aber die Wirklichkeit in ihrer ganzen Potenzialität? Entspricht unsere Oberflächigkeit nicht zu sehr unserem Dasein auf der dünnen Erdkruste einer im Kern fortdauernd glühenden Plasmakugel? Mit Blick auf den unabdingbaren Betrachter in der Naturwissenschaft stellt sich auch die Frage, welche Rolle die betrachtende Anbetung für Gott hat. Entsteht auch er durch den Glauben erst? Ist er das Resultat beobachtender Menschen und seine Form durch die Menschen bestimmt, wie schon Friedrich Feuerbach meinte? Ist die Perspektive in der Quantenphysik eine andere als im religiösen Glauben? Ist dies die eigentliche Provokation der Quantenphysik? Sind wir nicht mehr nur am Wirken Gottes bezüglich unserer eigenen Existenz interessiert, sondern auch an der Beobachtung dessen, was Gott an sich ist? Mit wem und durch wen sehe ich mich an? Wer sieht auf uns, wenn wir wen oder was auch immer beobachten? Sieht das Auge Gottes, das in vielen Kirchen über dem Altar
zu finden ist, tatsächlich zu uns herunter oder ist es nur die Widerspiegelung unseres eigenen Auges, das uns dazu mahnt, zu den Guten zu gehören? Der Mensch ist nicht nur der Beobachtende, sondern auch der Beobachtete, der sich verändert und konstituiert, in dem er sich in die Beobachtung der Realität einbezieht. Die Polarität von Subjekt und Objekts ist aufgehoben. Kluge Menschen haben eine Meinung über ihre Meinung. Durch Selbstbeobachtung während der Beobachtung werden wir real. In dem wir uns (mit anderen) messen, verändern wir uns. In ihrer Folge verstehen wir uns als Sieger oder Verlierer. Vor der Messung, z. B. beim Hundertmeterlauf, ist noch nicht entschieden, wer der Schnellste ist. Und der Sieger ist dies auch nicht für alle Zeit, sondern nur dieses eine Mal. Das Beispiel des Autorennsports zeigt allerdings, dass es längst nicht mehr darum geht, wer einmal gewonnen hat, sondern wer sich mit den meisten Trophäen schmücken kann. Möglichst lange der Erdbeste zu sein, ist, neben finanziellen Aspekten, einer der Versuche, die von Albert Camus postulierte absurde Existenz durch eine Philosophie der Quantität zu mildern. (Camus 1986) Von „Weltbesten“ sollte besser nicht die Rede sein, kennen wir doch nicht einmal die schnellsten Sprinter aller Planeten unserer im kosmischen Maßstab winzigen Milchstraße. Wer vom Menschen als dem Beobachter des Universums spricht, sollte also auch den Menschen als Gestalter im Blick haben. Beobachtung ist nur das Eine, dass sich auf die Welt an sich bezieht. Gestalter ist der Mensch hingegen nur auf der Erde, vielleicht demnächst auch auf dem Mars und dem Mond gleich nebenan. Aber der gestaltende Mensch, der Homo Faber, hat maßgeblichen Einfluss auf die Art unserer Beobachtung, nicht nur weil er die technischen Möglichkeiten schafft, mit denen er die Welt erkennt, sondern weil durch ihn eine Welt von Möglichkeiten entsteht, in der wir vielleicht demnächst den Staffelstab an genetisch modifizierte Übermenschen abgeben werden. Der Mensch ist aber nicht nur ein Beobachter der Welt und Gestalter seiner unmittelbaren Realität, sondern er spürt sie mental, mit all seinen Sinnen. Für Max Planck ist Gott „wesensgleich mit der naturgesetzlichen Macht, von der dem forschenden Menschen die Sinnesempfindungen bis zu einem gewissen Grade Kunde geben“ kann. (Planck 1986, 37-39) Ein Nachteil sinnlicher Erfahrung ist die mangelnde Abstraktheit, der Vorteil die Tatsache, dass durch unsere Sinnhaftigkeit ein Verständnis möglich ist, das allein durch abstrahierende Beobachtung nicht gewonnen werden kann. Unsere Realität erschließt sich uns nämlich auch dadurch, dass wir sehen, hören, riechen,
schmecken und fühlen. Was sinnvoll ist, entscheiden unsere Sinne. Musikalische Kunstwerke, exemplarisch seien Johann Sebastian Bachs Fugen genannt, zeigen, dass auch in der Welt der Sinne abstraktes Denken möglich und notwendig ist. Die Realität erschließt sich dem bewusst Lebenden durch Kultur. Diese verwandelt die Mängel unserer Wahrnehmung in Kunstwerke aus Farben und Formen, die auf den kreativen Urgrund der Wirklichkeit hindeuteten. Durch unsere Kultur werden wir, wie Raimund Popper es postuliert, zu kreativen Menschen in einem offenen Universum.
Das Unbestimmtheitsprinzip und die „spukhafte Fernwirkung“ von Teilchen
Nicht nur die Rolle von Beobachtern wird durch die Quantenphysik beschrieben. Louis de Broglies entdeckte, dass sich das Materielle, wie es in der klassischen Physik durch die Bausteine der Materie, die Atome und ihre Konstituenten verkörpert ist, umgekehrt in die Welt des Ausgedehnten, Wellenförmigen verflüchtigt. Es gibt demnach keine kleinsten, zeitlich mit sich selbst identischen Objekte. Die ontische Struktur der Wirklichkeit erweist sich als Täuschung. (Zit. b. Dürr 2004, 11f., 28) Für Werner Heisenberg steht die Quantentheorie im Gegensatz zum Atomismus Demokrits, denn sie führt das Gegebene nicht auf kleinste materielle Partikel zurück, sondern eher, wie Plato in seinem Höhlengleichnis, auf Ideen und Symmetrieprinzipien. (Heisenberg 1973, 159) Ausdruck des „nicht-empirischen Zustands“ der Wirklichkeit sind virtuelle Zustände von Atomen und Molekülen in stationären oder Quantenzuständen. Sie sind Teil der Wirklichkeit, aber, „weil sie leer sind, nicht der empirischen Wirklichkeit“. Sie sind nicht-empirisch, „weil es da nichts gibt, was man sehen könnte“. Die mechanistische Beschreibung der Wirklichkeit hat ausgedient. Quantenobjekte durchlaufen nun stattdessen in Quantensprüngen Überlagerungszustände, in denen sie für kurze Zeit aus der empirischen Welt verschwinden. Auch bei den Molekülen findet ein „unermüdlicher Tanz aus der Realität in die Transzendenz und aus der Transzendenz in die Realität“ statt. (Schäfer, Lothar 2009, 293-299) Werner Heisenberg ist die Erkenntnis zu verdanken, dass sich die aus dem Tanz von Realität und Transzendenz resultierende Wirklichkeit nur als „UnschärfeRelation“ oder „Unbestimmtheitsbeziehung“ erklären lässt. Die prinzipielle Unschärfe ist dabei nicht etwa ein Erkenntnismangel, sondern, so Dürr, die Folge eines „viel innigeren Zusammenhangs“ des räumlich Gegenwärtigen, bei dem alles mit allem zusammenhängt. Es geht um Zusammengehörigkeit, nicht um Wechselwirkung. Er sieht in Heisenbergs Unschärferelation den „Ausdruck einer holistischen, ganzheitlichen Struktur der Wirklichkeit“. So verschwinde ein wegen der Unschärfe „ausgeschmiert“ erscheinendes Elektron an einem Punkt, um etwas später an einer anderen, nicht bestimmbaren Position wiederaufzutauchen. Dieses „Doppelphänomen“ des Verschwindens und
Entstehens vollzieht sich in einem „eigenartigen potentiellen Wellenfeld“, einem „Erwartungsfeld“, an dessen Entstehen „alles in der Welt beteiligt“ ist. Es ist kein Energiefeld, sondern ein „über die ganze Welt ausgedehntes“, nicht an die drei-dimensionale Raumzeit gebundenes, „grenzenloses Informationsfeld“. (Dürr 2004, 16, 31) Die wichtigste Erkenntnis der Quantenphysik ist für Dirk Eidemüller die Anerkennung der daraus resultierenden „spukhaften Fernwirkungen“ bzw. von „nichtlokalen Korrelationen, die nicht mehr klassisch beschrieben werden können“. (Eidemüller 2017, Pos. 7690) Die Unteilbarkeit der Wirklichkeit zeigt sich, so Lothar Schäfer, darin, dass Elementarteilchen ohne die geringste Verzögerung über beliebig weite Entfernungen aufeinander einwirken können. Zwei Teilchen, die „irgendwann miteinander wechselwirken und sich dann voneinander in verschiedene Gegenden des Raumes wegbewegen“, bleiben verbunden und verhalten sich „wie ein einziges Ding“, ganz gleich wie weit sie von einander entfernt sind. (Schäfer 2009b, 7) Kein Wunder, dass Autoren der Science Fiktion-Literatur, allen voran Dan Simons in seiner Weltraumsaga „Hyperion“, den Hyperraum erfunden haben, durch den wir alle auf nichtlineare Weise miteinander verbunden sind. Nun müssen wir diesen Hyperraum nur noch in der Realität verzeitorten, um ihn für Ausflüge in andere Dimensionen oder Anderswelten nutzen zu können. Ganz andere Formen des Tourismus werden so möglich. Die Unbestimmtheit der Voraussagen in der Welt subatomarer Teilchen beruht laut Ian G. Barbour nicht etwa nur auf einer Begrenzung menschlichen Wissens, sondern auf einer „echten Unbestimmtheit in der Natur“. (Barbour 2010, 47) Wir Menschen müssen uns daran gewöhnen, uns von einer Mitte her zu denken, die wir nicht kennen und die wir nie werden begreifen können. Was möglich bleibt, sind Intuitionen und mystische Ahnungen von uns staunenden Beobachtern und Mitfühlenden.
Wirklichkeit, Potenzialität und Realität: Grundlagen menschlichen Lebens
Bei der Beschreibung des virtuellen Charakters von Teilchen spielt die Potenzialität eine zentrale Rolle. Die Wirklichkeit besteht aus einer Doppelstruktur von Potenzialität und Realität, wobei Potenzialität die primäre, und Realität die daraus abgeleitete sekundäre Wirklichkeit ist. Die Potenzialität der Quantentheorie ist viel genauer bestimmt als der Begriff der Möglichkeit in unserem alltäglichen Sprachgebrauch, allerdings ist er, so Hans-Jürgen Fischbeck, nur mathematisch gegeben und ohne Gegenstück in der feststellbaren (eventuell nicht ausreichend bekannten) Realität. Potenzialität ist zwar nicht materiell, aber dennoch keine Fiktion. Sie ist wirklich, weil sie wirkt. „Etwas aus dem Möglichkeitsspektrum wird durch Messprozesse faktisch.“ Von besonderer Bedeutung ist „das faszinierende Phänomen der räumlichen und zeitlichen Nichtlokalität der Wirklichkeit“. Nichtlokal ist dabei die Potenzialität, während die Realität zeitlich und räumlich lokal ist. Schon die „bloße Möglichkeit von Kenntnisnahme, will sagen, von beobachtbarer Faktifizierung (d. h.) Messung, die gar nicht stattfindet, beeinflusst den Ausgang anderer Messungen“. Man könne dies „ketzerisch“ auch so ausdrücken: „Nichtmaterielle Entitäten beeinflussen materielle. Denn eine nicht realisierte Möglichkeit ist keine materielle Entität, und von materiellen Entitäten kann man nur sprechen, wenn sie faktisch sind.“ (Fischbeck 2005,2023) Kein mikrophysikalisches Objekt kann in einem Zustand existieren, der kein Zustand der Realität ist, sondern allein der Potenzialität. (Schäfer, Lothar 2009a, 291) Die Wirklichkeit kann nicht länger ontisch interpretiert werden. Die Frage: „Was ist, was existiert?“ verliert ihren tieferen Sinn. Wirklichkeit ist nicht länger eine Realität in der ursprünglichen Bedeutung einer dinghaften Wirklichkeit. Seiendes ist nichts, was existiert. „Es gibt nur Wandel, Veränderung, Operationen, Prozesse.“ Die Wirklichkeit offenbart sich als ein „sowohl als auch“, als Möglichkeit für eine Realisierung in der uns vertrauten stofflichen Realität, die sich in der Logik des „entweder oder“ unterworfenen Erscheinungsformen ausprägt. (Dürr 2000, 35; 2004, 11f., 29f.) Die Quantenphysik hat Aspekte einer transzendenten Wirklichkeit offenbart, die der Welt der platonischen Ideen nicht unähnlich ist. Der transzendente Teil der Wirklichkeit ist in den Phänomenen der Quantenwelt erkennbar. Ausgangspunkt
ist der Welle-Teilchen-Dualismus, das definierte Symbol der Quantenwirklichkeit. Dabei ist die Grundlage der materiellen Welt nichtmateriell. Sie hat Eigenschaften eines Bewusstseins, „geistähnliche Eigenschaften“ und ist „einem Bewusstsein ähnlich“. Das geistige Element ist die wahre Energie und Macht des Universums. (Schäfer, Lothar 2004, 14, 33f., 119, 147) Man kann lediglich eine gewisse Wahrscheinlichkeit angeben, mit der eine „Gerinnung“, sprich Materialisierung, geschieht. Was abläuft ist „ein Zusammenspiel von allem, was das Universum eigentlich ausmacht“. (Dürr 1997, 138f.) Materie ist nichts mehr als nur eine „Kruste“ des kosmischen Geistes, eine „Verklumpung von Gestalt oder Verknotung von Verbindungen“. (Dürr 2004, 29-31, 45) Für die Entstehung des Menschen ist bedeutsam, dass die Natur der Wirklichkeit die eines Quantensystems ist, das sich in Quantensprüngen ändert. Das gilt für die kosmische wie für die menschliche Wirklichkeit. Ihr nichtempirischer Teil ist „mit seiner versteckten Ordnung die Grundlage unseres Lebens“. (Schäfer, Lothar 2009b, 4f.) Ursprung und Bestimmung der Energie im Universum ist, so Freeman J. Dyson, „nicht isoliert von den Phänomenen Leben und Bewusstsein zu verstehen“. (Zit. b. Haisch 2018, 11, 200-202)
Die Frage nach einem kosmischen Bewusstsein und Gott seit Aufkommen der Quantenphysik
Um die Rolle der Evolution des Menschen im Universum zu verstehen, helfen chronologisch sortierte Expertenblicke auf einen möglichen geistigen Hintergrund der Welt und des Menschen darin. Für die meisten Naturwissenschaftler spielt die Option eines geistigen oder göttlichen Wirkens in der Natur keine Rolle. Ihre Einstellung basiert auf der Prämisse von Hugo Grotius, wonach man Forschung so betreiben müsse, „als wenn es Gott nicht gebe“. (Etsi deus non daretur) Das methodische Vorgehen in der Naturwissenschaft verlangt, so Dürr, auch „die letzte Spur von Religiosität“ zu tilgen, da die Forschung „sonst nicht beweisbar“ ist und „als Ideologie gilt“. (Dürr 1997, 36) Selbst der katholische Theologe Hans Küng meint, die moderne Wissenschaft müsse, wenn sie methodisch einwandfrei vorgehen wolle, „Gott, der ja nicht wie andere Objekte empirisch konstatiert und analysiert werden kann, notwendig aus dem Spiel lassen“. (Küng 1995, 151) Ungeachtet methodischer Bedenken wollen die meisten Naturwissenschaftler nach Meinung von Richard Lewontin aber aus anderen Gründen nicht zulassen, dass „das Thema Gott aufkommt“. Sie fühlen sich in der Pflicht, grundsätzlich alles Übernatürliche anzuzweifeln. Dadurch habe sich ein Instrumentarium herausgebildet, das nur materielle Erklärungen erlaubt und bewirkt. Für Naturwissenschaftler sei „Materialismus das Absolute“. Daher könnten sie „keinen göttlichen Fuß an der Türschwelle zulassen“. (New York Review, 9.1.1997, 31) Ungeachtet dessen, so konstatiert Harald Zaun, zeichne sich in Astrophysik und Kosmologie „ein subtiler Trend zum Metaphysischen“ ab. Ehemals futuristische Begriffe avancieren „zu geflügelten Wörtern, die die Fantasien der Wissenschaftler wiederum beflügeln“. (Zaun 2018) Kaum jemand bezweifelt, dass die Quantenphysik das Verhältnis vieler Naturwissenschaftler zu Religionen verändert hat. Die meisten bekennen sich zwar nicht explizit zu einer Religion oder synkretistisch zu einigen Glaubenssystemen, sprechen aber vom Wirken einer geistigen oder göttlichen Kraft bzw. eines Willens im Universum. Timothy Ferris registriert, dass „das Pendel wieder in die andere Richtung“ ausschlägt. Wissenschaftler begännen zu überlegen, „ob unsere Existenz im großen Entwurf wirklich so zufällig ist“ wie
bislang angenommen. Kritisch merkt er an, dass die Gewohnheit, religiöse mit kosmologischen Gedanken zu verbinden, scheinbar „unausrottbar“ sei. Viele Physiker seien „der Versuchung erlegen“, in rein wissenschaftlichen Arbeiten Gott ins Spiel zu bringen. (Ferris 2000, 22, 352f.) Bis heute beziehen sich viele Naturwissenschaftler auf den von Baruch de Spinoza vertretenen Pantheismus, bei dem ein immanenter Gott alle Gesetze des Universums bewirkt. Dies sei, so Harald J. Morrowitz, „die funktionierende Alltagsreligion zahlreicher Natur- und Geisteswissenschaftler“. Manche gäben es nicht zu oder fänden es „peinlich, darüber zu sprechen“, aber es handele sich beim „Pantheismus um eine der häufigsten religiösen Lehrmeinungen“. (Morowitz 1988, 342) Die Naturwissenschaftler, die ein geistiges oder göttliches Wirken nicht ausschließen, berufen sich allerdings nicht nur auf die Quantenphysik, sondern auch auf namhafte Wissenschaftler vergangener Zeiten. Es lohnt sich daher, einen Blick auf einige frühere Meinungen zu werfen. Für Aristoteles war Leben die Verkörperung eines universalen, organisierenden Prinzips. Von Gottfried Wilhelm Leibniz ist der Satz überliefert: „Wenn Gott rechnet und sein Denken wirksam werden lässt, entsteht die Welt.“ (Leibniz 1890, 191) Nicht weit entfernt von der Naturphilosophie seines Zeitgenossen Georg Wilhelm Friedrich Hegel ist die Vorstellung von Pierre-Simon de Laplace, der bei der Naturbeschreibung von einer völligen Determiniertheit aller Prozesse ausgeht. Der „Laplace’sche Dämon“ steht für die Überzeugung von der Existenz einer dem Universum innewohnenden Intelligenz, die dank eines in sich abgeschlossenen mathematischen Gleichungssystems jeden vergangenen und zukünftigen Zustand präzise begreifen kann. Im 19. Jahrhundert schlug John Leslie vor, von der Existenz einer abstrakten, kreativen Kraft auszugehen, die das Universum mit Leben, Bewusstsein und inneren Werten schaffe und gestalte. (Zit. b. Kanitscheider 2001, 214f.) John von Neumann sprach 1932 von einem Bewusstsein der Quantenmechanik. (Zit. b. Haisch 2018, 11, 200-202) James Jeans meinte, Geist könne nicht länger als „ein zufälliger Eindringling im Reich der Materie“ bezeichnet werden. Man beginne zu ahnen, „dass wir ihn als Schöpfer und Herrscher des Reichs der Materie anerkennen müssen“. Die Naturgesetze seien die „Denkgesetze eines universalen Geistes“. (Jeans 1931, 158) Zwischen Geist und wahrgenommener Welt gibt es auch für D. S. Sherrington Gemeinsamkeiten. Beide seien „Teile des Wissens eines Geistes“. Sie sind verschieden, aber nicht voneinander getrennt. „Indem die Natur uns entwickelt, macht sie sie zu zwei Teilen des Wissens eines Geistes und diesen
einen Geist zu dem unseren. Wir sind das Bindeglied zwischen ihnen. Vielleicht ist dies der Zweck unserer Existenz.“ (Sherrington 1940, 413) Max Planck schrieb 1955, dank Quantenphysik wisse man, dass es „keine Materie an sich“ gibt. „Alle Materie entsteht und besteht nur durch eine Kraft, welche die Atomteilchen in Schwingung bringt und sie zum winzigsten Sonnensystem des Alls zusammenhält.“ Da es im ganzen Weltall aber weder eine intelligente noch eine ewige Kraft gebe, müsse man „hinter dieser Kraft einen bewussten intelligenten Geist annehmen“, welcher der Urgrund aller Materie ist. Nicht die Materie sei das Wahre, sondern „der unsichtbare, unsterbliche Geist“. Da es aber keinen Geist an sich gebe, sondern „jeder Geist einem Wesen zugehört, müssen wir zwingend Geistwesen annehmen. Da aber auch Geistwesen nicht aus sich selber sein können, sondern geschaffen werden müssen, so scheue ich mich nicht, diesen geheimnisvollen Schöpfer ebenso zu benennen, wie ihn alle Kulturvölker der Erde früherer Jahrtausende genannt haben: Gott!“ (Archiv zur Geschichte der Max-Planck-Gesellschaft, Abt. Va, Rep. 11 Planck, Nr. 1797) Planck sieht zwischen Religion und Naturwissenschaft „in den entscheidenden Punkten volle Übereinstimmung“. Beide würden einander bedingen. Bei der Frage nach „einer höchsten über die Welt regierenden Macht“ sei davon auszugehen, dass eine von den Menschen unabhängige vernünftige Weltordnung existiere, deren Wesen nicht direkt erkennbar sei, sondern nur indirekt erfasst bzw. geahnt werden könne. Der Erkenntnistrieb fordere, „die beiden überall wirksamen und doch geheimnisvollen Mächte, die Weltordnung der Naturwissenschaft und den Gott der Religion, miteinander zu identifizieren“. Religion und Naturwissenschaft müssten gemeinsam einen „nie erlahmenden Kampf gegen Skeptizismus und gegen Dogmatismus, gegen Unglauben und gegen Aberglauben“ führen. Das „richtungweisende Losungswort in diesem Kampf“ laute „von jeher und in alle Zukunft: Hin zu Gott!“ (Planck 1986, 3739) Für David Bohm, einen Schüler Einsteins, ergeben die Resultate der Naturwissenschaften nur dann einen Sinn, „wenn wir eine innere, einheitliche, transzendente Wirklichkeit annehmen, die allen äußeren Daten und Fakten zugrunde liegt“. Das Bewusstsein der Menschheit „ganz in der Tiefe“ sei eins. Ervin László sieht den kosmischen Raum von einem „nichtmateriellen Energiemeer“ erfüllt“. (Zit. b. Froböse 2008, 105) Roger Penrose meint, es geben keinen Grund, den Begriff „Geist“ nicht wenigstens versuchsweise mit physikalischen Begriffen zu erfassen. Insbesondere sei „das Bewusstsein anscheinend stets an ziemlich spezielle physikalische Objekte gebunden -
jedenfalls an lebende menschliche Gehirne im Wachzustand; irgendwann können wir dieses Phänomen vermutlich einmal physikalisch beschreiben, auch wenn wir zurzeit noch weit davon entfernt sind.“ (Penrose 1995, 268) Werner Heisenberg meint, der erste Trunk aus dem Becher der Naturwissenschaften mache atheistisch, auf dem Boden des Bechers aber warte Gott. Dürr schrieb über seinen Lehrer, er verstehe „die eigentliche Wirklichkeit als Geist“. Sie sei „für ihn das Ganze, das Eine, wie es uns in unserem Bewusstsein unmittelbar und ungebrochen entgegentritt“. (Dürr 1997, 165) Pierre Teilhard de Chardin integriert den Gedanken der Evolution in die Schöpfungstheologie, in dem er der Materie eine geistige Dimension zuspricht und den Menschen in Anlehnung an Julien Huxley als die zum Bewusstsein ihrer selbst gelangte Evolution ansieht. In seiner wortgewaltigen Poesie hört sich das so an: „Purpurnes Leuchten der Materie, unmerklich übergehend in das Gold des Geistes, um sich schließlich in die Glut eines Universal-Personalen zu verwandeln; all dies durchwirkt, beseelt, erfüllt von einem Atem der Einigung, und des Weiblichen. Das habe ich im Kontakt mit der Erde erfahren: das Durchscheinen des Göttlichen im Herzen eines brennenden Universums, das Göttliche strahlend aus den Tiefen einer feurigen Materie.“ (Teilhard de Chardin 1990, 469) Für ihn sind wir „keine Menschen, die eine spirituelle Erfahrung“ machen, sondern „spirituelle Wesen, die eine Erfahrung als Menschen machen.“ Hier zeigt sich seine christliche Überzeugung, Gott Vater habe seinen Sohn Mensch werden lassen. Für ihn läuft die einheitliche kosmische Evolution auf das Werden des Menschen hinaus, und das Phänomen Mensch dient umgekehrt dazu, den Verlauf der Evolution zu erhellen. Diese Vorgehensweise, so Caspar Söling, ähnele der Sichtweise des Anthropischen Prinzips. Es habe zur Konsequenz, dass eine naturwissenschaftlich fundierte Erklärung der Evolution auch die geistige bzw. innere Seite der Materie berücksichtigen müsse, da „das Geistige eine Teilwirklichkeit des Menschen“ sei. Der Begriff der menschlichen Seele lasse sich im Sinne de Chardins als „personale Gottesrelation“ umschreiben. (Söling 1995, 155f., 246) Die Entdeckung in der Quantenphysik, dass „der Hintergrund der Wirklichkeit bewusstseinsartige Eigenschaften“ besitzt, verleiht der Vision Teilhard de Chardins für Lothar Schäfer eine neue Grundlage. Wenn „die Entwicklung des Lebens eine Bewegung des kosmischen Bewusstseins“ ist, könne man daraus schließen, dass der Mensch der „Kernpunkt einer Entwicklung“ sei, in der sich „etwas offenbart, was wahrscheinlich die charakteristischste und aufschlussreichste Grundströmung der uns umgebenden Wirklichkeit“ ist.
(Schäfer, Lothar 2004, 145) In Abwandlung de Chardins meint Bernhard Haisch: „Wir sind Gott, der eine Erfahrung als Mensch macht.“ In der Quantenphysik erschaffe der Vorgang des Messens die Realität erst. Es gebe keine davon unabhängige Realität. Bewusstsein sei „mehr als eine durch Gehirnchemie erzeugte mentale Illusion“. Beim Bewusstsein, welches die Realität unseres Lebens schafft, handele es sich um „Reflexionen eines transzendenten Bewusstseins, aus dem das Universum hervorgegangen ist“. (Haisch 2018, 14, 29-31) Freeman Dyson kommt aufgrund der Feinabstimmungen der Gesetze, Konstanten und Elemente zu dem Ergebnis, dass das Universum ein „unerwartet gastfreundlicher Ort für lebende Wesen“ sei. Das beweise zwar nicht per se Gottes Existenz, stimme aber mit der Auffassung überein, dass „der Geist in seiner Funktionsweise eine unentbehrliche Rolle spielt“. Das Universum habe gewusst habe, „dass wir kommen“. Es sehe „beinahe so aus, als habe es auf uns gewartet“. (Dyson 1979, 251; 1981, 266) Fred Hoyle verweist darauf, dass nach dem zweiten Grundgesetz der Thermodynamik alle physikalischen Prozesse den Grad der Unordnung (Entropie) vergrößern. Eine kosmische Intelligenz sei jedoch in der Lage, Ordnung aus dem Chaos zu schaffen. Intelligenz beweise sich durch das Ordnen von Dingen, durch genau das also, was für menschliches Lebens konstitutiv ist. Es gebe eine Kette an Intelligenzen, die „ihren Anfang auf der kosmischen Ebene“ nimmt und über „weitere Zwischenstufen bis zu uns Menschen auf der Erde“ reicht. Wer die Evolution verstehen wolle, müsse einräumen, dass die Natur von einer Intelligenz gelenkt werde, die „außerhalb der Erde angesiedelt“ ist. Auch wenn Naturwissenschaftler die Frage vermeiden wollten, dürfe man sie nicht einfach ignorieren. Es sei nicht auszuschließen, dass „die Übereinstimmung am Ende von einer Intelligenz vorgegeben“ sei. (Hoyle 1984, 218f., 243f.) Er habe nicht gehört, so schreibt John Hands, dass Hoyle, „zu irgendeiner Religion konvertiert“ sei. In seinen späten Schriften habe er aber in Betracht gezogen, dass „Phänomene, welche die Wissenschaft nicht erklären kann, auf eine überlegene Intelligenz schließen lassen könnten, die das Universum beherrscht“. (Hands 2018, 328) Adolf Portmann spricht von einer geistigen „Innerlichkeit der Lebensformen“, sein Schüler Joachim Illies von einem „materiegestaltenden Geist zur Darstellung seiner selbst“. (Illies 1983, 10) Das Individuum, so Albert Einstein, fühle „die Nichtigkeit menschlicher Wünsche und Ziele und die Erhabenheit und wunderbare Ordnung, welche sich in der Natur sowie in der Welt des Gedankens“ offenbare. (Einstein 1986, 68f.) Für ihn waren die Genies aller
Zeiten durch eine „kosmische Religiosität ausgezeichnet, die keine Dogmen und keinen Gott kennt, der nach dem Bild des Menschen gedacht wäre“. Daher gebe es keine Kirche, die sich auf kosmische Religiosität gründe. Ungeachtet dessen befänden sich aber unter den Häretikern aller Zeiten Menschen, die von dieser „höchsten Religiosität erfüllt waren und ihren Zeitgenossen oft als Atheisten erschienen, manchmal auch als Heilige“. Als Beispiele nennt er Demokrit, Franziskus von Assisi und Baruch Spinoza. (Einstein 1986, 68f.) Für Freeman J. Dyson sind „Ursprung und Bestimmung der Energie im Universum nicht isoliert von den Phänomenen Leben und Bewusstsein zu verstehen“. (Zit. b. Haisch 2018, 11, 200-202) Die „achtunggebietende kosmische Intelligenz, die uns umgibt, findet sich“, so Harald J. Morrowitz, „auch in uns.“ Durch die Universalität der Naturgesetze seien wir Teil des Weltgeistes. (Morowitz 1988, 338) Für Erich Jentsch ist jeder Mensch „Geist schlechthin“ und hat Teil an der „Evolution des Gesamtgeistes und damit am göttlichen Prinzip, am Sinn“. Mit seiner Fähigkeit zur Selbstreflektion wurde er zum „Geist eines seiner selbst sich bewusstwerdenden Universums“. (Jentsch 1992, 411-415) Nach Dürr ist die Vielheit anschauender und denkender Individuen nur ein Schein und besteht in Wirklichkeit gar nicht. Die vermeintliche Vielfalt ergebe sich vielmehr aus „verschiedene Reflektionen des Einen“. (Dürr 1997, 165) Paul Davies bewundert die „erstaunliche Fähigkeit physikalischer Systeme, sich selbst zu organisieren“ und schlussfolgert daraus, Bewusstsein sei „kein trivialer Zufall“, sondern „ein fundamentales Merkmal des Universums“ und ein „natürliches Produkt des Wirkens von Naturgesetzen“, mit denen es „auf tiefe und bis heute geheimnisvolle Weise verknüpft“ ist. Das Universum und die physikalischen Gesetze erweckten den Eindruck, als seien sie so „arrangiert worden, dass sie zum Entstehen von Leben und Bewusstsein führen - und zu Astronomen, die darüber rätseln“. (Davies 1996, 138-154) Für Amit Goswami existiert das Universum als formlose Potentialität in unzähligen möglichen Verzweigungen des transzendenten Bereichs und wird erst dann manifest, wenn es von bewussten Wesen betrachtet wird. (Goswami 1997, 183) Auch Harold J. Morowitz sieht im Wirken des Universums „einen Plan oder eine kosmische Intelligenz, die uns irgendwie im Sinn“ hat, allerding weniger als Individuen, sondern als „Teil der sich entwickelnden Welt des Denkens, der Noosphäre“. (Morowitz 1988, 355f.) Für Erich Jentsch handelt Naturgeschichte von Evolution, Bewusstsein und Geist. Letzterer erscheine als „Selbstorganisations-Dynamik“, der im Unendlichen „mit dem Göttlichen“
zusammenfalle. (Jentsch 1992, 411-415) Als George Smoot in der kosmischen Hintergrundstrahlung Hinweise darauf fand, dass die Superhaufen von Galaxien in der Kindheit des Universums als Quantenfluss begannen, war dies für ihn nach eigenem Bekunden so, als ob er „in das Gesicht Gottes“ geschaut habe. (Zit. b. Ferris 2000, 22) Stephen Hawking schließt sein Buch „Eine kurze Geschichte der Zeit“ mit der Vermutung, die Entdeckung einer „Theorie von allem“ werde womöglich dazu führen, dass wir „uns mit der Frage auseinandersetzen könnten, warum es uns gibt“. Die angestrebte Theorie könne dazu führen, „dass wir Gottes Plan kennenlernen“. (Hawking 1992, 218) Bei einer solchen Äußerung des weltberühmten Physikers ist allerdings zu bedenken, dass wir es mit der Ultima Ratio seiner diesbezüglichen Überzeugung zu tun haben. Für Thuận Xuân Trịnh sind die Fragen, mit denen sich die Kosmologie beschäftigt, „erstaunlich eng“ mit denen der Theologen verbunden. (Trịnh 1993, 284) Auch Amit Goswami meint, der Kosmos wurde unseretwegen geschaffen. (Goswami 1997, 183) Einige Naturwissenschaftler interessieren sich für Weisheitslehren aus Fernost. Erwin Schrödinger, der die Grundgleichung der Quantenmechanik formulierte, befasste sich mit Veda und Bhagavad Gita, den Lehren des Hinduismus. Er erklärte dies damit, dass er durch die Quantenphysik zu einer „eher mystischen Sehweise des Universums gekommen“ sei, die er mit Aldous Huxleys ewiger Philosophie gleichsetzt. (Schrödinger 1998) Für Uwe Reichert waltet das Geistige in den Dingen selbst. (Reichert 1999, 316) Die ursprünglichen Elemente der Wirklichkeit sind für Dürr reine Beziehungsstrukturen, keine materiellen Atome oder Elementar-Teilchen. Er bezeichnet sie als prozesshafte „ierchen“ oder „Wirks“, ulkige Neologismen, die sich, weil aus dem Deutschen kaum übersetzbar, zum Glück in der vom Englischen dominierten Wissenschaftssprache nicht durchgesetzt haben. Materie ist für ihn nicht aus Materie zusammengesetzt, vielmehr gebe es nur Geist. Was die Menschen als Gott bezeichnen, entspringe einer intensiven Erfahrung, die „mit dem Gefühl der Selbstaufgabe im Sinne eines Verlusts des Egos verbunden“ ist. Es sei „eine Hinwendung zum mystischen Ich, eine freudige Hingabe, die ohne Angst ist, weil sich im tiefen Selbst das Ich zum unbegreiflichen Ganzen weitet“. Kommunikation verwandle sich dabei in Kommunion: „Mein Selbst, das noch meinen Namen trägt, geht dann verloren. Es geht nicht eigentlich verloren, sondern es geht auf in dem größeren Selbst, das letztlich in das Ganze, die Nicht-Zweiheit, die Advaita mündet.“ (Dürr 2000, 18; 2004, 28-30, 101) Advaita-Vedanta ist ein monistisches System, das die Welt
auf ein einziges Prinzip zurückführt. Es geht von der Wesensidentität von Atman als der individuellen Seele und Brahman, der Weltseele, aus und spricht von deren „Nichtzweiheit“. Die Beziehung zwischen Potenzialität und Wirklichkeit wirft auch für Lothar Schäfer die Frage auf, ob die der Wirklichkeit zugrunde liegende Potenzialität Ausdruck eines geistigen oder göttlichen Wirkens ist. Er sieht im kosmischen Prozess eine „Entfaltung des Bewusstseins“. Daher führe die Quantenphysik zu einem in der Öffentlichkeit kaum registrierten „Umbruch unserer Gottessicht“. (Schäfer, Lothar 2004, 149; 2009b, 4) Wenn die Wirklichkeit nicht-lokal ist, dann ist ihre Natur die einer unteilbaren Ganzheit. Aus diesem Phänomen schlussfolgern Menas C. Kafatos und Robert Nadeau, dass, weil unser Bewusstsein aus der Ganzheit hervorgeht und ein Teil von ihr ist, der Kosmos „Aspekte eines Bewusstseins“ habe. Die Quantenphysik lege dies nahe. Elektronen, Protonen und Atome hätten zwar kein Bewusstsein, aber „ihre geistesähnlichen Eigenschaften“ seien die der Ganzheit der Wirklichkeit und „Manifestationen des kosmischen Bewusstseins“. Für Schäfer besteht am nichtempirischen Teil der Wirklichkeit kein Zweifel. Die Existenz virtueller atomarer oder molekularer Zustände sei in vielen Prozessen nachgewiesen worden, so z. B. in spektrokopischen Übergängen von Molekülen. Die Tatsache, dass Strukturen von Quantenzuständen unabhängig von Materie existieren, sei durch Quantenteleportations-Experimente bewiesen. Dabei wurden nicht Masse und Energie, sondern die Formen von Quantenzuständen ohne Bindung an Masse von einem Ort an einen entfernten Ort teleportiert. Es gebe Anzeichen dafür, dass sich „das Eine“ aller Prozesse bewusst sei „wie ein kosmisches Bewusstsein“. Alles komme aus dem Einen, Leben, Bewusstsein wie auch die physikalischen Strukturen der sichtbaren Welt. (Schäfer, Lothar 2009, 291-294; 20092, 5-9) Gerhard Molderings hält das „das gesamte Universum durchdringende kosmische Bewusstseinsprinzip“ für eine „der erregendsten Eigenschaften der Welt“, dessen „Frucht und gleichzeitig Bestandteil unser Bewusstsein“ ist. Die Beziehung von menschlichem und kosmischem Bewusstsein übersteige unser Verständnisvermögen. (Molderings 2004, 161) Für Richard Swinburne erklärt der Glaube an Gott „die Tatsache, dass es überhaupt ein Universum gibt, dass darin Naturgesetze gelten, dass es Tiere und Menschen mit Bewusstsein und mit sehr komplexen und komplizierten Körpern gibt“. Die Naturwissenschaften, „die uns die tiefe Ordnung der Natur offenbar machen, liefern starke Gründe für die Annahme, dass es eine noch tiefere Ursache dieser Ordnung gibt“. (Swinburne
2006, 4, 65) Die von Fred Hoyle gefundene Resonanz bei der Bildung von Kohlenstoff im Tripel-Alpha-Prozess sei, so Günther Hasinger, „eine der Koinzidenzen, die einige Astrophysiker davon überzeugte“, dass hinter den physikalischen Gesetzen möglicherweise „ein intelligenter Plan“ stecke. (Hasinger 2007, 82f.) Laut Jeremy Hayward würden sich manche Wissenschaftler „nicht mehr scheuen, offen zu sagen, dass Bewusstsein oder Gewahrsein neben Raum und Zeit, Materie und Energie eines der Grundelemente der Welt sein könnten, möglicherweise sei es sogar grundlegender als Raum und Zeit“. Es sei ein Fehler gewesen, „den Geist aus der Natur zu verbannen“. (Zit. b. Froböse 2008, 105) Bei Simon Conway Morris geht das Begreifen der Welt „mit einem wachsenden Gefühl für ihre außergewöhnliche Fremdartigkeit und Schönheit“ einher. (Morris 2008, 248) Anna Ijjias versteht Einsteins Gott als „eine apersonale kosmische Kraft, für die das Weltgeschehen feststeht, und zwar strikt deterministisch, ohne irgendwelche kausale Lücke der Naturvorgänge zuzulassen“. (Ijjas 2011, 187) Fritjof Capra untersuchte die Bedeutung östlicher Mystik im Hinduismus, Buddhismus, Zen und im Taoismus für die Physik. Ihm „erscheint heute das Erkennen des profunden Einklangs der Weltsicht der modernen Physik und der Anschauungen östlicher Mystiker als integraler Teil einer umfassenderen kulturellen Transformation, in deren Verlauf eine neue Sicht der Wirklichkeit entsteht, die fundamentale Veränderungen unseres Denkens, unserer Wahrnehmung und unserer Wertvorstellungen erfordern wird.“ (Capra 2012, 3) Owen Gingerich meint, der Glaube an ein geplantes Universum verlange, Teleologie und Zweck zu akzeptieren. Wenn dieser Zweck ein kontemplatives, intelligentes Leben einschließe, dann müsse der Kosmos das Leben begünstigen. Für ihn ist das Universum zweckgerichtet, wenngleich es „der Augen des Glaubens“ bedürfe, um dies zu akzeptieren. Er spricht von einem „offenkundigen Anflug eines zielgerichteten Entwurfs“, der „selbst den normalerweise agnostischen Hoyle“ habe schwanken lassen. (Gingerich 2012, 71f., 88) Für Peter Ulmschneider bewegt sich die Evolution in Richtung eines „evolutionären Konvergenzpunktes“, der in Religion und Philosophie gleichermaßen Gott zugeschrieben werde. Die Gotteshypothese dürfe nicht als Absurdität betrachtet, sondern müsse in die Reihe der Naturphänomene eingereiht werden, die auf ihre Falsifizierung im Sinne Poppers warten. Es sei durchaus vertretbar, an Gott zu glauben, wenn man sich „der begrenzten Tragweite des noch unvollkommenen naturwissenschaftlichen Nachweises“ bewusst sei. (Ulmschneider 2014, 241) Die Einsichten durch das Anthropische
Prinzip und die Feinabstimmungen sind für John Polkinghorne beispielhaft dafür, wie „intrinsisch gestaltete Potentialität“ in die Struktur der Welt eingebaut sein könne, ohne die Gabe kreatürlicher Freiheit durch eine Festlegung von allem, was in der kosmischen Geschichte geschehen musste, aufzuheben. Für ihn liegt „die befriedigendste und intellektuell überzeugendste Antwort“ in der „Erfassung des Universums als göttlicher Schöpfung“. Man könne die „durchsichtige, vernünftige Schönheit des Kosmos“ so zusammenfassen, dass sie „uns eine Welt enthüllt, deren Wesen durchsetzt ist mit Spuren von Geist“. Man müsse die Idee „absolut ernst nehmen, dass es in der Tat der Geist des Schöpfers ist, der hinter der tiefen Ordnung des Universums liegt“. Zwar sei am Universum kein Stempel mit der Aufschrift „Made by God“ angebracht, man könne aber erwarten, dass es „Hinweise auf die Existenz eines göttlichen Geistes hinter der kosmischen Ordnung und eine göttliche Absicht hinter der kosmischen Geschichte gibt“. Gott habe die physische Struktur der Welt mit einer eingebauten Potenzialität ausgestattet, mit der die Kontingenz des evolutionären Prozesses verwirklicht werden kann. Er zitiert Darwins Freund Charles Kingsley, nach dessen Überzeugung der Schöpfer das Universum „mit fruchtbarer Potenzialität“ ausgestattet hat, die es den Geschöpfen erlaubt, in einem angemessenen Grad „sich selbst zu machen“. (Polkinghorne 2014, 147-150) Auch Heinz Oberhummer zeigt sich „fasziniert“ von der „wundersamen Zufälligkeit einer Verbindung zwischen Naturwissenschaft und Religion“. (Oberhummer 2014, 144) Für Bernard Haisch weist die von Albert Einstein so genannte „spukhafte Fernwirkung“ auf die „grundlegende Rolle des Bewusstseins“ hin. Die Quantenmechanik liefere immer neue Hinweise, dass es die Grundlage der Realität sei. Robert White schreibt, eine der Einsichten, die er aus der Geologie gewonnen habe, sei „die ganz erstaunliche Vorsorge Gottes bei der Erschaffung einer Heimat, die genau darauf zugeschnitten ist, dass die Menschheit sie bewohnt“. (White 2016, 144) Donald Hoffman meint, Bewusstsein sei alles, was es gibt. Raumzeit, Materie und Felder seien nie fundamental gewesen, sondern gehörten zu den Inhalten des Bewusstseins, von dem ihre Existenz abhängt. Die Welt unserer Alltagserfahrungen wie Tische, Stühle, Sterne und Menschen mit ihren Formen, Gerüchen, Texturen und Geräuschen seien nichts anderes als „eine artspezifische Benutzeroberfläche einer weitaus komplexeren Welt“, deren wesentlicher Charakter Bewusstsein ist. (Zit. b. Haisch 2018, 199) Für Martin Rhonheimer erweckt die Evolution den Anschein von Zielgerichtetheit. Alles scheint wegen des Menschen so abgelaufen zu sein wie
es ist. Das Universum habe von Anfang an die Sprache des Lebens gesprochen. Bewusstes Leben sei dem Universum nicht fremd. Es habe keinen rein zufälligen Prozess gegeben, sondern einen, der „immer zugunsten des Lebens“ verlief. (Rhonheimer 2016, 140f.) Für Jean-Émile Charon ist das Elektron ein mystisches Wesen, eine autonome Individualität, die über eine eigene Raum-Zeit besonderer Art verfügt. Es bildet ein selbständiges kleines Universum, das vom umgebenden Raum völlig isoliert ist, ewig existiert und vermutlich der Träger des Geistes ist. (Zit. b. Ripota 2020, Pos. 3078) Nach Meinung von Horst Güntheroth hat das Weltall mit dem Menschen begonnen, über sich selbst nachzudenken. (Güntheroth 2001, 122) Arnold Benz und Samuel Vollenweider sprechen davon, dass das Anthropische Prinzip die erkenntnistheoretischen Grenzen bewusst mache, die sich daraus ergeben, dass „in uns das Universum über sich selbst nachdenkt“. (Benz/Vollenweider 2003, 213) Der Mensch, so auch Robert Spaemann, sei „die Spur Gottes in der Welt“. Dieser sei mit seinem Entdecker identisch und existiere nicht unabhängig von ihm. Durch seine „Wahrheitsfähigkeit“ weise der Mensch selbst auf Gott hin. (Spaemann 2007, 29f.) Lothar Schäfer sieht in den Quantenphänomenen eine neue Verbundenheit des menschlichen Geistes mit dem „geistesähnlichen Hintergrund der Wirklichkeit“. Unser Geist sei „nur in Bezug auf unseren Körper menschlich“, gehöre aber im Wesentlichen zur „geistigen Ordnung der Wirklichkeit“. Er sei die Verwirklichung dessen, was das Wesen der Wirklichkeit an sich ausmache. Wenn die Natur ein ganzheitliches Bewusstsein habe, dann sei auch „das menschliche Bewusstsein kein in sich geschlossenes selbständiges System“. Als Teil des Ganzen ist „unser Geist einem transzendenten Teil des Universums verbunden“. Angesichts dieser Erkenntnisse müsse man die Möglichkeit in Betracht ziehen, dass der menschliche Geist an einer „Wirklichkeit an sich jenseits der Raumzeit“ teilhat, deren Natur „unserem raumzeitlich-bewussten Denken nicht erfahrbar ist, gleichzeitig aber unser bewusstes Denken beeinflusst“. Das menschliche Bedürfnis nach einem Sinn des Lebens sei „nicht das Resultat einer fehlgelaufenen Evolution“, sondern „das gesunde Verlangen des Geistes, mit dem Element im Kosmos verbunden zu sein, welches ihm verwandt ist - dem kosmischen Logos“. (Schäfer, Lothar 2004, 60, 126-151). Die nichtklassische Kohärenz der Zustände im Bereich der Potenzialität der Wirklichkeit lege, so Schäfer wenig später, den Schluss nahe, dass die Natur der Wirklichkeit die einer unteilbaren Ganzheit ist. Alles, was daraus komme, gehöre zur Ganzheit, einschließlich unseres Bewusstseins. Dieser Aspekt der Quantenwirklichkeit habe unzählige Physiker zu dem Schluss geführt, Geist oder Bewusstsein seien kosmische Eigenschaften. Das kosmische
Bewusstsein als Ganzheit sei sich all seiner Prozesse bewusst und drücke dies „in den automatischen und mechanischen Reaktionen auf Information auf der Ebene der Elementarteilchen genauso aus wie auf allen anderen Ebenen der Erscheinungsformen des Bewusstseins, einschließlich des menschlichen.“ Elektronen hätten zwar kein Selbstbewusstsein, aber „sie handeln so, als hätten sie eins“. Dies sei so, weil „der Weltgeist in ihnen handelt“. Wir haben demnach nur Bewusstsein, weil „der Weltgeist in uns denkt“. Menschen seien „persönliche Zentren einer Potenzialität, die mit Macht ihre Manifestation betreibt“. Weil in der Ganzheit der Wirklichkeit alles miteinander zusammenhänge, sei „unsere persönliche Potenzialität ein Ausfluss der kosmischen Potenzialität“, die „ihrer Natur nach überall unter dem Druck stehe“, sich „in der empirischen Welt zu manifestieren“. Für uns sei „die Realisierung der persönlichen Potenzialität ein kosmisches Bedürfnis und ein unantastbares natürliches Recht“. Zwar seien Potenzialität und Realität „zwei verschiedene Modalitäten des Seins in der Ganzheit der Wirklichkeit“, lebende Organismen scheinen aber „dadurch ausgezeichnet zu sein, dass sie über Prinzipien verfügen, die gleichzeitig in beiden Bereichen der Wirklichkeit aktiv sein können“. Die Inhalte unseres Bewusstseins seien eine „eigentümliche Mischung“ empirischer und nichtempirischer Eigenschaften und gleichzeitig Elemente der Potenzialität und Realität. Wenn wir „mit der Potenzialität durch unseren Geist in Wechselwirkung treten, dann erscheinen ihre Formen als Konzepte und Gedanken in unserem Bewusstsein“. (Schäfer, Lothar 2009, 9, 295-311f.) John Polkinghorne meint, die „wahnsinnige Effektivität der Mathematik, der unerwartete Einklang zwischen der inneren Vernunft unseres Geistes und der externen Vernunft der physikalischen Welt“, könnten auf die Tatsache zurückgeführt werden, dass „unsere geistigen Fähigkeiten und die Struktur der Naturgesetze einen gemeinsamen Ursprung in der Vernunft des Schöpfers haben, der der Grund der Existenz sowohl der menschlichen Natur, als auch der von uns bewohnten physischen Welt ist“. (Polkinghorne 2014, 147f.) Wir sind ein Teil dieser Materie, die sich „ihrer bewusst“ wurde. (Al-Khalili/McFadden 2015, 290) Das Programm des Lebens und seiner Evolution ist nach Meinung Martin Rhonheimers „von Anfang an so primitiv nicht, wie die Gestalt - der Phänotyp der ersten einzelligen Lebewesen auf dieser Erde den Anschein“ mache. Dahinter verberge sich vielmehr von Anfang an „eine gewaltige evolutive Potentialität, die vielleicht bereits in einer Weise in der ursprünglichen materiellen Konfiguration des Universums angelegt war, die wir noch gar nicht kennen“. Der menschliche sei dem göttlichen Geist nachgebildet. Im Erkennen der Natur träfen beide aufeinander. Deshalb sei Homo sapiens der „große
Sonderfall der Natur“. Die Kongenialität des Menschen mit Gott mache die Erkennbarkeit der Natur erst möglich. (Rhonheimer 2016, 248-254) Der Taoismus in seiner ursprünglichen Form als Weisheitslehre mit seinen bekanntesten Vertretern Laozi und Zhuāngzĭ, bei denen über das Tao nichts gewusst und nicht sinnvoll geredet werden kann, wirkt wie ein spirituellagnostischer Gegenentwurf zu den Offenbarungsreligionen. Während das fernöstliche Denken deswegen durch die Quantentheorie „keine übermäßige Erschütterung“ erlitt, müsse sich, so Dirk Eidemüller, das abendländische Denken wagen, seine geistigen Grundlagen zu hinterfragen und neue Perspektiven jenseits der bisher notwendigerweise für wahr gehaltenen Voraussetzungen erarbeiten. (Eidemüller 2017, Pos. 7662-7681) Für Rabindranath Tagore ist diese Welt „eine menschliche“. Für ihn gibt es „keine Welt außerhalb von uns“. Die Welt sei „eine relative, was ihren Realitätsgehalt angeht“ und hänge von unserem Bewusstsein ab. (Zit. b. Chopra/Kafatos 2018, 30) Deepak Chopra und Menas Kafatos meinen, das menschliche Bewusstsein e zum kosmischen. Die Menschen lebten „in einem bewussten Universum“. Man könnte auch sagen: „Wir leben in einem unbegrenzten Zustand des Bewusstseins, den wir Universum nennen.“ (Chopra/Kafatos 2018, 61) Im christlichen Glauben reduzieren der Sohn Gottes und der Heilige Geist den in seinem Tun nicht erkennbaren Deus absconditus auf das dreidimensionale Vorstellungsvermögen des Menschen. Jesus Christus ist aber nicht nur Botschafter von Gott Vater, sondern selbst die Botschaft. Sie lautet: Gott ist Mensch geworden. Er ist dem Menschen nicht abgewandt, sondern lebt und leidet mit ihm. Martin Luther entfaltete seine Ansichten zum Deus absconditus in seiner Schrift „De servo arbitrio“ (Vom unfreien Willen) aus dem Jahre 1525. Einige Elemente der Quantenphysik drängen mystische Spekulationen regelrecht auf. Wenn die Reduktion der Wellenfunktion augenblicklich alle Informationen über ein Ereignis liefert, ist das dann, so fragt Peter Ripota, nicht das Gleiche wie eine Erleuchtung? Lässt sich die Verschränkung von Zwillingsteilchen als Telepathie deuten? Wenn es eine ψ-Welle der ganzen Welt gibt, stehen dann nicht alle Teile des Universums miteinander in Verbindung? Wenn ein Photon „weiß“, ob es sich beim Doppelspaltversuch als Teilchen oder als Welle präsentieren soll, hat es dann nicht eine gewisse Intelligenz? (Ripota 2020, Pos. 3046-3055) Die Wellenfunktion ψ (psi) beschreibt den quantenmechanischen Zustand eines Elementarteilchens. Die neu zugemessene Bedeutung des Menschen verändert den vorläufigen Endpunkt des mit Hilfe des Anthropischen Prinzips interpretierten
Evolutionsprozesses ebenso wie das Verständnis der seit dem Urknall wirkenden Feinabstimmungen als dessen Ausgangspunkt. Ist die Grundlage der Wirklichkeit der Welt etwas Geistiges, verliert das Postulat einer zufälligen Entstehung von uns Menschen an Bedeutung zugunsten einer Sicht, in welcher sich unsere Geistigkeit im geistigen Urgrund der Welt spiegelt. Wir sind dann eins mit der Idee, die dem Universum zugrunde liegt und offenbaren diese durch unsere Evolution hin zu unserem Selbstbewusstsein in ihrer Prozesshaftigkeit. Für John Horgan kann „keine Theorie oder Theologie dem Mysterium unserer Existenz gerecht werden“. Ein „moderater Agnostizismus“ wäre wohl das, „was ein Homo sapiens wählen würde“. (Horgan 2020)
Die Welt als Wunder: Weltanstaunung als adäquate Form des Verstehens
Bemerkenswert sind vor dem Hintergrund des Postulats einer geistigen oder göttlichen Kraft Äußerungen einiger Wissenschaftler über Wunder. Dies betrifft auch die Frage ungelöster Vorgänge in der Evolution, wie etwa der Entstehung des Lebens oder der ersten eukaryotischen Zelle. Paul Davies meinte zunächst, für ihn sei ein Wunder ein „wahrhaft übernatürliches Ereignis, in dem die Gesetze der Physik außer Kraft gesetzt werden“. Dieses müsse nicht von Gott geplant oder ersonnen sein, sondern könne „einfach ieren“, oder „zu einem übergesetzlichen Metaschema gehören, welches das für unsere Sinne erkennbare Universum transzendiert“. Selbst der Urknall sei kein Wunder gewesen, da er „unter dem Einfluss der physikalischen Gesetze stand“. Einige Jahre später, meinte er hingegen, es gebe keine Wunder, außer dem Wunder der Natur selbst. (Davies 1996a, 39f.; 2008a, 252f.) Die Natur verliert, so der irische Bischof Michael Russell, nichts von ihrer Faszination, wenn Wissenschaftler Erklärungen finden. (Russell 2007, 75-81) Jedes Individuum, so Albert Einstein, fühle „die Erhabenheit und wunderbare Ordnung, welche sich in der Natur sowie in der Welt des Gedankens offenbart“. (Einstein 1986, 68f.) Schon Isaac Newton meinte, das Sonnensystem sei zu kunstvoll, als dass es allein durch blinde Kräfte hätte entstehen können: „Diese bewundernswürdige Einrichtung von Sonne, Planeten und Kometen hat nur aus dem Ratschlusse und der Herrschaft eines alles einsehenden und allmächtigen Wesens hervorgehen können.“ (Zit. b. Davies 1996a, 241) Stuart Kauffman lehnt eine Sichtweise ab, nach der es deswegen keine Wunder gibt, weil alles im Universum die Folge physikalischer Gesetze sei. Wer Wunder ausschließe, gehe davon aus, dass sich das Universum wie eine Rechenmaschine verhalte. Wunder seien Vorgänge, die sich aus keinem Naturgesetz ableiten lassen. Im Universum ließen sich Spuren einer „enormen, zumindest teilweise keinen Gesetzen unterworfenen Kreativität“ finden. (Zit. b. Bethge/Grolle 2010) Das erinnert an Raimund Poppers offenes Universum mit kreativen Menschen. Vielleicht, so Gerhard Vollmer, sei es aber auch nur das „ins Universum integrierte Chaos, das uns Wunder sehen lässt“. (Vollmer 1995, 37) Nicht nur Chaos könnte die Ursache von Vorgängen sein, die uns verwundern, auch oder vor allem das Wechselspiel von Naturgesetzen und physikalischen
Naturkonstanten lässt uns staunend Wunder vermuten, wo kontingente Prozesse einfach nur Ausdruck eines bezüglich seiner Potenziale offenen Universums sind. Angesichts dieser uns unvorstellbaren Potentialität sollte für den Menschen als Staunenden und Bewunderer der Welt eine „Weltanstaunung“ die adäquate Weise sein, sich ihr vorsichtig erkennend zu nähern. (Richter, M. 2021) Staunen stand nicht nur für Platon und Aristoteles am Anfang von Philosophie und Wissenschaft. Es ist auch für Naturalisten eine wertvolle und typisch menschliche Fähigkeit. Naturerklärung schließt Naturerleben, Rationalität und Emotionalität ein. Immanuel Kant nannte die Welt einen unermesslichen Schauplatz von Mannigfaltigkeit, Ordnung, Zweckmäßigkeit und Schönheit, der „ein sprachloses, aber desto beredteres Erstaunen“ auslösen müsse. (Zit. b. Kreis 2011, 285) Johann Wolfgang von Goethe plädierte dafür, „das Unerforschliche anzuerkennen und ruhig zu verehren“. (Zit. b. Illies 1983, 153) Naturphilosophische Erkenntnisse würden sich, so Stefan Bauberger, nur denen erschließen, für die Staunen eine Bedeutung habe. „Das Staunen der Physiker über die Eleganz, die Einfachheit und Schönheit der grundlegenden Gleichungen, die die Welt beschreiben, spielt eine wichtige heuristische Rolle“. Das Staunen wecke die Neugier und lenke die Richtung der Forschung. (Bauberger 2003, 12) Auch John Maynard Smith meint, man könne über die Natur nur staunen. Wer Vögel oder Wildblumen betrachte, ohne zu staunen, bei dem stimme etwas nicht. (Zit. b. Junker/Scherer 2006, 308) Die Ergebnisse der Evolution wie die immense Komplexität biochemischer Systeme oder die „perfekte Eleganz eines lebenden Organismus“ seien, so Simon Conway Morris, „Ehrfurcht gebietend“. Die Versuche, das „ehrfürchtige Staunen wieder hoffähig zu machen“, seien keine „Wahnvorstellungen eines entwurzelten Superaffen“, sondern „ernstzunehmende Ansätze zur Wiederbelebung einer Metaphysik der Evolution“. Statt der „verbreiteten wilden Schmähungen und herablassenden Ignoranz“ sei „ein respektvoller Austausch unter Rücksichtnahme auf religiöse Empfindungen“ geboten. (Morris 2008, 23) Ian G. Berbour meint, die natürliche Theologie des christlichen Glaubens e zur „persönlichen Erfahrung von Ehrfurcht und Staunen, die viele Wissenschaftler in ihrer Arbeit erleben“. (Barbour 2010, 45) Bewunderung, so Lorenz Marti, sei die adäquate Weise, als ein Mensch Teil von ihr und in ihr zu sein. Wer Antworten auf „unsere tiefsten Fragen“ suche, finde sie vielleicht in den Grunderfahrungen von Verbundenheit, Staunen und Dankbarkeit. (Marti 2017, 170)
3. Die Entstehung der Welt mit dem Urknall
Unsere Rote Linie der Evolution begann nicht mit dem Urknall; sie endet vielmehr mit ihm. Schließlich ist sie nur ein retrospektives gedankliches Konstrukt, das helfen soll, bis zum Urknall zurückzublicken und zu erkennen, welcher Zusammenhang zwischen dem Beginn der Welt und dem jetzigem Zustand mit uns kreativen, nachdenklichen und beobachtenden Wesen auf unserem winzigen, aber wunderschönen Planeten besteht. Beginnen wir also mit dem Ende unserer Roten Linie, mit dem Urknall und mit dem, was es vielleicht davor, daneben, jenseitig oder drunter und drüber gab. Der theoretischen Physik und der Kosmologie verdanken wir die Möglichkeit, aus der Expansion des Universums retrospektiv schlussfolgern zu können, wie sich der Beginn der Welt abspielte. Was also wissen wir über die Vorgänge beim Big Beng?
Entstand das Universum aus einem Quantenvakuum?
Falsche Antworten auf falsche Fragen liefert die kausale Entstehungsgeschichte der Welt, wie sie die traditionelle Physik nach wie vor anbietet. Ein „determinierter klassischer Ablauf“, so Dürr, sei „bestimmt nicht iert“. Klärung bietet nur die Quantenphysik. (Dürr 2004, 33-35) Hans-Jürgen Fischbeck meint, Raum und Zeit könnten ein „Quanten-Schaum auftauchender und wieder platzender Raumzeitblasen“ sein. Die Geburt von Raum und Zeit sei vielleicht ein „primordialer Akt der Dekohärenz in der universalen Potenzialität“ gewesen. (Fischbeck 2005, 98) Ian B. Barbour sieht im Urknall eine Singularität, einen „dimensionslosen Punkt reiner Strahlung mit unendlicher Dichte“. (Barbour 2010, 56) Entstand unsere Welt also aus einer quanten-physikalischen Wirklichkeit, die sich uns nicht erschließt, von der aber theoretische Physiker wie Stephen Hawking oder Laurence Krauss ausgehen? Nach deren Meinung haben Quantenfluktuationen im Vakuum den Urknall aus einem „physikalischen Nichts“ heraus verursacht. Quanten- bzw. Vakuumfluktuationen bezeichnen die Fähigkeit des Raums, scheinbar aus dem Nichts Teilchen und Antiteilchen zu erzeugen. Wer sich dabei jedoch ein klassisches Vakuum vorstellt, liegt falsch. Ein Vakuum bedeutet in der Physik zwar die Abwesenheit von Materie, ist aber tatsächlich ein „fast luftleerer Raum mit einer komplexen inneren raumzeitlichen Struktur“. Es sei aber schwer, sich eine Situation vorzustellen, die „komplett raumlos, zeitlos und materielos“ ist. (Lange 2017, 26, 39) Für Peter C. Hägele kommt das Quantenvakuum als Ausgangspunkt der Welt deswegen nicht in Frage, weil es „eine komplizierte innere raumzeitliche Struktur“ besitze und „keineswegs nichts“ sei. Es gehöre bereits zu „unserer geschaffenen Welt“. (Hägele 2016, 43) Wenn das Universum aus Fluktuationen in einem ursprünglichen Gravitationsfeld entstand, dann stellt sich für Guy J. Consolmagno und Paul Mueller die Frage: „Warum gab es dieses ursprüngliche Gravitationsfeld, und warum gibt es Naturgesetze, die es zulassen, dass dieses Feld mit einem großen Knall auseinanderfliegt?“ (Consolmagno/Mueller 2016, 67) Poetische Worte findet Harald Zaun für die Beschreibung der Geheimnisse des Urknalls: „Inmitten des Nichts. Kein Licht. Kein Raum. Kein Volumen. Kein
Leben. Kein Zeitpfeil. Nur scheinbare Leere. Irgendetwas fluktuiert. Ein unendlich kleiner, dichter, massereicher und heißer Punkt zerrt am Nichts. In ihm sind undefinierbare Kräfte gefangen.“ Warum sich dieses „punktförmige Gebilde namens Anfangssingularität“ urplötzlich „in kosmo-archaischer Urzeit im Zuge des Urknalls entzündete und überlichtschnell aufblähte“, ist seines Erachtens „ein genauso großes Mysterium wie die desillusionierende Tatsache, dass kein Wissenschaftler der Gegenwart exakt beschreiben oder berechnen kann, wie das Universum vor diesem kompakten Anfangszustand einst beschaffen war.“ Die Wissenschaftler wüssten nicht, „welcher unsichtbare Meisterdirigent in fernster Urzeit den Taktstock schwang, wer damals die Sinfonie komponierte, den kosmischen Konzertsaal baute, das Bühnenbild gestaltete, die Instrumente für den Auftakt des Spektakels heranschaffte.“ Vielleicht gab es schlichtweg keinen ersten Beweger im aristotelischen Sinne, keine wie auch immer geartete Urkraft, die alles in Gang setzte. (Zaun 2018)
Der Urknall und wir Menschen als potenzielle Wirklichkeit
Im Zusammenhang mit dem Modell des Anthropischen Prinzips liegt die Frage nahe, welche Bedeutung der Anfang der Welt für die spätere Herausbildung selbstbewussten Lebens hatte. Gibt es überhaupt einen Sinn oder entspricht dieser nur einer theoretisch überhöhten Zweckmäßigkeit? Antworten darauf sind unmöglich, weil und solange wir nicht verstehen, warum und wozu alles oder etwas irgendwie, irgendwo und irgendwann begann. Vielleicht stellen wir aber auch nur die falschen Fragen und sollten diese samt Antworten als Teil einer trügerischen Realität hinterfragen. Aber wie soll das gehen? Als Georges Lemaître 1927 nach seiner Hypothese einer Ausdehnung des Universums im Rückschluss die Urknall-Theorie begründete, lehnte Einstein sie ab, weil sie seinem Verständnis eines ewigen Universums widersprach. Wenig später bestätigte Edwin Hubble nach teleskopischen Beobachtungen des Weltalls jedoch die Vermutung Lemaîtres und stellte zudem fest, dass die Milchstraße, nicht wie bisher angenommen, den gesamten Kosmos darstelle, sondern es zig Milliarden Galaxien gibt, die alle voneinander wegstreben. 2003 bewiesen Arvind Borde, Alan Guth und Alexander Vilenkin die Hypothese Lemaîtres, wonach jedes Universum, das sich ausdehnt, einen zeitlichen Anfang haben muss. (Lange 2017, 36) Damit eröffnete sich für Theoretische Physiker die Möglichkeit, bis zum Urknall zurückzurechnen und entsprechende Modelle zu entwickeln. Seitdem gehen die Meinungen auseinander wie das Universum selbst. Zahlreiche Physiker und Kosmologen meinen, dass sich statt unserer Welt auch unendlich viele andere Universen hätten bilden können, keines wie das andere. Die Anfangsbedingung für unser Universum mit intelligenten Beobachtern war demnach nur eine von 10¹ ¹ ² rechnerischen Möglichkeiten. „Das Unheimliche daran“, so Dürr, sei, dass bis heute niemand weiß, „was eigentlich geschehen ist“. (Dürr 1997, 13) Harald Lesch und Josef M. Gaßner meinen, wir könnten zwar versuchen, etwas herauszufinden, „aber uns in diese Welt hineinversetzen können wir nicht“. (Lesch/Gaßner 2016, 61) Lesch und Harald Zaun sehen im Urknall die „Ouvertüre eines grandiosen Schauspiels“, dessen Verlauf und Ende „bestenfalls sein Schöpfer“ kennt. (Lesch/Zaun 2008, 14-16 u. 28f., 204-206) Nach Meinung von Richard Swinburne begann das Universum mit
Ausgangsbedingungen oder hatte von Ewigkeit her Eigenschaften, durch die es zur Evolution und zum Menschen führte. Die Phänomene zu Beginn der Welt seien „eindeutig zu groß, als dass die Naturwissenschaft sie erklären könnte. Sie liegen dort, wo die Naturwissenschaft aufhört. Sie begründen die Bedingungen der Naturwissenschaft selbst.“ (Swinburne 2006, 64)
Was war vor dem Urknall oder jenseits davon?
Den Urknall zu verstehen ist bislang ebenso unmöglich wie ein Verständnis dessen, was „davor“ oder „daneben“ geschah. Verschiedene virulente Hypothesen werden kontrovers diskutiert. Viele Wissenschaftler lehnen es aber grundsätzlich ab, darüber zu spekulieren, da physikalische Methoden nicht greifen. Dennoch lassen sich auch hier einige interessante Stellungnahmen von Experten finden, die Charakter und Dimension des Problems zu verdeutlichen helfen. Nach Fred Hoyle erschuf sich das Universum selbst. Bestimmte physikalische Eigenschaften zeigten, dass das Universum schon vor seiner Entstehung wusste, was zu tun war und ohne die es den Urknall nicht gegeben hätte. Die Liste dieser Eigenschaften sei „umfangreich genug, um aus jedem vernünftigen Menschen einen Zyniker zu machen“ oder aber um „Hühner zum Lachen zu bringen“. (Hoyle 1997, 42-44) John Carew Eccles meint, da die Zeit mit dem Urknall begann, habe es keinen Sinn zu fragen, was davor war. „Es gab kein vorher.“ Ebenso sinnlos sei die Frage, wo der Urknall stattfand, denn er sei mit dem Universum identisch. Er fand überall und auf ein Mal statt. (Eccles 1982, 16) Für Hans-Dieter Mutschler postuliert die Frage nach dem Urknall eine lineare Kausalität. Wolle man vor diesen Anfang noch einen anderen Anfang setzen, verschiebe man das Problem aber nur „von einem Anfang zum vermeintlich vorangegangenen“. Bei Versuchen „hinter den Urknall zu denken“, rutsche der Nullpunkt immer weiter weg. (Zit. b. Dürr 1997, 18) Es ist dasselbe, als wenn jemand versucht, hinter den Horizont zu schauen. Für Wolfgang Hebel sind die kosmische Mikrowellenstrahlung und die Rotverschiebung Indizien dafür, dass „unser Weltall keinen definierbaren Anfang hatte, sondern grundsätzlich grenzenlos ist“. In der Wissenschaft wachse die Skepsis über die konventionelle These vom Universum, denn man finde weder eine plausible Erklärung für „Art und Ursprung der gigantischen Hochtemperaturenergie, die in der winzigen Wiege des Big Bang gelegen haben soll, noch über den physikalischen Zustand, der im Universum geherrscht haben könnte, kurz vor und im Augenblick selbst“. Das, was den vermuteten Urknall auslöste, müsse von der Wissenschaft als gegeben hingenommen werden und jeder Physiker sich darauf beschränken, den Verlauf des Expansionsprozesses
kurz nach dem Zeitpunkt Null, das heißt, in winzigen Sekundenbruchteilen nach dem Urknallereignis, nachzuvollziehen. Es gebe keine gesicherte physikalische Grundlage dafür, wie der Zustand der Welt vor und im Augenblick des Urknalls beschrieben werden könne. (Hebel 2006, 118) Für uns Menschen, so Lesch und Zaun, wird die Entstehung der Welt für immer ein „ungeschriebenes Buch mit acht Siegeln“ bleiben. Zu sehr übersteige „das größte Mysterium des Seins“ unser Vorstellungsvermögen, zu gering seien unsere Imaginationskraft sowie unsere mathematische und philosophische Intelligenz. Schon die Vorstellung eines Beginns der Welt aus dem Nichts sei für uns eine Denkprovokation. Zwangsläufig frage das kausal und deterministisch ausgerichtete Hirn danach, was davor war. Es gebe aber keine Antwort darauf, ob der Urknall an einem „Tag ohne Gestern“ geschah oder nicht, weil „vor der Zeit keine Zeit“ und „vor dem Raum keine Räumlichkeit“ existierte, und nicht einmal etwas vorhanden war, was wir als „Etwas“ bezeichnen können. (Lesch/Zaun 2008, 14-16 u. 28f., 204-206) Aber musste die Welt nicht zwangsläufig mit dem beginnen, was davor war und ihre Entstehung auslöste? Gibt es vielleicht ein Wechselspiel von Urknall und Ende, wobei jedes Ende der Start eines weiteren Universums war, ist und sein wird? Gemäß der Steady State Theory, die zunächst auch Einstein vertrat, gab es das Universum schon seit ewigen Zeiten. „Womöglich hat der Kosmos weder zeitlich noch räumlich einen Anfang noch ein Ende und existiert somit für alle Zeit – und zu allen Zeiten. Er ist und war einfach da und wird immer sein. Ewige Ewigkeit bis in alle Ewigkeit.“ (Zaun 2018) Auf Grundlage der Steady State Theory vertritt Anna Ijjas ihre Bounce Theory. Sie geht davon aus, dass es keinen Anfang gab, sondern nur Übergänge. Die Entwicklung vollzog sich nicht linear, sondern kreisförmig. Ein großes und kühles Universum zog sich zusammen. Mit dem Urknall begann die jeweils nächste, zyklisch wiederkehrende Ausdehnung. Das Universum recycelt sich unendlich oft regelmäßig selbst und erfindet sich immer wieder neu. Möglicherweise gibt es in den zyklisch aufeinanderfolgenden Formen des Universums Galaxien, schwarze Löcher, Sterne und Planeten. Auch Leben könnte immer wieder auftauchen, jedoch keine Wiederholung gelebten Lebens. In einem periodischen Muster könnten sich kosmische Epochen zyklisch wie Jahreszeiten wiederholen. Möglicherweise wurden die Verhältnisse im momentanen Universum in einer vorherigen Phase generiert. (Ijjas 2020) Ian G. Barbour verweist auf die Alternative eines „oszillierenden Universums“,
in dem „eine Phase der Kontraktion der gegenwärtigen Expansion voranging“. (Barbour 2010, 12) Peter C. Hägele meint, über das, was vor dem Urknall war, ließen sich bestenfalls widerspruchsfreie Theorien herleiten, experimentell nachweisbare Aussagen aber seien unmöglich. (Hägele 2016, 43) Gabriele Veneziano arbeitet mit der Hypothese, der Urknall sei nicht der Beginn der Welt gewesen, vielmehr habe es schon ein „Voruniversum“ gegeben. Dieses sei von einem Feld erfüllt gewesen, das alle Vorgänge bestimmte. Die Grundkräfte der Physik wirkten, wenn auch auf einem wesentlich niedrigeren Level und nur innerhalb des Feldes. Zunächst wenige Interaktionen von Teilchen und Wellen hätten beständig zugenommen, bis es zum Urknall kam. Dieser sei kein spontaner Beginn gewesen, sondern ein, im Hegelschen Sinne, Umschlag von Quantität in eine neue Qualität. Das Voruniversum lasse sich womöglich irgendwann anhand von Gravitationswellen nachweisen, vielleicht gelte dies sogar für das Universum vor dem Voruniversum. (ZDF-Mediathek, Mysterien des Weltalls mit Morgan Freeman: Das Nichts) Es gebe, so auch Peter Ulmschneider, Hinweise, dass „vorher eine andere vergangene Welt bestanden haben könnte“. Dazu gehörten „Erinnerungen“, zu denen „experimentell wohlbestätigte Effekte der Quantenmechanik zählen“. (Ulmschneider 2014, 15f.) Aber wer oder was erinnerte sich woran oder an wen? Laut Harald Zaun gibt es zahlreiche „Pre-Big-Bang-Modelle“, die sich mit dem Befassen, was vor der Planck-Zeit war. Es sind „Gedankenwelten in direkter Konkurrenz zum populären Urknall-Konzept, die aber ebenfalls untereinander wetteifern“. Anders als bei der Urknall-Theorie könnten die alternativen Weltentstehungsmodelle nicht mit handfesten Indizien wie der Rotverschiebung oder der Hintergrundstrahlung punkten. Faszinierend seien sie aber allemal, weil sie den „Faktor Ewigkeit“ wieder stärker in den Fokus rücken. John Richard Gott III und Li-Xin Li glauben, das Universum habe sich selbst geschaffen. „Wir nehmen an, dass das Universum eher aus irgendetwas als aus dem Nichts entstanden ist“, vermutet Richard Gott III. „Dieses Etwas war es selbst.“ Demnach ist der Weltraum wie ein Zeitreisender, der in der Vergangenheit immerfort sein eigener Vater wird, in einer zyklischen Zeitschleife gefangen. Anstatt sich linear durch die Zeit zu bewegen, befinde sich das Universum in einem ewigen Kreislauf von Werden und Vergehen, dem es nicht entrinnen könne. Lee Smolin fragt sich, ob es zwischen der Anfangssingularität des Big Bang und der Singularität von Schwarzen Löchern eine qualitative Parallele gibt. Könnte bei beiden Singularitäten ein- und derselbe dichte und heiße Zustand vorherrschen? Entstünde dann nicht hinter jedem Horizont eines Schwarzen Loches ein neues Universum? Inspiriert von diesen Fragen, entwickelte der
Physiker 1999 eine ungewöhnliche Theorie, wonach jedes Schwarze Loch die Eizelle eines neuen Universums sein könnte. Jenseits des Ereignishorizonts könnte ein kollabierender Stern aus einem sehr dichten Zustand „an einem bestimmten Punkt“ herausexplodieren und somit eine Umkehrung des Kollapses der Sternmaterie einleiten. Ein potenzieller Beobachter hätte das Gefühl, in einem Bereich zu weilen, „in dem sich alles voneinander wegbewegt“. Dieser expandierende Bereich könnte eine inflationäre Phase durchmachen und sich zu einem neuen Universum aufblähen, das unserem stark ähnelt. (Zit. b. Zaun 2018) Als vielversprechende Pre-Big-Bang-Theorie gilt die Schleifengravitation (Loop-Theorie). Einer ihrer engagiertesten Befürworter ist Martin Bojowald. Um hinter die Fassade des Urknalls zu blicken, fokussiert er den Blick auf die Feinstruktur der Raumzeit. Für ihn setzt sich das abstrakte Raumzeit-Gebilde aus Raumzeit-Quanten zusammen. Gemäß der Hypothese der Schleifengravitation existieren solche Gebilde nicht wie normale Atome in einem bereits bestehenden Raum, sondern bilden ihn und bauen ihn auf. Sie geben ihm Form, Struktur und Aussehen. Da der Raum in der Schleifengravitation nicht unendlich viel Materie und Energie speichert, verändert die atomare Struktur der Raumzeit bei sehr hohen Energiedichten sogar das Wesen der Schwerkraft dergestalt, dass sie abstoßend wird, ähnlich einem porenreichen, nassen Schwamm, der einmal vollgesogen, das überschüssige Wasser wieder abstößt. Daher könne unser Universum in kosmischer Urzeit keinen Anfangspunkt durchlebt haben. Vielmehr existierte unser Universum bereits vor dem Big Bang als Spiegeluniversum in einer umgestülpten Zeitdimension. Raum und Zeit waren vor dem Urknall in einer verdrehten Welt gefangen. Bojowald vergleicht das mit einem ideal kugelförmigen Luftballon, aus dem die Luft entweicht. Übrig bleibt ein leerer Ballon, wobei alle Teile der Hülle aufeinanderstoßen. Danach bläht sich der Ballon zwangsläufig wieder zu einer Kugel auf, wobei die vorherigen Innenseiten nun außen sind. Dieser Prozess läuft zyklisch ab, wiederholt sich also in alle Ewigkeit. So gesehen gab es immer schon etwas und kein Nicht. Wem das alles aber zu abgehoben vorkommt, befindet sich übrigens in bester Gesellschaft. Denn selbst Bojowald hadert mit seinen eigenen Berechnungen: „Ich verstehe die Theorie der Schleifengravitation noch nicht so ganz. Wir müssen noch viel nachrechnen.“ (Zit. b. Zaun 2018) Müssen nicht auch die Feinabstimmungen und das Anthropische Prinzip vorher bestanden haben, wenn sich ihre Wirkung direkt mit dem Urknall entfaltete? Vielleicht sind die feinabgestimmten Naturkonstanten, Gesetze und Elemente mit ihren merkwürdig anmutenden Größen immer und immer wiederverwendete
Überbleibsel aus vorherigen Welten. Möglicherweises sind sie zwar selbst gleichgeblieben, nicht aber die Zufälle als Charakteristikum eines offenen Universums. Dann gäbe es unterschiedliche kosmische Realitäten bei gleichbleibenden Konstanten, Gesetzen und Elementen, deren Größen allerdings selbst zufällig sein könnten. Gab es daher bewusstes Leben schon vor unserer Welt immer und überall? Was hieße das für unser menschliches Selbstverständnis? Unsere Bedeutung nähme zu oder ab, je nachdem, ob wir uns als mesokosmische Singularitäten unseres Heimatuniversums verstehen oder interkosmische Massenware sind.
War der Urknall eine göttliche Schöpfung?
Angesichts der Unmöglichkeit, den Beginn des Universums weder klassisch physikalisch noch quantenphysikalisch zu erklären, ziehen einige Wissenschaftler die Entstehung der Welt durch Gott oder eine wie auch immer geartete Geisteskraft in Erwägung. Eine entsprechende Antwort hat erhebliche Auswirkungen darauf, welche Rolle und Bedeutung dem Menschen beigemessen werden. Entstand er als Teil einer Schöpfung Gottes oder eher zufällig, oder beides? Entstehen intelligente Wesen in jeder sich wiederholenden Welt? Schon Einstein hätte gern gewusst, ob und wie Gott das Universum erschuf. Sein Ziel war es, „Gottes Geist“ zu verstehen. (Zit. b. Eidemüller 2016) Angesichts der Schöpfungsgeschichte im Buch Genesis der Hebräischen Bibel könnte man meinen, für Theologen seien Urknall und Schöpfung identisch. In der Tat wurde die von Georges Lemaître begründete Urknall-Theorie 1951 von der Päpstlichen Akademie anerkannt. So schnell hatte sich der Vatikan wohl noch nie zuvor eine naturwissenschaftliche Erkenntnis zu eigen gemacht. Früher waren die Reaktionen auf unerwünschte Erkenntnisse eher Ignoranz, Folter und Verbrennung. Sicher trug die Bedeutung ihres Priesters Lemaître zur Akzeptanz der Theorie bei. Papst Pius XII. verkündete, für vatikanische Verhältnisse rasch, der Urknall entspringe einem Schöpfungsakt Gottes. Papst Franziskus bestätigte 2014 nochmals, dass die Theorie des Urknalls nicht nur einem Eingriff Gottes nicht widerspreche, sondern es direkt verlange. Die Idee eines Urknalls sei „hervorragend mit der Idee einer Schöpfung vereinbar“. (Zit. b. Eidemüller 2016) Auch für John Carew Eccles legt der Urknall das Wirken eines übernatürlichen Schöpfers nahe. (Eccles 1982, 16) Nach Meinung von Jochen Kirchhoff wurde die Theorie vom Vatikan deswegen als Bestätigung der christlichen Schöpfungsidee gewertet, weil das physikalische Alternativmodell, nach dem das Weltall immer existiert, keinen Platz für einen Schöpfer bietet. (Kirchhoff 2000, 206-210) Es gibt aber auch katholische Theologen, die eine Gleichsetzung ablehnen. Michał Kazimierz Heller von der der Päpstlichen Universität in Krakau, der zugleich Mitarbeiter des Vatikanischen Observatoriums ist, meint, man solle „die Anfangssingularität nicht mit dem Akt der Schöpfung identifizieren“. Das berge die Gefahr, „Gott auf die Ebene einer Hypothese zu reduzieren, deren einziges
Ziel es ist, Lücken in unserem Wissen über die Welt zu füllen“. (Heller, 2014, 124) Guy J. Consolmagno und Paul Mueller meinen, dass selbst wenn Quantenfluktuationen das Universum verursacht hätten, dies immer noch nicht erkläre, warum etwas ist und nicht nichts. (Consolmagno/Mueller 2016, 67) Für Dürr ist die Frage, ob Gott hinter dem Urknall steht, nicht zu beantworten, solange man „als Außenstehender nach dem Anfang“ fragt, so als gehöre man nicht dazu. Wenn es Gott gebe, dann sei er nicht nur der Schöpfer am Anfang der Welt gewesen. Es mache wenig Sinn, einen transzendenten Gott „aus der Schöpfung herauszunehmen und ihn dieser gleichsam gegenüberzustellen“. Wenn man Gott und Schöpfung jedoch identifiziere, entgehe man vielen Problemen der modernen Physik. (Dürr 2012, Pos. 61-71, 246-262) Owen Gingerich ist überzeugt, dass die Abläufe in der Planck-Ära und der kosmischen Inflation „ein direkter Beweis für die gestaltende Hand Gottes im ersten Augenblick des Universums“ sind. (Gingerich 2012, 63)
Die Planck-Zeit und der erste Moment der Welt
So geheimnisvoll und unerklärlich wie der Urknall sind auch die „Planck-Zeit“ und die erste Sekunde der Welt. Die Planck-Zeit bildet die absolute Grenze der klassischen Beschreibung von Raum und Zeit und definiert den frühestmöglich denkbaren Zustand der Welt im Bruchteil von 10-43 einer Sekunde nach dem Urknall. Alles, was sich daraus im Laufe der Jahrmilliarden entwickelte, war „in diesem Anfang bereits angelegt“. (Dürr 1997, 13) In der unfassbar kurzen Phase besaß das Universum eine Größe von 10-33 Zentimetern. Die Temperatur betrug mehr als 10³ Grad Celsius. Das Innere der Sonne ist dagegen mit 10⁷ Grad Celsius ein „ausgesprochen kühles Plätzchen“. (Fritsche 2015, 6-8) „Wir haben“, so Ian G. Barbour, „nahezu keine Vorstellung von den Ereignissen vor 10-43 Sekunden“. Das Universum hatte die Größe eines Atoms und seine Dichte war um unglaubliche 1096mal größer als die von Wasser. (Barbour 2010, 56) Bis zur Planck-Zeit gab es, so Joannes Viktor Feitzinger, keine Zeit, und der Raum war „verkapselt in höheren Dimensionen“. (Feitzinger 2007, 213f.) Das punktartige Etwas war unermesslich klein, grenzenlos heiß, unendlich massereich und stand „außerhalb des Jenseits und Diesseits im Niemandsland zwischen Metaphysik und Physik“. (Lesch/Zaun 2008, 14-16) In der Planck-Zeit wurden mit der Expansionsrate des Universums und dessen ursprünglicher Energiedichte die Grundlagen für die Evolution der Welt bis hin zum Menschen gelegt. Die fundamentalen Wechselwirkungen waren noch nicht getrennt. (Wolschin 2001, 14ff.) Noch in der ersten millionstel Sekunde erwachte die Welt aus einem „quarkschen Schlaf“, benannt nach den Elementarteilchen der „Quarks“, aus denen die Atomkern-Bausteine Protonen und Neutronen bestehen. Nun startete die „nukleare Phase“. (Reeves 1986, 68) Peter Ulmschneider meint, wir wüssten nicht, „ob der in der Planck-Epoche liegende Urknall wirklich existierte“, weil die aus der Relativitätstheorie abgeleiteten Gleichungen, die auf eine Singularität schließen lassen, dort zusammenbrechen. Das Zeitintervall der Planck-Zeit und „alles, was vielleicht davor war“, liege „außerhalb der Reichweite wohlbegründeter physikalischer Theorien“. Die Kernfrage sei, ob während dieser Zeit unsere Vorstellung von einer kontinuierlichen Raumzeit überhaupt gültig und „Singularitäten überhaupt erlaubt“ sind. (Ulmschneider 2014, 15f.)
Binnen eines Milliardstel eines Milliardstel eines Milliardstel eines Milliardstel einer Sekunde wurde die Energie einer Phasenveränderung unterworfen und teilte sich in die vier physikalischen Wechselwirkungen Gravitation, elektromagnetische Kraft sowie starke und schwache Kernkraft auf. (Christian 2018, 32) Als erstes entkoppelte sich die Gravitation. Als die Temperatur sank, folgte die starke Kernkraft. Nach 10-35 Sekunden erreichte das Universum die Größe einer Grapefruit. Nach 10-23 Sekunden ging das Geschehen in „bekanntes Terrain der Physik“ über. (Hoyle 1997, 42-44) Die Energie des Urknalls und die entstehende Masse mussten auf mehr als ein Trillionstel aufeinander abgestimmt sein. Wäre die Masse geringfügig höher gewesen, hätte sich das Universum sofort wieder zusammengezogen, wäre sie nur etwas geringer gewesen, hätte es sich so schnell ausgedehnt, dass es zu keiner Verdichtung der Materie und Bildung von Sternen sowie zur Entstehung von Leben gekommen wäre. (Townes 2004, 31) Da sich das Universum durch seine Ausdehnung rasch abkühlte, konnten sich Quarks zu Protonen und Neutronen vereinigen. (Oberhummer 2012, 184) Nach einer Sekunde fiel die Temperatur auf eine Milliarde Grad Celsius. Die Zahl der Deuteronen stieg, und sie begannen, Protonen und Neutronen einzufangen. Durch die beginnende Expansion sank die Temperatur weiter. Aus Quarks entstanden erste Atomkerne. Die Zeitspanne intensiver atomarer Aktivität, die „anfängliche Atomkernsynthese“ war allerdings extrem kurz. (Reeves 1986, 67f.) Da auch die Zeit erst entstand, ist es problematisch, von Zeiträumen oder Raumzeiten innerhalb der Planck-Zeit zu sprechen. Es bleibt zu konstatieren, dass unser Denkvermögen angesichts der genannten Zeiträume gänzlich unzulänglich ist. Mit Blick auf die Evolution zu selbstbewusstem Leben bleibt zu konstatieren, dass der Beginn und der räumliche Ausgangspunkt dieses Prozesses nicht erklärt werden können. Der Beginn der Welt, die uns Jahrmilliarden Jahre später hervorbrachte, ist von Nebeln unlösbarer Geheimnisse umhüllt. Wir kennen die Wirklichkeit nicht. Nur eins scheint real zu sein: Es gibt uns genau jetzt und hier. Das wissen wir, weil wir gerade existieren. Aber bei den Fragen nach dem Woher, Warum und Wozu unseres momentanen Daseins fehlen uns Antworten jeder Art.
Die kosmische Inflation als Entwertung der Zeit
Schwer zu fassen ist auch die kosmische Inflation, die beschleunigte Expansion nach der Planck-Zeit, die unser Wissen über die Zeit entwertet und ad absurdum führt. Nach Meinung von Alan Guth und Andrei Linde dehnte sich das Universum nach 10-35 Sekunden aufgrund enormer Energien aus, die durch den Symmetriebruch freigesetzt wurden, als sich die starke Kraft von den anderen Kräften trennte. (Zit. b. Barbour 2010, 55f.) Dabei wuchs der Durchmesser des Universums auf das 1029fache seiner bisherigen Ausdehnung an. Die Raumzeit expandierte mit Überlichtgeschwindigkeit und riss die Materie mit sich. Andrei D. Linde beschreibt das entstehende Universum als gigantisches, wachsendes Fraktal aus einem Geflecht sich aufblähender Blasen, aus denen unablässig weitere Blasen entsprangen, die ihrerseits wieder Blasen-Universen erzeugten. (Linde 1995, 32) Die Bremskräfte der Gravitation wurden gestoppt und die expansive Energie ins Gleichgewicht gebracht. In der kosmischen Hintergrundstrahlung sind bis heute Abweichungen in Form von Riffeln zu erkennen, die als Echos der Keime groß skalierter Strukturen des Universums gedeutet werden. Sie gingen während der Inflation aus Quantenfluktuationen hervor. Ohne sie hätten sich weder Galaxien noch Sterne bilden können. Wären sie ein Zehntausendstel größer gewesen, würden die Galaxien dichter ausgefallen sein, was zu einer Unzahl von Sternkollisionen geführt hätte. Der Wert musste in einem engen Bereich liegen, damit stabile, langlebige Sterne in ausreichender Zahl entstehen konnten. (Davies 2008a, 188) Frank Wilczek meint, dass die Beweise selbst für eine „Basisversion der Inflation“ dünn sind. Die Argumente seien zwar stimmig, und es gebe auch einige Indizien dafür, es sei aber verfrüht, Luftschlösser zu bauen. (Wilczek 2019, 62-66) Bei der Inflation durchlief das Universum in der Zeit von zehn bis 32 Sekunden nach dem Urknall eine Zeit extrem rascher Expansion. Spezielle Effekte von bestimmten Quantenfeldern könnten, so Stefan Bauberger, eine solche Aufblähung bewirkt haben. Es gebe aber auch Zweifel an der Hypothese der Inflation. „Die Inflationshypothese beruhe auf einer Extrapolation bekannter und postulierter Naturgesetze im Bereich extrem hoher Energien.“ Unter Extrapolation wird die Bestimmung eines Verhaltens über den gesicherten
Bereich hinaus verstanden. Die Materie befand sich „bei diesen extremen Energien in einem Zustand, der weit entfernt ist von allem, was experimentell bekannt ist“. (Bauberger 2003, 192)
4. Feinabgestimmte Wechselwirkungen, Naturkonstanten und Elemente bei der Entstehung der Welt
Die Feinabstimmungen im Wirken der vier Wechselwirkungen bzw. physikalischen Grundkräfte
Bevor auf die Feinabstimmung der Wechselwirkungen einzeln eingegangen wird, hilft es mit Blick auf die Entwicklung zum Menschen zunächst auf deren Zusammenspiel zu verweisen. Der Hinwies für uns Laien sei gestattet, dass die physikalischen Grundkräfte auch als Wechselwirkungen bezeichnet werden und von den Naturkonstanten zu unterscheiden sind. Die Struktur der Welt wird durch die Balance der Wechselwirkungen bestimmt. Stephen Hawking und Leonard Mlodinow sprechen von deren „tiefer physikalischer und philosophischer Bedeutung“. Lange Zeit habe niemand genug über die Kernphysik gewusst, „um zu begreifen, wie groß der glückliche Zufall ist, der diesen exakten physikalischen Gesetzen zugrunde liegt“. Die Welt und ihre Gesetze scheinen „exakt auf die Möglichkeit unserer Existenz zugeschnitten“ zu sein und „bieten kaum Spielraum für Veränderungen“. Nicht nur die Merkmale unseres Sonnensystems sind für die Entwicklung selbstbewussten Lebens „eigentümlich förderlich“, sondern auch „die Merkmale unseres Universums als ganzes“, was „weit schwieriger zu erklären“ ist. Lange hätten Physiker gemeint, auf einem „Feld-Wald-und-Wiesen-Planeten“ zu wohnen, doch die Entdeckung der Feinabstimmung der Naturgesetze bzw. Wechselwirkungen erzählt eine andere Geschichte. Sie veranlasste etliche Physiker, „wieder mit der alten Vorstellung zu liebäugeln, dieser große Entwurf sei das Werk eines großen Planers“. (Hawking/Mlodinow 2010, 154-162) Die Schwerkraft oder Anziehungskraft, wie die Gravitation im Deutschen genannt wird, stellt die für uns spürbarste Kraft bzw. Wechselwirkung dar. Für unser Leben ist sie von elementarer Bedeutung. Sie sinkt mit zunehmender Entfernung, hat aber eine unbegrenzte Reichweite. Ihre Wirkung zeigt sie vor allem bei großen Massen, die sie mit Vorliebe zu Kugeln formt. Laut Einsteins Allgemeiner Relativitätstheorie wirkt sie durch die Krümmung der vierdimensionalen Raumzeit. Während sich die elektrischen Kräfte wechselseitig aufheben, addiert sie die Kraft aller Protonen und subatomaren Teilchen. Sie übt die „alleinige kosmische Regie“ aus und ist die „Seele des Weltalls“. Im Zusammenspiel mit subatomaren Kräften und der elektromagnetischen Wechselwirkung bestimmt sie den Aufbau und die Entwicklung von Sternen, die Stabilität sowie Strukturen von Neutronensternen und Weißen Zwergen. Sie ist
es, die „alles Materielle beseelt“. (Lesch/Zaun 2008, 44f.) Im subatomaren Bereich spielt sie wegen ihrer relativen Schwäche keine Rolle. Ihre Stärke liegt um ein 1040faches unter der Größe der elektromagnetischen Kraft. Selbst eine millionenfach vergrößerte Gravitation wäre immer noch um ein 1034faches niedriger. (Breuer 1983, 50-52) Die Struktur der Sterne ist vom exakten Verhältnis der Gravitation zu den elektromagnetischen Kräften abhängig. Die Schwäche der Gravitation macht die Sterne massereich. Die Masse muss groß genug sein, um das heiße Gas auf die für Kernreaktionen erforderliche Dichte zusammenzupressen. Galaxien und Sonnensysteme hätten nicht entstehen können, wäre die Gravitation nicht die schwächste der vier Elementarkräfte. Die schwache Wechselwirkung regelt die Fusion im Innern der Sonne, die 1018mal langsamer abläuft, als wenn die starke Wechselwirkung in Kraft treten würde. Nur durch die schwache Wechselwirkung ist die Umwandlung von Protonen in Neutronen möglich. Aufgrund der geringen Stärke der schwachen Wechselwirkung läuft dieser Prozess so langsam ab, dass die Sonne schon seit 4,5 Milliarden Jahren stabil Kernfusion betreiben kann und dies voraussichtlich noch eine Weile tun wird. (Kanitscheider 2001, 166-172, 210) Starke und schwache Wechselwirkungen spielen nur über kurze Distanzen und auf subatomarer Ebene eine Rolle. Dennoch wirken auch sie auf jeden Aspekt unserer Welt ein, bestimmen sie doch, was in den Atomen geschieht. Die elektromagnetische Kraft ist um das 109fache stärker als die schwache Kraft. Die elektromagnetische Wechselwirkung wird durch die Größe der dimensionslosen Feinstrukturkonstante bestimmt. Wie die Gravitation keinen Einfluss auf den Mikrobereich ausübt, so entfaltet die elektromagnetische Kraft umgekehrt im Makrobereich kaum Wirkung. Positive und negative Ladungen in großen Körpern heben sich auf. Von fundamentaler Bedeutung ist die elektromagnetische Wechselwirkung hingegen im Mikrobereich. Sie bestimmt das Agieren von Atomen und Molekülen, wirkt destabilisierend auf Atomkerne und damit der starken Kernkraft entgegen. Sie sorgt für den Zusammenhalt der positiv geladenen Atomkerne mit der negativen Elektronenhülle. Die Anziehung beider ist permanent und stabil. Durch sie verlieren die Elektronen nicht zu viel Energie und stürzen nicht in den Atomkern. Dort sorgt die gegenseitige Abstoßung der positiv geladenen Protonen als stabilisierende Gegenkraft. Der Elektromagnetismus hält unseren Körper auf der chemischen und biologischen
Ebene zusammen. Ohne ihn gäbe es uns nicht. (Christian 2018, 32) Die starke Wechselwirkung, also die Kernkraft, ist stärker als die abstoßende elektromagnetische Kraft, wirkt jedoch nur innerhalb der Atomkerne und nicht auf Elektronen. Sie hält die Kernteilchen Protonen und Neutronen zusammen. Dank der stabilisierenden Wirkung der starken Kernkraft können Atomkerne zahlreiche Protonen enthalten, deren Menge das jeweilige Element bestimmt. Das kleinste Atom mit nur einem Proton ist Wasserstoff. Der Atomkern des Goldes umfasst hingegen 79 Protonen. Die starke Kernkraft bestimmt den Grundaufbau allen Seins und damit auch, ob es Leben geben kann. Wenn die Summe der Massen jener Quarks, aus denen ein Proton besteht, um zehn Prozent vom tatsächlichen Wert abweichen würde, gäbe es weniger stabile Atomkerne, aus denen wir bestehen. Tatsächlich „scheint die Summe der Quarkmassen weitgehend optimiert für die Entstehung der größten Zahl stabiler Kerne.“ Wären die Protonen nur 0,2 Prozent schwerer, würden sie in Neutronen zerfallen und es gäbe keine stabilen Atome. (Hawking/Mlodinow 2010, 159) Die schwache Wechselwirkung bzw. Kernkraft wirkt nur auf sehr kurzen Distanzen, spielte aber bei der Entstehung der Welt eine fundamentale Rolle. Sie ermöglichte nämlich die Umwandlung von Neutronen in Protonen sowie umgekehrt und regelte im Mikrobereich die Reaktionen leichter Teilchen. Dazu gehören neben Elektronen und Neutrinos auch solche, die nicht auf die starke Kernkraft reagieren. Zwischen ihnen herrscht die schwache Kernkraft „in bedeutsamer Schwäche“. Sie macht sich z. B. bei der Radioaktivität und beim atomaren Betazerfall, einem Zerfallstyp von Atomkernen, bemerkbar. (Breuer 1981, 43)
Was würde bei einer fiktiven Änderung der Werte der Wechselwirkungen geschehen?
Die Bedeutung exakter Werte der Wechselwirkungen für sich und untereinander wird bei einer kontrafaktischen Änderung ihrer Größen deutlich. Könnte man bewirken, dass die Gravitation nur noch 1039mal schwächer wäre als die elektromagnetische Wechselwirkung, dann hätte die Sonne bereits nach einer Million Jahren „ihren Geist aufgegeben“. (Breuer 1983, 228f.) Bei einer stärkeren Gravitation wäre die Welt längst kollabiert. Schon eine geringe Verstärkung der Schwerkraft hätte sie „entvölkert“. (Vilenkin 2008, 157) Die Sterne stünden dichter beieinander, wodurch es ständig zu Zusammenstößen käme. Bei doppelter Schwerkraft würde die Sonne hundertmal heller strahlen, ihre Lebensdauer sich allerdings von zehn Milliarden auf weniger als 100 Millionen Jahre abkürzen. Das wäre entschieden zu wenig für die Entwicklung selbst einfachster Lebensformen. (Davies 2008a, 185f.) Eine hundertfache Steigerung der Gravitationskraft würde die Lebensdauer der Sterne deutlich unter die Grenze von wenigen Milliarden Jahren drücken, die für die Entwicklung selbstbewussten Lebens auf der Erde erforderlich waren. Bei einer millionenfach vergrößerten Gravitation betrüge die Masse eines typischen Sterns weniger als die des Erdmondes. Die Sonne würde nur 10 000 statt 10 000 000 000 Jahre strahlen. Selbst einfachste Einzeller wären nicht entstanden. Wäre die Gravitation 10² statt 1036mal schwächer als die physikalischen Kräfte in einem Wasserstoffatom, hätten die Sterne 10-15 Sonnenmassen, und ihre Lebensdauer wäre um den Faktor 10¹ kürzer. Ein Stern würde nur etwa ein Jahr brennen. Alle Strukturen, auch die der Galaxien, wären kleiner. Die Sterne befänden sich so eng beieinander, dass sie zwangsläufig kollidieren würden. Die Massen von Planeten und Sternen wären um den Faktor 10¹⁵ kleiner. Die Stärke der Schwerkraft ließe an menschliches Leben nicht einmal denken. (Rees 1998, 296) Damit die Gravitation wirken kann, ist eine Gleichheit von positiven und negativen Ladungen in einem elektrisch neutralen Universum erforderlich. Käme zu 10³⁷ Elektronen nur ein einziges weiteres Elektron hinzu oder würde eines fehlen, wäre die Materie so stark geladen, dass die elektromagnetischen Abstoßungskräfte die Schwerkraft überflügeln würden. Es gäbe eine Welt ohne oder mit abstoßender Gravitation. Der Kosmos wäre angefüllt mit hochverdünntem, feinverteiltem Gas aus Wasserstoff und Helium. (Gribbin/Rees
1991, 233) Wäre die elektromagnetische Kraft um 0,8 Prozent größer, würden die Kernkräfte aus zwei Protonen einen stabilen Kern namens Diproton bilden. Ein Diproton ist ein Atomkern des Heliums, bestehend aus zwei Protonen und ohne Neutronen. Sterne und Planeten bestünden aus Helium und Diprotonen. Es gäbe keine Kernreaktionen in den Sternen und das „Tor zur Elemententstehung“ bliebe verschlossen. Nicht vorhandene Chemiker könnten sich gelangweilt mit Helium beschäftigen, denn selbst Wasser und Kohlendioxyd würde es nicht geben. (Genz 2006, 131-133) Bei einer Änderung der Stärke der elektromagnetischen Kraft um vier oder der starken Kernkraft um 0,5 Prozent würden die Sterne entweder Kohlenstoff oder Sauerstoff bilden, nicht aber beides. Die Häufigkeit dieser Elemente wäre um das Dreißig- bis Tausendfache geringer. Wäre die Gravitation im Verhältnis zur elektrischen Wechselwirkung um das Zehnfache stärker, gäbe es nur kleine Sterne mit kürzerer Lebenszeit. Unsere Sonne hätte nur eine Million Jahre geleuchtet. (Haisch 2018, 77f.) Wäre die elektromagnetische Kraft kleiner als 0,6 Prozent ihres tatsächlichen Wertes, gäbe es keine Deuteronen, das sind Kerne von schwerem Wasserstoff (Deuterium). Nach dem Urknall hätte sich kein Helium gebildet, die ersten Sterne wären allein aus Wasserstoff gewesen. Da in den Sternen Deuteronen zur Bildung von Elementen erforderlich sind, hätte ein Wert unter 0,6 Prozent deren Bildung verhindert. Ohne Deuterium konnten Sterne ebenfalls nur Millionen statt Milliarden Jahre leuchten. Wäre die Gravitation 1041mal schwächer als die elektromagnetische Kraft, hätten sich aus den intergalaktischen Staub- und Gaswolken keine Sterne und Planeten bilden können. Fiktive Planeten wären ohne Atmosphäre geblieben. Bei einer geringeren Gravitation wären die Sterne kleiner ausgefallen. Der Schwerkraftdruck in ihrem Innern hätte die Temperaturen nicht genügend hochtreiben können, um eine Kernfusion in Gang zu setzen. Den für uns schönen Sonnenschein gäbe es nicht. Höhere Schwerkräfte hätten das Zentrum der Sterne überhitzen lassen. In Explosionen wären sie unter dem Druck ihrer eigenen Massen zu Schwarzen Löchern kollabiert. (Breuer 1983, 228f.) Es ist schier unvorstellbar, wie lang die Liste der physikalischen und chemischen Voraussetzungen für das Leben ist. Dabei sind wir noch lange nicht am Ende. Die Liste wird fortgesetzt, weil sich nur so die schier unzählbare Fülle an Voraussetzungen für die Entstehung des Lebens verdeutlichen lässt. Wäre die Gravitationskraft so stark wie die Kernkräfte, würde sie „als räumlich unbegrenzte, rein anziehende Kraft alle Materie in der Umgebung unstrukturiert
verklumpen lassen“. (Widenmeyer 2019, 49-51) Wäre die Gravitation schwächer und die schwache Kernkraft stärker, gäbe es kein Wasser. Helium hingegen wäre im Überfluss vorhanden. Selbst bei einem geringfügig anderen Verhältnis beider Größen wären keine Sterne entstanden, in denen die schwereren Elemente durch Kernfusion erbrütet wurden. Die interstellaren Wolken würden nicht unter ihrem eigenen Gewicht komprimiert und keine für die Auslösung der Kernreaktionen ausreichende Dichte und Temperatur erreicht worden. Mit den chemischen Elementen und der zum Leben notwendigen Energie wäre es vorbei, ehe überhaupt etwas geschah. Hätte das Gleichgewicht zwischen der Expansionsenergie, freigesetzt durch den Urknall, und der Stärke der Gravitation um mehr als eins zu 10 differiert, und zwar weniger als 10-43 Sekunden nach dem Urknall, wäre das Universum weder kollabiert noch hätte es sich so rapide ausgedehnt, wie die Gravitation es vermocht hätte, Materie zusammenzuziehen und Sterne zu bilden. (Ferguson 1995, 245f.) Wäre die Expansionsgeschwindigkeit, bezogen auf die erste Sekunde nach dem Urknall, um den Faktor 10-12 geringer gewesen, hätte das Universum nach 50 Millionen Jahren aufgehört, sich auszudehnen. Bei einer schnelleren Expansion wiederum hätten sich keine Galaxien bilden können. (Achtner 1993, 200) Wäre das Verhältnis der elektromagnetischen Wechselwirkung zur Kernbindungskraft um einen geringen Betrag kleiner oder größer, gäbe es keine stabilen Moleküle. Komplexe organische Verbindungen wären nie entstanden. Wenn die elektromagnetische Wechselwirkung stärker oder der Betrag der Ladungen von Elektron und Proton nicht fast identisch wären, gäbe es keine makroskopischen Körper, weil die Atome sich abstoßen würden. Wäre sie zehnmal stärker, gäbe es keine stabilen Atome, weil die Protonen die Elektronen in den Kern ziehen würden. (Vaas 2004, 385f.) Eine Vergrößerung der elektromagnetischen Kraft um den Faktor fünf hätte die Existenz mittelschwerer Elemente wie Eisen oder Nickel verhindert. Ohne sie besäße die Erde keinen magnetischen Kern, dessen Gravitationsfeld uns vor kosmischer Strahlung schützt. Bei einer höheren elektromagnetischen Kraft würde sich die Bindung der negativ geladenen Elektronen an die entgegengesetzt geladenen Kerne verstärken. Die chemischen Reaktionen, welche die Elektronen zwischen den Kernen verschiedener Elemente neu ordnen, würden viel mehr Energie benötigt haben und hätten viel seltener stattgefunden. Spiralförmige DNS-Ketten hätten sich nicht gebildet. (Trịnh 1993, 271f.) Für das Leben wichtige chemische Reaktionen wären zu langsam oder gar nicht abgelaufen. Bei einer um vier Prozent geringeren elektromagnetischen Kraft gäbe es weder Wasserstoff noch Sterne, weder chemische Verbindungen noch komplexe organische Moleküle.
Die Abstoßung zwischen den Protonen wäre stärker und würde die Stabilität der Atomkerne gefährden. Auch eine Änderung der Werte der Kernkräfte um wenige Promille hätte die quantitativen Züge des Elementaufbaus und der makroskopischen Feldstärken so geändert, dass es kein Leben geben könnte. Wäre die Kernkraft etwas stärker, würden die Sterne ihren Kernbrennstoff zu rasch verbrennen, und Leben könnte sich ebenso wenig entwickeln. (Kaku 2005, 329) Bei einer um mehr als ein halbes Prozent stärkeren Kernkraft gäbe es kein kohlenstoffbasiertes Leben, wäre doch die Häufigkeit von Sauerstoff und unabdingbarem Wasser um das Hundert- bis Tausendfache kleiner. (Oberhummer 2014, 142-144) Umgekehrt würde bei einer nur einprozentigen Steigerung der starken Kernkraft sämtlicher Kohlenstoff zu Sauerstoff umgewandelt worden sein. Ohne Kohlenstoff aber gäbe es kein kohlenstoffbasiertes Leben. Aus Helium hätten sich keine schweren Elemente, Quarks hätte keine Protonen gebildet oder die Protonen sich nach dem Urknall paarweise zu Diprotonen verbunden, woraus Helium entstanden wäre. In diesem Fall gäbe es weder komplexe Wasserstoffverbindungen noch langlebige Sterne. Ohne die Bildung von Protonen aus Quarks gäbe es keine WasserstoffAtome und damit auch keine schweren Atome. (Kanitscheider 2001, 210f.) Zwei Protonen könnten sich in stabiler Form zusammentun und die Abstoßung ihrer positiven Ladung überwinden. In einem solchen Doppelproton zerfiele eines der Protonen bald zu einem Neutron, und das Doppelproton würde sich in ein Deuteron verwandeln. Die Folge wäre ein explosiver Verbrauch des gesamten Kernbrennstoffs beim Urknall. Ohne Wasserstoff gäbe es keine stabilen Sterne, kein Wasser und kein Leben. (Davies/Gribbin 1995, 42f.) Wäre die Stärke der Kernkraft um ein halbes Prozent geringer, würde die Häufigkeit von Kohlenstoff auf ein Hundertstel bis ein Tausendstel des tatsächlichen Wertes sinken. Kohlen- oder Sauerstoff wären in weitaus geringerem Maße vorhanden, kohlenstoffbasiertes Leben wäre unmöglich. Nur Kohlenstoff hat die notwendigen Eigenschaften zur Bildung komplexer und sich selbst organisierender Moleküle, nur er kann die variantenreichen Moleküle des kohlenstoffbasierten Lebens, wie zum Beispiel die Proteine und die Erbsubstanzen bilden. (Oberhummer 2014, 142-144) Kerne wie das Deuterium wären zerfallen, und kein Element hätte durch Nukleosynthese im Inneren von Sternen gebrannt werden können. Deuterium ist wichtig für die stellare Nukleosynthese, es hat die doppelte Masse normaler Wasserstoffatome. Chemische Prozesse würden sich durch Austausch von
Wasserstoff mit Deuterium so stark verändern, dass es keine höheren Organismen geben könnte. (Widenmeyer 2019, 62f.) Bei einer Verringerung der starken Kernkraft würde kein Kern außer dem Wasserstoffkern „überleben“. Die Wasserstoffkerne würden sich nicht verbinden und zu Helium verbrennen. Es gäbe keine Kernreaktionen und Sterne als lebenspendende Energiequelle. Außer Wasserstoff wäre kein stabiles chemisches Element vorhanden, und keine Kernkraft könnte die Sterne antreiben. Wären die nuklearen Kräfte etwas schwächer, hätten sich nie schwere Kerne gebildet und das Universum bestünde nur aus Wasserstoff. Wären die nuklearen Kräfte hingegen ein wenig zu stark gewesen, gäbe es sehr schwere Kerne; Wasserstoff hingegen überhaupt nicht. (Townes 2004, 31) Die schwache Kraft durfte ziemlich genau so schwach sei, wie sie es tatsächlich ist, damit nicht der gesamte ursprüngliche Wasserstoff in Helium verwandelt wurde. Elektromagnetische und nukleare Wechselwirkungen benötigten eine feine Balance. Die Stärke der schwachen Kraft entschied darüber, wieviel Wasserstoff beim Urknall in Helium verwandelt wurde. Dabei war ein hohes Maß an Feinabstimmung erforderlich. Die schwache Kraft übertrifft die Schwerkraft um das 1028fache, die starke Wechselwirkung überwiegt die elektromagnetische Wechselwirkung um das Hundertfache. (Breuer 1983, 50-52) Deutlich wird die Rolle der Stärke der schwachen Wechselwirkung auch beim Blick auf eine Supernova. Geht einem massereichen Stern der Brennstoff aus, kollabiert sein Kern unter dem eigenen Gewicht. Dabei werden riesige Energiemengen in Form schwach interagierender Neutrinos freigesetzt. Photonen und andere stark oder elektromagnetisch interagierende Teilchen bleiben im ultradichten Kern gefangen. Neutrinos, die mittels der schwachen Kernkraft wirken, sind entscheidend daran beteiligt, die Energie einer explodierenden Supernova nach außen zu tragen. Diese Energie ist wiederum für die Herstellung der schweren Elemente oberhalb des Eisens mit 56 Protonen erforderlich. Wäre die schwache Kraft etwas schwächer, wären im Urknall fast alle Baryonen in Helium umgewandelt worden. In einer Welt aus Wasserstoff hätten alle Sterne zunächst aus Helium bestanden. Sie wären schneller ausgebrannt und hätten dem Leben keine Chance gegeben. (Gribbin/Rees 1991, 221f.) Wäre die schwache Wechselwirkung deutlich stärker, könnten die Neutrinos den Kern nicht verlassen; wäre sie viel schwächer, könnten sie ungehindert die Außenschichten ieren, ohne diese mit sich zu reißen und der nächsten Sternengeneration als Material zur Verfügung zu stellen. Die Kernkräfte sind
zwar stärker als die Gravitation, reichen aber nur knapp über die Ausdehnung eines Protons hinweg, das sind 10-13 Zentimeter. Wäre die schwache Wechselwirkung minimal schwächer gewesen, hätten die Neutronen nicht in Protonen zerfallen können. Infolge dessen gäbe es keinen Wasserstoff und keine langlebigen Sterne. Sowohl mit einer höheren wie auch mit einer niedrigeren schwachen Kraft wäre der chemische Aufbau des Universums ein völlig anderer. (Davies 2008a, 185) Wäre die schwache Kraft etwas stärker, so auch Vilenkin, würden die Neutrinos nicht so leicht aus dem Kern eines Sterns entwichen sein, was abermals der Entstehung jener schweren Elemente im Wege gestanden hätte, aus denen unsere Körper und unsere Welt bestehen. Auf ihrem Weg nach draußen sprengten die Neutrinos die äußeren Schichten des Sterns weg und es kam zu gigantischen Explosionen. (Vilenkin 2008, 156) Die Menge notwendiger Wechselbeziehungen bzw. physikalischer Gesetze als Grundlage der Entstehung selbst einfachster Lebensformen ist so riesig, dass es unmöglich scheint, das Geflecht in Gänze zu erfassen. Fast jede einzelne Konstellation war eine unabdingbare Voraussetzung für die Entstehung des Lebens, vielmehr aber noch die komplexe Verflechtung einer großen Zahl von Faktoren. Man bekommt ein Gefühl dafür, warum manche Wissenschaftler hinter den Vorgängen eine gestalterische Kraft vermuten. Wer sonst könnte ein so riesiges kosmisches Orchester harmonisch dirigieren? Dabei ging es bislang nur um die Feinabstimmungen der physikalischen Kräfte und um die Elemente des Periodensystems samt deren Folgen für unser Leben. Von der Wirkung und wechselseitigen Abstimmung der Naturkonstanten ist bislang noch gar nicht die Rede gewesen, dabei stehen deren Feinabstimmungen viel stärker im Fokus der Forschung.
Verweist das Zusammenwirken der physikalischen Grundgesetze auf ein natürliches oder göttliches Wirken zugunsten des Menschen?
Aber bleiben wir zunächst noch bei den Wechselwirkungen bzw. physikalischen Grundgesetzen. Nur gelegentlich werden sie in die Untersuchung der Feinabstimmungen einbezogen. Meist handeln diese nur von den Naturkonstanten. Vielleicht liegt das daran, dass die unveränderlichen Naturkonstanten im Spiel der Kräfte viel apodiktischer wirken, so, als läge alles in der Hand eines Verantwortlichen. Hier seien zunächst einige chronologisch geordnete Beispiele für Meinungen über die Feinabstimmung der Wechselwirkungen bzw. Naturgesetze angeführt, bei denen es um Überlegungen über eine geistige oder sonstige kosmische Steuerung der Prozesse bis hin zur Bildung des Menschen geht. Danach folgen Äußerungen von Experten zur Rolle der Naturkonstanten und Elemente. Eine solche Trennung scheint geboten, wird doch selbst in der Fachliteratur, jedenfalls aus Sicht des Laien, die Unterscheidung von Naturgesetzen und Naturkonstanten nicht immer durchgehalten. Das liegt natürlich daran, dass beide untrennbar miteinander verbunden sind. Hier also geht es zunächst um die Grundgesetze der Physik. Beginnen wir mit Freeman Dyson, der in den Gesetzen der Kernphysik „einige verblüffende Beispiele für numerische Zufälle“ sieht, die „offenbar dazu beitragen sollten, das Universum bewohnbar zu machen“. Er hat den Eindruck, das Universum habe auf uns Menschen regelrecht gewartet. (Dyson 1981, 266) Reinhard Breuer verweist auf einen „wundersamen“, auf Feinabstimmung basierenden Vorgang. Ein Körper, der 6 000 Grad Celsius heiß ist, strahlt die meiste Energie bei grünem Licht ab, das für die Photosynthese von Pflanzen am effektivsten ist. Hätte die elektrische Kraft, welche die Elektronen an die Atomkerne bindet, andere Werte, wäre das Sonnenlicht zu schwach, um photochemische Reaktionen in Gang zu setzen. Wäre sie zu stark, würde der Molekülaufbau von Pflanzen zerstört bzw. gar nicht erst in Gang gekommen sein. (Breuer 1981, 230f.) Fred Hoyle konstatiert, dass das Verhältnis von Sauerstoff und Kohlenstoff im gesamten Universum, also auch in Sternen und in Lebewesen, etwa gleich ist. Das werfe die Frage auf, ob die für Leben unabdingbare Übereinstimmung „am
Ende von einer Intelligenz vorgegeben“ wurden. (Hoyle 1984, 218f.) Leben, so Paul Davies, sei von einigen „anscheinend glücklichen Zufällen in den Werten“ abhängig, welche die Natur für die Massen von Teilchen, für Kraftstärken und so weiter „gewählt“ habe. (Davies 1996a, 239) Es sei „ernüchternd“, wie empfindlich das menschliche Dasein vom Gleichgewicht der Naturkräfte abhängt. Die Tatsache, dass die Größen der Wechselwirkungen so end ausgefallen sind, verlange „wie jedes Wunder“ nach einer Erklärung. (Davies 2008a, 179) Auch Arnold Benz hat den Eindruck, die Gesetze der Kernphysik wären „absichtlich so geplant im Hinblick auf die Konsequenzen im Sterninnern und bei der Entwicklung des Universums“. (Benz 1997, 109f.) Rüdiger Vaas meint, die Tatsache, dass das Universum „so beschaffen ist, wie es ist, und dass es überhaupt ist“, sei „nicht selbstverständlich, sondern sehr erstaunlich oder rätselhaft“. (Vaas 2004, 375) Für Reinhard Junker und Siegfried weisen die Feinabstimmungen und die Funktionsweise des gesamten Universums auf göttliches Design hin. (Junker/Scherer 2006, 18, 130) Ian G. Barbour schreibt, da viele voneinander unabhängige, höchst unwahrscheinliche Eigenschaften der Feinabstimmung gleichzeitig auftreten, könne „die Feinabstimmung als ein Argument für die Existenz eines Designers verwendet werden, vielleicht für einen Gott, der ein Interesse an bewusstem Leben hat“. Wenn unter Design „ein detaillierter Plan im Geiste Gottes“ verstanden werde, dann stehe der Zufall im Widerspruch zu ihm. Verstehe man unter Design jedoch „eine allgemeine Richtung der Zunahme von Komplexität, von Leben und Bewusstsein, dann können Gesetz und Zufall Teil des Designs sein“. (Barbour 2010, 73f., 186) Auch Owen Gingerich schließt nicht aus, dass das Universum gezielt und intelligent entworfen wurde. Vielleicht, so hofft er, zeige irgendwann die „Theorie von allem“, der „Gral der Physik“, warum die physikalischen Größen so „so sicher wie zwei mal zwei vier“ sein müssten, und uns damit zeigen, dass „Gott keine Wahl hatte“. Bis dahin müsse man mit dem Anschein leben, das Universum sei „für die Menschen entworfen“ worden. Wenn man nach einem Design suche, „warum nicht hier?“ Bestimmt „war ein gütiger Schöpfer am Werk, der ein Universum schuf, das für intelligentes Leben geeignet“ ist. Eigenart und Fülle der Atome, sowie das „bemerkenswerte Verhältnis von elektrostatischer zur Gravitationsanziehung oder die vielen anderen Details unseres physikalischen Universums“ ließen erkennen, „dass wir ohne diese Gestaltungsmerkmale nicht hier wären.“ Ausdrücklich lehnt er die Ideologiebildung auf beiden Seiten des Streites um Kreationismus und
Intelligent Design ab und betont, er glaube an ein intelligentes Design in der Natur, „allerdings mit kleinem i“. (Gingerich 2012, 60f., 69f., 78f.) Auch Heinz Oberhummer scheinen manche Feinabstimmungen „viel zu ausgeklügelt“, als dass sie noch mit unserem Sinn für Natürlichkeit in Einklang gebracht werden können. Das sei der Grund, warum sich viele Wissenschaftler fragen, ob hinter der Feinabstimmung „nicht doch mehr steckt“. Die entscheidende Frage sei, „wie den Naturgesetzen der Atem des Lebens eingehaucht“ wurde, „sodass sie tatsächlich einem lebensbejahenden Kosmos“ entsprechen. (Oberhummer 2014, 148f.) Für John Polkinghorne ist Feinabstimmung ein „Teil der Ausstattung“, die „der Schöpfer der Schöpfung mitgegeben“ hat. (Polkinghorne 2014, 150) Harald Lesch und Josef M. Gaßner stehen „staunend vor dem Wohlwollen, das dieses Universum uns entgegenbringt, weil in einem anderen Universum ohne diese fein abgestimmten Prozesse eben niemand da wäre, der sich wundern könnte.“ (Lesch/Gaßner 2016, 165) Bernhard Haisch verweist darauf, dass menschliche Intelligenz nur aufscheinen konnte, weil die kosmischen Parameter von Beginn der Welt an extrem fein ten und die vier Kräfte exakt ihre Stärken besitzen. Schon geringe Änderungen hätten unzählige ausgewogene Balanceakte als Voraussetzung menschlichen Lebens verhindert. So sei etwa das Verhältnis zwischen Gravitationskraft und starker elektrischer Kraft ein „Schlüsselwert“ für das Leben. Einige Wissenschaftler würden sogar die Frage stellen, ob das Resultat der Wechselwirkungen, „womöglich sogar deren Sinn und Zweck, die Existenz von Leben“ sei. (Haisch 2018, 76f. 90) Markus Widenmeyer erklärt im Zusammenhang mit den Feinabstimmungen, es sei „völlig unklar, wie und durch was die Materie zu diesen mathematischen Strukturen gekommen“ ist. Für ihn liegt der Schluss nahe, dass das Universum „von einem personalen, höchst intelligenten Wesen mathematisch konzipiert“ wurde. (Widenmeyer 2019, 14, 56) Auch auf Frank Wilczek wirken die Naturgesetze so symmetrisch, dass dies „fast an ein Wunder“ grenze. Im Universum habe man es „mit einem derart außergewöhnlichen Abbild von der Theorie auf die Wirklichkeit zu tun, einer so großen Harmonie zwischen Konzept und Realität“, dass die „Ebene von Kunst“ erreicht worden sei. Offensichtlich folge die Natur „einer Art Bauplan“. (Wilczek 2019, 62-66)
Die Feinabstimmung der Naturkonstanten und anderer Werte
Ist schon ohne die genauen Werte der Naturgesetze bzw. Wechselwirkungen Leben nicht denkbar, so kommt noch hinzu, dass auch noch deren Verhältnis zu den Naturkonstanten exakt so sein muss wie es ist. Für Max Planck sind die Naturkonstanten „die unveränderlich gegebenen Bausteine, aus denen sich das Lehrgebäude der theoretischen Physik zusammensetzt“. Ihre Existenz ist für ihn ein „greifbarer Beweis für das Vorhandensein einer Realität in der Natur, die unabhängig von jeder menschlichen Messung“ ist. Die Naturkonstanten seien „nicht aus Zweckmäßigkeitsgründen“ von Physikern erfunden worden, sondern hätten sich „mit unwiderstehlichem Zwang aufgedrängt durch die übereinstimmenden Resultate sämtlicher einschlägiger Messungen“. Durch sie wisse man im Voraus, dass „alle künftigen Messungen auf die nämlichen Konstanten führen werden“. Die feinabgestimmten Wechselwirkungen und Naturkonstanten agierten auf rätselhafte Weise miteinander. Planck nennt es „das allergrößte Wunder“, dass beide als Grundlage menschlichen Lebens den Eindruck erwecken, als ob die Natur von einem „vernünftigen, zweckbewussten Willen“, einer „über die Natur regierenden allmächtigen Vernunft“ gelenkt werde. Er nennt es „ein unbezweifelbares Ergebnis der physikalischen Forschung, dass diese elementaren Bausteine, „sämtlich nach einem einzigen Plan aneinandergefügt“, erkennen lassen, dass in allen Vorgängen der Natur „eine universale, uns bis zu einem gewissen Grad erkennbare Gesetzlichkeit“ herrsche. (Planck 1986, 32-36) Carsten Bresch erscheint es wie ein Wunder, dass es im Universum Kombinationen von Naturkonstanten und Gesetzen gibt, die unsere Evolution erst möglich machten. (Bresch 1990, 77f.) Kitty Ferguson geht davon aus, dass Gesetze und Konstanten „im Augenblick der Schöpfung mit unglaublicher Präzision festgelegt“ wurden „sonst könnten wir gar nicht hier sein“. (Ferguson 1995, 245) Laut Bernulf Kanitscheider sind „eigentlich nur zwei neuralgische Punkte übriggeblieben, an denen auch heute noch Berührungen des naturalen Universums mit einer möglichen Transzendenz diskutiert werden“. Dies seien der Ursprung des Universums sowie die Feinabstimmung der Konstanten und kosmischen Parameter, welche „die notwendigen Bedingungen für die Lebensentstehung liefern“. (Kanitscheider 1996, 165)
Für Stefan Bauberger würde sowohl ein größerer als auch ein kleinerer Wert der starken Kopplungskonstante, von der die Stärke der starken Kernkraft abhängt, die Kernprozesse in den Sternen so verändern, dass keine Planeten möglich wären, die Leben tragen. (Bauberger 2003, 202) Die unveränderlichen Naturkonstanten, so auch John David Barrow, bilden das Gerüst der physikalischen Theorien und bestimmen die grundlegende Struktur des Universums. Sie sind „in die Naturgesetze verflochten“ und durch diese festgelegt. (Barrow 2004, 55f., 79-85, 151f.) Wäre das Verhältnis von physikalischen Gesetzen bzw. Wechselwirkungen und Naturkonstanten nur geringfügig anders, hätte sich, so Richard Dawkins, die Welt nicht so entwickeln können, dass sie Leben hervorbringt. (Dawkins 2007, 199)
Die Fundamentalen Naturkonstanten
Als fundamental werden Naturkonstanten bezeichnet, sie sich auf allgemeine Eigenschaften von Raum, Zeit und physikalischer Vorgänge beziehen und die für jede Art von Teilchen und Wechselwirkungen bzw. Naturgesetze gelten. Die Konstanten in den Naturgesetzen sind so stabil, dass seit Mai 2019 alle SIBasiseinheiten (Sekunde, Meter, Kilogramm, Ampere, Kelvin, Mol und Candela) durch die Naturkonstanten definiert werden. Das Internationale Einheitensystem SI (Système international d’unités) stellt das am weitesten verbreitete System für physikalische Größen dar. Die hier definierten Maßeinheiten nennt man SI-Einheiten. Das Mol ist die SI-Einheit der Stoffmenge. Sie dient unter anderem der Mengenangabe bei chemischen Reaktionen. Die Candela ist die SI-Einheit der Basisgröße „Lichtstärke“. Auch die SI-Basiseinheiten sind wie die Wechselwirkungen bzw. physikalischen Gesetze aufeinander abgestimmt. „Sie wirken, als seien sie end gewählt, um Leben im Kosmos zu ermöglichen.“ (Mäder 2020) Ihre Werte lassen sich nicht aus anderen Konstanten herleiten, umgekehrt können aus fundamentalen Naturkonstanten jedoch nachgeordnete Konstanten berechnet werden. Weder lassen sich die Wechselwirkungen bzw. physikalischen Grundkräfte und die Elemente des Periodensystems ohne Naturkonstanten beschreiben, noch ist dies umgekehrt möglich. (Vowinkel 2018) Die meisten fundamentalen Konstanten in den physikalischen Theorien „scheinen insofern das Ergebnis einer Feinabstimmung zu sein, als das Universum, würden sie nur um winzige Beträge verändert, erheblich anders aussehen“ würde. Für die Entwicklung von Leben wäre die Welt dann ungeeignet. (Hawking/Mlodinow 2010, 158) Max Planck spricht im Zusammenhang mit der Ersetzung der klassischen Physik durch die Quantenphysik von den „universellen Konstanten“ als den „eigentlichen Bausteinen der Welt“ und den „greifbarsten Zeichen einer realen Welt, welche ihre Bedeutung unverändert in das neue Weltbild hinübernehmen.“ (Planck 1967, 20) Sie sind nur das schattenhafte Abbild einer Struktur, die viel komplexer ist als das dreidimensionale Universum. (Barrow/Webb 2005, 79-85) Welche anthropischen Eigenheiten aber können wir in den Naturkonstanten erkennen?
Die Kopplungskonstante
Wie eng physikalische Gesetze/Wechselwirkungen und Naturkonstanten zusammenhängen zeigt die Kopplungskonstante. Sie bestimmt die Stärke der Wechselwirkungen. Für jede Wechselwirkung gibt es eine Kopplungskonstante. Ihr Wert ist unveränderlich. Schon wenn sie um den Wert 10-40 abweichen würde, gäbe es „keinen für Menschen gastlichen Planeten“. Mit ihrem fixen Wert ist sie für die starke Kernkraft groß genug, um Protonen und Neutronen im Atomkern aneinanderzubinden. Bei einer wesentlich schwächeren Kopplungskonstanten gäbe es nur Wasserstoff. Leben wäre ausgeschlossen. (Gale 1982, 96f.)
Das Elementare Wirkungsquantum
Max Planck bezeichnete Ende der 1920er Jahre das elementare Wirkungsquantum als Kern der Quantentheorie. Diese universelle Konstante sei ein „geheimnisvoller Bote aus der realen Welt, welcher sich bei den verschiedenartigsten Messungen immer wieder aufdrängte und immer hartnäckiger einen eigenen Platz beanspruchte, andererseits aber doch so wenig in den Rahmen des bisherigen physikalischen Weltbildes hineinte, dass es schließlich zur Sprengung des zu eng befundenen Rahmens“ führte. Einige Zeit hielten Forscher sogar einen völligen Zusammenbruch der klassischen Physik für möglich, doch im Lauf der Forschungen habe sich gezeigt, „dass es sich auch hier letzten Endes nicht um ein Zerstörungswerk, sondern um eine allerdings recht tiefgehende Umbildung handelte, und zwar um eine Verallgemeinerung. Denn wenn man das Wirkungsquantum als unendlich klein voraussetzt, so geht die Quantenphysik über in die klassische Physik.“ (Planck 1967, 19f.)
Newtons Gravitationskonstante
Die fundamentale Gravitationskonstante legt die Stärke der Gravitationskraft bzw. der entsprechenden Wechselwirkung fest. Nach Einstein bestimmt sie die Krümmung der vierdimensionalen Raumzeit und aller mit der Gravitation zusammenhängenden Erscheinungen. Sie ist für die Beschreibung astronomischer Größen und Vorgänge von fundamentaler Bedeutung und bestimmt die Eigenschaften der Welt im Großen, wie etwa die Bildung von Planetensystemen und Galaxien. (Genz 2006, 9) Wäre sie um einige Zehnerpotenzen größer, würden Sterne hauptsächlich kurzwellige, hochenergetische Strahlung wie harte UV-, Röntgen- oder Gammastrahlung emittieren. An Leben wäre nicht zu denken. Andererseits würde eine Verringerung der Gravitationskonstante zu einer entropiereichen, langwelligen Strahlung wie im Infrarotbereich führen, was eine Photosynthese oder vergleichbare Prozesse unmöglich machen würde. Wäre sie um einige Zehnerpotenzen kleiner, müssten Sterne sehr viel massereicher sein, um Kernfusionsreaktionen starten zu können. Wäre die Schwerkraft um neun Zehnerpotenzen kleiner, müsste ein Stern dafür einige Billionen Mal mehr Masse haben als unsere Sonne. Ein Stern würde die Masse einer ganzen Galaxie besitzen. Schon wenn die Gravitationskonstante um das 0,000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 1fache von ihrem tatsächlichen Wert abweichen würde, wären die Folgen in unserem Sinne katastrophal. Läge sie leicht zu hoch, hätten sich die Sterne unter der eigenen Schwerkraft zu schwach glimmenden Roten Zwergen verklumpt; wäre sie geringer, hätte dies die Sterne zu Blauen Riesen aufgebläht und sie hätten ihr Fusionsmaterial innerhalb einiger Millionen Jahre aufgebraucht. Leben wäre ausgeschlossen. (Fritsche 2015, 29)
Die Sommerfeldsche Feinstrukturkonstante
Die nach Arnold Sommerfeld benannte Feinstrukturkonstante gibt die Stärke der elektromagnetischen Wechselwirkung an. Sie legt in den Elektronenhüllen der Atome und in den Atomkernen die Energieniveaus fest. Als Kombination der Elementarladung, der Lichtgeschwindigkeit und des Planckschen Wirkungsquantums bestimmt sie, wie stark sich elektrische Ladungen anziehen oder abstoßen. Ihre Größe legt die Eigenschaften der Atome und Moleküle fest. Wäre sie größer, gäbe es keine Atome. Bereits bei einer einprozentigen Veränderung hätten sich keine Hauptreihensterne, als für die Entstehung von Leben notwendige langbrennende Energielieferanten, gebildet. (Kanitscheider 1989, 166-172) Alle sonnenähnlichen Sterne hätten sich in kühle rote oder heiße blaue Sterne verwandelt, die Leben ebenfalls verhindert hätten. (Walter 1999, 125) Bei einer Veränderung des Verhältnisses von Gravitations- und Feinstrukturkonstante um 10-40 gäbe es keine Hauptreihensterne. Könnte man das Verhältnis der Masse von Elektron und Proton sowie die Feinstrukturkonstante unabhängig voneinander ändern, alle anderen Naturkonstanten und die Naturgesetze hingegen unverändert lassen, so gäbe es keine geordneten Molekülstrukturen mehr. Hätten die Elektronen ein anderes Energieniveau, wäre es nie zu feinabgestimmten Prozessen wie der Vervielfältigung der DNS gekommen. (Barrow 2004, 156-159)
Feinabgestimmte Massen von Protonen, Neutronen und Elektronen
Eine Vorbedingung des Lebens, ja des Zusammenhalts der Materie insgesamt, ist die Gleichheit der Beträge elektrischer Ladungen von Protonen und Elektronen. Die aus Protonen und elektrisch neutralen Neutronen aufgebauten Atomkerne schließen sich wegen der gegenseitigen Anziehung mit Elektronen zu Atomen zusammen. Würden die Ladungen von Protonen und Elektronen bis auf das Vorzeichen nicht übereinstimmen, wären die Atome elektrisch geladen und würden sich abstoßen. Der Mindestwert der Protonenlebensdauer beträgt mindestens 10¹ Jahre, andernfalls wäre deren radioaktive Strahlung so groß, dass es uns nicht gäbe. Neben der Gleichheit der Beträge elektrischer Ladungen sind die Massenverhältnisse zwischen Elektron und Proton eine Voraussetzung für Leben. Sie sind ähnlich stabil wie ein Proton. Das Massenverhältnis hat sich in den letzten sieben Milliarden Jahren nicht verändert. Die Massen materiebildender Teilchen wie Elektronen, Protonen und Neutronen müssen exakt feinabgestimmte Werte haben, nur so dienen sie als atomare Bausteine unserer Moleküle als Grundlage des Lebens. (Kanitscheider 2008, 166-172) Auch hier trägt eine kontrafaktische Veränderung der Größen zum Verständnis der Bedeutung der tatsächlichen Werte bei. Könnten z. B. das Verhältnis der Masse von Elektron und Proton sowie die Feinstrukturkonstante unabhängig voneinander geändert werden, während alle anderen Naturkonstanten ihre Werte behielten, gäbe keine geordneten Molekülstrukturen und kein Leben. (Barrow 2004, 156-159) Wäre die Massendifferenz zwischen Proton und Neutron etwas größer oder kleiner, würden alle Neutronen in Protonen zerfallen oder umgekehrt. Es gäbe keine schwereren Elemente, nicht einmal Deuterium. Wären die Massen von Proton und Elektron zusammen nicht geringfügig kleiner, sondern etwas größer als die eines Neutrons, würden die Wasserstoffatome im Universum in Neutronen und Neutrinos zerfallen. Die Sonne hätte keinen Brennstoff. Sie würde kollabieren und Röntgenstrahlung freisetzen. An Leben wäre nicht zu denken (Hoyle 1984, 219f.) Wäre das Proton ein Prozent schwerer, zerfielen alle Atome. (Kaku 2005, 329) Gemeinsam bilden Protonen und Neutronen den Atomkern und sind zusammen mit dem Elektron die Grundlage der Materie. Deswegen ist es für die Entstehung
von Leben wichtig, dass mit dem Proton und dem gebundenen Neutron stabile Baryonen existieren. Gleichzeitig ist die Existenz solch stabiler Materiebausteine alles andere als eine Selbstverständlichkeit. Nach den Grundregeln der Quantentheorie könnte ein Proton mit einem Elektron reagieren und in zwei Photonen zerfallen. In diesem Fall gäbe es jedoch keine stabile Materie und keine chemischen Elemente. Das Universum wäre angefüllt mit elektromagnetischer Strahlung. Wären die Protonen um 0,2 Prozent schwerer, könnten sie in Neutronen zerfallen und die Atome destabilisieren. (Tegmark 2003, 34ff.) Von entscheidender Bedeutung ist, dass ein Neutron um 0,1 Prozent schwerer ist als ein Proton, sodass freie Neutronen zu Protonen und Elektronen zerfallen können. (Davies 2008a, 187f.) Wäre es andersherum, hätten sich alle aus dem Urknall hervorgegangenen Protonen längst in Neutronen verwandelt. Atome wären nie gebildet worden, und ohne sie auch kein Universum. Neutronen sind nur als Teil eines Atomkerns stabil. Sie zerfallen im freien Zustand schnell in Protonen, Elektronen und Neutrinos. Zur Bildung von Sternen und anderer Materie waren jedoch dauerhaft stabile Protonen erforderlich. Bei einem Massezuwachs von einem Prozent würden die Neutronen instabil und in den Atomkernen zu Protonen zerfallen. Die elektrische Abstoßung zwischen den Protonen würde die Kerne auseinanderreißen und die aus den Kernen „befreiten Protonen“ würden sich mit Elektronen zu Wasserstoffatomen verbinden. Die Folge wäre eine öde „Wasserstoffwelt“. (Vilenkin 2008, 156) Wäre die Neutronenmasse 0,2 Prozent niedriger, würde sich die Massedifferenz zwischen Protonen und Neutronen umkehren. Instabile Protonen zerfielen in Neutronen und Positronen. Die Kerne verlören ihre elektrische Ladung, und die Atome würden sich auflösen. Die ungebundenen Elektronen gingen mit den Positronen eine enge Verbindung ein. In einem „tödlichen Reigen“ würden sie um einander kreisen und sich in Photonen verwandeln. Am Ende stünde eine ,,Neutronenwelt“ aus vereinzelten Neutronenkernen und Strahlung. Wären Neutronen um ein halbes oder ein Prozent leichter, könnten sie ohne Energiezufuhr von außen nicht zerfallen. Nicht die freien Neutronen, sondern die freien Protonen wären instabil und würden zu Neutronen und Positronen zerfallen. (Davies 2008a, 187f.) Die Wasserstoffatome wären instabil und würden sich durch das Einfangen eines Elektrons aus der Atomhülle in ein stabiles Neutron verwandeln. In diesem Fall gäbe es kein Wasserstoff im Universum und kein Leben auf Kohlenstoffbasis.
(Oberhummer 2012, 185f.) Wären die Elektronen nicht viel leichter als die Protonen, gäbe es weder Festkörper noch viele der bekannten chemischen Reaktionen, weil Neutronen stabil und Protonen deshalb selten wären. Das Elektron ist leichter als das Proton. Ohne das Masseverhältnis gäbe es keine langen Kettenmoleküle von der richtigen Art und Größe, um Leben zu ermöglichen. Bereits die kleinste Änderung dieser Parameter würde Größe und Länge der Ringe der DNS so ändern, dass diese sich nicht mehr vervielfältigen könnten. Drastische Folgen für das Universum hätte es auch gehabt, wäre die Masse der Elektronen schon bei ihrer Entstehung nach dem Urknall größer gewesen als der Massenunterschied zwischen dem Neutron und dem Proton. In diesem Fall wäre ein elektrisch neutrales Universum entstanden. Die Protonen wären sofort nach ihrer Entstehung von den freien Elektronen eingefangen und neutralisiert worden. Die Welt bestünde ausschließlich aus Neutronen und Neutrinos. Da daraus aber keine Atome, geschweige denn chemische Elemente entstehen, hätten sich weder Planeten noch biologische Lebensformen gebildet. Wenn die Massendifferenz von Neutron und Proton nicht gerade gleich zweimal der Masse des Elektrons entspräche, gäbe es keine stabilen Kerne als Basis für chemische und biologische Systeme. (Kanitscheider 2008, 166-172) Radikal konstruktivistisch argumentiert Henning Genz, wenn er meint, das Massenverhältnis besitze seinen Wert nur, „weil es uns gibt“. (Genz 2006, 32) Es wird erkennbar, wie viele Voraussetzungen für Leben notwendig waren und sind. Dabei ist auch hier die Aufzählung aller Voraussetzung für intelligentes Leben längst nicht zu Ende. Es drängt sich der Eindruck auf, dass alles im Universum genau so sein musste, wie es ist. Unsere Rote Linie wäre demnach kein wundersamer Weg durch Raum und Zeit, sondern identisch mit der gesamten Evolution von Welt und Leben. Wie aber wäre dann das Zusammenspiel von Zufall und Notwendigkeit zu interpretieren? Ohne permanente Zufälle eines offenen Universums hätte sich schließlich die gestalterische Kraft der Feinabstimmungen nicht entfalten können.
Die Lichtgeschwindigkeit im Vakuum
Die Lichtgeschwindigkeit im Vakuum stellt einen Grenzwert dar, der als Maßstab dafür gilt, ob eine Bewegung im absoluten Sinn langsam oder schnell ist. Nach der klassischen Physik kann keine Information schneller als Licht übermittelt werden. Sie ist eine der grundlegenden, „von allem Treiben der Menschen unabhängige Naturkonstante“ (Barrow 2004, 43f.), begrenzt aber die Geschwindigkeit, mit der sich Menschen fortbewegen können. Das von Einstein als „spukhafte Fernwirkung“ bezeichnete quantenmechanische Phänomen stellt die Lichtgeschwindigkeit als schnellster Bewegung im Universum jedoch in Frage. Vielleicht können unsere Nachfahren ja irgendwann das von Dan Simmons in seiner Weltraumsaga „Hyperion“ entworfene Farcasternetz nutzen, bei dem mit Hilfe in das Raum-Zeit-Gefüge gestanzter Löcher Echtzeitpersonenund Gütertransporte über beliebige Distanzen möglich sind. Die Besatzungen der Raumschiffe Voyager und Enterprise nutzen die Technologie des Warp-Antriebs bei Reisen durch den Hyperraum mit mehrfacher Lichtgeschwindigkeit bereits. ESA und NASA hinken uneinholbar hinterher.
Die Materiedichte des Universums
Eine der wichtigsten Anfangsbedingungen der Welt war die Materiedichte. Sie bestimmte das Schicksal des Universums insofern, als es nur mit einer ganz bestimmten Dichte lange genug bestehen konnte, um Galaxien und Sterne zu bilden. (Trịnh 1993, 272f.) Als Berechnungsgrundlage dient die kritische Dichte, jener Wert, durch den das Universum nicht wieder durch die Gravitationsanziehung nach seiner Ausdehnungsphase in sich zusammenfiel. (Oberhummer 2012, 186) Die tatsächliche Materiedichte beträgt etwa 30 Prozent der kritischen Dichte. Zeitlich rückwärts extrapoliert bedeuten 30 Prozent der kritischen Dichte heute 99,999 999 999 999 999 Prozent der kritischen Dichte eine Sekunde nach dem Urknall. Das setzt, so Martin Rees, eine wirklich „erstaunliche Feinabstimmung“ voraus. (Zit. b. Haisch 2018, 82f.) Wäre die Materiedichte etwas kleiner, hätten sich wegen der rasch zunehmenden Verdünnung keine Sterne und Planeten gebildet. Das Universum bestünde aus einer „Wolke voneinander separierter Fundamentalteilchen“. Der Wert der Materiedichte durfte sich eine Sekunde nach dem Urknall um nicht mehr als 10¹⁵ von eins unterschieden haben, um eine Welt zu ermöglichen, die nicht wieder implodiert oder sich zu schnell ausdehnt. Wäre die Materiedichte kleiner als 10 gewesen, hätte sich das primordiale Gas nicht zu Strukturen wie Planeten, Sternen, Galaxien und Galaxienhaufen verdichtet. (Oberhummer 2012, 186f.) Wäre die Materiedichte mit der kritischen Dichte identisch, würde sich das Universum immer langsamer ausdehnen, bis es zum Stillstand käme. Es ist erstaunlich, so Trịnh Xuân Thuận, dass die Dichte des Universums der kritischen Dichte so nahekommt, „obwohl sie ebenso gut tausend- oder gar Milliarden mal kleiner oder größer hätte ausfallen können“. Sie wurden so „perfekt abgestimmt“, dass die kosmische Evolution genügend Zeit hatte, um sich „zur Stufe der Intelligenz vorzuarbeiten“. (Trịnh 1993, 273)
Die Kosmologische Konstante
Die Kosmologische Konstante, aus Einsteins allgemeiner Relativitätstheorie als Vakuumenergie bekannt, beschreibt Kraft und Beschleunigung des expandierenden Universums. Sie hängt von Lichtgeschwindigkeit, Gravitationskonstante sowie Energiedichte des Vakuums ab und beschreibt die Gravitation als geometrische Krümmung der Raumzeit. Ihr Wert ist 10122mal kleiner als alle anderen grundlegenden Größen des Universums. (Jenkins/Perez 2010, 26f.) Stephen Hawking und Leonard Mlodinow nennen sie den „eindrucksvollsten Zufall in Sachen Feinabstimmung“. (Hawking/Mlodinow 2010, 160) Die Grundenergie des Vakuums setzt sich aus verschiedenen Teilbeträgen zusammen, zum Beispiel der Energie der Quantenfluktuationen des Gravitationsfeldes mit Wellenlängen oberhalb der Planck-Länge von 10-33 Zentimetern. Die unglaublich exakte Abstimmung der Vakuumenergie hat Einfluss auf die beobachtbare kosmische Expansionsgeschwindigkeit. (Walter 1999, 125) Dank ihres niedrigen Wertes kollabierte weder das Universum bereits Sekundenbruchteile nach dem Urknall, noch wurde es durch eine exponentiell beschleunigte Expansion zerrissen. (Jenkins/Perez 2010, 26f.) Weil bei der Expansion des Universums „das geringste Ungleichgewicht in eine Richtung sich ins Ungeheure“ gesteigert hätte, musste das anfängliche Gleichgewicht bis auf eins zu 10⁵ exakt sein, also eine Eins geteilt durch eine Eins mit 59 Nullen. Hätte es beim Urknall eine geringere ursprüngliche Energie gegeben, wäre das Universum zwangsläufig kollabiert. (Gingerich 2012, 60f.) Laut Stefan Bauberger sind auch die kosmologischen Parameter feinabgestimmt. Die Massedichte im Universum, die kosmologische Konstante und die Fluktuationen der Massedichte seien „in empfindlicher Weise so abgestimmt, dass Leben gerade möglich ist“. (Bauberger 2003, 202) Wäre die Kosmologische Konstante um etwas mehr als einen Faktor 1 000 größer als er nach heutigen Beobachtungen maximal sein kann, hätte sich die Welt so schnell ausgedehnt und das interstellare Medium sich so rasch verdünnt, dass keine Sterne und Planeten hätten entstehen können. (Oberhummer 2012, 187) Die von ihr erzeugte Antigravitation hätte die Welt zersprengt. Jedes Materieteilchen wäre „auf ewig einsam und allein durch die Weiten getrieben“. Es gäbe weder
Galaxien, noch Sterne und Planeten oder uns „neugierige Humanoide“ (Fritsche 2015, 29) Auch wenn die Kosmologische Konstante umgekehrt negativ wäre, hätte das Universum in einem heftigen Endkollaps ein so rasches Ende gefunden, dass dem Leben Zeit gefehlt hätte, sich zu entwickeln. Die Auswirkungen einer negativen Konstante wären sogar noch verheerender als ein zu großer Wert. Die Gravitation des Vakuums hätte anziehend gewirkt, und die Dominanz des Vakuums zu einer raschen Kontraktion und zum Kollaps geführt. Auffällig ist es für Alexander Vilenkin, dass während des größten Teils der Geschichte des Universums die Materie einen auffallend anderen Dichtewert als das Vakuum hatte. Wir würden jedoch zum Glück in der Phase des Universums leben, in der beide Werte nahe beieinanderliegen. „Angesichts des gewaltigen Spektrums möglicher Variationen der Materiedichte“ sei dies so außergewöhnlich, dass es schwerfalle, es als Zufall abzutun. Es scheine, als wolle die Natur uns etwas sagen. „Wie es ihre Art ist“, weigere sie sich jedoch, uns die Erkenntnis leicht zu machen. „Warum sollte eine der fundamentalen Naturkonstanten wie die Kosmologische Konstante exakt zu der Zeit mit der Materiedichte zusammenhängen, in der zufällig auch wir Menschen anwesend sind?“ Noch merkwürdiger sei es, dass Jahre vor diesen Beobachtungen eine Kosmologische Konstante ungleich Null vorausgesagt wurde die nicht weit vom heute gemessenen Wert entfernt lag. Da diese Voraussage auf dem Anthropischen Prinzip basierte, mieden die meisten Physiker, die „etwas auf sich hielten“, sie „wie die Pest“. Der Wert aus den Daten für die Kosmologische Konstante erschien den meisten Teilchenphysiker und Kosmologen als „so dubios“, dass sie „sich weigerten ihm zu glauben und hofften, er werde sich irgendwie in Luft auflösen“. Vilenkin selbst spricht vom „rätselhaftesten Fall von Feinabstimmung in der Physik“. Verschiedene Anteile der Vakuumenergiedichte würden sich „zusammenrotten, um einander mit einer Exaktheit von eins zu 10¹² aufzuheben“. (Vilenkin 2008, 150f., 162 u. 165f.) Nur die tatsächliche Größe der Kosmologischen Konstante und der anderen Konstanten und Wechselwirkungen schuf die erforderlichen Anfangsbedingungen der Welt. Dabei hätte es durchaus andere Entwicklungen geben können. Die Größen stellen nur eine von 10¹ ¹ ² möglichen Varianten eines Universums dar. Wir Menschen sind „eine der unendlich vielen Möglichkeiten“, die „das Nichts des Quantenvakuums in sich barg und welches die kosmische Realität Jahrmilliarden später aus dem kreativen Nichts wie beiläufig und scheinbar zufällig für kurze, wenn auch noch andauernde Zeit,
Wirklichkeit werden ließ“. (Lesch/Zaun 2008, 14-16, 204-206) Paul Steinhardt meint, da bisher im Standardmodell des Urknalls kein theoretischer Mechanismus gefunden wurde, der den geringen Wert der Kosmologischen Konstante erklärt, seien einige Physiker „voller Verzweiflung“ auf die „gefährliche Idee“ gekommen, „dass wir vielleicht in einem speziellen, anthropisch selektierten Universum leben“. (Steinhardt 2009, 153-156)
Weitere Naturkonstanten und die Feinabstimmung der Quarks
Außer den Schlüssel-Koinzidenten, d. h. dem zeitlichen und/oder räumlichen Zusammenfallen von Ereignissen oder Zusammentreffen von Objekten, die zu einem „genau richtigen“ Universum führten, gibt es weitere Konstanten, die ebenfalls Voraussetzungen für unsere Entstehung waren. (Haisch 2018, 213) Insgesamt sind 37 Naturkonstanten bekannt, die sich meist aus den fundamentalen Naturkonstanten ableiten lassen. So ist der Bohrsche Radius, eine für die Atomphysik maßgebliche Konstante, aus dem Planckschen Wirkungsquantum, der Lichtgeschwindigkeit, der Elementarladung und der Masse des Elektrons abgeleitet. Von Bedeutung für das Leben ist auch die Feinabstimmung der Raum-Dimensionen. Theoretisch könnte ein Universum beliebig viele haben, mathematisch sind auch fraktale Dimensionen vorstellbar. Aus dem Anthropischen Prinzip lässt sich jedoch herleiten, dass es, weil wir leben, einen dreidimensionalen Raum und eine eindimensionale Zeit gibt. Wäre die Zahl der Raum- und Zeitdimensionen größer oder geringen, wäre Leben unmöglich. (Vaas 2004, 383) Planeten in einem Raum aus mehr als drei Dimensionen könnten ihren Heimatstern nicht in stabilen Bahnen umrunden. Bei weniger als drei Dimensionen könnten komplexe neuronale Netzwerke nicht entstehen. (Bloom/Zaun 2004, 77f.) Wir wären platt wie Flundern. Bekannt ist, dass die sechs bekannten Quarks eine Massenbandbreite haben, von denen das schwerste etwa 60 000mal massiver ist als das leichteste. Erklären kann dies niemand und keiner weiß, ob diese Werte ausschlaggebend für den Ursprung des Lebens sind. Denkbar ist aber, dass die Feinabstimmung bei den Quarks sogar noch weiter gehen könnte. (Haisch 2018, 213)
Sind die Feinabstimmungen der Naturkonstanten Hinweise auf das Wirken einer schöpferischen Kraft?
Von den wundersamen Feinabstimmungen der Naturkonstanten zur Frage nach dem Wirken eines wie auch immer gearteten Schöpfers und Lenkers ist es nur ein Schritt, insbesondere, da auch die Feinabstimmungen der physikalischen Gesetze bzw. Wechselwirkungen manchen Physikern ohne göttliches Wirken schwer oder gar nicht erklärbar scheinen. Auch hier ermöglicht ein Blick auf Äußerungen von Experten bemerkenswerte Dinge. Von Einstein ist die Aussage überliefert, Gott habe bei der Schaffung der Naturkonstanten hinsichtlich ihrer Werte keine Wahl gehabt. Planck, der vom Wirken Gottes spricht, meint hingegen, so wie alle Fragen der Ethik der Naturwissenschaft fremd seien, so wäre umgekehrt „die Größe der universellen Naturkonstanten für die Religion ohne jede Bedeutung“. (Planck 1986, 37) Laut Wolfgang Achtner kann man das Anthropische Prinzip als „unverhoffte moderne Argumentationsstütze einer biblisch legitimierten natürlichen Theologie“ im Sinne von Römer 1,19 sowie der Apostelgeschichte 17 und 23-31 als auch der Weisheit der Hebräischen Bibel verwenden. Wie die Schöpfung selbst hätten die Feinabstimmungen „Hinweischarakter auf den transzendenten Schöpfergott, aber keinen Beweischarakter“. (Achtner 1993, 202f.) Arnold Benz rät ab, die Feinabstimmung der Welt über zu bewerten. Allerdings könne sie uns „hellhörig für Wahrnehmungen göttlichen Wirkens im Alltag“ machen, „der uns manchmal ebenso fein abgestimmt erscheint.“ Bisher hätten die Naturwissenschaftler „keine göttlichen Fingerabdrücke“ gefunden, die einen Schöpfer eindeutig identifizierten. Die Feinabstimmung sollte aber „weder als naturwissenschaftlicher Gottesbeweis postuliert noch als solcher bekämpft werden“. Schließlich gebe es auch für andere physikalische Grundlagen, wie zum Beispiel den Energieerhaltungssatz der Thermodynamik, keine kausale Erklärung. (Benz 1997, 113-116) Die Feinabstimmung lässt sich, so Stefan Bauberger „einfach so verstehen, dass das Universum planvoll so geschaffen ist, dass Leben, und sogar menschliches Leben, entstehen“ konnte. Es sei naheliegend, die Entstehung des Universums als Schöpfung durch einen Gott zu verstehen. (Bauberger 2003, 203) John David
Barrow findet die feinabgestimmten Naturkonstanten dank seines „Gottvertrauens“ einleuchtend. Es sei durchaus möglich, einen Gottesbeweis auf die Größen der Naturkonstanten zu stützen. (Barrow 2004, 49, 151f.) Die Gegebenheiten, die das Anthropische Prinzip beschreibt, scheinen, so Medard Kehl, „im Licht der Schöpfungstheologie zwanglos verständlich zu werden.“ Wenn Gott uns wollte, musste er die Bedingungen entsprechend einrichten. Dies erkläre die Feinabstimmung der Naturkonstanten. (Kehl 2006, 313) Auch laut Richard Swinburne gibt es für theistische Gläubige „eine einfache Letzterklärung, weshalb die Dinge so sind“. (Swinburne 2006, 59) Selbst Alexander Vilenkin geht aus der Deckung, wenn er meint, die Feinabstimmung der Konstanten könne man „vielleicht“ so interpretieren, dass ein Schöpfer sie „sorgfältig justiert“ habe, um Leben und Intelligenz zu ermöglichen. „Hätte der Schöpfer die Regler nur ein wenig anders eingestellt, sähe das Universum völlig anders aus. Aller Wahrscheinlichkeit nach wären dann weder wir noch sonst irgendwelche Lebewesen zugegen, um es zu bestaunen.“ Man könne sich nach einer Metapher von Craig Hogans den Schöpfer gut vorstellen, „wie er am Kontrollpult des Universums sitzt und an verschiedenen Knöpfen dreht, um die Werte der Konstanten zu regulieren.“ (Vilenkin 2008, 153-158) Auch Paul Davies greift dies auf und meint, es sehe so aus, als hätte „der Schöpfer der vielen segensreichen Koinzidenten in der Physik und Kosmologie beim Drehen an den Knöpfen seiner Maschine große Sorgfalt walten“ lassen. Hätte er dies unterlassen, wäre die Welt ein unwirtlicher Platz geworden. (Davies 2008a, 188f.) Armin Kreiner schließt ebenfalls nicht aus, dass sich die Feinabstimmungen einem „transzendenten Schöpfer“ verdanken. (Kreiner 2011, 116f.) Als „Fingerabdruck Gottes“, so Heinz Oberhummer, würden viele Kosmologen respektvoll die beobachteten Temperaturschwankungen der Hintergrundstrahlung bezeichnen. Diese gäben Auskunft über die Schöpfungsgeschichte der Welt. Erstaunlicherweise stimmten die Werte der Hintergrundstrahlung mit der Inflationstheorie überein. Hier habe „wirklich der Himmel gesprochen“. Es sei „äußerst unwahrscheinlich, dass die fein abgestimmten Werte für das Leben zufällig sein sollten“. Er könne sich „keine mathematische Theorie oder irgendein naturwissenschaftliches Konstrukt vorstellen, die oder das als Ergebnis solch extrem fein abgestimmte Zahlenwerte liefern“ könnte. (Oberhummer 2014, 156-159.) Die Stellungnahmen können jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass es die
meisten Wissenschaftler kategorisch ablehnen, die Feinabstimmungen auf die Planung einer wie auch immer gearteten geistigen Macht zurückzuführen. Viktor Feitzinger meint, der Nachteil einer solchen Herleitung bestehe darin, dass der naturwissenschaftliche Erklärungsrahmen verlassen werde. So bleibe „unbeantwortet, weshalb das transzendente Wesen gerade die lebensdienliche Feinabstimmung unseres Kosmos gewählt hat und keine andere“. (Feitzinger 2002, 138f.) Für Martin Neukamm spricht die Notwendigkeit eines „Finetunings“ gegen die Annahme eines Schöpfers. Hätte dieser Leben hervorbringen wollen, bräuchte er dafür keine exakte Einstellung der Naturkonstanten. Um die richtigen Bedingungen zu erschaffen, würde es reichen „ein paar Wunder“ geschehen zu lassen. (Neukamm 2015) Für Rüdiger Vaas leiden alle anthropozentrischen teleologischen Ansätze an einer „Überdetermination“. Eine kosmische Lebensstätte für die Menschen wäre mit „viel geringerem Aufwand“ zu haben gewesen. „Ein lokales Arrangement der Materie“ wie im Sonnensystem oder der Galaxis, hätte völlig ausgereicht. Das riesige, vielleicht unendlich große Weltall wäre dafür unnötig. (Vaas 2006) Auch Stephen Hawkings meint, es sei „nur ein wenig Feinabstimmung nötig“ gewesen, um Menschen möglich zu machen. (Hawking 2005, 20) Sarkastisch fragt Michael Schmidt-Salomon, warum ein Universum existiert, das in weiten Teilen keinerlei Leben ermöglicht, wenn es doch „eigentlich nur um das Seelenheil jener affenartigen, auf zwei Beinen laufenden Säugetiere geht, die einen winzig kleinen Planeten am Rande der Milchstraße bewohnen“. Hätte es für die den Menschen unterstellten Zwecke nicht völlig ausgereicht, „eine kleine Scheibe mit darüber gewölbtem Firmament zu erschaffen - etwa so wie sich die Verfasser des biblischen Schöpfungsmythos die Welt vorstellten?“ (SchmidtSalomon 2005, 5) Für wieder andere Wissenschaftler stellen die Werte der Konstanten das Ergebnis zufälliger Prozesse bei der Entstehung der Welt dar. (Barrow/Webb 2005, 79-85) Demnach wäre das gesamte Universum mit all seinen Eigenschaften „ein gigantischer, wahrhaft kosmischer Zufall“. (Vaas 2006) Der Mensch verlöre sich in diesem Szenario „in der teilnahmslosen Unermesslichkeit des Universums, aus dem er durch Zufall hervorgegangen ist“. (Trịnh 1993, 274f.) Falls alles zufällig geschehen sei, gebe es, so Bernulf Kanitscheider, hinter den Feinabstimmungen keine „Art von verborgenem Sinn“. (Kanitscheider 2008, 172f.)
Die Feinabstimmung der Elemente, von Materie und Antimaterie sowie von Dunkler Energie und Dunkler Materie
Die Elemente des Periodensystems
Nicht nur die Wechselwirkungen und Naturkonstanten sind fein aufeinander abgestimmt, sondern auch die beim Urknall und später gebildeten Elemente. Max Planck spricht von etwas Wunderbarem, dass sich in der Existenz und Struktur der Elemente verberge. Es sei „ein unbezweifelbares Ergebnis“ der Physik, dass diese elementaren Bausteine „sämtlich nach einem einzigen Plan aneinandergefügt“ erkennen lassen, dass in allen Vorgängen „eine universale, uns bis zu einem gewissen Grad erkennbare Gesetzlichkeit“ herrsche. (Planck 1986, 30f.) Ähnlich stehen laut Paul Davies die Physiker staunend vor den Zahlenwerten der Masse der Elementarteilchen und hoffen, es möge „irgendwann einmal gelingen, die Zahlenwerte aus tief verborgenen mathematischen Prinzipien abzuleiten, die mit einer tragfähigen physikalischen Theorie verknüpft“ werden können. Vorher müsse die Physikerzunft die Zahlen als vorgegeben akzeptieren, sie „anstarren“ und sich fragen, was sie für das Leben bedeuten. (Davies 2008a, 187, 282f.) Beim Wundern über die überraschenden Größen der Feinabstimmungen nicht nur bei den Elementen muss in Betracht gezogen werden, dass es in anderen Zählsystemen andere, möglicherweise gerade Zahlen geben könnte, die nicht mehr so merkwürdig erscheinen. In der angelsächsischen Welt beträgt eine Meile 1 609,34 Meter, ein Zoll 0,025 4 Meter, ein Fuß 0,3 048 Meter und ein Yard 0,9 144 Meter. Britische Forscher könnten sich über die komischen Meter-Angaben wundern und eine Absicht dahinter vermuten.
Das Verhältnis von Materie und Antimaterie
Auch bei der Entstehung von Materie und Antimaterie waren die Größen ihrer Werte fein aufeinander abgestimmt und beim Urknall bis auf einen milliardstel Bruchteil gleich groß. Es gab eine extrem geringe Differenz zugunsten der Materie, aus der wir entstanden. Das heißt, dass es pro 30 000 000 AntimaterieTeilchen 30 000 001 Materie-Teilchen geben musste. Aus dem jeweils einem Teilchen, das von den je 30 000 000 Millionen übrigblieb, bildete sich die Welt. Diese 0,000 001 Promille der Materie überstand als Einzige „das Feuerwerk“, bei dem sich Materie und Antimaterie gegenseitig auslöschten. Die verschwindend wenigen Teilchen stellten der Grundstock für Galaxien, Sterne und Planeten dar. (Fritsche 2015, 18) Die Baryonenasymmetrie, wie die Vorherrschaft der Materie genannt wird, lässt sich mit dem Standardmodell der Physik nicht erklären. (Kane 2003, 26f.) Das Universum traf einfach die Wahl, lieber Materie als Antimaterie zu werden. (Reeves 1986, 42f.) Auch das Leben ist die Folge des minimalen Überschusses der Materie. Warum die Antimaterie nicht ganz ausgelöscht wurde, ist unklar. Der Wert der mittleren Dichte des Universums aus normaler und dunkler Materie ist jedenfalls „eine entscheidende Größe in Bezug auf anthropische Überlegungen“, (Oberhummer 2012, 186) was heißt, dass es uns nur wegen eines winzigen Überschusses an Materie gibt. (Haisch 2018, 88f.)
Dunkle Materie und Dunkle Energie
Dunkle Materie ist nicht sichtbar, aber durch Gravitation erkennbar. Die Experten gehen von ihrer Existenz aus, weil nur so die Bewegung der sichtbaren Materie erklärt werden kann. Die Dynamik von Galaxienhaufen und der Gravitationslinseneffekt legen ihre Existenz nahe. Die Dunkle Materie spielte eine wichtige Rolle bei der Strukturbildung im Universum und bei der Entstehung der Galaxien. Wahrscheinlich ist der Anteil der Dunklen Materie an der Masse-Energie-Dichte im Universum etwa fünfmal so groß wie jener der sichtbaren Materie. Weil sich normale Materie und Dunkle Materie kurz nach dem Urknall „wahrscheinlich durch radikal unterschiedliche Prozesse“ bildeten, ist kein Grund ersichtlich, warum das Verhältnis ihrer Größen zueinander so sein muss, wie es ist. Dunkle Materie hätte die gewöhnliche Materie ebenso gut um das Tausend- oder Millionenfache übertreffen können. Dank ihrer Existenz „verbuchen wir einen weiteren glücklichen Zufall“, der die Bildung von Leben auf der Erde erst ermöglichte. (Haisch 2018, 84f.) Eine weitere feinabgestimmte Größe, ohne die es kein Leben gäbe, ist die Dunkle Energie. Sie entstand, als das Universum 10-35 Sekunden alt war. (Ostriker/Steinhardt 2003, 75-81) Zunächst konnte sie in physikalischen Modellen nicht zugeordnet werden. Dann zeigte sich aber, dass im Universum, nicht wie erwartet, eine Verlangsamung durch gravitative Selbstanziehung eintrat, vielmehr beschleunigt die Dunkle Energie die Ausdehnung. Niemand weiß, was sie ist und wie sie es schafft, die Gravitation auszuhebeln und „die Dinge auseinanderzuschieben“. Praktisch verhält sie sich jedoch wie eine AntiSchwerkraft. Das Rätsel wird dadurch noch größer, dass die Dunkle Energie 70 Prozent des Universums ausfüllt. (Haisch 2018, 84f.) Andererseits ist ihr gemessener Wert 10120mal kleiner als der natürliche Wert, den die theoretische Physik fordert. Die Gründe dafür liegen „völlig im Verborgenen“. Wäre der Wert 10¹¹ statt 10120mal kleiner, gäbe es kein Leben. Davies nennt die Dunkle Energie das „größte Wunder an Feinabstimmung“. (Davies 2008a, 188f., 194) Umgekehrt hätte eine geringfügige Erhöhung der Menge der Dunklen Energie die Welt zu einem riesigen Raum ohne Sterne, Galaxien, Planeten und schwereren Elemente aufgeblasen. (Haisch 2018, 84f.) Steven Weinberg verweist darauf, dass die Dunkle Energie die Entstehung der Galaxien verhindert
hätte, wäre sie nur ein wenig stärker gewesen. Bekannt ist, dass die Dunkle Energie fast zehn Milliarden Jahre nach dem Urknall begann, die Ausdehnung des Universums immer mehr zu beschleunigen. „Ist es nicht ein seltsamer Zufall“, so Jeremiah Ostriker und Paul Steinhardt, „dass das Universum just dann, als denkende Wesen sich entwickelten, in den Schnellgang schaltete? Irgendwie scheinen die Schicksale von Materie und Dunkler Energie miteinander verknüpft zu sein. Aber wie? Wenn es sich bei der Dunklen Energie um Vakuumenergie handelt, ist der Zufall praktisch unerklärlich.“ (Ostriker/Steinhardt 2003, 75-81)
5. Das Anthropische Prinzip
Das Anthropische Prinzip und der Mensch als Beobachter der Welt
Geprägt wurde der Begriff „Anthropisches Prinzip“ 1970 durch Brandon Carter. Es verknüpft die Eigenschaften des beobachtbaren Universums mit der Notwendigkeit der Existenz eines bewussten Beobachters, der diese Welt erkennen kann. Aus dem Anthropischen Prinzip lassen sich Einschränkungen für die Werte der Naturkonstanten herleiten, (Vowinkel 2018) umgekehrt sind die feinabgestimmten Konstanten, Gesetze und Elemente die Realität, auf die sich das Postulat des Anthropischen Prinzips bezieht. Es bringt, so Armin Kreiner, nichts anderes zum Ausdruck „als die Verblüffung angesichts der Feinabstimmung“. (Kreiner 2011, 116f.) Stefan Bauberger findet, den Begriff „Anthropisches Prinzip“ nicht gut gewählt, „Anthropische Feinabstimmung“ wäre ender. (Bauberger 2003, 202) HansJürgen Fischbeck meint, die „Feinabstimmung der Faktifizierungen aus der umfassenden Potenzialität des primordialen Quantenvakuums“ sei „schon in den ersten Sekundenbruchteilen der Existenz des auf diese Weise realisierten Kosmos“ in der Form eines neuen kosmologischen Prinzips gefasst worden, des Anthropischen Prinzips. (Fischbeck 2005, 109) Es besagt, dass das Universum nur deshalb beobachtet werden kann, weil es das Leben von Beobachtern ermöglicht. Damit berührt es die Frage nach dem Sinn menschlicher Existenz an zentraler Stelle. Seit seiner ersten Formulierung fand es „angesichts der heutigen allgemeinen Unsicherheit und Orientierungslosigkeit“ in Physik, Philosophie und Religion, viel Aufmerksamkeit. Je mehr Informationen über das Universum bekannt wurden, desto eindringlicher empfanden viele Menschen das, was Blaise Pascal mit den Worten ausdrückte: „Das ewige Schweigen der unendlichen Räume lässt mich schaudern.“ Das Anthropische Prinzip ist für Rüdiger Vaas das Resultat einer Gegenbewegung zu dieser „kosmischen Kränkung“. Es dient als „wissenschaftlich legitimierter Balsam“ für das in vielerlei Hinsicht „gekränkte oder desillusionierte menschliche Selbstbewusstsein“ (Vaas 2004, 396f.) und trägt, so Bernulf Kanitscheider, zur längst vergessenen „starken Verankerung der Menschen im Kosmos“ bei. (Kanitscheider 1989, 174f.) Viele sehen in ihm die „letzte Zuflucht des menschlichen Geistes“, um sich „eines sinnvollen Kosmos zu versichern“. (Feitzinger 2004, 59) Timothy Ferry
beschreibt es als etwas, „das unsere Existenz berücksichtigt, ohne anzunehmen, dass sonst irgend etwas Besonderes an uns ist“. Es nehme die menschliche Existenz als gegeben hin und suche das Universum nach Hinweisen darauf ab, welche für die Existenz von Leben wichtig sind. Sein Ziel sei es, den Kosmos nicht als unpersönliche Maschine, sondern mit John Wheeler als „Heimat für Menschen“ zu sehen. (Ferris 2000, 353) Es verhalf zu der Einsicht, dass die Wissenschaft der letzten drei Jahrhunderte den Menschen in den Hintergrund gerückt und ihn dadurch der Welt, in der er lebt, entfremdet hat.
Die universelle Gültigkeit des Anthropischen Prinzips sowie die Hypothese der Einmaligkeit irdischer und der Unwahrscheinlichkeit außerirdischer Intelligenz
Es wäre fragwürdig, das Anthropische Prinzip, trotz seines Namens, nur auf uns Menschen zu beziehen. Ein solcher Neo-Geozentrismus und Anthropozentrismus sei, so John Horgan, höchst unwahrscheinlich und würde zu Recht als Hybris gedeutet werden. „Der kühle, harte Skeptiker“ in ihm lehne den Neo-Geozentrismus als genau die Art eines „geistig verschwommenem Mystizismus“ ab, von dem uns die Wissenschaft gerade erst befreit habe. Er verkörpere lediglich „die Projektion unserer Ängste und Hoffnungen, unsere Sehnsucht nach Bedeutung“. (Horgan 2020) Zynische Worte findet erneut Michael Schmidt-Salomon. Die Erde sei „nichts weiter ist als ein Staubkorn im Weltall“, auf dem „eine affenartige Lebensform, die sich zufällig auf diesem Staubpartikel entwickelt“ hat, „Geschichten erfindet, die davon handeln, dass das gesamte Universum letztlich nur für sie geschaffen wurde“. Es sei Ausdruck „eines kaum noch steigerungsfähigen Größenwahns, wenn sich diese Trockennasenaffen-Art, die ihre Existenz dem zufälligen Überleben rattengroßer Ursäuger nach dem Einschlag eines zehn Kilometer großen Asteroiden vor fünfundsechzig Millionen Jahren verdankt, sich einen imaginären Schöpfer des Universums (Gott) einbildet, der nichts Besseres zu tun hat, als sich ausgerechnet in Gestalt dieser Affenart zu inkarnieren (Christentum) oder aber mit Argusaugen darüber zu wachen, ob diese vorübergehende Lebensform auf ihrem unbedeutenden Planetchen Schweinshaxen isst oder nicht.“ Der von Richard Dawkins formulierte Begriff eines „Gotteswahns“ sei „fast schon zu harmlos, um diesen atemberaubenden Blödsinn zu fassen“. Der Mensch sollte sich endlich „von der Hybris befreien, etwas ganz Besonderes zu sein oder gar im Mittelpunkt des kosmischen Weltgeschehens zu stehen“. Die anthropozentrische Vorstellung sei angesichts der realen Verhältnisse im Kosmos von einer geradezu „grandiosen Lächerlichkeit“. (Schmidt-Salomon 2010, 306f.) Vermittelnd meint Paul Davis, der Mensch spiele durchaus eine wichtige Rolle im Universum, „nicht in der Mitte, doch auch nicht am Rand“. Die Welt sei allerdings nicht für den Menschen erschaffen und der Mensch „nicht der Mittelpunkt der Schöpfung“. Er sei aber auch „nicht vollkommen unbedeutend“.
(Davies 1996a, 154) In der Tat ist es wenig plausibel das universelle Anthropische Prinzip allein auf uns Menschen zu beziehen. Wie die Sonne nicht nur auf die Erde, sondern nach allen Seiten scheint, so wenig bezieht sich das Anthropische Prinzip allein auf uns. Es ist ein auf physikalischen Gesetzen und Naturkonstanten basierendes Wirkungsprinzip im gesamten Universum. Würde es nur für uns Menschen gelten, hieße das, es gebe eine singuläre physikalische Sondergesetzgebung für die Erde und uns. Jans-Joachim Blome und Harald Zaun stellen deswegen die Auffassung in Frage, wonach Homo sapiens die einzige intelligente Lebensform in den Tiefen des Kosmos sei. Müsste es im isotropen und homogenen Universum nicht von „Leben verschiedenster Art nur so wimmeln? Sind sie nicht allesamt selbst dem Big Bang entsprungen?“ (Blome/Zaun 2004, 85) Zwar wissen wir nichts über andere Rote Linien hin zu intelligenten Lebensformen irgendwo in den unendlichen Weiten des Alls, können aber, wenn wir von einer universellen Wirkkraft des Anthropischen Prinzips ausgehen, annehmen, dass wir nicht die einzigen mehr oder weniger nachdenklichen Beobachter und Deuter im All sind. Wie häufig aber, wo und wie bewirkten die feinabgestimmten Gesetze und Konstanten im Universum mit seinen aber und aber Milliarden Galaxien und Sternen die Entstehung selbstbewussten Lebens? Nach bisheriger Kenntnis extrem selten. Aber was heißt das schon in einem Universum, dessen Dimensionen wir nicht einmal erahnen können? Quer durch alle Disziplinen dominiert die Auffassung, die Entstehung intelligenten Lebens sei extrem unwahrscheinlich und habe sich wohl nirgendwo anders als auf der Erde ereignet. Hier einige Stellungnahmen, grob chronologisch sortiert: George F. R. Ellis meint, die Existenz intelligenten Lebens stelle „eine unglaublich unwahrscheinliche Eventualität dar“, und dies sowohl hinlänglich „der Verträglichkeit möglicher Strukturen intelligenten Lebens mit den lokalen Gesetzen der Physik, als auch in der Wahrscheinlichkeit ihrer Evolution“. (Zit. b. Breuer 1981, 28) Für Stephen Jay Gould ist der Mensch ein Objekt, ein Detail der Geschichte, nicht aber die Verkörperung allgemeiner Prinzipien. (Gould 1991, 361f.) Paul Davies meint, es sei angesichts unserer Existenz eine Tatsache, dass es intelligentes Leben gibt. „Die höchst unwahrscheinlichen Schritte“ auf dem Weg dorthin seien mindestens einmal abgelaufen. Unsere Intelligenz basiere daher auf einer „unwahrscheinlichen Reihe von Zufällen“, die sich kaum irgendwo wiederholt haben dürften. (Davies 1996, 82f., 92f.) Ken Croswell verweist darauf, dass es selbst unter der unmittelbaren Verwandtschaft der
Menschen, wie etwa den Neuweltaffen, kaum Ansätze zur Herausbildung selbstbewusster Intelligenz gab. Primitive Lebensformen hätten sich nicht zwangsläufig zu höheren Organismen entwickelt. (Croswell 1997, 282f.) Ulrich Walter meint, wenn es uns nicht gäbe, wäre unserer Existenz „extrem unwahrscheinlich“. (Walter 1999, 125f.) Laut Ian Crawford beruht die Entwicklung menschlichen Lebens auf einer Reihe zufälliger Ereignisse, von denen einige kaum wahrscheinlich sind. (Crawford 2000, 32ff.) Für Ian Tattersall sind wir „zufällige Reisende, auf wundersamen Pfaden unterwegs im Reich der Natur“. (Tattersall 2002, 56) Stephen Hawkins hält die Evolution des Lebens zur Intelligenz für unwahrscheinlich. Eher denkbar sei eine Entstehung primitiven Lebens ohne Intelligenz. (Hawking 2005, 25f.) Ein „weiterer wichtiger Sprung, der möglicherweise ähnlich unwahrscheinlich war“ wie die Entstehung des Lebens, könnte, so Richard Dawkins, die Entstehung des Bewusstseins gewesen sein. „Alles- oder-NichtsEreignisse wie diese“ ließen sich möglicherweise mit dem Anthropischen Prinzip erklären: „Es mag Milliarden Planeten geben, auf denen sich Leben auf dem Niveau von Bakterien entwickelte, aber nur ein winziger Bruchteil dieser Lebensformen schaffte jemals den Sprung zu einem Gebilde wie der Eukaryotenzelle. Und von diesen wiederum überschritt ein noch kleinerer Anteil den Rubikon zum Bewusstsein. Wenn es sich in diesen beiden Fällen um Allesoder-Nichts-Ereignisse handelt, haben wir es hier, anders als bei der normalen, alltäglichen biologischen Anung nicht mit einem allgegenwärtigen, umfassenden Prozess zu tun“. Die Aussage des Anthropischen Prinzips dazu laute: „Da wir lebendige Eukaryoten sind und ein Bewusstsein haben, muss unser Planet zu den wenigen gehören, auf denen alle drei Lücken überbrückt wurden.“ (Dawkins 2007b, 197f.) Es gibt, so Stephen Jay Gould, in der Natur nicht nur keine eingebaute Entwicklung zu höherer Komplexität, sondern erst recht keine zur Intelligenz. Nirgendwo in der DNS irgendwelcher Lebewesen sei dies vorgegeben. Vielmehr sei sie außerordentlich unwahrscheinlich. Unter den führenden Evolutionsbiologen, so Ulrich Walter, herrsche „Konsens, dass die Entwicklung zu einer dem Menschen vergleichbaren Intelligenz so unwahrscheinlich“ sei, dass sie „kaum auf einem zweiten Planeten in unserem sichtbaren Universum stattgefunden“ haben könne. (Walter 2008, 231) Christian de Duve zeigt sich davon beeindruckt, wie „unglaublich unwahrscheinlich“ die Entwicklung intelligenten Lebens sei. Es müsse davon ausgegangen werden, dass wir im Universum „einzigartig und einsam“ sind. Der Grund, warum viele
Evolutionsforscher das intelligente Leben für singulär halten, liege darin begründet, dass die Menschheit „das Endprodukt vieler Schlüsselereignisse“ sei, bei denen Zufälle eine entscheidende Rolle spielten. (de Duve 2008a, 446) Lebewesen, so Keith Devlin, die über ihr eigenes Dasein nachdenken, seien „als außergewöhnlicher Zufall nur eine ganz kurze Episode in der Geschichte des Universums“ existent. Vielleicht gebe es auch andernorts im Universum Leben, „aber nicht mit selbstreflektiertem Bewusstsein“. Als die Produkte eines „derart außergewöhnlichen Zufalls“ sollten wir „über unsere bewusste Existenz nachdenken“ und sie genießen. (Devlin 2009, 65f.) Ebenso sieht Jonathan B. Losos in der Entstehung menschlichen Lebens einen einmaligen Weg. (Losos 2018, 334f.) Gegen die Behauptung, die Existenz des Menschen sei zufällig, spricht sich Paul Feyerabend aus. Anders als Jaques Monod meinte, sei der Mensch „nicht mehr ein Fremdling im Universum, der sich durch zielloses Herumprobieren allmählich von Irrtümern“ befreit, sondern „ein Teil dieser Natur, in Harmonie mit ihr, zur Erhaltung dieser Harmonie entstanden und verpflichtet“. (Feyerabend 1992, 14) Gegen die Zufälligkeit menschlichen Lebens führen auch Harald Lesch und Harald Zaun Freeman John Dyson ins Feld, dem es scheint, als habe das Universum in einem „gewissem Sinne gewusst, dass wir kommen“. Sie hinterfragen, ob unsere Entstehung reiner Zufall war und suchen nach einer Erklärung für das „präzise Zusammenwirken der kosmologischen Parameter und physikalischen Konstanten“. Hinter alledem stecke etwas, das auf die Entstehung von Leben und letztlich auf den Menschen abzielt, mithin ein Anthropisches Prinzip. (Lesch/Zaun 2008, 210f., 204-206) Laut Conway Morris war „der Mensch bereits mit dem Urknall angelegt“, unsere Entstehung somit „alles andere als ein Zufall“ und das menschliche Leben eine „evolutionäre Unausweichlichkeit“. (Morris 2008, 262) Wo bleibt, so Ulrich Lüke, „der Gedanke des Gewolltseins oder gar Geliebtseins, wenn der Mensch das Ergebnis puren Zufalls ist“? Welche anthropologischen Deutungen ergeben sich, wenn der Mensch entweder als Variable des Zufalls oder der Notwendigkeit bzw. als Variable von beiden interpretiert wird? (Lüke 2006, 96) Laut Fred Hoyle sind die Zusammenhänge zwischen dem Anthropischen Prinzip und Zufällen häufig und ziehen sich wie ein „zufälliger roter Faden“ durch das Leben. Ihre Zahl sei sogar so groß, dass man mit dem Zufall als Erklärung allein nicht auskomme. (Hoyle 1984, 220) Karl-Heinz Ludwig erscheint die Menschwerdung wie ein Wunder als Mischung aus Zufall und Notwendigkeit.
(Ludwig 2006, 88) Es scheint, als seien Zufälle entweder integrale Bestandteile der Gesetzmäßigkeiten oder aber ihr Gegenüber, ohne das sie so oder so nicht wirken können. Das Verhältnis von Zufall und Notwendigkeit ist kaum zu verstehen. Ist der Zufall eher eine Form natürlicher Gesetzmäßigkeit, oder sind die Gesetze zufällig und folgen vielleicht übergeordneten, uns unbekannten Prinzipien?
Der kreative Mensch in einem emergenten, offenen Universum und die Transzendierung der Natur
Den Versuch einer Lösung bietet Raimund Popper mit seiner Hypothese eines offenen Universums an. Er stellt eine deterministische Deutung des Anthropischen Prinzips in Frage, weil es sonst in der Evolution keinen Platz für Zufall und Emergenz gäbe. Im Modell eines offenen Universums könne die Evolution als Wechselspiel von Zufall und Notwendigkeit erklärt und zudem beschrieben werden, wie wir Menschen dank unzähliger Zufälle zu kreativen Wesen wurden. Determinismus habe die Vorstellung Gottes durch die der Natur ersetzt und die Vorstellung des göttlichen Gesetzes durch die des natürlichen Gesetzes. Bei allen Formen deterministischer Doktrin werde behauptet, jedes Ereignis in der Welt sei vorbestimmt. Wenn bei einem deterministischen Weltverständnis im Verlauf der Evolution des Universums etwas Neues entstehe, ein neues chemisches Element, ein neu zusammengesetztes Molekül, ein lebender Organismus, die menschliche Sprache oder bewusste Erlebnisse, dann müssten die beteiligten physikalischen Teilchen oder Strukturen zuvor das besessen haben, was man eine Disposition oder Möglichkeit oder Potentialität zur Hervorbringung der neuen Eigenschaften unter geeigneten Bedingungen nennen könne. Die Potenzialität müsse also schon vor dem Ereignis vorhanden gewesen sein. Akzeptiere man diese Feststellung, dann könne man die Evolution nicht für kreativ oder emergent halten. Die Ansicht, dass alle Möglichkeiten, die sich im Laufe der Evolution verwirklicht haben, potentiell von Anfang an vorgegeben oder vorgeprägt da waren, sei „entweder eine Trivialität, formuliert in einer gefährlich irreführenden Weise, oder ein Irrtum“. Es sei trivial, festzustellen, dass nichts geschehen kann, „ohne dass es die Naturgesetze und der vorausgehende Zustand erlauben; obwohl es irreführend wäre, zu behaupten, dass wir immer wissen können, was dadurch ausgeschlossen wird.“ Die Behauptung, dass die Zukunft im Prinzip vorhersehbar sei, stehe „im Widerspruch zu allem, was wir aus der Evolution lernen können“. In seiner Hypothese eines offenen Universums bezieht Popper sich auf die Unbestimmtheit der Quantenphysik. Mit der Quantenmechanik und Einsteins wahrscheinlichkeitstheoretischer Deutung der Amplitude der Lichtwellen, mit
Heisenbergs Unschärfeformel und mit Max Borns wahrscheinlichkeitstheoretischer Interpretation der Schrödingerschen Wellenmechanik sei die Physik indeterministisch geworden. Zu den wichtigsten emergenten Ereignissen zählt Popper die Entstehung der schweren Elemente, den Anfang des Lebens auf der Erde „und vielleicht anderswo“, die Emergenz des Bewusstseins, der menschlichen Sprache und des menschlichen Gehirns. Seinem Modell eines offenen Universums entsprechend führt er für den Ursprung des Lebens den Begriff der „Propensität“ ein und spricht von einer „Verwirklichungstendenz“. Propensität ist als „Maß für die Tendenz einer Versuchsanordnung“ zu verstehen, „ein bestimmtes Ergebnis zu produzieren“. Die Wahrscheinlichkeit oder Propensität, dass ein wahllos aus dem Universum herausgegriffenes Atom Teil eines lebenden Organismus wird, war und ist „von 0 ununterscheidbar“. Sie war „sicherlich 0 vor dem Entstehen des Lebens; und selbst, wenn man annimmt, dass es im Universum viele Planeten gibt, auf denen Leben möglich ist, muss die fragliche Wahrscheinlichkeit immer noch unmessbar klein sein.“ Mit Jaques Monod fragt er, wie groß „vor dem Ereignis die Wahrscheinlichkeit dafür“ war, „dass es eintreffen würde“ und der „eine gute Begründung“ dafür lieferte, dass die Wahrscheinlichkeit „fast null“ war. Popper verweist dann auf die üblichen, teils mathematischen Gründe, für die Unwahrscheinlich der Entstehung von Leben. Selbst wenn man die Entstehung der Elemente erklären könnte, so hätte man für den Ursprung des Lebens noch immer keine Erklärung, denn „eine probalistische Erklärung müsse mit Wahrscheinlichkeiten nahe 1 arbeiten, nicht aber mit Wahrscheinlichkeiten nahe 0, gar nicht zu reden von Wahrscheinlichkeiten, die praktisch gleich 0 sind“. Unter diesen Umständen könnten viele Eigenschaften lebender Organismen unvorhersehbar sein, also emergent. Darunter fallen demnach die Eigentümlichkeiten ihrer Entwicklung und die Eigenschaften neuer, im Verlauf der Evolution auftauchender Arten. Wer die „etwas vage Idee einer kreativen oder emergenten, einer Neues schaffenden Evolution aufnehme“, müsse zwei Dinge bedenken: Zum einen die Tatsache, dass in einem Universum, in dem es zu Beginn nichts gab als Wasserstoff, Helium, Neutrinos und Strahlung, „kein Theoretiker, der die damals in diesem Universum wirkenden und nachweislichen physikalischen Gesetze gekannt hätte, die Eigenschaften oder überhaupt die Entstehung der noch nicht existierenden schwereren Elemente hätte vorrausagen können“. Dies gelte auch für die Eigenschaft selbst einfachster Moleküle wie Wasser. Zum anderen sei zu bedenken, dass zumindest in den Stufen der Evolution des Universums Dinge
mit Eigenschaften entstanden, die emergent waren. Dies seien die Erzeugung der schweren Elemente einschließlich der Isotope und die Entstehung von Flüssigkeiten und Kristallen, die Entstehung von Leben, die Entstehung von Empfindungen oder Gefühlen, die Entstehung des Ich-Bewusstseins sowie des Todesbewusstseins, die Entstehung der menschlichen Sprache und von „Theorien (Mythen) über uns selbst und über den Tod“. Zu dem, was in der Evolution nicht vorhersehbar war, zählt er den Menschen samt den Details seines Lebens. (Popper 1985, 8, 35f., 46, 51f., 57f.) Das Universum ist nach Poppers Meinung deswegen offen, weil es menschliche Erkenntnis sowie Aufsätze und Bücher enthält, die fehlbare menschliche Erkenntnis auszudrücken oder zu beschreiben versuchen. „Wir leben also in einem offenen Universum. Wir konnten diese Entdeckung nicht machen, bevor es die menschliche Erkenntnis gab.“ Es sei vernünftiger, alle Ansichten eines geschlossenen Universums aufzugeben, wie Laplace es sich vorstellte. Vielmehr sei das Universum „zum Teil kausal, zum Teil probabilistisch und zum Teil offen: Es ist emergent.“ (Popper 2001, 135) Probabilismus bedeutet die Einstufung der Wahrscheinlichkeit von Aussagen und Urteilen nach dem Grad der Gewissheit. Emergenz bezeichnet die Möglichkeit der Herausbildung von neuen Eigenschaften oder Strukturen eines Systems infolge des Zusammenspiels seiner Elemente. Dabei lassen sich die emergenten Eigenschaften des Systems nicht, oder nicht offensichtlich, auf Eigenschaften der Elemente zurückführen, welche diese isoliert aufweisen. Es gebe Vorgänge in der Natur, die emergent sind in dem Sinne, dass sie nicht graduell, sondern sprunghaft zu Eigenschaften führen, die es vorher nicht gab. Popper meint, das Universum sei in seiner Evolution schöpferisch. Die Evolution habe mit uns empfindenden Lebewesen und mit unseren bewussten Erlebnissen „etwas ganz Neues zutage gebracht hat“. Mit dem Menschen sei die Kreativität des Universums offensichtlich geworden. Der Mensch habe eine „neue objektive Welt geschaffen, die Welt der Erzeugnisse des menschlichen Geistes; eine Welt der Mythen, der Märchen und der wissenschaftlichen Theorien, der Dichtung, der Kunst und der Musik.“ Die Existenz „großartiger und fraglos schöpferischer Werke“ beweise nicht nur die Kreativität des Menschen, sondern zugleich die des Universums, das solche Menschen hervorgebracht hat. (Popper 1985, 36, 98) Der Mensch sei ein Teil der Natur, aber als er Kunstwerke, wissenschaftliche Entdeckungen, menschliche Sprachen, Theorien, Mythen über uns oder den Tod schuf, transzendierte er sich selbst und die Natur, wie sie vor ihm existierte. Menschliche Freiheit sei zwar
ein Teil der Natur, aber sie „transzendiert die Natur“ auch. (Popper 2001, 135)
Anthropisches Prinzip, Zufälle und Chaos in der kosmischen Entwicklung
Zufälle spielten in der kosmischen Entwicklung eine wichtige Rolle. Unterschieden werden essentielle, operationelle und absolute Zufälle. Essentielle Zufälle können entstehen, wenn voneinander unabhängige Determinationsketten aufeinandertreffen. (Marquard 1986, 118f.) Ohne Zufälle, so Hoimar von Ditfurth, wäre die Welt nichts anderes als eine gigantische, nach festliegenden Regeln ablaufende Maschine. (Ditfurth 1987, 95) Paul Davies spricht davon, dass „durch puren Zufall Glückspilz-Regionen“ entstanden, in denen die Expansionsrate langsam genug war, um die Clusterbildung durch Gravitation zu erlauben. (Davies 2008a, 196f.) Laut Alfred Gierer gibt es beim radioaktiven Zerfall einen prinzipiell nicht vorhersagbaren Zufall. Die Unschärferelation der Quantenphysik manifestiert diese Nichtvorhersagbarkeit. Ort und Geschwindigkeit eines Teilchens lassen sich nicht gleichzeitig bestimmen. (Gierer 1988; 1991, 32f.) Im Mikrobereich und in der Quantenphysik gibt es die quantenmechanische Akausalität als absoluten Zufall. Beispiele sind der radioaktive Zerfall oder bestimmte Mutationen in der lebenden Zelle. (Vaas 1993, 154f.) Beschrieben werden Zufälle meist in Beziehung zu natürlichen Gesetzmäßigkeiten. Der Zufall ist ebenso Teil der Natur wie seine „Gegenspielerin“, die Notwendigkeit. Deren Wechselspiel prägte die Entwicklung mit offenem Ausgang. (Marti 2017, 84f.) Peter M. Hoffmann beschreibt das Verhältnis so: „Gebändigt vom physikalischen Gesetz, das ein Quäntchen Notwendigkeit beisteuert, wird der Zufall zur kreativen Kraft, zum maßgeblichen Einfluss unseres Universums.“ (Hoffmann, Peter 2012, Pos. 179) Nach Wolfhart Pannenberg darf man „Zufall und Gesetzlichkeit nicht entgegensetzen, denn sie hängen zusammen“. Alle Regelmäßigkeiten beruhten auf Zufall. Das zufällige Geschehen sei die „Grundlage dafür, dass sich Regelmäßigkeiten bilden können.“ (In: Dürr 1997, 85f.) Der Übergang zwischen Zufall und Regel ist fließend. Es gibt Grade an Zufälligkeit und an Regelhaftigkeit. Sie können als Grade an Ordnung verstanden und in Beziehung zueinander gesetzt werden. Das Maß an Ordnung innerhalb einer Erscheinungsmenge wächst mit deren Größe. Bei der Beobachtung über längere
Zeiträume hinweg zeigen sich in den Ereignisfolgen statistische Gesetzmäßigkeiten, die prognostische Wahrscheinlichkeitsurteile erlauben. (Demandt 2011, 40) Vielleicht, so Odo Marquart, ist der Zufall nur eine „misslungene Notwendigkeit“. (Marquard 1986, 118f.) Bemerkenswert ist, dass im Buddhismus wie im Katholizismus bestritten wird, dass es in der Entwicklung des Universums überhaupt Zufälle gibt. So erklärte der Wiener Erzbischof Christoph Kardinal Schönborn in der New York Times, Anhänger des Neo-Darwinismus und der Multiversums-Hypothese würden versuchen, ein „Aufscheinen des Planes“ Gottes als Ergebnis von Zufall und Notwendigkeit „weg zu erklären“. Das sei nicht wissenschaftlich, sondern, wie Johannes Paul II. festgestellt habe, eine „Abdankung der menschlichen Vernunft“. (Zit. b. Davies 2008a, 251f.) Die natürliche Gesetzmäßigkeit wird aber nicht nur in Beziehung zum Zufall gesetzt, vielmehr ist das Chaos ein dritter Teilnehmer am kosmischen Spiel. Die Chaos-Theorie befasst sich mit den Wechselwirkungen von Chaos, Zufall und Notwendigkeit, mit Systemen, deren zeitliche Entwicklung unvorhersagbar ist, obwohl die zugrundeliegenden Gleichungen deterministisch sind. Ein deterministisches Chaos entsteht, wenn Systeme empfindlich von den Anfangsbedingungen abhängen. Liegt chaotisches Verhalten vor, dann führen selbst geringste Änderungen der Anfangswerte nach einer endlichen Zeitspanne zu völlig anderen Werten. Falls ein System deterministisch chaotisch ist, kann es nach hinreichend langer Zeit trotz experimentell fast identischer Ausgangssituationen zu deutlich anderen Endzuständen bzw. Messergebnissen führen. Henry Poincaré beschrieb als erster ein deterministisches Chaos. 1873 wies James Clerk Maxwell darauf hin, dass selbst in mathematisch errechneten Systemen Instabilitäten auftreten können, bei denen kleinste Fluktuationen der Ausgangswerte große Veränderungen des Endzustandes bewirken. (Zit. b. Kusserow 2018, 92f.) Die Chaos-Theorie lässt erkennen, dass aufeinanderfolgende zufällige, aber entscheidende Verzweigungen in der Entwicklung komplexer Systeme die Entwicklung unterschiedlichster kosmischer, physikalischer, chemischer und biologischer Systeme steuern und bestimmen. Sie zeigt die zentrale Rolle, die der Zufall für die Nichtberechenbarkeit der im Universum ablaufender Prozesse spielt. (Kusserow 2018, 191, 268) Exemplarisch sei auf das „Dreikörperproblem“ der Chaos-Theorie verwiesen. Wenn sich zwei Körper bewegen, ist ihr Verhältnis zueinander einfach zu berechnen. Schwierig wird es,
wenn sich ein dritter Körper im Schwerefeld der beiden anderen bewegt. Auch in zwischenmenschlichen Beziehungen gäben „Dreiecksverhältnisse“ Anlass zu Komplikationen, und „das Ende solcher Affären ist nicht leicht vorauszusehen“. (Morfill/Scheingraben 1993, 45f.) Zufall und Chaos sind also die eigentlichen gestalterischen Kräfte des menschlichen Bewusstseins. Ihren Grund finden sie im Wirken der Potenzialität, wie sie die Quantenphysik in ihren rätselhaften Formeln beschreibt. In der Chaos-Theorie wird davon ausgegangen, dass ein unerwartetes Ereignis nicht auf einer Abweichung von Naturgesetzen beruht, sondern dem Verhältnis von Zufall und Gesetzmäßigkeit entspricht. (Vollmer 1995, 37) Sie nutzt Untersuchungsmethoden, mit denen zwischen ungeordnetem Zufall und deterministischem Chaos unterschieden wird. (Eckhardt 2004, 81f.) Nancy Cartwright meint, das Universum sei nicht ordentlich konstruiert, sondern eine unüberschaubare Fülle von Dingen, die geschehen und aufeinander einwirken. Die Natur neige „zur wilden Übertreibung, die unser Denken nicht ganz einfangen kann“. (Zit. b. Mäder 2020) Der operationelle Zufall basiert auf der praktischen Unvorhersagbarkeit von Ereignissen auch bei vollkommen deterministischer Grundlage. Er ist die Folge des deterministischen Chaos. (Vaas 1993, 154f.) Kleinste Fluktuationen in der Vergangenheit können große Ereignisse hier und jetzt auslösen. Mit dem Schmetterlingseffekt werde beschrieben, dass die Zukunft prinzipiell offen ist. (Hemminger 1993, 169f.) Edward Lorenz nennt beilspielhaft das Wetter, das durch winzige Ereignisse und positive Rückkopplungsschleifen so verstärkt werden könne, dass über Tausende Kilometer entfernt über eine lange Sequenz von Veränderungen Tornados ausgelöst werden könnten. „Welche winzigen Veränderungen“, so fragt David Christian, „lösten den Tornado der menschlichen Geschichte aus?“ (Christian 2018, 195) Für John David Barrow basieren die Naturkonstanten auf universellen Eigenschaften der Natur. Der Aufbau des Universums und die Grundstruktur der universellen Naturgesetze würden von Standards und Invarianten bestimmt, die weit „über menschliche Dimensionen hinausgehen und im wahrsten Sinn des Wortes extraterrestrisch sind“. Viele Eigenschaften des Universums, die „zuvor eiserne Gewissheiten“ waren, hätten sich als das Ergebnis von Symmetriebrüchen entpuppt, die „tiefer liegenden Prinzipien“ folgen. (Barrow 2004, 57; 2011, 240) Scheinbar ungeordnete Prozesse verweisen auf „tiefer liegende statistische Gesetzmäßigkeiten“. (Davies/Gribbin 1995)
Ein Ausdruck dessen ist die Feststellung, dass die Größen der Naturgesetze und Konstanten selber zufällig sind und im Sinn des Anthropischen Prinzips modifiziert erscheinen. Bestes Beispiel dafür ist die Bildung von Kohlenstoff. Somit war die fixe aber zufällige Feinabstimmung der Kontanten und Gesetze eine der notwendigen Bedingungen für die zufällige Entwicklung zum Menschen. Diese Zufälligkeiten sind im Sinne von Poppers offenem Universum zu sehen. Ohne die Spielräume, die sich aus den zufälligen Größen der feinabgestimmten Feinabstimmungen und Naturkonstanten ergeben, wäre das Universum nicht offen; ohne wie geplant scheinende Zufälle könnten die feinabgestimmten Größen nicht wirken.
Gott und Zufall
Im Zusammenhang mit der Frage nach der Rolle des Zufalls in der Evolution zum Menschen wird in der Forschung ein mögliches göttliches Handeln durch Feinabstimmungen kontrovers thematisiert. Für Klaus Michael Meyer-Abich hat Gott mit Zufällen wenig zu tun. Überall, „wo wir es genau wissen wollen, finden wir eine naturgesetzliche Ordnung. Aber wir können das nicht überall finden und rekonstruieren. Und weil wir das nicht überall können, reden wir bei den übrigen Ereignissen bis hin zu unserem eigenen Dasein von ‚Zufall‘. Das ist eine Frage der Organisation der Erkenntnis, nicht eine Frage der Freiheit Gottes.“ (In Dürr 1997, 85) Für Anatole ist ein Zufall „das Synonym Gottes“ dafür, „wenn er etwas nicht selber unterschreiben will.“ (Zit. b. Froböse 2008, 10) Arthur Peacocke meint, Gott schaffe „durch den ganzen Prozess von Gesetz und Zufall und nicht durch Eingriffe in einzelne Lücken“. Sein Schaffen erfolge „in und durch Prozesse der natürlichen Welt“. Der Zufall sei ein „Gottes Radar“, der „das Reich der Möglichkeiten abtastet und so die unterschiedlichen Möglichkeiten natürlicher Systeme erweckt“. (Peacocke 1993) Für Martin Rhonheimer entzieht es sich „absolut unserem Verständnis“, wie Gott den Zufall in seine Vorsehung mit einbezieht. (Rhonheimer 2016, 247) Robert Spaemann meint, Gott handele ebenso durch Zufälle wie durch Naturgesetze. (Spaemann 2007, 31) John Carew Eccles konstatiert, dass in der „Kette der Zufallsbedingtheiten“, die zum Menschen führte, „eine göttliche Vorsehung wirksam“ war. (Zit. b. Bloom/Zaun 2004, 81) Die Tatsache, dass die ersten Chordatiere überlebten, hält Ulrich Langenbach nicht für Zufall oder einen
seltenen Glücksfall, vielmehr habe dies „im Plan des Schöpfers gestanden“. (Langenbach 2014, 75) „Der göttliche Bandabspieler“ so Stephen Jay Gould, besitze „viele Millionen Szenarien“, und jede davon sei „vollkommen schlüssig“. (Gould 1991, 362f.)
Der zufällige Mensch
Besondere Zuspitzung erfährt der Disput über Zufall und Notwendigkeit bzw. dem Anthropischen Prinzip hinsichtlich der Frage, ob sich menschliches Leben durch unwahrscheinliche Zufälle oder zwangsläufig zu „Lebewesen mit Geist“ entwickelt hat. (Gierer 1986, 115) Die Zufälligkeit betonte als erster Jaques Monod. Er sprach von der Unwahrscheinlichkeit der Entstehung des Menschen und wies ihm einen Platz als vagabundierender Zigeuner am Rande des Universums zu. Seine Argumentation wurde von mehreren Wissenschaftlern aufgegriffen. Für die insbesondere unter Biologen vorherrschende Meinung prägte Stephen Jay Gould das Bild vom Film des Lebens. Wenn man dieses Band zurückspulen und erneut laufen lassen könnte, würde die Erde am Ende ganz anderes aussehen. Die Chance, dass sich wieder etwas Menschenähnliches entwickeln würde, sei verschwindend gering. (Gould 1991, 259) An vielen Punkten unserer Entwicklungsgeschichte wurde, so hingegen John Carew Eccles, unsere Art wie durch Fügung vor dem Auslöschen bewahrt. Alles deute darauf hin, dass dem Ursprung und der Geschichte der Welt „ein großangelegter Plan“ zugrunde liege. „Wir sind keine Kreaturen des Zufalls und der Notwendigkeit, sondern Hauptdarsteller in dem großen kosmischen Drama.“ Eccles verweist auf Schrödinger, der fragt, ob, wenn es keine bewussten Lebewesen gäbe, das ganze kosmische Schauspiel nur ein Drama vor leeren Bänken wäre. Ein Drama, so Eccles, setze einen Dramatiker voraus, und „wir sind nicht nur Zuschauer, sondern auch Darsteller“. In „einem tiefen Sinn“ sei es unser Stück. (Eccles 1982, 32, 73, 96) Es scheint, als hätte in Situationen, bei denen die künftige Existenz selbstbewusster Wesen in Frage gestellt wurde, eine Engelwehr Gottes den Weg für uns freigeschossen, potentielle Gegner liquidiert und die Verhältnisse zu unseren Gunsten neu justiert. Simon Conway Morris betont, dass trotz des permanenten Wirkens der Selektionskräfte selbst kleinste Abweichungen in den Anfangsbedingungen zu einem völlig anderen Verlauf der Evolution und einem radikal fremdartigen Status quo geführt hätten. (Morris 2008, 49) Die Entwicklung zum Menschen war, so auch Alexander Demandt, ein einzelner, extrem unwahrscheinlicher Zufall. Innerhalb der Art sei jedes Einzelwesen wiederum ein solcher. (Demandt 2011, 58) Für Stephen Jay Gould ist der Mensch geradezu die Verkörperung des
Zufalls. (Zit. b. de Duve 2008a, 446) Michael Drieschner nennt es einen unwahrscheinlichen Zufall, dass sich anorganische Atome und Moleküle auf eine Weise zusammenfanden, dass daraus ein Mensch wurde. Dieser Vorgang sei „eigentlich ausgeschlossen“. (Drieschner 2007, 49) Für Paul Davies basiert menschliche Intelligenz auf einer unwahrscheinlichen Reihe von Zufällen, die es so nirgendwo ein zweites Mal gegeben haben könne. Die Wahrscheinlichkeit, dass Leben durch ein statistisches Mischen von Molekülen entstand sei verschwindend klein. (Davies 1996, 92f.; 2000, 268f.) Stephen Hawking hält die Evolution für einen zufälligen Prozess, bei dem Intelligenz nur eine von einer großen Zahl möglicher Ergebnisse darstelle. (Hawking 2005, 25f.) Für unsere Zufälligkeit sprechen zahlreiche Ereignisse, die wir Katastrophen nennen, obwohl wir ohne sie nicht entstanden wären. Uwe Reichert sieht schöpferische Höhepunkte der Entwicklung, bei denen viele Arten scheinbar plötzlich ausstarben. Die freiwerdenden ökologischen Nischen konnten dadurch von überlebenden oder neuen Arten besetzt werden. So entfalteten sich anstelle der Dinosaurier die Säugetiere. (Reichert 1999, 410f.) Die Tatsache zufälliger Katastrophen erschüttert auch die Evolutionstheorie. War Charles Darwin davon ausgegangen, dass sich das Leben Schritt für Schritt weiterentwickelt und im Kampf ums Dasein jene Arten gewinnen, die durch Mutationen an die Bedingungen ihrer jeweiligen Umwelt am besten anget sind, so zeigen die Asteroideneinschläge, dass selbst eine noch so gute Anung an irdische Umstände nichts nützte. Das Überleben hing mehr als einmal ausschließlich von Zufällen ab. (Lausch 2004, 62-69)
Wie hätte das Anthropische Prinzip von wem gedeutet werden müssen, wenn wir zufällig nicht entstanden wären?
Was wäre, wenn nur einer der unendlich vielen Zufälle verhindert hätte, dass wir entstehen? Worauf würde das Anthropische Prinzip dann hinauslaufen? Was wäre, wenn wir nicht entstanden wären, weil sich dank eines Nichteinschlages vor 66 Millionen Jahren die Dinosaurier weiterentwickelt hätten? Gäbe es dann ein „Dinosaurisches Prinzip“? Entsprechendes lässt sich für alle Zeitpunkte in der Geschichte des Lebens fragen. Was wäre, wenn die Entwicklung zum Zeitpunkt der Entstehung des Lebens aufgrund zufälliger Faktoren beendet worden und auf der Erde kein Leben entstanden wäre? Die zwingend wirkenden Naturgesetze und Konstanten gab es damals schon, das wissen wir, weil es uns gibt. Was, wenn beim Urknall nicht die feinabgestimmten Wechselwirkungen, Elemente und Naturkonstanten in Kraft getreten wären? Da es sie gibt, sollte man vielleicht besser vom „Kosmischen Prinzip“ sprechen. Hubert Reeves schlug vor, ,,Anthropisches Prinzip“ durch die Bezeichnung „Prinzip der Komplexität“ zu ersetzen, denn das Universum besitze „seit den frühesten für uns erforschbaren Zeiten die notwendigen Eigenschaften, die es der Materie ermöglichen, alle Sprossen der Leiter zur Komplexität zu erklimmen.“ Die Bezeichnung „anthropisch“, vermittle den Eindruck, der Mensch nehme das Privileg des Bewusstseins und der Intelligenz allein für sich in Anspruch. Ein solch übertriebener Anthropozentrismus spiegele „die völlig deplatzierte menschliche Eitelkeit“ wider. Amöben, Schimpansen oder Wale könnten hier Einspruch erheben. (Zit. b. Trịnh 1993, 275)
Hatten wir einfach nur Glück?
Redet man vom Wunder des Lebens, so liegt die Frage nahe, was es mit den zahlreichen Ereignissen auf sich hatte, die wir aus unserer menschlichen Perspektive als Glücksfälle bezeichnen. Hat, wie Charles Darwin meinte, die beste Lebensform den Kampf ums Dasein gewonnen, oder hatte sie einfach nur Glück? (Raup 1992, 36f.) Nach Meinung von Stephen Jay Gould verdanken wir unsere Existenz „glücklichen Sternen“. (Gould 1991, 359f.) Paul Davies und John Gribbin verweisen darauf, dass Wissenschaftler aller Disziplinen im Zusammenhang mit der Entwicklung vom Urknall bis zum menschlichen Leben von Glück reden und sich davon beeindruckt zeigen, dass die Welt von einer „bemerkenswerten Vielfalt anscheinend glücklicher Zufälle erfüllt“ sei. (Davies/Gribbin 1995, 42f.) Da Gott Gläubige nicht zwangsläufig mit Glück im Leben belohnt, stellt sich die Frage, was es mit dem Glück auf sich hat. Beschreibt „Glück“ die Art eines theistisch verstandenen Gottes, lenkend ins Geschehen einzugreifen? Eignet sich der Begriff als analytisches Instrument der Wissenschaften? Werfen wir auch hier einen Blick auf einige exemplarische Stellungnahmen quer durch die Disziplinen. Für Jacques Monod ist die Evolution des Kosmos hin zum Menschen die Folge einer glücklichen Hand beim Würfeln oder eben ein glücklicher Zufall. Nach Stephen Jay Gould verdanken wir „denkende Säugetiere“ unsere Existenz „glücklichen Sternen“. Wir sind eine unwahrscheinliche und gefährdete Entität, die nach unsicheren Anfängen als kleine Population in Afrika „zum Glück“ Erfolg hatte. (Gould 1991, 359-361) Thuận Xuân Trịnh meint, die Tatsache, dass Leben entstanden ist, basiere auf einem glücklichen Zufall und verdiene kein größeres Interesse. (Trịnh 1993, 274f.) Nach Niles Eldredge hatten wir einfach das Glück, „uns lange genug auf der Erde zu halten, so dass wir schließlich unsere Chance bekamen und die Welt erbten“. (Eldredge 1994, 139) Für Kitty Ferguson ist schon die Wahrscheinlichkeit, dass überhaupt ein Universum entstehen konnte, so astronomisch gering, dass es einen doppelten Glückstreffer darstellt, wenn diese Welt obendrein auch noch aussieht wie unsere. (Ferguson 1995, 246-248) Paul Davies schreibt mit Blick auf die Abläufe der Kernfusion in den Sternen mehrfach von glücklichen Fügungen. Er verweist darauf, dass die Häufigkeit
von Kernreaktionen stark mit der Energie der beteiligten Kerne variiert. Gelegentlich gibt es bei einer bestimmten Energie einen kräftigen Anstieg in der Effizienz eines bestimmten Reaktionskanals, eine sogenannte Resonanz. Eine Reaktion kann nur bei bestimmten wohldefinierten Resonanzen ablaufen, bei denen die Reaktionsgeschwindigkeit durch Quanteneffekte wesentlich vergrößert wird. „Durch einen glücklichen Zufall“ entspreche eine dieser Resonanzen gerade der Energie von Heliumkernen im Inneren großer Sterne. Auch bei den notwendigen Bedingungen dafür, dass Kohlenstoff in einer Supernova-Explosion in den Weltraum geblasen wurde, handele es sich um „lauter glückliche Zufälle“. Unser Leben hängt seines Erachtens von glücklichen Zufällen in den Werten der Massen von Teilchen, für Kraftstärken „und so weiter“ ab. (Davies 1996, 141f. u. 238f.) Die menschliche Fähigkeit des Erkennens ist für C. Owen Lovejoy ein „reiner Glücksfall“. Die Evolution des Erkennens sei weder das Ergebnis eines evolutionären Trends noch eines Ereignisses selbst kleinster Wahrscheinlichkeit. (Zit. b. Davies 1996b, 104f.) Nach Meinung von Ken Croswell handelt es sich auch bei unserem Sonnensystem um einen Glücksfall. (Croswell 1997, 280) Davies spricht wiederholt davon, dass der Ursprung des Lebens „ein Glücksfall“ und ein „haarsträubend unwahrscheinlicher chemischer Zufall“ gewesen sei, der sich im ganzen Universum kein zweites Mal ereignet haben dürfte. Allein für ein einziges Protein gebe es 10¹³ Kombinationsmöglichkeiten. Leben benötige aber Hunderttausende spezialisierte Proteine, ganz zu schweigen von einer Unzahl an Nukleinsäuren. Die Chance, dass sich allein die Proteine zufällig zusammenfügten, betrage 1 zu 10⁴ . Das heißt, die Anzahl der Auswahlmöglichkeiten beträgt eine Eins mit 40 000 Nullen (Davies 2000, 101f.) Für Horst Güntheroth ist die Erde nichts anderes als ein Pünktchen in den eisigen Weiten des Universums. Ihre Existenz sei nichts anderes als „ein kosmischer Glücksfall“. (Güntheroth 2001, 26f.) Nach Meinung von Peter Ward und Donald E. Brownlee dürfte es die Erde eigentlich nicht geben. Ihre Existenz sei der Tatsache geschuldet, dass viele Prozesse während ihrer Entstehung „einfach glücklich“ liefen. (Ward/Brownlee 2001, 57) Im Unterschied zu den Glücksspielern in Las Vegas hat das Leben nach Meinung von Richard Fortey „selbst für sein Glück gesorgt“. (Fortey 2002, 52, 411) Auch Ian Tatersall meint, dass ein Großteil unserer Evolution eine „Abfolge von glücklichen Zufällen“ war. (Tattersall 2002, 56) Für Andreas Jahn beruht die Tatsache, dass sich Homo sapiens durchsetzen konnte, „auch auf ein bisschen Glück.“ (Jahn 2020, 3)
József Pálfy sieht zwischen den Aussterbevorgängen und dem Glücksspiel Analogien. Die Regeln der Wahr-scheinlichkeitsrechnung seien auch auf Artensterben anwendbar. (Pálfy 2005, 6) Für Richard Dawkins ist die Entstehung des Lebens „ein einzigartiges, einmaliges Ereignis“ und ein „Glücksfall“, den das schwache Anthropische Prinzip garantiere. Die Entstehung der eukaryotischen Zellen sei eigentlich unmöglich gewesen. Der Ursprung des Lebens stelle in der Evolutionsgeschichte eine „große Lücke“ dar, die „durch reines Glück überbrückt und dann anthropisch gerechtfertigt“ wurde. (Dawkins 2007b, 196-198.) „Glücklicherweise“, so auch John David Barrow, betrage die Stoßzeit zwischen zwei Heliumkernen 10-21 Sekunden und sei somit bedeutend kürzer als die Zerfallszeit des Berylliums. Deshalb existieren der Berylliumkern und ein Heliumkern ausreichend lange zur gleichen Zeit, sodass eine Verschmelzung zu Kohlenstoff möglich wird. (Barrow 2004, 144f.) Antworten auf die Frage, ob wir im Universum allein sind, hängen davon ab, ob die Entstehung des Lebens nur ein „verblüffender Glücksfall der Chemie“ war, der im beobachtbaren Universum nur einmal vorkam, oder „ob das Leben das Ergebnis lebensfreundlicher Gesetze ist, die sein Auftauchen wahrscheinlich machen, wo immer die Bedingungen denen auf der Erde ähneln“. (Davies 2008b, 42-49, 171f.) Mit Blick auf die Diskussion über ein vermeintliches Multiversum meint Armin Kreiner, falls die These des von ihm bestrittenen Multiversums stimme, handele es sich bei unserem „lebensförderlichen Universum“ nur um einen „extrem unwahrscheinlichen Glückstreffer in einem Meer von Flops“. Die Zahlenrelationen ließen die Existenz des Menschen als „überwältigend unwahrscheinlich, vielleicht sogar als einmaligen Glücksfall“ erscheinen. Wegen der Konvergenz auf der Ebene intellektueller Fertigkeiten sei davon auszugehen, dass auch „der Weg zu intelligentem Leben kein einmaliger Glücksfall“ war. Zu den Glücksfällen unserer Evolution gehört für Armin Kreiner jedoch nicht nur was iert ist, sondern auch was hätte ieren können, aber nicht geschah. Vielleicht hatten wir Glück mit der Physik unseres Universums, vielleicht verdanke sich die Feinabstimmung aber auch einem transzendenten Schöpfer. (Kreiner 2011, 116f., 121, 125f.) Olaf Fritsche meint, wir Menschen hatten einfach Glück. Jemand meine es „sehr gut mit uns“ und habe die Naturkonstanten „ganz nach unseren Bedürfnissen“ eingestellt. (Fritsche 2015, 31f., 254f.) Unser Schicksal hängt, so Nick Lane, am dünnen Faden des Schicksals: „Wir haben Glück, überhaupt hier zu sein.“ (Lane
2015, 142) Auch Bernhard Hubmann und Harald Fritz stellen mit Blick auf die häufigen Massenaussterbeereignisse die Tatsache, dass höhere Lebensformen überlebten, als „pure Glücksfälle“ dar. (Hubmann/Fritz 2015, 202) Ebenso ist es für Martin Neukamm „offensichtlich, dass die Bedingungen auf der Erde nicht mehr sind als „Glückstreffer in der kosmischen Lotterie“, der eine astronomische Anzahl von „Nieten“ gegenüberstehe. (Neukamm 2015) Durch den Ausbruch des Supervulkans Toba vor rund 75 000 Jahren auf Sumatra wäre die Menschheit fast ausgestorben. Aber sie hatte, so Harald Lesch und Klaus Kamphausen, wieder einmal Glück. (Lesch/Kamphausen 2017, 229) Für Bernhard Haisch ist es ein glücklicher Zufall, dass die Gesetze und Konstanten so sind, wie sie sind. Warum das Universum diese Eigenschaften habe, wisse man nicht. Man müsse es einfach als gegeben hinnehmen, es sei „ein Glückstreffer“. Beim Urknall hätte die dunkle Materie die gewöhnliche Materie ebenso gut um das Tausend- oder Millionenfache übertreffen können. Dank ihrer tatsächlichen Dimensionen sei es zu dem „glücklichen Zufall“ gekommen, der die Bildung von Leben auf der Erde begünstigte. (Haisch 2018, 26f. u. 84f.) Auch für David Christian hing der Fortbestand einer „dünnen Schicht Leben“ von glücklichen Umständen ab. (Christian 2018, 128) Nach Meinung von Jonathan B. Losos sind wir Menschen das Ergebnis von „Glücksfällen der Geschichte, die das Leben einen Weg einschlagen ließen und nicht einen anderen“. Wir hatten einfach Glück. (Losos 2018, 352) Ähnlich argumentiert Kate Wong. Für sie „spielt schieres Glück für unsere Spezies eine wichtige Rolle“. (Wong 2019, 30-35) Auffällig ist, dass vermeintliches Glück eher mit Zufällen in Zusammenhang gebracht wird als mit gesetzmäßigen Prozessen. Glück erscheint als eine nur von Menschen positiv empfundene Unterform des Zufalls. Die negative Entsprechung ist die Katastrophe. So wird der Aufprall des Planetoiden Theia vor 4,7 Milliarden Jahren, bei dem der Mond entstand, Katastrophe genannt, obwohl wir nur dadurch das Glück hatten, entstehen zu können. Da Glück als analytischer Begriff im naturwissenschaftlichen Vokabular eigentlich nicht vorkommt, sind die aufgeführten Stellungnahmen meist der Alltagssprache geschuldet. Glück ist wohl mehr die Folge von Botenstoffen im Gehirn wie Endorphine Dopamin und Serotonin als etwas, mit dem sich objektive Abläufe im Universum samt unserer Evolution erklären ließen. Trotzdem ergänzen Äußerungen zum Glück das Puzzle unserer Erkenntnis und zeigen, mit welchen Begriffen wir selbstpostulierten Beobachter das Universums unsere Welt zu verstehen suchen.
Vor diesem Hintergrund wird die Forderung von May Planck verständlich, das Weltbild dürfe nicht länger „anthropomorphe Elemente“ enthalten. Menschliche Sinnesorgane müssten durch physikalische Messgeräte ersetzt oder ergänzt werden. (Planck 1967, 14f., 40) Diese dürften die Welt wohl kaum mit Kategorien wie Glück, Schicksal oder nur auf uns selbst bezogene endemische Kategorien wie Katastrophe deuten. Aber verstehen werden die Messgeräte die Welt wohl kaum. Das Verstehen ist nach derzeitiger Erkenntnis noch den Menschen vorbehalten. Messgeräte benötigen unsere Vernunft auch deswegen als Ergänzung, weil nach den Erkenntnissen der Quantenphysik die Welt nur in Wechselwirkung mit Beobachtern erkennbar ist.
Varianten des Anthropischen Prinzips
Im Lauf der Zeit wurden immer weitere Varianten des Anthropischen Prinzips formuliert. Nach dem konstruktivistischen „Radikalen Anthropischen Prinzip“ stammen die Gesetze der Natur ausschließlich von uns selbst. Das kreationistische „Göttliche Anthropische Prinzip“ sieht sich in der Tradition monotheistischer Schöpfungsberichte. Das „Teleologische Anthropische Prinzip“ behauptet die Zielgerichtetheit der Entwicklung über den Menschen hinaus auf einen „Omega-Punkt“ in der Zukunft. Sein wichtigster Vertreter ist Pierre Teilhard de Chardin. Ähnlich klingt auch das von John Archibald Wheeler formulierte „Partizipatorische Anthropische Prinzip“. (Vaas 2004, 392 u. 395) Das „Finale Anthropische Prinzip“ schließlich besagt, dass eine intelligente Informationsverarbeitung, die dem menschlichen Leben folgt, irgendwann in Erscheinung treten werde und danach nicht wieder aussterbe. (Barrow 2004, 160)
Das starke Anthropische Prinzip und seine Nähe zur Hypothese eines Intelligent Designs
Vertreter des schwachen Anthropischen Prinzips gehen davon aus, dass dieses nur festlegt, von wo aus und zu welcher Zeit wir das Universum beobachten können. Unser Vorhandensein grenze die möglichen Merkmale der Umwelt ein, in der wir uns befinden. Stephen Hawking und Leonard Mlodinow verstehen das starke Anthropische Prinzip so, „dass die Tatsache unserer Existenz neben unserer Umwelt auch den möglichen Formen und Inhalten der Naturgesetze Beschränkungen auferlegt“. (Hawking/Mlodinow 2010, 152-154) Für Hans-Jürgen Fischbeck hat das starke Anthropische Prinzip eine größere Bedeutung. In den Naturwissenschaften werde nur die schwache Version diskutiert, während „die starke Version wegen ihres teleologischen Gehalts diesen Rahmen sprengt.“ Man könne aber die „anthropischen Fakten“, die den ganzen Kosmos betreffen, als „deutlichen Hinweis dafür ansehen, dass zum Ganzen der Faktenwirklichkeit auch einen allumfassende Beziehungswirklichkeit gehört, die dem Kosmos seinen Sinn gibt“. Genau dies bringe das starke Anthropische Prinzip zum Ausdruck und werde so zum „Anzeichen der Einheit der allumfassenden Wirklichkeit mit ihrer Doppelstruktur aus Fakten- und Beziehungswirklichkeit“. Die eigentliche Aussage des starken Anthropischen Prinzips sei Sinnkohärenz. Die „anthropischen Fakten“ bilden demnach „einen Sinnzusammenhang, der vom Urknall bis zur Entstehung des Lebens reicht“. Das starke Anthropische Prinzip komme „mit seinem letztbegründeten Prinzip der unbedingten Bejahung des Lebens zum Zuge“. Es könne geradezu als eine Form dieses Prinzips angesehen werden. Für Fischbeck ist „kaum eine stärkere Anerkennung und Würdigung des Lebens denkbar“ als die, „dass es dem Ganzen der Wirklichkeit, dem Kosmos, seinen Sinn gibt.“ (Fischbeck 2005, 111) Alfred Gierer meint, das starke Anthropische Prinzip sei kein naturwissenschaftlicher Satz, sondern ein „übergeordnetes Mega-Naturgesetz“, welches besage, dass die formale Gestalt der physikalischen Gesetze, die in ihnen vorkommenden Zahlenwerte der Naturkonstanten sowie die Anfangs- und Rahmenbedingungen des Kosmos dem Prinzip entsprächen, „dass die naturgesetzliche Ordnung des Kosmos insgesamt Leben mit Geist ermöglicht“.
Viele Forscher würden es ablehnen, weil eine religiöse Deutung „intuitiv nahe“ liege und die Distanz zur Religion kleiner werde. Auch gebe es wegen der früheren ablehnenden Haltung der Kirche gegenüber den Naturwissenschaften eine „historisch bedingte Aversion“. (Gierer 1998, 147f., 265f.) Die Argumente der Vertreter eines starken Anthropischen Prinzips stimmen in verschiedener Hinsicht mit denen eines Intelligent Designs des Universums überein. (Leslie 1989) Auch Ian G. Barbour meint, die „neueste Spielart des Design-Arguments“ beruhe auf dem starken Anthropischen Prinzip. (Barbour 2010, 44)
Kritik am Anthropischen Prinzip und am Begriff der Feinabstimmung
Viele Naturwissenschaftler lehnen die Auffassung einer teleologischen Ausrichtung des Universums auf den Menschen oder darüber hinaus ab. Steven Weinberg meint, ein Physiker, der vom Anthropischen Prinzip spreche, laufe „Gefahr wie ein Kirchenmann, der über Pornografie redet. Ganz gleich, wie viel du dagegen vorbringst - manche Leute werden meinen, dass du dich ein wenig zu sehr dafür interessierst.“ (Zit. b. Vilenkin 2008, 60-62) Die Menschen würden sich „irgendeine besondere Beziehung zum Universum“ einbilden, wenn sie meinten, von Anfang an geplant gewesen zu sein. Das starke Anthropische Prinzip sei, so Steven Weinberg, „nicht viel mehr als mystischer Mumpitz“. (Zit. b. Kaku 2005, 332) Stephen Hawking spricht sich nicht grundsätzlich gegen jede Form des Anthropischen Prinzips aus, wohl aber gegen dessen starke Version. Diese liege „quer zum Verlauf der gesamten Wissenschaftsgeschichte“. Von der geozentrischen Kosmologie des Ptolemäus über die heliozentrischen Kosmologien von Kopernikus und Galilei sei die Wissenschaft zu einem modernen Weltbild gelangt, in dem „die Erde als mittelgroßer Planet eines durchschnittlichen Sterns in den Randzonen eines gewöhnlichen Spiralnebels“ erscheint, der seinerseits eine Galaxie unter Milliarden anderen im beobachtbaren Universum sei. Dagegen würden die Vertreter des starken Anthropischen Prinzips meinen, „diese ganze gewaltige Konstruktion“ sei nur wegen uns da. Das sei schwer zu glauben. (Hawking 1992, 158) Müsse es, so fragt Xuân Thuận Trịnh, tatsächlich so sein, dass, wenn wir von einem kosmischen Plan sprechen, immer Gott meinen? (Trịnh 1993, 284) Auch für Franz M. Wuketits ist der Mensch „nicht die Krone der Schöpfung, sondern eine bestimmte Spezies, eines der vielen vorläufigen Endprodukte der Evolution“. (In: Dürr 1997, 87) In der Naturwissenschaft, die nach Meinung von Arnold Benz generell ohne die „Hypothese Gott“ arbeitet, sollte eine finale Tendenz nicht „Gott“ genannt werden, sondern die Rede von einer „natürlichen Eigenschaft des Universums“ sei. (Benz 1997, 113f.) In der Wissenschaft findet nur das schwache Anthropische Prinzip Anerkennung. Es habe, so Timothy Ferris, zur Einsicht verholfen, dass „Leben von einem weiten Bereich kosmischer Bedingungen abhängt“. Aber selbst „dieser milde
Trank könnte ein Gift“ sein, das Wissenschaftler „verwirrt wie erleuchtet“. Ein Teil der Auseinandersetzung habe damit zu tun, dass das Anthropische Prinzip weniger wissenschaftlich denn philosophisch argumentiert, und das Philosophieren bei Naturwissenschaftlern „etwa so beliebt“ sei „wie die Vogelbeobachtung bei professionellen Golfern“. Dies beruhe auf dem „vernünftigen Gefühl“, das Anthropische Prinzip stelle „eine besonders gefährliche Art des Philosophierens“ dar. Wir müssten aufen, „dass uns anthropische Einschränkungen nicht blind machen für tiefere Erklärungen“. Wenn z. B. der Wert der Gravitationskonstante kein Zufall ist, sondern eine unvermeidliche Folge der Tiefenstruktur der Natur, sei das Anthropische Prinzip dort, wo es um das Verständnis der Schwerkraft geht, „bestenfalls irreführend“. Weil irdisches Leben sich im Universum so entwickelt habe, wie es ist, „laufen wir, wenn wir nicht aufen, Gefahr, die Natur ungerechtfertigt starr zu interpretieren, indem wir behaupten, sie müsse genau so sein, wie sie ist, damit Leben möglich ist“. Leben könnte wesentlich vielfältiger sein, als wir es kennen. Auch könnte das Anthropische Prinzip Wissenschaftler „lähmen, wenn es das Unbekannte einfach dadurch einzugrenzen sucht, dass es nach Vorläufern des Bekannten sucht“. (Ferris 2000, 363, 365) Ian Tattersall meint, die Natur habe niemals beabsichtigt, uns in eine herausgehobene Stellung zu bringen. Homo sapiens sei „ganz eindeutig nicht das perfektionierte Ergebnis eines zielgerichteten, die Zeitalter überspannenden Feinabstimmungsprozesses“ und „kein einzigartiger Gipfel, den wir mühsam erklommen haben“. (Tattersall 2002, 56; 2008, XX) Es sei, so Arnold Benz und Samuel Vollenweider, nicht zwingend, von einem finalen Trend auf eine planende, zielgerichtet handelnde Vorsehung zu schließen. Teleologische Erklärungen seien dem analytischen Gebäude der ansonsten kausalen Physik nicht fremd. So besage der zweite Hauptsatz der Thermodynamik, dass die Entropie nur gleichbleiben oder zunehmen könne, wie immer auch die kausalen Abläufe beschaffen sind. Genauso wäre es mit der Tendenz der Entstehung von Leben. (Benz/Vollenweider 2003 216) Heinz Pagels nennt das Anthropische Prinzip „eine Schande, eine intellektuelle Illusion“, die nichts mit empirischer Wissenschaft zu tun habe. Es befördere „eine Art von kosmischem Narzissmus“. (Zit. b. Vaas 2004, 396) Die bei Naturwissenschaftlern vorherrschende Haltung ist nach Meinung von Paul Davies die, dass die Menschheit nur „ein chemischer Schaum auf einem mittelgroßen Planeten“ ist. Das Leben sei demnach „ein triviales, zufälliges Ornament der physikalischen Welt“, dem im Kosmos keine besondere
Bedeutung zukomme. Da beim Anthropischen Prinzip immer die Frage nach einer lenkenden, schöpferischen Kraft mitklinge, werde es „insbesondere von nichtreligiösen Wissenschaftlern eher ignoriert“. Ihnen ist es „irgendwie peinlich“, dass das Universum wie die „Arbeit eines kosmischen Schöpfers“ aussieht. Entsprechende Diskussionen würden „naserümpfend als quasireligiös abgetan“. (Davies 2008a, 195f., 281) Für Alexander Vilenkin resultiert die Emotionalität der Reaktion auf anthropische Erklärungen aus einem „Gefühl des Verrats“. Seit Einstein hätten viele Physiker gehofft, „es werde der Tag kommen, da sämtliche Naturkonstanten aus einer allumfassenden Weltformel errechnet würden“. Stattdessen griffen viele Forscher nun auf anthropische Argumente zurück, was als Kapitulation gelte und Reaktionen hervorrufe, die „von Ärger bis hin zu offener Feindseligkeit“ reichten. Manchmal sei gar die Rede von gefährlichem Gedankengut, das die Wissenschaft korrumpiere. (Vilenkin 2008, 60-62) Viele Forscher schreckten bereits deswegen davor zurück, sich überhaupt mit dem Anthropischen Prinzip zu beschäftigen, weil sie dann in aller Regel „von Kollegen misstrauisch beäugt“ würden. (Oberhummer 2012, 187f.) Olaf Fritsche fasst die Argumente für eine ablehnende Haltung gegenüber teleologischen Auffassungen zusammen: Die Gravitationskonstante habe ihre Werte nicht, damit sich Sterne und Planeten bilden konnten, vielmehr seien Himmelskörper entstanden, weil die Schwerkraft der Gasmoleküle und Staubteilchen so groß war, dass sie sich gegenseitig anzogen. Die Moleküle der Ursuppe hätten sich nicht zusammengefunden, damit das Leben beginnt, sondern die Urzellen fingen an, sich selbst zu erhalten und zu vermehren, weil sich ihre Bestandteile automatisch so verhalten haben. Die Natur arbeite nicht mit Zielen, sondern mit Möglichkeiten. Dinge geschähen nicht wegen eines „damit“, sondern aufgrund eines „weil“. Wie Ameisen immer einen Weg in den Picknickkorb fänden, habe sich auch die Natur an jede Kombination von Vorgaben anget und das Universum mit dem angefüllt, was unter den jeweiligen Bedingungen möglich war. (Fritsche 2015, 254f.)
Das Anthropische Prinzip und die Hypothese eines Multiversums bzw. paralleler Welten
Eine Reaktion auf die Feinabstimmungen und das daraus resultierende Anthropische Prinzip ist die Postulierung eines Multiversums. Dieses soll helfen, mit dem Vorhandensein vieler Universen zu begründen, warum es unsere Welt mit ihren Feinabstimmungen gibt. Grundlage für entsprechende Überlegungen ist, dass die Quantenphysik ein Multiversum nicht ausschließt. Stephen Hawking beschreibt das Multiversum als Quantengebilde, das gleichzeitig in mehreren parallelen Zuständen existiert. Jedes Universum innerhalb des Multiversums folge eigenen Naturgesetzen und anderen Naturkonstanten. Sie alle hätten keine bestimmten Ursachen, sondern seien wie unsere Welt eine Folge von Zufällen. (Zit. b. Vowinkel 2018) Für Timothy Ferris sieht das Anthropische Prinzip „viel vernünftiger aus, wenn wir die Hypothese erwägen, dass es viele Universen gibt, von denen jedes seine eigenen physikalischen Gesetze hat“. (Ferris 2000, 365) Bernulf Kanitscheider begegnet Vorwürfen, das Multiversum sei nicht nachweisbar, mit dem Argument, nicht einmal in der terrestrischen Physik seien alle Entitäten beobachtbar. In der Kosmologie gelte das Prinzip der direkten Beobachtbarkeit ohnehin nicht. Natürlich wäre es besser, wenn man mit Quantenmechanik und Relativitätstheorie beweisen könnte, dass es nur ein Universum gibt. Solange die Naturkonstanten aber nicht aus ersten Prinzipien abgeleitet werden können, sei die Vielweltenhypothese „das beste Erklärungsangebot“ und könnte sogar zum Standardmodell der Kosmologie avancieren. In einer Theorie der chaotischen Inflation, in der Quantenschwankungen in einem hochdimensionalen Superraum den natürlichsten Zustand der Realität darstellen, wäre es eine komplizierte und künstliche Hypothese, dass „nur eine einzige Schwankung stattgefunden haben soll“. Zudem wäre es ein „seltsamer Zufall, wenn die Realität genau dort enden würde, wo unsere Beobachtungsgrenze liegt“. (Kanitscheider 2001, 215-217) Parallele Universen sind auch für Viktor Johannes Feitzinger das Ergebnis der „Allgegenwärtigkeit des Quantenvakuums“ und „die notwendige Folge der Quantenkosmologie“. Dem Menschen werde dadurch endgültig seine Sonderrolle im Multiversum genommen. (Feitzinger 2002, 139.) Auch Arnold Benz und Samuel Vollenweider sehen in der Feinabstimmung ein „Indiz für eine
übergeordnete Menge und die Selektion der Universen“. (Benz/Vollenweider 2003, 215) Nach der Hypothese verzweigt sich das Universum durch zufällige Quantenprozesse in unzählige Kopien, wobei es je eine Kopie für jedes mögliche Ergebnis gibt. Max Tegmark hat berechnet, dass der mittlere Abstand zum nächsten Doppelgänger bei gleichförmiger Füllung des Alls mit Galaxien und bei gleichen physikalischen Gesetzen zehn hoch 10² Meter beträgt. (Tegmark 2003, 34ff.) Leonard Susskind spricht von 10⁵ erforderlichen weiteren Universen mit in sich konsistenten physikalischen Gesetzen und Naturkonstanten. (Susskind 2006) Im Vergleich dazu, so Bernhard Haisch, sei die Gesamtzahl der Atome im Universum verschwindend gering, nämlich nur eine Eins mit rund 80 Nullen. (Haisch 2018, 28) Für Paul Davies ist diese Zahl nicht nachvollziehbar. Der Durchmesser des beobachtbaren Universums betrage nur 10² Meter. Würden sich die Universen untereinander nach dem Zufallsprinzip unterscheiden, wären wir Gewinner einer „gigantischen kosmischen Lotterie, die uns vorspiegelt, alles sei das Werk eines Schöpfers“. Mit der Idee eines Multiversums biete sich die Möglichkeit, „die verrückte Lebensfreund-lichkeit des Universums als einen zielstrebigen Selektionsprozess zu erklären, ohne auf göttliche Fügung zurückgreifen zu müssen“. (Davies 2008a, 195f., 226f.) In Anlehnung an Sigmund Freud könne man, so meint Bernulf Kanitscheider, in der Vielweltenhypothese statt eine „Quelle von Sinn eher eine weitere mögliche Kränkung der Eigenliebe des Menschen“ sehen, die mit Kopernikus begann. Ab damals konnte der Planet nicht mehr als Mittelpunkt der Welt angesehen werden. Laut Charles Darwin war der Mensch nichts anderes als ein Durchgangsstadium in einer langen, sich in die Zukunft fortsetzenden Kette von Evolutionsschritten. Freud zeigte mit seiner Psychoanalyse, dass er nicht einmal „Herr im Haus seines Gefühls- und Trieblebens“ sei. (Kanitscheider 2008, 190) Mit der Herabstufung der Menschheit auf vollkommene kosmische Bedeutungslosigkeit sei, so Alexander Vilenkin, „unser Abstieg vom Mittelpunkt des Universums endgültig vollzogen“. (Zit. b. Hürter/Rauner 2008a, 242f.) Ausgehend vom Modell eines Multiversums könnte es sich, so Armin Kreiner, bei unserem feinabgestimmten und lebensförderlichen Universum um einen „extrem unwahrscheinlichen Glückstreffer in einem Meer von Flops“ handeln. (Kreiner 2011, 116f.) Auch auf die Modelle der Entstehung unserer Welt wirkt sich die Hypothese eines Multiversums aus. So können im Modell der selbstreproduzierenden
ewigen Inflation nicht nur verschiedene Universen mit unterschiedlichen Parametern existieren, sondern solche Bereiche auch in alle Ewigkeit immer wieder neu gebildet werden. Die Hypothese eines Multiversums stelle, so Heinz Oberhummer, „zumindest eine plausible Basis für anthropische Überlegungen“ dar. Denn daraus „ergibt sich auf ganz natürlich Weise, dass unser Universum die richtige Feinabstimmung hat, um Leben hervorbringen zu können“. (Oberhummer 2012, 187f.) Zwei Jahre später meinte er hingegen, das Problem der Feinabstimmung sei durch das Postulat eines Multiversums nicht gelöst. Es sei „lediglich verlagert, denn auch hier stellt sich die Frage, ob es nicht auch in einem Multiversum feinabgestimmte Naturkonstanten geben müsste.“ Allerdings sei die Schöpfung eines Multiversums weitaus plausibler als die von nur einer Welt. Wenn „der Schöpfer ein Universum schaffen kann, so kann er dies auch für beliebig viele tun“. Um menschliches Leben hervorzubringen, „würde ein allmächtiges und unendliches höchstes Wesen sich nicht verzetteln, indem es seine Schöpfungskraft in die extreme Feinjustierung eines einzigen Universums“ stecke. Vielmehr würde es diese dazu einsetzen, „den größten und elegantesten möglichen Wurf zu machen, indem es eine unendliche Anzahl von Universen schafft“. Alles andere wäre „einer allmächtigen Gottheit nicht würdig“. (Oberhummer 2014, 158f.) Für Dirk Eidemüller schließlich hat sich der Raum beim Urknall nicht allein in die uns bekannten Dimensionen ausgebreitet, vielmehr entstanden „Myriaden von Universen“ mit unterschiedlichen Naturkonstanten und Naturgesetzen. (Eidemüller 2016)
Kritik an der Hypothese eines Multiversums
Viele Wissenschaftler halten sich beim Urteil über die Hypothese eines Multiversums zurück. Es gibt einen changierenden Bereich zwischen Zustimmung und Ablehnung, der selbst ein wenig an Quantenfluktuationen erinnert. Meinungen bilden sich im Disput, legen sich danach aber wieder. Ein festes Meinungsgerüst ist kaum auszumachen. Es gibt jedoch zahlreiche Naturwissenschaftler, welche die Hypothese eines Multiversums deutlich zurückweisen. So findet es Thuận Xuân Trịnh „nicht gerade befriedigend, sich für eine unendliche Menge Welten einzusetzen, die nicht nachzuweisen sind“. Warum sollte die Natur „exzessiv unfruchtbare Universumszyklen oder Universumskopien“ produzieren, nur um ein einziges fruchtbares Universum zu erschaffen? Dies sei „reine Verschwendung“ und vertrage sich nicht mit der Einfachheit und Sparsamkeit der bekannten Naturgesetze. Nach der Hypothese eines Multiversums wäre die Entstehung des Menschen nichts besonderes, da es unterschiedliche Welten samt eigenen Gesetzmäßigkeiten gäbe. Andere hätten andere physikalische Konstanten und Anfangsbedingungen, und die physikalischen Gesetze würden anders lauten. Alles, was geschehen könnte, würde in dieser riesigen Sammlung von Universen vorkommen. Für den Menschen wäre keine der parallelen Welten erfahrbar. „Sie sind alle ebenso Wirklichkeit wie unser Universum, aber bleiben uns für immer verschlossen.“ Wenn man den Begriff der parallelen Welten akzeptieren könnte, bestünde, so Trịnh, kein Grund mehr, „über unser Universum weiter in Begriffen der Kausalität und Finalität oder der Planbezogenheit zu diskutieren, um zur Erschaffung des Menschen zu gelangen“. Auch die „sagenhafte Präzision der Feinabstimmung der physikalischen Konstanten und der Anfangsbedingungen“ würde nicht mehr überraschen. Diese würden dann „aus einer unendlich großen Vielzahl von Möglichkeiten durch die Tatsache selbst, dass wir existieren, ausgewählt“. Ein „erdrückender Großteil der parallelen Welten“ habe die zur Entstehung von Leben notwendigen Anfangsbedingungen nicht und kenne auch kein Bewusstsein. Nur weil unser Universum „fruchtbare“ Parameter besitze, konnte es uns hervorbringen, damit wir darüber nachdenken. Mit kritischem Unterton meint er, das Universum könne sich also im Prinzip „bei jeder sich bietenden Alternative der Teilungs- und Verdoppelungsmanie hingeben“. Sobald ein Atom seinen Zustand in einem Stern, irgendwo in irgendeiner fernen
Galaxie, die ihrerseits irgendwo im riesigen Weltall herumschwirrt, ändert, „teilt sich die uns umgebende Welt in zwei nahezu gleiche Kopien“. (Trịnh 1993, 279f., 283f.) Und das iert ständig, ewig und unendlich oft. Für Alfred Gierer ist die Multiversums-Hypothese gleich „in mehrfacher Hinsicht unbefriedigend“. Dies gelte zum einen für „die Berufung auf reinen Zufall, wenn es um die Erklärung einer zentralen Eigenschaft unserer Welt geht, dass es in ihr natürliche Wesen mit Geist gibt“. Zum andern mache eine „Annahme von Welten, deren bloße Existenz prinzipiell auf keine Weise zu beweisen oder zu widerlegen ist, erkenntnistheoretisch keinen Sinn“. Deshalb seien Viele-Welten-Modelle eher eine Realitätsflucht als erklärend, „eher eine Kränkung als eine Befriedung der Vernunft“. Ihm scheint die These eines intelligenten Designs als die „erkenntnistheoretisch stimmigste, weil sie auf prinzipiell unbeobachtbare Gegebenheiten, nämlich auf die Annahme unzähliger Universen neben unserem Kosmos, verzichtet.“ (Gierer 1998, 148, 264) Bernulf Kanitscheider nennt es eine „ontologische Verschwendung“, für „die Erklärung der Besonderheit unserer Welt ein riesiges Ensemble von Welten zu postulieren“, nur um so „unser Erstaunen über die Feinabstimmung zu reduzieren“. (Kanitscheider 2001, 215-217) Paul Davies lehnt die Hypothese ab, weil es ihm nicht gefällt, dass sie an „Wundertheorien“ erinnere. Die Einführung einer unendlichen Anzahl von Universen, „nur um die scheinbaren Mutwilligkeiten in dem einen zu erklären, welches wir sehen können“, sei weit hergeholt. Er wolle lieber „verstehen, warum die Dinge in diesem Universum so sind, wie sie sind“, anstatt sich „in andere, unsichtbare Universen zu flüchten“. (Davies 1996, 145-147) Für die anthropische Sinnfrage ist, so auch Johannes Feitzinger, „die Vielweltenhypothese enttäuschend“. Sie bette unser Universum in eine Vielzahl anderer ein und nehme ihm dabei Anfang, Ende und Einzigartigkeit. (Feitzinger 2002, 140) Benz und Vollenweider kritisieren, dass die Anhänger des Multiversums-Konzepts statt der Hypothese „Gott“ mit den „Schattenuniversen“ andere nicht beobachtbare Größen einführen, die genauso wenig Gegenstand der Naturwissenschaft sein können. (Benz/Vollenweider 2003, 215f.) Auch Richard Swinburne sieht keinen Grund, von weiteren Universen auszugehen. Eine Trillion Trillion anderer Universen anstatt eines Gottes zu postulieren, um die Ordnung unseres Universums zu erklären, sei „der Gipfel der Irrationalität“. (Swinburne 2006, 64)
David Jonathan Gross spricht von einer „bizarren Wissenschaft“ und einem „gefährlichen Geschäft“. (Zit. b. Hürter/Rauner 2008a, 242f.) Laut Alexander Vilenkin lässt sich die Hypothese „nicht einmal mit dem Hauch eines Beweises untermauern“. Es scheine unmöglich, sie jemals bestätigen oder widerlegen zu können. Zudem sei eine Behauptung, die sich nicht widerlegen lässt, nicht wissenschaftlich. (Vilenkin 2008, 60-62) Für den Fall, dass die MultiversumsAnhänger sich durchsetzen würden, käme, so Tobias Hürter und Max Rauner, die Wissenschaft an ihr „deprimierendes Ende“. (Hürter/Rauner 2008a, 242f.) John Hand sieht in allen Multiversums-Hypothesen „nicht überprüfbare Spekulationen“, die meist „auf fragwürdiger Logik“ beruhen. (Hands 2018, 790) Ob die Hypothese eines Multiversums noch Physik oder nur noch Spekulation sei, darüber tobt in den USA ein Grundsatzstreit, der sogar in der New York Times austragen wurde. Hier warf ein Physiker seinen Kollegen vor, ihre Theorien seien von religiösem Glauben nicht weit entfernt. „Wenn man eine Theorie hat, die weder etwas erklärt noch etwas vorhersagt, dann hört man auf, Wissenschaft zu machen“, erklärt etwa Lee Smolin. (Zit. b. Hürter/Rauner 2008a, 242f.) Bernhard Haisch nennt die Überzeugung von einem Multiversum einen „religiösen Glauben“, ganz „gleich wie üppig man ihn mit einer wissenschaftlichen Sprache und Mathematik ausstaffiert“. Die Hypothese helfe vielleicht im Moment, sich eines Schöpfers als Verursacher der Feinabstimmungen zu entledigen, die Multiversum-Hypothese verschiebe das Problem jedoch nur. Die Frage einer letztendlichen Kausalität bleibe ungelöst: „Woher kamen die Gesetze, die ein Multiversum ausgelöst haben und aufrechterhalten?“ An eine Vielzahl unsichtbarer Universen zu glauben, erfordere „einige Glaubensstärke“. Das Viele-Welten-Modell sei „deutlich gewagter als eine hinter allem stehende Intelligenz“. (Haisch 2018, 28, 214f.) Paul J. Steinhardt hält die Hypothese sogar für „ausgesprochen gefährlich“, beruhe sie doch auf Annahmen über physikalische Verhältnisse, die „unser Beobachtungsvermögen bei weitem übersteigen und wissenschaftlich nicht verifizierbar“ sind. Sie „führe fast zwangsläufig zu einem traurigen Ende der Wissenschaft“. Es sei „eine gefährliche Idee“, über die er „nicht weiter nachdenken möchte“. (Steinhardt 2009, 153-156) Hans-Peter Dürr sieht in der Hypothese eines Multiversums „einen Rückfall in die Zwanzigerjahre des letzten Jahrhunderts“. Die Annahme, es gebe unendliche viele Universen, sei „eine ziemliche Faulheit“ und „Drückebergerei“. (Dürr
2012, Pos. 922-939) Eine unendlich große Zahl nicht beobachtbarer Paralleluniversen hält auch Owen Gingerich für „reine Metaphysik“ und „eine wenig überzeugende Lösung“. Die Behauptung, dass im Multiversum „nur ein einziges außergewöhnliches Universum“ zur Entstehung von intelligenten Wesen geeignet sei, erscheine wundersam. (Gingerich 2012, 69f.) Für Ulrich Langenbach sieht in der Hypothese eines Multiversums den Versuch, das Anthropische Prinzip auf das „Niveau einer bloßen Trivialität“ abzustufen. Zweck dieser „fast verzweifelt wirkenden Spekulation“ sei es, „dem Nachweis der Lebensträchtigkeit unseres Universums seine Bedeutung zu nehmen“. Es zeige, wie sehr manchen Naturwissenschaftlern die Anerkennung „eines so singulären Tatbestandes“ widerstrebe. (Langenbach 2014, 21) John Polkinghorne meint, wer das Wirken einer kosmischen Kraft oder von Gott nicht akzeptiere, werde „zu dem verschwenderischen und fast schon verzweifelten Kniff getrieben, die Existenz eines Multiversums zu behaupten, eines riesigen Portfolios unterschiedlicher Welten, die beobachtungsmäßig voneinander getrennt sind und unterschiedlichen Naturgesetzen gehorchen“. Darunter wäre dann „unser Universum nur zufällig jenes, das in der Lage ist, kohlenstoff-basiertes Leben zu entwickeln“. (Polkinghorne 2014, 150) Die Behauptung eines Multiversums ist für Peter Trüb, der bekannt wurde, weil er die Kreiszahl Π auf 22,4 Billionen Stellen genau berechnete, der „herausforderndste Versuch, die Feinabstimmung der Naturgesetze ohne einen Designer“ zu deuten. Die Idee eines Multiversums sei „weit davon entfernt, als gesicherte, wissenschaftliche Erklärung der Feinabstimmung gelten zu dürfen“. Entsprechende physikalische Theorien seien nicht durch experimentelle Befunde bestätigt worden. Das Multiversum gehöre samt String-Theorie und den Vorstellungen über eine chaotische Ausdehnung des frühen Universums „in den Bereich hochspekulativer Modelle“. Es gebe berechtige Zweifel, ob das Szenario eines Multiversums überhaupt als naturwissenschaftliche Theorie gelten dürfe. Eine solche Lösung sei auf eine über die Naturwissenschaften hinausgehende Überzeugung angewiesen wie der Glaube an einen Schöpfer. Beim Modell eines Multiversums, mit dem versucht werde, der Gültigkeit des Anthropischen Prinzips zu entgehen, stelle sich sofort und unausweichlich die Frage nach einem Anthropischen Prinzip im Multiversum. Es müsste erklärt werden, ob und wieso es in einem, mehreren oder in allen Universen gelte. „Hat es nur in unserem Universum als Teil des Multiversums eine Bedeutung, dann ist der Mensch oder das über ihn hinausgehende Ziel noch viel bedeutsamer als nur in Bezug auf unser Universum.“ Es helfe nicht, zu behaupten, das Multiversum sei nur „eines
unter unendlich vielen XXL-Multiversen“. Auch bestehe Erklärungsbedarf, warum in einem Teil der vielen Multiversen intelligente Beobachter hervorgebracht wurden und in anderen nicht. Zudem müssten auch die Gesetze eines Multiversums fein abgestimmt sein, um ein Universum wie unseres hervorzubringen. „Im schlechtesten Fall“ sei „der Preis für die Erklärung der Feinabstimmung in unserem Universum ein noch viel höheres Maß an Feinabstimmung im Multiversum.“ (Trüb 2015) Dirk Eidemüller nennt die „Vielwelten-Interpretation“ die „verwegenste Deutung der Quantenmechanik“. Sie stehe „dem Erkenntnisideal der klassischen Physik zwar rein formal am nächsten, da sie keinen Schnitt zwischen Mikro- und Makrowelt erfordert und eine streng objektive Deutung der Wellenfunktion postuliert“, könne dies aber „nur auf Kosten des völlig ad hoc eingeführten Postulats der Aufspaltung in Subuniversen“ realisieren. Das Modell werde von vielen nicht einmal als ernst zu nehmende Interpretation angesehen. (Eidemüller 2017, Pos. 7726) Bernard Haisch meint, beim Modell des Multiversums müsse man von einer Zahl unentdeckbarer Universen ausgehen, die nach der Logik „irgendwo zwischen einer Eins mit fünfhundert Nullen und womöglich sogar Unendlich“ liegen müssten. „Ist dieser Preis vernünftig, wenn man dadurch einen intelligenten Schöpfer vermeiden kann?“ (Haisch 2018, 214) Laut Martin Gardner gibt es „nicht das kleinste Fitzelchen eines zuverlässigen Beweises dafür, dass es ein anderes Universum gibt als das, in dem wir leben“. George F. R. Ellis, kann sich „nur wundern, auf welch tiefe Stufe die heutige Wissenschaftsphilosophie gesunken“ ist. (Zit. b. Haisch 2018, 214f.) Arthur Hebecker verweist auf neuere Berechnungen hinsichtlich der Zahl an Welten im Multiversum, wonach die Forscher „bei 10³ Möglichkeiten landen“. Er sei „niemandem böse“, der deswegen das Modell eines Multiversums samt Stringtheorie ablehne. (Hebecker 2019, 77) Frank Wilcek spricht zwar von legitimen wissenschaftlichen Ideen, die aber „wirklich spekulativ“ seien. (Wilczek 2019, 62-66) Auch ein Multiversum, so Markus Widenmeyer, müsse eine umfassende Grundordnung voraussetzen, denn es wäre ein naturgesetzlich geordnetes System, das durch elegante und gut symbolisierbare mathematische Regeln beschrieben werden könne. Aber bereits das beobachtbare Universum sei gewaltig. Für ein Multiversum wäre die „naturgesetzlich geordnete Komplexität um einen noch gewaltigeren, wenn nicht unendlichen Faktor aufgebläht“. Zwar wären von einem zum anderen Teiluniversum Variationen möglich, wie z. B. bei den Naturkonstanten, aber
dennoch müssten die Komponenten aller Teiluniversen zusammen den fundamentalen Naturgesetzen gehorchen, die im ganzen Multiversum gelten würden. (Widenmeyer 2019, 120-123) Verfolgt man die Diskussion, wird klar, dass das Modell eines Multiversums das Anthropische Prinzip und die Feinabstimmungen nicht wirklich tangiert. Ob als Teil eines Universums oder als einziges Universum in einem Multiversum blieben Gesetze und Konstanten ebenso bestehen wie die Tatsache, dass unsere Welt selbstbewusstes Leben hervorgebracht hat. Von Interesse wäre lediglich die Frage, ob und auf welche Weise sich die Bedeutung der Existenz bewussten Lebens im Rahmen eines Multiversums ändern würde. Gäbe es denkende Wesen nur in unserem Universum, nicht aber in unendliche vielen anderen, wäre unsere Einmaligkeit erdrückend und wir könnten von Glück reden, dies nicht überprüfen zu müssen.
Das Anthropische Prinzip als induktive Methode
Interessant ist auch die Frage, ob es möglich ist, aus der Tatsache unserer menschlichen Existenz Rückschlüsse auf die Gesetzmäßigkeiten unseres Universums zu ziehen. Damit hält eine Vorgehensweise Einzug ins wissenschaftliche Denken, die sich von der traditionellen deduktiven Methode grundsätzlich unterscheidet. Da wir wissen, dass es uns gibt, können wir rückwirkend schlussfolgern, welche Geschehnisse dafür ieren mussten oder nicht ieren durften. So werden Pflöcke der Erkenntnis und Erklärbarkeit eingeschlagen, an denen neue Erkenntnisse nicht vorbeikönnen. Es ist nicht länger möglich, Dinge zu behaupten, wenn sie den Schlussfolgerungen des Anthropischen Prinzips widersprechen. Als einer der ersten nutzte Robert Henry Dicke das Anthropische Prinzip zur Bestimmung des Alters des Universums. Leben konnte sich demnach erst entwickeln, nachdem im Sterneninnern schwere Elemente entstanden waren. Dieser Prozess dauerte einige Milliarden Jahre. Danach mussten schwere Elemente durch Supernova-Explosionen zerstreut werden. Für die anschließende Entstehung einer zweiten oder dritten Generation von Sternen und deren Planetensystemen sowie für die biologische Evolution sind ebenfalls einige Milliarden Jahre zu veranschlagen. Fred Hoyle leitete die bis dahin nicht erklärbare Nukleosynthese in der Sonne von der offensichtlichen Tatsache unserer Existenz ab. Sein Argument lautete, die Synthese müsse stattfinden, sonst gäbe es uns nicht. Er nutzte das Anthropische Prinzip, um eine physikalische Theorie zu formulieren, deren Richtigkeit Jahre später experimentell bestätigt wurde. George Gale betont, dass die Existenz intelligenten Lebens Rückschlüsse auf die Bedingungen im frühen Universum zulasse. Das Prinzip stelle einen wichtigen Pfeiler der modernen Kosmologie dar. (Gale 1982, 90) Nach Auffassung von Michio Kaku lassen sich aus dem Anthropischen Prinzip Einschränkungen für die Werte der Naturkonstanten ableiten. So müsse die Protonenlebensdauer mindestens 10¹ Jahre betragen, andernfalls wäre die radioaktive Strahlung der Protonen so groß, dass wir nicht existieren könnten. (Kaku 2005, 329) Dank des Anthropischen Prinzips, so Gerhard Vollmer, könne
man Alter und Größe der Welt „über die Existenz des Menschen verstehen“. Die Bedingungen der Möglichkeit von Erkenntnis könne man schon heute nicht mehr diskutieren, ohne auf das Anthropische Prinzip Bezug zu nehmen. (Vollmer 1995, 127) Es lehrt uns, so Fred Hoyle, „dass die Zusammenhänge so sind, weil wir so sind, wie wir sind“. (Hoyle 1984, 220f.) Max Tegmark nennt das Anthropische Prinzip einen „beobachterabhängigen Auswahleffekt“. Dieser sei zwar nicht unumstritten, aber die Physiker seien sich dennoch „einig, dass solche Selektionseffekte beim Überprüfen fundamentaler Theorien nicht ignoriert werden können“. (Tegmark 2003, 34ff.) Es wäre sicher ein lohnenswertes Unterfangen, genauer zu untersuchen, welche Möglichkeiten das Anthropische Prinzip als induktive Methode bietet.
6. Das Universum
Die ersten Minuten
Was sagt die Betrachtung der ersten Minuten nach dem Urknall über uns Menschen aus? Eher wenig, aber doch vieles über die Voraussetzungen für späteres Leben überall im All. Eine Minute nach dem Big Bang waren alle Vernichtungsprozesse von Materie und Antimaterie abgeschlossen. Übrig blieben Elektronen, Protonen, Neutronen und Photonen. Die Protonen wurden zu Wasserstoffkernen, und ca. drei Minuten nach dem Urknall fusionierten zwei Protonen und ein Neutron zu Helium. Neun von zehn heutigen Helium-Atomen, des sogenannten primordialen Heliums, entstanden beim Urknall, jedes zehnte stammt aus späteren Fusionen in Sternen. Wäre die schwache Wechselwirkung etwas schwächer gewesen, hätte sie verhindert, dass die Neutronen in Protonen zerfallen. (Kanitscheider 2008, 166-172) In diesem Fall hätte sich kein Deuterium mit einem Proton und einem Neutron bilden können, und in den Sternen wären keine schweren Elemente gebrannt worden. Das ganze Universum wäre eine öde Welt aus Wasserstoff. Wasser als Lösungsmittel für chemische Prozesse hätte sich nicht gebildet. (Achtner 1993, 196) Das Periodensystem der Elemente enthielte nicht 90 Elemente, sondern nur Wasserstoff. Bei einer etwas schwächeren schwachen Kraft hätten die Neutrinos früher aufgegeben, als das Universum noch heißer und als der Zahlenvorsprung der leichteren Protonen gegenüber den Neutronen noch nicht so groß war. Die Folge wären mehr Neutronen und weniger Protonen gewesen. Da die überzähligen Protonen in Wasserstoff umgewandelt worden wären, hätte es im Universum weniger davon gegeben, stattdessen mehr Helium. Bei einem ProtonNeutron-Verhältnis von genau eins zu eins hätte sich sogar die gesamte Materie in Helium verwandelt. (Davies 2008a, 185) Einige Minuten nach dem Urknall entstanden in der Urknall-Nukleosynthese einige wenige sehr leichte Elemente wie Deuterium, Lithium und Beryllium. Einzelne Protonen und Neutronen verbanden sich zu Atomkernen, die sich jedoch durch Zusammenstöße mit hochenergetischen Photonen gleich wieder trennten. Am häufigsten entstanden Wasserstoff und Helium. (Feitzinger 2007, 189) Bei deren Bildung gab es feinabgestimmte gegenläufige Prozesse. Die Reaktionsgeschwindigkeit der Neutronen, die durch die schwache Kernkraft reguliert wird, und die Abkühlungsrate des Universums, welche durch ihre
Expansion bestimmt wird, mussten in einem bestimmten Verhältnis zueinanderstehen, um Wasserstoff und Helium erzeugen zu können. Nach etwa hundert Sekunden war das Universum so weit abgekühlt, dass Deuterium entstand. Nach der Bildung von Helium-4 stoppten die Kernfusionsprozesse. Eine weitere Elementensynthese war nicht möglich, da die Temperatur des Urknalls bereits zu weit gesunken war, um Initialenergie für weitere Kernfusionen zu liefern. (Achtner 1993, 196) Sauerstoff und schwere Elemente entstanden demzufolge nicht direkt nach dem Urknall. Seit deren späterer Bildung ist die Relation von acht bis zehn Heliumatomen zu einhundert Wasserstoffatomen überall im Universum dieselbe. Die Einheitlichkeit ihrer Verteilung „lässt eine gemeinsame Ursache vermuten, die zeitlich früher liegt und einzig im kosmischen Maßstab ist“. (Kanitscheider 2008, 166-172) In den ersten Sekunden und Minuten nach dem Urknall, tauchten, so David Christian, in einem Prozess mit „magischem Charakter“ die „ersten Strukturen oder Energien von eindeutig nichtzufälligen Formen und Eigenschaften“ auf. (Christian 2018, 30)
Die ersten Millionen Jahre
Rund 15 Minuten nach dem Urknall konnten sich dank weiterer Abkühlung Elektronen mit Wasserstoff- und Heliumkernen verbinden. Es gab erste stabile Atome und kam zu Dichteunterschieden. Die Photonen bewegten sich ohne häufig zusammenzustoßen. Strahlung und Materie waren entkoppelt. (Feitzinger 2007, 189f.) 200 Jahre nach dem Urknall war es „nur noch“ 150 000 Grad Celsius heiß. Photonen hatten bereits zu wenig Energie, um den Zusammenschluss von Wasserstoffkernen und Elektronen zu verhindern. Jetzt hätten sich Protonen und Elektronen zu Wasserstoffatomen vereinigen müssen. Aber nichts dergleichen geschah. Aufgrund der gewaltigen Zahl vorhandener Photonen fanden sich genügend, die noch über genug Energie verfügten, um Atomkerne und Elektronen zu trennen. (Lesch/Müller 2003, 98) Rund 380 000 Jahre nach dem Urknall war das Universum soweit abgekühlt, dass sich Elektronen und Atomkerne zu Atomen verbanden. Das Universum erreichte die Rekombinationstemperatur der Wasserstoffatome von rund 3 000 Grad. Dadurch konnten die Atomkerne Elektronen dauerhaft an sich binden. Dieser Prozess dauerte etwa 40 000 Jahre. Danach kamen Wasserstoff und Helium im Wesentlichen nur noch in atomarer Form vor. (Eidemüller 2016, 511) Nach fast 400 000 Jahren fortwährender Expansion und Abkühlung bildeten sich aus dem heißen, undurchsichtigen Plasma immer mehr Atome. Das Universum wurde durchsichtig, auch wenn niemand da war, der den Durchblick hatte. Gasmassen schlossen sich zu Galaxien zusammen, erste Sterne begannen zu leuchten. Wie gesagt gab es niemanden, der das Spektakel beobachten konnte. Beobachter entstanden erst Jahrmilliarden später. Bis dahin war das Universum eine unsichtbare Welt, deren Wunder niemand sehen konnte.
Das Verhältnis von Expansions- und Kontraktionskraft
Bei der Expansion des Universums konkurrierten zwei Kräfte, die Expansionskraft, die seit dem Urknall als Initialzündung für die Expansion sorgte, und die Kontraktionskraft, die aufgrund der Gravitationskraft der Materie dieser Expansion entgegenwirkte. Folgt man dem starken Anthropischen Prinzip, dann mussten beide Kräfte in einem ganz bestimmten Verhältnis zueinanderstehen, um die Entwicklung von Leben zu ermöglichen. Bei einer zu großen Kontraktionskraft wäre der Kosmos wieder kollabiert. (Achtner 1993, 195f.) Im kosmologischen Standardmodell wird die Expansionsrate allein durch die Massendichte bestimmt, die demnach zu Beginn der Welt auf den extrem kleinen Faktor von eins zu 1 057 genau mit der sogenannten kritischen Dichte übereingestimmt haben muss, um die Entstehung von Sonnen und Galaxien zu ermöglichen. Bei einer etwas größeren Dichte der Materie wäre die Ausdehnung zu stark abgebremst worden, und die Welt wieder in sich zusammengestürzt. Wäre die Dichte etwas kleiner gewesen, hätten sich wegen der raschen Ausdehnung keine Sterne und spätere Planeten bilden können. Das gesamte Universum wäre eine „Wolke aus voneinander separierten und sich auseinander bewegenden einzelnen isolierten Elementarteilchen“ gewesen. (Oberhummer 2014, 146f.) Auffällig exakt ist die Abstimmung der Vakuumenergie, die als Kosmologische Konstante in Einsteins allgemeiner Relativitätstheorie bekannt ist und welche die beobachtbare kosmische Expansionsgeschwindigkeit beeinflusst. Anders als in der klassischen Physik angenommen ist das Vakuum nicht leer, sondern voller Quantenfelder, die Elementarteilchen und ihre Wechselwirkungen erzeugen. Sind die Felder besonders stark, entstehen sogar Teilchen aus nichts. (Heinzl 2019, 13) Die Grundenergie des Vakuums besteht aus verschiedenen Teilbeträgen, zum Beispiel der Energie der Quantenfluktuationen des Gravitationsfeldes mit Wellenlängen oberhalb der Planck-Länge von 10-33 Zentimetern. (Walter 1999, 125) Die Expansionsrate des Universums zur PlanckZeit von 10-43 Sekunden schwankte in allen Richtungen des Weltraums um nicht mehr als den Wert von 10-40. Diese Präzision der Feineinstellung ist vergleichbar mit der Fähigkeit eines Bogenschützen, aus einer Entfernung von 15 Milliarden Lichtjahren mit einem Pfeil in die Mitte einer Zielscheibe mit der Größe von einem Quadratzentimeter zu treffen. (Trịnh 1993, 274)
Schon die kleinste Änderung der Expansionsrate hätte, ähnlich wie bei der Stärke der Naturkonstanten und der Masse der Elementarteilchen, die Entstehung von Leben unmöglich gemacht. Die Existenz von Atomen wäre verhindert und der Gang der kosmischen Geschichte radikal verändert worden. (Barrow 2011, 237f.) Wäre die Anfangsgeschwindigkeit des Urknalls nur auf den 1030sten statt auf den 1029sten Teil genau abgestimmt gewesen wäre die Expansion umgekehrt verlaufen. Die Folge wäre ein Kollaps gewesen, noch ehe Sterne und Galaxien entstanden. (Barrow/Silk 1986, 265f.) Wäre die Expansion hingegen viel langsamer abgelaufen, hätte sich die Materie schon in der frühen Phase des Kosmos zusammengeballt. Statt Sternen, die Wasserstoff verbrennen, wäre ein Universum aus Schwarzen Löchern entstanden. Wäre das All nicht mit einer Rate expandiert, die nahe der kritischen lag, gäbe es uns nicht. (Barrow 2011, 233) Bei einer höheren Expansionsgeschwindigkeit als der Fluchtgeschwindigkeit hätten sich keine Galaxien oder sonstige Anhäufungen von Materie bilden können. Die Folge solcher Inhomogenitäten wäre eine großräumige Anisotropie im Universum gewesen. Anisotropie ist die Richtungsabhängigkeit einer Eigenschaft oder eines Vorgangs und das Gegenteil von Isotropie. Daraus schließt Stephen Hawking, dass die beobachtete Kombination großräumiger Isotropie und lokaler Anhäufungen von Materie sich nur bilden konnte, weil die Expansionsgeschwindigkeit genau der Fluchtgeschwindigkeit entsprach. Er erklärt die Sonderstellung des beobachteten Universums mit dem Anthropischen Prinzip. (Zit. b. Gale 1982, 99) Die Wahrscheinlichkeit, dass das Universum seine heutige Form annehmen würde, lag nach Ansicht einiger Physiker bei eins zu 1062. (Gitt u. a. 2010, 165) Zu all diesen Vorgängen gibt es mehr Fragen als Antworten. Warum etwa besitzt das Universum eine nahezu flache Raumzeit? Warum ist es so gleichförmig? Warum hat die kinetische Energie der kosmischen Expansion fast exakt den gleichen Betrag wie die Gravitationsenergie der gesamten Materie? Ein kleiner Überschuss an kinetischer Energie hätte das All so schnell aufgebläht, dass es heute fast leer wäre. Ein leichtes Übergewicht der Gravitationsenergie hätte das Universum kollabieren lassen. Irgendein Prozess muss schon vor der Expansion für Gleichförmigkeit gesorgt haben.
Der habitable Zeitraum und die Größe des Universums
Anfang der 1960er Jahre erkannte Robert Dicke, dass das Universum lange genug existiert haben musste, damit Zeit für die Erzeugung von Kohlenstoff als Grundbaustein des Lebens zur Verfügung stand. Demnach bedingen das Alter der Welt und die obere zeitliche Grenze der Existenz einer Sonne die Größe der Zahl 1040. Daraus schloss er, dass das heutige Alter des Universums ungefähr der Lebensdauer eines durchschnittlichen Sterns entspricht. Er wies nach, dass das Alter nicht zufällig in der Größenordnung von 10⁴ liegt. (Zit. b. Gale 1982, 94) Heute wird die Gesamtdauer menschlichen Lebens auf der Erde als habitable Zeitzone des Universums bezeichnet. Dem Konzept liegen die chemische Entwicklung der Galaxien seit dem Urknall und die Erkenntnisse über die Strukturentwicklung von Galaxien und Galaxienhaufen zugrunde. Nur in einem Universum mit Anfangsbedingungen, die eine nahezu euklidische Geometrie des Weltraumes aufweisen, kann es eine habitable Zeitzone geben. (Bloom/Zaun 2004, 78) Das Universum musste also ein bestimmtes Alter erreichen, damit die Anzahl der Sterngenerationen ausreichte, Kohlenstoff zu erbrüten, der die Basis unserer Existenz ist. Hätte das Alter nur bis zur ersten Generation von Sternen gereicht, wären weder Kohlenstoff noch andere schwere Elemente in Sternen erbrütet worden. (Achtner 1993, 193-195) Auch Stephen Hawking und Leonard Mlodinow sehen im Alter des Universums eine Voraussetzung für unsere Entstehung: „Wir müssen in dieser spezifischen Epoche leben, weil es die einzige ist, die Leben ermöglicht.“ (Hawking/Mlodinow 2010, 154) Die habitable Zeitzone ergibt sich aber nicht nur aus dem Mindestalter der Sterne, sie zeigt auch die durch den Energievorrat der Sterne bedingte zeitliche Begrenzung. (Bloom/Zaun 2004, 82) Das Universum könnte nicht viel älter sein, weil sich der Sternbildungsprozess im Laufe der Zeit verlangsamt und die Produktion radioaktiver Elemente in Sternen abnimmt. (Barrow 2004, 117f.) Auch bei unserer Sonne ist die Zeitgrenze durch die Dauer vorgegeben, in der ein Planet mit der notwendigen Energie versorgt werden kann. Ihr Alter ist durch das Verhältnis von Gravitationskraft und thermischer Bewegung fein austariert. (Achtner 1993, 193-195) Die habitable Zeit des Universums ist auf den Zeitintervall von 10¹⁴ bis 10 Jahre begrenzt. Eine Milliarde Jahre nach dem
Urknall gab es noch keine Galaxien und somit keine stellare Nukleosynthese, um die für das Leben notwendigen schweren Elemente Kohlenstoff, Sauerstoff und Stickstoff zu bilden; spätestens nach 10¹⁴ Jahren werden die Sterne aller Galaxien ausgebrannt sein. (Bloom/Zaun 2004, 82) Es brauchte einige Milliarden Jahre, bis genügend der für das Leben notwendigen Elemente erzeugt waren. Weitere Milliarden Jahre mussten vergehen, bis sich Leben vom Einzeller bis zum Menschen entwickelte. (Oberhummer 2014, 146f.) Wir können deshalb nur innerhalb der Grenzwerte beider Zeitpunkte existieren. (Achtner 1993, 194) Die habitable Zeitzone des Universums ist in Zukunft dadurch begrenzt, dass sich die Nukleosynthese in den Sternen soweit verlangsamt, dass in zirka zehn bis 20 Milliarden Jahren radioaktive Elemente nicht mehr ausreichend vorhanden sind, um auf neu entstehenden Planeten eine Plattentektonik in Gang zu halten, die sie durch den Carbonat-Silicat-Zyklus für die Bildung von Leben geeignet machen. Wegen der endlichen Lebensdauer der Sonne ist die Existenz von Leben auf unserem Planeten zeitlich befristet. In fünf Milliarden Jahren wird die Sonne in das RoteRiesen-Stadium treten. Das Leben auf der Erde wird erlöschen, (Bloom/Zaun 2004, 82) sofern unser Lebensraum auf dem blauen Planeten nicht schon zuvor vernichtet wurde. Neben den unvorstellbaren Zeiträumen ist auch die räumliche Dimension der Welt eine Grundlage menschlichen Lebens. Das beobachtbare Universum hat einen Radius von 46 Milliarden Lichtjahren. Diese Raumzeit ist notwendig, um die Elemente im Inneren von Sternen zu erzeugen, damit sich, „sei es auch nur um einen Stern in nur einer Galaxie herum, interessantes und komplexes Leben entfalten“ konnte. (Gribbin/Rees 1991, 233) Um seine jetzige Ausdehnung zu erreichen, brauchte das Universum mindestens zehn Milliarden Jahre. Neben dem Alter ist also auch dessen Größe für die Herausbildung von Leben unabdingbar. (Bloom/Zaun 2004, 78) In späteren kosmischen Epochen werden keine sonnenähnlichen Sterne mehr existieren, sondern hauptsächlich energieschwache Weiße Zwerge, die nicht genügend Energie für eine planetare Lebensform bieten. In einem kleineren „Universum im Sparformat“, etwa in der Größe der Milchstraße, hätten die Sterne nicht genug Zeit gehabt, Bausteine des Lebens zu bilden. Damit das Universum die Grundlage für die Entwicklung von Leben legen konnte, musste es Milliarden Jahre alt und über eine Milliarde Lichtjahre groß sein. (Barrow 2011, 232) Alles musste genau so sein, wie es ist, sonst gäbe es keine Wissenschaftler, die dies feststellen können.
Anthropisches Prinzip und habitables Universum
Alles, so Paul Davies, deutet darauf hin, dass „unser Weltall nicht irgendein beliebiges ist, sondern eines, das bemerkenswert gut an die Existenz gewisser interessanter und bedeutungsvoller Größen“ anget ist. (Davies 1996a, 237f.) Es ist daher, so Peter Trüb, „sehr wohl angebracht, über die Leben ermöglichenden Eigenschaften unseres Universums erstaunt zu sein“. (Trüb 2015) Offenbar, so Michio Kaku, stellt unser Universum eine „GoldlöckchenZone“ dar, in der alle Parameter genauestens auf einander abgestimmt sind. (Kaku 2005, 304f.) Dabei gelten, im Unterschied zur habitablen Zone im Sonnensystem, die habitablen Zonen der Galaxie und des Universums auch für fremde Intelligenzen. Kennzeichen des lebensfreundlichen Kosmos sind nach Hans-Joachim Bloom und Harald Zaun ein minimaler Überschuss von Materie über Antimaterie, eine Massendifferenz zwischen Neutron und Proton von 1,3 Prozent, die Halbwertszeit beim Beta-Zerfall des Neutrons und ein bestimmtes Massenverhältnis von Proton und Elektron. (Bloom/Zaun 2004, 78) Die kosmische Geschichte, so Hans-Jürgen Fischbeck, brachte einen „bemerkenswerten Kosmos“ hervor, nämlich einen, „der bemerkt werden kann“ und der „erkenntnisfähiges Bewusstsein in Gestalt des Menschen“ ermöglichte. (Fischbeck 2005, 105) Alle Phänomene der Welt, selbst die Schwarzen Löcher, zeigen, dass die Kräfteverhältnisse so verteilt sind, wie sie für die Entstehung von Leben unbedingt notwendig sind. Ein Universum ohne die bestehenden Kräfteverhältnisse wäre zwangsläufig eines ohne uns. John A. Wheeler verweist darauf, dass nach der allgemeinen Relativitätstheorie kein Universum mehrere Milliarden Jahre Zeit zur Verfügung stellen kann, solange es nicht zugleich ein Ausmaß von mehreren Milliarden Lichtjahren besitzt. (Wheeler 1974, 682-691) Viele Wissenschaftler meinen, bei der Feinabstimmung im Universum handele es sich um „einen gigantischen Zufall“. (Kreiner 2011, 114-116) Harald Lesch hält aufgrund der Feinabstimmung des Universums dessen Wahrscheinlichkeit für so groß, „als würde ein Kugelschreiber mit seiner Spitze auf mehreren aufrechtstehenden Rasierklingen stehen und nicht umfallen. Hier stehen 10⁵⁵ Rasierklingen übereinander.“ (Lesch 2020a) Für Viktor Johannes Feitzinger hingegen lässt sich am Kosmos „keine wie immer geartete objektive Bedeutungshaftigkeit festmachen“. (Feitzinger 2002, 140) Stephen Hawking und Leonard Mlodinow meinen in Verteidigung
des Konzeptes eines Multiversums, die vielen „unwahrscheinlichen Umstände, die zusammenkommen mussten, um unsere Existenz und die menschenfreundliche Beschaffenheit unserer Welt zu ermöglichen“, wären nur dann verwirrend, wenn unser Sonnensystem das einzige im Universum wäre. Inzwischen seien jedoch viele Exoplaneten bekannt, und nur wenige Wissenschaftler würden bezweifeln, dass es noch zahllose andere unter den vier Milliarden Sternen in unserem Universum gibt. Dies lasse die Zufälligkeit unserer planetarischen Bedingungen „weit weniger als Beweis dafür erscheinen, dass die Erde so sorgfältig geplant wurde, nur um uns zu gefallen“. (Hawking/Mlodinow 2010, 152)
Die Entstehung von Galaxien
Auch die Entstehung von Galaxien erfolgte auf Grundlage einer Feinabstimmung aller Gesetze, Konstanten und Elemente. Ihre Existenz gehört zu den notwendigen Voraussetzungen für die Entwicklung jeder Form intelligenten Lebens. Galaxien entstanden, nachdem sich aus Quantenfluktuationen kleine Verklumpungen gebildet hatten, die sich wiederum durch Gravitation verstärkten. Die Galaxienbildung koppelte sich von der Expansionsbewegung des Universums ab und bildete lokale Gravitationsinstabilitäten, die zu Materieansammlungen führten. (Kanitscheider 2008, 166-172) Die Galaxien entstanden also durch Unregelmäßigkeiten bei der Materieverteilung, die ihrerseits von der Expansionsgeschwindigkeit innerhalb einer engen Toleranzgrenze abhing. Bereits eine um den tausendmilliardsten Teil der Expansionsgeschwindigkeit (10-12) geringere Expansion am Ende der ersten Sekunde nach dem Urknall hätte zu einem gerade mal 50 Millionen Jahre alten Kosmos mit einer Temperatur von 9 700 Grad Celsius geführt. (Achtner 1993, 198) Zudem mussten Expansions- und Fluchtgeschwindigkeit anfangs gleich sein, damit Materie zu Galaxien kondensieren und eine großräumige Isotropie entstehen konnte. (Gale 1982, 99) Wenn das Universum nicht isotrop wäre, sondern eine Scherung, Rotation und Krümmungsanisotropie hätte, wäre es instabil und brächte keine Galaxien hervor. (Vaas 2004, 383) George Gale geht in der Auslegung des Anthropischen Prinzips so weit, dass für ihn die beobachtete Isotropie „letztlich nur eine Konsequenz unserer eigenen Existenz“ ist. (Gale 1982, 99) Isotropie ist eine Strahlung, die von Körpern in alle Richtungen des dreidimensionalen Raumes gleichmäßig abgestrahlt wird. Anisotropie ist die Richtungsabhängigkeit einer Eigenschaft oder eines Vorgangs. Ohne inhomogene „Keime weiterer Verdichtung“ wäre das Universum heute noch genauso homogen wie am Anfang, und es gäbe weder eine Milchstraße, noch Sonne und Erde. Die Flachheit des Kosmos war eine Voraussetzung für den dreidimensionalen Raum und damit für stabile Galaxien und Planetensysteme. Harald Lesch bezeichnet das Universum als „brettflach“. (Lesch 2020a) Nur in einem flachen Universum konnten sich Galaxien und Sterne bilden.
(Eccles 1982, 31) Hätte der Raum weniger als drei Dimensionen, gäbe es unsere komplexen neuronalen Netzwerke nicht. (Feitzinger 2002, 138) Damit „Galaxiensamen“ entstehen konnten, durfte das Universum auch weder zu homogen noch zu inhomogen sein. „Die virtuose Präzision am Anfang“, so Thuận Xuân Trịnh, „ist atemberaubend.“ (Trịnh 1993, 274) Von zentraler Bedeutung für die Bildung der Galaxien war die Schwerkraft. Wäre sie um ein zehnfaches stärker gewesen, wäre ein Universum voller riesiger schwarzer Löcher mit der Masse einer ganzen Galaxie oder mehr entstanden. Wäre sie um das Zehnfache weniger verklumpt gewesen, hätten sich keine Galaxien gebildet. Die Sterne lägen weiter auseinander, und die schweren Elemente aus der ersten Sternengeneration, vor allem Kohlenstoff und Sauerstoff, hätten sich nicht zu Sternen der zweiten und dritten Generation verdichtet. Diese aber waren es, die das Rohmaterial für die Entstehung von Planetensystemen lieferten. (Haisch 2018, 84f.) Hätte der Urknall ein kleineres Universum mit nur 10¹¹ Sternen entstehen lassen, wäre es aufgrund der Gravitation wieder zusammengefallen. (Eccles 1982, 31) Die stärkere Gravitationsanziehung dichterer Materieregionen verhinderte deren Expansion und führte zur Bildung von durch Gravitation gebundenen Objekten, den Galaxien. Bereits vor über zehn Milliarden Jahren schufen Schwarze Löcher überall im Universum die Voraussetzungen für Leben. Es gibt zig Milliarden Galaxien im All, in deren Zentren supermassereiche Schwarze Löcher vermutet werden. Sie scheinen überall im Kosmos zu wirken. Je weiter man zurück in die Vergangenheit der Raumzeit schaut, desto größere Schwarze Löcher entdeckt man. Es sind Objekte mit Milliarden Sonnenmassen und enormen Jets, die viele Lichtjahre weit ins All strahlen. Mit diesen Jets haben Schwarze Löcher einst die Grundlagen für Leben geschaffen, meint Aurora Simionescu. Bei der Untersuchung der Verteilung lebenswichtiger Elemente an unterschiedlichen Orten im Weltraum stellte sie fest, dass diese Elemente überall vorhanden sind. Ob in Millionen Lichtjahren entfernten Galaxien, im scheinbar leeren Weltraum zwischen den Sterneninseln oder in unserem heimischen Sonnensystem, überall im Kosmos liegen die lebenswichtigen Elemente im gleichen Mengenverhältnis vor. Es musste demnach eine kosmische Kraft existiert haben, die die Elemente weit im All verteilte. Heute gehen die Forscher davon aus, dass Schwarze Löcher für stabile Galaxien mit lebensfreundlichen Regionen sorgten. Ohne das Schwarze Loch im Zentrum unserer Milchstraße wäre auch nie Leben auf der Erde entstanden. (Kantara 2020) Die Epoche der Galaxienentstehung endete drei bis vier Milliarden Jahre nach
dem Urknall. Galaxien entstanden, als sich das Gas in den Protogalaxien abzukühlen begann, sich zusammenzog und um das Zentrum konzentrierte. Schließlich rotierte das Gas so schnell, dass die nach außen gerichtete Zentrifugalkraft die nach innen wirkende Anziehungskraft ausglich. Die so entstandene Scheibe war dicht genug, damit sich Gas zu Wolken verklumpen konnte, aus denen schließlich Sterne hervorgingen. (Kauffmann/van den Bosch 2002, 54f.) Die Bedingungen für unsere planetarische Umgebung zur Aktivierung von Leben begann somit bereits bei der Galaxienentstehung. Aber nicht alle Galaxien konnten Leben hervorbringen. Bei vielen Welteninseln handelt es such um elliptische Galaxien, deren Sterne meist fast so alt sind wie das Universum selbst. Die Häufigkeit der erst viel später in Sonnen gebildeten schweren Elemente ist hier entsprechend gering. Die Sterne bewegen sich auf Umlaufbahnen mit zufällig verteilter Exzentrizität und Neigung, wodurch Planetensysteme häufiger in die Nähe des zentralen Schwarzen Loches der Galaxien und in den Einflussbereich relativistischer Jets geraten. Kugelsternhaufen sind, obwohl sie aus Millionen Sterne bestehen, zu arm an Metallen, um Planeten wie die Erde um sich scharen zu können. Interferierende Einzelsterne stören die Bahnen äußerer Planeten. Die Wahrscheinlichkeit naher Sternenexplosionen oder eines Ausstoßes harter Strahlung ist groß. (Gonzalez/Brownlee/Ward 2001, 44-49)
7. Die Milchstraße
Die Milchstraße: Grundlage menschlichen Lebens
Die Milchstraße gehört neben rund 50 anderen Galaxien zur „lokalen Gruppe“ in den äußeren Regionen des Virgo-Galaxienhaufens (lat. Jungfrau), der bis zu 2.000 Galaxien umfasst. Er wiederum gehört zum „gigantischen kosmischen Reich“ des Laniakea-Superhaufens mit etwa 100.000 Galaxien. Der hawaiianische Name bedeutet „unermesslicher Himmel“. Vermutlich hat sich Laniakea um ein Gerüst aus Dunkler Materie gebildet, die alle Galaxien zusammenhielt, während das Universum expandierte. (Christian 2018, 77) Die Milchstraße als Spiral- und Scheibengalaxie stellt ein stark abgeplattetes und strukturiertes Gebilde dar, in dem sich Sterne und Gase auf etwa kreisförmigen Bahnen um das Zentrum bewegen. Anders als elliptische Galaxien, die nur eine einzige intensive Phase der Sternentstehung durchlebten, entstanden in Scheibengalaxien über einen wesentlich längeren Zeitraum Sterne. Von der Masse und Größe einer Galaxie hängt es also auch ab, ob komplexes Leben entstehen kann. Ebenso muss der Gehalt an Metallen und die Größe stimmen. Die Milchstraße ist größer und heller als die meisten Galaxien im Universum. Sie hat einen Durchmesser von rund 120 000 Lichtjahren. In ihrer Scheibe befinden sich etwa fünf Milliarden Sonnenmassen (10⁴ kg) interstellaren Gases, das zu 70 Prozent aus Wasserstoff, zu 29 Prozent aus Helium und zu einem Prozent aus schwereren Elementen besteht. Der Metallgehalt nimmt in der Scheibe von innen nach außen ab. (Launhardt/Henning 2012, 82)
Lebensfeindliche Bereiche
In den meisten Bereichen der Milchstraße ist Leben unmöglich. Eine Gefahr würde zum Bespiel eine Supernova in weniger als 30 Lichtjahren Entfernung sein. Dabei würden energiereiche Gamma- und Röntgenstrahlen sowie schnelle Teilchen Jahrtausende lang über die Erde hinwegfegen, die Ozonschicht der Atmosphäre zerstören und sie mit Stickoxiden anreichern. Die verbleibenden Ozonmoleküle könnten die UV-Strahlen nicht wegfiltern. Schon eine Supernova in 50 Lichtjahren Entfernung würde unseren Planeten sterilisieren. Eine Annäherung der Sonne näher als 30 Lichtjahre an eine Supernova ist theoretisch möglich, denn alle 50 bis 100 Millionen Jahre gerät sie in einen der Spiralarme und treibt für etwa zehn Millionen Jahre durch ihn hindurch. Möglicherweise befand sich unser Sonnensystem schon öfter in einer solchen galaktischen Situation. (Breuer 1981, 198f.) Neutronensterne (Magnetare) stellen nur wegen ihrer Entfernung von der Erde keine akute Bedrohung dar. Im Zentrum der Galaxie kommen sie häufiger vor. Wegen der hohen Sternendichte wirbeln hier Sternbegegnungen Wolken von Kometen und Asteroiden auf, welche die dortigen Planeten bombardieren. Sterne im galaktischen Zentrum sind zudem den Stoßwellen der Ausbrüche Schwarzer Löcher in ihrem Mittelpunkt ausgesetzt. (Christian 2018, 99) Würde ein Schwarzes Loch ein Lichtjahr von der Sonne entfernt vorbeiziehen, gäbe es auf der Erde kein Leben mehr. Masse und Schwerkraft dieses Gebildes würden die Bahnen der Planeten sowie die Position und Bewegung der Sonne verändern. Aber dank des Anthropischen Prinzips und somit „aus der schlichten Tatsache unserer Existenz und der der Planeten, die schon seit 4,5 Milliarden Jahren die Sonne umkreisen“, können wir relaxt schlussfolgern, dass es bislang kein solches Szenario gab. (Lesch/Zaun 2008, 54) Eine weitere Gefahr wären dichte Dunkelwolken und intensiv strahlende Sternentstehungsgebiete. Die Erde könnte von vernichtenden Strahlenschauern durch benachbarte Supernovae betroffen werden. Allerdings erreichte die Sternentstehungsrate im Milchstraßensystem bereits vor acht bis zehn Milliarden Jahren ihr Maximum und nimmt seitdem ab. In Planetensystemen am Rand der Galaxis, wo es relativ wenig Kohlenstoff, Stickstoff, Sauerstoff, Silizium und Eisen gibt, sind die Chancen zur Bildung erdähnlicher Planeten mit einem wärmenden radioaktiven Kern gering.
(Gonzales/Brownlee/Ward 2001, 39-45 u. 412) Sternen in den Außenbezirken der Milchstraße stehen nur dünne, chemisch verarmte Wolken zur Verfügung. Viele befinden sich außerhalb der Spiralarme, gehören aber zur Galaxie. Jenseits von ihnen „beherrscht die Milchstraße ein Reich, das sich über Millionen von Lichtjahren erstreckt“. Mindestens zehn kleinere Galaxien umkreisen die Milchstraße wie Monde einen gigantischen Planeten. Die bekannteste ist die Magellansche Wolke. „Der entfernteste Außenposten des galaktischen Imperiums“ ist ein Zwergsystem 890 000 Lichtjahre vom Zentrum der Milchstraße entfernt. (Croswell 1997, 15f.) Hier ist die Chance für Leben noch geringer. Und wie sieht es in anderen Galaxien aus? Etwa 80 Prozent aller Sterne des Universums befinden sich in Galaxien mit einer geringeren Leuchtkraft als die der Milchstraße. Da diese mit der Anreicherung von schweren Elementen einhergeht, sind dort die Chancen zur Bildung erdähnlicher Planeten gering. (Gonzalez/Brownlee/Ward 2001, 45) Die Größe der Milchstraße ist also eine weitere Voraussetzung für das Entstehen bewussten Lebens.
Unser Sonnensystem in der habitablen Zone der Galaxie
Es gibt in der Milchstraße aber nicht nur lebensfeindliche Bereiche, sondern auch habitable Zonen. Harald Lesch spricht von einem „galaktischen Grüngürtel“. (Lesch 2020c) Nach dem Märchen „Goldilocks and the Three Bears“, das vom richtigen Mittelmaß zwischen Extremen handelt, wird sie „Goldilocks Zone“ genannt. Der Stand der Forschung erlaubt es noch nicht, den „galaktischen Lebensgürtel“ im Detail zu beschreiben. Bekannt ist aber, dass sich die habitable Zone 23 000 bis 29 000 Lichtjahre vom galaktischen Zentrum entfernt befindet und immer weiter nach außen wandert. Einige Experten meinen, sie sei breit und habe einen diffusen Rand. (Gonzalez/Brownlee/Ward 2001, 38f. u. 44f.) Andere halten sie für eher schmal. Jedenfalls sind hier die Möglichkeit für erdähnliche Planeten hoch und die Differenzgeschwindigkeit von Spiralarmen und Scheibengas gering. (Lesch/Müller 2003, 261) Wichtig ist, dass sich das Sonnensystem mit der Galaxie dreht und den SternEntstehungsgebieten nicht zu nahekommt. (Lesch 2020c) Eine weitere Voraussetzung für Leben sind ausreichend gesteinsbildende Elemente. Ihre Häufigkeit nimmt vom Zentrum der Galaxis nach außen hin ab. Donald E. Brownlee, Guillermo Gonzalez und Peter Ward meinen, die ökologischen Nischen in unserer Galaxis seien „weitaus seltener und kleiner als vermutet“. (Brownlee/Gonzalez/Ward 2001, 38ff.) Olaf Fritsche spricht vom „Speckgürtel mit den Spießer-Sternen, die zwischen vier und acht Milliarden Jahre alt sind“ und „sich schwere Elemente leisten können“. Hier sei „das Dasein vielleicht ein wenig langweilig, dafür lässt es sich aber leben - durchaus im wortwörtlichen Sinne“. (Fritsche 2015, 79f.) Sonne, Erde und Menschen umkreisen das Zentrum der Milchstraße mit einer Geschwindigkeit von 220 Kilometern pro Sekunde. Die Sonne befindet sich in der habitablen galaktischen Zone nahe des Korotationskreises, auf dem sich die Sterne mit der gleichen Geschwindigkeit wie die Spiralarme bewegen. Innerhalb des Kreises sind die Sterne schneller, außerhalb langsamer unterwegs. Da beide Umlaufgeschwindigkeiten im Gebiet unserer Sonne nur wenig voneinander abweichen, bewegen sich die Spiralarme in Relation zur Erde sehr langsam. Vermutlich entstand unser Sonnensystem, nachdem ein Spiralarm „unsere galaktische Heimat“ erreichte. Es ist möglich, dass seitdem nie wieder ein
solcher Arm unsere Region ierte. (Brownlee/Gonzalez/Ward 2001, 38-45) Unser Stern befindet sich hier schon Jahrmilliarden zwischen zwei Spiralarmen in einem wenig bedrohten Bereich auf der Innenseite des Orionarms in der Lokalen Blase, einem weitgehend staubfreien Raumgebiet in der interstellaren Umgebung. Hier sind die Abstände zwischen den Himmelskörpern so groß, dass es selten zu bedeutsamen Begegnungen kommt. Unklar ist, ob ihre Lage in der Galaxie die vier Milliarden Jahre währende biologische Evolution auf der Erde erst ermöglichte und ob die über Jahrmillionen auftretenden Warm- und Kaltphasen mit dem Umlauf unseres Sonnensystems in der Milchstraße zusammenhängen. (Bothmer 2017, 35)
8. Sterne
Die Bildung erster Sterne und die Entstehung schwerer Elemente als Bausteinen des Lebens
Angaben über den Zeitpunkt der Bildung erster Sterne schwanken zwischen weniger als 100 Millionen (Oberhummer 2012, 184) und einer Milliarde Jahren nach dem Urknall. (Genz 2006, 131-133) Sie entstanden, als sich das Gas aus Wasserstoff und Helium zu Wolken verdichtete. Die ersten Sterne waren hunderte Mal schwerer als die Sonne und wesentlich kurzlebiger. Während sie in ihrem Inneren Wasserstoff und Helium verbrannten, bildeten sie schwerere Elemente, die bei Supernova-Explosionen ins Weltall geschleudert wurden. Die Voraussetzung für die Erzeugung von Elementen mit größeren Kernen waren viele Protonen und sehr hohe Temperaturen, wie es sie zuletzt kurz nach dem Urknall gab. Vergleichbare Temperaturen gab es erst Milliarden Jahre später wieder und zwar nur in Sternen mit mehr als acht Sonnenmassen. Hier folgten nach dem Heliumbrennen verschiedene Brennstadien, in denen Kohlenstoff, Neon, Sauerstoff und Silizium sowie andere für das Leben notwendige Elemente erzeugt wurden. Der Sauerstoff in unserem Blut, der Stickstoff im Eiweiß, das Kalzium in unseren Knochen und der Phosphor in unserem Erbmaterial, alles wurde in massereichen Sternen gebildet, die lange vor der Entstehung unserer Sonne explodierten. Die Moleküle sämtlicher Lebewesen sind aus Atomen zusammengesetzt, die irgendwann im Inneren von Sternen aus Wasserstoff „zusammengekocht“ wurden. (Güntheroth 2001, 204) Eisen entstand auf zwei unterschiedliche Weisen, in Supernovae und in Weißen Zwergen. Deren meist „ereignisloses Leben“ wurde gelegentlich durch die Explosion einer Supernova unterbrochen, die große Mengen Eisen, Nickel und Kobalt freisetzte. Deren Atome trieben danach Milliarden Jahre durch die Galaxie, bevor sie in der Gas- und Staubwolke hängenblieben, aus der das Sonnensystem hervorging. (Croswell 1997, 18) Als „Sternenkinder“ tragen wir also das Erbe längst vergangener Sterne in uns. (Oberhummer 2014, 79) Wir sind „Recycling-Produkte“, befand sich doch jedes Atom unseres Körpers schon einmal in einer Art „kosmischer Reinkarnation“ in verschiedenen Sternen. (Ward/Brownlee 2001 47f.) Olaf Fritsche spricht lapidar aber treffend von einem „Secondhand-System, dessen Sterne und Planeten zum Teil aus wiederverwerteten Atomen bestehen“. (Fritsche 2015, 43) Aber tatsächlich sieht man Messer und Gabel in einem anderen Licht, wenn man weiß, wo ihre im
Universums-Maßstab extrem seltenen Elemente geschmiedet wurden. Jeder Schrottplatz ist so gesehen eine Ansammlung kostbarer schwerer Elemente, die in Sternen entstanden und noch lange nach uns im durch Entropie erkaltenden Kosmos vor sich hinfliegen werden.
Feinabstimmungen von Wechselwirkungen und Naturkonstanten als Grundlage für die Entstehung von Sternen, die Leben ermöglichen
Wie alle Abläufe im Universum basieren Entstehung und Funktionsweise der Sterne auf den bereits behandelten Wechselwirkungen, Naturkonstanten und den Elementen des Periodensystems im Zusammenwirken mit Zufall und Chaos. Die Struktur der Sterne hängt vom Verhältnis der Gravitationskonstante zur elektromagnetischen Feinstrukturkonstante ab. Ist die Gravitationskraft größer, entstehen Blaue Riesen, ist sie kleiner, Rote Zwerge. Die Temperatur der Sterne wird durch das Verhältnis der Gravitationskraft zum Strahlungs- und Gasdruck bestimmt. Beide müssen sich im Gleichgewicht befinden. Wäre die Gravitationskonstante größer, würde ein Stern seinen Wasserstoffvorrat binnen kurzer Zeit verbrauchen. Seine Lebenszeit wäre zu kurz, um Leben hervorbringen zu lassen. Wäre die Kernkraft um zehn bis 20 Prozent schwächer, würde Deuterium instabil. Die Sterne könnten die benötigte Kernenergie nicht nutzen. Sie würden zu Schwarzen Löchern kollabieren, statt durch Freisetzung von Kernenergie zu leuchten. (Haisch 2018, 78-81) Zwei physikalische Kräfte samt zugehöriger Naturkonstanten spielen bei der Erbrütung höherer Elemente in Sonnen eine entscheidende Rolle: die elektromagnetische Wechselwirkung und die starke Kernkraft. Erstere wirkt auf gleichgeladene Teilchen wie z. B. Protonen, abstoßend, letztere auf Teilchen über eine sehr kurze Distanz extrem anziehend. Wäre sie etwas geringer, könnte sie die einander elektrisch abstoßenden Protonen im Atomkern nicht zusammenhalten, und es entstünden keine Elemente höherwertig als Wasserstoff. Bei einer stärkeren Kernkraft würde aufgrund der durch die stärkere Anziehung bedingten höheren Temperaturen bereits im Urknall aller Wasserstoff zu Helium verbrannt werden. Wasser als Lösungsmittel und biologische Prozesse in höheren Lebewesen gäbe es nicht. (Achtner 1993, 196f.) Zwar ist die starke Kraft für die Energie verantwortlich, die bei einer Kernfusion frei wird, die entscheidende Umwandlung der Protonen in Neutronen wird aber von der schwachen Kraft gesteuert. Weil sie schwach ist, verlangsamt sie den Fusionsprozess. Paul Davies spricht von einem „Glücksfall, denn so kann die große Mehrzahl der Sterne über eine sehr lange Zeit gleichmäßig leuchten - im Fall unserer Sonne so lang, dass sich auf der Erde Leben mit hochkomplexen
Organismen bilden und halten konnte“. (Davies 2008a, 174) Die Leuchtkraft der Sterne hängt von der Stärke der elektromagnetischen Wechselwirkung ab. Wäre diese um wenige Prozent stärker, hätten sich längst alle Hauptreihensterne in kalte Rote Sterne verwandelt. Es gäbe keine Supernova-Explosionen, keine Elementanreicherung des interstellaren Mediums und keine chemische Evolution. (Kanitscheider 2001, 211) Auch bei der Bildung von Kohlenstoff spielten die Wechselwirkungen und Naturkonstanten eine wesentliche Rolle. Würde man die Feinstrukturkonstante fiktiv um mehr als vier Prozent erhöhen oder die Konstante für die starke Kernkraft um mehr als 0,4 Prozent verringern, hätte sich die Produktion von Kohlenstoff erheblich reduziert. (Barrow 2004, 144-149) Das Energieniveau der Kohlenstoffresonanz wird durch das Zusammenspiel der starken mit der elektromagnetischen Kraft festgelegt. Wäre die starke Kraft nur um einen Punkt schwächer oder stärker, würden sich die Bindungsenergien der Kerne ändern. „Die Resonanzen würden sich nicht in so perfekter Weise aufaddieren, und das Universum wäre ganz ohne Leben und stünde nicht unter Beobachtung.“ (Davies 2008a, 177-179) Hinsichtlich der notwendigen Resonanz im Sonneninneren zeigt sich, so Davies, dass uns die Natur „wohlgesinnt“ ist, denn sie habe sie „ein kleines bisschen neben die kritische Energie“ verlegt. Die Gesetze der Physik und die Struktur der Sterne „scheinen sich verschworen zu haben, die Kohlenstoffproduktion, einen gewöhnlich sehr unwahrscheinlichen Reaktionskanal, großzügig zu fördern“. Was, so fragt er, sind die notwendigen Bedingungen dafür, dass Kohlenstoff in einer Supernova-Explosion in den Weltraum geblasen wird? „Lauter glückliche Zufälle, lauter Beispiele für eine offensichtliche Feinabstimmung natürlicher Gegebenheiten.“ (Davies 1996, 42, 46 u. 141f.) Wäre das Verhältnis von starker Kernkraft zu elektromagnetischer Kraft geringfügig anders, würde die Beryllium-Kohlenstoff-Resonanz unterdrückt, und die Bildung von Kohlenstoff in den Sternen läge bei Null. Die Lage der Energieniveaus in Atomkernen ist das Ergebnis komplizierter Wechselwirkungen zwischen Kernkraft und elektromagnetischer Kraft. Die Niveaus ergeben sich aus der Größe der Feinstrukturkonstante und der entsprechenden Konstante für die starke Kernkraft. (Barrow 2004, 144-149) Während Beryllium und Helium zusammengeschlossen sind, werden gemäß des Energieniveaus des Kohlenstoffs zwei Gammaquanten ausgestrahlt. Beryllium und Helium können mangels Energie nicht als Einzelkerne existieren und bleiben als Kohlenstoff zusammen. Diese Tatsache hängt allein von den Naturkonstanten ab und ist „nicht weiter erklärbar“. (Benz 1997, 109f.)
Fred Hoyles Vorhersage der Bildung von Kohlenstoff auf Grundlage des Anthropischen Prinzips
Lange war unklar, wie Kohlenstoff in Roten Riesen gebildet wird. 1952 vermutete Fred Hoyle, die Triple-Alpha-Reaktionsrate beim Helium-Brennen Roter Riesen hänge vom Wert eines bestimmten Energieniveaus des Kohlenstoffs ab. Es müsse daher eine spezielle Anordnung des Kohlenstoffkerns aus dem Berylliumkern und dem dritten Heliumkern geben. Trotz der extrem kurzen Lebensspanne des Berylliumkerns wäre nur so erklärbar, wie beträchtliche Mengen von Kohlenstoff entstehen konnten. Weil solche Begegnungen von drei Helium-Kernen aber äußerst selten sind, könne dies nur bei Resonanzen ablaufen, deren Reaktionsgeschwindigkeit durch Quanteneffekte wesentlich vergrößert ist. Wie bewusst herbeigeführt entspreche eine dieser Resonanzen der Energie von Heliumkernen im Inneren großer Sterne. Hoyle wagte die Vorhersage, es müsse einen besonderen Typ von Kohlenstoffkernen geben, der fast exakt den gleichen Energiezustand hat wie die Heliumkerne, von denen die Reaktion ausging. Er leitete den gesamten Zyklus der Nukleosynthese des Sternenbrennens davon ab, obwohl das entscheidende Detail der Kernresonanz zum Kohlenstoff-12 noch gar nicht bekannt war. Weil sie aber für die Entstehung des Kohlenstoff-12-Atoms unumgänglich war, prognostizierte Hoyle, müsse es sie geben, denn sonst gäbe es uns nicht. Auch die Häufigkeit des Kohlenstoffs in der Natur sei nur so erklärbar. Die ausbalancierte Folge günstiger Umstände mache ein auf Kohlenstoff gegründetes Leben erst möglich. Problematisch an seiner Hypothese war, dass die Energiezustände von Helium und Kohlenstoff so genau zueinander en mussten, dass sich eine derartige Übereinstimmung kaum noch als zufällig interpretieren ließ. Dank Fred Hoyle sind diese Abläufe der Nukleosynthese im „Tripel-AlphaProzess“ heute bekannt. Der Name rührt daher, dass drei Heliumkerne, auch Alphateilchen genannt, beteiligt sind. Kohlenstoff ist beim Urknall oder kurz danach nicht entstanden. Er benötigt für seine Entstehung eine Temperatur von über 100 Millionen Grad Celsius. So heiß war das Weltall nicht mehr, als sich Protonen und Neutronen zu Atomkernen zusammenschlossen. Erst mit Roten Riesen ergab sich eine neue Chance zur Bildung von Kohlenstoff. Sie beruht auf
einer Dreifachkollision von drei Heliumkernen. Wasserstoff wandelt sich zu Helium, Helium zu Beryllium und schließlich Helium und Beryllium zu Kohlenstoff. Im Tripel-Alpha-Prozess vereinigen sich zunächst zwei Alphateilchen (Heliumkerne) zu einem Berylliumkern, der nur eine Lebensdauer von einer Attosekunde (10-16) hat, er bevor er wieder in zwei Alphateilchen zerfällt. Angesichts der unvorstellbar kurzen Zeit ist dieser letzte Schritt eigentlich kaum denkbar. (Benz 1997, 109f.) Da die Stoßzeit zwischen zwei Heliumkernen nur 10-21 Sekunden beträgt und somit bedeutend kürzer ist als die Zerfallszeit des Berylliums, existieren der Berylliumkern und ein Heliumkern zwar extrem kurz, jedoch ausreichend lange gleichzeitig, um eine Verschmelzung zu Kohlenstoff zu ermöglichen. Trotzdem ist die Wahrscheinlichkeit für die Kettenreaktion zum Kohlenstoff immer noch äußerst gering. (Barrow 2004, 144f.) Das zeitgleiche Zusammentreffen von drei Kernen ist so selten, dass die Kohlenstoffproduktion kaum der Rede wert wäre, käme nicht eine weitere bemerkenswerte Tatsache hinzu. Warum auch immer kam eine Verbindung zu Kohlenstoff zustande, weil das Energieniveau, die Resonanz von Kohlenstoff, geringfügig höher ist als die Energie eines Berylliumkerns plus eines Heliumkerns. Die Häufigkeit von Kernreaktionen variiert stark mit der Energie der beteiligten Kerne. Gelegentlich gibt es bei einer bestimmten Energie einen kräftigen Anstieg in der Effizienz eines bestimmten Reaktionskanals, eine sogenannte Resonanz. Eine Reaktion kann nur bei bestimmten wohldefinierten Resonanzen ablaufen, bei denen die Reaktionsgeschwindigkeit durch Quanteneffekte wesentlich vergrößert wird. „Durch einen glücklichen Zufall entspricht eine dieser Resonanzen gerade der Energie von Heliumkernen im Inneren großer Sterne“. Helium verschmilzt mit Beryllium zu Kohlenstoff, weil der Kohlenstoff genau bei der richtigen Energie eine Resonanz hat und daher sehr schnell Energie abstrahlen kann. „Es hat sich“, so Davies, „herausgestellt, dass die Natur uns pflichtschuldigst eine solche Resonanz für die HeliumDreifachkollision bei genau der Energie geschenkt hat, die der Temperatur im Herzen von Sternen entspricht“. Dadurch war der Wirkungsgrad der Kohlenstoffproduktion erheblich höher als sonst. (Davies 1996a, 141f., 268f.) Fred Hoyle ging davon aus, dass ein Beryllium-8-Kern mit einem Heliumkern zusammenstößt. Man müsste dann, so meinte er, nur noch sicherstellen, dass sich die beiden zu einem Kohlenstoffkern verbinden, bevor der Berylliumkern wieder zerfällt. Die von Hoyle berechnete Energie entspricht genau der Masse eines Helium- und eines Beryllium-8-Kerns zusammen mit ihrer kinetischen Energie
bei der Temperatur von 100 Millionen Grad, wie sie im Innern eines Roten Riesen herrscht. Eine derartige Resonanz würde dazu führen, dass sich der Beryllium-8-Kern sehr leicht mit einem Heliumkern zu Kohlenstoff verbindet, was die Häufigkeit des Kohlenstoffs dramatisch in die Höhe treibt. Der seltsame Zufall, dass der Kohlenstoff eine Resonanz in exakt der richtigen Größe hat, wird noch durch die Tatsache verstärkt, dass der Sauerstoff, das nächste Element nach dem Kohlenstoff, zufällig gerade keine Resonanz in der gleichen Höhe aufweist, denn sonst wären aus den meisten Kohlenstoffatomen gleich Sauerstoffatome geworden. Die beiden für unser Leben notwendigen Elemente Kohlenstoff und Sauerstoff haben also aus unbekanntem Grund Eigenschaften, die komplexere Strukturen erst ermöglichten. Die Kernphysiker waren zunächst skeptisch, als ein Astrophysiker ihnen etwas über die Energieniveaus des Kohlenstoffs erzählen wollte. Umso überraschter war William Alfred Fowler, als sich am Beschleuniger die vorhergesagte Resonanzlinie des Kohlenstoffs tatsächlich nachweisen ließ. Es handelte sich um die erste theoretische Vorhersage aufgrund des Anthropischen Prinzips, die durch ein Experiment bestätigt wurde. Das Ergebnis überzeugte einige Astrophysiker sogar davon, dass hinter den physikalischen Gesetzen möglicherweise ein „intelligenter Plan“ stecke. (Hasinger 2007, 82f.) Die Feinabstimmung ist in der Tat erstaunlich. Bereits minimale Variationen von etwa 0,5 Prozent der Stärke und Reichweite der Kernkraft führen zu einer 30- bis 1 000-fachen Erniedrigung der Häufigkeit von Kohlenstoff oder Sauerstoff. Damit wäre Leben auf Kohlenstoffbasis „extrem unwahrschein-lich“. Der Zustand des Kohlenstoffkerns ist „das Nadelöhr für das Leben, denn ohne diesen Zustand wäre Leben im Universum extrem unwahrscheinlich“. Heinz Oberhummer zeigt sich „fasziniert von dieser wundersamen Zufälligkeit einer Verbindung zwischen Naturwissenschaft und Religion“. (Oberhummer 2014, 184f., 144)
Das Verbrennen von Kohlenstoff zu Sauerstoff in Roten Riesen
Ein Teil des im Tripel-Alpha-Prozess entstandenen Kohlenstoffs wird durch das Einfangen eines weiteren Alphateilchens zu Sauerstoff weiterverbrannt. Diese Phase bezeichnet man als Heliumbrennen. (Oberhummer 2014, 85-87) Sie gibt weitere Rätsel auf. Die Bildung von Kohlenstoff wäre hinsichtlich der späteren Entstehung von Leben nutzlos, wenn er im nächsten Schritt der Nukleosynthese, dem Zusammenschluss eines weiteren Heliumkerns mit dem Kohlenstoff zu Sauerstoff, vollständig verbraucht würde. Gäbe es bei dem Vorgang wieder eine Resonanz im entsprechenden Energiebereich, wäre sämtlicher Kohlenstoff in der Sauerstoffproduktion aufgegangen. Eine solche Resonanz gibt es zwar, doch „die Natur ist uns wohlgesinnt und hat sie ein kleines bisschen neben die kritische Energie verlegt. Der größte Teil der Kohlenstoffkerne bleibt also unberührt. Wunderbar!“ (Davies 1996, 141f.) Man könnte, so Bernhard Haisch, mit Fug und Recht eine ähnliche Resonanz erwarten, die dazu führt, dass Kohlenstoff schnell reagiert und Sauerstoff entsteht, womit kein Kohlenstoff mehr übrigbliebe. Aber eine solche Resonanz gibt es nicht. „Die Natur konspiriert, sodass in massiven Sternen ein wenig Sauerstoff entsteht, aber nicht genug, um den entscheidend wichtigen Kohlenstoff auszulöschen. Im Endergebnis erhalten wir genau die richtigen Mengen Kohlenstoff und Sauerstoff, und beide sind die essenziellen Elemente für das Leben.“ (Haisch 2018, 86) Nur so überstand genügend Kohlenstoff die „stellaren Strapazen“ und reicherte das interstellare Medium durch die vielen Supernovae an. (Lesch/Gaßner 2016, 165-167) Beim Heliumbrennen bildeten sich allerdings nur Elemente bis hin zum Kohlenstoff. Die Entstehung der nächstschwereren Elemente war auf diese Weise nicht möglich. Nach der Bildung des Kohlenstoffs konnten sich aber in den Kernen der Sterne bei Temperaturen zwischen 10 und 100 Millionen Grad Celsius aus Kohlenstoff schwerere Elemente bilden. Erst diese später entstandenen Sterne mit Helium und Wasserstoff konnten höherwertige Elemente synthetisieren und gleichzeitig Energie in Form von elektromagnetischen Wellen abgeben. (Achtner 1993, 196) Auch in dieser Hinsicht ist die wundersame Erzeugung großer Mengen von Kohlenstoff von immenser Bedeutung für unsere Rote Linie.
Supernovae und Neutrinos
Auch bei der Bildung von Sternen spielten feinabgestimmte Werte eine entscheidende Rolle. So musste das Stärkeverhältnis von elektromagnetischer Kraft zur Schwerkraft sehr nahe am Wert von 10⁴ liegen, damit Leben spendende Sternenarten entstehen konnten. Wäre die Schwerkraft etwas stärker, hätten alle Sterne die Energie über Strahlung transportieren müssen, und es wären keine Planeten entstanden. Wäre sie etwas schwächer gewesen, würde kein Stern in Supernova geendet sein. (Davies 2004a, 186f.) Die Sterne mussten ihre „erbrüteten Vorräte“ durch Supernovae wieder freigeben, denn nur so konnten sich aus den Staubwolken nach Supernovae in weiteren Sternenexplosionen neue Sterne mit schweren Metallen bilden. Reinhard Breuer vergleicht diesen Vorgang mit dem Schwert eines Samurai, das mehrfach geschmiedet wird, bis es die richtige Konsistenz erreicht. (Breuer 1981, 161f.) Für die Entstehung von Leben waren zwei Typen von Supernovae notwendig. Zum Typ I gehörten thermonukleare Explosionen von „nackten“ Weißen Zwergen, die aus Helium oder Kohlenstoff und Sauerstoff bestehen. Sie sind Überreste relativ massearmer Sterne. Die Weißen Zwerge wurden bei der Explosion vollständig zerstört, und es blieb nur ein diff Gasnebel übrig. Dieser Supernova-Typ setzte vor allem Eisen, Nickel und Kobalt frei. Supernovae vom Typ II beruhten auf dem Kollaps eines Riesensterns, bei dem dessen äußere Hülle ins All geschleudert wurde. In diesen Riesen war nach dem Ende des Siliziumbrennens kein Brennstoff mehr vorhanden. Ohne nachaußen gerichteten Druck stürzte der Stern wegen der enormen Gravitationsanziehung in sich zusammen und implodierte. In seinem Zentrum erreichte die Dichte einen Wert, der bis zu einer Billiarde mal größer ist als in gewöhnlichen Körpern. Dann wurde ein Großteil der Materie nach außen geschleudert. Während einer Supernova vom Typ II entstanden die schwersten und seltensten Elemente wie Gold, Silber oder Uran. (Gonzalez/Brownlee/Ward 2001, 42) Voraussetzung für sie waren die exakten Werte der schwachen Wechselwirkung. Bei einer etwas schwächeren Wechselwirkung wäre die dichte Schockwelle bei den Supernovae für Neutrinos durchlässig gewesen. Sie hätten deswegen nicht dazu beitragen können, die Sternhülle nach außen zu stoßen. Wäre die schwache Wechselwirkung etwas stärker gewesen, wären die Neutrinos in der Sternmitte
verharrt und die Sterne nicht explodiert. Für die Explosion musste die schwache Wechselwirkung genau dosiert sein, damit genug Neutrinos entweichen und mit der Schockwelle wechselwirken konnten. Ohne diese Neutrinos gäbe es uns nicht, da sie schwere Elemente freisetzen, die Grundlage für die Bildung neuer Sterne wie der Sonne und der Erde sind. (Gribbin/Rees 1991, 219-221) Das Vorhandensein der Erde geht somit auch auf die Eigenschaften eines subatomaren Teilchens zurück, „das vielleicht nie entdeckt worden wäre, weil seine Wirkung so gering ist“. (Davis 1996a, 236) Wir haben also die Neutrinos in die große Gruppe der Faktoren aufzunehmen, ohne die es menschliches Leben nicht gäbe. Über sie läuft unsere Rote Linie der Evolution. Nicht nur in dieser Hinsicht sind Naturgesetze und Zufälle nicht zu trennen. Die feststehenden Naturgesetze scheinen selber zufällig zu sein und die Zufälle uns nicht bekannten Ordnungsprinzipien zu entsprechen. Ohne diese Tatsache hätte es keine Entwicklung hin zu uns Menschen gegeben.
Unser Star: Die Sonne
Der präsolare Nebel und die Bildung des Sonnensystems
Hinsichtlich des Vorgängersterns der Sonne, der in einer Supernova explodiert war, gehen die Meinungen auseinander. Die Rede ist von einem 25Sonnenmassen-Stern in einer Entfernung von unter einem Lichtjahr, aber auch von einem Vorläufer mit 20 bis 40 Sonnenmassen, der in rund 16 Lichtjahren Entfernung explodierte. (Lesch/Müller 2014, 89) Möglicherweise gehörte die Sonne sogar erst zur dritten (Görnitz/Görnitz 2002, 44) oder vierten Generation. (Fritz 2009, 74) Die Vorläufer-Supernova explodierte jedenfalls vor der Entstehung des Sonnensystems und hinterließ dunkle, kalte Wolken interstellarer Materie. (Christian 2018, 74) Diese hatten eine Ausdehnung von mehreren Lichtjahren und enthielten Material für ca. 10 000 Sterne. (Brownlee/Gonzalez/Ward 2001, 38ff.) Die präsolare Dunkelwolke begann vor etwa 4,57 Milliarden Jahren zu kollabieren. Auslöser waren vermutlich Stoßwellen einer Supernova-Explosion, deren Auswurf an charakteristischen Materialien in Meteoriten unseres Sonnensystems nachweisbar ist. (Reichert 1999, 210) Möglicherweise entstand unser Sonnensystem aber auch, weil die elliptische Saggitarius-Zwerggalaxie vor 5,7 Milliarden Jahren die Milchstraße durchquerte. Kollisionen könnten zur Entstehung unseres Sonnensystems geführt haben. Vor 1,9 bis einer Milliarde Jahren durchquerte Saggitarius die Milchstraße erneut. (Ruiz-Lara u.a. 2020) Das Sonnensystem wäre möglicherweise nicht entstanden, wäre die Zwerggalaxie nicht mit der Milchstraße kollidiert. (Deeg 2020) So aber entstanden durch dieses zufällige Geschehen kleinere Einheiten. Eine davon war die protosolare Wolke unseres Sonnensystems. Sie war einige Sonnenmassen schwer und hatte einen Durchmesser von einem Drittel Lichtjahr. Ihre Teilchendichte war gering. Sie bestand hauptsächlich aus Wasserstoff und Helium sowie Spuren schwerer Elemente. Die Zusammensetzung der protosolaren Wolke war aber genau so, wie es für die Entstehung des Lebens notwendig war. Mehr von den schweren Elementen hätten massereichere erdähnlichen Planeten mit einer stärkeren Gravitation und einer dichteren Atmosphäre hervorgebracht. (Brownlee/Gonzalez/Ward 2001, 38ff.) Auch könnte dem Sonnensystem durch den Vorbeiflug eines Sterns Masse entrissen worden sein, wodurch sich dieses mit Blick auf späteres Leben optimierte. (Lesch 2020c) Wie sich unser Sonnensystem ohne Impulse von außen entwickelt
hätte, ist unbekannt. Wenn man bedenkt, wie fragil das Sonnensystem auf Abweichungen reagiert, wäre es wohl zu anderen Abläufen gekommen. Nach dem Gravitationskollaps nahm die Wolke die Form eines flachen, rotierenden Nebels und danach die einer Scheibe an. (Ward/Brownlee 2001 64f.) Innerhalb von Zehntausenden von Jahren wurden schwere Elemente wie Eisen und Nickel durch Gravitation zum Zentrum des solaren Urnebels hingezogen. Hier verdichteten sie sich zur Ursonne, die fast die gesamte Masse der einstigen Wolken in sich vereinigte. (Lesch/Müller 2014, 17f.) In dieser Phase der Akkretion, dem Anwachsen von kosmischen Objekten, stießen kleine Staubpartikel zusammen, wuchsen zu größeren Körnern, dann zu Gesteinsbrocken und schließlich zu Planetesimalen mit Ausmaßen von mehreren hundert Kilometern. Die Analyse von Eisenisotopen aus Meteoriten legt nahe, dass es fünf Millionen Jahre dauerte, bis die Erde ihre Form annahm. Dabei zog sie auch feinen Sternenstaub aus den äußeren Bereichen der Akkretionsscheibe an. Durch den konstanten Einfall feiner Partikeln wuchs der Planet. (Dagci 2020) Alle schweren Atome in unserem menschlichen Körper wie Kalium, Eisen, Kalzium, Kohlenstoff, Sauerstoff oder Stickstoff durchliefen also einige Supernova-Kreisläufe, bevor sie in dem solaren Urnebel kondensierten, aus dem die Sonne und die Erde hervorgingen. „Ein Gefühl enger Verbundenheit mit der kosmischen Vergangenheit unserer Milchstraße“, so Reinhard Breuer, „wäre deshalb durchaus angebracht“. (Breuer 1981, 161f.) Wichtig für die Bildung der Erde war auch die Konstellation der Planeten. Deren Anordnung war, abgesehen von der Wirkung der Gravitation, das Ergebnis chaotischer Prozesse. Nach der Chaos-Theorie ist das Verhältnis zweier Körper vorhersehbar, Wechselbeziehungen von drei oder mehr Körpern können jedoch zu chaotischem, nicht vorhersehbarem Verhalten führen. Kleinste Änderungen ergeben im Langzeitverhalten solcher Systeme unter Umständen gravierende Veränderungen. (Kusserow 2018, 192) Paul Davies meint, der Abstand der Planeten untereinander sei „reiner Zufall“ und das Ergebnis zahlreicher Unfälle gewesen. Allerdings waren es für uns Menschen „wichtige Unfälle“, denn mit einer anderen Umlaufbahn wäre die Erde unbewohnbar geblieben. (Davies 2008a, 198) David Christian nennt die Bildung des Planetensystems einen „schlampigen und chaotischen Prozess“. (Christian 2018, 74-76) Aber immerhin gibt es uns dadurch; dem Chaos sei Dank.
Ohne Sonne keine Menschen
In einem Umkreis von rund sechs Milliarden Kilometern ist unser Stern der „Ursprung allen Seins“ und die „Nabe des riesigen Rades Sonnensystem“. Er bestimmt durch seine Masse den Lauf der Planeten und legt fest, wie lange ein Jahr auf der Erde dauert. (Lesch/Müller 2014, 83-84) Alles dreht sich im wahrsten Sinne des Wortes um die Sonne, weswegen sie in früheren Kulten auch als göttliche Macht verehrt wurde. Es stellt sich die Frage, ob die Herausbildung von Leben das Markenzeichen nur unserer Sonne ist oder ob andere Sterne ebenfalls über entsprechende Voraussetzungen verfügten. Führte nur zu uns Menschen eine Rote Linie der Evolution oder bewirkte das Anthropische Prinzip auch anderswo intelligente Lebensformen? Für eine Antwort ist ein Blick auf die Unterschiede der Sonnenarten notwendig. Massereichere Sterne verbrauchen ihren Brennstoff um ein Vielfaches rascher und leuchten wesentlich heller. Sie beenden ihr Leben jedoch bereits innerhalb von Millionen Jahren. Sterne mit weniger Masse als die Sonne leben länger, sind jedoch instabil und können explodieren. Sie kommen als „potenzielle Heimstätte für Beobachter“ nicht in Frage. (Vilenkin 2008, 258) Masseärmere Sterne können viele Milliarden Jahre alt werden. Sterne mit weniger als acht Prozent der Sonnenmasse haben jedoch eine zu geringe Temperatur und Dichte, wodurch das nukleare Brennen nicht richtig zündet. Der Vorgang ist mit einem Lagerfeuer vergleichbar, das nicht brennen will, weil das Holz feucht ist. Nur schwach leuchtende kleine Sterne heißen „Braune Zwerge“. (Oberhummer 2014, 84) In unserer Galaxie zählen etwa 95 Prozent der Sterne zur M-Klasse, den Roten Zwergen, deren Masse etwa zehn Prozent unsere Sonne beträgt. Zu ihnen gehört der kürzlich gefundene Stern Trappist-1 mit einem Zwölftel der Masse der Sonne, in dessen 40 Lichtjahre entfernten System mit der Erde vergleichbare Planeten existieren sollen. Allerdings sind die Rahmenbedingungen gänzlich anders als bei uns. Die dortigen Exo-Planeten müssen sich sehr sternennah bewegen, um auf ihrer Oberfläche Temperaturen zu erreichen, die für die Existenz von flüssigem Wasser notwendig sind. Solche Sterne können Planeten nur mit genügend Energie versorgen, wenn diese sie in geringem Abstand umkreisen. Das führt dazu, dass eine Seite des Planeten dem Stern ständig zugewandt ist und vor Hitze kocht, während die andere in arktischer Kälte
erstarrt. Sehr massearme Sterne leben zwar lange, doch ihre Strahlung liegt nahe am Infrarotbereich des elektromagnetischen Spektrums und ist somit zu energiearm, um eine Photosynthese in Gang zu bringen. Doppelsternsysteme könnten zwar Planeten hervorbringen, aber deren Umlaufbahnen wären so chaotisch und veränderlich, dass kein Leben entstehen könnte. (Dawkins 2007b, 190f.) Ein Stern der A-Klasse hat die doppelte Masse der Sonne, eine 15mal so große Leuchtkraft, und die Temperatur an seiner Oberfläche beträgt 7 726 Grad Celsius, womit er eine rund 100mal geringere Leuchtkraft als die Sonne hat. Auch hier müssten Planeten, um Leben zu ermöglichen, in einer geringen Entfernung um den Stern kreisen. Um nicht in ihn zu stürzen, müssten sie den kleinen Stern sehr schnell umkreisen. Die Umlaufzeit für einen Planeten mit der Masse der Erde läge unter einem Monat, auf der Erde sind es zwölf. Er würde weniger als eine Milliarde Jahre existieren, was zu kurz ist, um Leben hervorzubringen. Die Zeit würde nicht einmal für die Entstehung einfachster Zellen reichen. Hinzu kommt, dass ein Stern, der so heiß ist, einen Großteil seines Lichts im ultravioletten Bereich abgibt. Diese Strahlung ist so energiereich, dass sie organische Moleküle spaltet und die Entstehung von Leben verhindert. (Lesch/Müller 2003, 231-235) Unsere Sonne gehört zu den Hauptreihensternen. Diese versorgen Leben auf Planeten über lange Zeit mit Energie. Um intelligentes Leben zu ermöglichen, muss ein Hauptreihenstern jedoch auch zum richtigen Spektraltyp gehören. Davon hängt ab, wie lange ein Stern in der Hauptreihe verbleibt und wieviel Licht er in dieser Zeit abgibt. Intelligentes Leben kann es nur geben, wenn alle notwendigen Evolutionsschritte innerhalb der Zeitspanne eines Sterns durchlaufen werden. Unsere Sonne befindet sich zwischen beiden Extremen. Ihr Strahlungsmaximum liegt im sichtbaren Bereich des elektromagnetischen Spektrums und wird mit einer Lebensdauer von etwa acht bis zehn Milliarden Jahren alt genug, um Leben über einen ausreichend langen Zeitraum mit Energie zu versorgen. Eine der vielen Merkwürdigkeiten ist, dass die Dauer der biologischen Evolution zur Entstehung von intelligentem Leben etwa die Hälfte der Lebensdauer der Sonne beträgt. Diese Zeit, während der ein Stern mit der Masse unserer Sonne stabil ist und fast gleichmäßig strahlt, ist durch die Naturkonstanten vorgegeben, die das Gleichgewicht und den Energievorrat bestimmen. (Benz 1997, 109f.) Es gäbe uns nicht, wenn die Evolution länger gebraucht hätte. Komplexes Leben
erfordert günstige Verhältnisse über einen sehr langen Zeitraum. (Barrow/Silk 1986, 265) Auch hier spielen die feinabgestimmten Gesetze und Naturkonstanten eine wichtige Rolle. In einem kontrafaktischen Universum mit zu starker oder schwacher Gravitation könnte im Umfeld eines Sterns, ähnlich unserer Sonne, kein intelligentes Leben entstehen. Dazu lebt ein Blauer Riese zu kurz, und ein Roter Zwerg strahlt zu wenig Energie ab. Folgt man der Logik des Anthropischen Prinzips, ist es daher kein Zufall, dass unsere Sonne in der Mitte der Hauptreihe steht und die Stärke der Gravitation, bzw. die Kopplungskonstante den Wert 10-40 hat. Wäre dieser um eine Größenordnung höher, gäbe es unter den Hauptreihensternen ausschließlich Blaue Riesen. Wäre sie niedriger, bestünde die Hauptreihe aus Roten Zwergen. In beiden Fällen gäbe es keine Sterne, die sich für Planeten mit Leben eignen. Die „größenmäßige Mittelmäßigkeit unserer Sonne ist unsere Rettung“. (Eccles 1982, 48)
Lebensstiftende Kernfusion
Im Prozess der Entstehung des Sonnensystems wurde es nach 40 Millionen Jahren in dessen Zentrum so heiß, dass ein thermonuklearer Reaktor ansprang und begann, Wasserstoff zu Helium zu fusionieren. Unsere Sonne erstrahlte. Sehen konnte dies aber niemand, Augen und Sonnenbrillen waren noch nicht erfunden. Mit Beginn des Wasserstoffbrennens vor etwa 4,5 Milliarden Jahren entstand eine für die Erde langfristige Energiequelle. Bis heute ist erst die Hälfte des Wasserstoffs zu Helium verbrannt; das entspricht einem Wasserstoffverbrauch von 584 Millionen Tonnen pro Sekunde. (Oberhummer 2014, 79f.) Dabei werden je zwei Neutronen und zwei Protonen miteinander verschmolzen, um einen Helium-Atomkern zu bilden. Zunächst muss jedoch die Hälfte aller Protonen in Neutronen umgewandelt werden. Das ist ein langwieriger Prozess, an dem die schwache Wechselwirkung beteiligt ist. Die Vereinigung von Proton-Neutron-Paaren (Deuterium) oder Kernen mit einem Proton und zwei Neutronen (Tritium) geht dann dank der Starken Kernkraft sehr schnell. Gäbe es nicht den langsamen Zwischenschritt zur Neutronenanreicherung, dessen Tempo durch die Schwache Wechselwirkung bestimmt wird, wäre die Sonne „eine riesige Wasserstoffbombe und kein sanfter Dauerbrenner“. (Breuer 1981, 230) Die Abstrahlung der Sonne beträgt 3,85 x 10²³ Kilowatt, das bedeutet einen Masseverlust von 4,3 Millionen Tonnen pro Sekunde und ungefähr 6,5 Billionstel Sonnenmasse pro Jahr. In den 4,6 Milliarden Jahren seit ihrer Geburt wurden 0,03 Prozent der Sonnenmasse durch Kernverschmelzungsprozesse aufgebraucht und in den Raum abgestrahlt. (Morfill/Scheingraben 1993, 215)
Neutrinos, Gammaquanten und die chaotische Konvektionszone
Bei den Vorgängen in der Sonne spielen die bereits erwähnten Neutrinos eine wichtige Rolle. Auch sie sind für unsere Rote Linie zum Leben unabdingbar. Neutrinos sind lichtschnelle Teilchen geringer Masse, die beim Fusionsprozess entstehen und den Stern ungehindert verlassen. Daneben gibt es hochenergetische Photonen, die sogenannten Gammaquanten. Im Gegensatz zu den Neutrinos können diese die Sonne nicht einfach durchqueren. Für sie ist die Sternmaterie zu kompakt. Das ist für uns vorteilhaft, denn irdisches Leben gibt es nur, weil die Sonne keine Gammaquanten abgibt, sondern vor allem sichtbares und infrarotes Licht in Form von Wärme. Könnten die energiereichen Gammaquanten ungehindert an die Oberfläche des Sterns gelangen, würden sie binnen kurzem alles Leben zerstören bzw. hätte es gar nicht erst entstehen lassen. Was aber geschieht in der Sonne mit ihnen? Die Gammaquanten werden an den Elektronen der Sternmaterie gestreut und von Ionen absorbiert. Bei jedem dieser Vorgänge gibt das Quant etwas Energie an den jeweiligen Reaktionspartner ab, wodurch das Photon, welches aus diesem Prozess hervorgeht, energieärmer ist als das ursprüngliche Gammaquant. In dieser geschwächten Form gelangt es binnen von zwei Millionen Jahren als energiearmes Photon aus dem Bereich des sichtbaren bzw. des infraroten Lichts an die Oberfläche der Sonne. Das Licht, dass die Sonne abstrahlt, ist demnach bereits zwei Millionen Jahren zuvor bei der Kernfusion im Zentrum der Sonne entstanden. (Lesch/Müller 2014, 94-96) Wichtig für unser Leben ist auch die „chaotische Konvektionszone“, ohne die der Energietransport an die Sonnenoberfläche nur über Strahlungs- und Wärmeleitung, also langsamer ablaufen würde. Ohne sie würde sich die Sonne ausdehnen und weniger Energie abstrahlen. Das Ergebnis wäre ein mehr ins Infrarote verlagertes Spektrum mit verheerenden klimatischen Auswirkungen. Auch mit unserer chaotischen Sonne können wir also gut leben. (Morfill/Scheingraben 1993, 230f.)
Einige seltsame Eigenschaften der Sonne
Beim Blick auf unseren Stern zeigen sich weitere Eigenschaften, die unabdingbare Grundlagen unseres Daseins sind. Wäre die Sonne älter oder befände sie sich weiter vom Zentrum der Galaxie entfernt, müsste die Erde kleiner sein. Es ist fraglich, ob sie dann in der Lage gewesen wäre, ausreichend lange geeignete Lebensbedingungen zu bieten. Die Sonne hat eine Lebensdauer von etwa 10¹ Jahren. Bei einer kürzeren Zeitspanne hätte kein Leben entstehen können. Ihr Alter ist durch das Verhältnis von Gravitationskraft, die den Stern als Zentripetalkraft zusammenhält, und thermischer Bewegung, die ihn als Zentrifugalkraft expandieren lässt, fein austariert. Dieses Verhältnis schränkt zugleich die Größenordnung ihrer Masse erheblich ein. (Achtner 1993, 194) Heute ist die Sonne 150 Millionen Kilometer von der Erde entfernt. Sie hat 333 000 Erdmassen und 109 Erdradien. Dass auf der Erde Leben entstehen konnte, hing auch von der genau richtigen Masse unseres Muttersterns ab. Diese entscheidet über Lebensdauer, Temperatur, Leuchtkraft, welche Wellenlänge die abgestrahlte Energie hat und nicht zuletzt über Lage und Breite der habitablen Zone innerhalb des Sonnensystems. Die Anforderungen bezüglich Lebensdauer und biologisch nutzbarer Energie werden am besten von Sternen im Bereich von 0,8 bis 1,2 Sonnenmassen erfüllt. Die habitable Zone dieser Sterne zu Beginn des Wasserstoffbrennens reicht beim kleinsten von etwa 0,5 bis 0,7 und beim größten von 1,2 bis 1,8 Astronomische Einheiten. Eine Astronomische Einheit beträgt 149 597 870 700 Meter. Das ist ungefähr der mittlere Abstand zwischen Erde und Sonne. Die Sonne hat eine Masse von zweimal 10³ Kilogramm, das sind 330 000 Erdmassen. (Hanslmeier, 2011, 9) Ihr Metallgehalt ist für Leben optimal. Sie enthält ungefähr 40 Prozent mehr Metalle als Sterne, die zur gleichen Zeit und in der gleichen Region entstanden. Der Reichtum an Metallen ist die vielleicht ungewöhnlichste Eigenschaft des Sonnensystems. Sie ist aber auch eine Ausnahme. (Ward/Brownlee 2001, 41f., 64) Ian Crawford meint hingegen, sie sei trotz ihrer überdurchschnittlichen Anreicherung mit schweren Elementen nicht einzigartig. Er verweist auf den sonnenähnlichen Stern 47 Ursae Majoris, der dieselbe Anreicherung mit schweren Elementen wie die Sonne hat, aber etwa sieben Milliarden Jahre alt ist. (Crawford 2000, 32ff.) Als die Sonne noch jung war, rotierte sie schneller als heute und erzeugte ein
stärkeres Magnetfeld. Heute ist sie 40 Prozent heller als bei ihrer Entstehung. Wichtig für unsere Evolution war, dass ihr Energieausstoß relativ konstant blieb. Bei starken Fluktuationen wäre kein komplexes Leben entstanden. Pro Sekunde strahlt die Sonne 385 Billionen Billionen Joule ab. (Lesch/Müller 2014, 94-96) Davon erreicht die Erde nur ein Zweimilliardstel Teil, der weitaus größere Teil verliert sich in den Weiten des Alls. (Rauchfuß 2005, 30) Kaum jemand macht sich Gedanken darüber, dass die Sonne ihr Licht nicht nur zur Erde abstrahlt, sondern nach allen Seiten. Dieser als Isotropie bezeichnete Vorgang bedeutet aus unserer Sicht als Nutzer jedoch keine Verschwendung, denn nur so können wir uns bei jeder Umkreisung der Erde um die Sonne binnen eines Jahres auf eine kontinuierliche Licht- und Wärmeversorgung verlassen. Für den „mildtätigen Sonnenschein ist eine konzertierte Aktion aller Naturkräfte nötig“. Alle wirken dabei mit, uns nicht im Regen stehen zu lassen. Protonen überwinden ihre gegenseitige elektrische Abstoßung und kollidieren miteinander, die starke Kernkraft schweißt sie zusammen, die schwache Wechselwirkung liefert die Neutronen, und die Gravitation erhitzt das Gas durch den Gravitationsdruck der Materie. Schließlich stoßen die Lichtteilchen aus der Kernfusion an die Atome der solaren Gashülle, so dass sie nur sehr langsam und bei niedrigerer Temperatur von der Sonnenoberfläche zur Erde gelangen, um dort die Photosynthese anzuregen. (Breuer 1981, 229-231) Nur weil die Energien des Heliumkerns, des instabilen Berylliumkerns und die Anregungsenergie von Kohlenstoff-12 zufällig genau zueinander en, konnten Bausteine des Lebens erzeugt werden. (Walter 1999, 129) Eine Voraussetzung für Leben war auch, dass die Rotationsgeschwindigkeit der Sonne im Vergleich zu anderen G-Sternen niedrig ist. Dadurch ist sie magnetisch ziemlich inaktiv. (Lesch 2020c) Einige Sonnenforscher sprechen von einem „Mysterium“, weil von den Gammastrahlen siebenmal mehr die Erde erreichen als bislang angenommen. „Seltsamerweise“ gibt es jedoch „innerhalb des Überschusses eine schmale Lücke“, einen „nahezu strahlungsfreien Frequenzbereich“. Diese und weitere „kuriose Phänomene“ deuten auf bislang unbekannte Eigenschaften des Magnetfelds der Sonne hin. Für Annika Peter sind die Daten der Gammastrahlen das „Seltsamste“, das ihr je begegnet ist. Einige Forscher meinen, die starke Gammastrahlung könnte mit Dunkler Materie zu tun haben. „Diese rätselhafte Substanz“ sei vielleicht von der Schwerkraft der Sonne eingefangen worden und habe sich in ihrem Zentrum angesammelt. Aber dies ist nur eine von mehreren
Hypothesen. Offenbar ist die Sonne aber „seltsamer und spannender“ als bislang angenommen. (Nisa 2019, 20-22) Es wäre, so Arthur Eddington, „ein höchst seltener Zufall“, wenn einem anderen Stern „das gleiche widerfährt, was die Entstehung des Sonnensystems veranlasst hat“. (Eddington 1986, 121) Die Vorgänge lassen „unser Planetensystem als ziemlich einzigartig erscheinen“. (Ward/Brownlee 2001, 42) Es dürfte daher, so John Barrow, weniger Planeten mit bewusstem Leben geben, als bis heute angenommen. Wir leben nur, weil unser Stern „ein sehr ungewöhnliches und unwahrscheinliches Schicksal hatte“. (Barrow 2011, 236) Die Liste wundersamer Größen und Prozesse auf unserer Roten Linie wird immer länger, dabei sind wir noch nicht einmal bei der Entstehung und Evolution des Lebens auf der Erde angelangt. Noch sehr viel mehr musste geschehen, bis Leben entstand. Auf die Idee, dass dieses Leben auch noch Intelligenz hervorbringen würde, wäre wohl niemand gekommen, es sei denn, er gehörte zur intergalaktischen „Projektgruppe Entwicklung des Menschen“.
9. Die Entstehung von Erde und Mond vor 4,6 Milliarden Jahren
Das Hadaikum vor 4,6 bis vier Milliarden Jahre
Wir verlassen nun die Weiten des Universums und unsere Milchstraße und suchen nach dem weiteren Verlauf der Roten Linie auf unserem Planeten samt ihrem Mond. Das Hadaikum, der erste Äon des Präkambriums, wurde nach dem griechischen Gott der Unterwelt Hades benannt. Sein erster Abschnitt heißt ebenso treffend Chaotikum, entstand die Protoerde doch in einem chaotischen Durcheinander von Kleinplaneten, Asteroiden und Staub rund 150 Millionen Kilometer vom Zentrum der präsolaren Wolke entfernt. Generell hängen Größe und Masse von Planeten von der Häufigkeit schwerer Elemente des Muttersterns ab. Die Zusammensetzung der Materie des Sonnensystems ergab sich aus den Überresten des in einer Supernova explodierten Sterns. Schon dieser Vorläuferstern war bedeutsam für unsere Entstehung. Hätte es in ihm mehr schwere Elemente gegeben, wäre die Erde massereicher geworden. Die Folge wären eine stärkere Gravitation und eine dichtere Atmosphäre gewesen. Möglicherweise hätte ein Ozean den gesamten Planeten bedeckt. Hätte sich die Erde in der Nähe eines Sterns mit einem geringeren Gehalt schwerer Elemente befunden, wäre sie kleiner ausgefallen. (Ward/Brownlee 2001, 63) Bis heute ist unklar, wie es in einer konzertierten Aktion dazu kommen konnte, dass die Erde den für Leben so ausgewogenen Anteil an Kohlenstoff, Stickstoff und Wasser, andererseits aber auch über die richtige Menge schwerer Elemente verfügt. Meist haben Planeten in sternnahen Bahnen nur einen kleinen Anteil an Kohlenstoff, Stickstoff und Wasser, da diese sich in den komplizierten Entstehungsprozessen nicht halten können. Der Erde wurden diese Stoffe nachträglich durch Kometeneinschläge zugefügt, wodurch eine „perfekte Mischung“ für das Leben entstand. Ohne Kometen- und Asteroideneinschläge gäbe es uns also ebenfalls nicht. Die Erde wurde auch von zu viel Kohlenstoff verschont, da dieser in Kohlenmonoxid gebunden blieb und keine feste Form annahm. Andernfalls hätte sie eine Oberfläche aus Graphit sowie einen Kern aus Diamanten und Siliziumkarbid. Es gäbe weder Verwitterung noch Vulkanismus als Voraussetzungen des Lebens. „Zwar könnte sich jede Frau mit Diamanten
behängen, nur leider gäbe es diese Frauen nicht.“ (Ward/Brownlee 2001, 66-69)
Die Kollision der Erde mit dem Planetoiden Theia und die Entstehung des Mondes
Als wäre es der wundersamen Zufälligkeiten nicht genug, kollidierte die Erde einhundert Millionen Jahre nach der Entstehung der Erde mit einem Planetoiden von der Größe des Mars. Dieser, nach der Tochter von Gaia und Uranos aus der griechischen Mythologie Theia benannt, drang tief in die Erde ein und vermischte sich mit dem Erdkern. Teile des Erdmantels wurden ins All geschleudert. Bei diesem Geschehen gab es etliche Faktoren, von denen jeder allein stimmen musste, um menschliches Leben zu ermöglichen. So musste Theia exakt ihre Masse aufweisen, um die Prozesse auszulösen, die für die spätere Entstehung von Leben unabdingbar waren. Bis zum Einschlag hatte die Erde 80 Prozent ihres heutigen Gewichts, danach 90. Ohne Einschlag wäre die Erde kleiner und weniger massereich geblieben. Lebewesen wären wären entsprechend größer und es gäbe weniger Atmosphäre. Theia hatte aber eine Größe, durch die das Material auch noch für einen großen Mond ausreichte. Die Masse musste aber auch genau so groß sein, damit der entstehende Mond nicht wieder auf die Erde zurückfiel. Die Entstehung des Mondes setzte „ganz ganz ganz bestimmte Bedingungen“ voraus. (Lesch 2020b) Auch der Zeitpunkt des Aufpralls musste exakt stimmen, sollte in der damaligen Zukunft dereinst Leben entstehen. Bei einer etwas späteren Begegnung wäre die daraus resultierende Konstellation von Erde und Mond eine andere gewesen. Bei einem früheren Einschlag hätten sich viele Trümmer im Weltraum verloren, der Mond wäre zu klein geraten und hätte die Erdachse nicht stabilisieren können. (Ward/Brownlee 2001, 269) Wäre der Einschlag wesentlich später erfolgt, hätte die inzwischen größere Erdmasse und Gravitation der Erde verhindert, dass genügend Material für den überdurchschnittlich großen Mond aus dem Erdmantel herausgerissen wurde. Den Mond hätte 400 Millionen Jahre nach seiner Entstehung beinahe ein
gewaltiger Einschlag zerstört. (Boyle 2018c, 48-56) Auch dieser Impact hätte die Entwicklung hin zum Menschen verhindert, wissen wir doch heute, wie wichtig der Mond für uns ist. Theia musste also genau die Geschwindigkeit haben, mit der sie auf die Erde prallte, und genau im richtigen Winkel einschlagen, damit der große Eisenkern mit einer dünnen Kruste entstehen konnte. Bei einem anderen Einschlagwinkel wäre die Erde womöglich explodiert oder hätte sich zu einem gänzlich anderen Planeten entwickelt. Ebenso notwendig war, dass die durch den Einschlag bewirkte Beschleunigung der Erdrotation exakt stimmte und die Erdachse in einen Winkel von 22 bis 24 Grad geneigt wurde. (Hands 2018, 268f.) Wichtig war zudem, dass der Mond sich in einem lebensfreundlichen Abstand von 3,6 Erdradien bildete. (Ulmschneider, 2014, 81) Durch die Mondentstehung aus dem leichteren Material der Erdkruste wurde diese dünner, wodurch sich Kontinentalplatten bilden, gegeneinander verschieben und Land entstehen lassen konnten. Hätte es den Einschlag nicht gegeben, besäße die Erde möglicherweise viel mehr Wasser, Kohlenstoff und Stickstoff mit der Folge eines ausufernden Treibhauseffekts. Hätte es keinen Zuwachs an Masse gegeben, wäre die Plattentektonik einer kleineren Erde mit einem kleineren Erdkern nicht in Fahrt gekommen. Die radioaktive Energie hätte nicht zur Stabilisierung der Temperaturen angesichts einer noch schwächelnden Sonne beigetragen. Ohne eine hinreichende nukleare Heizung im Erdkern wäre es auf der Erdoberfläche viel kälter gewesen. (Stanley 2001, 282f.) Da es uns gibt, lässt sich schlussfolgern, dass alle entscheidenden Faktoren der Kollision an diesem Ort zu dieser Zeit und von genau diesen beiden Objekten erfolgen mussten. Die Kollision ist somit ein „extrem unwahrscheinliches Ereignis“, das sich andernorts kein zweites Mal ereignen konnte. (Vowinkel 2018) Da der Zusammenprall unter der Rubrik Zufall verbucht wird, stellt sich wiederum die Frage nach dem Verhältnis des Anthropischen Prinzips zum Zufall. Ohne diesen Impact und folgende Katastrophen hätten wir nie die kosmische Bühne betreten. Was aber wäre mit Theia geschehen, hätte der Planetoid die Erde nicht geschrammt und weiter seine Kreise gezogen? Vielleicht wäre er später einmal mit der Erde kollidiert und hätte eine gänzlich andere Entwicklung bewirkt. Für Theia war die Verbindung mit Gaia jedenfalls die beste Partie. Dank Theia sind wir Kinder zweier Himmelskörper, beide weiblich. Und auch Schwester Luna ist in fast allen Sprachen weiblich. Nur im Deutschen ist der Mond männlich, was seiner romantischen Wirkung freilich keinen Abbruch tut. Kaum bekannt ist die
Vermutung, zu einem anderen Zeitpunkt sei neben Theia ein weiterer Planetoid ähnlicher Größe wie Merkur mit der Erde kollidiert. Vielleicht verdanken wir auch diesem weithin unbekannten Ereignis unser Dasein. (Stanley 2001, 282f.) Wer denkt, es seien ausreichend viele Zufälle genannt worden, von denen unser Leben abhängt, liegt falsch. Die Entwicklung zum Menschen auf unserer Roten Linie verlagert sich nur auf die kleinere irdische Bühne, birgt aber noch einiges an wundersamen Überraschungen.
Asteroideneinschläge und das Große Bombardement
Auch ohne Asteroideneinschläge und das Große Bombardement wären wir nie entstanden. Deren Folge waren Masse- und Gewichtszunahmen der Erde sowie die Zufuhr wichtiger Elemente. Nach einem vorübergehenden Rückgang setzte vor 4,1 bis 3,8 Milliarden Jahren ein erneutes Bombardement ein. Die Erde wurde von 22 000 Objekte getroffen, deren Krater größer als 20 Kilometer waren, kleinere gar nicht mitgezählt. 40 Einschlagskrater hatten einen größeren Durchmesser als 1 000 Kilometer, manche erreichten sogar über 5 000 km. (Hubmann/Fritz 2015, 93) Noch bis vor 2,5 Milliarden Jahren schlugen mindestens neun große Asteroiden ein. (Simpson 2010, 72-79) Auch später gab es Einschläge, die zur Form der Erdoberfläche beitrugen. Sollte sich bereits Leben entwickelt haben, wurde es wahrscheinlich wieder ausgelöscht. (Hanslmeier, 2011, 18f.) Tatsache ist aber, dass es uns nur dank der Bombardements gibt, auch wenn die Erde dadurch bis ins Archaikum lebensfeindlich blieb. Wichtig war vor allem, dass die Asteroiden riesige Mengen an Wasser zur Erde brachten. Mit ihm kamen auch flüchtige Substanzen wie etwa organische Stoffe. Einige Meteoriteneinschläge könnten wie katalysierende „Evolutionsbeschleuniger“ gewirkt haben. (Vaas 2004, 389) Wichtig für kommendes Leben waren die Einschläge von Meteoriten aber auch wegen ihres hohen Eisen- und Nickelgehalts. Etwa ein Prozent der Erdmasse stammt von Chondriten, die einschlugen, nachdem der Planet bereits etwas abgekühlt war und einen Kern gebildet hatte. Nur durch dieses späte Bombardement gibt es auf der Erde schwere Stoffe wie Platin. (Jewitt/Young 2015, 30-39) Die „Bomben aus dem Weltall“ trugen durch ihre Masse auch zur Entstehung des Festlands bei. Sie beeinflussten die Zirkulation im Erdmantel und lenkten aufsteigende Magmaströme so um, dass die Anreicherung und Auskristallisation leichterer Komponenten begünstigt wurden. (Simpson 2010, 72-79) Das Bombardement bewirkte, dass unzählige Objekte, die „auf unsicheren Pfaden um die Sonne“ unterwegs waren, schon in der Frühphase des Sonnensystems dank Gravitation auf die Erde stürzten. Es wirkte wie ein „reinigendes Gewitter“, als nach dessen Ende „erstmal Ruhe eintrat“. (Fritsche 2015, 95-97) Einige Wissenschaftler vermuten allerdings, es habe kein „Großes
Bombardement“ gegeben, vielmehr seien die Krater auf dem Mond und auf anderen felsigen Himmelskörpern Überreste der ersten Einschlagepisode und damit Teil des Prozesses der Planetenentstehung. (Boyle 2018c, 48-56)
Die Trennung von Erdkern und Erdkruste vor 3,2 Milliarden Jahren
Zwischen der Größe der Erde und der Hitze im Inneren herrschte eine „überaus delikate Balance“. Ein kleinerer Planet wäre womöglich ausgebrannt, bei einem größeren hätte die Erdoberfläche nicht die Temperatur erreicht, die entstehendes Leben benötigte. (Fortey 2002, 43) Vor 3,2 Milliarden Jahren begann der Erdmantel abzukühlen. Kern und Mantel trennten sich. Schwere Elemente sanken zum Erdzentrum. Die Folge war ein aus schweren und radioaktiven Metallen bestehender Kern und eine aus leichteren Elementen wie Silizium bestehende Kruste. (Güntheroth 2001, 115f.) Der Erdkern besteht zu etwa 85 Prozent aus Eisen und zu fünf Prozent aus Nickel. Allein die dortige Goldmenge würde ausreichen, alle Landflächen 50 Zentimeter dick zu vergolden. (Wood 2008a, 21) „Goldfinger“ lässt grüßen. Im Kern befinden sich auch schwere Elemente wie Thorium und Uran, deren Atomkerne zerfielen und hochenergetische Teilchen sowie Gammastrahlung freisetzen. Diese heizten das Erdinnere so stark an, dass es schmolz. Leichtere Stoffe bildeten erste Schollen der dünnen Erdkruste aus leichten Silikaten. Sie schwamm auf dem Magmameer und wurde häufig durch Einschläge durchbrochen. Dicke und Stabilität von Kern, Mantel und Kruste waren das Ergebnis eines zufälligen Zusammenschlusses der richtigen Elemente. (Ward/Brownlee 2001, 69) Bemerkenswert sind die Folgen der Bildung des Erdkerns für die Ur-Atmosphäre. Das Erdmagnetfeld nahm über lange Zeit kontinuierlich ab, bis es schließlich vor 1,3 Milliarden Jahren plötzlich wieder schnell anwuchs. Sollte der Erdkern erst zu diesem Zeitpunkt entstanden sein, hieße dass, die Erde sei die allermeiste Zeit ihrer Existenz ohne festen Kern durch das All geflogen. (Kaufmann 2015)
Zur Rolle der Plattentektonik
Zunächst gab es auf der jungen Erde weder eine horizontale Plattenbewegungen noch Subduktionen, bei denen sich Platten über- oder untereinander schoben. Es gab keine Kontinente, und die Erdoberfläche war eine zusammenhängende äußere Hülle ohne Bruchzonen. Möglicherweise führten Asteroideneinschläge rund eine halbe Milliarde Jahre nach dem Entstehen der Erde dazu, dass Teile der erkalteten äußeren Kruste in den heißen oberen Mantel gedrückt wurden. (Boyle 2019, 42-47) Damit begann der „unendlich langsame Tanz“ der Platten. Materieströmungen, angetrieben vom heißen und radioaktiven Erdkern, „durchkneteten den Erdkörper“ und brachten Bewegung in die Platten. Mancherorts prallten sie aneinander, anderswo öffneten sich Spalten, durch die Magma aufstieg und zu neuen Krusten erstarrte. (Lesch/Müller 2014, 23f.) Möglich wurde die Plattentektonik nur, weil die durch den Einschlag von Theia und durch das aus dem Erdmantel gerissene Material die Erde über eine „abnorm dünne Kruste“ verfügte. (Hands 2018, 268) Bis zum Ende des Archaikums vor etwa 2,5 Milliarden Jahren hatten sich ca. 70 bis 80 Prozent der kontinentalen Kruste gebildet. (Probst 1986, 23) Vor 2,4 Milliarden Jahren ändert sich das Antlitz der Erde. Es entstand der Superkontinent Kenorland. Er vereinigte einige der ersten Kratone, das sind sehr alte Kerngebiete der heutigen Kontinente. Kenorland wurde später Teil des Großkontinents Arctica. Die Bildung der Kontinente fand vor 2,4 Milliarden Jahren großflächig statt. Ursache der Plattentektonik war, dass immer mehr Magma an die Erdoberfläche drang und sich dort in festes Gestein umwandelte. Die kontinentale Kruste musste dick genug sein, um aus dem Meer zu ragen. Ihre Mächtigkeit hing von der Temperatur und Viskosität im Mantel ab. Als die Erde noch sehr heiß war, konnten sich keine ausgedehnten Gebirge und hohe Berge bilden. Der Mantel war zu weich. Erst vor 2,4 Milliarden Jahren stützte der nun kühlere Mantel große Landmassen. (Lingenhöhl 2018b) Die Plattentektonik führte aber nicht nur zur Gebirgsbildung, sie war auch eine Voraussetzung für das Entstehen von Leben. Uran, Thorium und Kalium erzeugten bei ihrem radioaktiven Zerfall in der Erdkruste Wärme, welche die Plattentektonik anfeuerte. (Hands 2018, 196) Hätte es im Inneren der Erde eine wesentlich andere Entwicklung gegeben, wäre Leben nie entstanden. Erneut
ergänzten sich feinabgestimmte physikalische Gesetze, Konstanten und Zufälle in teils chaotischer Weise. (Fortey 2002, 43) Ohne Subduktion wäre der Meeresgrund kalt und chemisch weniger komplex geblieben. Das Recycling der Erdkruste sorgte aber auch für Langlebigkeit, Zusammensetzung und Temperatur der Atmosphäre. Da regelmäßig Wasser in den Erdmantel eindrang und wieder ausgestoßen wurde, entstanden Ozeane. Voraussetzung für den späteren Landgang der Amphibien war die Bildung verschiedener Arten von Erdkruste mit unterschiedlicher Dichte und Dicke. Von ihnen ragte ein Drittel als Festland aus den Ozeanen heraus. Plattentektonik bestimmte auch den Verlauf von Küstenlinien und beeinflusste die Stärke der vom Mond bewirkten Gezeiten. Tektonische Aktivitäten sorgten für eine stabile globale Mitteltemperatur, indem sie die Kohlendioxid-Konzentration über hunderte Millionen Jahre hinweg regulierte. Wäre der Gehalt der Atmosphäre an Kohlendioxid so hoch wie auf der Venus (96,5 Prozent), hätte unser Planet einem Glutofen geglichen. (Boyle 2019, 42-47) Die aus der Tektonik resultierende Temperaturverteilung war Voraussetzung für das Recycling von Kohlendioxid. Während der Verwitterung nahm der Erdmantel Kohlendioxid aus der frühen Uratmosphäre auf, beim Übereinander schieben der Platten tauchten diese in den flüssigen Erdmantel ein und wurden geschmolzen. Das dabei entstehende Kohlendioxid entwich über Vulkane in die Atmosphäre. Es scheint wie ein weiteres Wunder oder „eine Laune der Natur“, dass sich auf unserem Planeten eine stabile Kontinentalkruste bildete und so Lebensraum für uns Menschen entstand. (McLennan/Taylor 1996, 46ff.)
Wasser und die Gefahr einer irreversiblen Vereisung
Als sich das Planetensystem vor etwa 4,6 Milliarden Jahren bildete, erreichte die Sonne nur etwa 70 Prozent ihrer heutigen Leuchtkraft. Dank einer Treibhausatmosphäre blieb die Erde jedoch seit ihrer Entstehung vor 4,5 Milliarden Jahren selbst an den Polkappen meist eisfrei. (Friedman 1987, 166) Es ist umstritten, ob bereits ein riesiger Ozean den größten Teil der Erdoberfläche bedeckte. (Ulmschneider 2014, 82) Nach Meinung einiger Experten kühlte sich das Erdklima soweit ab, dass der Planet vor 4,2 Milliarden Jahren bereits ein Ort mit relativ niedrigen Temperaturen und flüssigem Wasser war. (Mann 2019, 39-47) Für die Zeit bis vor 2,3 Milliarden Jahren gibt es keine eindeutigen Hinweise auf eine großräumige Vereisung. Vielmehr war es auf der Erde sogar wärmer als im Mittel der letzten 100 000 Jahre. (Kasting, 2004, 62-67) Es gab zwar Vulkane, aber sie waren von Ozeanen umgeben. Vielleicht gab es sogar schon trockenes Land. (Boyle 2019c, 48-56) In weiteren 100 bis 400 Millionen Jahren sank die Temperatur auf unter 200 Grad Celsius. Wasserdampf begann zu kondensieren und führte zu sturzflutartigen, Jahrtausende andauernden Regenfällen. Angesichts der geringen Wärmestrahlung der Sonne bestand die Möglichkeit, dass die Temperaturen weiter fielen, wodurch alle bestehenden Ozeane zugefroren wären. Durch stark reflektierende Massen von Schnee und Eis wäre womöglich so viel Sonnenenergie ins All zurückgestrahlt worden, dass die Oberfläche auch bei zunehmender Sonnenstärke nicht wieder aufgetaut wäre. Meteoriteneinschläge und Vulkanismus befreiten die Erde jedoch immer wieder vom Eis. (Macdougall 1997, 32, 46f.) Die Möglichkeit, dass die ganze Planetenoberfläche irreversibel zufror, bestand aber zu fast jeder Zeit der Erdgeschichte. (Ulmschneider 2014, 107) Da es uns gibt, wissen wir aber genau, dass es wieder wärmer wurde.
Die Ausgasung unseres Planeten und die Entstehung einer ersten Uratmosphäre
Dank Plattentektonik und Vulkanismus entging die Erde womöglich einer dauerhaften Vereisung, aber auch auf die Atmosphäre wirkten sich beide Faktoren aus. Wasser, Kohlendioxid und flüchtige Elemente, die in gebundener Form auf die Erde gelangten, wurden nach und nach als Gase durch Vulkane, die „offenen Ventile des Erdballs“, aus dem Erdmantel gepresst. (Lesch/Müller 2003, 156) Sie bildeten nach 170 Millionen Jahre eine erste dünne Uratmosphäre. Diese wurde durch hydrothermale Tiefseequellen und flüchtige Gase aus Planetesimalen und Meteoriten gespeist. Es bildete sich eine Atmosphäre aus Stickstoff, Kohlendioxid, Kohlenmonoxid, Methan, Ammoniak, Wasser und freien Wasserstoff. Freien Sauerstoff gab es noch lange nicht. (Güntheroth 2001, 115f.) Nach dem Zünden der Kernfusion der Sonne beseitigten Sonnenwinde zunächst erste Ansätze einer Atmosphäre. Während die Intensität des Großen Bombardements abnahm, kühlte die Erde durch Wärmeabgabe in den Kosmos ab. Sinkende Temperaturen verringerten die Diffusion von Teilchen ins All. Die Strahlungsleistung der Sonne lag im frühen Archaikum bei 30 Prozent des heutigen Wertes. Nach einer vorübergehenden Abkühlung entwickelte sich in der Atmosphäre nach und nach ein „Super-Treibhauseffekt“ mit hohen Temperaturen, womit eine weitere wichtige Bedingung für Leben erfüllt war. (Christian 2018, 123) Bei der Bildung der heißen und feuchten Uratmosphäre spielten Kohlendioxid, Wasserdampf, Methan und Stickstoff entscheidende Rollen. Ohne diese Treibhausgase hätte es kein flüssiges Wasser gegeben. Sie schufen einen „Erwärmungsmechanismus“ und eine Atmosphäre, die Wärme einfangen und halten konnte. (Ward/Kirschvink 2016, 75-77) Bei einem anderen Ablauf hätte sich die Erde zu einem „vollkommen anderen Planeten“ entwickelt. Es gäbe Temperaturschwankungen zwischen 110 Grad Celsius am Tag und -170 Grad Celsius in der Nacht. (Matthews 1994, 117f.) Dank des hohen Anteils der Gase lag die Durchschnittstemperatur jedoch bei 40 Grad Celsius, wodurch Wasserdampf in höheren Atmosphärenschichten zu Wolken kondensierte. Die Folge war eine geschlossene Wolkendecke. (Vowinkel 2018) So wurde die
geringere Strahlung der jungen Sonne kompensiert und deren Energie besser gespeichert. Da Kohlendioxid das Sonnenlicht ieren ließ, die langwellige Wärmestrahlung des Planeten dagegen nicht, nahm dieses Treibhausgas als Bestandteil der Erdatmosphäre entscheidenden Einfluss auf die Entwicklung. (Schidlowski 1988, 184) In den obersten Atmosphärenschichten zerfielen Wassermoleküle in Wasserstoff und Sauerstoff, was die Verwitterung des Gesteins auf den Kontinenten begünstigte. Dieser Vorgang entzog der Atmosphäre Kohlendioxid. Dessen Konzentration sank, während die von Methan anstieg. Da dieses Gas in der sauerstofffreien Lufthülle lange erhalten blieb, konnte es sich bis fast zum 600fachen seiner heutigen Konzentration anreichern. (Kasting, 2004, 62-67) Bei der Herausbildung der Uratmosphäre kam es auf ein feinabgestimmtes Verhältnis von Wärme und Kälte an. Der Prozess schwankte ständig zwischen irreversibler Vereisung und irreversiblem Treibhauseffekt. Dazu trugen mehrere Faktoren bei. So bildeten einige Gasmoleküle, angeregt von der UV-Strahlung der Sonne, lange Kohlenwasserstoffketten, die in großer Höhe auf dortigen Staubteilchen kondensierten. Der Vorgang verringerte den Treibhauseffekt, indem kurzwelliges Sonnenlicht in den Weltraum zurückgeworfen wurde. Dank Plattentektonik und Vulkanismus kehrte das Kohlendioxid in die Atmosphäre zurück. Regen bewirkte eine verstärkte Erosion, wodurch mehr Kohlenstoff in den Mantel gelangte. Mit diesem „geologischen Thermostat“ te sich die Erde der Wärmestrahlung unserer Sonne so an, dass Leben entstehen konnte. (Christian 2018, 124f.)
Erde und Mond vor vier Milliarden Jahren
Sonnenstrahlen und Sonnenwinde auf der Erde
Im wahrsten Sinne des Wortes einleuchtend ist, dass es uns ohne die Sonne nicht gäbe. Sie emittiert ihre Strahlung mit einer Temperatur von 6 000 Grad Celsius. Von der Erde wird ein Teil der Sonnenenergie als „Abfallwärme“ mit 20 bis 30 Grad Celsius als Infrarotlicht ins All zurückgestrahlt. „Hochwertige Energie erreicht uns von der Sonne, niedrigwertige Energie geben wir dem All zurück.“ Dieser Wärmefluss kennzeichnet ein Nichtgleichgewicht, welches unser Leben in Gang hält. (Breuer 1981, 106) Würde die auf die Erde einstrahlende Sonnenenergie nicht ins All „entsorgt“ werden, „würden wir allmählich flüssig und gasförmig werden und die Erde sich auflösen“. Die Energie der Sonne, die uns erreicht, ist „geordneter als jene, die ungeordnet wieder in den Weltraum, in den schwarzen Himmel zurückgesandt wird“. Auf dieser Grundlage entstand ein fragiles Gleichgewicht. Die Energie die auf der Erde blieb, ermöglichte eine „wachsende Entfaltung des Lebendigen“. (Dürr 2012, Pos. 478-492) Aber auch bei einer geringeren Expansionsgeschwindigkeit des Kosmos wäre es auf der Erde nachts heller und wärmer. Das thermische Gefälle zwischen Erde und Kosmos hätte sich nivelliert, wodurch Leben auf der Erde am Wärmeabfall zugrunde gegangen wäre. (Achtner 1993, 195f.) Zu den normalen Emissionen kamen Sonnenwinde aus Wasserstoffkernen, die elektrisch geladen sind und durch das Magnetfeld der Erde zum größten Teil um den Planeten herumgelenkt wurden. Auch wurden und werden immer wieder einmal riesige Gaswolken mit einer Masse von Milliarden Tonnen in explosiven Ausbrüchen von der Sonne ins All geschleudert. Sie erreichen die Erde mit Geschwindigkeiten von Millionen Kilometern in der Stunde. (Friedman 1987, 18) Alle elf Jahre schleudert die Sonne ihre Gase sogar Hunderttausende von Kilometer in den Raum. Diese Eruptionen dauern zwei bis drei Jahre. Beim Maximum der Sonnenaktivität sind helle Polarlichter zu beobachten. Der Funkverkehr jenseits des Polarkreises wird beeinträchtigt. Das Leben auf der Erde reagiert feinfühlig auf den Zyklus der Sonnenaktivität. Auch die Periodizität epidemischer Krankheiten folgt den Zyklen der Sonne, die sich als „großer Dirigent der irdischen Lebensprozesse“ erweist. Geomagnetische Turbulenzen haben großen Einfluss auf den Verlauf von Herz- und Gefäßkrankheiten. Bei geomagnetischen Stürmen nimmt die Anzahl an
Herzinfarkten stark zu. (Rezanov 1985, 109f.)
Masse und Entfernung der Sonne sowie die Erdumlaufbahn der Erde um unseren Stern
Wie bei der Beschreibung verschiedener Sternenarten bereits erwähnt, müsste die Erde bei einer geringeren Masse ihres Muttersterns, um dieselbe Energie zu erhalten, näher um ihn kreisen. Die Folge wäre eine stärkere Abbremsung der Eigenrotation der Erde und eine synchrone Rotation, bei der immer dieselbe Hälfte der Erde von Sonnenlicht bestrahlt werden würde. Bei einem 0,2Sonnenmassen-Stern, den ein Planet mit der Masse unserer Erde in einer Entfernung von 0,1 Astronomischen Einheiten umkreist, würde es gerade einmal 25 bis 30 Millionen Jahre dauern bis eine synchrone Rotation einsetzen würde. Dieser Prozess hätten also bereits vor Milliarden Jahren begonnen und komplexes Leben unmöglich gemacht. Generell gilt, dass eine lebensfreundliche Planetenumlaufbahn kreisförmig sein muss. Der Umlauf der Erde folgt jedoch nicht exakt einer Kreis-, sondern einer leicht elliptischen Bahn. Anfang Juli erreichen wir mit 152 Millionen Kilometern den entferntesten und Anfang Januar mit 147 Millionen Kilometern den geringsten Abstand zur Sonne. Diese Abweichung von einer kreisförmigen Bahn führt dazu, dass sich die auf die Erde einfallenden Wärmemengen modifizieren. Klimaveränderungen wie Eiszeiten lassen sich darauf zurückführen. (Hanslmeier, 2011, 41) Allerdings kommt die Erdumlaufbahn der Kreisform so nahe, dass der Planet die habitable Zone nie verlässt. (Dawkins 2007b, 190) Aber schon Abweichungen von weniger als fünf Prozent vom Radius der Erdbahn würden „den Weltuntergang garantieren“. (Fritsche 2015, 69) Laut Chaostheorie ist es schon bei einer Abweichung der Erde von gerade einmal 15 Metern von ihrer Position unmöglich, zu berechnen, wo sich die Erde in 100 Millionen Jahren samt Umlaufbahn befinden wird. Die ursprüngliche minimale Ungenauigkeit würde bis dahin auf etwa eine Milliarde Kilometer angewachsen sein, das ist mehr als die Länge eines Umlaufs. Die Voraussage künftiger Bahnen ist unmöglich. (Morfill/Scheingraben 1993, 197, 205f.) Unser Planet bewegt sich mit ungefähr 107 225 Kilometern in der Stunde um die Sonne, das sind 29,8 Kilometer pro Sekunde. Wäre die Umlaufgeschwindigkeit
geringer, würde sich die Erde in einen Wüstenplaneten verwandeln, wäre sie größer, in einen Eisklumpen. Ein weiterer Grund zum Staunen ist die Tatsache, dass die Geschwindigkeit der Erde die Gravitationskraft der Sonne perfekt kompensiert, so dass die Erde ihre Umlaufbahn im richtigen Abstand beibehält. (Hanslmeier, 2011, 41) Heute ist die Erde im Mittel 8,3 Lichtminuten von der Sonne entfernt. Milutin Milanković vermutete schon 1920, Veränderungen des Abstandes zur Sonne und der Sonneneinstrahlung hätten die Eiszeiten bewirkt. Gestützt wurde diese Feststellung durch die Beobachtung, dass die Zeitabstände zwischen den großen Eiszeiten in der Nähe der bekannten Schwankungen in der Halbachse mit Perioden um 140 000 und 40 000 Jahren lagen. (Eckhardt 2004, 100f.) Wäre der Abstand zur Sonne nur um zwei Prozent des tatsächlichen Wertes geringer, gäbe es kein Leben. (Kanitscheider 2001, 212) Befände sich die Erde nur um ein Prozent weiter von der Sonne entfernt, wäre sie vereist. Befände sie sich fünf Prozent näher, gäbe es einen gewaltigen Treibhauseffekt wie den, der die Venus „zur Hölle“ macht. (Güntheroth 2001, 29f.) Beide Effekte wären unumkehrbar; „einmal gefroren oder gebraten und es gäbe keine Rückkehr mehr.“ (Ward/Brownlee 2001, 15f.) Da es uns gibt, wissen wir, dass beide Gefährdungen künftigen Lebens auf wundersame Weise überstanden wurden.
Die Erde in der habitablen Zone des Sonnensystems
Die habitablen Zonen des Universums und der Galaxie allein hätten nicht ausgereicht, Leben hervorzubringen. Auch auf der Erde mussten zahlreiche Voraussetzungen erfüllt sein. Für eine ununterbrochene biologische Entwicklung über vier Milliarden Jahre hinweg musste die Erde in einer kontinuierlich vorhandenen habitablen Zone kreisen, in der die Oberflächentemperatur zwischen Null und 100 Grad Celsius liegt und der atmosphärische COPartialdruck über 10-5bar beträgt. Bezüglich der notwendigen Breite der Habitablen Zone schwanken die Angaben der Forscher zwischen Bereichen vom 0,725fachen bis zum dreifachen des mittleren Erdabstands. (Fritsche 2015, 69) Um die günstige Lage des Blauen Planeten richtig bewerten zu können, muss man sich vor Augen halten, dass im Universum überwiegend eine Temperatur von 2,76 Grad über dem absoluten Nullpunkt von minus 273,15 Grad Celsius (Null Grad Kelvin) herrscht. Um die Position der Erde und die gemäßigte Temperatur auf ihrer Oberfläche würdigen zu können, wurde die Position der Erde mit einem Lagerfeuer verglichen, das von der Sonne gespeist wird. Man stelle sich vor, so Peter Douglas Ward und Donald Brownlee, eine Nacht im kanadischen Yukon-Territorium bei minus 30 Grad Celsius überleben zu müssen. Da hilft nur ein großes Lagerfeuer. Kommt man diesem jedoch zu nahe, könnte man selbst Feuer fangen; ist man zu weit weg, erfriert man. (Ward/Brownlee 2001, 35) So wie es ist, ist unser Sonnensystem mit den Worten von Voltaires Candide „die beste aller möglichen Welten“.
Die Bedeutung anderer Planeten für uns
Unser Sonnensystem hat weitere Eigenschaften, die den Verlauf unserer Rote Linie des Lebens bestimmten. Die Grundlage für die einzigartige Form unseres Sonnensystems wurden bereits bei dessen Entstehung gelegt. So rotieren alle Planeten in derselben Richtung um die Sonne, und ihre Umlaufbahnen liegen nahezu auf einer Ebene. Ursache dafür war, dass Sonne und Planeten gleichzeitig aus einer einzigen Materiescheibe hervorgingen, die in derselben Richtung wie die heutigen Planeten rotierte. (Stanley 2001, 278) Hätten die inneren Planeten andere Abstände zur Sonne, läge die Erde nicht in der habitablen Zone und das Sonnensystem wäre ohne Leben geblieben. Grundlage für die spätere Bildung von Leben war zudem, dass die Bahnen aller anderen Planeten, mit Ausnahme von Pluto, fast kreisförmig waren, sich nicht störten und es zu keinem „orbitalen Chaos“ kam. (Ward/Brownlee 2001, 15) Chaotisch sind die Bahnen der inneren Planeten allerdings schon. (Morfill/Scheingraben 1993, 197, 205f.) Die Bewegung von drei Körpern unter dem Einfluss ihrer gegenseitigen Gravitationskräfte ist ein Grundproblem der Himmelsmechanik. Im Gegensatz zu einer Situation mit zwei Körpern sind drei Körper nicht mehr geschlossen integrierbar, was heißt, sie zeigen ein chaotisches Verhalten. (Eckhardt 2004, 103) Das ist für die Erde insofern von Bedeutung, weil ihre Umlaufbahn durch die Bewegung anderer Planeten, speziell durch Jupiter und Saturn, über längere Zeitskalen regelmäßig verändert. So pendelt die Erdachse durch den Einfluss der anderen Planeten über einen Zeitraum von 19 000 bis 23 000 Jahren. Dadurch variiert die Umlaufbahn um die Sonne alle 100 000 Jahre zwischen näheren und entfernteren Abständen. (Bothmer 2017, 30) Notwendig für die Entwicklung von Leben auf der Erde war auch, dass die Umlaufbahnen der Planeten weit genug auseinander lagen. Es wird vermutet, dass sie bereits auf den heutigen Bahnen entstanden. (Malhotra 1999, 32ff.) Auch liegt die Erde weit genug von den Gasgiganten Jupiter und Saturn entfernt, sodass deren Gravitationen die Erdbahn nicht stören. Das war eine Voraussetzung für Leben, welches über Jahrmillionen Stabilität für seine Entwicklung brauchte. (Kaku 2005, 325) Hätten sich die Großplaneten exzentrisch um die Sonne bewegt, gäbe es kein komplexes Leben. Kleinere Planeten wie die Erde würde aus dem Planetensystem gedrängt werden oder in
die Sonne stürzen. Die bisherige Suche nach extraterrestrischem Leben hat gezeigt, dass keines der bisher gefundenen extrasolaren Planetensysteme unserem ähnelt. Fast alle jupiterähnlichen Planeten umkreisen ihre Sterne auf elliptischen bis hochelliptischen, nicht aber auf kreisförmigen, sondern stark exzentrische Bahnen. (Ward/Brownlee 2001 310) Die Fülle der Faktoren zeigt, wie ungewöhnlich und einzigartig unser Sonnensystem ist. (Kaku 2005, 328f.) Für John Hand ist die Erde zwar kein einzigartiger, „aber doch seltener Ort in der Galaxis, wenn nicht im Universum, weil sie die Voraussetzungen aufweist, die für Entstehung und Evolution von so komplexen Lebensformen wie dem Menschen notwendig“ waren. (Hands 2018, 272) Eine besondere Rolle für irdisches Leben spielt Jupiter. Er hat einen Poldurchmesser von 133 700 sowie einen Äquatordurchmesser von 142 984 Kilometern und ist 778 Millionen Kilometer von der Sonne entfernt. Für einen Sonnenumlauf benötigt er zwölf Jahre. Dank der „richtigen Größe“ trägt seine Gravitation bis heute dazu bei, Asteroiden, die uns bedrohen könnten, in das äußere All zu schleudern. In der Zeit zwischen 4,5 und 3,5 Milliarden Jahren half er, das Sonnensystem von Trümmern der Asteroiden und Kometen zu räumen. Wäre Jupiter kleiner und seine Gravitation geringer gewesen, wäre unser Sonnensystem noch immer „gespickt mit Asteroiden“. (Kaku 2005, 324f.) Die Einschlagsrate von Körpern mit zehn Kilometern Durchmesser wäre ohne Jupiter 10 000mal größer. Die Erde wäre nicht alle 100 Millionen, sondern alle 10 000 Jahre von Asteroiden getroffen worden. Seine „Gravitationssenke“ fängt „kosmischen Müll“ aus dem Sonnensystem ein. (Ward/Brownlee 2001, 11, 274) Bis heute ist die Häufigkeit von Asteroideneinschlägen auf der Erde „fast allein von der gravitativen Wirkung des Riesenplaneten Jupiter“ abhängig. (Brownlee/Gonzalez/Ward 2001, 38ff.) Der „riesige Gravitationsstaubsauger“ umkreist die Sonne genau an der richtigen Stelle und lenkt Asteroiden ab, die uns ansonsten „mit tödlichen Kollisionen“ gefährden könnten. (Dawkins 2007b, 190) Die Existenz von Jupiter ist für intelligentes Leben auf der Erde unabdingbar. (Walter 2008, 232f.) George Wetherill geht davon aus, dass es uns ohne Jupiter und Saturn nicht gäbe. In einer Computer-Simulation entfernte er beide Gasriesen aus dem Sonnensystem. Der Versuch zeigte, dass erheblich mehr Kometen in unserer Nähe geblieben wären und die Erde tausendmal öfter getroffen worden wäre als tatsächlich. Alle 100.000 Jahre hätte ein großer Komet die Erde getroffen und damit eine Entwicklung zu höheren Lebensformen
unmöglich gemacht. Die Simulationen zeigen aber auch, dass die Bildung von Planeten wie Jupiter eigentlich völlig unwahrscheinlich ist, weswegen hochentwickelte Lebensformen in anderen Sonnensystemen kaum anzutreffen sein dürften. (Croswell 1997, 283f.) Eine weitere Bedrohung der Erde stellen Kometen von außerhalb des Sonnensystems dar. Etwa 100 Milliarden davon sind auf zwei Gebiete des Sonnensystems verteilt: Im Kuiper-Gürtel jenseits der Neptunbahn und in der kugelförmigen Oortschen Wolke, die sich bis zu entsprechenden Materiewolken der Nachbarsterne erstreckt. (Brownlee/Gonzalez/Ward 2001, 38ff.) Auch vor deren Angriffen schützt uns Jupiter.
Größe und Masse der Erde
Setzen wir unsere wundersame Erkundungstour und Suche nach unserer Roten Linie fort. Aus den Naturkonstanten lässt sich ableiten, dass ein für uns geeigneter Planet einen Radius von ca. 6 400 Kilometern und eine Masse von knapp 6 x 10²⁷ Gramm haben muss. Das entspricht exakt der Größe der Erde. (Trịnh 1993, 268) Die Planetengröße hat Auswirkungen auf die vulkanische Aktivität, die Plattentektonik und das Magnetfeld. Wäre die Erde kleiner und mit geringerer Masse, würde eine ausreichende Gravitation fehlen, um eine Atmosphäre an die Erde zu binden. Dank ihrer Größe konnte diese nicht nur festgehalten werden, sie sorgte auch dafür, dass das Erdinnere kaum auskühlte. Der Atmosphärendruck ist gerade richtig, um das Verdampfen von Flüssigkeiten zu verhindern und Meere zu bilden. (Schulze-Makuch/Bains 2019, 27) Bei einer schwereren Erde hätte sich ihre Gashülle so sehr verdichtet, dass kaum noch Sonnenlicht durchgedrungen wäre. Die Atmosphäre bestünde vor allem aus Wasserstoffverbindungen. Eine mit einer größeren Masse verbundene stärkere Gravitation hätte sich ungünstig auf die Entwicklung höherer Lebensformen ausgewirkt. Besäße die Erde Unregelmäßigkeiten in der Verteilung der Masse, könnte sie im Verhältnis zur Sonne wenig oder gar nicht rotieren. Die Folge wären große Temperaturdifferenzen zwischen der Tag- und der Nachtseite. Energiequellen der Erde sind, neben der Sonne, der radioaktive Zerfall im Erdkern, Kontraktionen aufgrund der Gravitation, Gezeitenkräfte und Redoxreaktionen, bei denen ein Reaktionspartner Elektronen auf einen anderen überträgt. (Schulze-Makuch/Bains 2019, 28) Dank der Wärme aus dem Erdinnern blieb der Antrieb der Plattentektonik erhalten. Seit der Entstehung des Lebens ist die Schwerkraft eine der entscheidenden physikalischen Größen in der Entwicklung von Leben. Bei größerer oder kleinerer Kraft hätten sich andere Formen und Größen entwickelt. Möglicherweise wären Pflanzen bei geringerer Gravitation viel größer, bei größerer Gravitationskraft kleiner. Bei geringerer Gravitation wäre die Erde möglicherweise von „Giganten und Titanen“ bevölkert. Größere Schwerkraft hätte hingegen „gedrungenere Wesen“ hervorgebracht, „die auf kräftigen Stummelbeinen über den Globus gewatschelt“ wären. Bei einer stärkeren Gravitation hätten sich an Land möglichweise überhaupt keine Tiere entwickelt, weil das Leben unter solch „erschwerten“ Bedingungen gar nicht erst „aus dem Ozean gekrabbelt“ wäre. (Güntheroth
2001, 189)
Die Bedeutung des Erdmagnetfelds bei der Ablenkung von Sonnenstürmen
Eine weitere Voraussetzung für menschliches Leben war und ist der Schutz vor kosmischer Strahlung und vor Sonnenwinden durch das Magnetfeld der Erde, das sich dank der Kollision mit Theia und der Anreicherung des flüssigen Erdkerns mit Eisen und Nickel bildete. Das Magnetfeld wird zu 95 Prozent durch geomagnetische Dynamoprozesse erzeugt, die im rotierenden, flüssigen äußeren Erdkern unter dem Einfluss der Trägheitskräfte vorwiegend durch turbulente Konvektionsströme angetrieben werden. (Kusserow 2018, 441) Diese treiben die Platten an, die wie „trockene, starre Handtücher“ auf diesem Gesteinsbrei schwimmen. (Lesch 2020a) Dank ihres Magnetfeldes ist die Erde von einer Ionosphäre aus entladenem Gas in Höhen von 70 bis 500 Kilometern umgeben, in der starke elektrische Ströme fließen. Die Ionosphäre und die darunterliegende Ozonschicht schirmen die Erde vor UV- und Röntgenstrahlung ab. (Rezanov 1985, 108f.) Die Erde befindet sich so in einem schützenden „magnetischen Kokon“, der „im Sonnenwind einen Hohlraum“ bildet. Auf der Sonnenseite wird der magnetische Schild durch den Sonnenwind zusammengedrückt, auf der Rückseite das Magnetfeld in einen langen Schweif bis über die Mondbahn hinausgezogen. (Friedman 1987, 18) An sich ist das Magnetfeld hundertmal schwächer als das Feld zwischen den Hufeisenenden eines gewöhnlichen Schulmagneten, dafür aber hat es ein riesiges Volumen und erstreckt sich bis zehntausende Kilometer über die Erdoberfläche hinaus. Da die Energie eines Magnetfeldes proportional zu seinem Volumen wächst, hat das irdische Magnetfeld einen großen Einfluss auf die Prozesse in der Umgebung des Planeten. Nur ein Magnetfeld wie das der Erde bietet ausreichend Schutz gegen Sonneneruptionen, die sonst die Oberfläche sterilisieren würden und die Atmosphäre im Laufe der Zeit vernichtet hätten. (Schulze-Makuch/Bains 2019, 26) Das Erdmagnetfeld hat sich in den letzten 330 Millionen Jahren mehr als 400mal umgepolt, zuletzt vor 780 000 Jahren. Die Ursache ist noch weitgehend unbekannt. (Von Hoerner 2003, 28) Experten vermuten, es könnte bald wieder einmal geschehen.
Die Schräglage der Erdachse und die Rotationsgeschwindigkeit des Planeten
Weitere Voraussetzungen für die Evolution zum Menschen waren die Schräglage der Erdachse und die Rotationsgeschwindigkeit. Die Erdachse ist gegenüber der Umlaufebene um die Sonne im Winkel von 66,6 Grad geneigt. Dadurch ändern sich im Laufe eines Jahres Intensität, Dauer und Winkel der einfallenden Sonnenstrahlen. Die Verteilung der Temperaturen von einer Seite des Planeten zur anderen verhindert nachteilige Temperaturspitzen. (Schulze-Makuch/Bains 2019, 27) Phasen im Umlauf der Erde um die Sonne sind durch die Tages- und Nachtgleichen um den 21. März und 23. September markiert, wenn die Sonne senkrecht über dem Äquator steht. Etwa alle 41 000 Jahre ändert sich der zwischen 21,6 und 24,5 Grad schwankende Neigungswinkel der Rotationsachse zur Ebene der Erdumlaufbahn. Das hat Einfluss auf die Verteilung der Strahlung. Wegen dieser „Schiefe der Ekliptik“ ist die Nordhalbkugel der Erde im Juni der Sonne zugewandt und empfängt infolge des längeren Tages mehr Sonnenenergie als die Südhalbkugel. In den Breiten jenseits der Polarkreise dauern Tag und Nacht jeweils sechs Monate. Über die Verteilung der Sonnenenergie auf die Erdoberfläche hat die Schiefe der Ekliptik entscheidenden Einfluss auf unser Klima. (Laskar 1993, 16ff.) Wäre die Erde nicht geneigt, gäbe es keine Änderungen der Jahreszeiten. Bei einer größeren Neigung würden die Sommer heißer und die Winter kälter ausfallen. Alle 25 800 Jahre vollzieht die Rotationsachse der Erde eine Kreiselbewegung, da die Erde keine exakte Kugel, sondern ein „ausgebuchtetes“ Ellipsoid ist. Dadurch ändern sich die Verteilung der Strahlung und die Zeitpunkte der Tagund Nachgleichen. Als Theia die Erde traf, beschleunigte dies die Rotation der Erde. Die Rotationsperiode dauerte bis dahin etwa fünf Stunden, ein Tag war nur etwa ein Fünftel so lang wie heute. (Hanslmeier, 2011, 21f.) Wäre Theia aus einem anderen Winkel auf die Erde geprallt, hätte sich die Rotation verlangsamt. Die Folgen wären unabsehbar gewesen. Heute dauert ein Tag 24 Stunden. Bei einer langsameren Achsendrehung würde sich ihre Tagseite ungeheuer aufheizen, die Nachtseite hingegen enorm abkühlen. Bei einem noch schnelleren Spin wären zwar die Tag- und Nachttemperaturen relativ ausgeglichen, dafür aber ginge es in der Atmosphäre stürmisch zu. Hoch- und
Tiefdruckgebiete würden sich viel rascher bewegen, und die Windgeschwindigkeit wäre stärker. Auf einer Erde mit zehn Stunden Tageslänge würden ständig Stürme mit Windgeschwindigkeiten zwischen 400 und 500 Kilometern pro Stunde toben. Nur flache Lebewesen könnten sich bei derart hohen Windgeschwindigkeiten behaupten. (Lesch/Müller 2014, 79f.) Dank der Dichte des Erdkörpers, seiner Größe, Oberflächenbeschaffenheit und Temperatur, wird die Luft der Erde auf dem „kosmischen Karussell“ einer beschleunigten Rotation nicht mitgerissen. Die hauchdünne Gasschicht unseres Planeten bewegt sich mehr oder weniger mit diesem mit. Andernfalls wäre ein „unvorstellbarer Dauersturm“ die Folge. Am Äquator würde er mit über 1 600 Stundenkilometern um die Erdachse fegen. (Güntheroth 2001, 138f.) Menschen hätten sich unter solchen Bedingungen nicht entwickelt.
Die Größe des Mondes sowie der gemeinsame Schwerpunkt von Erde und Mond
Eine weitere Voraussetzung für die Entstehung menschlichen Lebens war die im Vergleich zur Erde „abnorme Größe“ des Mondes. (Hands 2018, 254) Sein Durchmesser beträgt ein Viertel dessen der Erde. Wegen seiner Größe wird der Mond oft als Planet eingestuft, die Rede ist auch von einem Doppelplanetensystem. (Hanslmeier, 2011, 20) Wäre der Mond viel kleiner, hätten sich winzige Störungen der Erdrotation im Laufe der Jahrmillionen so summiert, dass die Erdbewegungen katastrophalen Schwankungen unterliegen und Klimaveränderungen hervorrufen würden. Die Suche nach extraterrestrischem Leben zeigt, dass es kaum Planeten gibt, die von einem Trabanten mit der Größe unseres Mondes umkreist werden. Das gilt allerdings nur für die Relation der Mondgröße zum Planeten Erde. Der Saturnmond Titan etwa ist doppelt so groß. Im Sonnensystem gibt es über 150 Monde, Davon hat Neptun 13, Saturn 48 und Jupiter 62. Die Erde hat nur einen Mond. „Sowas wie unseren Mond hat solch ein kleiner Planet wie die Erde gar nicht, normalerweise.“ Er stehe, so Lesch, der Erde „dienstgräßig gar nicht zu“. (Lesch 2020b) Ein großer Mond wie unserer war aber unerlässlich für hochentwickeltes Leben, da nur er eine stabile Rotationsachse und damit gleichbleibende Klimaverhältnisse garantierte. Heute wissen wir, wie extrem unwahrscheinlich ein großer Mond ist, nicht nur weil er durch die Kollision der Erde mit Theia entstand. Eine weitere Funktion des Mondes bestand darin, dass er wie Jupiter häufig Objekte abfing, die sonst möglicherweise die Erde getroffen hätten. (Walter 2008, 232) Wie eng Erde und Mond miteinander verbandelt sind, zeigt auch die Tatsache, dass Mond und Erde um einen gemeinsamen Schwerpunkt kreisen. Aufgrund der größeren Erdmasse liegt dieser Punkt innerhalb der Erde, rund 1 700 Kilometer unter der Oberfläche. Um diesen Schwerpunkt rotieren sowohl Erde als auch Mond. Dadurch wirkt auf Mond und Erde eine Zentrifugalkraft, die beide Körper auseinanderzutreiben versucht. Die Fliehkraft hält zu den Gravitationskräften, mit denen sich beide Gestirne gegenseitig anziehen, genau das Gleichgewicht. Die Fliehkräfte verhindern, dass beide Körper ineinander stürzen.
Die Stabilisierung der Achsenneigung der Erde durch den Mond und die Rolle seines Magnetfeldes
Ohne Mond würde die Rotationsachse der Erde „schwanken wie verrückt“, (Lesch 2020b) und zwar innerhalb eines Zeitraums von 1 000 Jahren zwischen 15 und 32 Grad. Eiszeiten und subtropische Bedingungen würden sich in kurzer Folge abwechseln. Die Erdrotationsachse würde taumeln. Im nördlichen Hochsommer stünde die Sonne über dem Nordpol monatelang fast im Zenit, und ein großer Teil der Südhemisphäre bliebe im Dunkeln. Das Jahr über kämen nahezu alle Bereiche der Erde in Positionen, in denen sie Tage und Nächte von jeweils mehreren Monaten Länge hätten. Die Orientierung der Erdachse hätte sich ohne einen Mond von rund einem Drittel der Erdgröße über einen Zeitraum von vielen Millionen Jahren um bis zu 90 Grad ändern können. Da die Entwicklung des Lebens mehrere hundert Millionen Jahre klimatischer Stabilität brauchte, wäre auf einer Erde mit regelmäßigen heftigen Schwankungen ihrer Erdachse keine DNS entstanden. Der Mond garantierte „den Lebewesen auf lange Sicht relativ stabile Existenzbedingungen“. (Laskar 1993, 16ff.) Ohne Lagestabilisierung der Erdachse hätte sich diese stark verändert, was zu extremen Temperaturverhältnissen geführt hätte. Leben wäre so ebenfalls nicht möglich. (Vowinkel 2018) Im frühen Sonnensystem kam noch ein weiterer positiver Effekt des Mondes zum Tragen. Auch sein Magnetfeld bildete einen Schutzschirm für die junge Erde. Anders als heute besaß der Erdtrabant noch bis vor rund 3,5 Milliarden Jahren ein starkes Magnetfeld, das mit dem der Erde verbunden war. Möglich war dies, weil der Mond nur ein Drittel so weit von der Erde entfernt war wie heute. Das Magnetfeld des Mondes verlieh der Erde zusätzlichen Schutz gegen Ausbrüche der noch jungen Sonne. Er bildete eine substanzielle Schutzbarriere gegen den Sonnenwind und trug entscheidend dazu bei, dass die junge Erde damals ihre Atmosphäre behielt. (Podbregar 2020b)
Der Mond und die Gezeiten
Noch in einer anderen Hinsicht war und ist Leben auf der Erde vom Mond abhängig. Das Gravitationsfeld des Mondes zieht bis heute auf der ihm zugewandten Seite der Erde das Wasser der Ozeane zu sich heran. Gleichzeitig bildet sich durch die Zentrifugalkräfte des Erde-Mond-Systems auf der mondabgewandten Seite ein zweiter Wasserberg. Beide Gezeitenwellen laufen mit dem Mond einmal am Tag um den Globus und verursachen Ebbe und Flut. Dabei hebt der Mond nicht nur das Wasser, sondern auch die Erdkruste um bis zu 26 Zentimeter an. Die Gravitation des Mondes lässt zudem den Luftdruck in der Atmosphäre periodisch schwanken. (Güntheroth 2001, 188) In der Zeit nach seiner Entstehung war die Entwicklung von Leben angesichts der Nähe des Mondes problematisch. Der geringe Abstand bewirkte gewaltige Gezeitenkräfte. Flutwellen von „wahrhaft gigantischen Ausmaßen“ rasten im Stundenrhythmus um die Erde. (Lesch/Müller 2014, 69-77) Der Tidenhub erreichte eine Höhe von mehr als 100 Metern. Die Wanderung der Flutberge über die Erdoberfläche war wegen der Reibung von einem Energieverlust begleitet. Dadurch wurde die Erdrotation gebremst. Pro Jahrhundert wurden die Tage um 0,002 Sekunden länger und der Mond entfernte sich um ungefähr 3,5 Zentimeter von der Erde. Vor rund 370 Millionen Jahren dauerte ein Tag 22 Stunden. Das Jahr teilte sich in 400 Tage. Vor 900 Millionen Jahren dauerte ein Tag etwa 18 Stunden, ein Jahr bestand aus 487 Tagen. Vor zwei Milliarden Jahren dauerte eine Umdrehung fünfeinhalb Stunden. Vor rund viereinhalb Milliarden Jahren rotierte die Erde mehr als doppelt so schnell wie heute um ihre Achse. Ein Erdentag dauerte etwa zehn bis zwölf Stunden, ein Jahr mehr als 730 Tage. Hätte der Mond nie existiert und die Rotation der Erde über die Gezeiteneffekte gebremst, würde die Erde heute 1,6mal schneller rotieren. Ein Tag würde 15 Stunden dauern. Die Gezeitenreibung wirkte aber auch auf den Mond ein, der seine Eigenrotation verlor und sich langsam entfernte. Im Lauf der Zeit wurde ein Punkt erreicht, bei dem die Erde für eine Umdrehung genauso lange brauchte wie der Mond für eine Umrundung der Erde. Ein Erdentag verlängerte sich von etwa fünf bis acht auf heute 24 Stunden. Weil der Mond den Drehimpuls der Erde übernahm, kehrt er der Erde immer dieselbe Seite zu. (Lesch 2020b) Dank der vom Mond
hervorgerufenen Gezeiten kam es zu einer Durchmischung der Küstengewässer, was Voraussetzungen für die Verbreitung des Lebens in den Ozeanen schuf und den Übergang des Lebens von der Meeresfauna auf die Landfauna ermöglichte. Der Mond trug und trägt dazu bei, die Verschmutzung der Meere zu reduzieren. Durch Ebbe und Flut werden ihre Wassermassen bis in große Tiefen gemischt. An den Küsten entstanden Wattlandschaften und Ökosysteme. Nur eine geringe Rolle spielen dagegen die Gezeitenkräfte der Sonne. Am stärksten sind sie bei Neumond und Vollmond. Dann addieren sich die Kräfte von Sonne und Mond, solange diese in einer Linie stehen.
Unser romantischer Mond: Guter Mond, du gehst so stille ...
Wegen seiner immensen Bedeutung für unsere Existenz ist der Mond seit Menschengedenken ein Thema in Kultur und Kunst. In Deutschland denkt man rasch an das Gemälde von Caspar David Friedrich mit dem Titel „Zwei Männer in Betrachtung des Mondes“ oder an Wilhelm Hauffs Erzählung „Der Mann im Mond“ aus dem Jahr 1825. Beide sind Inbegriffe der Anschauung der Natur und das Identifikationsbild der deutschen Romantik. Ludwig van Beethoven widmete ihm seine „Mondscheinsonate“, Claude Debussy den 4. Satz seiner Suite bergamasque „Clair de Lune“. „The Dark Side of the Moon“ ist das erfolgreichste Album von Pink Floyd. „Fly Me to the Moon“ von Bart Howard aus dem Jahr 1954 wurde in zahllosen Covers verewigt. Am besten gefällt mir die Version von Angelina Jordan. Peter Ward und Donald Brownlee meinen, „ohne den Mond gäbe es kein Mondlicht, keinen Monat, keine Mondsüchtigkeit, kein Apolloprogramm, weniger Lyrik und eine Welt, in der jede Nacht dunkel und düster wäre. Ohne den Mond hätten wahrscheinlich auch keine Vögel, Redwoods, Wale, Trilobiten oder andere höher entwickelte Lebensformen die Erde bevölkert.“ (Brownlee/Wards 2001, 222) Lange diente der Mond als Leuchtfeuer, Zeitmesser und Standortfinder auf hoher See. Er kommt in zahlreichen Erzählungen vor. Erinnert sei nur an Jules Vernes „De la Terre à la Lune“. Viele Menschen orientieren sich am Mond. Der „Monat“ ist nach dem Mond ausgerichtet. Ein Mondmonat dauert je nach Definition zwischen knapp 27⅓ und gut 29½ Tagen. Nach dem Mondkalender wird die Saat ausgebracht oder es werden wichtige Entscheidungen getroffen. Dass bei Vollmond Schlafwandler auf den Dächern spazieren, ist wohl eher das Produkt der Phantasie; viele Menschen geben aber an, bei Vollmond nicht richtig schlafen zu können. Mond und Erde sind seit je her unauflöslich miteinander verbunden. Ohne unseren Begleiter gäbe es uns nicht. Wir sind nicht nur Kinder der Erde, sondern auch unserer Luna.
10. Die Entstehung des Lebens im Archaikum vor vier bis 2,5 Milliarden Jahren
Die Feinabstimmung der Naturkonstanten als Grundlage menschlichen Lebens
Der Gedanke, dass wir Menschen, die nach uns kommenden oder uns unbekannte intelligente Lebensformen die Folge der Feinabstimmungen nach dem Urknall sind, scheint abwegig, entstand das Universum doch mehr als 13 Milliarden Jahre bevor es erstes Leben gab. Aber dennoch scheint die im Anthropischen Prinzip postulierte Herleitung selbstbewusster Wesen aus den Feinabstimmungen eine Tatsache zu sein. Jedenfalls führt uns die Rote Linie der menschlichen Evolution direkt zurück bis zum Beginn feinabgestimmter Gesetze, Naturkonstanten und Elemente. Generell, stellt sich die Frage, ob der daraus hergeleitete Weg zu intelligentem Leben eher einem deterministischen Weltbild oder aber Raimund Poppers Auffassung eines offenen, nichtdeterminierten Universums entspricht. Werfen wir erneut einen Blick auf Äußerungen einiger Experten. Der Physiologe Emil du Bois-Reymond nannte schon 1880 die Entstehung des Lebens ein unlösbares „Welträtsel“. (Zit. b. Roth 2010, 37) Charles Darwin meinte, das Leben sei „durch einen ganz und gar unbekannten Prozess“ aufgetaucht. (Zit. b. Weiß 2011, 97) Lawrence J. Henderson konstatierte 1913, die Eigenschaften der Materie und der Verlauf der kosmischen Evolution seien „eng mit der Struktur der Lebewesen und ihren Aktivitäten verknüpft“. Das Universum könne man „seinem ganzen Wesen nach biozentrisch“ nennen. Die „Tauglichkeit der Umgebung für das Leben“ sei „zu groß, um zufällig zu sein“. (Zit. b. Davies 1996a, 238) Reinhard Breuer meint, im Verhältnis der Zahlen und Relationen der Naturkonstanten untereinander sei das Geheimnis des Lebens enthalten. (Breuer 1983, 45) John David Barrow und Frank J. Tipler verweisen darauf, dass alles, vom Energiezustand des Elektrons bis hin zur Schwachen Kern-Wechselwirkung „maßgeschneidert“ sei, „um unsere Existenz zuzulassen“. Wir leben in einem Universum, „das von einer Reihe unabhängiger Variablen abhängt“, bei denen „eine winzige Veränderung“ ausgereicht hätte, es „unbewohnbar für jedwede Form von Leben“ zu machen. (Barrow/Tipler 1988) Trịnh Xuân Thuận meint, die Naturkonstanten seien „mit extremer Präzision so abgestimmt“, dass „das Universum alle Etappen auf dem Weg von den Elementarteilchen bis zum
biochemischen Leben über Planeten, Sterne und Galaxien zurücklegen konnte“. Die Anfangsbedingungen des Universums seien einzigartig und ließen keine Abweichung vom Weg der Entstehung des Lebens zu. Bereits bei der Änderung eines kleinen Details hätte Leben „nicht die geringste Chance“ gehabt. Voltaires fiktiver Philosoph Pangloss sei sich gar nicht dessen bewusst gewesen, wie genau er mit seinem Ausruf ,,Alles ist gut in der besten aller Welten“ ins Schwarze getroffen habe. Tatsächlich sei alles gut, „weil die Welt bis ins Kleinste auf unser Kommen ausgerichtet war“. (Trịnh 1993, 268-275, 281f.) Bereits mit dem Urknall, so Wolfgang Achtner, wurden die Grundlagen menschlichen Lebens gelegt. Die auf uns ausgerichteten Naturgesetze und Naturkonstanten gelten bis heute. Es gab einige „Nadelöhrsituationen“, bei denen „bestimmte Zahlenwerte der Naturkonstanten nötig waren, um eine weitere kosmische Entwicklung zu ermöglichen“. (Achtner 1993, 194f.) Kitty Ferguson hat den Eindruck, dass es extra für uns einiges an sorgfältiger Planung und komplizierter Feinabstimmung gab. (Ferguson, Kitty 1995, 245) Auch Paul Davies und John Gribbin sind überzeugt, dass der Aufbau des Universums „äußerst sensibel selbst gegenüber kleinsten Veränderungen der grundlegenden Parameter der Natur“ sei. Es scheine, als wäre die gesamte „kunstvolle Ordnung des Kosmos“ das Ergebnis einer „hochsensiblen Feinabstimmung“. Vor allem die Existenz intelligenter Beobachter sei „anfällig für die Präzisions-Anung unserer physikalischen Bedingungen“. (Davies/Gribbin 1995, 42f.) Paul Davies bezieht sich auf John Gribbin und Martin Rees, wenn er meint, die Bedingungen im Weltall seien „in einzigartiger Weise für Lebensformen wie uns Menschen geeignet“. In einigen Fällen sehe es so aus, als ob die Größen „mit enormer Genauigkeit aufeinander abgestimmt sein müssen, wenn im Universum Leben möglich sein soll“. Würden wir Gott spielen und könnten die Werte für diese Größen per Schalter ändern, wäre das Universum unbewohnbar. Vor diesem Hintergrund sei die Bemerkung von Fred Hoyle zu verstehen, beim Universum handele es sich um „eine abgesprochene Sache“. Das Entstehen von Leben und Bewusstsein hänge nicht nur von der Feinabstimmung der vier physikalischen Grundkräfte oder dem exakten Aufbau des Periodensystems der Elemente ab, sondern auch von den feinabgestimmten Naturkonstanten. Deren fixe Zahlenwerte gingen in die physikalischen Gleichungen ein und bestimmten deren Ergebnisse. (Davies 1996a, 141-143, 239f.) Auch laut Johannes Feitzinger gäbe es uns ohne Feinabstimmung nicht. Es scheine, als ob „das Universum gewusst oder darauf hingearbeitet“ habe, dass
wir auftauchen“ (Feitzinger 2002, 138) Ebenso meinen Hans-Joachim Blome und Harald Zaun, die Anfangsbedingungen der kosmischen Evolution seien „mit den materiellen Voraussetzungen der Entwicklung von Leben und der Existenz des Menschen untrennbar verknüpft“. Der Mensch stehe „mit der Geschichte des Kosmos in engster Wechselwirkung“. (Blome/Zaun 2004, 75) Laut Rüdiger Vaas hat die Feinabstimmung dem Menschen „kosmische Würde und kosmischer Rang in einer Größenordnung zurückerstattet“, die man „kaum steigern“ könne. Mit dem Anthropischen Prinzip verbinde sich die Hoffnung, dem Menschen würde „eine wichtige Rolle auf der kosmischen Bühne“ verliehen, und sei es nur aufgrund seiner Erkenntnisfähigkeit. (Vaas 2004, 396f.) John David Barrow meint, je mehr fiktive Änderungen von Naturkonstanten man zulasse, desto geringer werde die Möglichkeit von Leben. Ihre Werte seien „ziemlich lebensfreundlich“. Es bleibe „ein tief verborgenes Geheimnis“, ob sie „eine übergreifende logische Gesetzmäßigkeit ausdrücken“. Sicher sei aber, dass sie für zweierlei stehen, „unser tiefstes Wissen über die Welt und unsere größte Ratlosigkeit“. (Barrow 2004, 11f., 133f., 156-159) Auch Richard Dawkins ist der Auffassung, die Naturkonstanten seien untereinander exakt abgestimmt: „Wären sie nur geringfügig anders, sähe das Universum völlig anders aus und wäre vermutlich für das Leben nicht geeignet.“ (Dawkins 2007, 199) Laut Bernulf Kanitscheider würde schon eine kleine Abweichung der Naturkonstanten von ihren Werten ausreichen, um unserer Existenz die Voraussetzungen entziehen. Es sei verwunderlich, welche Zahl physikalischer Parameter und Konstanten für das Leben extrem fein abgestimmt seien müssten. Die „schiere Fülle“ wecke „Assoziationen einer externen Planung“, die „bewusste und erkennende Untersysteme“ entwickelt habe. Von diesen Feinabstimmungen gebe es Hunderte. Es scheine, als hätten John Gribbin und Martin Rees recht damit, dass das Universum „uns auf den Leib geschneidert“ ist. Möglicherweise stehe ein „kosmischer Schneider oder irgendein unpersönliches, zielstrebig agierendes Wesen“ hinter der „überraschenden Feinabstimmung“. (Zit. b. Kanitscheider 2008, 166-172) Bei Alex Vilenkin erwecken die Naturkonstanten den Eindruck, als hätte „der Schöpfer“ sie aus einer Laune heraus ausgewählt. Dahinter verberge sich offensichtlich ein System, wenn auch „keines, wie es sich die Physiker erhofften“. Unsere Existenz hänge von einem „prekären Gleichgewicht“ ab, dessen Werte durch deutliche Abweichungen von ihren elementaren Werten zerstört würden. (Vilenkin 2008, 155, 158)
Für Richard Swinburne ist die Existenz einer Welt mit menschlichem Leben nur dann wahrscheinlich, wenn man davon ausgeht, dass es einen Gott gibt. Die atheistischen Erklärungen für ein feinabgestimmtes Universum seien kompliziert und dürftig. Der Theismus liefere eine bessere Deutung dafür, warum das Universum feinabgestimmt ist, denn er gebe einen Grund dafür an, warum Gott uns darin platziert habe. Es sei nicht unwahrscheinlich, dass es Feinabstimmungen durch Gott gebe. Dagegen sei es unklar, warum es sie ohne Gott geben sollte. Swinburnes Argument, bezeichnet Joachim Bromand als „Gottesbeweis mittels Feinabstimmung“. (Bromand 2011, 499f., 536) Owen Gingerich meint, das Gleichgewicht zwischen der Expansionsenergie und der Bremskraft der Gravitation sei so fein abgestimmt, dass es den Anschein erwecke, „das Universum sei speziell für die Menschen entworfen“ worden. Bestimmt sei „ein gütiger Schöpfer am Werk“ gewesen, der ein Universum schuf, das für intelligentes Leben geeignet ist. (Gingerich 2012, 60f.) Für Heinz Oberhummer existieren in der modernen Physik mehrere eindrucksvolle Beispiele der Feinabstimmung des Kosmos zugunsten des Lebens. Würden manche davon nur minimal von ihrem Wert abweichen, wäre „ein totes und steriles Universum ohne Leben“ die Folge. (Oberhummer 2012, 188; 2014, 140) Ulrich Langenbach ist überzeugt, dass die kosmische Balance gegen die Zufälligkeit unserer Entstehung spreche. Mehr als 30 Naturkonstanten und andere physikalischen Größen hätten „haargenau die Werte“, die für die Entstehung des Menschen notwendig waren. Eine einzige abweichende Größe hätte das ganze kosmische System zu Fall bringen und die Entstehung organischen Lebens verhindern können. Schon im Moment des Urknalls, als die physikalischen Eigenschaften der Materie präzise aufeinander abgestimmt wurden, hätten die Menschen auf „Gottes Plan“ gestanden. (Langenbach 2014, 150-152) Bernd Vowinkel fragt sich angesichts der Feinabstimmungen, ob es nicht doch jemanden gebe, der sie gemacht und „auf die Entstehung des Menschen zielgerichtet aufeinander abgestimmt“ hat. (Vowinkel 2018) Für Markus Widenmeyer zeigen die Feinabstimmungen, dass „das Universum in verblüffender Weise biozentrisch eingerichtet“ ist. Intelligentes Leben sei „hochgradig erwünscht“. Hinter dem Universum stehe ein Master-Plan. Die lebensdienlichen Merkmale des Universums gebe es nur, „weil sich jemand etwas dabei gedacht hat“. (Widenmeyer 2019, 10) Auch Olaf Fritsche, der die Entwicklung hin zum Menschen vor allem damit erklärt, dass wir Menschen einfach Glück hatten, erklärt, allem Anschein nach meine es „jemand sehr gut
mit uns“ und habe die Naturkonstanten „ganz nach unseren Bedürfnissen“ eingestellt. „Als ob wir am Ende doch etwas Besonderes sind. Vielleicht sogar der Grund, warum es das Universum überhaupt gibt?“ Die Feinabstimmung der Naturkonstanten rücke den Menschen jedenfalls wieder in den Mittelpunkt des Universums, von wo ihn Giordano Bruno, Nikolaus Kopernikus und Galileo Galilei vertrieben hätten. (Fritsche 2015, 31f.) Frank Wilcek nennt die Naturgesetze so symmetrisch, dass dies „fast an ein Wunder“ grenze. (Wilczek 2019, 62-66) Was sagen uns diese Stellungnahmen? Da die Feinabstimmungen im gesamten Universum ihre Wirkung auch in Form des Anthropischen Prinzips entfalten, sind wir Menschen wohl eine unter anderen möglichen Formen selbstbewussten Lebens und von Beobachtern der Welt. Die Potenzialität hat uns durch unendlich viele Zufälle und auf teils chaotischen Wegen Realität werden lassen. Meist werden die Auswirkungen der Feinabstimmungen nur auf den Menschen bezogen. Sie betreffen aber nicht nur uns. Das Anthropische Prinzip gilt überall im Universum. Wann und wo immer es die Gegebenheiten zuließen, könnte selbstbewusstes Leben entstanden sein. Von allen anderen Intelligenzen sind wir aber zugleich durch Zufälle getrennt, die unsere spezifische Lebensform bestimmten. Auch wenn wir als Teil unserer Realität eines Tages verschwinden, bleiben wir als intelligente Leben trotzdem potenziell erhalten. Das ist keine ganz so schlechte Aussicht, denn in der Möglichkeit trifft man bekanntermaßen interessantere Leute als in unserer Realität. In welchem Verhältnis steht aber die allgemein wirksame Feinabstimmung zu den zahllosen Zufällen, ohne die kein Anthropisches Prinzip intelligente Wesen hätte formen können? Verweisen die fixen Feinabstimmungen auf ein deterministisches oder ein offenes Universum mit kreativen Menschen hin? Raimund Popper konstatiert, dass in einem materiellen Universum mit den Menschen „etwas Neues auftauchen“ konnte. Es habe sich gezeigt, dass tote Materie mehr hervorbringen könne als wieder nur tote Materie. Sie erzeugte „das menschliche Bewusstsein des eigenen Selbst und das menschliche Wissen um das Universum“. Das Modell eines deterministischen Universums scheitere an der Tatsache, dass der menschliche Geist Märchen und Geschichten und erklärende Mythen, Werkzeuge und Kunstwerke und Werke der Wissenschaft hervorbringen konnte. Mit dem Leben, „auch schon in seinen niederen Formen, tauchen Probleme und Problemlösungen im Universum auf, und mit den höheren Formen auch Zwecke und Ziele, die bewusst verfolgt werden. Wir können uns
nur wundern, dass Materie so über sich selbst hinausgehen kann, dass sie Bewusstsein hervorbringt und Zwecke und Ziele, und schließlich die Welt der Erzeugnisse des denkenden menschlichen Geistes.“ (Popper 1985, 30f.) Folgt man der Auffassung, dann sind die Feinabstimmungen und das daraus geschlussfolgerte Anthropische Prinzip nicht deterministisch zu verstehen, vielmehr ermöglichen sie die Vielfältigkeit real werdender Möglichkeiten erst. Lothar Schäfer spricht von einer „kreativen Verspieltheit“ als Folge der Unbestimmtheit der Quantenprozesse. (Schäfer 2009, 295-312) Die Feinabstimmungen schufen unveränderbare Voraussetzungen für komplexes Leben und Intelligenz, aber nicht im Sinne eines deterministischen Prinzips, sondern im Sinne eines offenen Universums mit kreativen Menschen. Das ist deswegen möglich, weil die Feinabstimmungen zwar durch Naturgesetze und Naturkonstanten fixiert sind, aber hinsichtlich ihrer Größen mit Blick auf uns Menschen selbst zufällig erscheinen. So gesehen ist eine Gegenüberstellung von Gesetzen, Konstanten und Zufällen nur relativ. In allem drückt sich eine gemeinsame anthropische Tendenz aus.
Die Unwahrscheinlichkeit der Entstehung von Leben
Verbunden mit der Frage nach den Auswirkungen der Feinabstimmungen ist die nach der Wahrscheinlichkeit selbstbewussten Lebens und nach dem Zufall der realen Existenz von uns Menschen. Da es uns gibt, ist intelligentes Leben im Universum prinzipiell möglich, sonst gäbe es uns nicht. Offen bleibt aber, wie häufig es im Universum vorkommt. Diese Frage treibt uns deswegen um, weil wir wissen wollen, ob wir die Einzigen im All sind oder ob es in unserer Welt auch noch andere mit uns vergleichbare Wesen gibt. Da wir Menschen im Laufe einer lang andauernden biologischen Evolution entstanden sind, stellt sich zunächst generell die Frage nach der Häufigkeit der Entstehung von Leben. Was meinen Experten dazu? Francis Crick, der 1953 mit James D. Watson die Doppelhelix-Struktur der DNS entdeckte, spricht von „extrem niedrigen Wahrscheinlichkeiten“ einer spontanen Entstehung von Leben. Diese liege bei 10-1 000 Möglichkeiten. (Zit. b. Lesch/Zaun 2008, 204-206) Ernst Pascual Jordan meint, organisches Leben sei möglicherweise ein „nur auf der Erde verwirklichter Sonderfall“. Wie unwahrscheinlich und extrem selten er sei, zeige sich dadurch, dass Leben nur ein einziges Mal entstanden ist. (Zit. b. Ditfurth 1972, 184) Leben, so auch Hoimar von Ditfurth, sei „extrem unwahrscheinlich“, ein „extremer Ausnahmefall“, den es nur auf der Erde gab. Es sei ein für den Kosmos „in jeder Hinsicht absolut atypisches Phänomen“. Vielleicht gebe es „metaphysische Faktoren, welche die Entstehung von Leben aus dem Bereich bloßer Zufälligkeit herausgehoben haben“. (Ditfurth 1972, 179f.) „Ist es nicht ein großer, schöpferischer Schwung“, so fragt Paul Lüth, „der durch alles hindurchgeht, ist nicht alles gleicherweise ‚beseelt‘, also lebendig?“ Eine zufällige Entstehung von Leben in der präbiotischen Phase sei unwahrscheinlich, vielmehr waren einige „eigentümliche Vorgänge“ eindeutig zielgerichtet. Was geschah, sei das Gegenteil von Zufall gewesen. Der Aufbau der Eiweißmoleküle gehorche einzig und allein der Forderung einer Zweck-mäßigkeit, wie man es bei einer von Menschen erdachten und konstruierten Maschine erwarte. Eiweiße glichen Maschinen, seien aber selbst nicht deren Ingenieure. Bei ihnen hätten sich „ganz konsequent bestimmte, auf ein Ziel hin angelegte Funktionen durchgesetzt“. Leben könne eigentlich nur entstehen, wo es bereits Leben gibt.
Dessen unerlässliche Vorbedingungen, nämlich links-drehende Aminosäuren, entstünden nur, wenn bereits „optisch aktive Aminosäuren in reiner Form“ vorhanden seien. Warum sich Leben ausschließlich auf linksdrehende Aminosäuren stützt, sei unbekannt, die Wahrscheinlich-keit der Entstehung von Leben extrem gering. Ein einziges Molekül mit der Sequenz, die es zu einer katalytischen Leistung befähigt, wäre erst nach einer 10¹³ „Probewürfen“ zu erwarten. Das Universum enthalte aber nur 10⁸ Atome. (Lüth 1981, 53, 56, 59f.) Für John C. Eccles ist die Erde „höchstwahrscheinlich der einzige Planet“ mit Bewohnern, die „am kosmischen Drama teilhaben“. Nur hier gebe es intelligente Wesen wie uns. Selbst wenn es in unserer Galaxie Milliarden Planeten geben sollte, so wäre Leben sogar „auf dem primitivsten Niveau“, eine seltene Erscheinung. Er weist die Meinung mancher Astronomen zurück, wonach die Evolution „automatisch zu intelligenten Wesen wie uns Menschen führte“, oder noch interessanter, zu „Übermenschen“ führen könnte. Wer so etwas behaupte, wisse nichts von den „außerordentlichen Zufällen und Risiken der Evolution“. Sollte es auf fernen Planeten bewusstes Leben geben, so müsste dieses anders sein als wir, weil wir das durch Notwendigkeit und Zufall geprägte Antlitz unseres Planeten tragen. (Eccles 1982, 32, 56, 73) Laut Francis Crick „kann man, wenn man ehrlich ist, nur feststellen, dass die Entstehung des Lebens gegenwärtig fast wie ein Wunder erscheint, angesichts der zahlreichen Bedingungen, die erfüllt sein müssen, damit es in Gang kam.“ (Crick 1983, 99) Gerhard Vollmert spricht gar davon, dass die Entstehung des Lebens ohne Eingriff eines „planenden Willens“ unmöglich scheine. (Zit. b. Hübner 1989, 200f.) Anders als einige Physiker und Astronomen schätzen die meisten Biologen die Wahrscheinlichkeit der Entstehung von Leben als gleich Null ein. (Barrow/Silk 1986, 265) Sie stehen in der Tradition von Jacques Monod, der meinte, das Universum habe weder das Leben, noch die Biosphäre den Menschen in sich getragen. Richard Dawkins nennt „die Essenz des Lebens“ eine „statistische Unwahrscheinlichkeit in kolossalem Maßstab“. (Zit. b. Hands 2018, 272) Für Christian de Duve ist Leben entweder eine unter bestimmten Bedingungen fast alltägliche Ausprägungsform der Materie oder aber ein Wunder. Sollte es ein „höchst unwahrscheinliches Zufallsprodukt“ sein, dann, habe es in einer kosmologischen Sichtweise keinen Platz. Dann könnten Milliarden Planeten die gleiche Geschichte durchmachen, ja es könnten sogar „Milliarden Urknalle, Milliarden Universen geben und trotzdem würde es dann nirgendwo Leben geben“. Seine Entstehung wäre dann nichts anderes als eine Laune der Natur. (de
Duve 1995, 71, 444) Fred Hoyle vergleicht die Entstehung des Lebens durch eine zufallsbedingte Molekülmischung mit einem Wirbelwind, der durch eine Flugzeughalle fegt und aus herumliegenden Teilen zufällig einen Jumbo-Jet zusammensetzt. (Zit. b. de Duve 1995, 73) Optimistisch geschätzt, so Paul Davies, sei die Chance pro Sekunde und Galaxie, dass sich spontan ein DNS-Molekül bildet, eins zu 10³ . Nimmt man die zehn Milliarden Jahre, seit denen das Universum etwa existiert, als Versuchszeitraum an, dann müsste man 10³ ⁴³ Galaxien absuchen, um ein einziges, nicht von der Erde stammendes DNS-Molekül zu finden. Mit derselben Wahrscheinlichkeit müsse jemand 7 000mal im Leben sechs Richtige im Lotto haben oder eine Münze 130 000mal hintereinander auf dieselbe Seite fallen. Ein „so irrsinnig unwahrscheinliches Ereignis“ könne nur als Wunder bezeichnet werden. Wenn es sich um ein einmaliges, aber natürliches Ereignis handele, dann sei „der Unterschied zwischen wunderbar und natürlich eigentlich aufgehoben“. Das „spontane Auftauchen solch vollendeter, organisierter Komplexität“ wie bei der Entstehung des Lebens, sei eigentlich unmöglich. Dabei reiche ein hoher Grad an Komplexität allein noch gar nicht aus. Diese müsse zugleich bestimmte spezifische chemische Strukturen und Reaktionen berücksichtigen. Ein zufällig zusammengewürfeltes Netzwerk von Reaktionen bringe noch kein Leben hervor. Das Komplexitätsproblem verschärfe sich noch durch das Wechselspiel zwischen Nukleinsäuren und Proteinen. Letztere beschleunigen bestimmte biochemische Schlüsselprozesse erheblich. Ohne diese Katalyse käme das Leben zum Stillstand. Die Proteine erfüllen ihre Aufgaben jedoch unter Anleitung der Nukleinsäure, welche die genetische Information enthält. Allerdings bestehen auch Proteine aus Nukleinsäure, was vermuten lässt, dass die Nukleinsäure als erstes da war. Es sei kaum erklärbar, wie die Moleküle RNS oder DNS, die zigtausend „sorgfältig angeordnete Atome“ enthalten, spontan entstanden, wenn sie „in Abwesenheit von Proteinen praktisch gelähmt“ waren und sich nicht vermehren konnten. Ebenso unwahrscheinlich sei es, dass Nukleinsäure und Proteine plötzlich zufällig zur gleichen Zeit da waren und gleich eine funktionierende symbiotische Beziehung eingingen. Das alles sei ein „tiefes Mysterium“. (Davies 1996, 35, 41f., 46) Die mathematischen Prinzipien der Physik hätten, so Davies wenig später, „in ihrer eleganten Einfachheit das Leben und seine enorme Komplexität irgendwie
vorausgeahnt“. Der Ursprung des Lebens könnte aber auch „ein Glücksfall gewesen sein, ein haarsträubend unwahrscheinlicher chemischer Zufall, so unwahrscheinlich, dass er sich im ganzen Universum kein zweites Mal ereignen“ haben könne. Viele Forscher seien überzeugt, dass die „schiere Verschlungenheit des Lebens“ ein ganz unwahrscheinliches Zusammentreffen von Ereignissen voraussetze. (Davies 2000, 100f., 262-264) Biologen wird von Vertretern anderer Disziplinen vorgeworfen, sie hätten ihre Hausaufgaben nicht gemacht, weil sie, so Ken Croswell, bis heute nicht wissen, wie Leben auf der Erde entstanden. (Croswell 1997, 282f.) John Horgan schlug Gegnern der Evolutionstheorie mit sarkastischem Unterton vor, ihre Kritik auf die Entstehung des Lebens zu konzentrieren, denn das sei „bei weitem die schwächste Stelle im Gebäude der modernen Biologie“. (Horgan 1997, 138) Donald E. Brownlee, Guillermo Gonzalez und Peter Ward halten es für kaum möglich, dass es neben der Erde weitere Planeten mit höheren Lebensformen gibt. (Brownlee/Gonzalez/Ward 2001, 38ff.) Das Wissen über die Entstehung des Lebens liegt auch für Charles Harald Townes „vollkommen im Dunkeln“. Man kenne weder entscheidenden Schritte, noch gebe es eine „vernünftige Berechnung der Wahrscheinlichkeiten“. (Townes 2004, 34) Stephen Hawking hält die Möglichkeit, dass sich Leben spontan entwickelt habe, für so gering, dass dies im beobachtbaren Universum nur auf der Erde geschehen sein dürfte. Andererseits lege der frühe Zeitpunkt der Entstehung den Schluss nahe, dass es auch andernorts „unter geeigneten Bedingungen gute Chancen für die spontane Entstehung von Leben“ gegeben haben könnte. (Hawkings 2005, 18-26) Michio Kaku verweist darauf, dass sich die DNS nur entwickeln konnte, weil die Protonen mindestens über 100 Millionen Jahre stabil waren. (Kaku 2005, 329) Friedemann Schrenk gibt zu bedenken, dass Lebewesen aus organischer Substanz nur durch Leben hervorgebracht werden können. (Schrenk/Müller 2006, 154-156) Karl-Heinz Ludwig erscheint die Menschwerdung wie ein Wunder als Mischung aus Zufall und Notwendigkeit. (Ludwig 2006, 88) Sollte „die Ganzheit als Voraussetzung für Leben“ unentbehrlich sein, so hätte nach Meinung von Reinhard Junker und Siegfried Scherer die Suche nach einer Stufenfolge von unbelebter Materie über verschiedene Komplexitätsgrade hin zu Lebewesen prinzipiell keine Aussicht auf Erfolg. Auf diese Weise sei das Wesentliche des Phänomens Leben nicht zu erfassen. (Junker/Scherer 2006, 99) Isaac Asimov versucht, sich dem Problem mathematisch zu nähern. Er hat
errechnet, wie viele Möglichkeiten es gibt, die Bausteine des Blutfarbstoffs Hämoglobin so anzuordnen, dass kein Hämoglobin entsteht. Damit will er zeigen, wie unwahrscheinlich der Fall war, das es entstand. Das Ergebnis wird „Hämoglobinzahl“ genannt und hat 190 Nullen. Hämoglobin ist eine komplexe eisenhaltige Proteinverbindung. Die Zahl der Atome im Universum hat dagegen nur 80 Nullen. Die Wahrscheinlichkeit eines zufälligen Entstehens sei somit gleich Null. (Zit. b. Ganten/Deichmann/Spahl 2003, 53) Für Hans-Jürgen Fischbeck ist das Leben „die erstaunlichste, ja wunderbarste Erscheinung unserer Welt“, So marginal es „in seiner Winzigkeit angesichts der ungeheuren Dimensionen des Weltalls“ auch erscheinen mag, „so wesentlich könnte es doch sein, wenn man bedenkt, dass die ganze Architektur des Kosmos darauf abgestimmt zu sein scheint, dass Leben überhaupt möglich ist“. Schon einzelne Zellen, würden sich „weder wie deterministische Maschinen noch chaotisch“ verhalten, sondern sinnvoll. Er verweist auf Wolfgang Pauli, der vermutet, dass nichtkausale, nicht reproduzierbare Zusammenhänge „Sinn im Zufall“ stiften können. (Fischbeck 2005, 26, 36) Nach Meinung von Richard Dawkins ist die zufällige Entstehung der ersten DNS „sehr, sehr unwahrscheinlich“. Man müsse „den Gedanken zulassen, dass es ein sehr unwahrscheinliches Ereignis war“. Es sei „sogar um mehrere Größenordnungen unwahrscheinlicher, als den meisten Menschen klar“ ist. (Dawkins 2007b, 188f., 192) Simon Conway Morris nennt Leben ein Wunder, über das man nur staunen könne. Wir sollten „innehalten und darüber nachdenken, welch überaus merkwürdigen Konstellationen wir unsere Existenz verdanken“, von einem „gespenstisch effektiven genetischen Code“ über das „zutiefst eigenartige Molekül“ DNS, bis hin zu biologischen Organisationsprinzipien, die komplexe Strukturen wie unser Gehirn hervorgebracht haben. Die Entstehung von Leben sei zwar „recht einfach abgelaufen“, aber die Einzelheiten seien „merkwürdig schwer zu fassen“. (Morris 2008, 17, 21f., 262) Ulrich Walter dämpft die Erwartungen auf eine Klärung der Zusammenhänge und Gründe der Lebensentstehung. Er verweist auf das Protein Cytochrom c, das in den Mitochondrien eine Rolle bei der oxidativen Energiegewinnung spielt und aus 104 Aminosäuren besteht. Die Wahrscheinlichkeit, dass sich 20 verschiedene Aminosäuren durch bloßen Zufall zu einer Kette aus 104 Gliedern in exakt der Reihenfolge zusammenfügen wie beim Cytochrom c, betrage eins zu 20104. Es sei also „eigentlich unmöglich“. Wäre in jeder Sekunde seit dem Urknall ein noch nichtexistierendes Enzym entstanden, betrüge die Zahl aller bereits verwirklichten Kombinationen heute
1016. Selbst wenn alle im Universum vorhandenen Atome Enzymketten ohne eine einzige Wiederholung wären, gäbe es im Weltall nur 10⁸ verschiedene Kettenmoleküle. Die Wahrscheinlichkeit, dass sich unter ihnen auch nur ein einziges Molekül Cytochrom c befände, würde immer noch nur eins zu 10²⁴ betragen. (eins zu 1.000 Quintillionen). Dies gelte grundsätzlich auch für die Entstehung aller anderen Enzyme und für die unentbehrlichen Nukleinsäuren. Das Bakterium Escherichia coli (E. coli) enthält mit seinen etwa 2 500 Genen eine Informationsmenge von sechs Millionen Bits. Um eine solche Informationsmenge durch Zufall aus Aminosäurenbasen der irdischen Ursuppe zusammenzubauen, wären etwa 10¹⁸ Jahre notwendig. Wäre der Prozess auf jeweils einem Planeten aller im sichtbaren Teil unseres Universums enthaltenen 10²² Sterne gleichzeitig abgelaufen, dann würde es immer noch 101 799 978 Jahre dauern, bis auf irgendeinem dieser Planeten durch Zufall ein Bakterium E. coli entstanden wäre. Auch primitivere, nichtautonome Lebensformen, wie etwa Viren mit nur 50 Genen, bräuchten immer noch etwa 10³ Jahre. Es sei „ausgeschlossen, dass durch einen solchen Prozess die DNS eines ersten primitiven, sich selbst reproduzierenden Lebewesens direkt entstand“. Falls es doch so war, könnte man „angesichts dieser überwältigenden Unwahrscheinlichkeit mit Gewissheit sagen, dass die Erde der einzige Planet im Universum ist, auf dem dieser Prozess je stattgefunden hat“. (Walter 2008, 230f.) Auch Rolf Froböse betont, dass, falls die Entstehung von Leben reiner Zufall gewesen sei, dies hieße, die Erde sei im Universum mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlich der einzige bewohnte Planet. Das Leben mit seinen komplexen Biomolekülen sei mit einer Wahrscheinlichkeit von eins zu 10⁴ , das ist eine eins mit 40 000 Nullen, entstanden. Würde man die Erdoberfläche einen Meter tief mit Ein-Euro-Münzen bedecken und eines davon wäre rot markiert, so müsste man genau dieses eine Geldstück beim ersten Versuch finden. (Froböse 2008, 114) Hinrich Rahmann stellt ähnliche Überlegungen an. Gehe man von einer Tonne Aminosäuren aus und gebe den Molekülen eine Milliarde Jahre Zeit, um miteinander zu reagieren, und untersuche dann die Wahrscheinlichkeit, bis sich 1 000 bestimmte Aminosäuren zu einem genau definierten Protein vereinigt hätten, erhalte man den Wert 10-360. Die Wahrscheinlichkeit, mit einem einzigen Griff aus allen Sandbergen der Wüste Sahara ein spezielles Sandkorn herauszupicken, liege hingegen bei 10-24. (Zit. b. Lesch/Zaun 2008, 204-206) Weil alle empirischen Phänomene der Realität aus dem Bereich der Potenzialität hervorgehen, müsse nach Meinung von Lothar Schäfer auch das Leben daraus
hervorgegangen sein. (Schäfer 2009, 295) Alexander Demandt gibt zu bedenken, dass die Zahl genetisch möglicher Lebewesen mehrere Millionen Stellen hat: „Keine Linde gleicht der anderen, kein Blatt dem anderen - wie viele Varianten sind da wohl denkbar?“ Die Natur realisiere ohnehin bloß einen mikroskopisch kleinen Bruchteil des potenziell Möglichen. Bei der Umgruppierung der Moleküle bei der Reifeteilung einer einzelnen menschlichen Keimzelle gebe es 10 000 000 Möglichkeiten. Die Alternativen in der Anordnung der Basentripletts im DNS-Molekül bilde eine Zahl mit dreihunderttausend Nullen. (Demandt 2011, 58) Vielleicht lässt sich die Vielfalt möglicher Lebensformen mit unseren Gesichtern vergleichen. Jeder heute lebende Mensch hat ein eigenes Gesicht, das sich im Lauf der Zeit und jeden Tag ändert. Auch verfügt jeder Mensch über ein Repertoire an Mimik. Wenn wir traurig sind, sehen wie anders als wenn wir lachen. Es ist erstaunlich, wie viele Unterschiede es auf einem Gesicht gibt, obwohl die Grundform vorgegeben ist. Hinzu kommen die Antlitze aller Verstorbenen und kommenden Generationen. Sie alle haben die Welt mit anderen Augen gesehen. Rodney Allen Brooks meint, die Möglichkeit, dass wir allein im Universum sind, könnte „uns wohl zur Verzweiflung und wieder in die Arme der Religion als Trösterin treiben“. (Brooks, 2009, 59f.) Die Zahlenrelationen, so Armin Kreiner, ließen die Existenz des Menschen als „überwältigend unwahrscheinlich, vielleicht sogar als einmaligen Glücksfall“ erscheinen. (Kreiner 2011, 121f.) „Wir werden“, so Nick Lane, „niemals in Erfahrung bringen, wie das Leben auf der Erde wirklich begann“. (Lane 2015, 18f.) Wenn die Wissenschaft keine Antwort darauf finde, sei dies, so Olaf Fritsche, als ob Sebastian Vettel keine Ahnung hätte, was ein Auto ausmacht, oder der Papst nicht wüsste, wie er Gott definieren soll. (Fritsche 2015, 128-129) Es sei unwahrscheinlich, so Martin Rhonheimer, dass man eine naturwissenschaftliche Erklärung für die Entstehung des Lebens finde. Je mehr man entschlüssele, desto rätselhafter werde alles. (Rhonheimer 2016, 44, 250f.) Lorenz Marti fragt, woher der „zündende Funke“ kam, der die Transformation vom Leblosen zum Lebendigen ermöglichte. Der erste Moment in der Geschichte des Lebens scheine für immer ein Geheimnis zu bleiben. (Marti 2017, 167) Für Markus Widemeyer ist die feinabgestimmte naturgesetzliche Ordnung eine notwendige, aber keine hinreichende Bedingung für die Existenz biologischer Makromoleküle. Diese könnten nicht durch rein natürliche Prozesse erstmalig entstanden sein. Ihre „hochgradig intelligenten Programme“ stellten
alle technischen Errungenschaften der Menschen in den Schatten. (Widenmeyer 2019, 96, 98f.) Die bisherigen Erkenntnisse sind auch für Dirk Schulze-Makuch und William Bains ernüchternd: „Wir wissen nicht, wie die ersten Organismen entstanden sind, und auch nicht, in welcher Umgebung. Wir wissen weder, um welche Art von Organismus es sich handelte, noch, wann genau er entstand.“ Noch schwieriger werde das Problem, wenn man davon ausgehe, dass das Leben nur einmal entstanden ist. (Schulze-Makuch/Bains 2019, 59f.)
Vom DNS-Molekül zur ersten Zelle
Wie wundersam die Entstehung von Leben auch sei, noch unerklärlicher finden es viele Experten, wie sich eine erste Zelle aus DNS-Molekülen bildete. Laut Heinrich K. Erben mussten sich dafür zahlreiche verschiedene Makromoleküle zusammenschließen. Dabei sei es weniger darauf angekommen, dass und wie sich Nukleinsäuren und Proteine zusammenschlossen, sondern dass „irgendwann die richtige Auswahl von Proteinen“ beisammen war, die „für einen kurzen Augenblick eine eindeutige Übersetzung der genetischen Information“ ermöglichte. Unklar seien jedoch die Ursache der zufälligen Kombination als auch deren statistische Wahrscheinlichkeit. (Erben 1975, 81-84) Da das erste Leben bereits außerordentlich kompliziert aufgebaut war, musste es, so Paul Lüth, sowohl aus Eiweißen als auch aus Genen bestanden haben, die die Eiweiße synthetisieren. Nukleinsäuren mussten den „richtigen“ linearen Mustern gefolgt sein, welche die Information für den Aufbau der Aminosäuren ausgaben. (Lüth 1981, 56) Von Leben, so Werner Arber, konnte erst die Rede sein, als diese zwar noch primitive, in ihrer Zusammensetzung jedoch bereits sehr komplexe Zelle einmal entstanden war. Deren Entstehung durch Zufall sei praktisch auszuschließen. Schon einfachste Zellen benötigten mehrere hundert verschiedene spezifische Makromoleküle. Wie solche Strukturen zusammenkamen, sei völlig unklar. Scheinbar gebe es Aspekte, deren komplexe Natur ein Verständnis ausschließen. Dahinter stecke mehr, „als man bis zum heutigen Tag glaubt, verstanden zu haben“. Für ihn sei die Existenz Gottes in diesem Zusammenhang „eine befriedigende Lösung“. (Arber 1987, 51) Das klingt nicht nach einem überzeugten Gläubigen, eher nach jemanden, der aus Mangel an dagegensprechenden Fakten glaubt. Paul Davies verweist darauf, dass jede Zelle mit mikroskopischen Strukturen vollgepackt sei, die aussehen wie das Werk von Ingenieuren: „Es wimmelt von winzigen Pinzetten, Scheren, Pumpen, Motoren, Hebeln, Ventilen, Röhren, Ketten und sogar Fahrzeugen“. Die vielfältigen Komponenten ten so gut zusammen, dass sie „ein reibungslos funktionierendes Ganzes“ bilden und an eine „durchdachte Produktionsstraße“ erinnern. Im Zusammenspiel der NanoWerkzeuge entstünden „phantastische Wunder der Ingenieurskunst und der
Kontrolle“, die „eine Feinabstimmung und Komplexität“ zeigten, „der keine von Menschen konstruierte Maschine das Wasser reichen“ könne. Auf der Ebene der Einzelatome sei das Leben anarchisch, „ein sinnloser, chaotischer Taumel“, doch als Gesamtheit führten dieselben „gedankenlosen Atome den Tanz des Lebens mit vorzüglicher Präzision auf“. Davies zitiert Gary Steinman, der meint, die atomaren Kräfte, welche die Peptidverbindungen zusammenhalten, könnten verschiedene Reihenfolgen unterscheiden. Sie bevorzugten Kombinationen von Aminosäure, die von biologischem Nutzen sind. Steinman spricht „von bevorzugten Wechselwirkungen auf höheren Stufen von Organisation“ und behauptet, „auf verschiedenen Ebenen biologischer Ordnung“ sei eine „eingebaute Prädestinierung“ zu erkennen. Demnach würde Materie durch chemische Vorlieben zwischen Atomen und Molekülen stets der Tendenz zum Leben folgen. Sidney W. Fox, einer der Pioniere der Biogenese-Forschung, meint, Aminosäuren würden die Ordnung, in der sie kondensieren, selbst bestimmen. Diese „Selbstinstruktion“ versorge Großmoleküle mit der entscheidenden Information, die den Weg zum Leben bahnt. Auch Cyril Andrew Ponnamperuma, ebenfalls ein Pionier der Biogenese-Forschung, meint, Atome und Moleküle besäßen „innere Eigenschaften, welche die Synthese in Richtung Leben zu lenken scheinen“. Wenn atomare Prozesse, so Davies, ein eingebautes Ungleichgewicht zugunsten biologischer Organismen enthielten, dann müssten die Gesetze der Atomphysik bereits den Bauplan des Lebens enthalten haben. Es gäbe dann „eine Verbindung zwischen den elementaren Kräften, die auf Atome wirken, und dem makroskopischen Endprodukt, dem funktionierenden Organismus“. (Davies 2000, 103f., 271-273) Ernest Kahane hält es für „absurd und absolut unsinnig zu glauben, dass eine lebendige Zelle von selbst entsteht“. Aber dennoch glaube er es, „denn ich kann es mir nicht anders vorstellen“. (Zit. b. Gitt u. a. 2010, 102) Auch für Horst Güntheroth ist die Entstehung der ersten Zelle „ein großes Rätsel“. (Güntheroth 2001, 21f.) Richard Fortey nimmt, an, dass es Stadien gab, die „lebendig“, aber noch nicht zellulär organisiert waren. (Fortey 2002, 56) Für Bruce H. Lipton verhält sich jede einzelne Zelle wie „ein intelligentes Wesen“ (Lipton 2005, 57) Anders als leblose Materie, die keinen Zweck verfolge, organisiere sich, so Wolfgang Hebel, lebende Materie zu funktionellen Strukturen, zu selbstständigen Zellen und vielzelligen Organismen. Diese Selbstorganisation habe das Ziel, den eigenen Organismus am Leben zu erhalten und zu gegebener Zeit durch einen gleichen, aber jüngeren zu ersetzen. Alle molekularen Prozesse,
die in einem lebenden Organismus ablaufen, dienten diesem Zweck. Sie verfolgten gemeinsam ein Ziel. Die Kenntnis vom Leben stecke in der DNSKonstruktion. Dahinter stehe „eine einmalige strukturelle Konzeption, die im gesamten Universum verbreitet sein könnte“. Es sei anzunehmen, „dass sich das DNS-System nicht von selbst auf der Erde entwickelt hat, sondern dass robuste Mikroorganismen aus dem All dieses universale Konzept schon gleich am Anfang bei uns abgesetzt haben“. Es sei zu bezweifeln, „dass die zahllosen Arten von Organismen auf der Erde wirklich nur auf eine einzige Urzelle zurückzuführen“ seien. (Hebel 2006, 3, 18, 44) Auch Lothar Schäfer sieht „Intelligenz“ als spezifische Eigenschaft lebender Zellen an. Schon Einzeller hätten „die Fähigkeit einer planenden Kontrolle oder Intelligenz“, die an die „Intentionalität eines sich selbst bewussten Geistes“ erinnerten. Es sei die Gemeinschaft als Ganzes, das Ökosystem, das sich entwickelte. (Schäfer 2009, 304, 310) John Hands meint, jede Hypothese zur Entstehung des Lebens müsse erst einmal erklären, wie eine Zelle dieser Größe mit solch komplexen Bestandteilen, Funktionsweisen und wechselnden Strukturen aus den Interaktionen von Atomen und einfachen Molekülen aus bis zu 13 Atomen hervorgehen konnte. (Hands 2018, 315) Bis heute wird darüber gerätselt, ob am Anfang der Entwicklung die Zelle, ein Stoffwechsel oder die Fähigkeit zur Reproduktion stand. Eigentlich müssten alle drei Ereignisse gleichzeitig eingetreten sein, denn „ein Ereignis allein hätte niemals zu etwas geführt, das an einen Organismus erinnert“. (Schulze-Makuch/Bains 2019, 49)
Was ist Leben eigentlich?
Ohne zu wissen, wie Leben entstanden ist, lässt sich schwer erklären, was was es überhaupt sei. In der Biologie gibt es bis heute keine tragfähige Definition. (Schreiber 2019, 4) Zwei Merkmale sind nach Meinung von Steven M. Stanley die Vermehrung und die Fähigkeit, geordnete, intern ablaufende chemische Reaktionen aufrechtzuerhalten. (Stanley 2001, 297) Für Hans-Jürgen Fischbeck ist Leben „nicht geistlos, es ist inspiriert“. Man werde dem „Leben nicht gerecht, wenn man es verdinglicht und meint, man könne es vollständig objektivieren und ohne Rest naturgesetzlich erklären“. So erfasse man „nur die Faktenwirklichkeit“ des Lebens. Diese bestehe aber „nicht nur aus Sachverhalten“, sondern sei „wesentlich Beziehungswirklichkeit“. Leben sei nicht nur Stoffwechsel, sondern „zuerst und vor allem“ Austausch sinnvoller Informationen. Auf der Bedeutungsebene dieses Informationsaustauschs ergebe sich „die Sinn-Ganzheit eines Lebewesens“, dessen Merkmale Stoffwechsel, Fortpflanzung, Vererbung und „Sinnbestimmtheit“ sind. (Fischbeck 2005, 26f.) Hans-Joachim Fritz nennt als Attribute des Lebens den Stoffwechsel fern des chemischen Gleichgewichts, die Zerstreuung nutzbarer Energie, die Lenkung der Stoff- und Energieströme durch selektiv offene Zellen, die anhaltende Genese und Akkumulation von Information, die Schaffung von Ordnung und Geschwindigkeit im metabolischen Reaktionsnetzwerk durch katalytisch aktive Makromoleküle, die informationsgesteuerte Synthese der Enzyme, die Möglichkeit des Abrufs dieser Information aus dem Langzeitspeicher DNS und die Weitergabe der Information von einer Zellgeneration zur nächsten, basierend auf identischer Verdopplung der DNS. (Fritz 2009, 97) Die Grundeigenschaften des Lebens, nämlich die Fähigkeit zur Reproduktion, genetischen Variation und Anung durch Selektion, ziehen sich dabei von den frühesten und einfachsten Lebensformen bis hin zum höchstentwickelten Organismus durch die Evolution. Aus der Besonderheit dieses Prozesses ergibt sich demnach „die Historizität lebendigen Daseins, seine jeweils historische Einzigartigkeit und Irreversibilität“. (Eidemüller 2017, Pos. 9207, 16154) David Christian spricht von einem „verschwommenen Grenzbereich zwischen Leben und Nichtleben“. Energie (Stoffwechsel), Information (genetischer Code) und eine halbdurchlässige Grenzschicht (Membran) sind demnach die drei
entscheidenden Bestandteile jeder Art von Leben. (Christian 2018, 88, 93f.) Diese Meinung teilen auch Dirk Schulze-Makuch und William Bains. Hätte nur ein Bestandteil gefehlt, wären die Bausteine wieder auseinandergefallen. Es sei „völlig unerklärlich“, wie sie zusammenfanden. (Schulze-Makuch/Bains 2019, 49)
Entstand Leben auf der Erde mehrmals oder nur einmal?
Von konstruktiver Uneinigkeit sind sich die Experten auch hinsichtlich der Frage, ob Leben auf der Erde nur einmal oder mehrfach entstanden ist. Werfen wir auch hier einen Blick auf Expertenmeinungen. Laut Raimund Popper spricht vieles für die Auffassung, es habe sich bei der Entstehung des Lebens um ein einmaliges Ereignis gehandelt. (Popper 1985, 52) David M. Raup kann sich vorstellen, dass Leben mehrmals entstanden ist, jedoch alle Formen bis auf eine frühzeitig ausstarben. Sollte nur ein Versuch erfolgreich gewesen sein, führe dies zur Frage danach, ob es „Zufall oder Vorsehung“ war. Gewann „die beste Lebensform den Kampf ums Dasein“ oder „hatte die überlebende Abstammungslinie einfach nur Glück“? Falls nur eine Lebensform von mehreren überlebt haben sollte, wäre sie der Urahn allen heutigen Lebens. Sollte es so sein, würde es sich um „das erste wichtige Aussterbeereignis“ handeln. (Raup 1992, 36f.) Wolfgang Hemminger spricht von einem singulären Ereignis, einem „biologischen Urknall“, mit dem die Evolution begann. (Hemminger 1993, 175) J. D. Macdougall hält es für möglich, dass lebende Organismen mehrmals aus einfachen organischen Molekülen entstanden. (Macdougall 1997, 46) Für Paul Davies ist es „ein eigenartiger Gedanke“, dass der Mensch kein Nachkomme des ersten Lebens ist, sondern nur der „ersten Lebensform, die mit Mühe und Not den letzten sterilisierenden Einschlag überlebte“. Die Spuren von Organismen, die auf einem 3,85 Milliarden Jahren alten Felsen in Isua, einer wüst gefallenen Siedlung auf Grönland gefunden wurden, könnten von Lebensformen stammen, die vor diesem Einschlag existierten und im kosmischen Bombardement ausgelöscht wurden. (Davies 2000, 100f., 262-264) Wäre Leben auf der Erde tatsächlich mehrfach entstanden, müsste „eine Sorte davon dominiert und die anderen eliminiert haben“. Es sei nicht auszuschließen, dass bis heute „um uns herum fremdartiges Leben existiert“. (Davies 2008b, 42-49, 171f.) Bei der Schaffung von Leben habe es sich, so Richard Fortey, um „ein unerhörtes Glücksspiel gehandelt“. Wäre es nicht so schwierig gewesen, müsste man Hinweise auf Lebewesen finden, die „nicht aus demselben Staub geboren wurden“. Die „Fingerabdrücke der Schöpfung“ müssten den Molekülen des
fremden Lebens noch immer anhaften und diese sich von den unsrigen unterscheiden. Weil dem aber nicht so ist, sei die Ahnenreihe aller Lebewesen auf eine gemeinsame Quelle zurückführen. „Der entscheidende Zündfunke, der unbelebter Materie zum Leben verhalf“, sei in einer „Lotterie von Millionen und Abermillionen chemischen Reaktionen nur ein einziges Mal“ geglückt, und jede lebende Existenz verdanke sich diesem Augenblick. (Fortey 2002, 50-52) Auch Yves Coppens geht davon aus, dass Leben auf der Erde aus einem „einmaligen Ursprung“ resultiert. (Coppens 2002, 17) Gegen das Argument, die biochemische Grundlegung des Lebens mache das Auftauchen fortgeschrittener Formen wahrscheinlich, vielleicht sogar unvermeidlich, steht für Ernst Peter Fischer die Tatsache, dass alles, was in den Durchbrüchen „wie Schlüsselschritte in der Evolution“ aussehe, „jeweils nur ein einziges Mal gelungen“ sei. (Fischer 2003, 137) Richard Dawkins meint, der Ursprung des Lebens lasse sich mit einem Rückgriff auf das Anthropische Prinzip erklären. Es handele sich um „ein einzigartiges, einmaliges Ereignis“. (Dawkins 2007b, 196-198) Simon Conway Morris ist überzeugt, dass sich nur eine Lebensform durchgesetzt hat, nämlich die auf den Nukleinsäuren RNS und DNS beruhende. Wesentliche Indizien dafür seien die Gleichheit der Bausteine der zwei wesentlichsten lebenstypischen Makromoleküle in allen bekannten Lebensformen, nämlich der fünf Nukleotide als Bausteine der Nukleinsäuren, der 20 Aminosäuren als Bausteine der Proteine und der universell gültige genetische Code. Je genauer er verstehe, wie sich die einzelnen Moleküle im Laufe der Jahrmillionen zu hochkomplexen Organismen zusammenfanden, desto beeindruckter sei er. Mit dem klassischen Darwinismus ließe sich das nicht erklären. (Interview in Spiegel online am 9.8.2004) Er kritisiert den Stand der Forschungen im Bereich der Biologie. Leider könne „jener Seitenzweig der Wissenschaft, der sich mit dem Ursprung des Lebens befasst, nicht gerade mit durchschlagenden Erfolgen punkten“. Statt mit den anderen Wissenschaften gleichzuziehen, taumelten die Biologen „orientierungslos durch ein Terrain voller Felsblöcke und tiefer Schluchten“. (Morris 2008, 40) Auch Arnold Hanslmeier hält es für möglich, dass durch Asteroiden „erste Lebensformen immer wieder ausgelöscht“ wurden. (Hanslmeier, 2011, 30) Nick Lane meint, komplexes Leben sei nur einmal in der gesamten Geschichte des Lebens auf unserem Planeten entstanden. (Lane 2015, 111) Für Douglas Theobald weisen horizontaler Gentransfer und symbiotische Verschmelzungen „in überwältigender Weise“ auf einen universellen gemeinsamen Vorfahren hin. Es sei in der Biologie Lehrmeinung, dass Leben auf der Erde nur einmal
entstand und es nur einen gemeinsamen Vorfahren gibt. (Zit. b. Hands 2018, 305) Ulrich von Kusserow gibt zu bedenken, dass bislang nicht geklärt werden konnte, ob alle Lebewesen Nachfahren nur einer einzigen Urzelle sind. Es sei möglich, dass es „mehrfach und unabhängig voneinander zu unterschiedlichen biochemischen Evolutionen“ gekommen sei. (Kusserow 2018, 448) John Hand meint, „ohne ein Fitzelchen eines stützenden Belegs“ seien dies alles reine Spekulationen. (Hand 2018, 301) Die zurückhaltenden, teils resigniert klingenden Äußerungen zur Entstehung des Lebens helfen kaum, die Entwicklungslinien zum Menschen mit Hilfe der Roten Linie retrospektiv nachzuvollziehen. Unklarheit besteht nicht nur hinsichtlich der Entstehung des ersten Einzellers, sondern auch des ersten Vielzellers, des ersten vielzelligen Tieres und des Menschen. An jeder dieser Zäsuren stottert der Motor der Wissenschaft und liefert wenig brauchbare Ergebnisse. Die Rote Linie unserer biologischen Evolution ist an mehreren neuralgischen Punkten nicht durchgängig erkennbar. Unterbrochen konnte sie als theoretisches Konstrukt nicht wirklich gewesen sein, sondern nur bezüglich unseres Wissens um Ursachen und Zusammenhänge. Sie zeigt, dass die Evolution nicht linear ablief, sondern auf teils verschlungenen, für uns nicht nachvollziehbaren Wegen.
Gab es Leben schon im Hadaikum vor 4,6 bis vier oder erst im Archaikum vor vier bis 2,5 Milliarden Jahren?
Lange wurde ausgeschlossen, dass Leben bereits im Hadaikum entstanden sein könnte. Es gab keinen Sauerstoff in der Atmosphäre, die UV-Strahlung gelangte ungehindert auf die Erdoberfläche und es herrschten Temperaturen von über 1 200 Grad Celsius. Bis zur Bildung einer hinlänglich festen Ur-Kruste scheint Leben für etliche Experten lange kaum möglich gewesen zu sein. (de Duve 1995, 67) Nachdem Geologen aber 4,2 Milliarden Jahre alte Zirkonium-Kristalle gefunden und daraus geschlossen hatten, die Erde müsste schon damals eine feste Kruste besessen haben, modifizierten sich die Meinungen. (Davies 2000, 169f.) Laut Ian Crawford hat die Natur habe so schnell wie möglich die Chance ergriffen, erste Schritte zum Leben zu gehen. (Crawford 2000, 32ff.) Peter Ulmschneider meint, im Hadaikum habe bereits ein gigantisches und effizientes „Chemielabor Erde“ mit reichlich Energie zur Verfügung gestanden, in dem „unter einer großen Vielfalt von Bedingungen die unterschiedlichsten organischen Verbindungen synthetisieren“ konnten. (Ulmschneider 2014, 138) Daniel Lingenöhl gibt zu bedenken, dass fundierte Aussagen über mögliches Leben im Hadaikum angesichts fehlender Fossilien kaum möglich sind. Interpretationen könnten sich allein auf umstrittene Überreste von Einzellern stützen. (Lingenhöhl 2018, 73f.) Rebecca Boyle zitiert Wissenschaftler, die meinen, Leben sei sofort entstanden, als der Planet weit genug abgekühlt war, um flüssiges Wasser besitzen zu können. Die Vorfahren heutiger Lebewesen könnten demnach bereits kurz nach der Entstehung der Erde vor 4,3 Milliarden Jahren entstanden sein und die „schrecklichen Bedingungen“ besser überstanden haben als bislang angenommen. (Boyle 2018c, 48-56) Auch Harald Lesch und Jörn Müller schließen nicht aus, dass bereits vor vier Milliarden Jahren Einzeller lebten. Diese „Urviecher“ seien allerdings wenig strukturiert und ohne klar umrissenen Zellkern gewesen. (Lesch/Müller 2003, 57) Im Sedimentgestein der Dresser-Formation in Australien fanden Forscher Geyserit, in dem bakterienähnliche Mikroorganismen eingeschlossen sind. Geyserit sind Opal-Krusten, die sich durch die Tätigkeit von Thermalquellen und Geysiren absetzen. Es handelt sich um die bis dato ältesten Mikrofossilien
aus dem Archaikum. Sie wurden auf 3,46 Milliarden Jahre datiert. Die mehrzelligen Urorganismen ähneln heutigen Cyanobakterien. Ihre Größe lässt auf fossile Protocyten ohne Zellkern schließen. In den Urmeeren des Archaikums lebten demnach vor 3,5 Millionen Jahren bereits fadenförmige, cyanobakterienartige Mikroorganismen, die anoxigene Photosynthese betrieben. Auch in 3,41 Milliarden Jahre alten Sedimentschichten in Südafrika wiesen Paläobiologen Mikrobenmatten aus fadenförmigen Bakterien nach. Chemische Analysen ergaben, dass auch diese in Flachwasserzonen der Urmeere gefundenen Bakterien bereits anoxigene Photosynthese betrieben, also eine lichtgetriebene Assimilation von Kohlendioxid ohne Sauerstoffproduktion. An vielen Orten der Erde gefundene Stromatolithen stammen aus der Zeit vor 3,5 bis zwei Milliarden Jahre. (Kutschera 2006, 90f.) Joachim Reitner geht davon aus, dass es bereits vor 3,9 Milliarden Jahren eine Synthese unter sauerstofffreien Bedingungen gab, wie wir sie bis heute von anaeroben Bakterien kennen. Möglicherweise fand bereits eine mikrobielle Methanogenese statt. (Reitner 2009, 268) Einige japanische Forscher fanden in 3,95 Milliarden Jahre altem Sedimentgestein in Labrador biogenen Kohlenstoff und die bislang ältesten mikrobiellen Fossilien. (Kranendonk/Djokic/Deamer 2019, 57-67)
Die Uratmosphäre ohne Sauerstoff vor fünf bis drei Milliarden Jahren
Grundlage jeglichen Lebens war und ist das Vorhandensein einer Atmosphäre. Eine erste bildete sich vor etwa fünf Milliarden Jahren noch während der Entstehung der Erde. Der Planet war heiß und flüssig. Gase verflüchtigten sich ins All. Eine zweite Atmosphäre entwickelte sich vor vier Milliarden Jahren nach der Abkühlung und Erstarrung der Erdkruste aus durch Vulkanismus freigesetzten Gasen wie Methan, Ammoniak, Wasserstoff und Stickstoff. Als bei sinkenden Temperaturen Wasserdampf kondensierte, bildeten sich Meere. Sie lösten einen Teil des Ammoniaks, wodurch eine „Ammoniak-Ursuppe“ entstand. Eine dritte Atmosphäre entstand vor drei Milliarden Jahren, als große Mengen der Gase aus der zweiten Atmosphäre durch UV-Strahlung photochemisch umgewandelt worden waren. Die Aufspaltung von Ammoniak erhöhte die Konzentration des molekularen Stickstoffs, der Hauptkomponente der dritten Atmosphäre. Die Aufspaltung von Methan und Wasserdampf erzeugte freie Wasserstoffatome, die ins All entwichen. Vorrausetzung für Leben war, dass die photochemische Umwandlung von Methan und Wasserdampf zusätzlich Kohlenstoff und Sauerstoff freisetzte, die sich zur zweiten Hauptkomponente der dritten Atmosphäre verbanden, dem Kohlendioxid. (Behrendt 2019) Sauerstoff gab es in der Luft noch nicht, er hätte die Bausteine des Lebens „schlichtweg oxidiert“. (Schrenk/Müller 2006, 149f.) So blieben Atmosphäre und Ozeane bis vor 2,3 Milliarden Jahren sauerstofffrei und damit ein Paradies für Mikroben, die als Endprodukt ihres Stoffwechsels Methan abgaben. (Kasting 2004, 62-68) Dies ließ den Methangehalt der Atmosphäre um das Hundert- bis Tausendfache heutiger Werte ansteigen, wodurch die frühe Erde trotz geringer Sonneneinstrahlung nicht gefror. (Elicki/Breitkreuz 2016, 34f.) Da es ohne Sauerstoff keine schützende Ozonschicht gab, erreichte die ultraviolette Strahlung ungehindert die Erde. Der einzige sichere Ort für Lebewesen war demnach Wasser, das für UV-Strahlung ab etwa zehn Metern Tiefe nicht durchlässig ist. (Ludwig 2006, 28) Durch die Methanproduktion, bei der Mikroben Wasserstoff und Kohlendioxid zu Methan umwandelten und damit dem System Wasserstoff entzogen, kühlte die Atmosphäre ab. (Lingenhöhl 2013, 16-29) Die Pongola-Eiszeit vor 2,9 Milliarden Jahren war das Ergebnis dieser von
Bakterien erzeugten Methankonzentration. (Ulmschneider 2014, 111) Durch die Kälte verringerte sich die Methanogene. Ein negatives Feed-back kam in Gang, welches die Methanproduktion drosselte. Dadurch lichtete sich wiederum der Kohlenwasserstoffnebel und der Zyklus begann von vorn. Im Laufe von Jahrmillionen pendelte sich die Atmosphäre auf diese Weise an einem Punkt ein, an dem eine dünne Smogschicht den Planeten einhüllte. Ein rosa-orangefarbener Dunst hielt die frühe Erde im prekären Gleichgewicht zwischen „Treibhaushölle und Kältestarre“. (Kasting, 2004, 62-69) Alexander I. Oparin und J. B. S. Haldane, meinen unabhängig voneinander, dass die in der frühen und sauerstofflosen Erdatmosphäre vorhandenen Gase dazu tendierten, die Synthese komplexer organischer Bausteine wie Aminosäuren zu unterstützen, vor allem wenn sie durch UV-Licht oder Blitze stimuliert wurden. Bestätigt wurde diese Theorie durch die Versuche von Harold Urey und Stanley Miller in den 1950er Jahren. Sie führten zu einem Modell, dem zufolge sich auf der frühen Erde Wasseransammlungen mit schaumigem Protoleben füllten. (Brasier 2008, 24-28)
Die chemische Evolution
Von Melvin Calvin stammt der Begriff der „chemischen Evolution“. Darunter ist die Synthese biochemischer Moleküle aus einfachsten Molekülarten samt einiger chemischer Elemente unter den Bedingungen der präbiotischen Erde zu verstehen. Manfred Eigen entwickelte aus der Hypothese die Theorie der Hyperzyklen, deren Grundkonzept in der Selbstorganisation chemischer Reaktionen besteht. Nach seiner Meinung ging die „Chemo-Evolution“ mit dem Auftreten der ersten Zelle in die Bio-Evolution über. (Erben 1975, 81-84) Grundlage der Hypothese ist die Vermutung, die Chemie des Lebens sei aus der Chemie toter Materie hervorgegangen. (Schulze-Makuch/Bains 2019, 38) In der Naturwissenschaft ist man sich heute weitgehend einig, dass die Entstehung des Lebens auf chemischen Prozessen basierte. Es gab eine „Abfolge unspektakulärer Vorgänge“, von denen „jeder ein wenig Ordnung und zusätzliche Komplexität in die Welt der präbiotischen Moleküle brachte“. (Hazen 2002, 28, 35) Einige Forscher nehmen an, dass sich zunächst kleinere Bausteine wie Aminosäuren, Fettsäuren oder Nukleinsäurebasen bildeten, die später zu Makromolekülen polykondensierten. (Rauchfuß 2005, 105) Die Anfänge des Lebens fanden demnach im Rahmen chemischer Prozesse statt, die durch Vulkanismus, Ausgasung des Erdmantels, hydrothermale Aktivitäten, Meteoritenhagel und kosmische Strahlung geprägt waren. (Hubmann/Fritz 2015, 92) Die chemische Evolution leitet zur Frage nach der Rolle der Elemente im Prozess der Entstehung von Leben über.
Die Bedeutung der Elemente des Periodensystems für die Entstehung des Lebens
Ohne die Elemente des Periodensystems wäre die Entwicklung zum menschlichen Leben undenkbar gewesen. Deren Liste anthropischer Merkmale ist „lang und eindrucksvoll“. (Hoyle 1984, 219) Wasserstoff, Sauerstoff, Kohlenstoff und Stickstoff verfügen über „maßgeschneiderte, einzigartige“ und „unverzichtbare Eigenschaften für eine komplexe, funktionale Chemie“. Schon eine geringfügige Veränderung der Parameter ihres „Baukastensystems“ ließe das Fundament zusammenbrechen, auf dem maßgeschneiderte Naturgesetze, feinabgestimmte Naturkonstanten und eine „unvorstellbar unwahrscheinliche Verteilung der Energie im Kosmos“ beruhen. (Widenmeyer 2019, 95f., 101) Alle für das Leben notwendigen Stoffwechselprozesse hängen von den Eigenschaften der Elemente ab, die durch die Naturkonstanten mitbestimmt werden. (Achtner 1993, 199) So ist es bemerkenswert, dass es im Kosmos etwa gleichviel Sauerstoff- und Kohlenstoffatome gibt wie in lebendiger Materie. Eine wesentlich andere Mengenverteilung würde die Existenz von Leben „völlig in Frage stellen“. Ein Übermaß an Kohlenstoff etwa hätte die Entstehung vieler Substanzen verhindert, die für die Bildung von Leben notwendig sind. Bei zu viel Sauerstoff wären alle biochemischen Moleküle verbrannt. (Hoyle 1984, 218f.) Kohlenstoff: Kein Element allein konnte Leben hervorrufen. Wichtig war ihr Zusammenwirken, wobei Kohlenstoff in mancherlei Hinsicht eine zentrale Rolle spielte. Bei etwa 150 Molekülarten, die im All gefunden wurden, handelte es sich zu 90 Prozent um Organische Kohlenstoffverbindungen. Diese machen bis zu 20 Prozent des interstellaren Staubes aus. (de Duve 1995, 444) Im „ersten Akt des Dramas der Lebensentstehung“, so Robert M. Hazen, entstanden Ansammlungen kohlenstoffhaltiger Moleküle, die in der Lage waren, sich selbst zu kopieren. Leben setzte eine Abfolge chemischer Umwandlungen voraus, die einer Gruppe organischer Moleküle nach und nach immer komplexere Strukturen verliehen. (Hazen 2002, 28) „Wunderbarerweise“, so Richard Fortey, kommt Kohlenstoff häufig vor. Er ist ein allgegenwärtiger, unentbehrlicher Bestandteil und die „Seele des Lebens“. (Fortey 2002, 43f.) Er dient als Thermostat zur Temperaturregelung. Ohne ihn
gäbe es kein flüssiges Wasser. Seine Fähigkeit, komplexe stabile Moleküle mit sich selbst und anderen Elementen, vor allem Wasserstoff, Sauerstoff, Stickstoff, Phosphor und Schwefel zu bilden, ist einzigartig. Die organische Chemie, die im wesentlichen Kohlenstoffchemie ist, ermöglicht Millionen von Verbindungen. (Schulze-Makuch/Bains 2019, 29) Das Leben auf der Erde beruht auf dieser Fähigkeit der Schaffung einer Vielzahl großer, stabiler Moleküle. (Hoyle 1984, 222.) Kein anderes Element kann Ketten von beliebiger Länge bilden wie er. Seine Atome besitzen vier Bindungsstellen, und seine Elektronen lassen stabile Bindungen zwischen Kohlenstoffatomen zu. Kohlenstoff kann Doppel- und Dreifachbindungen eingehen. Zusammen mit Wasserstoff, Sauerstoff oder Stickstoff ermöglicht er eine Vielfalt an Molekülen. Bicarbonat, ein Produkt seiner Verbindung mit Sauerstoff, ist in Wasser gut löslich. Dadurch kann Kohlendioxyd in und aus Zellen und Organismen transportiert werden. Durch Ausatmen wird es aus den Organismen entsorgt. Im Blut sorgt Bicarbonat für einen neutralen pH-Wert. Da Kohlendioxyd in Wasser schlecht löslich ist, kann es sich gleichmäßig in der Erdatmosphäre verteilen und steht Pflanzen im Kohlenstoffkreislauf zur Verfügung. Dafür ist allerdings eine Feinabstimmung physikalischer Konstanten im Kohlenstoffatom notwendig, nämlich die der Quantenchromodynamik-Skala, einer Quantenfeldtheorie zur Beschreibung der starken Wechselwirkung, der elektrischen Ladung und der Dimension der Raumzeit. Hätten sie andere Werte, wäre der Kern des Kohlenstoffatoms nicht stabil. Diskutiert wird auch, ob Leben auf Siliziumbasis möglich sei. Bekannt ist es nur auf Kohlenstoff-Basis, dessen Moleküle im Übrigen auch doppelt so stabil sind wie es hypothetische auf Silizium-Basis wären. (Kanitscheider 2008, 165) Wasserstoff: Wasserstoff spielt vor allem in Verbindung mit gebundenem Sauerstoff als Wasser eine zentrale Rolle. Markus Widenmeyer nennt es eine „Wundersubstanz“. (Widenmeyer 2019, 83) Einige Anomalien von Wasser erwecken den Eindruck, als wären sie extra für das Leben geschaffen. Hätten die elektromagnetische Wechselwirkung und die Feinstrukturkonstante geringfügig andere Werte, verlöre Wasser seine biologischen Funktionen und könnte nicht durch andere Elemente ersetzt werden. (Achtner 1993, 199) Seine Anomalien basieren darauf, dass es sich um ein polares Molekül aus zwei Wasserstoffatomen und einem Sauerstoffatom handelt. Die elektrischen Ladungen sind so verteilt, dass es auf der einen Seite eine leicht positive, auf der anderen eine leicht negative Ladung besitzt. Das macht es zu einem elektrischen Dipol, ähnlich einem Stabmagneten mit ungleich geladenen Enden. Eine Anomalie des Wassers ist dessen Eigenschaft beim Abkühlen von plus vier auf
null Grad Celsius. Da es seine größte Dichte bei plus vier Grad besitzt, ist die Dichte von Eis geringer als die von flüssigem Wasser. Bei 46 Grad Celsius lässt es sich am schwersten zusammenpressen. Es schmilzt und verdampft bei Temperaturen, die für eine nichtmetallische Substanz sehr hoch liegen. Frank H. Stillinger findet es ungewöhnlich, „dass so viele Exzentritäten zusammen in einer einzigen Substanz auftreten“. (Zit. b. Breuer 1981, 219) Wasser hat im festen Aggregatzustand eine um etwa acht Prozent geringere Dichte als im flüssigen Zustand. Folglich schwimmt Eis auf Wasser. Wäre es nicht leichter als flüssiges Wasser, würde es sich am Grund der Seen und Meere ansammeln. Tatsächlich aber gefrieren diese im Winter von oben nach unten zu. Ein Zehntel der Eisberge ragt aus dem Wasser. Das beeinflusst nicht nur das Wetter, sondern hat zur Folge, dass im Wasser lebende Organismen die Kälte des Winters unter dem Eis überleben können. (Morowitz 1988, 169) Während die Wasserstoffbrückenbindungen in kristallinem Eis fest sind, werden sie in flüssigem Wasser ständig in raschem Wechsel gelöst und neu geknüpft. Dies befähigt Wasser, seine innere Struktur an die physikalischen und chemischen Erfordernisse von Organismen anzuen. So wie eine Gasblase in Wasser, aber nicht in Eis aufsteigen kann, müssen organische Moleküle in der Lage sein, sich zwischen Wassermolekülen zu bewegen. Das erst ermöglicht es ihnen, sich zu komplexeren Verbindungen zusammenzuschließen. (Blake/Jenniskens 2001, 28) Die Tatsache, dass sich Wasser beim Gefrieren ausdehnt, ist auch relevant für Verwitterungsprozesse von Gesteinen durch Gefriersprengung, durch die Mineralstoffe aus den Steinen herausgelöst und dem Ökosystem zugeführt werden. Wasser ist als polares Medium für chemische Reaktionen geeignet, weil es eine homogene Durchmischung ermöglicht, Protonen für Katalysen zur Verfügung stellt, eine hohe Wärmekapazität hat und so überschüssige Reaktionswärme aufnehmen kann. (Ulmschneider 2014, 121f.) Eine weitere Anomalie besteht darin, dass die Nullpunkt-Energie die Bindungen zwischen Wasserstoff und Sauerstoff im Wasser-Molekül gerade so weit dehnt, dass die Wasserstoff-Atome sich mit Molekülen in der Umgebung verbinden können. Die Nullpunkt-Energie ist das durch Quantenfluktuationen entstandene, allem zugrunde liegende Energiemeer. Es scheint, als sei die Nullpunkt-Energie über ihre Rolle bei der Dehnung der Wasserstoffbindung im Wasser hinaus indirekt an der Biologie beteiligt. (Haisch 2018, 87f.) Wasser besitzt eine hohe Oberflächenspannung, weswegen sich H²O und Öle
voneinander scheiden. Ohne solche polaren und hydrophoben Effekte gäbe es keine Chemie des Lebens, denn darauf beruhen Formen und Funktionen von Proteinen oder Zellmembranen. Die Oberflächenspannung ermöglicht den Kapillareffekt, wodurch Wasser von den Wurzeln der Pflanzen bis in die Blätter transportiert wird. Das Transportmedium muss eine niedrige Viskosität besitzen. Bei höheren Lebewesen wird es durch feine Kapillaren, z. B. ins Muskelgewebe, transportiert. Als Lösungsmittel ist Wasser für Organismen ein effektives Transportmedium vieler Stoffe. Dies gilt in besonderer Weise für Salze, die in Organismen in hohen Konzentrationen gelöst werden müssen. So löst ein Liter Wasser etwa 360 Gramm Kochsalz. Wasser ist beim Atmosphärendruck im Bereich von null bis 100 Grad Celsius flüssig. Dies entspricht dem Temperaturbereich, in dem Leben existiert. Mit 100 Grad Celsius ist sein Siedepunkt höher als der von vergleichbaren Flüssigkeiten. Dadurch kann Wasser in Temperaturbereichen agieren, die biologischen Strukturen zuträglich sind. (Haisch 2018, 87f.) Wenig Akzeptanz findet die Auffassung von Gerald H. Pollack, dass sich an allen Grenzflächen, die mit Wasser in Berührung kommen, eine gel-artige Wasserschicht bildet, die hochgeordnet ist und von dort aus dem Wasser und den Flüssigkeiten, mit denen es in Berührung kommt, ebenfalls ordnende Struktur übergibt. (Pollack 2013, 134) Wasser steht reichlich zur Verfügung. Das ist nicht selbstverständlich, denn angesichts der hohen Temperaturen bei der Erdentstehung gab es zunächst kaum H²O. Ein Großteil gelangte erst durch Gesteine aus der Gegend zwischen Mars und Jupiter auf die Erde. Brocken von dort bestanden zu rund 40 Prozent aus Wasser. Nach der Mondbildung kamen große Mengen per Kometen auf die Erde. Trotz der günstigen Temperatur in der habitablen Zone des Sonnensystems wäre Wasser auf der Erde aber ohne den Druck der Atmosphäre nicht flüssig geblieben. Er bestimmt, ob Wasser gasförmig, flüssig oder fest vorkommt. Dass es flüssig blieb, hing auch von der Temperatur der Konvektionsströme des Erdkerns an die Oberfläche ab. Flüssiges Wasser musste zudem für hunderte Millionen Jahre in ausreichender Menge zur Verfügung stehen, um Leben zu ermöglichen. (Jewitt/Young 2015, 30-39) Das Wasser in den Ozeanen war thermisch träge, wodurch große Wärmemengen gespeichert und zeitversetzt wieder abgeben werden konnten. Auch die richtige Verteilung von Land und Wasser war eine Voraussetzung für Leben. Hätten die Ozeane etwas mehr davon gehabt, wäre kaum festes Land entstanden. Erst die Trennung der Erdoberfläche in Kontinente, Gebirge, Ozeanbecken und Inseln durch Plattentektonik und die daraus resultierende biologische Vielfalt ließen
schließlich die für den Menschen erforderlichen Umweltbedingungen entstehen. (Reichert 1999, 222) Wichtig war und ist auch der Salzgehalt des Meerwassers. Er entscheidet mit über dessen Dichte. Die Kombination von Temperatur und Salzgehalt führt zu einer besonderen Art der Zirkulation. So wäre der Golfstrom, der heute in den Fjorden Norwegens für vielfältiges Unterwasserleben sorgt, ohne das warme Salzwasser der Karibik kaum vorstellbar. Warmes Wasser sinkt ab und fließt als kühler Bodenstrom wieder zurück. „Würde diese schöne GratisWarmwasserheizung Europas aus irgendwelchen Gründen stottern oder gar abbrechen, würden hier sehr ungemütliche Verhältnisse einziehen.“ (Müller 2017, 40f.) Ein denkbares Szenario wäre eine fortdauernde Erwärmung der Erde durch einen weiter ansteigenden Anstieg des CO²-Anteils in der Atmosphäre. Was anderswo zu steigenden Temperaturen führen würde, könnte in Europa auf eine neue Vereisung hinauslaufen. Sauerstoff: Sauerstoff ist ein weiterer Schlüssel zum Leben und ein Element, „das eine Welt antreibt“. Es ermöglicht komplexes Leben, gibt ihm Energie und lässt es wachsen. Dabei war er in der Frühzeit eigentlich nur ein Abfallprodukt der Photosynthese. Erst als Eisen in den Gesteinen, Schwefel in den Ozeanen und Methan in der Luft oxidiert waren, strömte freier Sauerstoff in Luft und Meere. Entwich Wasserstoff aus dem Meer, traf er nun auf freien Sauerstoff. Bevor der Wasserstoff ins Weltall entweichen konnte, reagierte er erneut zu Wasser, das auf die Erde regnete und das Schwinden der Meere stoppte. Sauerstoff diente in der Atmosphäre als Quelle für Ozon (O³), welches die UVStrahlung absorbiert. Sauerstoff spielte aber nicht nur in der Atmosphäre eine wichtige Rolle, auch für die Organismen auf Sauerstoffbasis war er mit seinem „maßgeschneiderten Eigenschaftsprofil“ lebensnotwendig. Ohne ihn waren chemische Vorgänge unmöglich. Er ist ein konstitutiver Bestandteil fast aller biologisch relevanten Moleküle wie DNS, Aminosäuren, Lipide oder Kohlenhydrate. Wie Kohlenstoff und Wasser ist er für das Leben unverzichtbar, und zwar nicht nur, weil er ein Bestandteil des Wassermoleküls ist. Auch seine Reaktionsfreudigkeit „scheint für energieliefernde Prozesse maßgeschneidert“ zu sein. Sie ist weder zu stark noch zu schwach. Molekularen Sauerstoff benötigen zahllose Lebewesen für ihre Zellatmung. In den Organismen, die Sauerstoff verbrauchen, wird dieser wieder in Wasser überführt. Zwar gab und gibt es auch anaerobe Mikroorganismen, die ohne molekularen Sauerstoff leben, komplexere Lebensformen sind jedoch ohne
Sauerstoff nicht vorstellbar. (Widenmeyer 2019, 83-90) Die Energiemenge, die bei Gärungsprozessen oder bei Reaktionen zweier Moleküle wie Methan und Sulfat frei wird, ist „vernachlässigbar im Vergleich zur Kraft der Sauerstoffatmung“, die für die Verbrennung von Nährstoffen sorgt. „Nichts anderes kann die Energie liefern, die nötig ist, um die Anforderungen, die das vielzellige Leben stellt, zu erfüllen.“ Das Protein Kollagen ist ein unentbehrlicher Bestandteil des Körpers. Es besteht aus einigen seltenen Bausteinen, die freien Sauerstoff für den Aufbau von Querverbindungen zwischen benachbarten Eiweißfasern benötigen. Große Tiere, die durch Schalen oder harte Skelette geschützt waren, konnten sich nur entwickeln, weil der Sauerstoffanteil in der Atmosphäre hoch genug war, um Kollagen zu produzieren. Das erklärt vielleicht das plötzliche Auftreten großer Tiere in der Kambrischen Explosion vor 550 Millionen Jahren, kurz nach einem weltweiten Anstieg des Anteils an atmosphärischem Sauerstoff. Ohne ihn gäbe es „keine großen Tiere oder Pflanzen, keine räuberische Lebensweise, keinen blauen Himmel, möglicherweise keine Ozeane, vermutlich nichts als Staub und Bakterien“. „Ohne Zweifel“, so Nick Lane, ist Sauerstoff „der kostbarste und zugleich unwahrscheinlichste Abfall, den man sich vorstellen kann“. Ohne ihn wäre das Leben auf einer bakteriellen Entwicklungsstufe stehen geblieben. (Lane 2015, 79-81) Stickstoff: Stickstoff ist ein weiteres essenzielles Element und Bestandteil von RNS und DNS. Er sorgt in Strukturproteinen für Knochen, Knorpel, Sehnen, Bänder, Haut, Haare, Nägel, Federn und als hocheffektiver Katalysator (Enzyme) für eine enorme Bandbreite chemischer Aufgaben. „Die Fähigkeit zu Wasserstoffbrücken-Bindungen macht Stickstoff einmalig und für die Chemie des Lebens unersetzbar.“ (Widenmeyer 2019, 90-92) Phosphor: Auch Phosphate sind in der Chemie des Lebens allgegenwärtig. Sie sind konstitutive Elemente vieler Biomoleküle und haben zentrale physiologische Funktionen. Bei der Entstehung des Lebens und am Anfang aller Lebensprozesse besaß Phosphor eine „sehr alte und wichtige Funktion“, welche die Forschung vor ein „besonders mysteriöses chemisches Rätsel“ stellt. Für den Start biochemischer Prozesse taugliche Phosphatverbindungen waren auf der frühen Erde nämlich vor allem dort rar gesät, wo sie die ersten biochemischen Reaktionsprozesse hätten starten sollen, nämlich in der wässrigen Ursuppe. Phosphorverbindung sind bei Bakterien, Pflanzen, Pilzen, Tieren und Menschen Bausteine im Erbgut, im Energiestoffwechsel und nehmen bei diversen
Zellreaktionen eine „auffällig herausgehobene Funktion“ ein. (Osterkamp 2017, 78f.) Phosphat ist auch beim Aufbau von RNS und DNS von Bedeutung. Adenosintriphosphat etwa ermöglicht im Zellstoffwechsel die Energiespeicherung und den Energietransfer. Andere Elemente: Exemplarisch sei auch auf einige weitere für Lebewesen notwendige Elemente verwiesen. Eisen etwa befindet sich im roten Blutfarbstoff und in Cytochromen, Proteinen und Hormonen in der Schilddrüse. Fluor findet sich im Zahnschmelz, Zink, Kupfer, Mangan, Selen, Chrom, Molybdän und Kobalt in Enzymen. Die in der Erdkruste häufig vorkommenden Elemente Silizium und Aluminium sind im menschlichen Körper selten. Magnesium ist für den Aufbau des Chlorophylls und die Wirkungsweise der Photosynthese notwendig. Acetylen und Cyanwasserstoff bilden zusammen mit Wasser Grundbausteine des Lebens wie die DNS-Base Adenin oder einige Aminosäuren. Kalium, Natrium und Chlor werden für den Ionentransport und Stoffwechsel benötigt, Calcium und Magnesium für den Knochenbau. Eisen spielt beim Sauerstofftransport im Hämoglobin eine entscheidende Rolle, Molybdän in etlichen Enzymen. (Achtner 1993, 199) Die Liste ließe sich beliebig erweitern. Sie zeigt, dass fast alle Elemente für das Leben notwendig waren und immer noch sind. Minerale: Wie zahlreiche Experimente belegen, waren auch unterschiedliche Minerale an den grundlegenden chemischen Reaktionen bei der Entstehung des Lebens beteiligt. Sie sind zwar keine Elemente des Periodensystems, verdienen aber dennoch an dieser Stelle eine Erwähnung. Die wichtigsten Bausteine lebender Organismen mussten sich zu Polymerketten und anderen komplexen Molekülanordnungen verbinden, um chemische Voraussetzungen für Leben zu schaffen. Dies war schwierig, weil die UV-Strahlung Molekül-Cluster fast so schnell auflöste, wie sie sich bildeten. Hier boten Minerale nicht nur Schutz. Sie waren auch fast die einzigen Rohstoffquellen, aus denen Vorläufersubstanzen biologischer Moleküle entstehen konnten. Größere Moleküle bildeten sich vermutlich durch Anlagerung an Mineralien, die ihre Polymerisierung unterstützten. (Oschmann 2016, 46) Winzige Kammern im Mineralgefüge boten Unterschlupf, während die Oberfläche ein Gerüst lieferte, auf dem diese sich zusammenfügen und wachsen konnten. Elemente gelöster Minerale wurden in biologische Moleküle eingebaut. „Demnach haben sie nicht nur Biomolekülen geholfen, einander zu finden, sondern wurden vielleicht selbst ein Teil des Lebens.“ (Hazen 2002, 28, 32) Dieses benötigte alle Stoffe, die in Mineralien der Erdkruste gebunden waren. Schon die frühesten Lebensformen wären ohne die
lebenswichtigen Mineralien nicht entstanden. (Brasier 2008, 24-28)
Nukleotide, die unmögliche Bildung eines Proteinmoleküls, die Entstehung der Ribonukleinsäure und der RNS-Welt sowie die Bildung der DNS
Wichtige Grundbausteine des Lebens sind Nukleotide, aus denen RNS und DNS aufgebaut sind. In ihnen ist ein Zuckermolekül mit einem der basischen Kohlenstoff- und Stickstoffringmolekülen und einem Phosphat verknüpft. Andere Schlüsselbausteine sind Aminosäuren, die, in Ketten angeordnet, die Polypeptide und letztlich die Proteine aufbauen. (Morris 2008, 21f.) Bis heute ist unklar, wie sich die Proteine bildeten. Die zufällige Entstehung eines einzigen Proteinmoleküls hätte einen Zeitraum erfordert, der das Alter des Universums übersteigt. Francis Crick, der zusammen mit James Watson und Maurice Wilkins den Nobelpreis für die Entschlüsselung der DNS erhielt, rechnete vor, dass ein eher kleines Proteinmolekül aus 200 Aminosäuren besteht, von denen 20 verschiedene in einer bestimmten Reihenfolge eingebaut werden. Es gibt demnach 20² mögliche Variationen, das sind in Zehnerpotenzen etwa 10260, also eine eins mit 260 Nullen. Das ist unvergleichlich mehr als es Atome im gesamten Universum gibt. Selbst wenn man von einem ganz kleinen Proteinmolekül mit nur 35 Bausteinen ausgeht und weiterhin annimmt, dass damals alle Ozeane bis in die äußersten Tiefen hinein mit den 20 Aminosäuren völlig gesättigt gewesen wären und in jeder Sekunde in jedem Kubikzentimeter des Urozeans sich immer wieder ein anderes Proteinmolekül gebildet hätte, dann müssten immer noch mehr als achtzig Billionen Jahre verstreichen, bis jede Variation ein einziges Mal entstanden wäre. (Crick 1983) Eine andere zentrale Frage zum Ursprung des Lebens ist, wie die erste Ribonukleinsäure (RNS) entstand. Was war zuerst da, Huhn oder Ei? Gab es zuerst die RNS oder die Proteine? Die meisten Experten gehen davon aus, dass die RNS für einige Zeit die einzige Trägerin genetischer Informationen war. (Christian 2018, 109-112) Da die RNS Vererbung und Katalyse beherrscht, so mutmaßt Walter Gilbert, könnte das Leben aus einer RNS-Welt hervorgegangen sein, als sich zufällig ein RNS-Molekül bildete, das sich aus unbekannten Gründen selbst kopieren konnte. Er sieht in der Bildung eines selbstreplizierenden RNS-Moleküls das wichtigste Ereignis beim Entstehen des Lebens. (Zit. b. Shapiro, 2009, 97-100) Zwar ist inzwischen bekannt, dass die wichtigsten chemischen Bausteine zu organischen Monomeren wie Aminosäuren und Nucleinsäuren
zusammengeschlossen wurden, die ihrerseits langkettige Gebilde wie Peptide und RNS- oder DNS-Stränge formten, strittig ist aber, wie es dazu kam. (Roth 2010, 46) Vor allem zur Frage nach der Verbindung zwischen den einfachsten genetischen Codes und den Schritten der Proteintranslation findet die Wissenschaft kaum Antworten. Auf die Dimension des Problems weist die Tatsache hin, dass allein das Ribosom für die Herstellung von Proteinen mehr als 100 000 Atome enthält. (Schulze-Makuch/Bains 2019, 49) Wie konnte die RNS vor Milliarden Jahren eine Kopie von sich selbst herstellen, um die genetische Information weiterzugeben? Einige Wissenschaftler suchen vor allem den Nachweis, dass und wie RNS „von selbst“ entstehen konnte. (Preiner 2016, 40-45) Angespornt werden sie dadurch, dass die gegenseitige Vervielfältigung von RNS und DNS sowie ein „Produktionsverfahren“ für Aminosäuren und Proteine unabdingbare Voraussetzungen für die Entstehung des Lebens waren. (Roth 2010, 47) Angesicht der Unwahrscheinlichkeit der Schaffung eines ersten RNS-Moleküls scheint es unmöglich, im Labor aus nichtlebendem Material Nukleinsäuren, geschweige denn RNS herzustellen. „Die Natur“, so Robert Shapiro, „neigt nicht dazu, RNS oder auch nur deren Bausteine (Nukleotiden) im Labor entstehen zulassen.“ (Shapiro, 2009, 97-100) Komplexe Moleküle wie DNS oder RNS kann man nicht einfach zusammenfügen, indem man verschiedene Chemikalien mischt. (Ward/Kirschvink 2016, 74-75) Für Bernhard Hubmann und Harald Fritz könnte die biologische Evolution mit der spontanen Entstehung eines katalytisch aktiven RNS-Moleküls, eines Ribozyms, begonnen haben, welches sowohl Informationen speichern als sich auch selbst replizieren konnte. Die RNS war demnach ursprünglicher als die DNS und vielleicht das erste biologisch aktive Molekül überhaupt. (Hubmann/Fritz 2015, 87f.) Versuche, den Beginn des Lebens im Labor zu wiederholen, nennen manche Wissenschaftler „ein schockierendes Beispiel für die Dreistigkeit der Forscher“. (Margulis/Sagan 1999, 60) Für Klaus Dose ist der Übergang von einfachen, präbiotischen Polyaminosäuren zu informativen, replikationsfähigen Nukleinsäure-Sequenzen wie die BotenRNS (mRNS), nur mit Hilfe eines äußerst komplizierten Enzyms, der so genannten Qß-Replicase möglich. Dessen molekulare Struktur ist aber so kompliziert, dass dieses Makromolekül unter den Umweltbedingungen der präbiotischen Erde nicht von selbst entstanden sein kann. Die verfügbaren Erkenntnisse legen nahe, dass die Qß-Replicase „aus einer unbekannten
Koevolution“ stammte. Wo und wie diese sich abgespielt haben soll, liegt völlig im Dunkeln. (Hebel 2006, 41f.) Etwas hilflos wirkt Stephen Hawkings Erklärung, RNS könnte zufällig entstanden sein. Seines Erachtens habe die RNS oder eine andere einfache Organisationsform vielleicht die DNS aufgebaut. Kurze Stücke der RNS könnten sich reproduziert und schließlich „irgendwie“ zu DNS umgewandelt haben. (Hawking 2005, 18-20) Vielleicht, so Peter Ward und Joseph L. Kirschvink, öffnete die RNS mit der Erzeugung von DNS den Weg zum Leben. (Ward/Kirschvink 2016, 74-75) Vielleicht war es aber auch ganz anders. Wenn die DNS aus einer RNS-Welt hervorging, warum gibt es dann zur DNS keine alternativen Formen, denn „grundsätzlich liebt die Natur doch Redundanz, damit die Evolution im Falle einer Blockierung Auswege findet“? (Hebel 2006, 44) RNS und DNS sind sich ähnlich und bestehen aus langen Nukleotid-Ketten. Beide besitzen nahezu die gleichen vier Bausteine, nämlich die Nukleinbasen Adenin, Cytosin, Guanin und Uracil bzw. Thymin. Anders als die DNS ist die RNS eine Einzelkette, die sich wie ein Protein zu unterschiedlichen Formen falten und ähnliche Aufgaben wie ein Enzym übernehmen kann. DNS dient hingegen vor allem als Träger genetischer Informationen. RNS kann aber nicht nur Informationen speichern, sondern wie Enzyme chemische Reaktionen katalysieren. Sie löst damit sowohl die Aufgaben der Enzyme als auch einige der DNS. (Hubmann/Fritz 2015, 87) Bei der RNS sind Erbinformationen allerdings nicht so sicher aufgehoben wie bei der DNS, deren Doppelstränge „ihre kostbaren Informationen gegen die Stürme der Außenwelt abschirmen“. In der RNS-Welt konnten demzufolge genetische Informationen leichter verloren gehen oder verzerrt werden. Beide aber können Kopien ihrer selbst und aller in ihnen enthaltenen Informationen anfertigen. (Christian 2018, 109-112) Völlig unklar ist, wie die intelligente Molekülstruktur der DNS sich selbst hat bilden können. Theoretisch möglich wäre, dass „eine außergewöhnliche Molekülstruktur einmal in einem großen Sprung am Entropiegesetz vorbei spontan zustande“ kam. Für Christian de Duve ist die gemeinsame Urzelle allen Lebens aus einer Kette von nicht nachvollziehbaren, aber physikalisch-chemisch möglichen Singularitäten hervorgegangen. Unklar ist, so Wolfgang Hebel, ob und wie „ein so unverwüstlicher, zur Selbsterhaltung fähiger molekularer Code, wie er in der DNS steckt, innerhalb eines doch relativ kurzen Zeitraums von nur wenigen hundert Millionen Jahren auf der primitiven Erde von selbst habe entstehen
können“. Für „die schrittweise Aufwärtsentwicklung eines so intelligenten Systems“ waren die Umweltbedingungen auf der jungen Erde ungeeignet. Geht man von einem stufenförmigen Selbstaufbau lebender Zellen vom Niveau einfacher organischer Moleküle bis zum intelligenten Informationsspeicher der DNS aus, dann muss der Zufall „eine systematische Rolle“ gespielt haben, denn „anders lässt sich eine so konsequente Aufwärtsentwicklung über viele außergewöhnliche Stufen hinweg nicht erklären“. Der Zufall musste dann im gesamten Prozess der Evolution „eine beinahe alltägliche Erscheinung“ gewesen sein. (Hebel 2006, 15, 41)
War der prokaryotische Einzeller Luca vor 3,8 Milliarden Jahren der erste und letzte gemeinsame Vorfahr allen Lebens?
Nach gängiger Auffassung spielte Luca (Last universal common ancestor), der letzte gemeinsame Vorfahr allen Lebens, eine zentrale Rolle bei dessen Bildung. Luca entstand vor mehr als 3,8 Milliarden Jahren nach dem Großen Bombardement. Schon Jaques Monod meinte, irgendwann müsse es einen Augenblick gegeben haben, in dem alles heutige Leben von den Oberlebenschancen einer einzigen Urzelle abhing. Die Wahrscheinlichkeit ihres Entstehens sei allerdings fast null gewesen. (Zit. b. Ditfurth 1972, 183f.) Der genetische Kode im gesamten Organismenreich folgt dem gleichen Grundprinzip, und die Proteine aller lebenden Organismen sind ausschließlich von Aminosäuren mit Links-Konfiguration zusammengesetzt. Daraus schlussfolgert Heinrich K. Erben, dass alle Lebewesen von einer Zelle abstammen, bei der zufällig nicht die Rechts- sondern die Links-Konfiguration der Aminosäuren-Moleküle ausgebildet war. (Erben 1975, 81-84) Christian de Duve verweist auf farbige Proteine wie Cytochrom, von dessen etwa 100 Aminosäuren über 50 gleich sind und die in zwei oder mehr Zweigen des Stammbaums unabhängig entstanden. Ihre Ähnlichkeiten seien zu groß, als dass man sie für zufällig halten könnte. „Sie zwingen unausweichlich zu der Schlussfolgerung, dass alle diese Moleküle und damit auch alle Lebewesen miteinander verwandt sind und von einem gemeinsamen Vorfahren abstammen.“ Auch die Tatsache, dass Wasserstoff, Kohlenstoff, Sauerstoff, Stickstoff, Phosphor und Schwefel zusammen 99 Prozent der Trockenmasse eines jeden Lebewesens vom Bakterium bis zum Menschen ausmachen, sei auffällig. Der Prozentsatz dieser Elemente sei in jedem Lebewesen derselbe. Aber wieviel am gemeinsamen Vorfahren war das Resultat von Zufällen und wieviel vorbestimmt? Luca ist für de Duve schon zu komplex, als dass er das erste Lebewesen gewesen sein könnte. Schon zuvor habe es einfachere Lebewesen, sogenannte Protobionten gegeben. Luca war ein prokaryotischer Einzeller. Ihm fehlte ein abgegrenzter Zellkern, und sein Inneres war „höchstens ansatzweise strukturiert“. (de Duve 1995, 60, 180-189) Albrecht Unsöld meint, die Gleichartigkeit des genetischen Codes und die Verwendung derselben Bausteine für die DNS wie für die Proteine aller
Organismen, von den primitivsten Bakterien bis zum Menschen, sprächen für „eine örtlich und zeitlich begrenzte Entstehung des Lebens“. (Zit. b. Reichert 1999, 328) Wahrscheinlich, so auch Hans-Joachim Fritz, war der genetische Code der Urzelle das Resultat einer „einmaligen, zufällig entstandenen Festlegung“, die fortan für alle Lebewesen galt. (Fritz 2009, 88) Alles Leben auf der Erde, so auch Peter Ulmschneider, geht auf diese eine Zelle zurück. Lucas Erbinformation verfügte über mehr als 490 000 Basenpaare, die in einer ganz bestimmten Reihenfolge angeordnet waren und als Vorlage für alle späteren Zellen von Pflanzen und Tieren dienten. (Ulmschneider 2014, 133) Ihre durchlässigen Zellwände ermöglichten den Austausch von Genomen im „horizontalen Gentransfer“. (Ward/Kirschvink 2016, 75-77) Luca hatte einen Minimalorganismus von etwa 300 Genen. Die Zelle war „in gewisser Weise lebendig“, aber nicht ganz, sie siedelte, wie ein Virus, „irgendwo in der Zombiezone zwischen Leben und Nichtleben“. (Christian 2018, 104-107) Sie ernährte sich von energiereichen anorganischen Substanzen, und ihr Stoffwechsel basierte auf Kohlendioxid und Wasserstoff aus heißen unterseeischen Quellen. (Fischer, Lars 2019, 68-70) Carl Woese sieht in Luca keinen speziellen Organismus, eher „eine locker gestrickten Konglomeration diverser primitiver Zellen, die sich als Einheit entwickelte, bis sie ein Stadium erreichte, in dem sie in mehrere getrennte Gemeinschaften zerfiel, die wiederum zu den drei Abstammungslinie der Bakterien, der Archaen und der Eukaryoten wurden. (Zit. b. Hands 2018, 301) John Hands verweist darauf, dass es nach Meinung verschiedener Evolutionsbiologen keinen universellen gemeinsamen Vorfahren gab. Das Leben sei vielmehr als Population aus unterschiedlichen Organismen hervorgegangen. (Hands 2018, 304) Eine Mehrzahl der Experten geht aber davon aus, dass Luca der Vorfahr allen Lebens und damit auch von uns Menschen ist. Da niemand eine Ahnung hat, wie diese Zelle entstand, nimmt die Zahl schwer oder nicht erklärbarer Schritte auf unserer Roten Linie von der kosmischen über die chemische bis zur beginnenden biologischen Evolution zu. Die Experten können bestenfalls erklären, was alles geschah, aber nicht warum und wozu.
Verschiedene Hypothesen der Entstehung des Lebens auf der Erde
Mögliche Entstehungsorte
Wenn der bedeutendste Moment in der Geschichte des Lebens sein Ursprung war (Schulze-Makuch/Bains 2019, 38), dann sind konträre Meinungen unausweichlich und ist die Beschäftigung damit zwingend. Jenseits der Sümpfe ideologischer Deutungen gibt es verschiedene wissenschaftlich begründete Hypothesen, wie das Leben auf der Erde entstanden sein könnte. Laut Richard Fortey sind die für Leben nötigen organischen Verbindungen auf natürliche Weise auf der Erde entstanden. Die Kohlenstoffverbindungen waren demnach in der Lage, „sich am eigenen Schopf zu packen und zu den ersten Molekülen aufzuschwingen“, die sich reproduzieren konnten. (Fortey 2002, 50) Relativ unbestritten ist bei allen Modellen der Entstehung auf der Erde, dass auf dem Planeten ein reichliches Angebot an abiotisch entstandenen organischen Verbindungen wie Thiolen, Aminosäuren und Hydroxysäuren zur Verfügung stand. (Ulmschneider 2014, 141f.) Einigkeit herrscht auch darüber, dass bakterielles Leben unter extremsten Bedingungen entstehen und sich entwickeln konnte. Strittig ist hingegen auch hier, ob beim Entstehen von Leben auf der Erde zuerst das Huhn oder da Ei da war, mithin der Stoffwechsel oder die Gene. Die virulenten Theorien widersprechen sich nicht und erklären in ihrer Kombination die Entstehung organischer Bausteine als wesentliche Voraussetzung für das Leben vielleicht am besten. (Oschmann 2016, 46)
Die Eisen-Schwefel-Welt in heißen Quellen an Land
Bei der Eisen-Schwefel-Welt-Hypothese wird die Entstehung organischer Moleküle mit Anlagerungen an Metall- oder Mineraloberflächen erklärt, was womöglich die Zerstörung durch UV-Strahlung verhinderte. Metall- oder Mineral-Schwefelverbindungen könnten Energie für die spontane Entstehung von Makromolekülen geliefert haben, die ihrerseits zur Selbstreplikation fähig waren. (Roth 2010, 47) Als plausibel gilt der Ansatz, weil die Atmosphäre zur Zeit der Entstehung des Lebens außer Wasser und Stickstoff vor allem Kohlendioxid, Schwefelwasserstoff, Kohlenmonoxid und Wasserstoff sowie Spuren von Ammoniak und Methan enthielt, aber fast keinen freien Sauerstoff. (Ludwig 2006, 25) Als erste Lebensformen kämen demzufolge nach der Entstehung einer Urzelle schwefelfressende und methanerzeugende Bakterien infrage. Das hieße, alles irdische Leben, auch das menschliche, stamme von Lebewesen ab, die Schwefel mochten, in extrem heißen Umgebungen existierten und deren Biochemie nur ohne Sauerstoff funktionierte. Leben, so Richard Fortey, entstand „in einem glühend heißen Kessel voller Säuren“, aus dem Schwefeldampf aufstieg, und mit einer Atmosphäre, der jeder Sauerstoff fehlte. (Fortey 2002, 59f.) Armen Mulkidjanian und Eugene V. Koonin meinen, erstes Leben habe sich in landgebundenen Hydrothermalquellen gebildet. (Zit. b. Fischer, Lars 2012, 4650) Auch andere Forscher gehen davon aus, dass es geeignete Orte an Land gab, etwa Hydrothermalbecken, deren Wasserstand ständig fiel und stieg. Sie boten ausreichend hohe Temperaturen, um chemische Reaktionen zu katalysieren. Im Yellowstone-Nationalpark ist das Gestein „gespickt mit versteinerten Zeugen frühen Lebens“, das eng mit den heißen Quellen verbunden war. Das Sedimentgestein der Dresser-Formation in Australien enthält Geyserit, in dem bakterienähnliche Mikroorganismen eingeschlossen sind. Sie deuten darauf hin, dass sich erste Zellen auf dem Festland in vulkanischen heißen Quellen und Tümpeln gebildet haben könnten. (Kranendonk/Djokic/Deamer 2019, 57-67)
Hydrothermale Tiefseequellen und Spalten der kontinentalen Kruste
Da die ältesten Organismen in Flüssigkeiten lebten, gehen viele Forscher davon aus, dass Leben, geschützt vor solarer und kosmischer Strahlung, vor etwa vier Milliarden Jahren am Boden der Ozeane entstand. Hydrothermale Quellen am Boden der Tiefsee, die Schwarzen oder Weißen Raucher, gelten als mögliche Entstehungsorte. Diese „Geysire der Tiefsee“ stoßen bis heute Eisen- und Schwefelminerale sowie Gase wie Methan und Schwefelwasserstoff aus. Sie sind von einzelligen Bakterien, Archaeen und großen Würmern dicht besiedelt. (Kranendonk/Djokic/Deamer 2019, 57-67) Bei der Vermischung des kochend heißen Wassers mit dem sehr viel kälteren Wasser der Umgebung fielen darin gelöste Sulfide und Salze von Eisen, Mangan, Kupfer oder Zink als feine Partikel aus, wodurch sich je nach Zusammensetzung und Temperatur der Raucher dunklere oder hellere, sprudelnd aufsteigende Wolken ausbildeten. (Kusserow 2018, 451) Die erste prokaryotische Zelle ohne Zellkern wäre demnach in einer submarinen, heißen und hydrothermalen Quelle entstanden. Die präbiotische Synthese von Makromolekülen wurde hier durch katalytische Eigenschaften bestimmter Mineraloberflächen wie Pyrit unterstützt. (Reitner 2009, 268) Ulrich C. Schreiber und Christian Mayer verweisen darauf, dass es in tektonischen Bruchzonen schon vor Jahrmilliarden hohe Temperaturen und Drücke sowie ein chemisch komplexes Umfeld gab. Hier könnten erste „selbstreplizierende Strukturen“ entstanden sein, aus denen lebende Zellen hervorgingen. (Schreiber/Mayer 2020, 12-19)
Die Entstehung des Lebens in einer Ursuppe und die Rolle eines Replikators
Zwar wird heute die Theorie favorisiert, Leben sei in den Tiefen der Ozeane entstanden, diskutiert wird aber auch eine Entstehung in Tümpeln und Uferbereichen mit normalen Temperaturen. Ebbe und Flut könnten dabei eine Rolle gespielt haben, ebenso die Energie der Uferbrandung. Weil der Mond sich noch weit näher befand und die Erde sich schneller drehte, fielen die Gezeiten stärker aus als heute. Die Gezeitenzonen reichten oft hunderte Kilometer weit ins Landesinnere. In diesen Zonen wechselten Wasserbedeckung, Salzgehalte und Temperaturen alle paar Stunden im Rhythmus von Ebbe und Flut. Es gab unzählige Gezeitentümpel, die bei Flut überliefen, bei Ebbe aber Becken bildeten, in denen sich Salze und chemische Moleküle anreichern konnten. Sie hätten ideale Bedingungen für die Replikation der ersten DNS-Moleküle geboten. Sollte das erste Leben so entstanden sein, würde dies im Umkehrschluss bedeuten, dass die Erde ohne großen Mond kein Leben hervorgebracht hätte. (Podbregar 2020a) Damit wächst die Zahl der Einflüsse des Mondes auf die Entstehung weiter an. UV-Strahlen könnten bis zu den im seichten Wasser gelösten Molekülen und Mineralien vorgedrungen sein, sie gespaltet und so die Reaktionspartner für den chemischen Aufbau komplexer organischer Moleküle bereitgestellt haben. Die stete Tide führte über einen längeren Zeitraum dazu, dass reaktionsfähige Moleküle die „Ursuppe“ mehr und mehr anreicherten, bis komplexe Moleküle, Proteine und Nukleinsäuren entstanden. (Güntheroth 2001, 21f.) Schon Charles Darwin ging davon aus, dass sich Leben auf diese Weise gebildet habe. Auch Richard Dawkins meint, in einer „Ursuppe“ könnten sich aus chemischen Bausteinen immer wieder größere Moleküle gebildet haben. Irgendwann sei dann zufällig ein „bemerkenswertes Molekül“ entstanden, ein Replikator. Bei ihm handelt es sich um eine Einheit wie Gene oder Meme, bei denen sich erfolgreiche Individuen schneller vermehren als schwächere. Dawkins Replikator besaß demnach die außergewöhnliche Fähigkeit, sich selbst zu kopieren. Dieses Szenario sei zwar „mehr als unwahrscheinlich“, könnte sich aber zufällig „im Laufe sehr langer Zeiträume, vielleicht von hundert Millionen Jahren“ einmal ereignet haben. Jeder Baustein dieses Moleküls besaß demnach „eine Affinität für seine eigene Art“, wodurch gleichartige Bausteine aus der
Umgebung an ihnen hängen blieben. So wuchs das Molekül Schicht um Schicht, bis es an einer Stelle auseinanderbrach. Danach lagen zwei Replikatoren vor, welche weitere Kopien ihrer selbst produzierten. Diese breiteten sich über alle Meere aus, bis die chemischen Bausteine in der Ursuppe knapp wurden. Durch Kopierfehler entstanden Varianten des ersten Replikators, die um die knappen Ressourcen konkurrierten. So entstanden „immer vollkommenere Moleküle“ und „die Entwicklung hatte begonnen“. Dawkins schlussfolgert: „Ganz gleich, ob wir die frühen Replikatoren lebendig nennen oder nicht, sie waren die Vorläufer des Lebens, sie waren unsere Stammväter!“ (Dawkins 1997a, 56) Kritisch angemerkt wird von anderen Experten die Unwahrscheinlichkeit des ganzen Prozesses. Es sei unterhalb des Niveaus von RNS und Proteinen nicht möglich, selbst einen einfachen Replikator herzustellen. Man wisse nicht, so Werner Gitt, welche chemischen Verbindungen für die Bildung in Frage kämen. Selbst wenn sich in der Ursuppe Aminosäuren gebildet hätten, bliebe immer noch unklar, wie sich diese in einem nächsten Schritt „spontan zu sinnvollen, informationstragenden Kettenmolekülen“ zusammengefügt haben sollen. (Gitt u. a. 2010, 103f.) Für Ulrich von Kusserow bleibt unklar, wie sich die für Leben notwendigen Unterschiede in den Molekülkonzentrationen innerhalb der durch Gezeiten aufgewühlten Ozeane hätten herausbilden können. Bei der damals kürzeren Umlaufperiode der Erde um die Sonne und dem wesentlich näheren Orbit des Mondes hätten im Meer kaum langkettige Makromoleküle als Ausgangsstoffe für die Ausbildung der ersten Protozellen entstehen können. (Kusserow 2018, 451) Angesichts der Schwierigkeiten, die alle Hypothesen der Entstehung von Leben auf der Erde haben, halten es einige Forscher für möglich, dass das Leben gar nicht auf unserem Planeten entstand, sondern in den Weiten des Weltalls. Schauen wir uns also dort einmal um.
Die Hypothese der Panspermie: Sind wir selbst die Aliens?
Für und Wider die Hypothese einer Panspermie
Ob Leben auf der Erde oder durch Panspermie zustande kam bzw. zumindest beeinflusst wurde, ist für unser Selbstverständnis von erheblicher Bedeutung. Sind die Grundlagen für Leben in kalten intersolaren Nebeln zu finden, in heißen Tümpeln auf der Erde oder in den Tiefen der Ozeane? Was würde es für unser Selbstverständnis bedeuten, wenn das Leben oder seine Bausteine aus dem All stammten? Welche Variante ist angesichts der Vorgaben der Feinabstimmungen und des Anthropischen Prinzips plausibler? Sind wir Erdianer irgendwie Andersirdische oder gar selbst die Aliens, vor denen viele befürchten, sie könnten kommen, um uns auszurotten und unseren schönen Planeten zu übernehmen? Svante Arrhenius meinte schon vor hundert Jahren, Leben auf der Erde sei durch Mikroorganismen aus dem All gebracht worden. Seitdem ist ein Hauptargument für die Hypothese der Panspermie die Tatsache, dass es Leben auf der Erde schon sehr früh gab. Eine frühe „Urzeugung“ war aber nach Meinung der Befürworter einer Panspermie-Hypothese ohne Zufuhr organischer Moleküle aus dem Weltall unmöglich. (Allamandola/Bernstein/Sandford 1999, 26ff.) Die Bildung der für Leben unabdingbaren langkettigen Moleküle ist nach Meinung von Fred Hoyle innerhalb der vermuteten Zeit für die Entstehung von Leben durch chemische oder physikalische Wechselwirkung nicht erklärbar. Die Panspermie-Theorie vermeide dagegen die „enormen Unwahrscheinlichkeiten, mit denen sich ein jeder konfrontiert sieht, wenn er an einer Vorstellung festzuhalten versucht, die den Ursprung des Lebens auf die Erde konzentriert“. Das Universum in seiner Gesamtheit biete „viel reichere Möglichkeiten zur Lösung“ des Problems an „als es die engen Grenzen der terrestrischen Umwelt vermöchten“. (Hoyle 1984, 109.) Als Vorteil der Panspermie-Hypothese wird auf den wesentlich größeren Zeitrahmen für die Entstehung des Lebens und ebenso darauf verwiesen, dass so erklärbar sei, wie Leben das kosmische Bombardement auf der Erde überstanden hat. (Hubmann/Fritz 2015, 93-95) Was die These von der Entstehung des Lebens auf der Erde fragwürdig macht, ist, so auch Wolfgang Hebel, die Tatsache, dass es bis heute nicht gelungen sei, „weder eine lebende Zelle aus ihren inzwischen wohlbekannten atomaren und
molekularen Bestandteilen synthetisch herzustellen noch zu beobachten, dass ein primitiver Einzeller, wie zum Beispiel ein prokaryotisches Bakterium, sozusagen de novo entsteht“. Neue Organismen würden „offenbar immer nur als Nachkommen von gleichartigen Vorfahren geboren, die alle erforderlichen Kenntnisse besaßen, um junge Zellen entstehen zu lassen“. Auch auf der jungen Erde kamen die ersten lebenden Zellen demnach als Nachkommen anderer lebender Zellen zur Welt und bildeten sich „nicht von selbst im Schoß von Mutter Erde“. Schon die die archaischen Cyanobakterien verfügten über „eine DNS-Struktur, die nach dem gleichen Prinzip aufgebaut war und funktionierte wie die in den höher entwickelten, eukaryotischen Zellen“, die erst sehr viel später entstanden. In allen Urbakterien existierte demnach bereits das intelligente Grundwissen molekularer Selbstorganisation. Deswegen sei die These einer autonomen Entstehung von Leben auf der Erde durch chemischphysikalische Prozesse kaum noch haltbar. Hebel verweist auf Richard Moxon und Christopher Higgins, die meinen, dass prokaryotische Mikroorganismen wie E. coli bereits ganz am Anfang auf der Erde existierten, wahrscheinlich ab dem Zeitpunkt, als es flüssiges Wasser gab. Diese Bakterien verfügten demnach bereits über verschiedene intelligente Fähigkeiten und Verhaltensweisen, wie zum Beispiel über Gedächtnis, Entscheidungs- und Kommunikationsfähigkeit sowie Sex. Dies weise auf einen weit früheren Entstehungsort außerhalb der Erde hin. (Hebel 2006, 13, 25, 37, 46) Die Befürworter der Panspermie-Theorie teilen sich in zwei Gruppen. Einige meinen, fertiges Leben sei auf die Erde gelangt, andere, es habe sich nur um Bausteine des Lebens gehandelt. Beide können die Entstehung des Lebens nicht wirklich erklären. Die Entstehung von Leben bleibt so oder so ein großes Geheimnis.
Fertigleben aus dem All und Giordano Brunos These vom lebendigen Universum
Hinsichtlich der Hypothese, fertiges Leben sei aus dem All auf die Erde gelangt, gehen die Meinungen auseinander. Der Naturphilosoph Jochen Kirchhoff sieht in der Ablehnung der Hypothese, Leben sei im All entstanden und dort weit verbreitet, einen Komplott von Naturwissenschaftlern und katholischer Kirche. Intelligentes Leben gelte dort als „oasenhaft selten in der monströsen und betäubenden Himmelswüste“. „Christen und Kosmologen“ seien sich einig, dass im All „nicht viel zu holen“ sei. Er folge hingegen der Auffassung Giordano Brunos, dessen Lehre vom „alllebendigen, allbewussten Universum“ weder Christen noch „die naturwissenschaftlichen Matadore des toten Universums“ etwas abgewinnen könnten. Sollte intelligentes Leben überall möglich sein, wo bliebe dann „die Einzigartigkeit des Gekreuzigten“? Müsste es dann nicht unendlich viele „Erlöser“ geben, „für jede Menschheit auf den Myriaden Sternensystemen da draußen ein eigenes Jesuskind?“ Sollte Giordano Bruno Recht haben, wäre „die Singularität der irdischen Bühne dahin und sowohl das Christentum als auch die Kosmologie des toten Weltalls und der überwiegend toten Himmelskörper als Projektion unseres (erdperspektivisch verzerrten) Bewusstseins entlarvt“. Laut Bruno lebe sogar die tote Materie, allerdings anders, als wir „Erdlinge“ es „aus unserem beschränkten Blickwinkel vorstellen können“. Die „Brunosche Allbeseeltheit“ kenne keine Trennung von Lebendigem und Unlebendigem. Seine Vision eines „brodelnd lebendigen, hoch kommunikativen, vibrierend intelligenten und allbewussten Universums, vorgetragen in einer vulkanischen, leidenschaftlichen, ja erotischen Sprache“, sei vor 400 Jahren eine Herausforderung gewesen und sei es noch heute. Weder für die Kirche noch für die Naturwissenschaft stelle der „unendliche Weltseele-Raum“ eine integrierbare Größe dar. Die herrschende Kosmologie propagiere stattdessen „mit Inbrunst den rundum toten Raum“ ohne Leben und „damit ohne Weltseele“. Hier sieht Kirchhoff gar eine „geheime Achse der Anti-Bruno-Koalition von Christen und Mainstream-Kosmologen“. Beide vereine „die ideologisch motivierte Überzeugung von der Nichtexistenz der Weltseele, der Allgegenwart des Lebens“. (Kirchhoff 2000, 206-210)
Anders als Kirchhoff meint, gibt es aber durchaus Wissenschaftler, die davon ausgehen, dass es Leben im Kosmos gibt. Der bekannteste Vertreter ist Fred Hoyle, der meint, dass eine Lebenstheorie, „die das ganze Universum umspannt und nicht nur unsere winzige Ecke darin“, eine weit größere Chance habe, zu stimmen. Es sei denkbar, dass die entscheidendsten Komponenten des Lebens nicht von der Erde stammen. Er verbindet das Konzept der Panspermie mit der auch noch von Albert Einstein vertretenen Steady-State-Theorie, die von einem unendlichen Alter des Kosmos ausgeht, in dem es schon immer Leben gab. Höchstwahrscheinlich sei das genetische Material unserer Zellen, die DNSDoppelhelix, „eine Ansammlung von Genen, die von außerhalb auf die Erde gelangten“. (Hoyle 1984, 109.) Auch Francis Crick schließt uraltes intelligentes Leben im All nicht aus. (Crick 1982) Johannes V. Feitzinger sieht „ein Paradigma des klassischen Weltbildes ins Wanken geraten“, nämlich das einer Entstehung des Lebens auf der Erde. Leben sei im Universum weitverbreitet. Organische Moleküle seien „nicht nur alltäglich, sie sind allörtlich“. Die irdische Entwicklung sei „ein allgemeiner Fall für exterrestrische Entwicklung von Leben, sofern gleiche kosmische Umweltbedingungen vorhanden sind“. Das Universum sei geradezu darauf angelegt, organische Substanzen wie auf der Erde entstehen zu lassen. (Feitzinger 2002, 96-108) Jean Heidmann schließt zwar eine Entstehung des Lebens auf der Erde nicht ganz aus, meint aber, Leben basiere auf einem natürlichen Evolutionsprozess im Kosmos. Was sich auf der Erde ereignet habe, könne auch anderswo geschehen sein. (Zit. b. Hebel 2006, 20f., 44) Wolfgang Hebel verweist darauf, dass die Erzeugung und Nutzung des Tubulinproteins bei Prokaryoten und Eukaryoten gleich sei. Es habe sich während der Evolution des Lebens auf der Erde „im Grunde offensichtlich nicht verändert“. Dies spreche dafür, dass das „in der DNS enthaltene, intelligente Wissen wahrscheinlich älter“ sei als die Erde, denn prokaryotische Bakterienzellen gab es auf der Erde „praktisch schon von Anfang an“. Für Hebel verweisen „linksdrehende Aminosäuren“ auf deren kosmische Herkunft. Sie würden im Weltall unter der Wirkung von polarisiertem Licht gebildet. Alle Organismen auf der Erde besäßen ausschließlich linksdrehende Aminosäuren, das heißt, die atomaren Bestandteile dieser Aminosäuren seien „ausschließlich im linken Drehsinn aneinander gekettet, während bei der üblichen chemischen Synthese von Aminosäuren immer gleichviel links- wie rechtsdrehende Strukturen entstehen“. Offenbar sei „Leben linkshändig“. (Hebel 2006, 20, 45f.) Es könnten, so Paul Lüth, Fragmente von Himmelskörpern zur Erde gelangt
sein, auf denen es bereits Leben gab. Das Leben hätte sich dann „nur fortgepflanzt wie ein Krankheitskeim“. (Lüth 1981, 60) Auch Paul Davies hält es für möglich, dass es bereits Leben im Kosmos gab, bevor die Erde entstand und durch Panspermie befruchtet wurde. Notwendige Substanzen organischer Art und Wasser stünden überall im Universum zur Verfügung. Für Panspermie hätte das Überleben einer einzigen Bakterie ausgereicht, die zur Erde gelangte. (Davies 2000, 158, 240f., 265)
Wie und woher soll fertiges Leben auf die Erde gelangt sein?
Bekannt ist, dass kleinere Meteoriten beim Eintritt in die Erdatmosphäre verglühen. Daher stellt sich die Frage, wie fertiges Leben aus dem All den rasanten Sturz auf die Erde hätte überleben können. Beda Hofmann hält es für möglich, dass lebensfähige Mikroorganismen als blinde agiere im Innern von Meteoriten zwischen Himmelskörpern transportiert wurden, ein Prozess, der als Lithopanspermie bezeichnet wird. (Hofmann 2009. 167f.) Paul Davies schließt nicht nur nicht aus, dass fertiges Leben auf die Erde gelangt sei, ebenso könnten Mikroben aus der oberen Erdatmosphäre auch „zu anderen Sternsystemen davongetragen“ worden sein. Man wisse, dass zwischen Erde und Mars Gestein durch Vulkanismus und Asteroiden-Einschläge ausgetauscht wurde. Daher sei es „wahrscheinlich, dass Mikroben im Laufe einer Geschichte von 4,5 Milliarden Jahren viele Male eine Reise durchs Sonnensystem angetreten haben“. (Davies 2008a, 171) Laut Joseph L. Kirschvink könnten erste Lebensformen auf dem Mars entstanden sein, wo seinerzeit Wasser in größeren Mengen vorhanden war. Auf den Mars einschlagende Planetoiden schleuderten demnach immer wieder Felsbrocken in den interplanetaren Raum, die vermutlich mit frühen Lebensspuren durchsetzt waren. Solches Gestein sei durch die Gravitation der Erde eingefangen worden. (Zit. b. Kusserow 2018, 452f.)
Das Überleben einfacher Lebensformen im interstellaren Raum
Die Befürworter der Hypothese, fertiges Leben sei auf die Erde gelangt, sehen sich nicht nur mit der Frage konfrontiert, wie Leben unbeschadet auf die Erde gelangt sein könnte, ebenso unklar ist, wie mögliche Lebensformen zuvor im Kosmos überlebt haben sollen. Immerhin herrschen dort Temperaturen bis zu minus 273,15 Grad Celsius. Es gibt aber einige Indizien, welche die Möglichkeit eines Überlebens nicht ausschließen. So überlebten Bakterien der Art Streptococcus mitis, die versehentlich mit der Mondfähre Surveyor 3 auf den Mond gelangten, dort 31 Erdmonate. (Walter 1999, 117f.) Durch einen Unfall wurden zudem Tausende Bärtierchen auf dem Mond verstreut, als die israelische Raumsonde Beresheet mit extrem widerstandsfähigen Kleinstlebewesen an Bord zerschellte. Sie überstanden extreme Strahlung, Hitze sowie Kälte und kamen Jahrzehnte ohne Nahrung aus. (ARD, Tagesschau vom 7.8.2019) Mehrzellige Organismen wie Bärtierchen, sind zur Kryptobiose fähig, einem Zustand von Organismen, bei dem die Stoffwechselvorgänge extrem reduziert werden. Indem sie genau dies taten, könnten einige von ihnen unter Weltraumbedingungen überlebt haben. Auf russischen Satelliten wurden Behälter mit der Bakterienart Bacillus subtilis in eine Erdumlaufbahn gebracht und dort für zwei Wochen geöffnet. Nach der Rückkehr zur Erde hatten immerhin mehrere Promille der Ausgangspopulation die Zeit im Orbit ohne Abdeckung überstanden. (Göing 2018) Es gibt auch auf der Erde Organismen, die sich an extrem lebensfeindliche Orte anen können, so etwa Cyanobakterien und das extremophile Bakterium Deinococcus radiodurans. Ein anderes Bakterium mit dem Namen Desulforudis audaxviator lebt im Grundwasser einige Kilometer tief im Gestein und bezieht seine Energie aus Wasserstoffperoxyd und Wasserstoff, die durch natürliche Radioaktivität im Gestein gebildet werden. Auch lebende Organismen, die von der UV-Strahlung durch eine Staubschicht abgedeckt wurden, überlebten einige Jahre im Weltall. Im Permafrost konservierte Fadenwürmer wurden nach 40 000 Jahren wieder zum Leben erweckt. Bazillus-Bakterien lassen sich noch nach 250 Millionen Jahren wiederbeleben. (Göing 2018) Einzellige Lebewesen könnten sich innerhalb interstellarer Wolken, die einen Strahlungsschild bieten, zwischen den Sternen bewegt haben. (Davies 2008a, 171) Johann Deisenhofer meint,
obwohl UV-Strahlung Molekülstrukturen wie die DNS, beschädigen könne, müsste dies für lebende Zellen nicht tödlich sein. So sei das Enzym Photolyase darauf spezialisiert, molekulare Strukturveränderungen in der DNS, wie schädliche Querverbindungen von benachbarten Pyamidinbasen, die durch UVStrahlen verursacht werden, wieder zu reparieren. Die DNS-Strukturen so Wolfgang Hebel, seien „offenbar auch dem rauen Strahlungsfeld des Weltraums gewachsen“ und „nicht unverzichtbar auf den Schutzschirm einer Atmosphäre angewiesen“. (Hebel 2006, 20f.)
Bausteine des Lebens in galaktischen Molekülwolken und im Sonnensystem
Verbreiteter als die Hypothese einer Panspermie fertigen Lebens ist die, dass zwar kein fertiges Leben, wohl aber dessen Bausteine auf die Erde gelangten, aus denen sich dann irdisches Leben entwickelte. In den letzten Jahren rückten interstellare Wolken in den Fokus des wissenschaftlichen Interesses, nachdem dort organische Moleküle nachgewiesen worden waren. Diese Molekülwolken in den Spiralarmen der Galaxis ziehen mit etwa zehn Kilometern pro Sekunde alle 20 oder 30 Millionen Jahre durch unser Sonnensystem. Für eine Reise von Stern zu Stern benötigen sie etwa eine Million Jahre. (Davies 2000, 240f.) Von 150 Molekülen im interstellaren Medium sind 87 organisch. Zwischen den Sternen wurden organische Substanzen wie Ameisensäure, Alkohole, Zucker, Kohlenstoffketten und Kohlenstoffringmoleküle nachgewiesen, wie es sie auch im präsolaren Nebel gab, aus dem unser Sonnensystem entstand. (Feitzinger 2002, 96-108) Guido W. Fuchs spricht von „Brutstätten der organischen Materie“. Es existierten dort über 150 verschiedene Molekülarten. Die größeren von ihnen gebe es jedoch nur in den Zentren der Molekülwolken, wo sie von der UV-Strahlung abgeschirmt würden. Sie bestünden aus Wasser, Ammoniak, Methan und Kohlenmonoxid. In interstellaren Gaswolken wurden auch Aminosäuren nachgewiesen, die als Bausteine höherer Eiweißmoleküle auf der Erde hauptsächlich von Pflanzen erzeugt werden. (Fuchs 2012, 94f.) Ulrich von Kusserow weißt darauf hin, dass inzwischen mehr als 200 unterschiedliche Moleküle im interstellaren Raum nachgewiesen wurden. In Molekülwolken fand man langkettige Aminosäuren in Form einer spiegelverkehrten Molekülvariante, deren als Chiralität bezeichnete asymmetrische Eigenschaft von Bedeutung war. Es sei ungeklärt, warum viele für die Entwicklung des Lebens wichtige Moleküle homochiral sind und nicht in beiden Varianten auftreten. (Kusserow 2018, 449) Homochiral ist eine Gruppe von Molekülen, die den gleichen Chiralitätssinn besitzen. Das heißt, dass ähnliche Substituenten auf die gleiche Weise um ein zentrales Atom, das Chiralitätszentrum, angeordnet sind. Substituenten sind Atome oder eine Atomgruppe, die in einem Molekül ein Wasserstoffatom ersetzen. Organische Bausteine des Lebens wurden nicht nur in interstellaren Wolken
nachgewiesen, sondern auch im Sonnensystem. Mit Hilfe der NASA-Sonde Stardust, welche interstellare Staubteilchen analysierte, die in unser Sonnensystem gelangten, wurde nachgewiesen, dass sich darunter organische Riesenmoleküle befanden. (Feitzinger 2002, 100-108) Als sich unser Sonnensystem vor 4,6 Milliarden Jahren aus einer Molekülwolke bildete, könnte sich ein Teil des enthaltenen Eises zusammen mit Staub zu Kometen zusammengeballt haben. Diese „schmutzigen Schneebälle“ kollidierten dann mit der jungen Erde und verstreuten dort ihre organischen Verbindungen. (Blake/Jenniskens 2001, 28) Auch Mayo Greenberg sieht deutliche Hinweise dafür, dass die junge Erde zusammen mit dem gesamten Sonnensystem in der Frühzeit durch Wolken von kosmischem Staub hindurch zog, die auch organische Materie enthielten. (Zit. b. Hebel 2006, 50)
Kometen und Meteoriten als Transporteure von Bausteinen des Lebens
Auf die junge Erde gelangten beim Großen Bombardement 10²² Gramm Kohlenstoff. Die Erdoberfläche war mit organischem Material geradezu bedeckt, darunter befanden sich Fette, Kohlehydrate, Pigmente sowie Grundstoffe der Nukleinsäuren und Proteine. (Pflug 1984, 134-136) Kometen gehören zu den ältesten Bestandteilen des Sonnensystems. Es handelt sich um Materie, die bei der Entstehung der Planeten nicht gravitativ angezogen wurde und sich seitdem frei im Raum bewegt. Staubteilchen von Kometen könnten beim Kontakt mit Wasser auf der Erdoberfläche als Starter-Kit für das Leben gewirkt haben. (Kissel/Krueger 2000, 64ff.) In der Nebelhülle des Kometen Tschurjumov-Gerassimenko wurden die Aminosäure Glycin sowie die organischen Verbindungen Methyl, Ethylamin, Schwefelwasserstoff, Blausäure und Phosphor nachgewiesen. In Sonnennähe gaste der Komet Verbindungen aus, die so zur Erde gelangten. (SdW 7/2016) Auch die Kometen Hyakutake, benannt nach dem japanischen Astronomen Yūji Hyakutake und Hale-Bopp enthalten diverse organische Moleküle. In Schweif und Koma der Kometen konnten organische Moleküle nachgewiesen werden. (Allamandola/Bernstein/Sandford 1999, 26ff.) Ebenso enthält der Halleysche Komet Kohlenstoff, Wasserstoff, Stickstoff und Schwefel. Ein Drittel der Staubkörner, die dem Kopf des Kometen entströmen, ist organisch, darunter Benzol, Methanol und Essigsäure, aber auch Bausteine von Nukleinsäuren. (Davies 2000, 165f.) Neben Kometen spielten auch auch verschiedene Meteoriten, insbesondere Kohlige Chondrite, eine Rolle. Diese enthalten einfache organische Moleküle. Laut Dmitry Semenov stellen Kohlige Chondrite fünf Prozent der Einschläge dar. Im Schnitt enthalten sie 22 Prozent Wasser und fünf Prozent kohliges Material. Der Asteroideneinschlag bei Tscheljabink im Jahr 2012 beweise, dass auch größere Meteoriten auf die Erde fallen und in Wasser erhalten bleiben können. (Zit. b. Wolf, Fabian 2021) Immer wieder gab und gibt es bis heute Asteroideneinschläge. Am 7. November 2020 ging nordwestlich von Stockholm ein fast 14 Kilogramm schwerer Eisenmeteorit nieder. Am 5. Januar 2021 schlug in Norwegen nördlich von Oslo ein Meteorit ein, der sich mit mehr als 50 000 Kilometern pro Stunde gen Boden bewegte und ca. zwei Kilogramm schwer war.
Nördlich der englischen Stadt Cheltenham ging 28. Februar 2021 ein Meteorit nieder, der mit rund 48 000 Kilometern pro Stunde unterwegs war. (tagesschau.de vom 1.3.2021) Dies waren nur einige zufällig beobachtete Fälle. Ebenso könnten eisenhaltige Meteoriten für den Beginn des Lebens wichtig gewesen sein. In ihnen befinden sich häufig phosphorhaltige Minerale, die eine Voraussetzung für die Bildung von RNS und DNS sowie für den Energie- und Stoffwechsel waren. (Hubmann/Fritz 2015, 93-95) In dem 2012 in der Sierra Nevada niedergegangenen Sutter‘s-Mill-Meteorit, einem Kohligen Chondriten, wurden aromatische Verbindungen sowie komplexe, polyether- und esterhaltige Alkylmoleküle gefunden, die „an Vorstufen der Chemie des Lebens erinnern“. (Hubmann/Fritz 2015, 93-95) Ansgar Greshake meint, manche seien sogar „so organisch, dass sie nach Benzin riechen“. Sie hätten exakt dieselbe chemische Zusammensetzung wie die Sonne und sich seit der Entstehung des Sonnensystems nicht verändert. (Zit. b. Wolf, Fabian 2021) Ein Meteorit, der bei der australischen Ortschaft Murchison einschlug, enthält Aminosäuren und mehrere chemische Basen als Bausteine der DNS. Hinzu kommen 100 verschiedene Kohlenwasserstoffe, eine Vielzahl unterschiedlicher Aminosäuren, sowie auch die vier Basen Adenin, Thymin, Guanin und Cytosin. (Kusserow 2018, 453) Der Meteorit beweise, so Paul Davies, dass es Objekte im Weltraum gibt, die große Mengen der organischen Verbindungen enthalten, welche erforderlich waren, um das irdische Leben in Gang zu setzen. Es sei keine Ursuppe für die Entstehung der Bausteine des Lebens notwendig gewesen, die erforderlichen Substanzen seien „fertig vom Himmel“ gefallen. (Davies 2000, 242f.) Laut Wolfgang Hebel wurde im Murchison-Meteoriten Fossilien von Aminosäuren entdeckt, die wegen ihrer ungewöhnlichen Isotopenverhältnisse von stabilem Kohlenstoff und Stickstoff „eindeutig extraterrestrischen Ursprungs“ sind. Sie zeigten alle die gleiche chemische Linkshändigkeit (Chiralität) wie die Aminosäuren irdischer Organismen. Rechtsdrehende Aminosäuren kommen in lebenden Zellen nicht vor, „da sie wegen ihres umgekehrten Drehsinns, beziehungsweise wegen ihrer Spiegelsymmetrie nicht in den Architekturplan unserer Biomoleküle hineinen“. (Hebel 2006, 23) Richard Fortey ist ebenfalls davon überzeugt, dass Meteoriten „zweifellos“ die „Saat des Lebens“ zur Erde brachten. Das Zubehör sei jedoch „mit großer Wahrscheinlichkeit auf Erden zusammengekocht“ worden. Die frühen Meteoriten waren jedenfalls „keine Kräfte der Zerstörung“, sondern „Teil einer
Schöpfung“ von Leben auf der Erde. Sie waren „so etwas wie steinerne Päckchen, die dem wachsenden und wilden jungen Planeten zugestellt wurden. Wenn sie beim Aufschlag zerschmolzen, bescherten sie der werdenden Welt ihre Gaben.“ (Fortey 2002, 43, 59f.) Queenie Chan berichtet von untersuchten Meteoriten mit blauen Salzkristallen auf ihrer Oberfläche. In ihnen befand sich flüssiges Wasser, das „genau wir unser Trinkwasser“ ist. Daneben gab es eine ganz Reihe unterschiedlicher organischer Verbindungen wie Aminosäuren, organische Feststoffe und ein 4,6 Milliarden Jahre altes Kohlenstoffmakromolekül. Sie findet besonders das Wasser darin „aufregend“, weil es zeige, dass es da, wo der Meteorit herkommt, Material für Leben gibt. (Zit. b. Wolf, Fabian 2021) Eine weitere Interpretation bietet Neil DeGrass Tyson an. Als große Asteroiden den Planeten alle paar Millionen Jahre bombardierten, habe jede Kollision die Erde für Jahrtausende sterilisiert. Bei jedem Einschlag seien aber auch Millionen Gesteinsbrocken ins All geworfen worden, die schon existente Bakterien enthielten. Während auf der Erde alles Leben vernichtet wurde, sei Jahrtausende nach jedem Einschlag ausreichend abgekühlte Meteoriten samt Bakterien zurück auf die Erde gekommen. Das Leben musste dadurch nicht nach jeder Katastrophe bei Null anfangen, sondern „konnte dort weitermachen, wo es aufgehört hatte“. (DeGrass Tyson 2021)
Wie überlebten die Bausteine den Sturz durch die Atmosphäre und den Aufprall auf die Erde?
Nicht nur bei fertigen Lebensformen, die auf die Erde gelangt sein sollen, stellt sich die Frage, wie sie den Sturz durch die Atmosphäre überleben konnten. Dies gilt auch bei Bausteinen des Lebens. Jeder größere Einschlag, so Paul Davies, war „ein ausgesprochen gewaltsames Ereignis“, das eher dazu angetan war, organisches Material zu vernichten, als zu spenden. Kleine Objekte, die mit hoher Geschwindigkeit in die Erdatmosphäre eintauchten, verbrannten meist vollkommen. Größere Projektile schlugen mit solcher Gewalt auf den Erdboden auf, dass sie explosionsartig zerstoben. Organische Materie konnte den Erdboden trotzdem unbeschadet erreichen, wenn Geschossmasse und Einfallswinkel stimmten. Denkbar sei, dass Staubkörner als Vehikel organischer Substanzen dienten. Die meisten organischen Stoffe fielen demnach „in kleinen Portionen wie Manna vom Himmel“. (Davies 2000, 165-167) Eiskometen und Chondriten zerplatzen beim Eintritt in die Atmosphäre und konnten so „auf relativ sanfte Weise intakte Bakterien oder Sporen an die Erde freigeben“. (Walter 1999, 117f.) Aminosäuren könnten mit kosmischem Staub auf die Erde gerieselt oder gar als „blinde agiere“ mit Meteoriten und Kometen gekommen sein. (Güntheroth 2001, 21f.) Die Substanzen und Rohstoffe für komplexere Biomoleküle „regneten jedenfalls in ausreichenden Mengen herab, um an der Erdoberfläche miteinander verkettet zu werden“. Bis heute gelangen täglich etwa 30 Tonnen organischer Kohlenstoffverbindungen auf die Erde. (Allamandola/Bernstein/Sandford 1999, 26ff.)
Argumente der Gegner einer Panspermie-Hypothese
Gegner der Panspermie-Hypothese meinen, sie erkläre die Entstehung des Lebens nicht, sondern verlagere das Problem lediglich auf andere Orte und Zeiten. Selbst wenn das Leben aus dem All stamme, bleibe die Frage unbeantwortet, wie es dort entstanden sei. Deshalb geht Christian de Duve auch eher davon aus, dass sich das Leben auf der Erde bildete. (de Duve 1995, 68f.) Stephen Hawking hält es für unwahrscheinlich, dass DNS die Strahlung im Weltraum lange überlebte. Und selbst wenn, würde dies nicht zur Erklärung des Ursprungs des Lebens beitragen, denn der ab der Bildung von Kohlenstoff in explodierten Sternen zur Verfügung stehende Zeitraum sei nur etwas mehr als doppelt so lang wie das Alter der Erde. (Hawkins 2005, 19f.) Auch andere Naturwissenschaftler meinen, die Hypothese der Panspermie erkläre nicht, wie Leben irgendwo in unserem Universum entstanden sei. (Walter 1999, 118f.) Je weiter man in der Zeit zurückgehe, so Peter Ulmschneider, desto einfachere Organismen finde man. Für ihn ist das „ein klares Indiz“ dafür, dass das Leben auf der Erde entstand. Wäre es „eingewandert“, würde es wohl bereits eine weitaus kompliziertere Struktur besessen haben. (Ulmschneider 2014, 140f.)
11. Die biologische Evolution zum Menschen zwischen Quantenphysik, NeoDarwinismus und Intelligent Design
Die Rolle von Quantenphysik, Feinabstimmung und Entropie bei der Evolution
Quantenphysik und Darwinismus
Die Entstehung des Lebens und dessen Evolution sind „zwei Paar Schuhe“. Als wäre es nicht schon rätselhaft genug, wie Leben entstehen konnte, so tun sich mit der biologischen Evolution weitere Fragen auf. (Erben 1975, 81-84) Die Darwinsche Evolution konnte nach Meinung von Richard Dawkins erst „fröhlich voranschreiten“, als es Leben bereits gab. (Dawkins 2007b, 192) Weniger fröhlich dürften diejenigen Biologen dreinschauen, die wegen ihres Festhaltens an der darwinistischen Abstammungslehre bei der Evolution des Lebens im Halbschatten herumstochern, kaum mehr als Hypothesen anbieten können und sich heftiger Kritik ausgesetzt sehen. Nach Meinung von John C. Eccles versagt Darwins Theorie, weil sie nicht in der Lage ist, die Existenz eines jeden Menschen als einzigartiges, sich selbst bewussten Wesens zu erklären. Immerhin sei die Menschheit eine einmalige Ansammlung von derzeit mehr als 7 754 Milliarden mesokosmischer menschlicher Singularitäten. Er verweist zudem darauf, dass sich in der Evolution nicht immer die Stärksten, sondern oft auch schwache Lebensformen durchgesetzt haben. Immer wieder seien „Sackgassen“ vermieden worden, in dem sich Arten, die weniger tauglich, weniger konkurrenzfähig und weniger leistungsfähig waren, sich weiterentwickelten. Überlegene Arten seien hingegen öfters daran gehindert worden, die Erde für immer zu beherrschen. Als Beispiel nennt er die Fische, die als unsere Vorfahren zur Roten Linie gehören. Sie waren „jämmerliche Schwimmer“, die mit den „Rennern der Ozeane“ nicht mithalten konnten. Dadurch wurden sie gezwungen, das Wasser zu verlassen und amphibisch zu werden. (Eccles 1979, 71, 96) In einer ähnlichen Situation befanden sich die Säugetiere auf der von Dinosauriern dominierten Erde, die dank ihrer relativen Schwäche überlebten. Für Joachim Illies ist der Darwinismus „trotz mancher Wiederbelebungsversuche eigentlich längst tot“ sei. (Illies 1983, 46, 55) Auch Fred Hoyle lehnt aus Sicht der von ihm vertretenen Hypothese einer Panspermie den Darwinismus ebenfalls ab. (Hoyle 1984, 109) Darwins Evolutionstheorie, so ebenfalls Henning Kahle, sei für „wissenschaftsgläubige“ Menschen zu einer Art „Ersatzreligion“ geworden, obwohl die Evolutionsforschung zentrale Aussagen des Neodarwinismus nicht bestätigt habe. (Kahle 1984, 159-162) Viele
„Ultradarwinisten“, so Simon Conway Morris, „vibrieren geradezu vor religiöser Inbrunst“. Richard Dawkins sei „Englands frömmster Atheist“. Dessen „Ultradarwinismus“ mute an wie eine „säkulare Religion“. (Morris 2008, 249) Martin Rhonheimer wirft Dawkins vor, den Neodarwinismus zu einer „umfassenden atheistischen Weltanschauung erheben“ zu wollen und der Selektion die „Rolle des universalen und entscheidenden Gestaltungsfaktors überhaupt aller Seinsbereiche“ zuzusprechen. (Rhonheimer 2016, 19) Ein Grund für die unzureichende Erklärungskraft von Darwins Evolutionstheorie sieht Dürr darin, dass zu seiner Zeit die genetischen Informationsträger RNS und DNS noch unbekannt waren. Der klassisch fundierte Darwinismus basiere auf einem „auf Zufall beruhenden Würfeln und einer Auslese erst ganz am Ende einer komplizierten Prozesskette“. Das sei für die Erklärung biologischer Prozesse jedoch „viel zu lang“. Hier baue die Quantenphysik eine rettende Brücke, indem sie zeige, dass die „Beteiligten an diesem kosmischen Spiel nicht unabhängig voneinander sind, sondern sozusagen einander kennen. Was hier miteinander spielt, gehört zum selben System.“ Ohne eine solche starke Korrelation komme man auf dem Pfad von Versuch und Irrtum nicht weit und könne kaum erklären, wie in nur 3,5 Milliarden Jahren komplexe Wesen wie Menschen hervorgebracht werden konnten. (Dürr 2004, 125f.) „Ich bin davon überzeugt“, so Rolf Froböse, „dass die Evolution kein Zufall war, sondern vielmehr die Folge eines kosmischen Quantenphänomens, das in seiner „religiösen Bedeutung auch als Schöpfungsakt bezeichnet“ werden könne. (Froböse 2008, 114) Lothar Schäfer meint, die biologische Forschung zeige, dass genau die aus Darwins Theorie folgenden Thesen fragwürdig seien, die im Gegensatz zur Quantenwirklichkeit stehen. Aus der Natur der Wirklichkeit in Form von Quantenphänomenen ließen sich Schlüsse für die Evolution des Lebens ziehen, die den zentralen Thesen des Darwinismus widersprechen. Das Problem an Darwins Theorie bestehe darin, dass sie wie Newtons Physik angesichts des damaligen Standes der Forschung, nur eine unvollständige Beschreibung der Wirklichkeit liefern konnte. Heute wisse man, dass die Entwicklung des Lebens von einer „virtuellen, nicht-empirischen Ordnung geleitet“ werde. Das Leben sei „eine Manifestation der kosmischen Ordnung“. Die biologischen Systeme existierten an der Nahtstelle zwischen Potenzialität und Realität und seien durch Prinzipien gekennzeichnet, die „gleichzeitig in beiden Bereichen aktiv“ seien. Biologische Systeme sind demnach „primäre Zentren, in denen sich die virtuelle Ordnung des Universums auf eine Weise aktualisiere“, wie nirgendwo sonst in den Strukturen der Realität. (Schäfer 2009,
295-312) Auch Joachim Bauer charakterisiert biologische Prozesse als Quantenprozesse. Sie seien einerseits Gesetzmäßigkeiten unterworfen, andererseits wiesen aber alle biologischen Systeme Spielräume auf, so dass Prozesse im Einzelfall unterschiedlich ablaufen konnten. (Bauer 2010, 72)
Die Bedeutung der Feinabstimmung für die biologische Evolution und die Interpretation von Leben als Auflehnung gegen die Entropie
Nach Meinung von John Hand war die biologische Evolution nur möglich, „weil die praktisch unbegrenzten Wechselwirkungen von Materie und Energie durch eine Reihe physikalischer und chemischer Gesetze eingeschränkt waren“ und zudem „sechs kosmologische Parameter, zwei dimensionslose Konstanten und drei Parameter der Nukleosynthese genau die richtigen Werte“ haben. Auf Empirie basierende Wissenschaft könne nicht erklären, warum alle physikalischen und chemischen Gesetze ihre für Leben notwendigen Werte aufweisen und auf der Erde „höchst unwahrscheinliche und ungewöhnliche Faktoren zusammentrafen, die alle zusammen die für unsere Evolution erforderlichen Bedingungen schufen.“ (Hands 2018, 789f.) Stefan Bauberger verweist darauf, dass die Welt „weit vom Gleichgewichtszustand entfernt“ sei. Im Urknall müsse „ein Universum mit sehr niedriger Entropie entstanden sein“. Roger Penrose habe gezeigt, dass daraus die Verteilung der ersten Materie im Universum resultierte. „In Verbindung mit der Gravitationskraft war die annähernde Gleichverteilung der Materie im Urknall ein Zustand extrem niedriger Entropie. Deshalb gibt es einen Zeitpfeil im Kosmos. Nur deshalb ist auch Leben möglich, das nämlich nur in Systemen weit ab vom Gleichgewicht entstehen und existieren kann.“ (Bauberger 2003, 138) Bemerkenswert ist, wie einige Experten das Verhältnis der Entstehung und Evolution des Lebens als gegen die Entropie gerichtete Tendenz beschreiben. (Benz 1997, 113f.) Evolution sei, so Joachim Ilies, „ein der Entropie entgegenlaufender, die Wahrscheinlichkeitsverteilung von Materie und Energie umkehrender Prozess“. (Illies 1983, 85) In lebender Materie herrscht nach Meinung von Wolfgang Hebel ein Zustand höherer physikalischer Ordnung als in gewöhnlicher Materie. Ihre Teilchen versinken nicht im natürlichen Chaos einer ungeordneten Umwelt, sondern funktionieren gleichsam „vernünftig“. (Hebel 2006, 3, 18, 44) Auch Ulrich C. Schreiber meint, dass Leben wehre sich gegen die Entropie. (Schreiber 2019, 61) Dagegen ist Ilya Prigogine überzeugt, dass sich Leben nicht im Gegensatz zu den Prinzipien der Thermodynamik befinde. Es lebe vielmehr fern vom
Gleichgewicht, da es mehr Entropie erzeuge als es dem natürlichen Zerfall entspricht, und baue daraus innere Ordnung auf. (Zit. b. Fischer 2003, 52) Laut Hans-Jürgen Fischbeck war es lange ein Rätsel, „wie das Leben seine hoch komplexe Ordnung gegen den Trend des Zweiten Hauptsatzes der Thermodynamik zur ständigen Zunahme der Unordnung, deren Maß die sog. Entropie ist, aufrechtzuerhalten vermag.“ Aber dies lasse sich im Rahmen von Physik und Chemie im Einklang mit der Entropie erklären. Lebende Systeme lebten „von einem ständigen Durchfluss von Stoffen und Energie“ und könnten so ihre Ordnung durch die „Umwandlung von arbeitsfähiger (geordneter) Energie in ungeordnete Energie (Wärme)“ aufrechterhalten. Leben sei somit „nur fern vom thermodynamischen Gleichgewicht durch Entropie-Export in die Umgebung möglich“. (Fischbeck 2005, 27) Lebewesen, so David Christian, seien nicht bereit, die Regeln der Entropie iv hinzunehmen. Sie wehrten sich „wie dickköpfige Kinder“ und probierten Bewältigungsstrategien aus. Leben suche ständig nach neuen Energieflüssen, um seinen Zustand aufrechtzuerhalten. Im unablässigen Bemühen, die Entropie zurückzudrängen, repräsentiere das Leben eine Komplexität neuer Ausprägung. Er stellt die Entstehung sich selbst reproduzierender Moleküle in den Zusammenhang kosmischer Prozesse, wenn er meint, die Energie habe in lebenden Organismen eine neue Funktion gefunden, die es in Sternen nicht gibt, denn sie stellen Kopien der Zelle her. Sie könnten sich gegen die Entropie wehren, indem sie ihre komplexen Strukturen selbst nach dem Tod individueller Zellen bewahren. Jede Zelle habe zwei Aufgaben: „Bleibe trotz Entropie und unberechenbarer Umgebungen am Leben; und fertige Kopien deiner selbst an, die dazu ebenfalls in der Lage sind“. Dieses Bemühen sei der „Ursprung von Ver-langen, Fürsorge, Zweckbestimmtheit, Ethik und sogar Liebe“. (Christian 2018, 88-112)
Mikro- und Makroevolution zwischen Konvergenz und Emergenz
Mikroevolution ist die evolutionäre Entwicklung innerhalb einer biologischen Art und eines kurzen Zeitraumes. Sie umfasst kleinere Veränderungen, die durch Mutationen, Rekombinationen und Selektionsprozesse zu einer veränderten Morphologie oder Physiologie führen. Makroevolution bezeichnet hingegen Evolution durch Selektion zwischenartlicher Variationen. Diese Auffassung hat das ursprüngliche Verständnis der Makroevolution als Evolution von Taxa oberhalb des Artniveaus ersetzt. Taxa bezeichnen in der Systematik der Biologie Einheiten, die entsprechend bestimmter Kriterien eine Gruppe von Lebewesen zugeordnet werden. In der von Simon C. Morris entwickelten Konvergenztheorie wird davon ausgegangen, dass makroevolutionäre Entwicklungen wie Flügel, Flossen oder Intelligenz zwangsläufig zustande kommen mussten und auf alternativen Wegen konvergent, das heißt unabhängig voneinander, mehr als einmal entstanden. Als Beispiel nennt er die Flügelentwicklungen von Vögeln oder Hautflüglern sowie die Linsenaugen der Tintenfische, die ähnlich aufgebaut sind wie die Augen von Fischen, Vögeln, Reptilien und Säugetieren. Dabei sind Tintenfische nicht mit den Wirbeltieren verwandt, sondern Weichtiere. Linsenaugen seien im Laufe der Evolution mindestens sechs Mal unabhängig voneinander entstanden. Morris postuliert daher eine „Allgegenwart der evolutionären Konvergenz“ und konstatiert „die hartnäckige Angewohnheit der biologischen Organisationsprozesse“ für ein bestimmtes „Bedürfnis“ immer wieder gleichartige „Lösungen“ zu finden. Dabei ließen sich emergente Eigenschaften des Systems nicht auf Eigenschaften der Elemente zurückführen, die diese isoliert aufweisen; Emergenz bezeichne vielmehr die Möglichkeit der Herausbildung neuer Eigenschaften oder Strukturen eines Systems infolge des Zusammenspiels seiner Elemente. „Was möglich ist, ist demnach mehr als einmal wirklich geworden.“ (Morris 2008, 14f.) Die Konvergenz als Wiederverwendung von Bauteilen trägt nach Meinung von Reinhard Junker typische Designer-Merkmale. Aus der Perspektive eines Designers stelle sich das Konvergenzproblem nicht. (Junker 2002, 113) Hinsichtlich der menschlichen Evolution könnte die Konvergenztheorie die Hypothese einer multiregionalen Entwicklung verschiedener Ausformungen von
Homo erectus hin zum Homo sapiens, Homo Neanderthalensis und Denisovaner stützen.
Zufall, Kontingenz, Chaos, Gesetzmäßigkeiten und Quantenzustände
Im Nachhinein lässt sich die biologische Evolution zum Menschen in vielerlei Hinsicht beschreiben. Die retrospektive Rote Linie hilft, diesen Weg zu finden. Kein fiktiver Beobachter hätte hingegen vor 50 Millionen Jahren die Entwicklung vorhersagen können. (Hemminger 1993, 175) Das liegt nicht nur an Erkenntnisschranken, sondern an der Kontingenz des Geschehens, dessen Ablauf so lange nicht feststand, bis es tatsächlich eintrat. Könnte man die Evolution nochmals ablaufen lassen, würde der Schritt von der pro- zur eukaryotischen Zelle vielleicht nicht zwei, sondern zwölf Milliarden Jahre dauern, und die Stromatolithen wären „die höchstentwickelten stummen Zeugen des Weltuntergangs“. (Gould 1991, 350f.) Niemand käme dann auf die Idee, von einem Anthropischen Prinzip zu sprechen. Es wäre aber auch niemand da, der ein „Stromatolithisches Prinzip“ postulieren könnte. Die Entwicklung selbstbewussten Lebens war so unvorhersehbar und der Verlauf der Evolution zum Menschen so unwahrscheinlich, dass es für John C. Eccles unmöglich allein das Werk des Zufalls und mechanischer Gesetze gewesen sein kann. (Eccles 1979) Zwar gab es, so auch Franz M. Wuketits, in der Evolution Zufälle, aber nur innerhalb bestimmter Gesetzmäßigkeiten, wodurch sich die Wirksamkeit des Zufalls schon etwas reduzierte. (In: Dürr 1997, 82f.) Auch für Lothar Schäfer sind Ordnung und Komplexität der Biosphäre nicht das Werk von Zufall oder Chaos. Sie kommen auch nicht aus dem Nichts, sondern entstehen durch die Aktualisierung virtueller Quantenzustände, deren Ordnung schon lange feststeht, bevor sie wirklich werden. (Schäfer 2004, 15) Für Alexander Demandt resultieren unverwirklichte Möglichkeiten im belebten und unbelebten Naturgeschehen aus dem statistischen Charakter der Naturgesetze. Sie verleihen der Ereignisfolge Wahrscheinlichkeit, nicht aber Notwendigkeit. (Demandt 2011, 50) Ansätze zum Verstehen der Evolution bietet auch die Chaos-Theorie. Überall, so Günter Küppers, entdecke man hinter der glatten Fassade der Ordnung „den unruhestiftenden Geist der Unordnung“. Chaotische Systeme seien deterministischen Gesetzmäßigkeiten unterworfen, aber ihre Entwicklungen aufgrund der sensitiven Abhängigkeit von den Anfangsbedingungen zufällig.
Voraussetzung für die Selbstverstärkung kleiner Abweichungen sei, wie beim Schmetterlingseffekt, eine instabile Situation. Erst dann könne eine mikroskopisch kleine Störung zu einer makroskopischen Veränderung führen. Am Anfang benachbarte Zustände seien schon nach kurzer Zeit beliebig weit voneinander entfernt. Im Chaos seien Zufall und Notwendigkeit vereint. (Küppers 1996, 149, 168-170) Beide Faktoren entschieden maßgeblich mit, wer Gewinner und Verlierer im Evolutionsprozess wurde. (Reichert 1999, 410)
Zur Rolle von Mutation und Selektion in der Evolution
Von zentraler Bedeutung in Darwins Evolutionstheorie ist das Wechselspiel von Mutation und Selektion. Die Quantenphysik hat auch hier die Sichtweisen verändert. Molekulare Vorgänge, die zu Mutationen führen, gelten heute als Quantenprozesse, die in Quantensprüngen vor sich gehen und von den Eigenschaften der Quantenzustände abhängen, die daran beteiligt sind. (Schäfer 2004, 16) Kritik an Darwin kommt diesbezüglich von verschiedenen Seiten. Joachim Illies verweist darauf, dass die Hypothese einer zufälligen Mutation unbeweisbar ist. (Illies 1983, 46, 55) Für Henning Kahle führten Mutationen zwar zu Veränderungen im Genotyp, bewirken aber fast ausschließlich Störungen oder Schädigungen des Organismus. Die seltenen positiven Mutationen stellten „spezielle Anungen ohne echten evolutiven Wert“ dar. (Kahle 1984, 159-162) Genetische Veränderungen mit großen Auswirkungen fanden zwar häufig statt, führten aber „fast ausschließlich zu nicht oder nur sehr eingeschränkt lebensfähigen Varianten mit schweren Missbildungen, welche die natürliche Auslese sofort von der Bildfläche verschwinden“ ließen. (Ganten/Deichmann/Spahl 2003, 74) War „fressen und gefressen werden“ also tatsächlich einer der zentralen Antriebe der Evolution? (Ganten/Deichmann/Spahl 2003, 53) Die Entwicklung des Lebens, so Lothar Schäfer, beruhe nicht auf den Machenschaften „egoistischer Gene“, wie Dawkins behaupte, vielmehr seien die biologischen Grundprinzipien der Genome Kooperation, Kommunikation und Kreativität. Wenn die Natur der Wirklichkeit eine unteilbare sei, dann scheine es unwahrscheinlich, dass die Entwicklung des Lebens primär auf den Prinzipien von Abtrennung und Ausgrenzung beruht. Kooperation und die Bereitschaft zu teilen waren auch bei den weiteren Entwicklungen der Komplexität notwendig, so etwa bei der Bildung mehrzelliger Lebewesen aus Einzelzellen und bei der Bildung von Gruppen und Staaten durch Individuen. (Schäfer 2009, 303f.) In der Regel sind Mutationen für den Organismus schädlich. Sie bringen keinen Selektionsvorteil, sondern „werden als Defekte und Krankheiten wegselektioniert“. Deswegen sei es zweifelhaft, ob die natürliche Selektion wirklich der zentrale und einzige Antrieb der Evolution war. (Rhonheimer 2016, 21-23) Christian de Duve meint, die Evolution sei „manchmal fast zum
Stillstand“ gekommen, ehe sich eine „richtige Mutation“ ereignete. Diese spielten zwar eine wichtige Rolle, aber nur, wenn die Umstände es verlangten. Die „richtigen Mutationen“ seien nicht die Folge des Eingreifens „irgendeiner Macht“, welche „die richtige Mutation erzeugte, weil sie gebraucht wurde“, vielmehr seien die Mutationen, welche die Proteine entstehen ließen, an sich „recht unspektakuläre Ereignisse, die zufällig den Jackpot trafen, als die Zeit reif war“. Hätte es andere Mutationen zuerst gegeben, wären andere Verzweigungen entstanden, die sich „in andere Richtungen weiterentwickelt“ hätten. (de Duve 1995, 452f.) Fred Hoyle erinnert daran, „wie unvorstellbar langsam sich die genetische Information durch Versuch und Irrtum ansammelt“. Allein um die richtige Sequenz von zehn Gliedern mittels fehlerhafter Kopien zu erhalten, müsse die DNS im Durchschnitt etwa einhunderttausend Milliarden Kopien von sich anfertigen. Wenn 100 Millionen Angehörige einer Spezies sich an der Produktion beteiligten, würde es „immer noch eine Million Generationen in Anspruch nehmen, bis auch nur bei einem einzigen Nachkommen die notwendige Umlagerung erfolgt wäre“. Bei 100 Gliedern wäre „die Generationenanzahl unerreichbar hoch, da kein Organismus rasch genug kopiert, um eine solche Leistung erbringen zu können“. Angesichts der Zahlen sei die Situation für Neo-Darwinisten „hoffnungslos“. Gene könnten im Lauf der Entwicklung zwar geringfügig modifiziert werden, die Evolution spezifischer Sequenzen von DNS-Gliedern mit beachtlicher Länge sei aber mit Sicherheit nicht möglich. (Hoyle 1984, 110.) Auch Gerhard Vollmer stellt Veränderungen durch „zufällige InformationsPannen“ in Frage. Aus Sicht der Polymer-Chemie gebe es eine zuverlässige Polymerisation der DNS eines Bakteriengenoms mit der Wahrscheinlichkeit von 1 zu 10¹ , also „mit einer ans Groteske grenzenden Unwahrscheinlichkeit“. (Zit. b. Illies 1983, 55f.) Joachim Illies bestreitet die von Darwin postulierten Großmutationen. Selektion und Isolation könnten „aus einem Gemisch von Mutanten nur auslesen“, was darin durch unbekannte Ursachen enthalten ist. (Illies 1983, 46, 55) Wegen der Ungerichtetheit und Zufälligkeit der Mutationen ist auch für Henning Kahle die Wahrscheinlichkeit einer „Entstehung von Bauplanstrukturen, komplexen Organen, koordinierten Verhaltensabläufen usw. durch Mutationen praktisch gleich Null“. Selbst die Annahme riesiger Evolutionszeiträume ändere nichts an der „hochgradigen Unwahrscheinlichkeit“. Die Mutation könne nicht länger als „Hauptgrundlage evolutiv wirksamer genetischer Veränderungen“ angesehen werden. Auch Selektion, Isolation und
Mutabilität, also die Veränderlichkeit von Genen durch Mutationen, spielten in der Evolution nur eine nachgeordnete Rolle. Sie wirkten war bei Anungsvorgängen mit, bewirkten aber nicht zwangsläufig eine Höherentwicklung. Kahle bezweifelt deren Rolle für die Makroevolution, also „den evolutionäre Großübergängen über Artgrenzen hinaus, die zur Entstehung neuer Taxa wie Gattungen, Familien, Ordnungen, Klassen oder Stämme führen“. (Kahle 1984, 159-162) Für Martin Rhonheimer sind Mutationen „evolutionär belanglos, weil sie nicht die Keimzellen betreffen und deshalb auch nicht vererbt werden“. Er kenne „keinen Nachweis für allmähliche Bauplanänderungen durch Selektion“. Diese könne erst in vollausgebildeten Organismen wirken, aber weder deren Existenz noch ihre Entstehung könnten damit erklärt werden. Die ihr zugeschriebene Rolle als lenkende Evolutionskraft sei eine unbewiesene Hypothese. (Rhonheimer 2016, 21-23) Ian Tattersall sieht in der Selektion ebenfalls keinen kreativen Prozess. Sie vermag nach seiner Überzeugung nichts anderes, als genetische Mutationen „entweder zu begünstigen oder zu eliminieren“. (Tattersall 2002, 56) Ulrich Kutschera weist hingegen darauf hin, dass es ohne Selektionsdruck in der Regel zu keinem Artenwandel gekommen wäre. (Kutschera 2006, 127f.) Was sinnvoll sei, so auch Armin Kreiner, entscheide die Selektion. Sie sei „ein unerbittlicher, ja gnadenloser Lenker“. Wer keine Lösungen für die aus seiner Umwelt resultierenden Probleme finde, scheide aus dem „Spiel der Evolution“ aus. (Kreiner 2011, 125f.)
Die Steuerung der Gene durch die Zellen
Die Quantenphysik rückt mit Blick auf die biologische Evolution auch die Bedeutung der Eigensteuerung von Zellen ins Blickfeld der Forschung. Zwar schreite die Evolution durch natürliche Auslese voran, aber, so fragt Hubert Reeves, reiche das aus, um „eine so wunderbare Anung der Lebewesen an Veränderungen ihrer Umwelt zu erklären“? Oder sei die Natur in der Lage, „genetische Änderungen auf direkterem Wege“ zu bewirken? (Reeves 1996, 156.) Entscheidend für die evolutionäre Entwicklung von Arten ist für Dirk Eidemüller „eine Mutationsrate, bei der die Zufallsrate an genetischen Veränderungen und die intrazellulären Mechanismen zur Verhinderung zu schnellen Veränderungen in einem gesunden Gleichgewicht stehen“. Eine zu starke Mutationsrate erzeuge zu viele lebensunfähige oder mit Gendefekten behaftete Nachkommen, während eine zu geringe Mutationsrate die notwendige Anung an eine sich wandelnde Umwelt verhindern könne. (Eidemüller 2017, Pos. 9160) Lothar Schäfer stellt das zentrale Dogma der Molekularbiologie in Frage, wonach die Gene die Produktion der Proteine steuern, und damit Eigenschaften und Charakter eines Organismus. Es habe sich gezeigt, dass die Zellchemie nicht von den Genen kontrolliert werde, vielmehr würden die Aktivitäten der Gene durch Wechselwirkungen der Zelle mit ihrer Umgebung überwacht. Zellen besäßen „Mechanismen, mit denen sie auswählen, welche Mutationen eintreten werden“. Obwohl diese „in verschiedenen Individuen zu verschiedenen Zeiten mit einer gewissen Freiheit scheinbar völlig voneinander abgekoppelt“ erfolgten, sei es möglich, dass sie „kohärent mit einer versteckten kosmischen Ordnung zusammenhängen“. Die zunehmende Komplexität und Mentalisierung des Lebens könnte das „Zeichen einer solchen Kohärenz“ sein. Die Gesetze, nach denen die Zellen ihr Genom verändern, müsse daher „in einem kosmischen Zusammenhang“ gesehen werden. In biologischen Systemen könne sich „die virtuelle Ordnung des Universums auf eine Weise aktualisieren“ wie „nirgendwo sonst in den Strukturen der Realität“. Die Besonderheit biologischer Systeme liege in deren Fähigkeit, „durch ihre Intelligenz in beiden Modalitäten des Seins gleichzeitig aktiv zu sein“. Der Charakter der Ganzheit der Wirklichkeit zeige sich auch darin, dass Mutationen nicht nur blinde Zufallsprozesse sind, sondern auf gesetzmäßige Weise entstehen. (Schäfer 2009, 305-312)
Die Gaia-Hypothese: Selbstorganisation als kreative Kraft der Evolution und der Veränderung der Erde durch lebendige Organismen
Lynn Margulis und James Lovelock propagierten 1969 die Gaia-Hypothese, wonach viele Entwicklungen auf der Erdoberfläche und in der Biosphäre in symbiotischer Weise, vermittelt durch sich selbstregulierende Prozesse, aufeinander bezogen, wie in einem riesigen Lebewesen ablaufen. (Kusserow 2018, 270f.) Gaia ist in der griechischen Mythologie die personifizierte Erde. Heinrich K. Erben meint, träfe die Gaia-Hypothese zu, dann hätten die Träger des Lebens die kritische Phase ihrer Existenz dadurch überwunden, dass sie durch Hunderte von Jahrmillionen mühselig und Schritt für Schritt eine geeignete, ihren Bedürfnissen angemessene Erdatmosphäre und einen wirkungsvollen Schutzschild gegen die UV-Strahlung der Sonne aufbauten. (Erben 1975, 91) Erich Jentsch, Mitbegründer des Club of Rome, lieferte 1979 erstmals ein zusammenhängendes Verständnis des Holismus, der Koevolution und der Selbstorganisation als treibenden kreativen Kräften der Evolution. (Jentsch 1992) Stuart Kauffmann, der den Begriff des „Antichaos“ für die spontane Ausbildung von Ordnungszuständen in chaotischen Systemen prägte, wies darauf hin, dass die Entwicklung der Komplexität in biologischen Systemen und Organismen neben Darwinschen Selektionen vor allem durch Selbstorganisationsprozesse bestimmt werde. (Zit. b. Kusserow 2018, 274) Für Christian de Duve gehört die Erde zusammen mit Billionen anderer erdähnlicher Planeten zu einer kosmischen Wolke aus „lebenspendendem Staub“. Das Universum sei „Leben, mit der erforderlichen Infrastruktur drum-herum“. Es bestehe aus „Billionen Biosphären, die vom übrigen Universum erschaffen und erhalten werden“. (de Duve 1995, 244f.) In der gesamten biologischen Evolution sind, so Franz M. Wuketits, die Lebewesen selber Evolutionsfaktoren. Sie schränken ihre eigene Entwicklung ein. (In: Dürr 1997, 83) Die Eigenschaften der wenigen Hauptelemente sind aus Sicht von Uwe Reichert so genial angelegt, dass alle weiteren Prozesse, bis zur Entwicklung der höchsten Lebensformen, durch Selbstorganisation der Atome, also ausschließlich durch deren Fähigkeiten möglich wurden. „Das Geistige“ walte „in den Dingen selbst.“ (Reichert 1999, 316) Auch für Paul Davies ging
das Leben „aus einer irgendwie gearteten molekularen Selbstmontage“ hervor. (Davies 2000, 87). Was der Evolutionstheorie fehle, sei „kein kosmischer Zauberer, sondern ein natürlicher Prozess, der einem noch zu erforschenden Organisationsprinzip folgt, das aus den physikalischen Gesetzen abgeleitet werden“ könne. (Davies 2008a, 250f.) Bei der Evolution, so Klaus-Peter Kelber, seien „die Gesteine und Meere, die Gase der Atmosphäre und die Vielfalt der Lebewesen zu einem untrennbaren Ganzen zusammengewachsen“. Die vielfach vernetzte Erde sei ein sich selbstregulierendes System, ein hochempfindlicher Organismus, bei dem abiotische und biotische Teile in Wechselwirkung stehen. (Kelber 2003, 41) Bei höheren Lebewesen werde, so Dirk Eidemüller, die Synthese des Organismus nicht mehr nur durch das Erbgut gelenkt, sondern in Kontakt mit der Umwelt der Selbstorganisation überlassen. Nicht allein das Erbgut bestimme, was iert. Die Gaia-Hypothese beschreibe das komplexe Wechselwirkungsverhältnis, in dem die einzelnen Organismen auf der Erde mit ihrer Umwelt stehen. Die Erde werde als Gesamtökosystem verstanden, das nicht auf einzelne Teile reduzierbar sei. Viele Lebewesen nähmen Einfluss auf die unbelebte Natur. „Die Atmosphäre, steinerne Sedimente, die ganze Geochemie der oberen Schichten der Erde werden seit Jahrmilliarden durch verschiedenste Lebensformen verändert und konnten dadurch erst neueren, höherentwickelten Organismen den Weg bereiten.“ Wie das Leben unseren Planeten veränderte, so mussten sich auch die Organismen immer wieder an neue Bedingungen anen. Die Evolution führte zur Entwicklung hochgradig komplexer und selbstorganisierter Strukturen, die den Planeten mitgestalteten. Dadurch ergaben sich „vielfältige, wechselseitige, historisch gewachsene Abhängigkeiten“, welche „die gesamte belebte und unbelebte Natur in ein riesiges Beziehungsgeflecht“ setzten. Die Eigenschaften aller Lebewesen in einem Ökosystem sind aufeinander abgestimmt und hängen außerdem mit wichtigen globalen Parametern zusammen. „Sie bilden ein eingespieltes System, denn sie sind in wechselseitiger evolutionärer Anung aneinander entstanden.“ Dies gelte für alle Lebewesen. (Eidemüller 2017, Pos. 9275, 16112-16202) Im Lauf von vier Milliarden Jahren, so auch David Christian, habe „eine Riesenarmee lebender Organismen die Erde verwandelt und die Biosphäre geschaffen“. Sie bestehe aus Lebewesen und allem, was diese geprägt, verändert oder zurückgelassen haben. Die Zellen, aus denen wir bestehen, vermittelten den
Eindruck, „zweckbestimmt und zielgerichtet zu handeln“. (Christian 2018, 88) John Hands verweist exemplarisch darauf, dass die Atmosphäre einen Treibhauseffekt hervorrief, als die Sonne 25 Prozent weniger Energie abstrahlte. Das impliziere, „dass sich dieser Treibhauseffekt auch auf fein abgestimmte Weise reduzierte, als die abgestrahlte Energie der Sonne über vier Milliarden Jahre hinweg zunahm“. Dieses Phänomen bestätige die Gaia-Hypothese, die „eine Steuerung durch biotische Rückkopplung“ postuliert. (Hands 2018, 259) Es bleibt zu hoffen, dass die Selbstorganisation der Natur uns hilft, die negativen Folgen unsers Handelns im Anthropozän zu überwinden und entgegen der monokulturellen Ideologie des Humanismus allen Lebewesen auf der Erde vergleichbare Rechte einzuräumen.
War Gott der intelligente Designer des Lebens?
Gott und die wundersamen Wege der Evolution
Charles Darwin fand für das Verhältnis von Entstehung und Evolution des Lebens poetische Worte. Er nannte es eine wahrlich „großartige Ansicht, dass der Schöpfer den Keim allen Lebens, das uns umgibt, nur wenigen oder nur einer Form eingehaucht“ habe, und dass, „während dieser Planet den strengen Gesetzen der Schwerkraft folgend sich im Kreise schwingt, aus so einfachem Anfang sich eine endlose Reihe immer schönerer und vollkommener Wesen entwickelt hat“. (Zit. b. Illies 1983, 49) John C. Eccles glaubt, „dass außer den materialistischen Geschehnissen der biologischen Evolution und über sie hinaus eine Göttliche Vorsehung wirksam“ sei. Er meint, dass die „Kette der Zufallsbedingtheiten“, die zu uns führte, „auf irgendeine Weise gelenkt“ wurde. (Eccles 1982, 230) Trägt also unsere Rote Linie die Handschrift Gottes? Für Erich Jentsch steht die Gottesidee weder über noch außerhalb der Evolution, sondern werde „echt mystisch in die Entfaltung und Selbstverwirklichung der Evolution selbst hineinverlangt“. Schon Hans Jonas habe gemeint, dass „Gott sich in einer Abfolge von Evolutionen immer wieder selbst aufgibt“. Er sei „nicht absolut“ zu setzen, sondern als Evolution. Gott sei „nicht der Schöpfer, wohl aber der Geist des Universums“. „Tiefer als bis zu dieser Ebene der Stille, in der sich unentfaltete Evolution ballt“, habe der Mensch „auch in Augenblicken höchsten mystischen Erlebens niemals zu blicken vermocht“. In der Selbsttranszendenz „können wir nicht nur über uns selbst als Individuen, sondern auch über die Menschheit hinausgelangen“. Die Faszination der Evolution der Menschheit verblasse gegenüber der „Faszination einer universalen Evolution, deren integraler Aspekt wir selbst sind“. (Jentsch 1992, 411-415) Die Evolution folge, so auch Paul Davies, nicht allein Zufällen, vielmehr steuere Gott als „transzendente Ursache“ den Evolutionsprozess. (Davies 2000, 262264) Die Evolution benötigte nach Meinung von Lothar Schäfer „sowohl einen gestaltenden Geist als auch die Hand eines Gestalters, mit anderen Worten ein übernatürliches Eingreifen“. Die „transzendente Ordnung der unbelebten Quantensysteme“ sei ein Hinweis auf „die transzendente Natur der Lebewesen“. Die „spontane Entfaltung der komplexen Ordnung in lebenden Organismen“ hänge mit der Quantennatur des Universums zusammen. (Schäfer 2004, 16) Was
hindere einen daran, so Anton Weiß, in der Zufälligkeit der Mutation „das akausale, kreative Wirken eines göttlichen Geistes“ zu sehen, der die Vielfalt der Erscheinungen erst ermögliche? (Weiß 2011, 79) Auch Ulrich Langenbach ist vom Wirken Gottes überzeugt und verweist beispielhaft auf das Überleben der ersten Chordatiere. Dies müsse so „im Plan des Schöpfers gestanden“ haben. (Langenbach 2014, 75) Für Ernst Peter Fischer ist die Evolution „großartiger und wunderbarer“ als „jede direkte Schöpfung“. Sie habe „aus Einfachem und Unvollständigem zunehmend Komplexeres und Besseres hervorgebracht, ohne jemals wirklich vollständig geworden zu sein“. Wäre dies geschehen, hätte es keine Weiterentwicklung mehr gegeben. Die Menschwerdung sei das nach der Entstehung des Lebens nächstgroße Wunder. (Fischer 2003, 50f.) Auch für Ulrich Walter ist die Evolution „im wahrsten Sinne ein Wunder“. (Walter 2008, 231f.) Stanley Miller, der durch seine vergeblichen Laborversuche, Leben zu schaffen, weltberühmt wurde, falsifizierte später seine früheren Vorstellungen und meinte, die Evolutionstheorie biete nicht die geringste Erklärung dafür, wie Lebendiges aus Unbelebtem entstand. Alle Hypothesen darüber seien Unsinn und „chemische Kopfgeburten“. (Zit. b. Gitt u. a. 2010, 12) Martin Rhonheimer konstatiert, dass „die Evolutionsbiologie uns vor immer größere Rätsel stellt, und zwar paradoxerweise, je mehr sie in ihrer Entschlüsselung der biologischen Strukturen des Lebens und der Strategien, Wirkkräfte und Mechanismen der Evolution voranschreitet“. Es seien „die Rätsel des letztlichen Ursprungs all dieser DNS-Codes, Gensequenzen, Wirkkräfte und Mechanismen“. (Rhonheimer 2016, 250f.) Poetische Worte findet Walt Whitman. Er hält die Entstehung der Sterne für ein Kinderspiel, verglichen mit der Komplexität der DNS: „Und die Baumkröte ist ein Meisterstück vor dem Auge des Allerhöchsten; Und die Brombeerranken könnten die Hallen des Himmels schmücken; Und das schmalste Gelenkband meiner Hand verspottet jede Maschinerie; Und die mit gesenktem Haupt kauende Kuh übertrifft jedes Bildwerk; Und eine Maus ist Wunders genug, um Sextillionen von Ungläubigen wanken zu machen.“ (Whitman 1922)
Bedeutung und Hauptargumente der Hypothese eines Intelligent Design
Auffassungen über Gott als Gestalter der Welt und von Leben, werden von den meisten Wissenschaftlern abgelehnt. Sie würden der Evolution einen Willen unterstellen, den sie nicht hat. (Krause, Johannes 2019, Pos. 676) Hintergrund prononcierter Stellungnahmen gegen Wissenschaftler, die in den Abläufen der Welt das Wirken eines intelligenten Designers zu erkennen meinen, ist der Streit zwischen neo-darwinistischen Wissenschaftlern und biblischen Fundamentalisten in den USA. Dieser überträgt sich in Europa auf die Anhänger der Hypothese eines Intelligent Design, die in die Nähe amerikanischer Fundamental-Kreationisten gerückt werden. Dabei sind die Unterschiede eklatant. In Europa gehörten evangelische Theologen zu den Mitbegründern der Universitäten und pflegen bis heute einen anspruchsvollen, sich wissenschaftlicher Methoden bedienenden Diskurs. Die Standards der Diskussion an den Universitäten und von sonstigen Anhängern der These einer intelligenten Gestaltung der Welt gehend fließend ineinander über. Wer Letztere auf amerikanisch-provinziellem Niveau angreift, muss mit Antworten aus dem Kreis akademischer Hüter wissenschaftlicher Auffassungen rechnen. Auf ähnlich hohem Niveau bewegt sich auch die Diskussion in der römisch-katholischen Kirche, wenngleich Fälle wie Hans Küng, dem nach Erscheinen seines Buches „Existiert Gott?“ von der Deutschen Bischofskonferenz die kirchliche Lehrerlaubnis entzogen wurde, auf gegenläufige Tendenzen hinweisen. Angesichts der Niveauunterschiede zeigt man sich in Europa verwundert über die anspruchslosen Argumentationen mancher Neo-Darwinisten, die sich dank der globalen Dominanz des Englischen immer mehr verbreitet, tatsächlich aber am Diskussionsstandard evangelikaler Missionare des Mittleren Westens der USA ausgerichtet zu sein scheint. Joachim Bauer meint daher, „Kreationisten und maßgebliche Meinungsführer der Soziobiologie bzw. des Darwinismus“ seien „ebenbürtig“. Beide Seiten „schwingen sich zu Aussagen über Dinge auf, für die ihre Disziplin nicht zuständig“ sei. „Der fundamentalreligiöse Kreationismus der USA, der uns hier in Europa bisher glücklicherweise weitgehend erspart blieb (und dessen traditionelle Wucht, mit der er in den USA agiert, den meisten diesseits des Atlantiks fremd ist), meint aus der Bibel
Aussagen zur Erdgeschichte ableiten zu können.“ Charles Darwin als Begründer der Evolutionstheorie sei „vom antireligiösen Fanatismus eines Richard Dawkins weit entfernt. (Bauer 2010, 20) Bei den Auseinandersetzungen um die Hypothese eines Intelligent Design geht es vor allem um die Entstehung und Evolution des Lebens. Ist die Hypothese bezogen auf die biologische Evolution heftig umstritten, so ist die Akzeptanz der Feinabstimmungen der Naturkonstanten und Wechselwirkungen wesentlich breiter, obwohl diese in wesentlich umfassenderer Weise von einem intelligenten Design ausgehen. Möglicherweise liegt das daran, dass die Quantenphysik die Auseinandersetzungen in der Physik wesentlich mehr prägt als in der Biologie. Hier sind die Widerstände von Vertretern überkommener Lehrmeinungen gegen eine quantentheoretische Auslegung biologischer Prozesse ausgeprägter. Wichtigster Vertreter eines Intelligent Design bei der Evolution des Lebens ist der amerikanische Biochemiker Michael J. Behe. Nach seiner Überzeugung kann man dann auf Design schließen, wenn „Einzelteile so angeordnet erscheinen, dass sie eine Funktion ausführen können“. Ungeachtet „darwinistischer Anmaßungen“ sei jeder Wissenschaftler berechtigt, die Schlussfolgerung zu ziehen, „dass die Bestandteile lebender Systeme von einem intelligenten Wesen zweckmäßig geplant wurden“. Beim Leben auf molekularer Ebene sei „Design unmissverständlich bezeugt“. Die Ergebnisse seien „so eindeutig und so bedeutsam, dass die entsprechenden Bemühungen zu den größten Leistungen in der Wissenschaftsgeschichte gerechnet werden“ müssten und sich an den Verdiensten von Isaac Newton, Albert Einstein, Antoine Laurent de Lavoisier, Erwin Schrödinger, Louis Pasteur und Charles Darwin messen lassen können. Das Erkennen eines intelligenten Designs im Bereich des Lebendigen sei „so folgenschwer wie die Erkenntnis, dass sich die Erde um die Sonne dreht, Krankheiten durch Bakterien hervorgerufen werden, oder dass Strahlung in Quanten ausgesandt wird“. (Behe 2007, 359, 408)
Nichtreduzierbare Komplexität
Ein Hauptargument der Befürworter eines Intelligent Design in der Biologie ist die „irreduzible Komplexität“. Laut Behe ist von der vermuteten Einfachheit biologischer Erklärungen nicht viel übriggeblieben. Heute müsse man sich mit der nichtreduzierbaren Komplexität der Zelle herumschlagen. Die Erkenntnis, dass das Leben von einer Intelligenz geplant wurde, schockiere, weil wir uns an den Gedanken gewöhnt hätten, das Leben sei das Ergebnis einfacher Naturgesetze. (Behe 2007, 391) Aber ohne die Planung eines Schöpfers könne niemand erklären, wie sich zum Beispiel das Cilium, der Sehvorgang, die Blutgerinnung oder irgendein anderer komplexer biochemischer Prozess im Sinne des Darwinismus entwickelt haben könnten. Cilium (Wimper) bezeichnet eine besondere Form des Zellfortsatzes bei Zellen von eukaryotischen Organismen. Beispiele nichtreduzierbarer Komplexität sind nach Behes Meinung reich gesät. Alle Lebewesen müssten sich irgendwie entwickelt haben, wenn „nicht in darwinistischer Manier, wie dann?“ Nicht reduzierbar komplex sei ein einzelnes System, das aus mehreren, gut aufeinander abgestimmten, interagierenden Teilen besteht, die an der Grundfunktion beteiligt sind. Werde irgendein Teil entfernt, führe dies dazu, dass das System nicht mehr funktioniere. Ein nicht reduzierbares komplexes System könne nicht durch kleine aufeinanderfolgende Modifikationen aus einem Vorgängersystem heraus auf direktem Wege entstehen. Viele Evolutionsbiologen seien sich einig, dass „die unvorstellbar komplizierten Lebewesen“ so aussehen, als habe sie ein Konstrukteur entworfen. Er zitiert Francisco J. Ayala, nach dessen Meinung das funktionelle Design von Organismen für die Existenz eines Designers spreche. Auch Michael Ruse, der sich intensiv mit dem Streit zwischen Darwinisten und Anhängern des Kreationismus sowie von Intelligent Design befasst hat, schreibt, dass „Lebewesen genauso aussehen, als ob sie hergestellt, als ob sie von einer Intelligenz geschaffen worden wären“. (Zit. b. Behe 2007, 8, 72, 293) Nach Werner Gitt, einem der bekanntesten Vertreter des Intelligent Design in Deutschland, handelt es sich immer dann um ein nicht reduzierbar komplexes System, wenn es eine Anordnung einzelner Bestandteile gebe, von „denen jedes einzelne zwingend vorhanden sein muss, damit das Gesamtsystem funktioniert“.
So könne ein Auto nur fahren, wenn es im Minimum einen Motor, eine Kupplung, vier Räder und eine Steuerung habe. Es sei undenkbar, dass sich ein „primitives Urauto“ in einer anfänglichen Entwicklungsstufe auch ohne Motor oder Kupplung fortbewegt habe. (Gitt u. a. 2010, 33f.) Von Pferdekutschen ist in diesem Zusammenhang nicht die Rede. Ähnlich wie Gitt argumentieren Reinhard Junker und Siegfried Scherer. Für sie ist ein System dann nicht reduzierbar komplex, wenn es aus mehreren miteinander zusammenhängenden und fein ausjustierten Teilen besteht, so dass die Entfernung eines beliebigen Teils die Funktion restlos zerstören würde. Die nicht reduzierbare Komplexität müsse in einer Generation entstehen und könne nicht schrittweise aufgebaut werden. Zwischenstadien würden der Selektion zum Opfer fallen. In der Biologie könne irreduzible Komplexität in Verbindung mit einer ausgeprägten Zielgerichtetheit der betreffenden Struktur als Design-Signal gewertet werden, weil „nach aller Erfahrung in anderen Gebieten eine solche Konstellation auf das Wirken eines Urhebers schließen“ lasse. (Junker/Scherer 2006, 306f.)
Zielgerichtete Exaptation
Exaptation bezeichnet die Nutzung einer Eigenschaft für eine Funktion, für die sie nicht entstand. Heinrich K. Erben spricht davon, dass es in der Evolution gewisse „Trends“ gegeben habe. So sei die Hand der Primaten „bereits konstitutiv prädisponiert“ gewesen. (Erben 1975, 335) Simon Conway Morris meint mit Blick auf den genetischen Code, dass dessen „Hyperraum“ „absolut gigantisch“ sei. Dennoch habe „sich alles sehr rasch und mit erstaunlicher Effizienz auf einen sehr guten, wenn nicht sogar den bestmöglichen Code eingependelt“. Es dränge sich der Eindruck auf, der Evolution wohne „eine gewisse Zwangsläufigkeit“ inne. Er erläutert die Hypothese eines Intelligent Design am Beispiel eines Lanzettfischchens. Kein anderes heute lebendes Wesen sei dem evolutionären Stadium nähergekommen, aus dem die Fische hervorgingen, deren Nachfahren dann „an Land robbten, Eier zu legen begannen, sich einen Pelz zulegten und zu geselligen Baumbewohnern wurden“. Alle diese Veränderungen und Wechsel müssten von genetischen Veränderungen begleitet gewesen sein. Beim Lanzettfischchen sei dies anders. In ihm sei „bereits eine genetische Architektur angelegt“ gewesen, „die keine erkennbare Entsprechung in seiner Anatomie aufweist“. Das Zentralnervensystem des Lanzettfischchens sei ziemlich schlicht. Es bestehe aus einem langen Nervenstrang, der sich oberhalb des Vorläufers der späteren Wirbelsäule erstreckt, und einem sogenannten Hirnbläschen. Dies sei nichts weiter als eine kleine Anschwellung im vorderen Bereich des Tieres und zeige morphologisch keinerlei Anzeichen für die wirbeltiertypische Dreiteilung in eine hintere, mittlere und vordere Partie. Aber sowohl molekulare als auch sehr genaue mikroanatomische Untersuchungen hätten gezeigt, dass das Gehirn des Lanzettfischchens „im Verborgenen eben doch Abschnitte aufweist, die der Dreiteilung des Wirbeltiergehirns entsprechen“. In diesem „scheinbar einfachen Hirnbläschen“ sei „etwas verborgen, das wir als Matrize des entsprechenden Organs der Wirbeltiere betrachten können“. Dem Lanzettfischchen wohne ein „Intelligenzpotential“ inne. Mit seiner „molekularen Vorwegnahme des späteren Gehirnaufbaus“ stelle es keine Ausnahme dar. Ähnliche Beispiele für Inhärenz gebe es auch bei primitiven Nesseltieren wie Schwämmen und Süßwasserpolypen. Auch bei ihnen seien schon Gene bzw. Proteine vorhanden gewesen, die erst später „für komplexe Eigenschaften und Fähigkeiten in höher
entwickelten Tieren notwendig“ wurden. (Morris 2008, 23-25, 36) Michael J. Behe verweist auf die Fähigkeit des Bombardierkäfers, eine kochend heiße Flüssigkeit aus einem Schlitz in seinem Hinterleib auf den Feind zu spritzen. (Behe 2007, 60-65) Als ein anderes Beispiel gilt die peitschenartige Geißel, mit deren Hilfe sich das Bakterium E. coli fortbewegt. Der Bau dieses winzigen Drehmuskels erfordert eine Reihe spezieller Proteine und, so das umstrittene Argument, ohne die komplette Reihe würde die Geißel nicht rotieren und wäre damit nutzlos. Es wäre, so Owen Gingerich, zu viel verlangt, zu glauben, dass alle erforderlichen Proteine sich durch blinden Zufall auf einmal zusammenfinden konnten. (Gingerich 2012, 78f.) Ulrich Langenbach sieht im Flossenskelett und seinem Bewegungsmuster beim Landgang der Amphibien einen „Hinweis auf das von langer Hand vorbereitete Leben auf dem Festland“. Das Knochenskelett der paarigen Flossen habe sich nicht sprunghaft, sondern in kleinen Schritten zu der Form entwickelt, die später den Amphibien das Gehen erlaubten. (Langenbach 2014, 84) Beat Schweitzer spricht von Fähigkeiten oder Eigenschaften von Lebewesen, die nicht durch gegenwärtige oder Selektionsbedingungen zurzeit möglicher Vorfahren zu erklären sind, sondern durch „potenzielle zukünftige Selektionsbedingungen“. Auf Zukünftiges vorbereitet zu sein, bedürfe einer Planung, was auf einen Designer hinweise. (Schweitzer 2016, 240f.) Darwinistisches Denken kenne, so Werner Gitt, „keine Zielperspektive in Richtung eines später einmal funktionierenden Organes“. Schon ein kurzer Blick in den Bereich der Lebewesen zeige jedoch „durchweg hochgradig zielorientierte Konzepte“. (Gitt u. a. 2010, 11) Auch Reinhard Junker meint, die Evolution bewirke keine Exaptation, da „die Evolutionsmechanismen nicht zukunftsorientiert“ seien. Ob etwas in der Zukunft einen Vorteil oder Nachteil bringe, sei „für ungelenkte Mechanismen kein Thema“. Wenn aber Lebewesen potentiell zu mehr fähig seien, als zu dem, was sie aktuell brauchten, sei das „ein starkes Argument für Planung“. Rucksäcke mit geeignetem Inhalt würden nur gepackt, wenn man ein Ziel verfolge. (Junker 2002, 108)
Spielerische Komplexität und Luxusstrukturen
Ein weiteres Argumentationsfeld für und wider die Hypothese eines Intelligent Design in der Natur stellt die „spielerische Komplexität“ dar. Bei diesem „Dediz“ handelt es sich, so Beat Schweitzer, um „Konstruktionsmerkmale, die ausgefallener erscheinen, als für die Funktion der Struktur notwendig“ sind. Solche „Luxusstrukturen“ gehen demnach weit über das hinaus, was für die Leistungsfähigkeit gebraucht werde. Sie ließen sich nur schwer durch selektionsbedingte Entwicklungsprozesse erklären. „Ein Designer hingegen“ sei „nicht an funktionale Effizienz gebunden“ und könne sich deshalb Luxusstrukturen erlauben. (Schweitzer 2016, 240f.) Die in der Natur vorkommende „unzweckmäßige Schönheit“ sieht Werner Gitt als ein wesentliches Merkmal intelligenter Schöpfung an. Es gebe Tiere und Pflanzen, die „unsagbar schön“ seien und dennoch gegenüber ihren „unscheinbaren und schlicht gestalteten Artgenossen“ keinen evolutionären Vorteil hätten. „Unzweckmäßige Schönheit“ impliziere „eine betrachtende, übergeordnete Intelligenz“, die nicht nur auf Detailkonstruktionen und Zweckmäßigkeit achte, sondern auch einen Blick für das Lebewesen als Ganzes habe und dabei auf Harmonie und Schönheit bedacht sei. Auch für die Codierung der DNS müsse eine betrachtende und codierende Intelligenz vorausgesetzt werden. (Gitt u. a. 2010, 191-193) Vladimir Nabokov verweist darauf, dass Muster bestimmter Schmetterlinge „eher nach dem Pinselstrich eines launenhaften Künstlergotts aussehen als nach blinder Evolution“. (Zit. b. Margulis/Sagan 1999, 134) Die Schönheit eines Schmetterlings, der Gesang eines Vogels, der Duft einer Blume sind, so Joachim Illies, „nicht hinreichend mit Zufallsmutationen und Selektionen des Tüchtigsten zu erklären, zumal das Schöne oft gerade nicht das Tüchtige, sondern eher das Schwache ist“. (Illies 1983, 48)
Tempo und Unterbrechungen der Evolution
Nach der Hypothese eines „unterbrochenen Gleichgewichts“ vollzog sich die Evolution nicht in stetigen kleinen Schritten mit konstanter Geschwindigkeit, vielmehr wechselten kurze Phasen schneller Veränderung mit längeren Zeiträumen ohne Veränderung ab. So war die frühe Entwicklung des Lebens, verglichen mit der späteren Evolutionsgeschwindigkeit, ein sehr langsamer Prozess. (Macdougall 1997, 72) John David Barrow und Josef Silk verweisen darauf, dass die Evolution von einfachen präbiotischen Molekülen zu fortgeschrittenen Lebensformen Jahrmilliarden brauchte. (Barrow/Silk 1986, 265) Jürgen Richter sieht in der menschlichen Evolution nicht nur Rückschläge und tote Enden“ sondern auch „Phasen der Stagnation“. (Richter, J. 2018, 41) Auffällig ist für den Hauptvertreter der synthetischen Evolutionstheorie Ernst Mayr die „Unveränderlichkeit mancher Arten über Jahrmillionen hinweg“. Zu ungeklärten Temposchwankungen kämen ebenso unerklärliche Unterbrechungen hinzu. Es sehe „leider“ ganz danach aus, als gebe es auf allen Ebenen der Evolution „eine überwältigende Fülle von Unterbrechungen“. So finde man in den heute lebenden Taxa keine Zwischenform zwischen Walen und Landsäugetieren, ebenso wenig zwischen Reptilien, Vögeln und Säugetieren. Alle 30 Tierstämme seien „durch große Lücken voneinander getrennt“. Selbst Blütenpflanzen trenne „eine breite Kluft“ von ihren nächsten Verwandten. Besonders auffällig seien Unterbrechungen bei Fossilfunden. Neue Arten tauchten in der Regel ganz plötzlich auf, „ohne dass sie mit ihren Vorfahren durch eine Abfolge von Zwischenstufen verbunden“ waren. Tatsächlich kenne man nur in wenigen Fällen eine ununterbrochene Reihe von Arten, die sich allmählich weiterentwickelten. (Mayr 2003, 232) Die notwendigen Übergänge von Fischen zu Amphibien, von Amphibien zu Reptilien und von Reptilien zu Vögeln seien, so Werner Gitt, auch nach 150jähriger intensiver Suche in den Fossilien nicht gefunden worden. Vergleiche zwischen den „amphibienähnlichsten Fischen“ und den „fischähnlichsten Amphibien“ zeigten, dass bei komplexen Schlüsselmerk-malen wie den Beinen der vierfüßigen Landlebewesen oder dem Bau des Hirnschädels, „evolutionäre Zwischenformen kaum denkbar“ sind. Archaeopteryx, der als Übergangsform zwischen Reptilien und Vögeln steht, sei zu „hundert Prozent ein Vogel,
gefiedert, warmblütig und mit einer speziellen Vogellunge ausgestattet“. Zwischen den verschiedenen Ordnungen, Familien und Klassen der uns bekannten und in den Fossilien überlieferten Lebewesen gebe es kein einziges Missing link. Nach der Evolutionstheorie müsse es aber unzählige Zwischenformen geben, die alle mehrere Schlüssel-merkmale beider Arten in sich vereinen. Dem sei aber nicht so. (Gitt u. a. 2010, 68f.) Sollte das Fehlen von Zwischenformen nicht die Folge fehlender Kenntnisse sein, dann bliebe für unsere Rote Linie nur zu konstatieren, dass sie auch hier nicht durchgängig zu erkennen ist. Da es uns gibt muss es aber eine Entwicklung hin zu uns gegeben haben. Entweder man vermutet eine eingreifende Intelligenz als verantwortlichen Lückenbüßer oder geht davon aus, dass unsere Kenntnisse um die damaligen Prozesse unzureichend sind. Vielleicht belächeln Forscher in so kurzer Zeit wie in hundert oder tausend Jahren unser Unwissen, weil dann doch jedes Schulkind lernt, was wir heute noch nicht einmal ahnen.
Eignet sich Intelligent Design als Forschungsansatz?
Als Forschungsansatz einer intelligenten Gestaltung der Realität wird Intelligent Design von etlichen Naturwissenschaftlern heute, wenn auch widerstrebend, akzeptiert. Für Paul Davies steht der Ansatz „mit einer wissenschaftlichen Sicht der Dinge nicht in Konflikt“, da er davon ausgehe, „dass das Universum nach diesen physikalischen Gesetzen von selbst abläuft und alles im Universum eine natürliche Erklärung“ habe. (Davies 2008a, 252f.) Ulrich Lüke meint, es sei „nicht unter Niveau“, anzunehmen, dass „die unglaublich komplexe intelligible Struktur einen wie auch immer gedachten, jedenfalls aber intelligiblen Designer“ voraussetze (Lüke 2006, 113f.) Man könne, so Reinhard Junker und Siegfried Scherer, an Strukturen der Lebewesen Eigenschaften erkennen, die auf „das Wirken eines intelligenten, willensbegabten Urhebers hinweisen und andere Möglichkeiten ihrer Herkunft unplausibel machen“. (Junker/Scherer 2006, 306) Selbst Richard Dawkins betont bei aller Ablehnung, dass die Erscheinung von Design überwältigend sei: „Dennoch beeindrucken uns die lebenden Resultate der natürlichen Auslese in überwältigender Weise durch den Anschein von Planung, so als seien sie von einem Meisteruhrmacher entworfen; sie beeindrucken uns durch die Illusion von Entwurf und Planung“. (Zit. b. Behe 2007, 406-408)
12. Frühes Leben im Proterozoikum vor 2,55 Milliarden bis 541 Millionen Jahren: Von der ersten eukaryotischen Zelle zur sexuellen Revolution der Vielzeller
Die Photosynthese der Blaualgen (Cyanobakterien) und ihre Rolle bei der Umwandlung in eine Atmosphäre mit Sauerstoff vor 2,5 Milliarden Jahren
Blaualgen sind Mikroorganismen, die wie Bakterien einen prokaryotischen Aufbau ohne Zellkern besitzen. Vor etwa 2,5 Milliarden Jahren veränderten sie die Lebensbedingungen auf der Erde gravierend. Sie nutzten das Sonnenlicht zur Photosynthese und setzten dabei Sauerstoff frei. Nach Meinung vieler Experten war ihre Evolution das „folgenschwerste biologische Ereignis auf der Erde“. (Ward/Kirschvink 2016, 75-77) Heinrich K. Erben nennt die Entwicklung hin zur Sauerstoffatmung „ein großes, beinahe unbegreifliches Wunder“. (Erben 1975, 87f.) Die Rolle der Blaualgen, so auch Nick Lane, sei „derartig beeindruckend“ und gravierend, dass sie „für uns Menschen schwer zu fassen“ ist. Der gesamte Sauerstoff in der Luft entstand durch Photosynthese und verdankt seine Entstehung allein den Blaualgen. (Lane 2015, 112) Auch Richard Fortey spricht von einer immensen Bedeutung des Vorgangs. Er „bereitete den Weg zu modernen Zellen und zu uns Menschen“. (Fortey 2002, 88f.) Laut Olaf Fritsche hatten wir wieder einmal „ungeheures Glück“, weil die Evolution rechtzeitig einen „Schutzmechanismus“ erfand und die Atmung entwickelte. (Fritsche 2015, 162-168)
Rostige Erde, Große Sauerstoffkatastrophe, Huronische Eiszeit und die akute Gefährdung des Lebens vor 2,4 bis zwei Milliarden Jahren
Die Verwandlung der Atmosphäre durch Blaualgen erfolgte allerdings nicht über Nacht. Zu Beginn des Proterozoikums vor 2,5 Milliarden Jahren wurde der Sauerstoff zunächst durch Oxidation organischer Stoffe sowie von Schwefelwasserstoff und gelöstem Eisen vollständig gebunden. Die Folge war die „Verrostung“ der Erde. (Müller 2017, 40) Methan oxidierte zu Kohlenstoffdioxid und Wasser. Das durch den Sauerstoff wasserunlöslich gewordene Eisen lagerte sich vor 2,5 bis 1,8 Milliarden Jahren auf dem Meeresboden ab. Danach verband sich der Sauerstoff mit dem Eisen auf der Erdoberfläche. Erst nachdem auch dort alles oxidiert war, reicherte sich Sauerstoff in der Atmosphäre an. Die Folge war die „Große Sauerstoffkatastrophe“ vor 2,4 bis 2,3 Milliarden Jahren. Sie markiert den Übergang zu einer Atmosphäre mit einem höheren Anteil an freiem Sauerstoff. (Christian 2018, 134-137) Die Zunahme des Sauerstoffanteils löste die „Huronische Eiszeit“ aus. Diese und weitere Eiszeiten des Neoproterozoikums waren „die größten Engpässe für die Entwicklung des Lebens“. (Ulmschneider 2014, 111f.) Das Schicksal aller Organismen, auch unserer Ahnen, stand mehrfach „auf der Kippe“. Da Eis das Sonnenlicht reflektiert, bildete sich eine „Rückkopplungsschleife“ heraus, in deren Folge sich Gletscher von den Polen bis zum Äquator ausbreiteten. (Christian 2018, 135-149) Die Erde kreiste als „riesiger Schneeball“ um die Sonne. (Kasting, 2004, 62-67) Es hätte nur weniger Minusgrade bedurft, um alle Meere dauerhaft erstarren zu lassen. Bernd Vowinkel spricht von einem „der kritischsten Punkte in der Evolution“. Bereits eine um ein Prozent größere Entfernung der Erde zur Sonne hätte ausgereicht, um ein Umkippen des Klimas herbeizuführen. (Vowinkel 2018) Das Leben, so auch Peter Ulmschneider, ging, „durch einen Eng“, bevor die Temperaturen dank der Zunahme der Strahlungskraft der Sonne wieder anstiegen. (Ulmschneider 2014, 111f.) Die Kette von Abläufen, so auch Gustav A. Tammann, „hätte sich leicht ganz anders abspielen können“. (Zit. b. Arber 1987, 50f.) Da aber klimatische Rückkopplungseffekte und Meeresströmungen dazu beitrugen, dass ein Teil der Wasserflächen eisfrei blieb, überlebten einige
Organismen. Ihrem Fortbestand verdanken wir unsere Existenz. Es gibt für Klaus Jacob „kaum einen Zweifel, dass die Erde damals nahe am biologischen Exitus vorbeischrammte“. (Jacob 2002, 58f.) Lynn Margulis spricht sogar vom „Sauerstoff-Holocaust“, ein Begriff, der in Deutschland unend wirkt. (Zit. b. Christian 2018, 135-137) Nicht nur die Vereisung der Erde gefährdete die frühen Lebensformen, auch der Sauerstoff in der Atmosphäre war für die überwiegende Mehrheit der an die Uratmosphäre angeten Bakterien pures Gift. Es kam zu einem Massensterben, dem fast das gesamte Leben zum Opfer fiel. Einige auf Stickstoff und Methan angewiesene Lebensformen hatten jedoch bereits vor 2,7 Milliarden Jahren begonnen, in tiefere Schichten oder in die Zellen von Eukaryoten zu flüchten. (Brasier 2008, 24-28) Da es uns gibt, können wir schlussfolgern, dass einige sauerstofftolerantere Blaualgen durch Mutation ihrer Proteine überlebten. Sie ergriffen die Chance von „Eins zu zig Billiarden“, sich den Sauerstoff nutzbar zu machen. (Fritsche 2015, 159-162) Eine Folge der Veränderung der Atmosphäre war, dass sich ein Großteil des Salzwassers in Süßwasser umwandelte, welches als Regen große Gebiete der Erde erreichte. So entstand eine ausbalancierte Mischung aus Land- und Wasserflächen. Dank der stabilisierenden Wirkung der Ozeane pendelte sich die Temperatur um einen Mittelwert ein. Den folgenden Zeitraum von zirka ein bis zwei Milliarden Jahren bezeichnen Geologen als die „langweilige Milliarde“. In dieser Zeit „scheint kaum etwas iert zu sein, was erwähnenswert wäre“. (Lane 2015, 83f.) Für Wolfgang Hebel war die Evolution des Lebens während dieser langen Zeit noch „viel ungewisser“ als sonst. Leider gibt es für diese Zeit kaum biofossile Zeugnisse. Je tiefer die Forschung in die Vergangenheit eindringe, desto unsicherer werden die Erkenntnisse. (Hebel 2006, 22) Die Evolution machte den Eindruck, als lege sie nach dem hektischen und unglaublichen Geschehen der Umwandlung in eine Sauerstoffatmosphäre eine Pause ein. Unsere Rote Linie ist gut erkennbar, auch wenn sie über eine unvorstellbar lange Zeit ein echter Langweiler war.
Die Zunahme von Sauerstoff in der Atmosphäre und die Bildung von Ozon vor 1,4 Milliarden Jahren
Während der langen Pause gab es aber doch auch einige, wenn auch scheinbar unspektakuläre Entwicklungen, die jedoch exakt so verliefen, dass sie die Evolution von Leben langfristig ermöglichten. Die lange Zeit war die unentbehrliche Grundlage für die Schaffung einer Sauerstoffatmung, die ihrerseits die Voraussetzungen für spätere komplexe Lebensformen brachte. So reicherte sich der Sauerstoff in der Atmosphäre peu à peu immer mehr an. Vor 1,4 Milliarden Jahren erreichte der Anteil 0,2 Prozent, vor einer Milliarde Jahren betrug er bereits drei Prozent. Einige Experten vermuten, dass es am Ende des Proterozoikums bereits eine Konzentration ähnlich der heutigen gab. (Elicki/Breitkreuz 2016, 34f.) In der oberen Atmosphäre führte die zunehmende Sauerstoffkonzentration zur Bildung von Ozon (O³). Es absorbierte die kurzwellige UV-Strahlung und ermöglichte so die spätere Entwicklung zu Landlebewesen. Die Atmosphäre war für fast alle Strahlen undurchlässig, nur das sichtbare Licht und Radiowellen von rund einem Millimeter bis 30 Meter Wellenlänge erreichten die Erdoberfläche. Die Atmosphäre, so könnte man sagen, ließ nur die Strahlung durch, welche die Pflanzen brauchten, um Photosynthese zu betreiben. (Schulze-Makuch/Bains 2019, 27) Zwar ist von einer Sauerstoffatmosphäre die Rede, tatsächlich bestand diese jedoch weiterhin vor allem aus Kohlendioxid, den die Pflanzen auch brauchten, um Sauerstoff abgeben zu können. Da Tiere Sauerstoff benötigten und Kohlendioxid abgaben, setzte sich ein selbstregulierender Kreislauf in Kraft. Heute Liegt der Sauerstoffanteil an bipolarem Sauerstoff (O²) in der Atmosphäre bei 20,95 Prozent.
Die Entstehung eines eukaryotischen Einzellers durch Endosymbiose
Eukaryoten sind Zellen mit einem echten Kern. Klaus-Peter Kelber beschreibt sie als „überwiegend kugelige, glattschalige oder auch skulptierte Formen mit komplizierten Zellwänden“, die meist kleiner als 100 Mikrometer waren. (Kelber 2003, 40) Aber wie entstanden diese geheimnisvollen Kugeln? Lynn Margulis stellte 1970 die Hypothese auf, die Entstehung der ersten eukaryotischen Zelle sei durch eine Verschmelzung zweier bereits existierender Arten von Prokaryoten erfolgt, die sie als Endosymbiose bezeichnet. Dabei handelt es sich um die Vereinnahmung von Organellen wie Chloroplasten und Mitochondrien, die von Cyanobakterien bzw. anaeroben Bakterien stammten. Chloroplasten sind Organellen von Zellen, die Photosynthese betreiben. Mitochondrien sind Zellorganelle, die von einer Doppelmembran umschlossen sind und eine eigene Erbsubstanz enthalten, die mitochondriale DNS. Mitochondrien kommen in den Zellen fast aller Eukaryoten vor, nicht aber bei Prokaryoten. Sie wurden durch Endosymbiose integraler Bestandteil der eukaryotischen Zelle. (Fischer 2003, 137) Unklar ist allerdings bis heute, wie die Mitochondrien dorthin gelangten. Einige Forscher halten solche Verschmelzungen für extrem selten. Selbst wenn bakterienartige Organismen häufig im Universum vorkämen, wären große Organismen äußerst selten, denn auf der Erde bildeten nur Eukaryoten große Organismen. Zunächst aber ging es noch nicht um große mehrzellige Lebewesen, sondern um Protozoen, einzelligen Eukaryoten, die Ausgangspunkt für alle vielzelligen Tiere und Pflanzen waren. Sie gingen, so Christian de Duve, zwar aus bakterienähnlichen Vorläufern hervor, es sei aber schwer zu erkennen, wie das geschah, denn Zwischenstadien der beiden Zellarten existieren fossil nicht und „das Endprodukt unterscheidet sich allzu sehr von der Ausgangsform“. (de Duve 1996, 90ff.) Das wichtigste Indiz für die Endosymbiose ist der Umstand, dass einige Organellen im Inneren von Eukaryoten ihre eigene DNS behielten und deren genetisches Material sich von dem der Zelle bis heute grundlegend unterscheidet. Lynn Margulis meint, man sehe es den Mitochondrien und Chloroplasten an, dass sie einst unabhängige prokaryotische Zellen waren. Macdougall spricht von einem außergewöhnlichen Ereignis und vom nächsten
Schritt zur Komplexität eukaryotischer Zellen, indem eine Zelle eine andere umschloss, „wahrscheinlich um sie zu vertilgen“. Statt verwertet zu werden existierte die umschlossene Zelle jedoch weiter, und beide Zellen lebten seitdem wie ein altes Ehepaar in Symbiose. (Macdougall 1997, 70f.) William F. Martin und Miklòs Müller sprechen von den Mitochondrien und Chloroplasten als den Kraftwerken und Solarzellen der Eukaryoten. Die einst freilebenden Organismen seien irgendwann von einer Wirtszelle aufgenommen und „nach einer Phase stabiler Symbiose versklavt wurden“. Beim „Sklavenhalter“ handele es sich um einen „primitiven Eukaryoten“. Woher er kam, ist unbekannt. (Martin/Müller 1998, 18ff.) Auch Ernst Mayr weiß nicht, wie der Zellkern entstand, in dem die Chromosomen in einer Membran eingeschlossen wurden. Für dessen Ursprung „spielte Symbiose offenbar keine Rolle“. In welcher Reihenfolge die ersten Eukaryoten zusammengesetzt wurden und wie sie ihren Zellkern erwarben, ist umstritten. (Mayr 2003, 70f.) Laut Joachim Reitner spricht vieles dafür, dass sich der Zellkern aus einem Archaebakterium bildete. Durch Aufnahme von Mitochondrien entstanden einzellige „Urwesen“ (Protisten) und durch zusätzliche Aufnahme einzelliger Cyanobakterien Algen. (Reitner 2009, 272) Die „erste Hochzeit in der Geschichte unserer Ahnen“ wirft bis heute viele Fragen auf. Der Ursprung der eukaryotischen Zellen mit echtem Kern gehört zu den vielen ungelösten Rätseln der Biologie. (Elicki/Breitkreuz 2016, 33) Die meisten Biologen gehen davon aus, dass „die eukaryotische Zelle nicht von sich aus auftauchte, sondern das Ergebnis einer immer engeren Zusammenarbeit zwischen bereits existierenden Organismen war, die in einem Endosymbiose genannten Prozess zusammenkamen“. (Schulze-Makuch/Bains 2019, 97) Nicht nur die Art, sondern auch der Zeitpunkt der Entstehung des ersten eukaryotischen Einzellers ist umstritten. Heinrich K. Erben meint, zwischen dem Auftreten der frühesten belebten, bakteriellen Zellen und dem Erscheinen der Protozoen seien 2,1 Milliarden Jahre vergangen. (Erben 1975, 91) So lange blieb das Leben auch nach Meinung von Yves Coppens auf der Stufe kernloser Einzeller stehen. (Coppens 2002, 18) Wahrscheinlich, so Harald J. Morowitz, entstanden die Prokaryoten vor den Eukaryoten. Es sei aber nicht ausgeschlossen, dass die Eukaryoten stammesgeschichtlich älter sind oder dass beide einen gemeinsamen Vorfahren hatten, der weder Prokaryot noch Eukaryot war. (Morowitz 1988, 262) Einige Forscher gehen davon aus, dass es erste eukaryotische Zellen vor rund 1,4 Milliarden Jahren gab (Gould 1991, 249), andere sprechen von 1,9 Milliarden Jahren. (Raup 1992, 37)
Für Christian de Duve war die damalige Entwicklung von Zweiteilungen geprägt. Davon gab es drei unterschiedliche Varianten: Nach Möglichkeit eins trennten sich in der ersten Zweiteilung Archaebakterien und Eubakterien, und die Eukaryoten spalteten sich später von der Linie der Archaebakterien ab. Nach Variante zwei trennten sich die Prokaryoten wiederum zuerst, und die Eukaryoten gingen aus der Abstammungslinie der Eubakterien hervor. Nach der dritten Möglichkeit spalteten sich in der ersten Verzweigung die Eukaryoten von den Prokaryoten ab, die sich später in Archae- und Eubakterien aufteilten. In den beiden ersten Möglichkeiten war der gemeinsame Urahn ein Prokaryot, aus dem im ersten Fall über die Archaebakterien und im zweiten über die Eubakterien schließlich die Eukaryoten hervorgingen. Nach dem dritten Modell war der gemeinsame Vorfahr eine Zwischenform zwischen Pro- und Eukaryoten. Die meisten Forscher gehen von einem prokaryotischen Vorläufer der Eukaryoten aus. (de Duve 1995, 182-184) Für Ernst Mayr ist unklar, ob Archaea und Eukaryoten von einem gemeinsamen Vorfahren abstammten oder ob die komplexen Zellen aus Archaea hervorgingen. Der erste Eukaryot könnte durch eine Symbiose aus einem Archae- und einem Eubakterium, die zusammen ein „Mischwesen“ waren, gebildet worden sein. (Mayr 2003, 69) Laut Ulrich Kutschera wurden erste fossile Spuren eukaryotischer Zellen in zwei Milliarden Jahren alten Gesteinen entdeckt. Als gesichert gelte heute die vor 1,5 Milliarden Jahre existierende Ur-Eucyte Tappania, die auch als Acritarch bezeichnet wird. (Kutschera 2006, 91f.) Nach Meinung von Christian de Duve zweigten sich die Eukaryoten vor 3,7 Milliarden Jahren von den Archaea ab. Die Eukaryoten gingen demnach aus einer Abstammungslinie hervor, die vom Baum des Lebens praktisch zur gleichen Zeit abzweigte, als sich auch Archae- und Eubakterien trennten. Diese grundlegenden Lebensformen hatten demnach einen gemeinsamen Ursprung, unabhängig davon, wie und wo Leben zuerst entstand. Laut Gerhard Roth entwickelten sich aus den Bakterien vor 3,7 Milliarden Jahren die Archaea und die Eukaryoten. Aus den Eukaryoten gingen später Pilze, Pflanzen, Tiere und Menschen hervor. Gerhard Roth hält eine Entstehungszeit zwischen 1,7 bis zu drei Milliarden Jahren für realistisch. (Roth 2010, 49.) Vielleicht waren die Eukaryoten ursprünglich Mischwesen aus Eubakterien und Archaebakterien. (Martin/Lane/Schmitt 2013, 40-45) Nick Lane meint, der gemeinsame Vorfahr von Archaeen und Eukaryoten sei schon früh in der Evolution von Bakterien abgezweigt und habe sich später in die Entwicklungslinien der modernen Archaeen und Eukaryoten aufgespalten. (Lane
2015, 125f.) Wie dem auch sei. Das Leben auf der Erde wird heute auf genetischer Basis in drei Domänen gegliedert: Archaea, Bacteria und Eukarya. Während die letztgenannte Domäne sämtliche eukaryote Lebewesen beinhaltet, zählen die beiden anderen Domänen zu den Prokaryoten. (Elicki/Breitkreuz 2016, 30) Der „gemeinsame Urahn“ steht demnach an der Wurzel einer Dreiteilung. (de Duve 1995, 182-184, 204-208) Er wird in Analogie zum Luca Leca (Last Eukaryotic Common Ancestor) genannt. Leca besaß bereits einen Zellkern und mitochondrienartige Organellen mit doppelsträngiger mitochondrialer DNS. Laut Wolfgang Oschmann stammen die ältesten Fossilien eukaryotischer Einzeller aus der Zeit vor zwei Milliarden Jahren. (Oschmann 2016, 77-79) Olaf Elicki und Christoph Breitkreuz sprechen von 2,1 Milliarden Jahren. Organische Verbindungen, die nur von Eukaryoten gebildet werden, lassen sogar ein Alter von 2,8 Milliarden Jahren als möglich erscheinen. Nachweise für erste Eukaryoten finden sich in der Zeit kurz nach der Großen Sauerstoffkatastrophe. Offenbar war der Mindestgehalt an Sauerstoff und eine tolerierbare UVStrahlung zu diesem Zeitpunkt für die Entstehung komplexerer Lebensformen erreicht. (Elicki/Breitkreuz 2016, 34f.) Nach David Christian lassen genetische Daten darauf schließen, dass sich erste Eukaryoten vor 1,8 Milliarden Jahren entwickelten. (Christian 2018, 138f.) Ein weiteres Mal ist es schwierig bis unmöglich, den Verlauf unserer Roten Linie genau zu bestimmen. Sicher ist nur, dass sie über eine eukaryotische Zelle verlief. Eine zentrale Frage bei der Suche nach den ersten Schritten des Lebens ist, ob der Übergang von Einzellern ohne Zellkern zu Eukaryoten einmalig und unwahrscheinlich war oder ob der Vorgang öfter ablief. (Schulze-Makuch/Bains 2019, 98) Von der Antwort hängt ab, ob unsere Existenz aus einer normalen, häufig vorkommenden Evolution herrührt, ob es sich um einen Zufall handelte oder ob unser Herkommen schlicht unerklärlich ist. Etliche Experten gehen davon aus, dass der grundlegende Bauplan einer eukaryotischen Zelle „nur ein einziges Mal in vier Milliarden Jahren“ entstand und es ohne ihn kein komplexes Leben einschließlich von Menschen geben würde. Komplexes Leben wäre demnach nur einmal bei der Entstehung der ersten eukaryotischen Zelle durch Endosymbiose entstanden (Martin/Lane/Schmitt 2013, 40-45) Auch Douglas Palmer und Douglas Barrett führen alle Eukaryoten auf einen gemeinsamen Vorfahren zurück. (Palmer/Barrett 2009, 32f.) Aus christlicher Sicht spricht die Entstehung einer ersten Zelle für „göttliche Fügung“, auch wenn die weitere
Entwicklung im Sinne Darwins erfolgte. (Langenbach 2014, 47) Stephen Jay Gould sieht in der langen Vorlaufzeit bis zur Entstehung einer eukaryotischen Zelle einen Hinweis auf Kontingenz, auf einen „riesigen Bereich unrealisierter Möglichkeiten“, sowie auf einen „Bereich der kuriosen, zufälligen Nebenwirkungen“, die „als Quellen des Wandels nicht vorhersagbar“ sind. Wer darin eine vorhersagbare Gesetzmäßigkeit erkenne, müsse erklären, warum mehr als die Hälfte der Geschichte verstreichen musste, ehe dieser Prozess in Gang kam. Das erste Mitochondrium, welches in eine andere Zelle eindrang, habe nicht an die künftigen Vorteile der Kooperation und Integration gedacht, sondern nur versucht, „in einer rauen darwinistischen Welt zurechtzukommen“. Der Akt erfolgte demnach „aus einem unmittelbaren Anlass, der mit seiner letztendlichen Auswirkung auf die organische Komplexität nichts zu tun hatte“. Die meisten Wissenschaftler betonen die herausragende Bedeutung der eukaryotischen Zelle. Für Gould war das Eindringen eines Mitochondriums der „grundlegende Schritt in der Evolution des vielzelligen Lebens“. (Gould 1991, 249) Christian de Duve betont, dass damit eine neue Epoche der Evolution begann. Die heutigen Vielzeller gäbe es ohne die Eukaryoten nicht, „auch keine Menschen, die sich an ihnen freuen und ihren noch weithin geheimnisvollen Besonderheiten nachspüren können“. (de Duve 1996, 90ff.) Auch für Richard Fortey stellt die Entstehung der ersten eukaryotischen Zelle einen großen Durchbruch dar. Das entscheidend Neue sei die Zellmembran, eine Umhüllung, welche die einzelnen Bestandteile in ihrem Inneren einschloss. Sie stellte eine Barriere zwischen belebter und unbelebter Welt dar. (Fortey 2002, 56) Nachdem es eine Milliarde Jahre ausschließlich Bakterien gab, sei dies, so Ernst Mayr, das „vielleicht wichtigste und einschneidendste Ereignis in der Geschichte des Lebens“. (Mayr 2003, 69-71) Ernst Peter Fischer sieht in der Endosymbiose ein „einzigartiges Ereignis“, ohne das es „das ganze Panorama der vielzelligen Formen von den Pilzen bis zu den Menschen“ nicht gäbe. (Fischer 2003, 137) William F. Martin, Nick Lane, und Valéry Schmitt stimmen ebenfalls darin überein, dass die Entstehung der Mitochondrien als „zelluläre Kraftwerke“ der wesentlichste Schritt in der Evolution war, der die Entwicklung komplexen Lebens überhaupt erst ermöglichte. (Martin/Lane/Schmitt 2013, 40-45) Ulrich Langenbach sieht darin „einen von vielen Schritten des Planes, der nach dem Anthropischen Prinzip zu uns führt“. (Langenbach 2014, 48-52) Auch Olaf Elicki und Christoph Breitkreuz sehen in der Entstehung der eukaryotischen Zelle „einer der
entscheidenden Schritte in der frühen Evolution“. (Elicki/Breitkreuz 2016, 33) Richard Dawkins meint, ihre Entstehung sei eigentlich „völlig unwahrscheinlich“. Der Ursprung des Lebens stelle in der Evolutionsgeschichte eine „große Lücke“ dar, die „durch reines Glück überbrückt und dann anthropisch gerechtfertigt wurde“. Er verweist auf Mark Ridley, der die Entstehung der Eukaryoten mit Zellkern, Mitochondrien und „verschiedenen anderen komplizierten Einzelteilen, die bei Bakterien nicht vorhanden sind“, als ein „noch folgenschwereres, schwierigeres und statistisch unwahrscheinlicheres Ereignis“ nannte, als die Entstehung des Lebens selbst. (Dawkins 2007b, 197) David Christian verweist darauf, dass das Klima auf der Erde über eine Milliarde Jahre dank eukaryotischer Zellen stabil blieb. Sie ergänzten die Thermostate der Erde, indem sie Sauerstoff aus der Luft aufnahmen. So trugen sie nicht nur zur Stabilisierung der globalen Temperaturen bei, sondern brachten eine biologische Revolution in Gang, die es der Evolution erst ermöglichte, Organismen wie uns Menschen sich herausbilden zu lassen. (Christian 2018, 137) Dirk SchulzeMakuch und William Bains nennen die eukaryotische Zelle eine „Schlüsselinnovation“ und Grundlage späteren vielzelligen Lebens. Bemerkenswert sei, dass man weder die Reihenfolge noch den zeitlichen Ablauf der Schritte zur Herausbildung der Eukaryoten kenne. (Schulze-Makuch/Bains 2019, 4f., 96) Nach Meinung von J. D. Macdougall folgte der Entstehung eukaryotischer Zellen nicht sofort eine explosionsartige Entfaltung mehrzelliger Tiere. Es dauerte vielmehr bis zu deren Entstehung noch einmal viele Jahrmillionen. (Macdougall 1997, 72) Erst im Lauf dieser Zeit, so auch Christian de Duve, wurden eukaryotische Zellen Schritt für Schritt geprägt durch Zellverbände, Differenzierung, Musterbildung, Kommunikation und Zusammenarbeit. (de Duve 1995, 74f.) Nick Lane hält die Bedeutung der Eukaryoten für unübertroffen. „Alles, was auf dieser Erde etwas auf sich hält, ist eukaryotisch alle komplexen Lebensformen.“ „Prachtvolle Radiationen“ waren und seien, „einzig und allein eukaryotisch“. Bakterien blieben immer Bakterien. Menschliche Intelligenz und Bewusstsein konnten daraus nicht entstehen. Dies seien „ausnahmslos eukaryotische Eigenschaften“. Bakterien waren nicht dazu imstande, „die Wunder hervorzubringen, die wir um uns herum sehen - weder einen Hibiskus noch einen Kolibri“. Der Unterschied, so Lane, sei gravierend und „ernüchternd“. Der Schritt von einfachen Bakterien zu komplexen Eukaryoten könnte „vielleicht zum einzig wichtigen Übergang in der Geschichte unseres Planeten“ gehören. (Lane 2015, 112, 116f.)
Schneeball- oder Schneematsch-Erde: Wie überstanden Lebewesen die Eiszeiten des Neoproterozoikums?
Im Neoproterozoikum vor einer Milliarde bis vor 541 Millionen Jahren prägten mehrere Eiszeiten die Entwicklung. In der Epoche des Cryogeniums vor 720 bis 635 Millionen Jahren bedeckten kilometerhohe Gletscher Kontinente und Ozeane. Die Photosynthese kam weitgehend zum Erliegen. Auch diese Vereisung hatte, wie zuvor die Huronische Eiszeit, gravierende Auswirkungen auf die Entwicklung des Lebens. Für den Verlauf der biologischen Evolution wirkten sie wie „Flaschenhälse“. Der kleine Teil an Organismen, der hindurch kam, war Ausgangpool neuer Radiationen. Das Zeitfenster, in dem Leben entstand, war kurz und einmalig. Olaf Elicki und Christoph Breitkreuz schließen aus, dass es nach den globalen Vereisungen nochmals oder gar mehrmals zur Entstehung des Lebens kommen konnte. (Elicki/Breitkreuz 2016, 36f.) Während der Vereisung verschwanden zahlreiche Arten aus der Agenda. Diversität und Biomasse schrumpften. (Ward/Kirschvink 2016) Die Tatsache, dass das Leben die Eiszeiten des Neoproterozoikums überstand, kann daran gelegen haben, dass die Vereisungen nicht ganz so gravierend waren wie bislang angenommen. Heute ist die Rede von einer Schneematsch-Erde, auf der das Eis nicht an jedem Ort das Leben auslöschte. (Ludwig 2006, 29f.) Es gab, verursacht durch Gezeitenkräfte, auch offene Ozeane, und das Leben in den Tiefen der Meere in der Nähe heißer Hydrothermal-Quellen blieb ohnehin erhalten. Nur die Landoberfläche der Kontinente war oberflächlich frei von organischem Leben. (Reitner 2009, 277f.) Gestützt wird die Vermutung etwas milderer Eiszeiten durch Hinweise auf Bakterien, die nur bei dünnem oder ohne Meereis überleben konnten. Es gab große Gebiete, in denen die Voraussetzungen für mikrobiologisches Leben sogar günstig gewesen sein könnten. (Ulmschneider 2014, 111f.) Die Eiszeiten des Neoproterozoikums endeten vor 635 Millionen Jahren. Treibhausgase aus Vulkanen hatten sich unter dem Eis gesammelt und wurden „explosionsartig in die Atmosphäre freigesetzt“. Die Kohlendioxidkonzentration nahm zu, während der Sauerstoffgehalt unter sein heutiges Niveau sank. Das Eis schmolz. Jetzt konnten sich die „biologischen Innovationen“ des vielzelligen Lebens in einer wärmer werdenden Welt entfalten. (Christian 2018, 149) Erste
molekulare Spuren vielzelliger Tiere (Metazoa) stammen aus dieser Zeit. Die Acritarchen, eine vielgestaltige Gruppe von Mikrofossilien, erlebten zunächst einen verheerenden Niedergang, danach aber ihre größte Blütezeit. (Elicki/Breitkreuz 2016, 37)
Die ersten eukaryotischen Vielzeller im Proterozoikum
Vor 600 bis 30 Millionen Jahren war plötzlich in der Evolution „der Teufel los“. Aus dieser Zeit stammen zahllose versteinerte Fossilien vielfältiger, komplexer Organismen. (Raup 1992, 38f.) Während sich Kontinente bildeten, drifteten, kollidierten und wieder trennten, schlossen sich mikroskopisch kleine Einzeller zu Mehrzellern zusammen. Damit vollzog sich ein fundamentaler Wechsel von autonomen Einzellern hin zu komplexen Organismen mit neuen Möglichkeiten vererbbarer Eigenschaften. (Brasier 2008, 24-28) Die Entstehung vielzelliger Eukaryoten gehört neben der Entstehung des Lebens und des ersten Einzellers zu den wichtigsten Entwicklungsschritten in der Geschichte des Lebens. (Ulmschneider 2014, 155) Sie stellte aber zugleich einen weiteren Flaschenhals der Evolution dar. (Vaas 2002, 52) Joachim Bauer sieht im Übergang zu mehrzelligen Lebewesen einen gewaltigen evolutionären Schritt, für dessen Erklärung das „darwinistische Universaldogma“ nicht ausreiche. „Der Glaube an den Zufall, den die Darwinisten hegen“, sei „im Grunde die Umkehr der theologischen Einheitsbegründung des Mittelalters, als das Erblühen jeder Blume, jeder Fliegenstich und jede Krankheit mit dem Willen Gottes erklärt wurden. Anstatt eines Gottes walte und gestalte nun „der Zufall als Säulenheiliger der Gemeinde, die sich dem Darwinismus verschrieben hat“. Beide Dogmen würden bestenfalls „durch ihre Schlichtheit“ bestechen. Die Welt der Vielzeller wurde vor 634 Millionen Jahren durch Schwämme gestartet. Erst 50 Millionen Jahre später traten mikroskopisch kleine, rund gestaltete Vielzeller in Erscheinung, die Nesseltiere (Cnidaria), aus denen sich später Seeanemonen, Korallen und Quallen entwickelte. (Bauer 2010, 58-61) Bei den Nesseltieren handelte es sich um einfach gebaute, vielzellige Tiere, die durch den Besitz von Nesselkapseln gekennzeichnet sind und verschiedenen Gewässer bewohnen. Es dauerte somit über drei Milliarden Jahre, ehe aus Einzellern Mehrzeller wurden. Das zeigt deutlich, wie unwahrscheinlich auch die Bildung mehrzelliger Lebewesen war. (Crawford 2000, 32ff.) Im Gegensatz zur singulären Entstehung einer ersten eukaryotischen Zelle bildeten sich eukaryotische Vielzeller von Beginn an mehrfach heraus. (Mayr 2003, 72f.) Der Zeitpunkt ihrer Entstehung ist allerdings umstritten. In 1,3
Milliarden bis 750 Millionen Jahre alten Gesteinen fand man Fossilien mehrzelliger Algen. Da sie den noch heute lebenden Rotalgen der Gattung Bangia ähneln, nannte man sie Bangiomorpha. Sie zeigen, dass in den Urmeeren des Proterozoikums mehrzellige Algen lebten. Sie sind neben Braunalgen die ältesten bekannten Lebewesen der Erde. (Erben 1975, 87)
Die sexuelle Revolution der Vielzeller
Während der ersten zwei Drittel der Zeit des Lebens gab es noch keine eukaryotische Sexualität. (Erben 1975, 91) Für die Evolution der Eucaryota und Vielzeller (Metabionta) war die Befähigung zur sexuellen Reproduktion über Geschlechtszellen aber entscheidend. Vermutlich kam sie zuerst bei einzelligen Eukaryoten auf, was die Entwicklung echter Vielzeller beschleunigt haben könnte. (Oschmann 2016, 81) Die geschlechtliche Fortpflanzung brachte dann den entscheidenden Durchbruch bei der Vermehrung der Organismen. Die „sexuelle Revolution“ schuf die Möglichkeit einer unbegrenzten Erweiterung der Entwicklungsmöglichkeiten biologischer Systeme und beschleunigte die natürliche Auslese. Durch die ständige Weitergabe der Eigenschaften beider Eltern entstanden für die nachfolgenden Generationen erheblich mehr Kombinationsmöglichkeiten, die sich, je nach äußeren Bedingungen, erfolgreich durchsetzen konnten oder wieder verschwanden. Sex ist die unabdingbare Voraussetzung für eine unbegrenzte Flexibilität der Organismen bei der Anung an sich verändernde äußere Umstände. Ohne diesen entscheidenden Schritt in der Entwicklungsgeschichte wäre unser Planet nur von Einzellern bewohnt geblieben. Es gäbe weder Pflanzen oder Tiere, von Menschen ganz zu schweigen.
Vielzellige Tiere vor einer Milliarde bis vor 850 Millionen Jahren
Der nächste evolutionäre Schritt nach der Entstehung eukaryotischer Vielzeller (Metabionta) war die Entstehung vielzelliger Tiere (Metazoa). Diese umfassten alle mehrzelligen Tiergruppen. Über die Details gibt es unterschiedliche Auffassungen. Unbestritten ist, dass die Evolution von Luca bis zu den ersten vielzelligen Tieren rund drei Milliarden Jahre brauchte. (Christian 2018, 143f.) Bis zur Bildung der ersten eukaryotischen Zelle waren schon Äonen vergangen, nun vergingen nochmals „unvorstellbare Zeiten“. (Macdougall 1997, 72) Das Leben trat „fast auf der Stelle“. Eine Ursache war der geringe Anteil an freiem Sauerstoff zwischen zwei Oxigenierungsphasen. (Elicki/Breitkreuz 2016, 34f.) Die Meere des Proterozoikums waren neben Algen von unzähligen kleinen weichen Urmetazoa besiedelt, die den Embryonen heutiger Wirbeltiere ähneln. (Kutschera 2006, 181f.) „Zugegeben“, so Stephen Jay Gould, „es war nicht vorhersagbar, dass es jemals über die prokaryotischen Zellen hinausgehen würde, aber sobald vielzellige Tiere da waren, stand die Entwicklung in ihren Grundzügen fest und es musste „einen weiteren Aufstieg in Richtung Bewusstsein geben“. (Gould 1991, 351) Steven M. Stanley nennt die Ausbreitung von Tieren in den letzten 50 Millionen Jahre des Neoproterozoikums „das herausragendste Ereignis“ in den vier Milliarden Jahren seit der Entstehung der Erde. Die tierischen Organismen vollzogen eine „evolutionäre Radiation, die durchaus als explosionsartig beschrieben werden kann“. (Stanley 2001, 316f.) Auch wenn es sich zunächst nur schemenhaft abzeichnete, fand die Natur doch mit dem Entstehen von Tieren „zu neuen Ebenen spielerischer Vielfalt und Aufmerksamkeit, von Komplexität der Formen, Reaktionsbereitschaft und Betrug“. Tiere, so Lynn Margulis und Dorion Sagan, leisteten erstaunliches: „Ein Schmetterlingsflügel mit der Imitation eines Regentropfens, durch den eine Linie verläuft und den Eindruck erweckt, als breche sich tatsächlich Licht an einer Wasseroberfläche, ein sprungbereiter Gepard in Lauerstellung, ein Akrobat, der auf hohem Drahtseil jongliert.“ (Margulis/Sagan 1999, 126f.)
Erste Entwicklungen tierischen Lebens und die Suche nach unseren frühesten Ahnen
Tierisches Leben entwickelte sich aus protoctistischen Vorfahren, aus denen durch komplizierte Zyklen aus Fruchtbarkeit, Vielzelligkeit und Meiose Schritt für Schritt Tiere entstanden. (Margulis/Sagan 1999, 130) Als Protoctisten werden alle eukaryotischen Lebewesen bezeichnet, die noch nicht zu den Tieren, Pflanzen oder Pilzen gehören. Unter ihnen waren Algen, Wimpertierchen, Foraminiferen, Apicomplexa, Eipilze und Schleimpilze. Die Entwicklungen zu Beginn des tierischen Lebens sind für den Laien schwer nachvollziehbar, was nicht nur an den konträren Auffassungen der Wissenschaftler liegt. Die vielfältigen Entwicklungen in einer Zeit ohne nennenswerte Fossilien erschweren die Suche nach unserer Roten Linie oder machen sie gar unmöglich. Eines der vier Reiche der eukaryotischen Protocisten bildeten die Animalia. Das waren Tiere mit Zellkern, die ihre Stoffwechselenergie nicht wie Pflanzen aus Sonnenlicht bezogen, sondern Sauerstoff zur Atmung benötigten. Die Plattentiere (Placozoa) stellten die strukturell einfachsten aller vielzelligen Lebewesen dar und bildeten einen eigenen Tierstamm. Sie waren neben Schwämmen, Nesseltieren, Rippenquallen und Zweiseitentieren (Bilateria) eine der fünf grundlegenden Entwicklungslinien vielzelliger Tiere. Trichoplax adhaerens gilt als die einzige allgemein anerkannte Art der Placozoa. Dieses „Minimaltier“, ein kopf- und schwanzloses Geschöpf, ähnelte unseren ersten Urahnen, wenn man sich auch „vermutlich kein Konterfei davon in den Salon“ hängen würde. Im Laufe des Neoproterozoikums erschienen weitere Trichoplaxähnliche Gestalten. (Margulis/Sagan 1999, 126-128) Nach einer denkbaren, aber umstrittenen Entwicklungslinie gingen aus den Metazoa die Epithelioza hervor, aus diesen dann die Gewebetiere (Eumetazoa). Unter dem Taxon der Gewebetiere werden alle vielzelligen Tiere (Metazoa) zusammengefasst, mit Ausnahme der Schwämme und der Placozoa. Die Eumetazoa teilte sich in die Rippenquallen, die Nesseltiere und die Zweiseitentiere (Bilateria) auf. (Mayr 2003, 76f.) Die Zweiseitentiere teilten sich während der Sturtischen Eiszeit vor etwa 680 Millionen Jahren in die Urmünder (Protostomia) und Neumünder (Deuterostomia). Neumünder umfassten neben kleinen Tierstämmen die Stachelhäuter (Echinodermata) und Wirbeltiere
(Vertebrata). (Kutschera 2006, 181f.) Hier wird unsere Rote Linie wieder überschaubarer. Richard Fortey nennt die Aufspaltung in Gliederfüßer (Arthropoden) und Wirbeltiere „eine der untersten Verzweigungen am Baum des Lebens“. Es sei nicht einfach, sich eine Vorstellung von diesen „weit entfernten Ahnen“ zu machen. Wahrscheinlich werde man nie erfahren, wie sie aussahen. Nach den wenigen Hinweisen waren sie klein, hatten einen weichen Körper und hinterließen keinerlei Versteinerungen. Bis heute schreibt ihr „Vermächtnis“ allerdings dem Embryo vor, aus welchen Zellen im Verlaufe der Entwicklung der Kopf werden und wie der Körper von vorne bis hinten angeordnet sein soll. Nach wie vor folge jeder Embryo dem Entwurf aus diesen Urzeiten. (Fortey 2002, 90)
Die Ediacara-Fauna: Sackgasse der Evolution oder Stufe auf dem Weg zum Menschen?
Vor 700 Millionen Jahren gab es eine weitere Serie globaler Vereisungen. Seit deren Ende vor 580 Millionen Jahren belebten vielzellige Tiere der „EdiacaraFauna“ die Erde. Sie wurden nach den Edicara Hills in Südaustralien benannt. Geologen nennen den Abschnitt der Erdgeschichte vor 650 bis 545 Millionen Jahren Vendium (Janvier 2003, 1f.), wobei sich die vor allem im Russischen gebrauchte Bezeichnung zeitlich in etwa mit dem Ediacarium deckt. Das Vendium ist nach der westslawischen Ethnie der Wenden oder Sorben benannt, deren Nachfahren heute in der Lausitz leben. Die hier entscheidende Frage ist, ob die Ediacara-Wesen, die scheinen, als kämen sie aus einer anderen Welt, zu unseren Ahnen gehören. Die ältesten Fossilien wurden in der chinesischen Provinz Ginzhou gefunden. In Doushantuo entdeckten Forscher 580 und 550 Millionen Jahre alte fossile Embryonen, deren Zellen sich schon ähnlich teilten wie bei heutigen Tieren. Da die Fossilien von Ediacara-Schichten überlagert sind, ist davon auszugehen, dass schon lange vor den Ediacara-Faunen, die bisher für den Ausgangspunkt der Evolution mehrzelliger Tiere gehalten wurden, eine Auffächerung in bedeutende stammesgeschichtliche Entwicklungslinien stattfand. (Kremer 1998, 27ff.) Sollten die Fossilien tatsächlich von Embryonen der Ediacara-Fauna stammen, sei es, so Philippe Janvier, „gut möglich, dass jene eigenartig flachen Tiere zu unserer Urverwandtschaft gehören“. Die fossilen Überreste werden oft neutral als „Lebewesen des Vendiums“ bezeichnet. Die Vendobionta waren weiche Lebewesen ohne Schale. Man fand daher auch nur Abdrücke und keine Körperfossilien. Viele dieser Vendobionta gelten als Mehrzeller. Doch fehlen bislang Hinweise auf ein komplexes Innenleben dieser sehr dünnen und flachen Wesen. Manche erinnern an geriffelte Blätter, andere entfernt an flache Würmer, wieder andere an Quallen. „War dies“, so Philippe Janvier, „ein erster Versuch in der Evolution zu einer Tierwelt aus komplexeren, vielzelligen Organismen“ zu kommen, „welche sich aber nicht halten konnte?“ (Janvier 2003, 1f.) Dolf Seilacher vermutet aufgrund der luftmatratzenähnlichen Struktur, Vendobionta könnten riesige Einzeller gewesen sein. (Zit. b. Schrenk/Müller 2006, 145-148)
Einige Experten sehen in Ediacara-Formen wie Spriggina mögliche Vorfahren heutiger Ringelwürmer. (Kutschera 2006, 92-94) Es handelte sich um gallertartige Geschöpfe, die in seichten Gewässern lebten und zwischen zwei und 80 Zentimeter lang wurden. (Margulis/Sagan 1999, 133) Heinrich K. Erben, der die Ediacara-Tiere als „medusenartige Coelenteraten“ und „weiterentwickelte Würmer“ bezeichnet, konstatiert, dass deren Stellung innerhalb des taxonomischen Systems des Tierreiches unklar sei. (Erben 1975, 96) Möglicherweise, so Lynn Margulis und Dorion Sagan, waren die EdiacaraLebewesen gar keine Tiere, sondern „bizarre, ausgestorbene Protoctisten“, also Eukaryoten, die nicht zu den Tieren, Pflanzen oder Pilzen gehörten. Es könnte auch sein, dass sie, „da sie so auffallend einzigartig“ waren, einen der vielen „Fehlstarts“ der Evolution darstellten. (Margulis/Sagan 1999, 133) Auch Ulrich Kutschera hält sie weder für Tiere noch für Pflanzen, sondern für eine eigene Organismengruppe. (Kutschera 2006, 92-94) Vielleicht, so ebenfalls J. D. Macdougall, repräsentierten sie „ein ganz eigenes Tierreich“, das völlig anders als das heute bekannte ist. In diesem Fall wäre die Ediacara-Fauna „eine Sackgasse der Evolution“, und ihr rasches Auftreten, ihre Vielfalt und ihr Verschwinden aus den Weltmeeren bliebe „ein faszinierendes paläontologisches Rätsel“. (Macdougall 1997, 124f.) Philippe Janvier sieht in der Ediacara-Fauna einen ersten Versuch, in der Evolution zu einer „Tierwelt aus komplexeren, vielzelligen Organismen“ zu kommen, die „sich aber nicht halten konnte“. (Janvier 2003, 1) Selbst wenn man die Ediacara-Lebewesen den echten Metazoa zuordne, bleibe, so Erben, zu bedenken, dass sie als Wurzel der Eumetazoa nicht in Frage kommen. „Echte Wurzelformen“ seien noch nicht gefunden worden. Diese Fauna lasse jedenfalls erkennen, dass die Tierwelt der Urozeane gegen Ende des Präkambriums das Stadium einer von Sauerstoffmangel und ultravioletter Strahlung bedrohten „Kümmerexistenz“ überwunden hatte. (Erben 1975, 57, 96) Wolfgang Oschmann sieht in den Ediacara-Lebewesen eine Gruppe, die phylogenetisch Metazoa und Vendobionta einschloss, also sowohl ausgestorbene Seitenzweige der Evolution als auch Stammgruppen heutiger Formen. (Oschmann 2016, 81f.) Den Paläontologen verursachen sie Kopfzerbrechen, denn sie glichen den Tieren des Kambriums, die nach ihnen lebten, „nicht im Geringsten“. Dennoch scheinen sie „näher mit der Tierwelt verwandt sein, die nach ihr im Kambrium lebte“. (Janvier 2003, 1f.) Für Stephen Jay Gould stellen sie den einzigen Beleg für vielzelliges Leben an der großen Scheidelinie zwischen Präkambrium und Kambrium dar. Man könne die „Ediacara-Geschöpfe“ jedoch „nur mit Ach und
Krach dem Präkambrium zurechnen“, da die Schichten, in denen Fossilien gefunden wurden, aus der dem Kambrium vorausgegangenen Zeit stammen. (Gould 1991, 351) David Christian gibt zu bedenken, dass die meisten Arten keine Nachkommen hinterließen. Strittig ist auch, ob die im Paläozoikum auftauchende Fauna des Burgess-Schiefers auf die Ediacara-Fauna zurückzuführen ist. Sowohl ihre relativ gute Erhaltung ohne mineralisierte Skelette oder Schalen, als auch ihr Ende geben Rätsel auf. Die meisten EdiacaraWesen verschwanden in der Zeit vor 500 bis 50 Millionen Jahren aus dem Fossilbericht. (Christian 2018, 151f.) Möglicherweise wurden sie von hartschaligen Krebsen des Kambriums gefressen. Der „Garten von Ediacara“ wurde wohl, so auch Peter Ward und Joseph L. Kirschvink, von Tieren besetzt, die „alles fraßen, was ihnen in die Quere kam“ und die „langsamen Mikroorganismen im Ozean wie auch auf Landflächen vernichteten“. (Ward/Kirschvink 2016) Macdougall schließt aus dem Verschwinden, dass das späte Proterozoikum von einem Massensterben heimgesucht wurde. Die Lebensräume der Ediacara-Fauna in Flachwassergebieten fielen dem fallenden und steigenden Meeresspiegel zum Opfer. (Macdougall 1997, 200f.) Bernhard Hubmann und Harald Fritz sehen im Aufkommen moderner Lebensformen eine denkbare Ursache. Möglicherweise gab es eine Umweltkatastrophe, bei der mehrfach sauerstoffarme und mit Schwefelwasserstoff angereicherte ozeanische Tiefenwässer in flache Meeresbecken überschwappten. Die mangelnde Mobilität der EdiacaraOrganismen erlaubte es ihnen nicht, darauf zu reagieren. (Hubmann/Fritz 2015, 170) Stephen Jay Gould fragt, wie die Evolution wohl verlaufen wäre, hätten „die flachen Steppdecken von Ediacara“ überlebt, nicht aber die Vielzeller. „Wäre das Leben auf diesem alternativen Entwicklungsweg der Ediacara-Anatomie jemals zu einem Bewusstsein gelangt? Wahrscheinlich nicht.“ Würden sich die Ediacara-Wesen bei einem fiktiven „nochmaligen Durchlauf“ der Evolution durchgesetzt haben, hätte tierisches Leben „wohl nie sehr viel Komplexität erreicht oder auch nie etwas Ähnliches wie Selbstbewusstsein erlangt“. Es hätte wohl „für immer im alten Trott der Blätter und Pfannkuchen verharrt“, mithin in einer „Form, die für selbstbewusste Komplexität, wie wir sie kennen, äußerst ungünstig“ wäre. Falls Ediacara-Überlebende später imstande gewesen wären, innere Komplexität zu entwickeln, so hätte die „Entwicklung von diesem völlig anderen Ausgangspunkt aus, eine Welt hervorgebracht, die allenfalls der Science-Fiction würdig wäre“. (Gould 1991, 354) Ob die Ediacara-Fauna unsere
Rote Linie repräsentiert, bleibt ebenso unklar wie ihre Rolle im Verlauf der tierischen Evolution.
13. Von der Kambrischen Explosion vor 541 bis zum Landgang der Tiere im Silur vor 490 Millionen Jahren
Die Kambrische Explosion des Lebens
Die Grenze zwischen Ediacarium und Kambrium gilt, weil erstmals komplexere Lebensformen erschienen, als markante Zäsur. Das Kambrium erhielt seinen lateinischen Namen von Wales (Cambria). Zu Beginn der Epoche des Paläozoikums wandelte sich die Erde nach der Eiszeit in ein Treibhaus mit eisfreien Polen. Der Kohlendioxidgehalt der Atmosphäre stieg auf zehn Prozent, die Temperatur auf 20 Grad Celsius. Die Südhalbkugel war vom Riesenkontinent Gondwana bedeckt, bestehend aus Indien, Südamerika, Afrika, Australien, der Antarktis und aus Teilen Mittelamerikas. Wo heute Mitteleuropa liegt, befand sich ein Meer. Das Festland glich einer Wüstenlandschaft ohne komplexe Lebensformen. (Stanley 2001, 296) Wenn Teile davon überflutetet wurden, bildeten sich jedoch flache Randmeere mit günstigen Bedingungen für wechselwarme Tiere. Unter diesen Bedingungen kam es vor 542 Millionen Jahren zur Kambrischen Explosion des Lebens, die trotz ihres Namens mehr ein evolutionärer Prozess war, der sich über 30 bis 40 Jahrmillionen erstreckte. (Oschmann 2016, 93f.) Es schien, so Nick Lane, „als ob ein verwirrter Schöpfer plötzlich aufgewacht wäre und sich unverzüglich daranmachte, aufzuholen, was in all den Äonen zuvor versäumt“ worden war.“ (Lane 2015, 116f.) Was er dann schuf, so Richard Fortey, waren teils „bizarre Lebensformen“, die an einen „urzeitlichen Moment des Verrücktseins“, einen „prachtvollen evolutionären Mardi Gras“ erinnerten. Einen geologischen Tag lang dauerte eine Parade, die „so bizarr war, als hätte sich ein Surrealist sie unter Einfluss von Speed ausgedacht“. Für Fortey stellt die Kambrische Explosion die nächstbedeutende Hürde der Evolution nach dem Beginn des Lebens dar. Wodurch sie ausgelöst wurde ist unbekannt. Vielleicht wurde ein Schwellenwert überschritten, durch die „die Möglichkeiten des Lebens auf phantastische Weise zunahmen“ und sich „die Elemente des evolutionären Spiels plötzlich vervielfältigten“. (Fortey 2002, 134f.) Es kann nicht mit Sicherheit gesagt werden, warum dieses Phänomen gerade damals begann und welche Umstände dafür verantwortlich waren. Neu war jedenfalls, dass sich in den Meeren nun Raub- und Beutetiere gegenüberstanden und es zu einen regelrechten „Rüstungswettlauf“ kam. (Palmer/Barrett 2009, 48) Möglich wurde er durch die „Wunderdroge“
Sauerstoff. Dieser trug zur Bildung von Proteinen und Kollagen bei, ohne das sich kein Bindegewebe hätte bilden können. Große Tiere, die durch Schalen oder harte Skelette geschützt waren, konnten sich nur entwickeln, weil der Sauerstoffanteil in der Atmosphäre hoch genug war, um die Kollagenproduktion zu fördern. Der erhöhte Sauerstoffanteil trug wesentlich zum plötzlichen Auftreten großer Tiere zu Beginn des Kambriums bei. (Lane 2015, 79-81)
Die Entstehung der kambrischen Fauna „wie aus dem Nichts“ und das Problem der Diskontinuität der Evolution
Auch die Kambrische Explosion war für uns Menschen von existentieller Bedeutung, stammen wir doch nachweislich von Tieren ab, die damals entstanden. Reinhard Junker und Siegfried Scherer bezeichnen die Kambrische Explosion als eine der „ausgeprägtesten Diskontinuitäten“ der Evolution. (Junker/Scherer 1988, 193) Die meisten heutigen Tierstämme, so Philippe Janvier, traten „fast gleichzeitig“ und „wie aus dem Nichts“ auf. (Janvier 2003, 1ff.) Ernst Mayr meint, beim plötzlichen Auftauchen könne es sich um eine Täuschung handeln, die darauf zurückzuführen sei, dass Tiere erstmals über innere oder äußere Skelette verfügten, deren Fossilien besser zu finden sind als die ihrer Vorfahren mit weichen Körpern. Vielleicht wurden deswegen bis heute keine Fossilien gefunden, die zwischen den kambrischen Tieren und deren Vorfahren stehen. Aber auch er spricht davon, dass die Stämme nicht nur „durch unüberbrückbare Lücken“ von möglichen Vorgängern aus dem Proterozoikum getrennt waren, sondern „fasst alle Stämme gleich in ausgeprägter Form“ auftraten. (Mayr 2003, 74 u. 84) Der vermeintliche oder tatsächliche Evolutionsbruch, mache es, so Adolf Seilacher, „unmöglich, unsere Ahnenlinie durchgängig zu beschreiben, auch wenn klar ist, dass es diese Kontinuität gegeben haben muss“. Sicher sei nur, dass es vor 500 Millionen Jahren bereits fast alle etwa 32 heutigen Tierarten vorkamen, zudem auch noch einige ausgestorbene Arten, von denen man nicht weiß, wie die Entwicklung verlaufen wäre, hätten sie die „Aussterbe-Ereignisse“ nicht „vorzeitig kupiert“. (Seilacher 2003, 79) Es ist also erneut schwierig, unsere Rote Linie zu verfolgen. Wir können nicht mit Bestimmtheit sagen, welche Lebewesen der damaligen Zeit unsere Vorfahren waren. Auch für Hans-Jürgen Fischbeck gehört zum „bisher nicht Erklärten“, dass in vergleichsweiser kurzer Zeit, anscheinend übergangslos und nahezu gleichzeitig alle Grundentwürfe oder Baupläne auftraten. Die Makroevolution machte große Sprünge, die sich mit Darwins Konzept einer Mikroevolution durch viele kleine Punkt-Mutationen im Genom kaum erklären lassen. Mit dem Beginn des Kambriums war „die heutige Fauna mit ihren Grundelementen plötzlich da:
schlagartig, hochorganisiert, weltweit“. Eine Evolution fand „im Wesentlichen nicht statt“. (Fischbeck 2005, 38f.) Bei der Radikalität der Umwandlung handelte es sich, so auch József Pálfy, um ein einzigartiges Ereignis. Um ihre Überlebenschancen zu verbessern, schützten sich mehrere Metazoen-Gruppen durch Exoskelette, die, „wie vom Zauberstab berührt“ plötzlich erschienen (Pálfy 2005, 46-50) Dass viele Stämme fast gleichzeitig auftauchten sei, so Ulrich Langenbach, nicht möglich, wenn man die Normalgeschwindigkeit des genetischen Wandels, die „molekulare Uhr“, zugrunde legt. (Langenbach 2014, 63f.) Tiere mit Skeletten erschienen „wie mit einem Paukenschlag“ plötzlich und unangekündigt auf der Erde. (Hubmann/Fritz 2015, 171) Richard Fortey verweist hingegen auf DNS-Vergleiche, die zeigten, dass die Aufspaltung in die großen Tiergruppen schon tief in präkambrischer Zeit erfolgt war. Es habe eine ziemlich lange „Evolutionszündschnur“ gegeben, die Jahrmillionen brannte, ehe es zur Explosion kam. (Fortey 2008, 30-31) Auch Rachel A. Wood meint, die Entwicklung komplexer Tiere habe lange vor dem Kambrium im Ediacarium eingesetzt. Der Übergang zum Kambrium sei daher „keine plötzliche dramatische Wende“. Die Evolution von Skeletten und der Riffbau begannen deutlich früher als lange angenommen. Gepanzerte Tiere gab es schon seit 550 Millionen Jahren. Der Selektionsdruck war demnach schon lange vorher wirksam. (Wood, Rachel 2020, 32-39)
Chordatiere: Vorfahren der Wirbeltiere in den kambrischen Meeren vor 600 Millionen Jahren
Nachdem unsere Rote Linie für ein paar Jahrmillionen schwer auszumachen ist, sind unsere nächsten sicheren Ahnen die Chordatiere (Chordata), die vor 600 Millionen Jahren erschienen. Erste von ihnen entstanden im Kambrium, vielleicht sogar im Präkambrium. Zu ihnen zählen Wirbeltiere, Schädellose und Manteltiere. Benannt sind sie nach der Chorda, einem schnurartigen Stützstrang und Vorläufer des Innenskeletts der Wirbeltiere. Allerdings fällt ihre stammesgeschichtliche Einordnung schwer. (Roth 2010, 151) Im Kambrium scheint sich eine Linie wirbelloser Tiere in zwei Stämme aufgespalten zu haben, nämlich in Stachelhäuter und Chordatiere. (Morowitz 1988, 288) Einzelheiten sind umstritten. Es wird vermutet, Chordatiere könnten den Neumündern, einer kleinen Fischart, entstammen. Vielleicht sind Schädellose und Wirbeltiere aber auch Schwestergruppen, die den urtümlicheren Manteltieren gegenüberstanden. Noch eine andere Hypothese besagt, dass Manteltiere abgeleitete Verwandte der Chordatiere waren. So oder so gibt es 60 000 bis heute lebende Arten. Wirbeltiere gelten zwar als eine Hauptgruppe der Chordatiere, sind aber nicht mit ihnen gleichzusetzen.
Pikaia: Das erste nachgewiesene Chordatier vor 530 Millionen Jahren
Als Forscher im Burgess-Schiefer in den kanadischen Rocky Mountains das erste Chordatier entdeckten, war schnell klar, dass sie den 530 Millionen Jahre alten Urahnen aller Fische, Amphibien, Reptilien, Vögel, Säuger eischließlich von uns Menschen vor sich hatten. Sie nannten das Tier nach dem Mount Pika in der näheren Umgebung der Fundstelle. Seine Bedeutung besteht darin, dass das Tier „verantwortlich für die spätere Entwicklung einer solch großen Formenvielfalt vom Hering bis zum Hasen“ war und beweist, dass „unsere Vorfahren sich in urzeitlichen Ozeanen getummelt haben“. (Margulis/Sagan 1999, 132f.) Mit der Chorda erwies sich Pikaia als „das erste dokumentierte Mitglied unserer direkten Ahnenreihe“. Es stellte einen „Markstein in der Geschichte des Stammes“ dar, dem alle Wirbeltiere einschließlich des Menschen angehören. Stephen Jay Gould weist trotz aller Euphorie über die Funde darauf hin, dass Pikaia nicht der alleinige Ahne der Wirbeltiere gewesen sein müsse. Möglicherweise gab es noch andere Chordatiere, die nur noch nicht entdeckt wurden. (Gould 1991, 363-365) Andere Wissenschaftler verweisen darauf, dass Pikaia den frühen Chordatieren anatomisch nicht nahestand. Vielmehr zeugten seine abgeleiteten Merkmale von einer bereits länger andauernden und eigenständigen Evolution, die deutlich mache, dass die Trennung zwischen schädellosen Chordatieren und Wirbeltieren lange vor der Zeit, in der Pikaia lebte, stattgefunden haben könnte. Insgesamt aber herrscht Einigkeit, dass Pikaia „in einem fast allumfassenden Sinn“ die „Wiege der modernen Tierstämme“ markierte (Reichert 1999, 367f.) und daher zweifelsfrei auf unsere Rote Ahnenlinie gehört.
Wirbeltiere während und nach der Kambrischen Explosion
Wirbeltiere (Vertebraten) traten vor 520 Millionen Jahren auf, etwa 20 Millionen Jahre nach der Kambrischen Explosion. Aus molekularen Vergleichen schließen Evolutionsforscher sogar auf ein noch höheres Alter unseres Tierstammes. Über sie also verläuft unsere Rote Linie weiter. Die Kegelzähner (Conodonten), eine ausgestorbene Gruppe von Meerestieren, werden den Chordatieren oder sogar den Wirbeltieren zugeordnet. Die Fossilien der ältesten Kegelzähner stammen aus 542 Millionen Jahren altem Sedimentgestein. Mit dem Massenaussterben an der Trias-Jura-Grenze verschwanden sie. Das wenige Zentimeter lange Tier ähnelte einem langen, dünnen Fisch. Seine Muskulatur strahlte von einer Mittelachse wie im Fischgrätenmuster aus. Möglicherweise standen sie den Neunaugen nahe, was hieße, dass bereits im Kambrium Wirbeltiere existierten. Im oberen Kambrium und im Ordovizium vor 541 bis 443 Millionen Jahren entwickelten sich die Kieferlosen (Agnatha) zu den ältesten mit Zähnen ausgestatteten Wirbeltieren. Sie sind älter als Fische mit Kieferskelett. (Janvier 2003, 1f.) Aufgrund ihrer unpaarigen Flossen waren sie nur träge Schwimmer, die in Bodennähe Nährstoffe mit dem Wasser einschlürften. (Reichert 1999, 395) Es gab bereits andere Wirbeltiere bzw. ihre Vorläufer in den kambrischen Meeren. So lebte Haikouichthys im Unterkambrium in China vor 535 Millionen Jahren. Das Tier war wenige Zentimeter lang und glich der Larve eines heutigen Neunauges. Die Zuordnung ist schwierig. Haikouichthys könnte zur Schwestergattung der Neunaugen (Petromyzontiformes) bzw. der weiterentwickelten Wirbeltiere gehört haben. Eventuell ist es identisch mit Myllokunmingia, einem Wirbeltier aus dem Unterkambrium, das vor 530 Millionen Jahre lebte und als ältestes Wirbeltier in Gesteinen des Kambriums gilt. Zwischen Pikaia und den Kieferlosen Fischen wie Haikouichtys aus dem Unterkambrium von Chengjiang liegt ein großer Entwicklungssprung. (Langenbach 2014, 76) Wahrscheinlich lief unsere Rote Linie über die ersten Chordatiere zu den Kieferlosen, die ihrerseits zu den ersten Wirbeltieren gehörten. (Morowitz 1988, 288) Die Kieferlosen Fische teilten sich während des Silurs, und es tauchte eine neue Klasse von Wirbeltieren auf, die Panzerfische (Placodermi). Diese hatten Kiefer und in einigen Fällen flossenähnliche
Strukturen. (Futuyma 1990, 369)
Lanzettfischchen und Seescheiden
Lanzettfischchen (Branchiostoma) und Seescheiden (Ascidiae) waren Meereswirbeltiere mit einem Nervensystem, aber ohne echtes Gehirn. Sie wiesen „eine gewisse Ähnlichkeit mit unseren frühesten vertebratischen Vorfahren auf“ (Christian 2018, 153f.) und gelten als die nächsten lebenden Verwandten der Wirbeltiere. Wenn die Rede von Verwandten oder Seitenzweigen ist, heißt dies, dass sie nicht direkt zu unseren Vorfahren gehörten. Sie helfen jedoch bei deren Einordnung. Beide haben zwar keine Knochen, einem Charakteristikum der Wirbeltiere, aber eine Chorda dorsalis (Rückensaite). (Benton 2007, 12) Das Lanzettfischchen Amphioxus, das noch heute lebt, lässt erkennen, wie unsere frühesten Vorfahren aussahen. Da es Kiemenspalten und im Rücken eine Chorda besaß, ordnet man es zusammen mit den Wirbeltieren dem Stamm der Chordatiere zu. (Mayr 2003, 89f.) Die meisten Experten lehnen es jedoch ab, Wirbeltiere vom Lanzettfischchen herzuleiten und betrachten diese Form als hochgradig spezialisierten Seitenzweig in der Evolution der Wirbeltiere, dessen Abstammungslinie unklar sei. (Junker/Scherer 1988, 193)
Massensterben im Proterozoikum vor 545 bis 485 Millionen Jahren
Vor 545 Millionen Jahren kam es zu einem Massensterben. Es könnte die Ursache dafür gewesen sein, dass sich die Tierwelt noch einmal grundlegend wandelte. Zwar datieren viele Wissenschaftler die frühesten Fossilien von Repräsentanten einiger heutiger Tierstämme auf 535 Millionen Jahre, nach neueren Hinweisen existierten sie jedoch schon fünf bis acht Millionen Jahren früher. (Janvier 2003, 1ff.) Massenaussterben sind Weichenstellungen der Lebensgeschichte. Weil der Effekt in einem historischen Prozess umso größer ist, je früher die Weichen gestellt wurden, waren die Vorgänge im Übergang vom Präkambrium zum Kambrium folgenschwerer als spätere Entwicklungen. (Seilacher 2003, 79) Ein weiteres Massenaussterben vor 500 Millionen Jahren könnte durch eine Supernova ausgelöst worden sein, deren Gamma-Strahlen die Erdatmosphäre zerstörten und den Sonnenstrahlen ungehinderten Zugang zur Erdoberfläche verschafften. Während des Kambriums und insbesondere an dessen Ende vor etwa 485 Millionen Jahren verheerten weitere Ereignisse die Fauna. Es kam zum Massenaussterben von Wirbellosen, meist Trilobiten und Gliederfüßern. (Stanley 2000, 31) Rund 80 Prozent aller Tier- und Pflanzenarten verschwanden. Ursachen waren Klimawandel, Änderungen des Meeresspiegels, Hitze und Giftgase aus fauligen Ozeanen sowie Einschläge großer Asteroiden oder Meteoriten. (Ward 3/2007, 27-32) Da es uns gibt, wissen wir, dass einige Wirbeltiere die Gefährdungen überlebten. Die Rote Linie ist durchgängig zu erkennen. Was aber wäre geschehen, wenn die Chordatiere komplett ausgestorben wären oder sich stattdessen andere Tiere durchgesetzt hätten? Es gäbe uns ebenso wenig wie unsere Rote Linie. Aber auch angesichts der Tatsachen, dass Chordatiere überlebten, hätte keinesfalls festgestanden, dass es uns einmal geben würde. Dazu bedurfte es noch einer langen Reihe wundersamer und zufälliger Merkwürdigkeiten, die wir heute fragend und staunend zur Kenntnis nehmen.
Kontingenz und die Bedeutung der Entwicklung von Pikaia zum Menschen
John Maynard Smith schrieb: „Könnte man die gesamte Evolution der Tiere seit Anbeginn des Kambriums noch einmal ablaufen lassen (und dabei am Anfang um Laplace Genüge zu tun - ein einziges Tier einen halben Meter nach links rücken), so wäre es keineswegs sicher, ja nicht einmal wahrscheinlich, dass das Ergebnis dasselbe wäre. Womöglich hätte das Leben das Festland nie erobert, es gäbe vielleicht keine Säuger und mit Sicherheit keine Menschen.“ Siomon Conway Morries zitiert aber nicht nur Smith, sondern meint, auch Ernst Mayr und Stephen Jay Gould sowie „nahezu jeder andere würde vermutlich der Aussage beipflichten, dass ein erneutes Aufkommen genau derselben erkenntnisfähigen Geschöpfe - mit fünf Fingern an jeder Hand, einem Blinddarm, zweiunddreißig Zähnen und so weiter bei einer Wiederholung der Evolution seit der Kambrischen Explosion verschwindend gering wäre“. (Morris 2008, 13) Nun erklärt Stephen Jay Gould etwas, was mit Blick auf unsere Rote Linie bedenkenswert ist. Er spricht von der „Unvorhersehbarkeit der Entwicklungswege gegen unsere Hoffnung, das Bewusstsein möge sich als unausweichliche Notwendigkeit erweisen.“ Könnte man das Band des Lebens bis zum frühen Kambrium zurückspulen, würden, so Gould, Riffe nicht von Korallen gebildet, sondern von Archaeocyathiden, eine den Schwämmen ähnliche, riffbauende Tiergruppe. Wahrscheinlich gäbe es „kein Bikini, kein Waikiki; vielleicht auch keine Menschen, die an Rumcocktails nippen und in großartigen unterseeischen Gärten herumschnorcheln“. In der allerfrühesten kambrischen Fauna habe es eine Fülle alternativer Möglichkeiten gegeben, die „alle gleichermaßen sinnvoll waren und allesamt nicht zu uns führten“. Erst als im Atdabanian, der dritten Stufe des Kambriums, die moderne Fauna gebildet war, standen die Wege schließlich „definitiv fest“. Das Auftreten der Trilobiten, „dieser vertrauten Symbole des Kambriums“, signalisierte „das Ende der Verrücktheit und den Beginn der Vorhersagbarkeit.“ Für Stephen Jay Gould stellt Pikaia „das letzte fehlende Glied in unserer Geschichte der Kontingenz“ dar, der direkten Verbindung zwischen der BurgessDezimierung und der schließlich zum Menschen führenden Evolution. Wenn man das Band des Lebens bis zur Burgess-Zeit zurückspulen und noch einmal
ablaufen lassen könnte und Pikaia in diesem fiktiven zweiten Durchlauf nicht überlebt hätte, wären „wir aus der künftigen Geschichte getilgt, und zwar wir alle, vom Hai über das Rotkehlchen bis zum Orang-Utan“. Kein Kampfrichter hätte damals angesichts des heute bekannten Burgess-Materials dem Überleben von Pikaia große Chancen eingeräumt. Den Menschen gibt es demzufolge nur, weil Pikaia die Burgess-Dezimierung überlebte. Dabei war sein Überleben nichts anderes als eine Folge der Kontingenz. Eine „höhere“ Antwort kann sich Gould ebenso wenig vorstellen wie eine, „die faszinierender wäre“. (Gould 1991, 357, 363-365) Denkbar wäre aber auch ein Ende der Wirbeltiere durch Eurypteriden, räuberische, bis zwei Meter große Riesenskorpione, die „jeden Alptraum in den Schatten stellen“. Sie könnten den Wirbeltieren ein vorzeitiges Ende bereitet haben, wenn nicht gleichzeitig kieferlose Fische einen Hautpanzer aus sehr hartem Dentin entwickelt hätten, aus dem auch unser Zahnschmelz besteht. (Langenbach 2014, 76f.)
Früheste Wirbeltiere in Form kieferloser Fische im Ordovizium vor 470 und Kieferfische vor 400 Millionen Jahren
Im Ordovizium, benannt nach einem keltischen Volksstamm in Wales, befand sich der Südkontinent Gondwana am Südpol, Sibirien und Teile Laurentias, das heutige Nordamerika, am Äquator. Leben gab es weiterhin nur im Wasser. Über die äquatorialen Platten erstreckte sich ein Flachmeer. Der Kohlendioxid-Anteil an der Atmosphäre war 14 bis 16mal höher als heute, und ein hoher Gehalt an Treibhausgasen kompensierte die fünf Prozent geringere Sonnenstrahlung. (Schönlaub/Sheehan 2003, 82f.) Man kann das Ordovizium nach der Kambrischen Explosion als Zeit eines zweistufigen Ursprungs der Tierwelt beschreiben, dessen Ursache jeweils steigende Sauerstoffanteile in der Atmosphäre waren. Kennzeichnend für das Ordovizium war die Entstehung und Entwicklung einer modernen Fauna. Viele Tierstämmen durchlebten eine Entwicklung der Klassen und Ordnungen. (Futuyma 1990, 369) Besonders bedeutungsvoll war das verstärkte Auftreten von Wirbeltieren mit fischartigen Formen. Sie sind mit ihrem Saugmund am ehesten mit den heutigen Neunaugen und Schleimfischen vergleichbar, die zur Gruppe der kieferlosen Fische gehören. Kopf und Vorderrumpf dieser fischartigen Formen steckten zum Teil in einer Knochenkapsel oder waren mit Knochenplatten gepanzert. Im Ordovizium entstanden die ersten echten Wirbeltiere, schwer gepanzerte, kieferlose Fische (Ostracodermi) aus der Klasse der Kieferlosen (Agnatha). Die Wirbeltiere entwickelten sich rasant. Zugleich gelangten erste Pflanzen an Land. Das war der Grund für ein weiteres Absinken des Kohlendioxid-Gehalts der Atmosphäre und damit für eine erneute Vereisung gegen Ende des Ordoviziums. Neben ersten Landpflanzen gab es seit dem Kambrium vereinzelte Landgänge durch Tiere. Amphibien findet man erstmals in 460 Millionen Jahre alten Schichten. Zwischen 450 und 300 Millionen Jahren verwandelten Wälder und vielzellige Landtiere die Erdoberfläche, färbten die Kontinente grün und „justierten die Thermostate der Biosphäre neu“. (Christian 2018, 161) John C. Eccles meint, dass unsere Evolution zum Glück nicht allzu lange vom ungewissen Überleben der kieferlosen Fische abhing. Vor etwa 400 Millionen Jahren entwickelten sich aus den Agnatha die sehr viel leistungsfähigeren Kieferfische (Opistognathidae).
(Eccles 1982, 56) Er verweist damit darauf, wo in dieser Zeit unsere Rote Linie zu finden ist, nämlich bei den Kieferfischen. Unsere Ahnengalerie auf der Roten Linie nimmt langsam Formen an.
Eiszeiten und Massensterben im Ordovizium
Im Ordovizium kam es wegen sinkender Temperaturen mehrfach zum Massenaussterben des maritimen Lebens. Der Gipfel der Sterbewelle wurde vor rund 440 Millionen Jahren erreicht. Auslöser der Eiszeit war der Urkontinent Gondwana, der sich über den damaligen Südpol erstreckte. Es folgte eine globale Abkühlung. Durch Eisbildung sank der Meeresspiegel und viele Bewohner verendeten. Womöglich führte dies zu einer Verlagerung der damaligen Meeresströme, wobei sauerstoffarmes Tiefenwasser nach oben geführt wurde und dort das Leben erstickte. (Schrenk/Müller 2006, 134f.) Ein weiteres Artensterben am Ende des Ordoviziums könnte durch eine Hypernova in der Milchstraße ausgelöst worden sein. Eine Hypernova stellt das obere Ende der superleuchtkräftigen oder superhellen Supernovae dar. Dabei setzte der sterbende Stern Gammastrahlen frei, die den Ozonschild der Erde so schwer beschädigten, dass die UV-Strahlung ungefiltert die Erdoberfläche erreichte und dort bis in eine Wassertiefe von einem Meter alles Leben vernichtete. (Ludwig 2006, 35). Die Folge war das Verschwinden zahlreicher Graptolithen (Schriftsteine), das sind polypenähnliche Meerestiere, und eine schwere Schädigung der Trilobiten- und Stachelhäuter-Faunen. Insgesamt starben rund 26 Prozent der Familien aus, nahezu 50 Prozent aller Gattungen und bis zu 85 Prozent aller Arten mariner Fauna. Zwar betraf das Sterben auch Teile der Chorda- bzw. Wirbeltiere wie die Kegelzähner (Conodonten) (Pálfy 2005, 54f.) und die erst zu Beginn des Ordoviziums auftretenden Kieferfische der Art der Ostracodermi, aber es hatte keine langanhaltenden negativen Folgen für die Fauna. Diese erreichte bereits im mittleren Silur wieder ihre frühere Vielfalt. (Schönlaub/Sheehan 2003, 87) Gemildert wurden die Folgen für das sich entwickelnde Leben dadurch, dass im Ordovizium noch keine Tiere auf das Festland vorgedrungen waren. Welche Folgen die Reduzierungen von Chordabzw. Wirbeltieren auf deren Verbreitung hatten, lässt sich schwer abschätzen. Da es uns Menschen gibt, müssen sie aber irgendwie durchgekommen sein.
Das Silur vor 443 bis 419 Millionen Jahren
Im Silur, benannt nach einem weiteren keltischen Volksstamm in Südwales, verlief der Äquator über Südskandinavien, Südgrönland, die Hudson Bay, Nordwest-Amerika und Nord-Australien. Der Südpol lag in Südwest-Afrika. Durch Kollision der nordamerikanischen Platte Laurentia mit der sibirischen und der baltischen Platte wurde das Kaledonische Gebirge aufgefaltet. In Mitteleuropa betraf dies die Sudeten, das Riesengebirge, den Harz, das rheinische Schiefergebirge, die Ardennen und das Brabanter Massiv. (Probst 1986, 43) Die Luft erwärmte sich, und der Anteil an Sauerstoff stieg. Es bildete sich eine neue Ozonschicht, die vor UV-Strahlung schützte. (Macdougall 1997, 159f.) Vor 444 bis 416 Millionen Jahren waren die mit Algen bewachsenen Meere von zahlreichen Wirbellosen wie den Trilobiten besiedelt. (Kutschera 2006, 98) Zu Beginn des Silurs erschienen weitere Arten, darunter erste echte Fische, deren wichtigstes Kennzeichen ihre Kiefer waren. Kiefermäuler (Gnathostomata) stellen eine Überklasse innerhalb des Unterstamms der Wirbeltiere dar. Zu dieser Überklasse gehören, mit Ausnahme der Neunaugen und Schleimaale, alle heute lebenden Wirbeltiere, also die Knorpel- und Knochenfische, Amphibien, Reptilien, Vögel und Säugetiere, das sind insgesamt über 54 000 Arten (99,8 Prozent aller Wirbeltiere) einschließlich von uns Menschen. Die Kiefermäuler werden in zwei Untertaxa eingeteilt, die Fische (Pisces) und die Landwirbeltiere (Tetrapoda). Die kiefertragenden Wirbeltiere scheinen näher mit den Panzerhäutern verwandt gewesen zu sein als mit Ingern und Neunaugen. (Janvier 2003, 1ff.) Im Oberen Silur tauchten erstmals Strahlenflosserfische (Actinopterygii) und Stachelhaie auf. Neben den bereits vorhandenen kieferlosen Panzerfischen verfügten beide Neuzugänge in den Urozeanen über Merkmale der meisten heutigen Wirbeltiere: Haut ohne Panzer, paarige Flossen und Unterkiefer. (Schrenk/Müller 2006, 129f.) Die neuen Fischarten trugen weiterhin Panzer. Neu waren im oberen Silur die mit Schuppen bedeckten Strahlenflosser, zu denen die meisten heutigen Fischarten gehören. Die Vorfahren der heutigen Wirbeltiere waren die im oberen Silur lebenden Knochenhäuter oder Knochenfische mit einem Knochenpanzer, aber ohne Kiefer und knöchernes Innenskelett. Sie
besaßen eine Schwimmblase, Kiemendeckel sowie paarige Brust- und Bauchflossen. Die Fleischflosser, auch Muskelflosser genannt, waren eine von zwei Klassen der Knochenfische. Unter den Fleischflossern befanden sich Vertreter der Vorfahren der Landwirbeltiere. Fossil lassen sich diese seit dem Oberen Silur vor 415 Millionen Jahren nachweisen. Im Devon waren die ursprünglich maritimen Fleischflosser weltweit verbreitet und besiedelten mehrmals unabhängig voneinander das Süßwasser. Die Knochenfische der Arten Onychodontiformes und Porolepiformes, von denen wohl die Dipnoi abstammten, starben wie die Fleischflosser der Art Elpistostegalia am Ende des Devons aus. Die Knochenfische der Art Rhizodontiformes folgten am Ende des Karbons und die Osteolepiformes am Ende des Perms. Bei Quastenflosserfossilen der Art Eusthenopteron stellte man erstaunliche Übereinstimmungen der Grundelemente von Fisch- und TetrapodenGliedmaßen fest, Die Knochen in den Flossen entsprachen bei den Wirbeltieren den Knochen des Oberarms sowie der Speiche und Elle bzw. Oberschenkel, Schien- und Wadenbein. (Schrenk/Müller 2006, 126-128)
14. Fische, Amphibien, Reptilien und erste Säugetiere zwischen Devon und Perm
Die Entwicklung von Fischen über Amphibien zu landbewohnenden Reptilien im Karbon
Quastenflosser, Lungenfische, Knochenfische oder Kiefermäuler als Vorfahren der Landwirbeltiere im Devon vor 416 bis 397 Millionen Jahren
Der Name Devon leitet sich von der gleichnamigen britischen Grafschaft ab. Die Periode ist als Fischzeitalter bekannt. Damals bildeten Südamerika, Afrika, Vorderindien, die Antarktis und Australien zusammen den Kontinent Gondwana. Teile von Nordamerika und Europa waren im Kontinent Laurussia vereint. Temperatur und Sauerstoffgehalt stiegen. Im späten Devon herrschte, ausgelöst durch vulkanische Kohlendioxid-Emissionen, ein Treibhausklima, das sich langsam abkühlte. Auf der Suche nach unseren Ahnen müssen wir ins devonische Meer abtauchen. Wichtig für die Evolution zum Menschen ist nämlich, ob unsere Rote Linie über die Quastenflosser (Coelacanthiformes) oder die Lungenfische (Dipnoi) lief. Die Meinungen der Experten gehen auseinander. Quastenflosser sind eine Gruppe der Knochenfische in der Klasse der Fleischflosser (Sarcopterygii), Lungenfische und Landwirbeltiere (Tetrapoda) ihre nächsten Verwandten. Der Fossilbericht des Devons setzt vor etwa 409 Millionen Jahren ein. Die Quastenflosser standen den vierfüßigen Landwirbeltieren in der Evolution am nächsten. Viele Forscher stellen sie in die Ahnenreihe von Amphibien, Reptilien und Säugern. (Glaubrecht/Meyer 1996, 22ff.) Auch Uwe Reichert meint, im Oberdevon hätten sich aus den Quastenflossern mit den Amphibien die einfachsten Landwirbeltiere entwickelt. (Reichert 1999, 389) Nach Meinung anderer Experten ist es aber widerlegt, dass die nächsten Verwandten der Quastenflosser den Sprung aufs Land schafften und zu Vierfüßern wurden. Molekulargenetische Untersuchungen würden vielmehr zeigen, dass Lungenfische stammesgeschichtlich näher mit den Landwirbeltieren verwandt sind. Matthias Glaubrecht und Axel Meyer halten es für möglich, dass sich frühzeitig eine aus Lungenfischen und Quastenflossern gemeinsam gebildete Evolutionslinie vom Stammbaum der Vierfüßer trennte. (Glaubrecht/Meyer 1996, 22f.) Sicher schient nur zu sein, dass eine der Fischarten des Devons der Vorfahr aller Landwirbeltiere ist. (Macdougall 1997, 155f.) Für Friedemann Schrenk und Stephanie Müller bleibt solange offen, ob Lungenfische Vorfahren der landlebenden Wirbeltiere sind, bis dies molekularbiologisch geklärt ist. Ihre
Lunge ermöglichte es den Lungenfischen jedenfalls, sich während Trockenzeiten einzugraben und so bis zu vier Jahre an Land zu überleben. Sie besaßen sowohl Kiemen als auch Lungen. (Schrenk/Müller 2006, 126-128) Olaf Elicki und Christoph Breitkreuz meinen, aus dem Devon seien erste Amphibien bekannt, die sich aus Verwandten der Lungenfische entwickelten. (Elicki/Breitkreuz 2016, 125) Im Unterdevon erlebten die Kiefermäuler (Gnathostomata) ihre Blütezeit und entwickelten verschiedene Formen. Die Herausbildung von Kiefern bedeutete einen wichtigen Schritt in der Entwicklung der Fische und Wirbeltiere. Zu den Kiefermäulern zählten neben Panzerfischen (Placodermi), Knorpelfischen (Chondrichthyes) und Stachelhaien (Acanthodil) auch sechs Gruppen von Knochenfischen, den Vorfahren der Landwirbeltiere. (Benton 2007, 83) Über sie lief wohl unsere Rote Linie.
Panderichthys und Rhipidistia: Vom Knochenfisch zum Amphibium vor 390 bis 350 Millionen Jahren
Der Übergang von Fischen zu vierfüßigen Amphibien erfolgte vor 390 bis 360 Millionen Jahren. Die Umwandlung von Flossen in Füße geschah in einem Zeitraum von neun bis 14 Millionen Jahren. (Kutschera 2009, 215) Das Amphibium Acanthostega lebte vor 360 Millionen Jahren im späten Devon. Dieses Wirbeltier verbrachte sein gesamtes Leben im Wasser. Anatomisch war es ein Zwischenwesen zwischen Fisch und voll entwickeltem Vierfüßer. Es besaß Beine und Füße, war aber für das Landleben noch nicht hinreichend gerüstet. Aus dem im frühen Devon lebenden fischartigen Fleischflossern der Gattung Eusthenopteron entwickelte sich vor etwa 380 Millionen Jahren Panderichthys, eine Zwischenform aus Fisch und Amphibium. (Kutschera 2009, 215) Die Knochenfische (Osteichthyes) gliederten sich in die zwei Großgruppen der Strahlenflosser (Actinopterygii) und Fleischflosser (Sarcopterygii). Erste Fische im Devon trugen bereits Embryonen in sich. Es handelt sich um die ersten lebendgebärenden Wirbeltiere. (Ward 2016) Zu den Fleischflossern gehörte die Gruppe der Elpistostegalia, die vor 385 bis 359 Millionen Jahren lebte. Elpistostegalia und ihre Schwestergruppe, die Landwirbeltiere (Tetrapoda), gehörten zu den Rhipidistia. Diese Raubtiere lebten vorwiegend oder ausschließlich im Süßwasser. Als nahe Verwandte der Quastenflosser und Lungenfische gelten auch sie als Vorfahren der ersten Amphibien bzw. Landwirbeltiere. (Ward 2016) Der Aufbau des Skelettes von Rhipidistia ähnelt dem von Ichthyostega, das als eines der ersten Amphibien und damit als Landwirbeltier gilt. Rhipidistia verwendete seine Flossen in einer Art „Kreuzgang“, aber er bewegte sich nur schwimmend. Bei diesem Fall einer Exaptation hatte die Natur hier, mit Hilfe flacher Gewässer zum Üben, eine Art „Gehen“ hervorgebracht, welches erst später an Land sinnvoll verwendet werden konnte. Mit Rhipidistia begann möglicherweise die Lungenatmung. (Oschmann 2016, 164) Ohne sie wäre die Erde zum „unangefochtenen Reich“ der Insekten und Blumen geworden. (Gould 1991, 358f.) Der Natur schien das aber nicht zu reichen, sie ließ Rhipidistia zum Landtier werden, aus dem hunderte Millionen Jahre später der Mensch hervorging. Über unseren Urahn Rhipidistia verlief demnach die Rote Linie.
Die Frasnium-Krise am Ende des Devons vor 382 bis 372 Millionen Jahren
Im oberen Frasnium führten extreme Treibhausbedingungen, verbunden mit Schwankungen des Meeresspiegels, zu einer länger anhaltenden Krise bei Riffund anderen Flachwasserbewohnern. Das Treibhausklima endete, und es kühlte sich ab. Hauptursache war die Verschiebung der Kontinente. Eine weitere Ursache waren die sich ausbreitenden Gefäßpflanzen an Land. Vor 377 Millionen Jahren existierten erste Regenwälder, die große Mengen Kohlendioxid aus der Luft verbrauchten. Dadurch stiegen sauerstoffarme Tiefenwässer in die seichten Meeresareale auf und „erstickten“ die dort angesiedelten Organismen. (Hubmann/Fritz 2015, 198f.) Während die Wirbeltiere im Begriff waren, das Festland zu besiedeln, kam es zu einem Massensterben in den Meeren, dem Kellwasser-Ereignis. Es ist nach dem Kellwassertal, einem Nebental des Oberharzer Okertals, benannt. Betroffen waren bei den Wirbeltieren u. a. Kegelzähne, Kieferlose Fische und Panzerfische. (Oschmann 2016, 164f.) Da die Besiedlung des Landes erst begann, wurde das Leben von Landtieren durch die Klimakrise kaum tangiert.
Der Quastenflosser Tiktaalik vor 385 bis 376 und der Urmolch Ichthyostega vor 370 bis 360 Millionen Jahren
Tiktaalik rosae war ein Quastenflosser aus der Familie der Elpistostegalia, die zur Gruppe der Fleischflossler gehörte. Er gilt als Beleg dafür, in welcher Reihenfolge Knochenfische Merkmale der Landwirbeltiere entwickelten, noch bevor erste Uramphibien wie Acanthostega und Ichthyostega aus ihnen hervorgingen. Tiktaalik war eine Übergangsform. Es besaß kräftige Knochen, die ein Tier seiner Größe auch brauchte, um sich in flachem Wasser mit seinen beinähnlichen Flossen abzustützen. Es zeigte eine Mischung aus Merkmalen, mit deren Hilfe der vollständige, schrittweise ablaufende evolutionären Übergang zwischen den Bauplänen von Fischen und Vierbeinern bestimmt werden kann. (Ward 2016) Mit seinen gliedmaßähnlichen Flossen t er genau zwischen die Fleischflosser (Eusthenopteron) und Quastenflosser (Panderichthys), die beide vor ca. 385 Millionen Jahren lebten. Der Fund des Fossils von Tiktaalik rosae veränderte die Sicht auf den Landgang der Fische. War man bislang davon ausgegangen, dass nur Lungenfische mit kräftigen Gliedmaßen an Land überlebten, weiß man heute, dass es im flachen Uferwasser Fische gab, die nicht mehr schwammen, sondern auf dem Seegrund liefen. Mit den Fähigkeiten zum Laufen und Luftatmen war es nur eine Frage der Zeit bis zur Entwicklung der Landwirbeltiere. (Schrenk/Müller 2006, 126128) Der Fund von Tiktaalik führte zu „einer der folgenreichsten Neubewertungen in der Geschichte des Lebendigen“ und trug dazu bei, die „Evolutionstheorie weiter zu festigen“. Es erwies sich, so Peter Ward, als „hervorragendes Gegengift“ gegen „kreationistische Zweifler“. (Ward 2016) Ichthyostega war vor 370 bis 360 Millionen Jahren im Oberdevon eines der ersten Landwirbeltiere. Es besaß einen Fischschwanz sowie vier Beine und vereinigte als Zwischenform Fisch- und Amphibienmerkmale. (Kutschera 2006, 99f.) Für Heinrich K. Erben ist es das erste bekannte Landwirbeltier, das aus Quastenflossern hervorging. Es war demnach anatomisch und stammesgeschichtlich „eine höchst beachtenswerte Zwischenform“ zwischen Fischen und Lurchen und hatte „den vollen Status des Landwirbeltieres fast erreicht“. Folgen wir Erben, dann verlief hier unsere Rote Linie. Ichthyostega ist einer unserer Urahnen und gehörte „offensichtlich jener Evolutionsbahn an, auf
der die Hauptentwicklung zum Ursprung der Intelligenz auch weiterhin verlief: Quastenflosser - Amphibien - Reptilien - nichthumane Säugetiere - Mensch“. (Erben 1986, 204)
Erste Amphibien vor 350 Millionen Jahren, der Übergang von Flossen zu Beinen und die Bedeutung der Metamorphose vom Fisch zum Landtier
Erste Amphibien traten vor etwa 350 Millionen Jahren auf. Ihr Erscheinen war der erste Schritt in der Entwicklung von Wirbeltieren, die ausschließlich auf dem Festland lebten. Sie besiedelten küstennahe Feuchtgebiete. Es waren zwar schon Landwirbeltiere, jedoch erfolgte die Eiablage und das kiementragende Larvenstadium noch im Wasser. (Kutschera 2006, 99-107) Arm- und Beinskelett der Vierfüßer gingen aus paarigen Flossen urtümlicher Fische hervor. Laut Reinhard Junker und Siegfried Scherer ist unbekannt, woher die Flossen stammten. Paarige Flossen tauchten demnach „plötzlich und ohne Vorstufen“ auf. (Junker/Scherer 1988, 193f.) Stephen Jay Gould wäre „vielleicht bereit, dem entscheidenden Wechsel der Lebenswelt vom Wasser auf das Festland eine gewisse Wahrscheinlichkeit zuzubilligen, enthielte die typische Anatomie der Fische - und sei es zufällig- die Möglichkeit einer leichten Umwandlung von Flossen in kräftige Glieder, die als Stützen im Schwerefeld der Erde erforderlich sind“. Doch die Flossen der meisten Fische waren seines Erachtens dafür ungeeignet. Der basale Strang und die senkrecht zu ihm verlaufenden parallelen Flossenstrahlen konnten das Gewicht des Körpers an Land nicht tragen. Die wenigen Fische, die „über sumpfige Flächen hinweghuschten“, hatten sich, wie etwa der „laufende Fisch“ Periophthalmus, dahingeschleppt, aber sie konnten auf ihren Flossen nicht laufen. Die Entstehung der Landwirbeltiere ist von zentraler Bedeutung, geht es doch darum, ob das menschliche Bewusstsein „das unvorhersagbare Produkt eines nebensächlichen Zweiges oder der Gipfelpunkt einer unausweichlichen oder doch zumindest wahrscheinlichen Entwicklung“ war. Als die Wirbeltiere erst einmal entstanden waren, „so unwahrscheinlich ihre Entstehung auch war“, konnten „Wir“ aus den Tümpeln aufs trockene Land kriechen, „uns auf den Hinterbeinen aufrichten und große Gehirne entwickeln“. (Gould 1991, 358f.) Hier also führt unsere Rote Linie wundersamer Entwicklungen auf dem Weg zum Menschen weiter. Zum Urknall, zur Entstehung des Lebens, der ersten Zelle, des ersten Vielzellers und vielzelliger Tiere kommt nun die Entstehung der Wirbeltiere hinzu. Die Metamorphose vom Fisch zum Landtier nennt Jennifer Clack einen der
folgenreichsten Schritte in der Evolution. Ohne sie würde die Erde heute anders aussehen. Es gäbe weder Dinosaurier, Frösche, Vögel, Schlangen, Säugetiere oder Menschen. (Clack 2006, 24-32) Auch Ulrich Kutschera sieht im Übergang zu landbewohnenden Amphibien einen entscheidenden Schritt in der Evolution der Wirbeltiere und zählt ihn „zu den wichtigsten evolutionären Großübergängen in der Erdgeschichte“. (Kutschera 2006, 99f.; 2009, 215) John C. Eccles spricht von der „wunderbaren Erfindung der Amphibien“. Sie fügten jedem der primitiven Gliedmaße der Fische fünf Finger beziehungsweise Zehen hinzu. So kamen wir Menschen zu dem „wunderbaren Geschenk von Fingern und Zehen“. (Eccles 1979, 71)
Landgang erster Pflanzen und Tiere zwischen Silur und Karbon vor 443 bis 298 Millionen Jahren
Bis zum Ende des Silurs vor 419 Millionen Jahren stieg der Sauerstoffgehalt der Atmosphäre an. Dank einer stärkeren Ozonschutz eroberten erste moosähnliche Pflanzen das Festland. Ihr Landgang war für die weitere Evolution von zentraler Bedeutung, standen sie doch fortan am Anfang der Nahrungskette. Zunächst erschienen Ur-Farne ohne Blätter (Psilophyten). Die kleinen Pflanzenkörper wandelten sich mit der Zeit zu baumartigen Farnriesen. Im Oberdevon folgten erste Wälder, in denen Gliederfüßer (Arthropoden), Tausendfüßer, Milben, Spinnen, Insekten und Trilobiten lebten. Der Sauerstoff- und Ozongehalt der Atmosphäre erreichte dank der Verbreitung von Landpflanzen Spitzenwerte. Der atmosphärische Sauerstoffgehalt stieg auf bis zu über 30 Prozent. Wegen fehlender Fressfeinde entstanden riesige Insekten. Die Libelle Meganeura verfügte über eine Spannweite von 70 Zentimetern. Ähnliche Maße erreichten Fliegen und Hundertfüßler. (Schrenk/Müller 2006, 114f.) Es gab 90 Zentimeter lange Skorpione, die 20 Kilogramm schwer waren. Gegen Ende des Karbons existierten bereits Abertausende von Insektenarten. Die warmen Karbonmeere waren voller Algen, Fische und Wirbelloser. Nicht nur das Weltklima, sondern die gesamte weitere Geschichte des Lebendigen veränderte sich radikal. (Ward/Kirschvink 2016) Erste Pflanzen mit hölzernen Skeletten erschienen vor 375 Millionen Jahren. Da sie riesige Mengen an Kohlenstoff durch Photosynthese banden, wurde das Land immer grüner und die Kohlendioxidkonzentration fiel auf ein Zehntel der bisherigen Niveaus. (Ludwig 2006, 35f.) Die Eroberung des Landes durch Wirbeltiere wurde dadurch unterstützt, dass der Sauerstoffgehalt der Atmosphäre im Ordovizium und Silur weiter anstieg. Ohne dies hätte die Besiedelung des Landes wohl anders ausgesehen, möglicherweise wäre sie nie erfolgt. (Ward 2016) Allerdings war das, was hier „mühselig an Land kroch“, der „Ur-UrVorfahre der schaumgeborenen Aphrodite“, ein „ziemlich hässliches“, „ästhetische Gefühle gewiss nicht ansprechendes Wesen“, halb Fisch, halb aber schon ein breitmauliges Amphibium. (Erben 1986, 203) Wie es auch ausgesehen haben mag, es trug den Keim möglichen selbstbewussten Lebens in sich und gehörte somit auf die Rote Linie unserer Ahnen. Klar ist aber, dass dieser Keim keinesfalls automatisch zum Menschen führte. Im Nachhinein wissen wir dies,
damals war offen (kontingent), wie die Evolution weiterverlaufen würde. Das Karbon war geprägt von tektonischen Vorgängen und klimatischen Gegensätzen. Seinen Namen verdankt es den Kohleflözen aus dem Oberkarbon. Auf der Nordhalbkugel herrschte ein tropisches, auf der Südhalbkugel in Gondwana hingegen ein trockenkühles Klima mit teilweise vereisten Kontinenten. Der Superkontinent Pangäa bildete sich heraus. Tektonische Aktivitäten führten weiterhin zur Variskischen Gebirgsbildung, wobei sich durch die Kollision der nordamerikanischen und europäischen Platte mit Gondwana große Gebirgszüge in Europa bildeten. Vor 330 Millionen Jahren bedeckten tropische Wälder riesige Landflächen. Der Kohlenstoff, den die Pflanzen der Atmosphäre entzogen, wurde als fossile Biomasse in Gestalt großer Kohledepots gebunden, sodass sich der CO²-Gehalt der Luft heutigen Werten annäherte, während der Sauerstoffanteil sogar darüber lag. „Damit waren die Landpflanzen zu einem entscheidenden Klimafaktor geworden.“ (Ludwig 2006, 35f.) Beim Übergang vom Karbon zum Perm sorgten Sauerstoff erzeugende Pflanzen allerdings für eine weitere Eiszeit. Sie dauerte länger als unbegreifliche 50 Millionen Jahre und erstreckte sich vor allem auf den Urkontinent Pangäa. (Probst 1986, 34)
Die Entwicklung der Amphibien zu Reptilien
Im Karbon entwickelten sich die Amphibien in verschiedenen Linien weiter. Ihre Eier ähnelten noch immer denen von Fischen. Viele blieben an das Wasser gebunden wie z. B. Dendrerpeton und Cochleosaurus. Pederpes, eine ausgestorbene Gattung früher Landwirbeltiere, lebte lange nach Tiktaalik in der Romer-Lücke, einer fossilarmen Zeit vor 359 bis 345 Millionen Jahren. Die Tiere sind die ältesten Tetrapoden, die sich an eine Fortbewegung auf dem Land anten. Unbekannt ist, ob sie Luft atmen und für eine begrenzte Zeit das Wasser verlassen konnten. (Ward 2016) Temnospondyli war die formenreichste Gruppe. Es ist strittig, ob die modernen Amphibien aus ihr hervorgingen und sie zu unseren Ahnen zählen. (Oschmann 2016, 185-187) Als sich die vierbeinigen Wirbeltiere aus fischartigen Vorfahren entwickelten, gab es eine Reihe notwendiger Anungen, die schon lange zuvor eingesetzt hatten. An Land mussten die vier Beine sowohl der Unterstützung als auch der Fortbewegung dienen. Schulter- und Beckengürtel änderten und die zur Fortbewegung notwendigen Muskeln entwickelten sich. (Ward 2016) Aus den Amphibien entstanden im Oberen Karbon erste, noch sehr ursprüngliche Reptilien. Die Echsengestalten (Sauromorpha) des Unterkarbon sahen späteren Reptilien schon ähnlich. Ihre kräftig gebauten Knochen weisen darauf hin, dass sie damals konkurrenzlos in Sümpfen auf Insektenjagd gingen. (Schrenk/Müller 2006, 119f.) Bei der Entwicklung zum Reptil gab es Zwischenformen wir Anthracosaurier und Seymouriomorpha, deren Schädel und Wirbel bereits „vollauf reptilhaft“ waren. (Erben 1986, 207) Im Skelettbau unterschieden sich Amphibien und Reptilien in verschiedener Hinsicht. Bei den Urreptilien, unseren Vorfahren, befand sich das Trommelfell hinten am Schädel, nahe des Kiefergelenks. Es sollte später, bei der Säugerentwicklung eine wichtige Rolle spielen. (Schrenk/Müller 2006, 119f.)
Von den Nabeltieren zu den Synapsiden: Eierlegende Reptilien und Vorfahren der Säugetiere im Oberkarbon vor 326 bis 320 Millionen Jahren
Im Oberkarbon, vor 326 Millionen Jahren, entwickeln sich erste Nabeltiere. Diese Landwirbeltiere besaßen Merkmale der Amphibien als auch der Reptilien und gehören auf unsere Rote Linie. Sie gelten als Schwestergruppe der Amnioten und gehören in das Taxon Reptiliomorpha. Anders als Amphibien konnten sich die Nabeltiere außerhalb des Wassers fortpflanzen, da sich ihre Jungen in geschützten Eiern, Beuteln oder Gebärmüttern entwickelten. Der Name „Amniota“ bezieht sich auf den neuen Ei-Typ der Reptilien, das Amniotenei. Es war von einer Lederhaut oder Schale umgeben und konnte an Land abgelegt werden. Der Vorgang gilt heute als „einer der wichtigsten Sprünge in der Evolution der Land-Wirbeltiere“ (Probst 1986, 66) und als „Schlüsselereignis der Evolution“. (Macdougall 1997, 157) Die Nabeltiere waren die ersten, dauerhaft an Land lebenden Wirbeltiere. Sie gelten als monophyletische Gruppe, was heißt, dass alle noch lebenden und ausgestorbenen Arten dieser Gruppe auf einen gemeinsamen Vorfahren zurückgingen. Uns gäbe es ohne diesen gemeinsamen Vorfahren der Nabeltiere nicht. Eine Voraussetzung für den Aufstieg der Reptilien seit dem Mittleren Karbon war ihre Anungsfähigkeit an unterschiedliche klimatische Bedingungen. Sie waren die ersten vom Leben im Wasser unabhängigen Wirbeltiere und gelten deswegen als „die wahren Eroberer des Festlands“. (Reichert 1999, 398) Erste Exemplare waren zehn bis 15 Zentimeter groß. Da sie kein Trommelfell besaßen, konnten sie nur schlecht oder gar nicht hören. Ihnen fehlten die langen Fangzähne der meisten größeren, fleischfressenden Amphibien. Dank ihres angeten Skeletts konnten sie sich jedoch besser fortbewegen. Sie waren bald so gut an das Land anget, dass sie zur Fortpflanzung nicht mehr ins Wasser zurückkehrten. Die ältesten fossil erhaltenen Ur-Reptilien des Karbons waren eidechsengroße, räuberische Bewohner von Baumstämmen wie Hylonomus und Paleothyris. Bekannt ist Hylonomus lyelli, ein eidechsenähnlicher Insektenfresser, der vor rund 315 Millionen Jahren lebte. Mit den Reptilien „machte die Evolution der Wirbeltiere einen weiteren großen Schritt nach vorn“. (Stanley 2000, 104f.) Über sie verlief unsere Rote Linie in Richtung der Synapsiden.
Die Teilung der Reptilien in Diapsiden, Synapsiden und Anapsiden vor 290 Millionen Jahren
Kurze Zeit nach der Entstehung der Reptilien spalteten sich diese im späten Karbon in Synapsiden, das sind säugetierähnliche Reptilien, Diapsiden, zu denen Krokodile, Echsen, Schlangen, Dinosaurier sowie Flugsaurier gezählt werden, und in die Anapsiden mit den Schildkröten und ihren Verwandten. Die Zahl der Amphibien ging im Perm zurück, die der Reptilien nahm zu. Es gab „hoch spezialisierte, ja geradezu bizarre Gestalten“, deren Spektrum von schwerfälligen Pflanzenfressern bis hin zu kleinen, flinken Räubern reichte. (Pálfy 2005, 81) Der älteste bekannte Vertreter der Diapsiden war ein Tier mit einer Gesamtlänge von 20 Zentimetern. Noch deutete nichts darauf hin, dass sich aus den kleinen, echsenähnlichen Reptilien Dinosaurier entwickeln würden. (Ward 2016) Für die Entwicklung zum Menschen spielten Diapsiden und Anapsiden keine Rolle. Unsere Rote Linie verlief über die Unterklasse der Synapsiden. Diese umfasste die Ordnungen der Pelycosaurier sowie die Therapsiden. Namensgebendes Merkmal der Synapsiden war ein einzelnes Schädelfenster in der hinteren Schädelseitenwand. (Schrenk/Müller 2006, 111) Die Synapsiden lebten vor etwa 290 Millionen Jahren und verbreiteten sich im Perm und in der Trias. Damals begannen verschiedene Wirbeltiergruppen Schläfenfenster auszubilden. Nach deren Art und Lage werden die Großgruppen der Reptilien eingeteilt. Während Krokodile, Echsen und Dinosaurier zwei Öffnungen besaßen und damit diapsid waren, weisen alle Säugetiere nur ein Schläfenfenster auf und sind damit synapsid. Auch wir Menschen tragen dieses Erbe in uns. Bei uns entspricht dieses Fenster dem Bereich oberhalb des Jochbogens, einer schmalen Restspange des seitlichen Schädeldaches. (Schrenk/Müller 2006, 111)
Die Entstehung der Säugetiere und das Massensterben im Perm
Säugetierartige Reptilien vor 298 bis 252 Millionen Jahren
Gegen Ende des Paläozoikums und im frühen Perm verschmolzen sämtliche Kontinente, einschließlich von Gondwana, zum Urkontinent Pangäa (die ganze Erde). Durch damit verbundene Kollisionen falteten sich weitere Gebirgsketten auf. Pangäa lag größtenteils am Äquator, wodurch auf dem Festland trockenes, heißes Klima herrschte. Es gab nur den zusammenhängenden Urozean Panthalassa. Die auf dem Festland lebenden Organismen besiedelten ohne Meeresschranken alle Lebensräume des Riesenkontinents Pangäa. Das Perm wurde nach der russischen Stadt Perm am Ural benannt. Es war „eines der traurigsten Erdzeitalter“, denn es begann mit einer Vereisung Süd-Gondwanas und endete mit dem größten Massensterben der Erdgeschichte. (Schrenk/Müller 2006, 108) Im frühen Perm bedeckten ausgedehnte Eiskappen die Pole. Die Gletscher zogen sich während der ersten Hälfte des Perms zurück. Die globalen Durchschnittstemperaturen stiegen von zwölf auf 22 Grad Celsius. Das Land wurde trockener, und es bildeten sich jahreszeitlich bedingt ausgedehnte Flussläufe, Schwemmlandebenen und Seen. Der Sauerstoffgehalt erreichte einen neuen Höhepunkt. Im Perm betraten die Vorfahren der Säugetiere die Bühne. Es handelte sich noch nicht um Säugetiere im engeren Sinn, aber sie kamen ihnen schon recht nahe. (Brusatte/Zje-Xi 2016) Die Therapsiden, eine umfangreiche Verwandtschaftsgruppe amniotischer Landwirbeltiere, gingen vor rund 275 Millionen Jahren aus Pelycosauriern hervor. Sie waren im Perm und in der frühen Trias die dominierenden Nabeltiere (Amnioten). Unsere Rote Linie läuft in dieser Zeit über die Therapsiden, die einzige Reptiliengruppe, die „vereinzelt säugetierähnliche Merkmale oder Merkmalskombinationen“ aufwies. Manche waren bereits warmblütig, während wechselwarme Amphibien und Reptilien träge und unbeweglich blieben. Ihre Abstammungslinie führte zu den Säugetieren, weshalb man sie als „säugetierähnliche Reptilien“ bezeichnet und als Vorfahren der Säugetiere (Mammalia) ansieht. Einige Reptilien entwickelten im Laufe des Perms immer neue Säugetiermerkmale. Es gab einen regelrechten „revolutionären Durchbruch“ zur Warmblütigkeit und im Oberperm bereits eine Vielfalt säugerähnlicher Reptilien. (Ward 2016)
Tierzähner und Hundszähner vor 270 Millionen Jahren im Perm
Die Tierzähner (Theriodontia) waren Landwirbeltiere aus der Gruppe der säugetierähnlichen Reptilien. Zu ihnen gehörten drei höher entwickelte, vor allem fleischfressende Gruppen. Aus einer von ihnen, den Hundszähnern (Cynodontier), gingen die Säugetiere hervor. Über die Tierzähner als Vorfahren der Hundszähner verlief unsere Rote Linie. Diese säugerartigen Reptilien waren klein, räuberisch und nachtaktiv. Die ältesten Fossilien aus der Zeit vor 270 Millionen Jahren zeigen noch zahlreiche Reptilienmerkmale, wiesen aber auch erste Charakteristika von Säugern auf, etwa im Schädelbau, Kiefergelenk und in der Stellung der Gliedmaßen. Sie verfügten über ein größeres Gehirn und überlebten das Massenaussterben am Ende des Perms. Wären sie zufällig ausgestorben, gäbe es uns nicht.
Ursachen des Massensterbens vor 250 Millionen Jahren: Einschlag eines Asteroiden oder Vulkanaktivitäten durch den Bruch von Pangea?
Strittig sind unter Wissenschaftlern die Ursachen für ein weiteres Massensterben vor 250 Millionen Jahren. (Ludwig 2006, 43f.) Einige Wissenschaftler favorisieren Asteroiden-Einschläge. Unter dem Eispanzer der Antarktis und am Meeresgrund nordwestlich vor Australien wurde der Einschlagskrater des Wilkesland-Meteoriten mit einem Durchmesser von 50 Kilometern gefunden. Der Bedout-Krater liegt vor der Nordwest-Küste Australiens und hat einen Durchmesser von 200 Kilometern. Die Wucht des Einschlags riss im indischen Ozean einen Graben auf, was dazu führte, dass sich Australien von Gondwana trennte. Möglichweise löste auch eine Supernova das Massensterben aus. Beide Hypothesen werden jedoch von den meisten Wissenschaftlern abgelehnt. Douglas H. Erwin meint, dass „so ziemlich die einzige Katastrophe, die damals nach bisherigen Erkenntnissen vermutlich nicht geschah“, der Einschlag eines extraterrestrischen Körpers war. (Erwin 1996, 72ff.) Auch Friedrich Strauch hält ihn für ausgeschlossen. (Strauch 2004, 16) Ebenso meint Michael J. Benton, es gebe für den Einschlag eines Asteroiden „nur wenige Hinweise“. (Benton 2007, 147) Wolfgang Oschmann findet die Beweislage für eine extraterrestrische Ursache „etwas dürftig“. (Oschmann 2016, 209f.) Nach Meinung von Ulrich Kutschera staute sich unter dem Riesenkontinent Pangaea die Hitze des Erdkerns, die dann zum explosionsartigen Ausbruch führte. In dessen Folge war die Atmosphäre über Hunderttausende Jahre hinweg vergiftet. (Kutschera 2009, 229) Intensiver Vulkanismus ist für Südchina belegt, vor allem aber für Sibirien. Hier quollen 600 000 Jahre lang, vom Ende des Perms bis zum Beginn der Trias, zwei bis drei Millionen Kubikkilometer Magma aus der Erde und ergossen sich als großflächige Basaltlava über das Festland ins Meer. Das Magma stammte aus dem unteren Mantel an der Grenze zum Erdkern, also aus 2 900 Metern Tiefe. Die Folge waren die Sibirischen Trapps, riesige basaltische, an den Rändern Stufen bildende Flächenergüsse aus erstarrter Lava. Sie bestehen aus wenigstens 45 Lagen und sind zwischen 400 und 3 700 Meter mächtig. (Erwin 1996, 72ff.) Wolfgang Oschmann schätzt die Gesamtdauer der Eruptionen auf etwa zwei Millionen Jahre, was die gravierenden Auswirkungen
und die lange Regenerationszeit der Ökosysteme im Zeitraum danach erklären würde. (Oschmann 2016, 209f.)
Folgen des vulkanischen Gasausstoßes für die Atmosphäre
Zunächst bewirkten vulkanische Gase eine Verdunkelung der Sonne. Der Staub in der Stratosphäre führte zur Abkühlung. Neben dem Magma wurden große Mengen an Ruß- und Schwefelpartikel, verschiedene Giftgase wie Schwefeldioxyd und das Treibhausgas Kohlendioxyd ausgestoßen. Diese reicherten sich in der Atmosphäre an, verursachten eine Abnahme von Sauerstoff und eine globale Klimakatastrophe. Als Folge vulkanischer Aktivitäten kam es zu Verschwelung von Kohleablagerungen, wodurch zusätzlich Kohlendioxyd, Methan, Schwefelwasserstoff und Schwefeldioxid freigesetzt wurden. (Oschmann 2016, 209f.) Die Treibhausgase verursachten global eine Temperaturzunahme um bis zu acht Grad Celsius. Die Oberflächentemperaturen in niederen Breiten erreichten 36 bis 40 Grad Celsius im Ozean und noch höhere Temperaturen an Land. Dadurch sank die Photosynthese-Leistung der Pflanzen rapide, und viele Tiere reagierten mit pathologischen Proteinveränderungen. (Ludwig 2006, 43f.) Die Menge an gasförmigem Schwefelwasserstoff war möglicherweise mehr als 2 000mal größer als die Menge, die heute aus Vulkanen aufsteigt. Damit erreichte das tödliche Gas in der Atmosphäre eine für die Tiere gefährliche Konzentration. (Ward/Kirschvink 2016) Die Folgen waren Atemlähmung und Vergiftung. Durch das heiße Klima wurde das polare Leben in hohen Breiten völlig ausgelöscht. Flächenbrände breiten sich aus und die UV-Strahlung erreichte tödliche Werte. Über Jahrtausende fielen aufgrund der Schwefelverbindungen saurer Regen und Schwermetalle vom Himmel. (Erwin 1996, 72ff.) Es gab einen „Tod in drei Phasen“. (Fritsche 2015, 194-197) Strittig ist, ob es sich bei den Geschehnissen an der Perm-Trias-Grenze um ein „schlagartiges katastrophales Massenaussterben oder um eine allmähliche, schon im Laufe des Perms begonnene Faunenwende“ handelte. (Kürschner/Visscher 2003, 118-122)
Vergiftung durch Schwefel, Überhitzung des Ozeans Panthalassa, Methan und andere Ursachen des Massensterbens
Laut Douglas H. Erwin ist das Massensterben im weltumspannenden Ozean, dem 95 Prozent aller maritimen Arten zu Opfer fielen, nicht allein dem Vulkanismus geschuldet. Selbst Dimensionen wie in Sibirien reichte dafür nicht aus. Vulkanismus war demnach nur eine Größe in einem komplexen Prozess. (Erwin 1996, 72ff.) Ein weiterer Faktor war die Erwärmung des Ozeans auf Temperaturen bis zu 38 Grad Celsius. Allein das reichte schon, um die meisten Meeresorganismen abzutöten und die Photosynthese in den Ozeanen zum Stillstand zu bringen. (Christian 2018, 156) Zudem schuf der Sauerstoffmangel in der Atmosphäre ideale Lebensbedingungen für Purpur-Schwefelbakterien im Meer, die Photosynthese mit Schwefelwasserstoff betrieben und Schwefel freisetzten. Die Folge war eine Vergiftung der Gewässer wie der Atmosphäre. (Ludwig 2006, 43f.) Als schwefelreiches Tiefenwasser vom sauerstoffhaltigen Oberflächenwasser getrennt wurde, stiegen Blasen des hochgiftigen Schwefelwasserstoffs zur Oberfläche des Meeres und in die Atmosphäre auf. In Folge dessen entstand durch die Verbindung zwischen dem Aussterben im Meer und dem an Land ein „neuer, weltweiter Tötungsmechanismus“. (Ward/Kirschvink 2016) Die Wärme des Ozeans führte dazu, dass unter der Oberfläche des Meeresbodens angereichertes Methanhydrat aufbrach und in riesige Blasen aufstieg. In der Atmosphäre bewirkte das Methan etwa 20mal mehr für die Erwärmung der Atmosphäre als Kohlendioxyd. Es kam zu einem „galoppierenden Treibhauseffekt“. Am Ende des Perms war ein kritischer Punkt erreicht, an dem die natürlichen, den Treibhausgaspegel reduzierenden Systeme zusammengebrochen waren. (Benton 2008b, 32-34) Es folgte ein „TreibhausMassenaussterben“ durch Erwärmen statt durch Erfrieren. (Christian 2018, 156) Für sich allein hätte keiner der Prozesse Fauna und Flora derartig dezimieren können. Verschiedene Faktoren kamen jedoch zusammen und riefen „die größte Krise in der Entwicklung des Lebens“ hervor. (Kürschner/Visscher 2003, 122f.) Es handelte sich nicht um ein „Augenblicksereignis“, sondern um einen komplexen mehrphasigen Vorgang, der sich über einen Zeitraum von etwa 20 Millionen Jahren erstreckte (Pflug 1984, 103f.)
Opfer und Überlebende der globalen ökologischen Katastrophe
Funde aus Südafrika weisen auf mehrere Aussterbewellen hin, die womöglich zwei Höhepunkte erreichte. (Erwin 1996, 72ff.) Keine Spezies blieb verschont. Es war das einzige Massensterben, das auch die Zahl der Insekten reduzierte. Innerhalb von Familien blieben oft nur wenige Arten übrig. An Land verschwanden etwa 80 Prozent der Reptilien- und 70 Prozent der Amphibienfamilien. (Kürschner/Visscher 2003, 122f.) Auch Landwirbeltiere waren betroffen. Das Ereignis betraf diese Faunen erdweit. Von 48 Familien starben 36 aus. Das entspricht einem Verlust von 75 Prozent. Nur zwölf Familien überlebten. Damit handelte es sich um das stärkste Massensterben in der Geschichte der Landwirbel-tiere. (Benton 2007, 147) Mit ihm fand der Aufstieg säugetierartiger Reptilien „ein jähes Ende“. (Ludwig 2006, 43f.) Die Zahl der Landwirbeltiere wurde „dramatisch dezimiert“. (Oschmann 2016, 230) Einige Reptilien wie Contritosaurus überlebten in geringer Zahl. Auch Lystrosaurus, ein schwerfälliger Pflanzenfresser, blieb als Art erhalten. (Kürschner/Visscher 2003, 122f.) Unter den Reptilien kam es zur Dominanz seiner Gattung. Auch einige kleine Tiere aus der Unterklasse der Diapsida überlebten, wie z. B. Archosaurus. (Palmer/Barrett 2009, 108)
Die Bedeutung des Massensterbens vor 250 Millionen Jahren für Säugetiere und die Evolution zum Menschen
In der Beurteilung des Massensterbens sind sich die meisten Wissenschaftler einig und finden drastische Worte. Hier einige Beispiele: Am Ende des Paläozoikums gab es das „vielleicht größte Massensterben aller Zeiten“. (Macdougall 1997, 137f.) Die Rede ist von „der schlimmsten Krise aller Zeiten“, (Reichert 1999, 404f.) der „Mutter aller Katastrophen“. Von den fünf größten Massensterben war dieses das verheerendste. (Kürschner/Visscher 2003, 118122) Es war „die größte Katastrophe in der Geschichte des Lebens“, (Benton 2008b, 32-34) eine „gewaltige globale Katastrophe“. (Kutschera 2009, 229) Die Zeit am Ende des Perms entschied „beinahe über den Fortbestand des Lebens“. (Fischer 2003, 72) Es bestand die Möglichkeit eines sich „verschärfenden Erlöschens“. (Strauch 2004, 16) Das Leben entging „nur knapp der völligen Auslöschung“. (Ludwig 2006, 45) Niemals war es „so nah am Erlöschen“. (Benton 2008b, 32-34) Binnen weniger Millionen Jahre wurde die Erde „beinahe entvölkert“. (Fritsche 2015, 194-197) Das Leben wäre „um Haaresbreite als ein nur vorübergehendes Phänomen“ im wahrsten Sinne des Wortes „in der Versenkung verschwunden“. Mit dieser „Schlusskatastrophe“ endete das Erdaltertum. (Fischer 2003, 72) Die komplexen Ökosysteme des Oberperms waren zerstört. (Benton 2007, 147) Der Ära der paläozoischen Lebenswelt folgt das Zeitalter der modernen mesozoischen Fauna. Zwar trug das Aussterben über eine längere Zeit gesehen „keinen geringen Beitrag zur Entstehung der Säugetiere“ bei, (Ward/Kirschvink 2016) allerdings waren diese zunächst ebenfalls in ihrer Existenz gefährdet. Bei den Reptilien erlosch „zweimal beinahe die Linie, die zu den Säugern führte“, also unsere Rote Linie. (Strauch 2004, 16) Die Therapsiden-Gruppen der Gorgonopsiden verschwanden, die Dicynodontia überlebten noch bis in die Kreidezeit. Auch die warmblütigen Hundszähner, aus denen die Säugetiere hervorgingen, verschwanden bis auf wenige Exemplare. Für sie aber begann nach der Krise ein unaufhaltsamer Aufstieg. Hundszähner waren etwa so groß wie Wölfe. Es gab fleisch- und pflanzenfressende Arten. Sie brachten in der Trias zahlreiche, an Säugetiere erinnernde Reptiliengattungen hervor. (Kutschera 2006, 102f.) Die Hundszähner waren „im engeren Sinne die Vorfahren aller späteren Säugetiere“. (Schrenk/Müller 2006, 112f.) Über sie verläuft unsere Rote
Linie. Das Massensterben am Ende des Perms wirkte sich auf die Geschichte des Lebens stärker aus als jedes andere Ereignis seit dem Auftreten höherer Tiere. Ohne es sähe die Welt heute anders aus: „Vielleicht würden am Meeresgrund immer noch Haarsterne, Seelilien und Armfüßer vorherrschen und nicht Seeigel, Seesterne und Muscheln. Womöglich gäbe es sogar noch Trilobiten.“ (Erwin 1996, 72ff.) Für uns wichtig ist, dass das Massensterben „ganz wesentlich“ zur Entstehung unserer Spezies beitrug. (Lesch/Kamphausen 2017, 85-87) Sicher ist, dass einige unser Vorfahren überlebten, denn sonst, so die Logik des Anthropischen Prinzips, gäbe es uns nicht.
15. Säugetiere und erste Primaten in der Zeit der Dinosaurier zwischen Trias und Kreide vor 252 bis 66 Millionen Jahren
Zeit der Dinosaurier von der Mitte der Trias bis zum Ende der Kreidezeit
Parallel zur andauernden Katastrophe brauchte es mindestens eine Millionen Jahre, bis sich das Leben nach dem Massensterben beim Übergang vom Perm zur Trias neu entfaltet hatte. Die Erde war eine andere geworden. Das große Sterben hatte alles verändert. In der Trias wurden „die Karten im Spiel des Lebens neu gemischt“. (Elicki/Breitkreuz 2016, 149) Die „fast leergefegten Biome“ füllten sich langsam wieder. (Strauch 2004, 16) Vor 245 Millionen Jahren setzte „so etwas wie eine Erholung“ ein. (Ward/Kirschvink 2016) Aus Archosauriern wurden Dinosaurier. Neue Arten entstanden. Wahrhaft riesige Sauropoden ließen die Erde erbeben. Fleischfressende Vorfahren der Raubsaurier nahmen immer mehr an Größe zu. Andere Theropoden schrumpften, bekamen längere Arme sowie ein Federkleid und wurden zu den Vorfahren der Vögel. Pflanzenfresser grasten in Herden die Savannen ab. Einige schützten sich durch dornentragende Rückenschilde. Das größte Exemplar eines Fleischfressers war der durch den Film „Jurassic Park“ berühmt gewordene Tyrannosaurus Rex, das größte Landraubtier der Erdgeschichte. Dinosaurier beherrschten mit über 500 Gattungen und rund 1 000 Arten von der Mitte der Trias bis zum Ende der Kreidezeit die Erde.
Säugerähnliche Tiere und erste Säuger vor 245 bis 200 Millionen Jahren
Aber auch einige frühe Säugetiere (Mammaliaformes) hatten das Massensterben am Ende des Perms überlebt. Dank eines größeren Gehirns, geschärfter Sinne und verbesserter motorischer Fähigkeiten trotzten sie den Folgen der geologischen Veränderungen und besetzten freigewordene Nischen. Die räuberisch lebende Reptilsäuger der Gattung Hundzähner hatten in kleinerer Menge überlebt. Sie waren unsere Ahnen, allerdings „keine besonders schönen Tiere“. In der Obertrias entwickelten sich aus ihnen frühe Säuger. (Macdougall 1997, 178f.) Diese lebten vor 245 bis 242 Millionen Jahren auf Gondwana und stellten eine Zwischenform beim Übergang von der Reptilart Wolfgesicht (Lycaenops) zur urtümlichen Beutelratte (Didelphis) dar. Wichtige säugerähnliche Reptilien waren in der jüngeren Mitteltrias auch die Landwirbeltiere Probainognathia, die vor 245 bis 203 Millionen Jahren lebten. Der Übergang von Reptilien zu Säugern begann vor 215 Millionen Jahren. In mehreren Schritten entstand ein neuer Typ, der sich von den Therapsiden deutlich unterschied. Neue Merkmale waren Warmblütigkeit, eine Verstärkung der Kaumuskulatur, die Bildung eines Gaumens, der eine bessere Trennung der Nahrungs- und der Atemwege erlaubte, und die Entwicklung der Lunge. Stoffwechsel versorgte den Körper mit innerer Wärme, Fettschichten und Fell schützten vor Kälte. Sie jagten bevorzugt nachts. Da Insekten im Dunkeln schwer auszumachen sind, entwickelten sie feine Sinne. Typisch wurde das Lebend-Gebären sowie das Säugen der Jungen mit Hilfe von Milchdrüsen. (Erben 1986, 209-211.) Die Säuger verfügten über vergrößerte Hirnbereiche für das Riechen und Hören. Es gelang ihnen, „die wechselnden Bedingungen mit entsprechenden Lebensweisen zu parieren“. „Anung durch Hervorbringen von Vielfalt“ kennzeichnete das Überlebenskonzept. Ihre hohe evolutionäre Beweglichkeit war der Schlüssel zum Erfolg. Vor 200 Millionen Jahren traten die ersten Säuger auf. (Coppens 2002, 19) Als ältester Vertreter gilt Megazostrodon, ein nachtaktiver, Eier legender Insektenfresser, der einer Spitzmaus ähnelt, zehn Zentimeter lang war und 30 Gramm wog. Er jagte nachts und verschmähte auch Aas nicht. Manche Experten sehen in Adelobasileus cromptoni den ältesten bekannten Säuger. Der Bau seines Ohres spricht dafür, dass er zumindest einen Übergangsstatus von den
Hundszähnern zu den Säugern darstellte. Sein Alter wird auf 225 Millionen Jahre geschätzt. Es ist gut möglich, dass die Rote Linie unserer Evolution über ihn lief. Auch Kuehneotheriden, Morganucodonten und Haramiyiden besaßen Säugermerkmale. Kuehneotheriiden fraßen Würmer oder Schmetterlinge. Morganucodontiden lebten in der oberen Trias und um Unteren Jura und ernährten sich ebenfalls von Insekten. Ihre Skeletstrukturen stimmten mit denen der Theria überein, was auf weitgehend übereinstimmende biologische Grundanungen schließen lässt. Morganucodon ist eines der ältesten säugerähnlichen Tiere. Es war in der oberen Trias und im Unterjura verbreitet. Ob diese Gruppe bereits Säugetiere im weiteren Sinn (sensu lato) waren oder eher zu den säugerähnlichen Tieren (Mammaliaformes) zählen, ist umstritten. Sie wiesen schon fortgeschrittene säugetierähnliche Merkmale auf, unterschieden sich aber im Detail von heutigen Säugern. Hinsichtlich ihrer Skeletstruktur waren sie jedoch „fast ideale Vorläufer der späteren Säugerformen“. (Carroll 1993, 412, 431) Haramiyida lebte in der Trias sowie im Jura und ernährte sich von kleinen Pflanzen. Auch Sinoconodon vor 200 Millionen Jahren wird von einigen Forschern als ältestes Säugetier angesehen. Damit läuft unsere Rote Linie wohl auch über ihn. Es lebte in der frühen Jurazeit, zeigte bereits Merkmale heutiger Säuger, aber auch noch von Reptilien. Wichtige säugerähnliche Reptilien waren in der Obertrias Diarthrognathus (Zwei-Gelenk-Kiefer) und Hundszahnsaurier (Cynognathus). Sie entwickelten sich aus Therapsiden und sind als Reptilien und Vorläufer der Säugetiere „nolens volens in unsere Ahnenreihe aufzunehmen“. (Oschmann 2016, 231f.) Diarthrognathus war eine ausgestorbene Gattung von Synapsiden, die vor 200 Millionen Jahren lebte. Es handelte sich um kleine Fleischfresser, deren Doppelkiefergelenk Merkmale früher Synapsiden und Säugetiere überbrückte. Biberschwanz (Castorocauda), der vor 164 bis 70 Millionen Jahren lebte, ähnelte seinem Namensgeber und ernährte sich wir dieser von Fisch. Er gehört zur Gruppe der Docodonta und lebte im Jura sowie in der frühen Kreide. Docodonta ähneln zwar heutigen Säugern, werden aber nicht als Säugetiere im engeren Sinn (sensu stricto), sondern als Übergangsformen zwischen Reptilien und Säugern, säugetierähnlich oder als „Säugetiere im weiteren Sinn“ (sensu lato) bezeichnet. Kladistische Analysen ordnen den weiterentwickelten Docodonta als Morganucodonta ein, der vor 210 bis 175 Millionen Jahren lebte oder Sinoconodon, der vor 200 Millionen Jahren erschien. Sie sind urtümlicher als Hadrocodium wui oder als eigentliche Säugetiere. Da noch unklar ist, welches
die ältesten Säugetiere waren, (Kutschera 2009, 217f.) ist es nicht möglich unsere Rote Linie genau zu bestimmen. Die Lücken werden größer, je mehr Fossilien gefunden werden und lassen offen, welches unsere Urahnen waren. Nach diesen Lücken lässt sich aus der Retrospektive aber wieder genauer bestimmen, über welche Tiere die Entwicklung zu uns verlief. Wichtig ist ein Blick auf das Verhältnis von Dinosauriern und Säugetieren, da die Dominanz der Dinosaurier zugleich die nachgeordnete Rolle therapsider Reptilien bedingte. Wären die Dinosaurier früher von der Erde verschwunden, hätten sich die frühen Säuger vielleicht anders entwickelt und wären dominanter geworden. Aber nur dank ihrer geringen Größe überleben sie später die DinoRiesen. Retrospektiv wirkt es, als hätte ein zuständiger Ingenieurs-Engel die Evolution per Schalter gebremst, weil die Zeit für Säugetiere noch nicht reif war. In Nischen überlebten sie, so Stephen Jay Gould, einige hundert Millionen Jahre als „kleine Geschöpfe in den Winkeln und Ritzen einer Dinosaurier-Welt“ (Gould 1991, 359f.) und schufen so die Voraussetzungen für ihre zukünftige Dominanz im Reich der Fauna. Wenige von ihnen waren größer als eine Katze. Zwar traten bei ihnen Merkmale der Säugetiere nicht nacheinander oder gar kumulativ auf, aber die Tatsache, dass sie überhaupt auftraten, und zwar nur bei einer Gruppe der Reptilien, macht deutlich, dass sich in dieser Gruppe die „reptilhafte genetische Reaktionsnorm verändert“ hatte, und zwar so, dass sich eine neue Möglichkeit abzeichnete, nämlich die Überwindung des Reptilienstatus und die Entstehung der Säugetiere. (Erben 1986, 208f.) Die Entwicklung bewies die Richtigkeit der bereits erwähnten Annahme von John C. Eccles, dass sich oft Arten durchsetzten, die weniger konkurrenz- und leistungsfähig waren. (Eccles 1979, 71) Auch dies widerspricht Darwins Theorie der Evolution durch Mutation und Selektion.
Das Massensterben beim Übergang von der Trias zum Jura vor 200 Millionen Jahren
Gegen Ende der Trias teilten geologische Kräfte den Superkontinent Pangäa in die Kontinente Laurasia und Gondwana. Der Vorgang war verbunden mit gewaltigen Magmafreisetzungen und der Verbreitung von Schwefelwasserstoff in flachen, warmen Randmeeren. Großflächige Vulkanlandschaften setzten riesige Mengen Kohlendioxid und Schwefeldioxid in die Atmosphäre frei. (Hubmann/Fritz 2015, 199f.) Über mehr als eine halbe Million Jahre ergossen sich gigantische Lavamassen über weite Gebiete Pangäas. Das Szenario ähnelte dem der gewaltigen Vulkanausbrüche 50 Millionen Jahre zuvor. Die Eruptionen lösten ein weiteres Massenaussterben aus. Krokodile und Archosaurier wurden dezimiert. Die Dinosaurier blieben vom Feuersturm mehr oder weniger verschont. Ihre wichtigsten Untergruppen erreichten die Jurazeit. (Brusatte 2019. 30-37) Das Massensterben beim Übergang von der Trias zum Jura zählt zu den Big Five der Erd-Katastrophen. Diese „dunkle kalte Zeit“ erwies sich als ein weiterer „Flaschenhals der Evolution mit Filterwirkung“. Zahlreiche Pflanzen- und Tiergruppen überstanden das Inferno und seine Folgen nicht oder wurden dezimiert. (Müller 2017b, 53) Die noch kleinen zweibeinigen Dinosaurier überlebten, während die Mehrzahl der vierbeinigen Landreptilien ausstarb. So gingen die kleinen Saurier als „Gewinner aus dem Massenaussterben“ hervor. (Probst 1986, 141) Aber auch Vorläufer der Säugetiere gehörten zu den Überlebende. Wir wissen dies, weil es uns gibt. Ohne sie hätte unsere Rote Linie ihr Ende gefunden.
Echte Säugetiere im Jura vor 200 bis 145 Millionen Jahren
Anders als in der Trias bestimmten im Jura „echte Säugetiere“ (Mammalia) bzw. „Säugetiere im engeren Sinn“ (Mammalia sensu stricto) die Szene. Sie werden von den „Säugetieren im weiteren Sinn“ (Mammaliaformes) unterschieden. Schon in der späten Trias wiesen einige Therapsiden so viele Säugermerkmale auf, dass sie als Vorfahren der Beutel- und Plazentatiere und erste Säugetiere eingestuft werden. Diese kleinen Formen ähnelten heutigen Spitzmäusen. (Carroll 1993, 412) Der vor 195 Millionen Jahren lebende Hadrocodium wui gilt als ältester Vertreter der echten Säugetiere. Über ihn, der zwei Gramm wog und dessen Schädel zwölf Millimeter lang war, verlief unsere Rote Linie. Der Winzling besaß bereits die für Säuger charakteristischen drei Gehörknöchelchen Steigbügel, Hammer und Amboss, die sich aus dem Kieferapparat der Reptilien entwickelt hatten. Er ernährte sich von Insekten, verfügte über ein im Verhältnis zum Körper großes Gehirn, einen feinen Geruchssinn, ein gutes Sehvermögen und damit über alle wesentlichen Merkmale eines Säugetiers. (Ludwig 2006, 55f.) Vor 160 Millionen Jahren lebte ein weiteres echtes Säugetier namens Juramaia sinensis. Skelett und Zähne zeigten Gemeinsamkeiten mit modernen Plazentatieren. Die einer Spitzmaus ähnelnden Insektenfresser zählten zu den ersten Plazentatieren und sind „potenzielle Vorfahren des Menschen“. (Pickrell 2020, 36-42) Zu den ersten sicheren Säugetieren gehörte auch die Gruppe Haramyida, die während des Mesozoikums auf der Nordhalbkugel lebte. Es ist möglich, dass sie Vorfahren der Kuehneotherium waren, einer Gattung, die mit den wahrscheinlichen Vorfahren der Marsupialia und Placentalia verwandt ist. Wegen fehlender Fossilien liegen die Details über ihre verwandtschaftlichen Beziehungen untereinander wie auch über die Beziehungen zwischen ihnen und den späteren Säugern im Dunkeln. (Futuyma 1990, 378) Deswegen ist nicht genau bestimmbar, über welche Tiere unsere Rote Linie lief. Aus unserer Existenz können wir jedoch schlussfolgern, dass die Gruppe der echten Säugertiere auch den letzten gemeinsamen Vorfahren aller heutigen Säugetiere sowie dessen Nachkommen umfasste, mit denen der Boden für den „Stammbaum der heutigen Mammalia“ gelegt wurde. (Brusatte/Zje-Xi 2016)
Das Massensterben zu Beginn der Kreide vor 145 und die Aufspaltung der Säugetiere in Protheria, Theria und Eutheria vor 125 Millionen Jahren
Geologische und klimatische Prozesse bestimmten auch in der Kreidezeit das Geschehen. Die frühe Kreide war durch das Zerbrechen Gondwanas geprägt. Landmassen drifteten auseinander und die Konturen der heutigen Kontinente deuteten sich an. Der Meeresspiegel war infolge geschmolzener Eiskappen 200 Meter höher als heute. Europa wurde vom Tethys-Meer bedeckt. Es gab lange Phasen intensiver vulkanischer Aktivität. Neben austretender Lava gelangten erneut große Mengen an Kohlendioxid in die Atmosphäre. Die Folge war ein Wärmeschub mit weitreichenden Auswirkungen auf die Biosphäre, den globalen Wasser- und Kohlenstoffkreislauf sowie ein weiteres Massensterben. Da die Kontinente auseinanderdrifteten, entwickelten sich die Landsäugetiere von nun an auf verschiedenen Kontinenten isoliert in sich trennenden Linien weiter. Vor 125 Millionen Jahren kam es zur Aufspaltung der Säugetiere in Kloakentiere (Protheria) und Höhere Säugetiere (Theria), unseren Urahnen. Zu ihnen zählten alle, die Nachwuchs zur Welt brachten und keine Eier ausbrüteten. Das sind Beuteltiere (Marsupialia) und Höhere Säugetiere oder Plazentatiere (Eutheria) sowie deren Nachkommen. (Palmer/Barrett 2009, 278) Die Vorfahren der Beuteltiere und Höheren Säugetiere stammten aus der Unterkreide. Vorfahren der Höheren Säuger waren die in China gefundenen Sinodelphys szalayi und Eomaia scansoria. Letzterer gilt als einer der ältesten Vertreter der Höheren Säugetiere. Weiterhin waren die nachtaktiven Tiere des Mesozoikums nicht größer als Mäuse oder Ratten und ernährten sich von Insekten.
Die Aufteilung der Höheren Säugetiere und die Entstehung der PlazentaTiere vor 100 Millionen Jahren
Vor 100 bis 90 Millionen Jahren teilten sich die Höheren Säugetiere (Theria) in Nebengelenktiere, Afrotheria, Laurasiatherie und Euarchontoglires. Aus den Euarchontoglires gingen die Stammlinien hervor, die vor rund 56 Millionen Jahren zu den heutigen Mäusen und zu den Primaten führten. Hier ist unsere Rote Linie recht gut erkennbar. Es erschwert die Suche nach unseren Vorfahren jedoch, dass Höhere Säugetiere oder Plazentatiere der Oberkreide schwer unterscheidbare Gruppen bildeten. Etliche gehörten zur Ordnung der Insektenfresser wie Spitzmäuse und Igel, aber auch Fossilien von Primaten der Oberkreide unterscheiden sich kaum von ihnen. (Futuyma 1990, 381-383) Insektenfressende Plazentatiere entstanden vor 100 Millionen Jahren. Ihr Hauptmerkmal war die Ausbildung eines Uterus mit einer Placenta als Nährschicht. Sie führten lange Zeit parallel zu den Beuteltieren ein Leben als Insektenfresser. (Roth 2010, 166) Vor etwa 100 Millionen Jahren entwickelten sich bei ihnen Schwangerschaft und Lebendgeburt. (Coppens 2002, 19) Vor 72 bis 66 Millionen Jahren, am Ende der Kreidezeit, tauchten erstmals Formen auf, die wohl Vorfahren heutiger Plazentalier waren. (Reichert 1999, 463)
Primaten, Riesengleiter sowie Spitzhörnchen vor 88 Millionen und Purgatorius vor 70 Millionen Jahren
Euarchonta gingen vor 88 Millionen Jahren aus den Euarchontoglires hervor. Sie teilten sich vor 86,2 Millionen Jahren in die Gruppen der Spitzhörnchen (Scandenia) und der Primatomorpha. (Schauer 2017, 183) Spitzhörnchen lebten am Boden und kletterten nur gelegentlich in die Bäume. Sie waren Allesfresser. Die Primatomorpha teilten sich vor 79,6 Millionen Jahren in Primaten und Riesengleiter. Spitzhörnchen und Primaten waren nah verwandt. Spitzhörnchen wurden früher gelegentlich den Primaten zugerechnet. Sie zeigten zwar im Schädelbau und im Verhalten Ähnlichkeiten, es handelte sich dabei aber um generelle Merkmale der Säuger oder um konvergente Entwicklungen. Heute gelten sie als eine eigene Ordnung. Ihre Linie führt von den Euarchontoglires über die Euarchonta. Hier trennte sich die Entwicklung innerhalb der Primatomorpha zu Riesengleitern, Primaten und Spitzhörnchen. Unsere Rote Linie verlief demnach über ein kleines Tier, das dem heutigen Eichhörnchen ähnelt. (Erben 1990, 99) Neue Fossilfunde zeigen, dass die in der Blütezeit der Dinosaurier lebenden Säugetiere keinesfalls nur als „kleine mäuseartige Wesen“ im „Schatten der Riesenechsen herumhuschten“. Einige Säugetiere aus der Dinosaurierzeit waren größer als bislang angenommen. Repenomamus etwa wog zwölf bis 14 Kilogramm, ein waschbärgroßes Exemplar von Vintana bis zu neun Kilogramm. (Pickrell 2020, 36-42) Purgatorius gilt als Vorläufer der Primaten, ältester Vertreter der Höheren Säugetiere und Urahn aller späteren Primaten einschließlich von uns Menschen. (Coppens/Gepner 2010) Das 20 Gramm schwere Tier ernährte sich von Früchten und Insekten. Es überstand das Massenaussterben an der Grenze von der Kreide zum Paleozän und erlebte noch die Zeit nach den Sauriern, die „Morgendämmerung der Primaten“. (Ward/Kirschvink 2016)
Der Asteroideneinschlag vor 66 Millionen Jahren
Das Ende der Dinosaurier vor 66 Millionen Jahren und das Überleben von Säugetieren und erster Urformen der Primaten
Vor 66 Millionen Jahren raste ein zehn Kilometer großer Asteroid mit einer Masse von vier Millionen Tonnen und mit einer Geschwindigkeit von 30 Kilometern pro Sekunde auf die Erde zu. Er war durch einen Zusammenstoß des 170 Kilometer großen Asteroiden Baptistina mit einem 60 Kilometer großen, unbekannten Asteroiden entstanden, bei dem rund 100 000 Fragmente mit mehr als einem Kilometer und 300 mit mehr als zehn Kilometer Durchmesser entstanden. Geologen fanden Hinweise, dass es sich bei dem „Killerasteroiden“ um einen Kohligen Chondriten handelte Der größte Teil der Bruchstücke gehört bis heute zur Baptistina-Familie im Asteroidengürtel zwischen Mars und Jupiter. (Bührke 2008) Wären beide Asteroiden nicht aufeinandergeprallt, hätte das Leben auf der Erde einen gänzlich anderen Verlauf genommen. Vieles wäre nicht oder anders geschehen. Er verdampfte, als er die Erdkruste durchbrach und hinterließ auf der YucatanHalbinsel den Chicxulub-Krater mit einem Durchmesser von 200 Kilometern. Der Einschlag erzeugte eine Explosion, die einer Detonation von 100 Millionen Wasserstoffbomben entspricht. Im Umkreis von hunderten Quadratkilometern wurde schlagartig alles Leben ausgelöscht. Die Erdoberfläche verwandelte sich in eine „lebende Hölle, in eine dunkle, brennende, schweflige Welt, in der sich alle Regeln für das Überleben der am besten Angeten innerhalb von Minuten veränderten“. (Lausch 2004, 62-69) Noch hunderte Kilometer entfernt entflammten die Wälder schlagartig und verbrannten in gewaltigen Feuerstürmen. Ein Tsunami vernichtete an den Küsten des Golfs von Mexiko Fische und Dinosaurier und ergoss sich über hunderte Kilometer ins Landesinnere. Geschmolzene Steine schossen durch die Luft. Kalkstein verdampfte und sprühte Kohlendioxid in die Atmosphäre. (Christian 2018, 168-170) Iridiumreiche Rauch- und Staubwolken gelangten so hoch, dass sie die Erde umrundeten. Verstärkt wurde das Inferno durch gleichzeitige flächenhafte vulkanische Ergüsse in Indien, das noch nicht an Asien angedockt war. (Reichert 1999, 401) Der Einschlag war aber nur der erste Akt. Es folgte eine weltweite
Klimakatastrophe. Da Sonnenlicht die staubige Atmosphäre kaum durchdringen konnte, kam es zum Erliegen der Photosynthese und zur Freisetzung giftiger Gase wie Cyaniden. Auf der Erde herrschten Kälte, Orkane und gewaltige Flutwellen. Im „nuklearen Winter“ regnete es Salpetersäure. Noch nach ein oder zwei Jahren war es auf der Erde finster, (Christian 2018, 168-170) lediglich erhellt durch die Flammen riesiger Flächenbrände, die über die Kontinente hinwegfegten und Lebensräume sowie die Basis der Nahrungsketten vernichteten. (Kring/Durda 2005, 50-55) Einige Geologen und Paläontologen führen das Aussterben der Dinosaurier vor allem auf gewaltige Vulkanausbrüche im heutigen Indien zurück, die schon Jahrhunderttausende vor dem Chicxulub-Einschlag den Niedergang der Dinosaurier einläuteten. (SdW 6 2019, 10f.) Die Aussterberate vor 66 Millionen Jahren betrug jedenfalls bei Sauriern 100 und bei Säugetieren 23 Prozent. Amphibien waren nicht betroffen. Bezogen auf alle Wirbeltiere lag sie bei 30 Prozent. (Benton 2007, 269) In Nordamerika sank die Vielfalt an Dinosauriern schon vor dem Impact von 30 auf sieben Arten, was auf ein graduelles Aussterben schließen lässt. (Hands 2018, 410) Was geschehen wäre, wenn die Saurier überlebt hätten, lässt sich im Roman „Die Stadt der Träumenden Bücher“ von Walter Moers nachlesen. Hauptfigur und Erzähler ist der zamonische Dichter Hildegunst von Mythenmetz, ein intelligentes Reptil, das von seinen Abenteuern in Buchhaim und den darunter liegenden Katakomben erzählt. Thematisiert wird das Thema auch in der Folge „Herkunft aus der Ferne“ der Fernsehserie Voyager, wo zwei Wissenschaftler der Voth zu ihrem Entsetzen herausfinden, dass ihr Volk von den Dinosauriern auf der Erde abstammt. Ob sich die Saurier ohne Asteroideneinschlag zu vernunftbegabten Wesen entwickelt hätten, wissen wir nicht. Stephen Jay Gould meint, die Dinosaurier hätten sich nicht auf deutlich größere Gehirne zubewegt und Bewusstsein entwickelt. (Gould 1991, 359f.) Der heutige Nachfahre der Dinosaurier wäre im Fall ihres Überlebens „nicht der richtig clevere Dinosaurier“, sondern „ein übergroßes Hühnchen mit großem Gehirn“. (Losos 2018, 342) Die Katastrophe betraf neben Dinosauriern etwa dreiviertel aller existierenden Säugetierarten. Vor allem größere Säugetiere gingen zu Grunde. (Brusatte/Zje-Xi 2016) Aus insektenfressenden Spitzhörnchen hatte sich bereits vor dem Impact viele Plazentatiere gebildet, darunter erste urtümliche Vorformen der Primaten
wie Halbaffen (Lemuren), Altwelt- und Neuweltaffen, sowie erste Vorläufer der Menschenaffen bzw. Menschenartigen (Hominoidea). Es gab also bereits vor dem Asteroideneinschlag aus Spitzhörnchen hervorgegangene Primaten. Zu den Säugern, die das Inferno überstanden, zählten einige der ersten Plazentatiere, also Eutheria, die ihre Jungen in einem fortgeschrittenen Entwicklungsstand gebaren und sie bis dahin durch eine gut ausgebildete Plazenta ernährten. (Brusatte/Zje-Xi 2016) Sie überschritten die Kreide-Tertiär-Grenze ohne wesentliche Verluste. Die Säuger nahmen den Platz der Dinosaurier aber nicht etwa wegen einer natürlichen Überlegenheit ein, vielmehr spielten Zufall und Chaos eine entscheidende Rolle. So oder so aber repräsentieren die überlebenden Säuger des Asteroideneinschlags unsere Rote Linie, die sich hier, wie meist nach „Flaschenhälsen“ unserer Evolution, gut erkennen lässt.
Die generelle Bedeutung von Katastrophen und Massenaussterben für die Evolution
Das Aussterben der Dinosaurier nach vielen vorhergehenden Aussterbeereignissen wirft die Frage auf, welche Bedeutung Katastrophen und Massenaussterben für die Entwicklung zum Menschen generell hatten. Klar ist, dass sie die Evolution des Lebens immer wieder entscheidend beeinflussten. Alle Prozesse liefen daher nicht nur im Sinne der Feinabstimmungen bzw. des Anthropischen Prinzips ab, auch zufällige Ereignisse wie Katastrophen nahmen maßgeblich Einfluss auf die Entwicklung zum Menschen. Bei unserer Evolution handelte es sich um eine „recht raffinierte Mischung aus quasistatischer Evolution und Katastrophe“. (Breuer 1981, 200) Die Tatsache, dass es uns gibt, zeigt, dass ständige Katastrophen uns nicht nur nicht auslöschten, sondern Grundlage unseres Entstehens waren. Eine der vielen Katastrophen hätte bei einem nur geringfügig anderen Ablauf oder einem etwas abweichenden Zeitpunkt die Entwicklung komplexer Lebensformen unterbinden und dem Leben auf der Erde vorzeitig ein jähes Ende setzen können. Eine zweite Chance hätten wir Menschen, so wie wir heute sind, nicht gehabt. Die Tatsache, dass wir und unsere Vorfahren durchweg nicht nur überlebten, sondern uns durch Katastrophen überhaupt erst entwickeln konnten, gleicht einem Wunder mit bitterem Beigeschmack. Die Entwicklung hin zu uns lässt sich, so Ernst-Peter Fischer, mit einer „unberechenbaren und gefährlichen Achterbahnfahrt“ vergleichen. Asteroideneinschläge, Veränderungen der Atmosphäre, tektonische Aktivitäten und massive Vulkanausbrüche zwangen die Evolution mehr als einmal, „Hals über Kopf neue und unerwartete Wege einzuschlagen“. (Fischer 2003, 73) Vieles in der Geschichte des Lebens hing vom Verschwinden vorheriger Lebensformen ab. Die Dosierung der Katastrophen war für unsere Evolution gerade richtig. (Benz 1997, 108) Unser Leben basiert „auf gewalttätigen Ereignissen und einer wahrhaft feindlichen Lebensumgebung“. (Ward/Brownlee 2001, 73) Indem Massenaussterben Schneisen in regionale oder globale Ökosysteme schlugen, führten Innovationen zum Entstehen neuer Gruppen. Um das Massensterben richtig einzuordnen, muss es auch in das richtige Verhältnis zum Hintergrundsterben gesetzt werden, denn nicht jedes Aussterben
war ein Massenaussterben. Es gab vielmehr zu allen Zeiten ein ständiges Kommen und Gehen von Arten und Individuen. Die Perioden des Massensterbens folgten auf weitaus längere Perioden mit unverändertem Status Quo, in denen es nur „normales Hintergrundaussterben“ gab. (Eldredge 1994, 88, 141) So oder so bestätigt die Entwicklung Raimund Poppers These eines nichtdeterministischen Ablaufs der Evolution in einem offenen Universum. Das einzige, was feststand, war, dass nichts feststand. Erst im Nachhinein können wir sagen, dass die Entwicklung zu uns führte. Die sich evolutionär herausbildenden Eigenschaften waren allerdings Vorgaben, auf den die weitere Entwicklung aufbauen musste. Seit Primaten entstanden waren, gab es kein zurück zu Einzellern oder Reptilien. Dieser Zug war abgefahren. Der Grundstock für intelligentes Leben war gelegt. Wie es konkret sein würde, stand aber weiterhin in den Sternen.
Relativierung von Charles Darwins „Survival of the Fittest”
Die Beschäftigung mit dem Massenaussterben bestärkte die Kritiker an Darwins Theorie des „Survival of the fittest“. Insbesondere das Postulat einer „natürlichen Zuchtwahl“ und vom Überleben der geeignetsten Population, geriet vor dem Hintergrund der Beschäftigung mit den zahllosen katastrophalen Umbrüchen in „heftige gedankliche Turbulenzen“. (Reichert 1999, 410) Mutation und Selektion müssen heute in Relation mit zahlreichen Zufälligkeiten und Katastrophen gesehen werden, die wenig oder nichts mit dem Überleben der vermeintlich Tauglichsten zu tun haben. (Fischer 2003, 72) Massenaussterben nahmen, so Niles Eldregde, „gewöhnlich auf die Qualität der Anungen der betroffenen Lebewesen keine Rücksicht“. (Eldredge 1994, 89f.) Das Aussterben, so David M. Raup, war für die Evolution notwendig und das vorherrschende Prinzip ein selektives und willkürliches Artensterben, das nicht auf der Anungsfähigkeit der Organismen beruhte. Es gäbe uns, so Stephen Jay Gould und andere, nicht, wenn das Artensterben „ein faires Spiel“ gewesen wäre. (Zit. b. Raup 1992, 224) Für Gould ist es die eigentliche Frage, ob es „irgendeine Regel“ gibt, „die bestimmt, wer durchkommt und wer nicht, und wenn ja, worauf sie beruht“. Die Fortschrittsdoktrin ist aus seiner Sicht durch „eine solche, eindeutig geologische und in großem Maßstab wirkende Kraft widerlegt“. Der einzige Faktor, der die Überlebenswahrscheinlichkeit einzelner Arten durch reinen Zufall nicht infrage stellte, war deren geographische Verbreitung. Je größer das von einer Gruppe besiedelte Gebiet war, desto mehr stieg die Wahrscheinlichkeit, durchzukommen. Die Bedingungen waren so hart, dass „die Chance, ein Versteck zu finden, um so größer ist, je mehr Raum man normalerweise einnimmt“. Beim Massenaussterben galten andere Regeln für das Überleben als in der „normalen“ Evolution. „Der größte Vorzug, dem man zuvor seine Blüte verdankte“, konnte „sich jetzt als tödlich erweisen“. Das Überleben hing „von einem vormals bedeutungslosen Merkmal ab, das den Entwicklungsgang nur als Nebeneffekt einer anderen Anung begleitet hatte“. (Gould 1991, 343347) David Raup sieht Analogien zwischen den Aussterbevorgängen und dem Glücksspiel. Er meint, die Regeln der Wahrscheinlichkeitsrechnung seien in ähnlicher Weise auch auf das Artensterben anwendbar. (Pálfy 2005, 6) Igór A.
Rezanov sucht nach einer Verbindung zwischen Massenaussterben und Darwinscher Selektion. Katastrophen hätten wie ein „Sieb“ gewirkt, durch das „eine natürliche Auslese alles Lebendigen auf der Erde“ erfolgte. (Rezanov 1985, 115) Auf einen anderen Aspekt des Massenaussterbens verweist Niles Eldredge. Er ist überzeugt, dass die Evolution keinen Aussterbemechanismus kenne, wonach das Alte bei der Ankunft des Neuen zwangsläufig beseitigt wird. Erscheine etwas Neues, wie z. B. die ersten einzelligen Eukaryoten, ersetzten ihre Träger keineswegs die Organismen mit den ursprünglichen Eigenschaften. Die Evolution bringe zwar oft bisher unbekannte und manchmal bessere Methoden hervor, doch bedeute dies nicht, dass ältere Lebensformen zeitgleich verschwinden. Neue Abkömmlinge hätten ihre stammesgeschichtlichen Vorfahren fast nie durch Wettbewerb beseitigt. Eher sei es umgekehrt so, dass etablierte Arten die „noch nicht flüggen neuen“ Arten verdrängen. (Eldredge 1994, 86f.) Beim phyletischen oder „Pseudo-Aussterben“ entwickelten sich Arten zu neuen Arten weiter. Starb die erste Art aus, ging die evolutionäre Abstammungslinie trotzdem weiter (Hands 2018, 407) und es kam auch nach dem Auseinandertriften der Arten weiterhin zu Kreuzungen. Nach Meinung von Luici Cavalli-Sforza bedarf Darwins Konzept der Evolution durch Überleben den Hinweis auf die Bedeutung des Zufalls, auf den der japanische Genetiker Motoo Kimura mit der Formulierung „Überleben der vom Glück Begünstigten“ als einer der Ersten aufmerksam gemacht hat. Evolution bedeutet also das Überleben nicht nur der besser angeten genetischen Typen, sondern auch derjenigen, die mehr Glück im Leben hatten. (Cavalli-Sforza, Luici 1996, 64)
Die Bedeutung des Asteroideneinschlags für die Evolution zum Menschen
Das Ende der Dinosaurier vor 66 Millionen Jahren rettete, so John David Barrow, die Erde „aus einer wenig versprechenden Sackgasse der Evolution“. (Barrow 2004, 120) Es sei, so Niles Dredge, „völlig offensichtlich, dass die Dinosaurier erst ausgelöscht werden mussten, um den Säugern eine Chance zur Entfaltung zu geben“. (Eldredge 1994, 139) Die Gelegenheit war günstig, weil den Säugetieren die gesamte Erde und nicht nur ein kleines Gebiet zur Besiedlung zur Verfügung stand. (Stanley 2001, 181) Nach dem Aussterben der Dinosaurier erlebten Synapsiden mit der Radiation der Säugetiere ab dem Paläozän eine Blüte, die bis heute anhält. Moderne Säugetiere repräsentieren die einzige Linie der ersten Synapsiden, die bis heute überlebt haben. Alle heutigen Säugetiere einschließlich des Menschen stammen von den Tieren ab, die das Massenaussterben überlebten. (Ward/Kirschvink 2016) Der Krater von Chicxulub erweist sich somit als ein „Schmelztiegel der menschlichen Evolution“. (Kring/Durda 2005, 50-55) Wir hatten Glück, „uns lange genug auf der Erde zu halten, so dass wir schließlich unsere Chance bekamen und die Welt erbten“. (Eldredge 1994, 139) Für Ulrich Langenbach ist der Einschlag des Asteroiden hingegen kein Zufall. Er sieht darin ein korrigierendes Eingreifen Gottes. (Langenbach 2014, 1089)
16. Planet der Affen: Vom Paläozän zum Pleistozän vor 65,5 bis 2,5 Millionen Jahren
Das Paläozän vor 65 bis 55 Millionen Jahren: Zeitalter der plazentalen Säugetiere
Vor 66 Millionen Jahren begann die Erdneuzeit, das Känozoikum. Dessen erste Periode war das Paläogen und darin die Epoche des Paläozäns. Diese startete mit einschneidenden geologischen und klimatischen Veränderungen. Der Kontinentaldrift verlieh der Erde mehr und mehr ihr heutiges Antlitz. Afrika und Indien lösten sich von Pangaea, Mitteleuropa war teilweise vom Thetys-Meer bedeckt. Vor 62 Millionen Jahren betrug die Oberflächentemperatur der Ozeane am Äquator über 20, in der Arktis und der Antarktis waren es immer noch zehn bis zwölf Grad Celsius. Trotz geringerer Temperaturunterschiede verliefen die Kreisläufe der Meeresströmungen ähnlich wie heute. Die Zunahme der globalen Temperaturen ging mit einer Ausbreitung von Wäldern einher. Nachdem die Ära der Dinosaurier ihr „krachendes, feuriges Ende“ gefunden hatte, kam eine „Rattenplage“ über die Welt, oder „zumindest eine Plage von rattengroßen Überlebenden“. Nicht nur kleine insektenfressende Hörnchen breiteten sich aus, vielmehr „öffnete sich der Springquell der Evolution und stieß eine der größten Wellen der Artenbildung aus, die es auf der Erde jemals“ gab. (Ward/Kirschvink 2016) Es schien, als hätten die Plazentatiere „nur auf einen zündenden Funken gewartet“, denn sie entfalteten sich „nach geologischen Maßstäben fast augenblicklich: praktisch binnen Jahrtausenden“. (Brusatte/Zje-Xi 2016) In weniger als 20 Millionen Jahren teilten sich Kleinsäuger in diverse Gruppen auf. Sie waren die Vorfahren aller heutigen Säugetiere. Neben urtümlichen Kloakenund Beuteltieren lebten Höhere Säuger wie Insektenfresser, Nagetiere, Primaten, Gürteltiere, Rüsseltiere, Raubtiere, Unpaarhufer, Wale und Paarhufer. Das Leben war weiterhin gefährlich. So starben zur Zeit des Torrejonian North American Stage vor 66 bis 61,6 Millionen Jahren und des Tiffanian North American Stage vor 60,9 Millionen Jahren die Hälfte aller 88 Plazentatiergattungen in 29 Familien auf dem Gebiet des heutigen nordamerikanischen Kontinents aus. (Palmer/Barrett 2009, S. 180)
Die Entwicklung der Säugetiere im Eozän vor 55 bis 34 Millionen Jahren
An der Grenze zum Eozän vor 55,5 Millionen Jahren stiegen die Temperaturen weiter. Vulkanausbrüche reicherten die Atmosphäre mit Kohlendioxid und giftigen Gasen an. Die Ozeane erwärmten sich und setzten Methan frei. Neun Millionen Jahre nach dem Ende der Dinosaurier löste dies einen der schnellsten Temperaturanstiege der Erdgeschichte aus. Über alle Kontinente erstreckten sich tropische Wälder. Innerhalb des heutigen nördlichen Polarkreises lebten Krokodile. Der Treibhauseffekt führte zum Massensterben unter Bewohnern des Meeresbodens. Ursachen waren jedoch nicht nur die steigenden Temperaturen in der Tiefsee, sondern der sinkende Sauerstoffgehalt. (Ward/Kirschvink 2016) Die Zeit vor 55 Millionen Jahren war die wärmste der letzten 80 Millionen Jahre. Sie mündete in das eozäne Optimum vor 52 bis 48 Millionen Jahren. (Müller 2017b, 49) Verschiedene Säugetierarten entwickelten im Eozän riesenhafte Formen. Nashornartige wie z. B. Paraceratherium erreichten eine Schulterhöhe von 5,5 Metern und ein Gewicht von zehn bis 20 Tonnen. Die körperlichen Ausmaße warmblütiger Lebensformen erreichten „die Grenze des lächerlich Grotesken, bisweilen sogar des Horrormäßigen“. Meerschweinchen, „so groß wie heutige Nashörner, Urpferdchen klein wie Füchse, flugunfähige, fleischfressende drei Meter hohe Laufvögel, Riesenschlangen und auf zwei Beinen laufende Säugetiere oder vier Meter lange Krokodile“. Die Bandbreite war „ebenso bizarr wie beeindruckend“. Übertroffen wurde das „Horrorkabinett“ nur noch von geflügelten Riesenameisen mit einer Flügelspannweite von bis zu 16 Zentimetern und einem sieben Zentimeter langen Körper. (Lesch/Zaun 2008, 151f.) Nordamerika, Asien und Afrika waren die Evolutionszentren. Europa blieb zunächst außen vor und war zu dieser Zeit eher ein Inselarchipel als eine geschlossene Landmasse. (Müller 2017b, 59f.) Bei den Wirbeltieren entwickelten sich die Knochenfische. Aus fleischfressenden Landsäugern gingen im Paläogen Wale und Robben hervor. Riesenhaie bevölkerten die Meere. Das „geradezu explosionsartige Ereignis“ erinnerte an die Kambrische Explosion. Aus kleinen insektenfressenden Säugern der Kreide entwickelten sich echte Fleisch- und Pflanzenfresser. Während die Säuger aus dem Paläozän noch recht primitiv anmuteten, änderte sich das zu
Beginn des Eozäns. (Elicki/Breitkreuz 2016, 241f.)
Primaten im Eozän: Feucht- und Trockennasenaffen
Noch lebte niemand, der sich nicht vorstellen konnte, dass in ferner Zukunft Menschen die Erde bevölkern und verändern würden. Das Universum musste weiter auf irdische Beobachter verzichten. Sollte es nicht ohne Beobachter funktioniert haben, dann befanden sich diese nicht auf unserem Planeten. Zunächst einmal gehörte die Erde mehr und mehr den Primaten. Angesichts vieler unbekannter Arten und weniger Fossilienfunde fällt es schwer, hier eine Rote Linie zu erkennen, was aber auch eine wichtige Erkenntnis ist. Weil Purgatorius als Urahn der Primaten das Massensterben vor 66 Millionen überlebt hatte, breiteten sich primatenähnliche Säugetiere von Südostasien über die immergrünen Wälder Laurasias bis in nördliche Hemisphären aus. (Oschmann 2016, 332) Bekannt sind heute 155 Primatengattungen mit 348 Arten aus dem Paläozän und Eozän. (Schauer 2017, 183) Insektenfressende Säugetiere, die auf oder unter dem Boden lebten, begannen ihre Nahrung auf Bäumen zu suchen. Die frühen Primaten waren Allesfresser, Insektenjäger, besaßen gute Augen, ein leistungsfähiges Gehirn und zeigten in Ansätzen soziales Verhalten. (Schrenk 1997, 24) Sie ähnelten, wie Purgatorius, heutigen Spitz- oder Eichhörnchen. Zu ihnen zählte auch Torrejonia, der vor 63 Millionen Jahren in Nordamerika lebte. (Brusatte/Zje-Xi 2016) Fossilien von Plesiadapis und Saxonella crepaturae, die bei Walbeck im nördlichen Harzvorland gefunden wurden, lagerten in 61,6 bis 59,2 Millionen Jahre alten Schichten. (Schauer 2017, 183-187) Eine andere Gattung, Altiatlasius, lebte zwischen 58,7 und 55,8 Millionen Jahren in Marokko. Das Tier brachte bis zu 100 Gramm auf eine nicht vorhandene Waage und gilt als ältester Vertreter der Gruppe, aus der sich die Vorfahren der modernen Primaten entwickelten. Zu Beginn des Eozäns vor 56 Millionen Jahren erschienen die ersten Vorfahren der Feucht- und Trockennasenaffen. (Roberts 2012) Zu den Feuchtnasenaffen (Strepsirrhini) gehörten die Adapiformes oder Adapoidea, die vor 50 Millionen Jahren erschienen und als älteste Primaten gelten. Die Omomyidae, eine artenreiche Primaten-Familie, erlebte ihre Blütezeit im Eozän, bevor sie im frühen Oligozän ausstarb. Anders als bisher vermutet, sind
Omomyiden nicht die frühesten Vertreter der Trockennasenprimaten. Sie sind weder Vorfahren der Neu- noch der Altweltaffen, sondern stellen mit den Koboldmakis einen spezialisierten Seitenzweig dar. Die Koboldmakis waren zwar die nächsten Verwandten der echten Affen oder Anthropoiden (Simiiformes) und somit auch des Menschen, gehörten aber nicht zu unserer Roten Linie. Sie spalteten sich vor 50 Millionen Jahren von den übrigen Primaten ab. (Schauer 2017, 183) Feuchtnasenaffen und Omomyiden umfassten die Vorfahren der modernen Halbaffen (Prosimier). Die Adapidae waren der genetische Ausgangspool für alle späteren Halbaffen. Sie ähnelten den heutigen Lemuren Madagaskars, stellten aber einen eigenen Zweig dar, der die Wurzeln der Höheren Primaten (Unterordnung Anthropoidea) einschließen könnte. (Reichert 1999, 503) Feuchtnasenaffen (Strepsirrhini) sind keine Vorfahren des Menschen. Trockennasenaffen, über die unsere Rote Linie führt, unterschieden sich von den Feuchtnasenprimaten u. a. durch den Nasenspiegel und eine knöcherne Wand zwischen Augen- und Schläfenhöhlen. Zudem überwogen bei ihnen Einzelgeburten. Zu den Trockennasenaffen gehörten die Menschenaffen, auch Menschenartige (Hominiden/Hominidae) genannt. In der Grube Messel bei Darmstadt fand man ein 47,5 Millionen Jahre altes Fossil, das nach der Tochter des norwegischen Paläontologen Jørn H. Hurum den Namen Ida erhilt. Wahrscheinlich handelte es sich um einen Trockennasenaffen, zu dem die Ahnen der höheren Primaten zählen. Die folgende Evolution gibt wichtige Hinweise über den Verlauf unserer Roten Linie. Vor 45 bis 41 Jahrmillionen gingen aus den Trockennasenaffen die Halbaffen als Vorläufer der Echten Affen (Anthropoideae, Simiae oder Simiiformes) hervor. (Morowitz 1988, 289) Zu den Anthropoideae gehörten Neuweltaffen und Altweltaffen als Vorfahren heutiger Kleinaffen, Menschenaffen und Menschen. (Ward/Kirschvink 2016) Sie werden auch „Eigentliche Affen“ oder „Höhere Primaten“ genannt. Ihr Leben verlief isoliert in Afrika, was dafürspricht, dass es „nur einen einzigen Entstehungsort für die Abstammungs-linie des Menschen gibt“. (Reeves 1996, 119) Die Echten Affen teilten sich in Neuweltaffen (Platyrrhini) und Altweltaffen (Catarrhini). Wie die Teilung verlief, ist unbekannt. Angesichts unbekannter Arten und weniger Fossilienfunde ist es kaum möglich, die Rote Linie zu benennen, die Millionen Jahre später zu den Menschen führte. Sicher aber verlief sie über die ersten echten Anthropoideae und Altweltaffen. (Ludwig
2006, 65) Der kleine Primat Rooneyia, von dem ein 35 Millionen Jahre alter Schädel gefunden wurde, war der erste Primat mit einem großen Gehirn. Es betrug mit mehr als sieben Gramm das Drei- oder Vierfache des Gehirns damaliger Säuger. (Eccles 1982, 60) Vor rund 34 Millionen Jahren lebte der Altweltaffe Catopithecus, der als erster Primat das gleiche Zahnschema wie spätere Menschen hatte. (Ward/Kirschvink 2016) Die Altweltaffen oder Schmalnasenaffen lebten in der Alten Welt (Eurasien und Afrika). Die Neuweltaffen oder Breitnasenaffen (Platyrrhini), die alle ursprünglichen Primaten des amerikanischen Kontinents umfassten, gehören nicht zur Abstammungslinie des Menschen. (Oschmann 2016, 332)
Abkühlung, Asteroideneinschläge und Massensterben zwischen Eozän und Miozän vor 34 bis 24 Millionen Jahren
Vor 34 Millionen Jahren trennten sich Südamerika und Australien von der Antarktis, die in die südliche Polposition driftete. Die Folgen waren deren großflächige Vereisung und der „Übergang vom globalen Treibhaus zum Eishaus“. (Müller 2017b, 49) Die Meeresspiegel sanken und Schelfmeere verlandeten, wie z. b. die Turgai-Straße, die bis dato Europa von Asien getrennt hatte. (Ziegler 2017, 94) Als neue Landmasse entstand Eurasien. Der Sauerstoffgehalt der Atmosphäre stieg. Es begann die Auffaltung der Alpen und Pyrenäen. Der Nordatlantik öffnete sich zwischen Grönland und Norwegen, und es entstand eine Verbindung zum Polarmeer. Zusätzlich trugen zwei größere Asteroideneinschläge zur Abkühlung bei. Der 35 Millionen Jahre alte PopigaiKrater im nördlichen Sibirien hat einen Durchmesser von 100 Kilometern, der ebenso alte Chesapeake-Bay-Krater, nahe der Südspitze der Delmarva-Halbinsel an der Ostküste der USA von 85 Kilometern. (Oschmann 2016, 332) Die Evolution von Fauna und Flora setzte sich auf getrennten Kontinenten fort. Es entstanden vier biogeografische Reiche: die Alte Welt mit Eurasien und Afrika, die isolierten Kontinente Australien, Südamerika und die Antarktis. Indien wurde nach dem Anschluss an Asien Teil der Alten Welt. (Müller 2017b, 51) Im Übergangsbereich vom Eozän zum Oligozän kam es zu einem weiteren Massenaussterben, dem vor allem Säugetiere zum Opfer fielen. Auch Insektenfresser und Primaten waren stark betroffen, erholten sich im Oligozän aber wieder. (Oschmann 2016, 332)
Geschwänzte Halbaffen vor 34 bis 24 Millionen Jahren
Die Klimaveränderungen am Übergang vom Eozän zum Oligozän vor 34 Millionen Jahren führten zur Aufspaltung der Altweltaffen oder Schmalnasenaffen (Catarrhini) in die kleinen, geschwänzten Altweltaffen, Meerkatzenverwandte oder Hundsaffen und die größeren schwanzlosen Menschenartigen oder Menschenaffen im weiteren Sinn. (Hominoidea). (Schauer 2017, 183) Letztere liegen zweifelsfrei auf unserer Roten Linie. Die Entwicklung der Geschwänzten Halbaffen setzte ab dem ausgehenden mittleren Miozän ein. (Henke/Rothe 1999, 54f.) Die Geschwänzten Altweltaffen bestanden aus der Familie der Meerkatzenverwandten oder Hundsaffen. Zu ihnen gehören bis heute die meisten Affenarten Afrikas und Asiens, darunter Meerkatzen, Makaken, Paviane und Schlankaffen. Der Unterschied zu den Vorfahren des Menschen ist offensichtig. Hatten sie einen langen Schwanz, gehörten sie nicht zur Überfamilie der Menschenaffen. War es zu Beginn des Oligozäns zu einer plötzlichen, starken Abkühlung und zur Vereisung der Antarktis gekommen, so folgte an der Grenze zwischen Oligozän und Miozän vor 25 Millionen Jahren ein neuer Temperaturanstieg. (Ludwig 2006, 72) Die Arabische Platte hob sich über den Meeresspiegel. Das Gebiet des heutigen Mittelmeers fiel zeitweise trocken. In dieser Zeit verbreiteten sich Altweltaffen in Richtung Asien und Europa. Die Erwärmung kulminierte in der oberoligozänen Warmphase vor 25 bis 24 Millionen Jahren. Danach folgte eine erneute Abkühlung. In höheren Breiten machten die Wälder vielerorts Graslandschaften und Savannen Platz.
Menschenaffen in Afrika vor 22 bis 17 Millionen Jahren
Vor 22 bis 17 Millionen Jahren lebten in Ostafrika zahlreiche Menschenaffen bzw. Menschenartige. Zu ihnen gehörten die Proconsuliden als Ahnen aller Hominoiden. Ihre Gattung stellt den Ausgangspunkt (das basale Taxon) von Menschenaffen, Gibbons, großen Menschenaffen und Menschen dar. (Benton 2007, 394-397) Proconsul gilt als unser ältester bekannter Vorfahr und gehört definitiv auf unsere Rote Linie. Seinen Namen verdankt er dem Schimpansen Consul, der in einem Londoner Varietee Fahrrad fahren und Zigarren rauchen musste. Vor 22 Millionen Jahren entstanden die schwanzlosen Menschenaffen (Hominiden). Sie gehören auf unsere Rote Linie. Ihre Ursprünge im Einzelnen sind unbekannt. Die Wissenschaftler haben „keine Ahnung“, wie die allerersten Hominiden ausgesehen haben. Es gibt nur spärliche Fossilfunde. (Richter, J. 2018, 27, 35) Vor 22 bis 17 Millionen Jahren lebten in Afrika 14 Gattungen von ihnen. (Begun 2003, 58f.) Die Menschenartigen oder Menschenaffen im weiteren Sinn (Hominoidea) umfassten die sogenannten Kleinen Menschenaffen (Hylobatidae), die Gibbons und die Großen Menschenaffen (Hominidae), zu denen auch der Mensch gehört. Für Laien sei auf den schnell überlesenen Unterschied zwischen Hominoidea und Hominidae verwiesen. Die Individuen aller Menschenartigen haben zwei gemeinsame Merkmale: Sie sind schwanzlos und ihre hinteren Backenzähne weisen das Dryopithecinenmuster auf. Zu den Menschenaffen gehörten kleinwüchsige Arten, aber auch die größten lebenden Primaten, die Gorillas. Hätten sie Schwänze gehabt, wäre die Entwicklung der Mode etwas anders verlaufen. Die Proconsuliden markieren zusammen mit der Gruppe der Dryopithecinen den nächsten Schritt auf unserer Roten Linie, nämlich der Trennung der Linie in Hunds- und Menschenaffen. (Ludwig 2006, 71) Die „Achse Proconsul Kenyapithecus“ gilt vielen Experten als Ausgangspunkt der Australopithecinen. (Coppens 2002, 21f.) Vor 20 Millionen Jahren zweigte die Evolutionslinie zu den Menschenaffen
(Homininen), von der Linie der Vorfahren der heutigen Menschenaffen (Pongiden) ab. Bis zu dieser Trennung wird die Gruppe mit Schimpansen, Gorillas und Orang-Utan als Hominiden bezeichnet. (Ulmschneider 2014, 197) Auch hier sei auf den Unterschied zwischen Hominiden und Homininen hingewiesen. Die Hominiden entwickelten sich nicht in der Familie der modernen Affen, den Pongiden, vielmehr gingen beide Familien getrennte Wege, und nur einer führte zum Menschen. Nicht ganz auszuschließen ist aber, dass sich die Hominiden und die Pongiden unabhängig aus einer einzigen Familie primitiver Menschenaffen entwickelten. (Stanley 2001, 618) Vor 20 bis 15 Millionen Jahren verließen auch die Gibbons die Rote Linie zu den Menschenaffen. (Homininen) (Ulmschneider 2014, 177f.)
Plattentektonik und Klimaveränderungen vor 18 bis 14 Millionen Jahren
Vor etwa 18 Millionen Jahren verbanden sich die Landmassen von Afrika und Asien. Die Tethys verschwand bis auf den Rest des heutigen Mittelmeers. Zugleich schob sich die kleine Karibische Platte unter die Cocosplatte. Vor 13 Millionen Jahren begann die Schließung der Meerenge von Panama. Dadurch änderten sich die Strömungen im Atlantik, was Auswirkungen auf das Weltklima hatte. In Afrika wurden die Jahreszeiten immer mehr durch saisonale Trockenund Regenzeiten bestimmt. Die Auswirkungen der Entwicklung des Afrikanischen Rifts führten zum Rückgang der Waldgebiete und zum Entstehen von Baumsavannen. (Schrenk 1997, 30) Die Plattentektonik führte zur Auffaltung von Gebirgen an der Kollisionsgrenze von Indien und Eurasien sowie zur Hebung des Hochlandes von Tibet. Vor 17 Millionen Jahren entstand im Bereich des östlichen Mittelmeeres eine Landbrücke zwischen Eurasien und Afrika. Alpen und Pyrenäen wurden aufgefaltet. Der gleichzeitige Rückzug des Meeres führte zu einem kontinentalen Klima. Afrika wurde trockener. Die tektonische Hebung von Teilen Ostafrikas und die Herausbildung des ostafrikanischen Grabens vor 18 bis acht Millionen Jahren zergliederte den äquatorialen Regenwaldgürtel. Das niederschlagsreiche, atlantische Klima endete an dieser Barriere. Weiter östlich ersetzten offene Gehölzlandschaften den Regenwald. In Mitteleuropa stieg die Durchschnittstemperatur auf 17,4 Grad Celsius. Ursache war der erhöhte Kohlendioxidgehalt in der Atmosphäre. In diese Zeit fiel die Aktivität des Schwäbischen Vulkans, der 350 Vulkanschlote hinterließ. (Ziegler 2017, 100f.) Auch in anderer Hinsicht spielte Schwaben eine Rolle. Der Nördlinger Ries-Krater und der Steinheimer Krater auf der Schwäbischen Alb sind Folgen von Meteoriteneinschlägen. Beide waren etwa einen Kilometer groß und setzten Energien von einigen hunderttausend Hiroshima-Bomben frei. Der Einschlagskrater im Nördlinger Ries hat einen Durchmesser von 24, das Steinheimer Becken von 3,5 Kilometer. (Hansch, 2003, 27f.) Die Einschläge lösten jedoch keine globalen Katastrophen aus. Ihre Folgen auf die Tierwelt sind schwer abschätzbar.
Große Menschenaffen vor 17 bis zwölf Millionen Jahren sowie Trennung der Orang-Utans vom gemeinsamen Vorfahren der Menschen und Menschenaffen
Nach der Vereinigung der afrikanisch-arabischen mit der eurasischen Kontinentalplatte vor 17 Millionen Jahren breiteten sich afrikanische Affen wie Proconsul und seine Nachfahren nach Eurasien aus. (Reeves 1996, 121f.) Vor 13 Millionen Jahren lebten hier Große Menschenaffen. In Europa war dies Dryopithecus und in Asien Sivapithecus. (Begun 2003, 58f.) Dryopithecus war während des Miozäns in Afrika und Eurasien verbreitet. Funde sind zwischen 17 und zwölf Millionen Jahren alt. Die Einordnung in den Stammbaum der Altweltaffen und zu unserer Roten Linie ist umstritten. Entweder gehörte Dryopithecus zur Gattung der Menschenartigen (Hominoidea) und war Teil der Familie der Menschenaffen, oder er bildet eine eigene Familie (Dryopithecidae) und stellt einen Seitenzweig der Menschenaffen dar. Michael J. Benton meint, Proconsul, Dryopithecus und Sivapithecus stellten Seitenzweige dar und lägen nicht auf der direkten Roten Linie zu den Menschenaffen und Menschen. (Benton 2007, 397) Ein Teil der Großen Menschenaffen entwickelten sich zunächst in Eurasien mit einer subtropischen Waldvegetation und einem warmen Klima. In Engelswies in Baden-Württemberg sowie in der Türkei wurden Fossilien von Griphopithecus gefunden. Dieser Menschenaffe lebte dort vor 16,5 Millionen Jahren. In SaudiArabien fand man Fossilien von Heliopithecus, der Afropithecus ähnelte. (Begun 2003, 58f.) Vor 17 bis zwölf Millionen Jahren lebte Kenyapithecus wickeri, ein früher Verwandter der Menschenaffen. Er gilt als Vertreter einer Stammgruppe, aus der sich die Hominiden und die Pongiden ableiten lassen. (Carroll 1993, 478) Unsere Rote Linie lief über Kenyapithecus, den letzten gemeinsamen Vorfahren von Menschenaffen und Menschen. (Richter, J. 2018, 29 u. 35) Von einem gemeinsamen Vorfahren des Menschen und der Menschenaffen spaltete sich vor 16 bis elf Millionen Jahren auch die Orang-Utans ab. (Begun 2003, 58f.) Zu dieser Zeit trennten sich die Linien der Großen von den Kleinen Menschenaffen. Vor 13 Millionen Jahren vergrößerte sich die Anzahl der
verschiedenen Menschenaffen in Europa, darunter waren Pierolapithecus und Anoiapithecus sowie mindestens vier Dryopithecus-Arten. Der erste Vertreter der Großen Menschenaffen nach dieser Abtrennung war Pierolapithecus catalaunicus. (Lesch/Zaun 2008, 157) Es ist strittig, ob er eine Schwesterart von Dryopithecus und damit ein Verwandter der afrikanischen Menschenaffen war. Als Hinweise auf die Nähe von Pierolapithecus zum gemeinsamen Vorfahren aller Großen Menschenaffen gelten dessen moderner Körperbau und andere charakteristische Merkmale wie gerade Finger- und Zehenknochen sowie äußerst robuste Lendenwirbel. Vor zehn bis sieben Millionen Jahren lebten Menschenaffen in einem Gebiet von Spanien bis Ungarn. (Benton 2007, 397)
Die Teilung der Menschenaffen in Afrika vor 14 Millionen Jahren
Die Veränderung des Klimas führte nicht nur zur Auswanderung eines Teils der Großen Menschenaffen aus Afrika nach Eurasien, auch andere Tiere erlebten einschneidende Änderungen. Die afrikanischen Urwälder schrumpften und offene Savannen sowie Steppen breiteten sich aus. Während ein Teil der Menschenaffen seine Lebensweise im Urwald beibehielt, lebten andere in baumarmen Landschaften. Vor 14 Millionen Jahren spaltete sich ein Evolutionszweig ab, der sich dem Leben in der Savanne ante. Dieser Wechsel des Biotops, so Heinrich K. Erben, bedeutete „die Option für eine ganz besondere Entwicklung hin zum humanen Primaten“. (Erben 1986, 212f.) Da man sich angesichts der Zahlen kaum vorstellen kann, um welche Zeiträume es hier geht, sei ein Vergleich gestattet. Den hier genannten 14 000 000 Jahren steht die Zeit seit Christi Geburt, also unserer Zeitrechnung vor rund 2 000 gegenüber. Ein Blick auf die Menschheitsgeschichte zeigt, dass seit damals allerlei geschehen ist: Von der Neolithischen Revolution, über die Perserreiche, die Reiche der Ägypter, das Römischen Reich, das Mittelalter, die Renaissance, die Industrielle Revolution bis zu den Weltkriegen und den ersten Spaziergängen auf dem Mond. Noch krasser ist der Unterschied zwischen „unserer Zeit“ und dem ungefähren Alter der Erde von ca. 4,600 000 000 Jahren. Um ein Gefühl für die Zeituntermaße zu bekommen, wird gern auf eine 24-Stunden-Uhr verwiesen, auf der die Zeit der Existenz der Menschheit sich auf die letzte Sekunde beschränkt. Kaum erfassbar ist dabei die Lebenszeit eines Menschen von unter 100 Umkreisungen um die Sonne. Aber kehren wir zurück in die Zeit vor 14 Millionen Jahren. An der Peripherie des Regenwaldes fand die Trennung von Menschenaffen und Hominiden statt. Unterstützt wurde die Evolution der Hominiden möglicherweise durch „Uferzonen-Habitate“, die „das ideale Entstehungsgebiet für den aufrechten Gang“ dargestellt haben könnten. Die „Ufer-Hypothese“ von Carsten Niemitz geht davon aus, dass Menschenaffen Nahrung in seichten Gewässern suchten. Da sie nicht schwimmen konnten, standen sie im Wasser auf zwei Beinen und bewegten sich so auch fort. Dadurch wurde der „an Land noch sehr wackelige aufrechte Gang stabilisiert“. (Schrenk 1997, 30)
Hubert Reves richtet den Fokus auf die Folgen der Dürre. Der aufrechte Gang, die Ernährungsweise der Allesfresser, die Entwicklung des Gehirns und die Erfindung von Werkzeugen waren demnach Folgen einer Anung an die trockene Umwelt. Sie bewirkte eine Modifikation der Atemwege und ein Absteigen des Kehlkopfes. So entstanden zwischen den Stimmbändern und der Mundhöhle Resonanzkörper. Die Vertiefung und Verkürzung des Oberkiefers führten zur größeren Beweglichkeit der Zunge. Selbst die Liebe war „eine Frucht der Dürre“. Verkürzte Schwangerschaften in einer exponierteren Umwelt zwangen Mutter und Kind, länger zusammenzubleiben. Dadurch entstand „unter Mitwirkung des sich herausbildenden Bewusstseins die Emotion“. (Reeves 1996, 144f.) In Kenia fanden Forscher den Schädel eines Menschenaffenbabys bisher unbekannter Art, dass vor 13 Millionen Jahren lebte. Das Fossil schließt eine Lücke in der „dunklen Ära“ der Hominiden-Evolution und zeigt, dass das Kind in zeitlicher Nähe zum gemeinsamen Ursprung heutiger Menschenaffen und Menschen lebte. (www.scinexx.de. Zugriff am 3.3.2020) Für Aufregung sorgte ein 11,6 Millionen alter Fund in Pforzen im Allgäu. Ein fossiles Skelett, das nach der Rock-Legende Udo Lindenberg den Namen Udo erhielt, gehörte zur neu entdeckten Menschenaffenart Danuvius guggenmosi, die bereits aufrecht ging. Der Fund konterkariert die bis dato geltende Vorgeschichte des Menschen. Nicht nur der aufrechte Gang und das Alter des Zweibeiners sorgten für Aufregung, sondern auch der Fundort. Er liegt viel zu weit nördlich, um zur heutigen Lehrmeinung über die Stammesgeschichte des Menschen zu en. Nach bisheriger Auffassung begann diese zu dem Zeitpunkt, an dem sich die letzten gemeinsamen Vorfahren von Schimpansen und Menschen (Homininen) aufspalteten. Danuvius guggenmosi war jedoch ein Primat, der lange vor diesem Termin aufrecht ging. Er t zur neuen Auffassung von einer dynamischen Vernetzung von Populationen, ist aber nicht zwingend das Missing Link zwischen Menschen und Menschenaffen. Allerdings könnte er der Vorfahr der letzten gemeinsamen Ahnen von Schimpansen und Menschen gewesen sein. Dann würde unsere Rote Linie über ihn führen. (Willmann 2019) Jeder neue Fund ist Anlass, bei der Zuordnung und Interpretationen der wenigen Fossilien vorsichtig zu sein. Wer weiß, welche Funde und Untersuchungsmethoden es in der Zukunft geben wird. Nicht umsonst werden bei einigen Fundstätten von Fossilien Teile unberührt gelassen. Sie sollen künftigen Forschern mit weiterentwickelten wissenschaftlichen Möglichkeiten zur Verfügung stehen sollen, von denen wir kaum mehr als eine Ahnung haben.
Die Rückkehr der Menschenaffen nach Afrika vor zehn bis neun Millionen Jahren und die Trennung der Gorillas von der Menschenaffenlinie
Vor 9,6 Millionen Jahren begannen mit der Vallesium-Krise einschneidende Veränderungen der Ökosysteme. Ursache des Klimawandels war eine Veränderung von Meeresströmungen infolge der Auffaltung des Himalayas und des tibetischen Hochlands. Im kühleren West- und Mitteleuropa traten laubabwerfende Bäume und in einigen südlichen Regionen Steppen an die Stelle der subtropischen Wälder. Vor acht bis sieben Millionen Jahren vereisten Grönland und einige Hochgebirgsregionen. Dadurch wurde den Ozeanen Wasser entzogen, größere Flächen fielen trocken. Die Straße von Gibraltar schloss sich und die letzten Überreste des Tethys-Meeres verschwanden. Im Norden breitete sich Tundra aus. (Ludwig 2006, 74f.) Es regnete öfter und intensiver, was zum Aussterben von Menschenaffen in Europa und zu einem Rückgang der Artenvielfalt Eurasiens führte. Die bis dahin in Europa lebenden Gattungen der Menschenartigen wie Dryopithecus, Ankarapithecus und Graecopithecus starben aus. Allein Oreopithecus überlebte auf einer Insel in der Region von Sardinien/Korsika. Die Menschenaffen, die den Klimawandel überstanden, tauchten vor etwa neun Millionen Jahren in Afrika auf. Über sie lief unsere Rote Linie zu den heutigen Menschenaffen und Menschen. (Begun 2003, 58f.) Dank ihres Lebens in Eurasien waren die damaligen Global Player anget, mit drastischen Veränderungen fertig zu werden. Vor acht Millionen Jahren hoben sich in Ostafrika die seitlichen Schultern des Grabens und bildeten fortan eine Klimabarriere. Im Westen regnete es weiterhin regelmäßig. Im Osten wechselten sich hingegen Regen- und Trockenzeiten ab. Während sich die Ahnen der Affen im Westen an das feuchtwarme Regenwaldmilieu anten, setzte sich bei einer kleinen Gruppe in der Savannenlandschaft des Ostens mehr und mehr der aufrechte Gang durch. Vor etwa zehn bis neun Millionen Jahren trennte sich der Gorilla von der Menschenaffenlinie. Einzelheiten sind schwer auszumachen, gibt es doch kaum Fossilien der Vorfahren von Schimpansen und Gorillas aus der Zeit vor 14 bis vier Millionen Jahren. (Coppens 2002, 26)
Die unklare Rote Linie der Entwicklung der Menschenaffen zum Menschen
Die Menschenartigen oder Menschenaffen im weiteren Sinn (Hominiden) sind eine Überfamilie innerhalb der Primaten. Sie umfassen die Gibbons und die Großen Menschenaffen, zu denen in der biologischen Systematik auch der Mensch gehört. Menschenaffen oder Hominiden sind eine Familie der Primaten. In dieser werden vier heute lebende Gattungen mit acht anerkannten Arten zusammengefasst. In der Forschung ist offen, welche Menschenaffen zur direkten Roten Linie des Menschen gehören. (Scholz 2001, 12f.) Bekannt ist nur, dass unsere Spezies „der einzige überlebende Ast eines üppig verzweigten Baumes“ ist, in dem sich „eine Geschichte ständiger Evolutionsexperimente“ widerspiegelte. (Tattersall 2008, XX) Die Forscher sind auf die Untersuchung von Fossilien angewiesen, bei denen niemand mit Bestimmtheit sagen kann, ob sie repräsentativ oder Randerscheinungen sind. Das meiste wissen wir nicht und können nur aus den Schädeln lesen wie Wahrsager aus der Glaskugel. Sicher gibt es verlorengegangene Informationen, die vieles in einem anderen Licht erscheinen lassen würden. Sie sind aber entweder nicht erhalten oder noch nicht gefunden worden. Viele Verzweigungen unseres „Stammbuschs“ sind ungeklärt. Damit bleibt auch der Verlauf der Roten Linie unklar. Gesichert ist ohnehin nur die Abfolge der Verzweigungen nicht aber der zeitliche Abstand zwischen ihnen. Wahrscheinlich lebten in den meisten Phasen der Menschwerdung etliche Arten von Hominiden gleichzeitig und brachten auch gemeinsamen Nachwuchs zur Welt. Welche Menschenarten und Vormenschen zur Roten Linie unserer direkten Vorfahren standen, ist jedoch meist unklar. (Wood 2015, 27-33) Ende des 20. Jahrhunderts verdoppelten sich Fossilienfunde von Hominidenarten, die dem Stammbaum des Menschen zugeordnet wurden. Sie zeigen, dass es stets mehrere Hominidenarten gab, deren Evolution „zu keiner Zeit geradlinig oder gar zielgerichtet“ verlief. (Scholz 2001, 12f.) Bei der Evolution des Menschen gab es, so Jay H. Matternes und Ian Tattersall, keine „Geschichte vom Existenzkampf einer einzigen, einsamen Hominidenlinie, die ihren geraden Weg verfolgte“, die Knochen zeigten eher, „wie die Natur herumgebastelt hat“. Unsere Rote Linie verlief „nicht gleichmäßig, immer in derselben Richtung“, sondern „eher sporadisch mal hierhin, mal dorthin“.
Verschiedene Vor- oder Frühmenschenarten mussten sich behaupten.“ Die Arten hatten mehr oder weniger Erfolg, breiteten sich mal aus, mal verschwanden sie wieder. Mit 20 angenommenen Hominidenarten, die noch nicht alle benannt sind, liegt man eher zu niedrig als zu hoch. (Matternes/Tattersall 2000, 46f.) Die Menschwerdung, so auch Jürgen Richter, war kein eindeutiger und schneller Evolutionsschritt, sondern eine parallele Entwicklung einer Vielzahl von Merkmalen, wobei „stets einige noch den Vorfahren ähnlich, andere aber bereits zukunftsweisend ausgeprägt waren“. Viele erfolglose menschliche Gesellschaften starben wieder aus. Viel öfter als angenommen bedeutete das Verschwinden von Populationen das Ende genetischer Linien. (Richter, J. 2018, 30f., 207) „Unser schöner Stammbaum“, so Douglas Palmer, ist gefällt. Stattdessen steht da nun ein Busch, bei dem nicht klar ist, ob er östlich oder westlich des afrikanischen Grabenbruchs wurzelte. Die Vorstellung, dass wir in gerader Roter Linie von einem affenähnlichen Vorfahren abstammen, der allmählich immer menschenähnlicher wurde, stimmt so nicht. Der Stammbaum gleicht einem Busch mit vielen unbekannten Verwandtschaftsbeziehungen. (Palmer 2006, 42) Hominiden- und Affenarten vermischten sich immer wieder und kombinierten dabei ein ganzes Set prähistorischer Eigen-und Errungenschaften stets aufs Neue. (Sentker/Willmann 2008, S. 157) Die „sehr bewegte Geschichte“ der Hominiden war ein dramatischer Kampf verschiedener Arten darum, sich durchzusetzen. Die Gegner waren nahe und entfernte Verwandte. Es ging um einen hohen Preis: „Die Sieger brachten Nachfolgearten hervor, alle anderen starben ohne viel Federlesens aus.“ (Tattersall 2008b, 141f.) Die Entstehung der Gattung Mensch, hat, so Josef H. Reichholf, keinen Anfang. Die Menschwerdung ist vielmehr ein „kontinuierlicher Strom des Lebens“, in dem es immer wieder kleinere und größere, mitunter in verhältnismäßig kurzer Zeit auch sehr bedeutende Veränderungen gab. Es ierte nicht „irgendwann etwas Wichtiges“, eine Art „Urknall“, vielmehr reagierten alle Lebewesen im Rahmen ihrer Möglichkeiten auf Änderungen. (Reichholf 2008a, 99) Es erschwert die Forschung, so Yves Coppens, dass „alle Artenursprünge“ übergangslos auftraten und aus den Fossilien kaum erkennbar sind. Es gab sehr kleine Populationen, deren Fossilierungswahrscheinlichkeit sehr klein war, „um nicht zu sagen: null“. Daher gebe es keinen Grund, einen Zweig für den
Ursprung der Hominiden zu halten und nicht einen x-beliebigen anderen. „Den“ Ursprung könne man so oder so nicht finden. (Coppens 2002, 26) Mit einer Roten Linie sieht es wieder einmal schlecht aus. Dabei geht es nicht nur darum, zwischen unterschiedlichen Verläufen zu wählen, vielmehr scheint es so zu sein, dass fast alle Linien und ihre Verflechtungen untereinander in dieser Phase der Evolution zum Menschen notwendig waren. Hätte es nur einen der zahlreichen Hominiden nicht gegeben, würden wir so, wie wir geworden sind, nicht existieren. Werfen wir einen Blick auf infrage kommende Ahnen und Verwandte.
Oreopithecus bambolii vor sieben Millionen Jahren
Oreopithecus zählt zur Gruppe der Menschenaffen (Hominoidea). Er war kein Vorfahr des Menschen, lebte vor acht bis sieben Millionen Jahren und ist ein Beispiel konvergenter Entwicklung, da er sich isoliert von den Menschenvorfahren in Afrika entwickelte. Sein Beispiel zeigt, dass nicht alle Menschenaffen Vorfahren des Menschen waren. Viele starben aus, und es bleibt offen, welchen Weg die Evolution eingeschlagen hätte, wären sie nicht verschwunden. Hätte Oreopithecus überlebt und Proconsul wäre ausgestorben, wie wäre dann die Evolution verlaufen? Gäbe es dann uns oder andere Menschen? Wir wissen von Oreopithecus, dass er ausgestorben ist, weil Fragmente von Fossilien gefunden wurden. Aber von wie vielen denkbaren anderen Arten haben wie keine Kenntnis, weil alle Spuren im Sand verweht sind. Von Oreopithecus ist immerhin bekannt, dass „dieser merkwürdige Menschenaffe“ vor sieben Millionen Jahren im Gebiet der Toskana lebte, also in einer bewaldeten Inselregion. Höchstwahrscheinlich war er aus Afrika eingewandert. Über drei Millionen Jahre „erfreute sich dieser Altweltaffe seiner geographischen Isolation“. (Morris 2008, 203) Vor sieben bis 6,5 Millionen Jahren fiel das Flachwasserhabitat der heutigen Toskana trocken und die gesamte endemische Säugetierfauna samt Oreopithecus verschwand. (Schauer 2017, 206) Mit den Lehren Darwins ist dies kaum zu erklären.
War Sahelanthropus tchadensis vor sieben Millionen Jahren der Stammvater der Menschen?
Die gemeinsamen Vorfahren von Menschen und Schimpansen stammten nicht aus Afrika, sondern aus Eurasien. Zwar entstanden die Menschenaffen in Afrika, aus ihnen gingen aber in Eurasien die Großen Menschenaffen hervor, von denen wir abstammen. (Begun 2003, 58f.) Demnach könnte Graecopithecus freybergi, dessen Fossilien bei Athen und in Bulgarien gefunden und auf 7,2 Millionen Jahre datiert wurden, der älteste Vertreter der Hominiden sein. Vielleicht wanderte er von Südeuropa nach Afrika ein und wurde dort unser Vorfahr. „Vielleicht ist er aber auch ausgestorben, und der Vormensch hat sich in Afrika noch einmal unabhängig vom Affen getrennt.“ (Entstand der Vormensch in Europa? 2017). Nicht nur Graecopithecus freybergi stellt die bisherige Hypothese der Entstehung unserer Vorfahren in Ostafrika in Frage. Gleiches gilt für Toumaï, einen Jungen, dessen Schädel in der Djurab-Wüste im nördlichen Tschad gefunden wurde. Sein Fossil nährt Vermutungen, die menschliche Evolution habe zwei Millionen Jahre eher begonnen als bisher angenommen. (Wong 2018, 24f.) Hinzu kommt, dass der Fundort 2 500 Kilometer westlich des afrikanischen Grabenbruchs liegt. Damit ist die Vermutung der Forscher von der „Wiege der Menschheit in Ostafrika“ hinfällig. Toumaï zwingt uns, von „geliebten Stammbäumen Abschied zu nehmen“. Sahelanthropus ist älter als alle ostafrikanischen Fossilien. Zwar wird es wohl „niemals möglich sein, genau zu wissen, wann oder wo die erste Hominidenart entstanden ist“, klar ist inzwischen aber immerhin, dass Hominiden damals auch in der Sahelzone verbreitet waren. (Sentker/Willmann 2008, 156-158) Toumaï lebte in der Zeit, in der unsere Rote Linie von den Ahnen der heutigen Menschenaffen abzweigte. (Palmer 2006, 54) Sein Fossil zeigt ein Gemisch aus Merkmalen, die noch primitiv sind, aber schon späteren Formen wie Kenyanthropus und Homo ähneln. (Auffermann/Orschiedt 2006, 26f.) Er wirkt wie „eine Chimäre, ein bizarres Puzzle aus äffischen und menschlichen Merkmalen“. (Sentker/Willmann 2008, 156) Seit dem Fund wird gestritten, ob er zu den Hominiden gehört. Eine Anzahl von Merkmalen lässt dies möglich erscheinen. Das Mosaik ursprünglicher und neuer Merkmale zeigt aber auf jeden
Fall, dass Sahelanthropus dem letzten gemeinsamen Vorfahren von Menschen und modernen Menschenaffen nahestand. Er könnte aber tatsächlich auch „der erste Angehörige der menschlichen Stammlinie sein und damit der Urahn aller späteren Hominiden“. Auch Orrorin und Ardipithecus würden dann von ihm abstammen. Falls diese These stimmt, wären die Hominiden über eine Million Jahre älter als Berechnungen anhand molekularer Vergleiche ergaben. (Wong 2003, 46) Karl-Heinz Ludwig hält den Schädel für „zweifelsfrei hominid“. Ob Toumaï der Stammvater aller Menschen war und unsere Rote Linie markiert, bleibt aber Spekulation. (Ludwig 2006, 75) Für Michael J. Beton handelte sich möglicherweise um den ältesten Menschen. (Benton 2007, 400) Auch Bärbel Auffermann und Jörg Orschiedt rücken Sahelanthropus in die „Nähe der letzten gemeinsamen Vorfahren von Menschenaffen und Menschen“ und meinen, er könne als „der bislang älteste bekannte Hominide“ bezeichnet werden. (Auffermann/Orschiedt 2006, 26f.) Ebenso meint Ian Tattersall, Sahelanthropus tchadensis sei „der älteste Vertreter, der Anspruch auf die Stellung als Hominide erheben“ kann. (Tattersall 2008, XX) G. J. Sawyer und Viktor Dreak sehen Ähnlichkeiten zum frühen Menschenaffen Oreopithecus. (Sawyer/Dreak 2008, 3-7) Auch Pascal Picq hält ihn für den ältesten Vertreter der Vormenschen. (Picq 2003) Für Alice Roberts handelt sich um den ältesten möglichen Homininenvorfahren. (Roberts 2012) Laut Michael J. Benton stellt Sahelanthropus „eventuell die bestmögliche Annäherung an den gemeinsamen Vorfahren von Menschen und Schimpansen“ dar. (Benton 2007, 402f.)
Orrorin tugenensis: Ein alternativer Weg der Evolution zum Menschen vor sechs Millionen Jahren?
Nach dem Fund des rund sechs Millionen Jahre alten Orrorin tugenensis und des sechs bis sieben Millionen Jahre alten Sahelanthropus wurden beide Arten als bereits aufrecht gehende, älteste bisher bekannte Arten der Hominiden bezeichnet, die auf der Roten Linie unsere direkten Vorfahren liegen könnten. Auch bei Orrorin tugenensis gibt es eine Mixtur von menschen- und schimpansenähnlichen Merkmalen. (Begun 2003, 58f.) Seine Bein- und ArmMorphologie lässt darauf schließen, dass er sowohl aufrecht gehen als auch gut klettern konnte. (Auffermann/Orschiedt 2006, 25) Wegen seines aufrechten Ganges wurde er von seinen Entdeckern in die Ahnenreihe der Gattung Homo gestellt und gehört damit auf unsere Rote Linie. Laut Pascal Picq könnte Orrorin tugenensis mit seinem aufrechten Gang unser Vorfahr sein, „falls der Stammbusch des Menschen östlich des Grabenbruchs keimte“. Begann sein Wachstum weiter westlich, könnten Gesicht und Gebiss von sehr frühen Vorfahren des Menschen zeugen. (Picq 2003) Auch Martin Pickford und Brigitte Senut halten Orrorin wegen seines aufrechten Ganges für einen Vorläufer des Menschen. (Wong 2003, 46) Für Alice Roberts war er der „vielleicht älteste aufrecht gehende Hominine“. (Roberts 2012) Der „Millennium Man“, so Jürgen Richter, sei bereits zur Zeit der frühesten Australopithecinen aufrecht gegangen. (Richter, J. 2018, 33f.) Ian Tattersaall hält es ebenfalls für plausibel, dass die Fossilien Überreste eines Zweibeiners sind. (Tattersall 2008, XXI) Laut G. J. Sawyer und Viktor Dreak ist eine unumstrittene Einordnung in die Abstammungslinie des Menschen wegen der bruchstückhaften Funde von Orrorin bisher nicht möglich. Würde nachgewiesen, dass Orrorin aufrecht ging, „wäre dieser Hominide einer der ältesten oder vielleicht sogar der älteste Angehörige der menschlichen Abstammungslinie, welcher sich auf diese Weise fortbewegte“. (Sawyer/Dreak 2008, 8-12) Für Martin Pickfort verläuft die Rote Linie nicht über die Australopitheciden, sondern über Orrorin hin zum Präanthropus, der vor vier bis drei Millionen Jahren lebte und „viel menschlicher“ war als die Australoptheciden. (Zit. b. Wong 2003, 46) Auch Jürgen Richter hält es für wahrscheinlich, dass aufgrund der möglichen Roten Linie Rudolfensis-Platyops-Orrorin „die komplette Gruppe
der Australopithecinen eines Tages beiseite rücken würde und aus der Ahnenreihe der Menschen ausgeschieden werden“ müsse. Nach dem aktuellen Stand der Forschung spreche aber mehr dafür, dass die Gattung Homo aus dem späten Australopithecus africanus hervorging. (Richter, J. 2018, 34) Martin Pickford meint, Orrorin stehe der Gattung Homo in einigen Merkmalen näher als Australopithecus. (Pickford 2012, 104-108) Kritische Stimmen meinen, die Tatsache, dass Orrorin Merkmale einer Verwandtschaft mit der Gattung Homo zeige, müsse erst durch weitere Funde bestätigt werden. Auch sei das Verwandtschaftsverhältnis von Orrorin zu den späteren Australopithecinen nicht abschließend geklärt. (Auffermann/Orschiedt 2006, 25) Wegen der bruchstückhaften Funde ist demnach „eine unumstrittene Einordnung von Orrorin in die Abstammungslinie des Menschen bisher nicht möglich“. (Sawyer/Dreak 2008, 8-12) Auch Bernard Wood und Terry Harrison kritisierten die Zuordnung von Orrorin sowie von Ardipithecus und Sahelanthropus zum Taxon der Hominiden als voreilig. Der aufrechte Gang sei kein ausschließliches Merkmal der Hominiden, sondern auch für Oreopithecus belegt. Es könne nicht ausgeschlossen werden, dass die Ähnlichkeit von Orrorin mit Australopithecus anamensis als Synapomorphie zu bewerten sei und auf konvergente Entwicklungen deute. (Wood/Harrison 2011, 347-352) Synapomorphie bezeichnet das gemeinsame Auftreten eines apomorphen Merkmals bei unmittelbar verwandten Taxa, welches dies von ihrem jüngsten gemeinsamen Vorfahren ererbt haben. Apomorphie beschreibt ein im Zuge der Phylogenese eines Taxons neu erworbenes und abgeleitete Merkmal.
Die Trennung der Linien von Schimpansen und Homininen vor sechs bis fünf Millionen Jahren sowie der letzte gemeinsame Vorfahr von Affen und Menschen
In den äquatorialafrikanischen Savannen und Wäldern lebten die gemeinsamen Vorfahren von Menschen und Schimpansen. Diese wurden getrennt, als mit dem Großen Graben durch Äquatorialafrika eine Trennungslinie zwischen feuchtem und weniger feuchtem Klima entstand. Es bildeten sich zwei Populationen mit unterschiedlichen Anungen heraus. In Zentralafrika entwickelten sich vor acht Millionen Jahren die an den Regenwald angeten Schimpansen. Östlich des Ostafrikanischen Grabens wurden weder Schimpansen noch ihre unmittelbaren Vorfahren gefunden. (Richter, J. 2018, 36) Westlich des Grabenbruchs bestand die Ernährung überwiegend aus Früchten und Körnern, nur gelegentlich abgelöst von Wurzeln oder Kleinwild, im Osten hingegen vorwiegend aus Knollen, Wurzeln und Pflanzenzwiebeln. Die für den Menschen wichtige Gabelung vollzog sich nicht über Nacht, vielmehr gab es über vier Millionen Jahre hinweg eine Abfolge von Kreuzungen, bis es vor 6,3 bis 5,4 Millionen Jahren zur dauerhaften Trennung der Schimpansen-Vorfahren und der Hominini kam. (Roberts 2012) Ab dem Zeitpunkt der Teilung werden alle Arten auf der menschlichen Seite der evolutionären Trennungslinie als Homininen bezeichnet. Bei ihnen handelt es sich um einen Trieb der Familie der Menschenaffen (Hominiden). Er umfasst die Arten der Gattung Homo einschließlich des heute lebenden Menschen (Homo sapiens) sowie die ausgestorbenen Vorfahren dieser Gattung, nicht jedoch die gemeinsamen Vorfahren von Schimpansen und Homo. Die einzige nicht ausgestorbene Art der Hominini ist der Mensch. Die Zugehörigkeit zu den Hominini wird als hominin bezeichnet, die Zugehörigkeit zu den Menschenaffen (Hominiden) als hominid. (Christian 2018, 185) Je mehr man sich der Gabelung der menschlichen und der SchimpansenBonobo-Linie nähert, desto unsicherer ist es, ob man ein Fossil der ersten Homininen, von einem Schimpansen- und Bonobo-Vorfahren oder vielleicht sogar das Fragment eines Repräsentanten einer längst verschwundenen Entwicklungslinie vor sich hat. (Wood 2015, 27-33) Erschwerend kommt hinzu, dass es zur Herkunft der heutigen Menschenaffen Afrikas kaum Funde gibt. So
ist es schwierig, den letzten gemeinsamen Vorfahren von Menschen und Schimpansen sowie unsere Ahnen unter den fossilen Homininen zu identifizieren. (Harmon 2016, 20) Der letzte gemeinsame Vorfahr dürfte ein den Schimpansen ähnlicher Waldbewohner gewesen sein, der auf dem Boden im Knöchelgang lief und sich hauptsächlich von Früchten und kleineren Tieren ernährte. Er benutzte primitive Werkzeuge, lebte in Horden, war nachtaktiv und bewegte sich aufrecht. Heutigen Schimpansen, Bonobo und Menschen dürfte er kaum geähnelt haben, denn seine heutigen Nachfahren entwickelten sich ebenfalls über Jahrmillionen weiter bis zu ihrer heutigen Gestalt. (Harmon 2016, 16) In ihrem Lebensraum sind Schimpansen besser anget als Menschen. Was wäre, wenn auch die Schimpansen, ähnlich wie die Menschen, Bewusstsein entwickelt hätten? Gäbe es dann verschiedene mit Bewusstsein ausgestattet Arten wie später Neandertaler, Denisova-Mensch und Homo sapiens? Hätten sich nur die Schimpansen entwickelt und nicht die Gattung Homo, würden dann heute die Nachfahren des Schimpansen „an unserer Stelle in Hän sitzen und Bücher lesen oder sogar eines schreiben, womöglich eines über das Werden und Vergehen allen Seins?“ (Lesch/Zaun 2008, 158) Wieder einmal ist die Rote Linie unserer Evolution schwer zu fassen. Es gibt mögliche Entwicklungen, aber kaum Beweise. Ob die Welt aussehen würde wie im Film „Planet der Affen“ bleibt Spekulation.
17. Die südlichen Affen (Australopithecinen) im Pliozän und Pleistozän
Erste Hominine: Ardipithecus ramidus vor 6,8 bis 5,2 Millionen Jahren
Im Unterpliozän vor 3,6 bis 5,33 Millionen Jahren lag das Temperaturniveau in Mitteleuropa trotz polarer Vereisungen über dem heutigen. Nach seiner Flutung wurde das Mittelmeer wieder zur Barriere zwischen Eurasien und Afrika. Die einzige Verbindung war der Sinai-Korridor. Vor 4,7 Millionen Jahren schloss sich die Landenge von Panama. Dadurch wurde der Golfstrom stärker, der relativ warmes Wasser nordwärts transportierte und dort auf das kalte nördliche Klima traf. Die Folgen waren eine nördliche Polareiskappe und ein Temperaturrückgang in anderen Teilen der Erde. (Macdougall 1997, 234f.) Vor sechs Millionen Jahren setzte bei den Homininen eine Artenexplosion ein. „Unsere Verwandtschaft erlebte damals eine Hochkonjunktur“. (Richter, J. 2018, 29 u. 34) In Äthiopien lebte vor 5,8 bis 5,2 Millionen Jahren Ardipithecus ramidus. Diese Homininen liefen aufrecht und lebten in feuchten und waldreichen Regionen. (Auggermann/Orschiedt 2006, 26) Man ordnete sie zunächst den Australopithecinen zu, aufgrund neuer Erkenntnisse wurden sie jedoch zum Prototyp einer neuen Gattung namens Ardipithecus erklärt. (Scholz 2001, 12) Sie gelten als älteste Hominine (Matternes/Tattersall 2000, 46f.) und gehören somit auf unsere Roten Linie. Umstritten ist die Einordnung des Skeletts der Ardipithecus-Frau Ardi. Viele Forscher sehen in ihr eine direkte Vorfahrin des Menschen. Andere meinen, Ardipithecus ramidus könnte einer Schwestergruppe angehört haben. Dies würde bedeuten, dass Ardipithecus einen Seitenzweig unseres Stammbaums repräsentiert und nicht zu unseren Vorfahren gehört. Damit käme nicht Ardipithecus, sondern Australopithecus die Rolle als mögliche Stammform aller späteren Homininen zu. Gleichzeitig wäre er der älteste Hominine auf unserer Roten Linie. (Reichert 1999, 536-539) David R. Begun nimmt an, bei Ardipithecus könnte es sich um den ersten eindeutigen Vormenschen gehandelt haben. Es lasse sich jedoch nicht mit Bestimmtheit sagen, ob es sich um einen sehr frühen Vormenschen, um einen Vorfahren der modernen afrikanischen Menschenaffen oder einen Vertreter ausgestorbener Menschenaffenlinien handelte. (Begun 2003, 58f.) Von einigen Forschern wird Ardipithecus mit Australopithecus in Verbindung gebracht, was
bedeuten würde, dass er unser Vorfahr ist. Er könnte auch eine Abstammungslinie asiatischer Menschenaffen repräsentieren, die nach Afrika gelangten und dort später ausstarben. (Sawyer/Dreak 2008, 18f.) Laut sco Cavalli-Sforza wird heute weithin die Überzeugung vertreten, dass „das wahre Bindeglied Australopithecus afarensis ist und dass von ihm die Gattung Menschen sowie zwei andere Linien abstammen, die sich von den Australopithecinen unterscheiden“. Von diesen hätten einige vor maximal einer Millionen Jahren ebenfalls in Afrika gelebt, die später ausstarben. (CavalliSforza 1994, 74f.) Auch Jan Dönges meint, Ardipithecus ramidus könnte in direkter Vorfahrenlinie zum Australopithecus afarensis stehen. Es fehlten jedoch Funde, ohne die man nicht wisse, ob Ardipithecus ramidus nicht doch einen Seitenast der Evolution präsentiere. (Dönges 2009) Das Skelett von Ardi, so andere Forscher, stelle ein Mosaik aus Merkmalen von Menschenaffen und Menschen dar und lasse sich als Ausgangsform von Australopithecinen mit der Gattung Homo deuten. (Storch/Welsch/Wink 2013, 473) Sollte es sich hingegen um eine eigene, von Australopithecus getrennte Gattung handeln, hieße dies für Douglas Palmer, dass der Stammbaum des Menschen mehrere Stämme hat. (Palmer 2006, 56) Das würde bedeuten, dass unsere Rote Linie sich in verschiedene Linien aufteilte, die sich erst später wieder vereinten.
Australopithecinen vor fünf Millionen Jahren
Die Australopithecinen bildeten sich seit über fünf Millionen Jahren heraus. (Schrenk 1997, 44f.) Sie waren „keine Affen mehr, aber auch noch keine richtigen Menschen“. (Cavalli-Sforza 1994, 74) Vieles spricht dafür, dass Ardipithecus ramidus ihr Vorfahr war. Jedenfalls bedeutete ihre Entstehung „eine evolutionäre Veränderung von bedeutender Tragweite“. (Stanley 2001, 619) Sie gelten als unsere Vorfahren und gehören auf unsere Rote Linie, auch wenn dies „heute nicht mehr so sicher ist wie vor zehn Jahren“. (Richter, J. 2018, 31) Hubert Reeves betont, dass „unser wirklicher Urahn unter den Australopithecinen unbekannt“ ist. (Reeves 1996, 135f.) Man weiß heute aber, dass sich sog. grazile Australopithecinen vor fünf Millionen Jahren bereits auf zwei Beinen bewegten, aber auch noch gut klettern konnten. (Bromage/Schrenk 2000, 46f.) Ihre Entwicklung vollzog sich in Afrika. In Europa lebten noch vor drei Millionen Jahren ausschließlich niedere Primaten wie die pavian-, makaken- und langurenähnlichen Affen von Wölfersheim im hessischen Wetteraukreis. Sichere Hinweise für die Existenz von Australopithecinen im Pliozän und im frühen Eiszeitalter fehlen in Europa komplett. (Probst 1986, S. 335) Da in Afrika verschiedene Homininen-Arten gleichzeitig und nebeneinander lebten, ist es schwer, Fossilfunde zuzuordnen und zu entscheiden, ob es sich um Menschenvorfahren oder nur um Verwandte handelt. Allein in Ostafrika gab es vor vier bis einer Million Jahren Abschnitte, in denen gleichzeitig zwei oder manchmal noch mehr verschiedene Homininen nebeneinander lebten. Nimmt man Arten aus Südafrika hinzu, wird das noch deutlicher. Hier kann nicht mit Bestimmtheit gesagt werden, wer unsere Rote Linie repräsentiert. (Wood 2015, 27-33)
Australopithecus anamensis vor 4,2 bis 3,8 Millionen Jahren
Die Tatsache, dass Fossilien von Australopithecinen ausschließlich in Afrika gefunden wurden, deutet darauf hin, dass dort unsere Wiege stand. (Schrenk 1997, 43-45) Wo genau aber verlief unsere Rote Linie? Die ältesten Funde von Australopithecus anamensis sind über vier Millionen Jahre alt und stammen aus dem Turkana-Becken in Kenia. Hubert Reeves sieht in ihnen die ältesten Homininen. Sie hatten das ende Alter von vier Millionen Jahren und besaßen Gliedmaßen mit einer „durchaus modernen Morphologie“. Das mache sie zu einem „uns sehr ähnlichen Zweibeiner“. (Reeves 1996, 135f.) Ihre Bedeutung bestand in ihrer „einmaligen Mischung aus affen- und menschenähnlichen Merkmalen“. (Auffermann/Orschiedt 2006) Sie unterschieden sich sowohl deutlich vom älteren Ardipithecus ramidus als auch vom späteren Australopithecus afarensis. Einige Paläoanthropologen meinen, Australopithecus anamensis habe wegen seiner Orang-Utan-ähnlichen Schnauze vor der Aufspaltung der Abstammungslinien von Menschen und Menschenaffen gelebt. (Sawyer/Dreak 2008, 22-28) Andere Funde lassen vermuten, dass Australopithecus anamensis ein ausgeprägtes Sozialverhalten hatte. In dieser frühen Phase der Entwicklung der Homininen, „in der eine Verteidigung mit Hilfe der Zähne nicht mehr und mit Hilfe von Werkzeugen noch nicht möglich war, lag ein weiterer Selektionsvorteil in der starken Verfeinerung und Weiterentwicklung des primatentypischen Sozialverhaltens“. (Schrenk 1997, 44f.) Die Schädel wirken menschenaffenähnlich, die Extremitäten sind hingegen schwer vom modernen Menschen zu unterscheiden. Im Gegensatz zum späteren Australopithecus afarensis war ihr aufrechter Gang schon voll entwickelt. Für diese paradoxe Situation gibt es nur zwei Erklärungsmöglichkeiten: Entweder gehören die in Kenia gefundenen Oberschenkelknochen nicht zu Australopithecus anamensis, oder Australopithecus anamensis ist kein direkter Vorfahr von Australopithecus afarensis. Im zweiten Fall würde sich „die höchst spannende Aussicht“ eröffnen, „dass die ersten Angehörigen der Gattung Homo vielleicht sogar direkt auf Australopithecus anamensis zurückzuführen sind“. (Schrenk 1997, 44f.) Er würde dann unsere Rote Linie repräsentieren. Australopithecus anamensis gilt heute als „die früheste unzweifelhafte Hominini-Art“. Eine der bedeutendsten Australopithecus-Fundstätten in Südafrika gilt deswegen als „Wiege der
Menschheit“. (Probst 1986, S. 333)
Kenyanthropus platyops vor 3,5 Millionen Jahren
Umstritten ist auch die Einordnung von Kenyanthropus platyops in unsere Ahnenreihe. Donald Johanson und Edgar Blake meinen, er habe bessere Chancen als Australopithecus. Zu Kenyanthropus platyops zählt man mehrere 3,5 Millionen Jahre alte Fossilien. (Johanson/Blake 2008, 163) Sie zeichnen sich durch eine einzigartige Kombination morphologischer Merkmale aus und zeigen erkennbare Unterschiede zu Australopithecus afarensis. Ob beide Gattungen sich begegneten, ist unbekannt, eine enge Verwandtschaft ist jedoch auszuschließen. (Auffermann/Orschiedt 2006, 28) Auch Kenyanthropus platyops könnte unser direkter Vorfahre sein und Austratopithecus afarensis auf einen Nebenast des menschlichen Stammbaums verbannen. (Scholz 2001, 12f.) Da Kenyanthropus platyops zugleich gemeinsame Merkmale mit dem zwei Millionen Jahre alten Paranthropus und mit dem späteren Homo rudolfensis hat, ist „eine Einordnung in die Gattungen Homo oder Paranthropus in Betracht zu ziehen“. Einige Merkmale legen die Vermutung nahe, dass er zur Abstammungslinie der Menschen gehört und nach der Abspaltung der Menschenaffenlinie entstand. (Sawyer/Dreak 2008, 30-34) Damit liefe unsere Rote Linie über ihn. Laut Ian Tattersall könnte es sich um einen Vorfahren des Homo rudolfensis handeln, der 1,5 Millionen Jahre später in der Region lebte. (Tattersall 2008, XXII)
Lucy und Australopithecus afarensis vor vier bis drei Millionen Jahren
Vom Australopithecus afarensis gibt es Funde aus der Zeit zwischen 3,9 und drei Millionen Jahren in Äthiopien und Tansania. Keiner ist jedoch älter als vier Millionen Jahre. Damit klafft in der Reihe unserer Vorfahren eine Lücke. (Palmer 2006, 56) Die Rote Linie scheint unterbrochen. 3,6 Millionen Jahre alte Fußspuren in einem ausgetrockneten Flussbett in Laetoli in Tansania verweisen eindeutig auf frühe Verwandte des Menschen, die in der Lage waren, aufrecht zu gehen. (Leakey/Walker 1997, 50f.) Sie stammen von einem etwa ein Meter großen, affenähnlichen Lebewesen mit kleinem Gehirn, das zu „Lucys Leuten“ gehörte. (Palmer/Barrett 2009, 216) Die Funde zeigen, dass Primaten schon vor 3,6 Millionen Jahren aufrecht gingen. (Wong 2003, 46) Auch das Sozialverhalten hatte sich bereits verändert. Jagende und sammelnde Mitglieder sorgten nicht nur für sich selbst, sondern auch für schwächere Angehörige. Die Mütter konnten sich so besser um ihre Kinder kümmern. Sozialer Zusammenhalt garantierte höhere Überlebenschancen. (Probst 1986, S. 333) Zu den gut erhaltenen Fossilien von Australopithecus afarensis gehört das Skelett des bereits erwähnten jungen Mädchens, das nach dem Beatles-Song „Lucy in the Sky with Diamonds“ Lucy genannt wurde. Die Äthiopier tauften sie Birkinesh (wertvolle Person). Lucy, ein heranwachsendes Mädchen, hatte, verglichen mit späteren Homininen, relativ kurze Beine, was ein Erbe ihrer Affen-Vorfahren war. Doch anders als bei ihren Cousins, den Schimpansen, waren ihre Eckzähne bereits verkürzt. Sie war ohne Frage auf dem Weg zum Menschen. (Fortey 2002, 385) Lucy fand weltweite Aufmerksamkeit und gilt heute als „berühmteste Persönlichkeit des Pliozäns“. (Ludwig 2006, 86f.) Manche sehen in ihr sogar die „Mutter der Menschheit“. (Johanson/Blake 2008, 167) Neben ihr wurden im Afar-Dreieck, einer Tiefebene in Ostafrika, Überreste von mindestens drei Dutzend Individuen geborgen, die allesamt Australopithecus afarensis zugeordnet wurden. (Probst 1986, 333) Lucy besaß zahlreiche Merkmale von Schimpansen, weswegen vermutet wird, sie habe dem fiktiven Gabelpunkt der beiden sich trennenden Linien zum Schimpansen und zum Homo nahegestanden. Sie repräsentiert als bislang ursprünglichste HomininenArt ein Bindeglied zwischen afrikanischen Menschenaffen und
Australopithecinen. Ihre Merkmale zeichnen sie als Übergangsform aus. (Leakey/Walker 1997, 50f.) Neben dem aufrechten Gang weisen Merkmale im Handgelenk darauf hin, dass sie sich aus Vorfahren entwickelt hatte, die noch den Knöchelgang benutzten. Andere Merkmale deuten auf die Gattung Homo hin. (Benton 2007, 404f.) Beim Schädel schaffte es Australopithecus afarensis gerade einmal auf rund 430 Kubikzentimeter, das ist in etwa soviel wie beim heutigen Schimpansen. Millionen Jahre aufrechter Gang hatten offensichtlich nicht zu einem größeren Gehirn geführt. Sie waren aber entwickelt genug, um im Tal von Omo in Äthiopien Steine mit Werkzeug zu bearbeiten, mit denen sie Wurzeln oder Knollen schälten. (Reeves 1996, 136) Auf der Erde ging Lucy aufrecht, so dass sie auch als „Teilzeit-Zweibeiner“ bezeichnet wird. Ihre Artgenossen waren aber auch geschickte Kletterer, die in den Bäumen nach Nahrung und Unterschlupf suchten. Einige Paläoanthropologen bezeichnen die Art als ,,aufrecht gehende Menschenaffen“. (Tattersall 2008, XXI) Wie immer gehen auch bei der Einordnung des Australopithecus afarensis die Meinungen auseinander. Einige Forscher meinen, Lucys Art sei nur einen Nebenzweig der Familie der Hominiden gewesen, aber kein „Missing link“ zwischen ihren und unseren Vorfahren. (Ludwig 2006, 88) Hubert Reeves vertritt die Auffassung, sie sei nicht unsere Ur-Urgroßmutter, sondern repräsentiere einen Seitenzweig. Ihre körperlichen Merkmale wären altertümlich. Australopithecus anamensis und africanus, die zur selben Zeit in Südafrika lebten, hätten menschenähnlichere Knie als Lucy. Sie gehöre zwar nicht zu unserer Abstammungslinie, sei aber eng mit mit uns verwandt. (Reeves 1996, 134f.) Auch wenn sie nicht die Mutter der gesamten Menschheit ist, so bleibt sie doch für Yves Coppens „die Gründerin der produktiven südlichen Abstammungslinie und ebenso die Urmutter des robusten östlichen Zweigs“. (Coppens 2002, 30) Es macht die Einordnung von Prä-Homininen nicht einfacher, dass sie sich gleichzeitig nebeneinander entwickelten. Dass zwei Arten vergleichbare Merkmale haben, bedeutet nicht, dass sie ein und derselben Abstammung sind. (Reeves 1996, 134f.) Laut Kate Wong existierte die Art, von der die Gattung Homo abstammt, vor 3,6 bis 2,9 Millionen Jahren, also in der Zeit von Australopithecus afarensis. (Wong 2003, 46) Yves Coppens verweist auf die komplizierten Verwandtschaftsverhältnisse. Demnach war Australopithecus afarensis der Vorfahre des Zinjanthropus und der Australopithecus anamensis der Vorfahre des Homo. Im Süden Afrikas war
vielleicht derselbe Australopithecus afarensis, der sich gerade zum Autralopithecus africanus entwickelte, der Vorläufer des Paranthropus. Der Zinjanthropus könnte demnach von einer weniger entwickelten Form des Paranthropus abstammen, und der Australopithecus africanus wäre dabei tatsächlich die so hochentwickelte Form, die man bereits mehr als einmal zum Ahnen der Gattung Homo ausrufen wollte. (Coppens 2002, 36) Katherine Harmon meint, Australopithecus afarensis könnte zur Roten Linie der Homininen gehört haben. Dann würden diese Vormenschen zu unseren ältesten bisher bekannten Vorfahren zählen. (Harmon 2016, 16) Wenn dem so wäre, gäbe es eine Abstammungslinie hin zu uns, auch wenn Australopithecus afarensis vor 2,9 bis 2,4 Millionen Jahren ausstarb. (Menocal 2018, 7f.) Es bleibt den Experten vorbehalten, das Knäuel der Entwicklungslinien hin zur Gattung Homo zu entwirren. Ob sich dadurch unsere Rote Linie in diesem Abschnitt der Evolution besser erkennen lässt, scheint fraglich.
Von Austrolopithecus afarensis zu Australopithecus africanus vor drei bis 2,5 Millionen Jahren
Es wird vermutet, dass sich Austrolopithecus afarensis zu Australopithecus africanus weiterentwickelte, der vor drei Millionen Jahren in Afrika lebte. (Probst 1991, 32) In Südafrika gab es mehrere Funde von ihm. Bekannt wurde hier der erste Fund eines Homininen in Afrika, dem Kind von Taung, welches 1924 zur Erstbeschreibung der Gattung Australopithecus führte. Das Kind lebte an der Untergrenze der Zeitspanne von Australopithecus africanus. (Reichert 1999, 550f.) Teilpopulationen von Australopithecus anamensis und Australopithecus afarensis gab es auch im übrigen Afrika. (Bromage/Schrenk 2000, 46f.) Australopithecus africanus verschwand vor etwa 2,5 Millionen Jahren. Da es uns Menschen gibt, bedeutete das Aussterben der einzigen damals lebenden Homininenart jedoch nicht das Ende der Homininen. (Eldredge 1994, 234f.) Die meisten Theorien der Menschwerdung rücken die grazile Art Australopithecus africanus in die Nähe unserer Abstammungslinie. Demnach entwickelte sie sich zum Homo habilis weiter, als sie vor 2,5 Millionen Jahren im Zuge klimatischer Abkühlungstendenzen zum Äquator zog. (Bromage/Schrenk 2000, 46f.) Im Gegensatz zu den robusten Australopithecinen (Paranthropus) fehlte Australopithecus africanus der knöcherne Scheitelkamm. Auch durch die kleineren Backenzähne nahm die Ähnlichkeit mit der Gattung Homo zu. (Fortey 2002, 387) Für manche Forscher ist Australopithecus africanus ein Kandidat für die Vorfahren der Gattung Homo, andere meinen, er habe sich nur zu den robusten Australopithecinen weiterentwickelt. (Storch/Welsch/Wink 2013, 477) Von der Antwort darauf hängt seine Zuordnung zu unserer Roten Linie ab. Sie kann bislang nicht klar bestimmt werden.
Australopithecus garhi und Australopithecus sediba vor 2,5 bis zum Ende der Australopithecinen vor einer Million Jahren
Vor 2,5 Millionen Jahren lebte in Äthiopien Australopithecus garhi. Bei der Ausgrabung eines Fossils fand man Steinwerkzeuge. (Schrenk 1997, 50) Die Art nahm eine Zwischenstellung zwischen Australopithecus afarensis und mehreren jüngeren Arten ein, die „zwei Fraktionen“ angehörten. Einerseits waren dies weitere robuste Australopithecinen der Gattung Paranthropus, andererseits Angehörige der Gattung Homo. (Matternes/Tattersall 2000, 46f.) Friedemann Schrenk meint, Australopithecus garhi könnte „dem Ursprung der Gattung Homo nahestehen“. (Schrenk 1997, 50) Ebenso hält Alice Roberts Australopithecus für einen möglichen Vorfahren des frühen Homo. (Roberts 2012) Ein später Vertreter der Australopithecinen ist Australopithecus sediba, der vor zwei Millionen Jahren in Südafrika lebte. (Dönges 2010) Die Skelettanatomie seiner menschenähnlichen Hand lässt vermuten, dass er in der Lage war, Steinund andere Werkzeuge zu fertigen und zugleich gut zu klettern. (Storch/Welsch/Wink 2013, 477) Vermutlich stammte er von Australopithecus africanus ab. In diesem Fall wäre Homo habilis „in einen Seitenzweig verwiesen“. Sogar Australopithecus afarensis könnte „die ihm bisher zugewiesene zentrale Stellung als Ahn aller späteren Vormenschen“ sowie des Menschen verlieren. (Wong 2013, 7f.) Auch hier fällt es schwer, die Rote Linie zu bestimmen.
Robuste Australopithecinen (Paranthropus) vor 2,5 Millionen Jahren: Sackgasse der Evolution
Aus Australopithecus afarensis gingen in Ostafrika vor ca. 2,5 Millionen Jahren die Linien Paranthropus robustus, boisei und aethiopicus hervor. Sie werden zur Gruppe der Australopithecinen gerechnet und stellen vermutlich eine evolutionäre Seitenlinie zur Gattung Homo dar. Die Linie Paranthropus robustus hatte „nichts direkt mit unserer eigenen Evolution zu tun“ und trägt zu Recht einen eigenen Gattungsnamen. (Eldredge 1994, 234f.) Die robusten Australopithecinen besaßen eine gewaltige Kaumuskulatur und mächtige Backenzähne. Paranthropus boisei breitete sich vor zwei Millionen Jahren im südlichen Afrika aus und entwickelte sich zu Paranthropus robustus. (Schrenk 1997, 76) Dieser war ein Ernährungsgeneralist, der vor allem Gras aß. „Afrika bot im Pleistozän keinen Platz für wählerische Esser.“ (Ungar 2012, 38-41)
18. Entstehung und Entwicklung der Gattung Homo vor 3,2 Millionen bis 50 000 Jahren
Austrocknung Afrikas, Eiszeiten und Plattentektonik vor 3,1 bis zwei Millionen Jahren
Vor 3,1 Millionen Jahren kühlte die Erde wieder einmal ab. Kilometerdicke Eisschilde bedeckten Grönland, Skandinavien, Nordasien und Nordamerika. Weltweite Umwälzungen verketteten sich zu einem auf Afrika und Europa konzentrierten Geschehen. (Reichholf 1990, 11) In Afrika wurde es kühler und trockener. Plattentektonische Bewegungen führten vor 2,5 Millionen Jahren zur Anhebung des Gebirgszuges am Rande des westlichen Grabensystems, zur Herausbildung des westlichen Rifts und eines zweiten Regenschattens. Das Becken des Viktoria-Sees rückte in die Monsun-Zone. Die Grenzen der subtropischen Gras- und Waldgebiete verschoben sich in Richtung Äquator. Wälder wichen Graslandschaften, Früchte und Blattgrün wurden rar, Savannen zum beherrschenden Landschaftstyp. Vor zwei Millionen Jahren stieg die Temperatur wieder an. Die klimatischen Schwankungen führten zwar zum „Erlöschen von Lebewesen“, (Eldredge 1994, 245f.) alles in allem aber erwiesen sie sich im Nachhinein als Schrittmacher der Entwicklung zum Menschen.
Australopithecus sediba und africanus vor zwei Millionen Jahren
Vor zwei Millionen Jahren lebten in der Malapa-Höhle in Südafrika Angehörige von Australopithecus sediba, die laut Bernard Wood zu unseren Vorfahren zählen. (Wood 2018, 24-32). Auch Jan Dönges meint, dass Kauapparat und Zweifüßigkeit sie als mögliche Vorfahren ausweisen. (Dönges 2010) Kate Wong leitet aus der Mischung altertümlicher und fortschrittlicher Merkmale ab, dass sie unsere Vorfahren waren. (Wong 2013, 7f.; 2018, 24f.) Auch für andere Experten stehen sie unter den „Anwärtern auf den Platz des unmittelbaren Homo-Vorfahren“ ganz vorn und gelten als „weithin anerkannte erste Art der Gattung Homo“. (Storch/Welsch/Wink 2013, 479-480) Steven M. Stanley meint hingegen Homo habilis sei aus Australopithecus africanus hervorgegangen. (Stanley 2001, 624) Über wen von beiden unsere Rote Linie lief, ist somit nicht abschließend geklärt.
Homo habilis und Homo rudolfensis vor 2,4 bis 1,8 Millionen Jahren
Älteste Funde von Fossilien der Gattung Homo sind 2,4 Millionen Jahre alt, also älter als manche Australopiteciden. Ein Oberkiefer von Homo habilis in Hadar im äthiopischen Afar-Dreieck wurde auf 2,33 Millionen Jahre datiert. (Johanson/Blake 2008, 176) In der Oldowai-Schlucht in Kenia fand man das 1,8 Millionen Jahre alte Skelett eines Kindes, das Jonnys Child genannt wurde. (Ludwig 2006, 87) Einer der berühmtesten Funde von Homo habilis ist ein im Koobi-Fora-Gebiet am Turkana-See entdeckter Schädel mit einem Alter von 1,75 Millionen Jahren. Sein Gehirnvolumen betrug etwa 775 Kubikzentimeter. Mit einer Spanne zwischen 500 bis 800 Kubikzentimetern lag das Hirnvolumen von Homo habilis zwischen dem von Australopithecus africanus und Homo erectus. (Fortey 2002, 388) Für eine Überraschung sorgte der Fund gleichaltriger Fossilien im Malawi-Rift in Südafrika. Sie machten deutlich, dass Homo rudolfensis bereits vor Homo habilis lebte. (Schrenk 1997, 42, 66-71) Bei Homo rudolfensis und Homo habilis vermischten sich Merkmale des Menschen und der Australopithecinen. Die VorMenschen verfügten im Wesentlichen bereits über unsere Proportionen des Körpers. (Tattersall 2018, 64f.) Homo war etwas größer als Australopithecus, besaß ein flacheres Gesicht, längere untere und kürzere obere Gliedmaße, besser zum Greifen geeignete Hände und ein dem aufrechten Gang angetes Skelett. Sein Gehirn hatte ein größeres Volumen und verfügte über verzweigte Lappen mit komplizierteren Windungen. Damit war die Grundlage für Bewusstsein gelegt, für „die Fähigkeit, um sein Wissen zu wissen“ und bald auch zum symbolischen Denken. (Coppens 2002, 39; 2011a) Das würde bedeuten, dass schon mit Homo rudolfensis und habilis die Beobachtung des Universums begann. Homo rudolfensis besaß ein ursprüngliches Gebiss, ähnelte aber im Fortbewegungsapparat bereits der Gattung Homo. Homo habilis verfügte hingegen über ein fortschrittlicheres Gebiss, war aber im Skelettbau Menschenaffen ähnlicher als Menschen. (Schrenk 1997, 66-71) Heute vertreten zahlreiche Forscher die Meinung, dass bis vor 1,9 Millionen Jahren alle Phasen der Evolution von Australopitheciden und Homo zwischen Äthiopien und Südafrika stattfanden. Von hier breiteten sie sich aus. Das würde bedeuten, dass
die Gattung Homo nicht nur in Ost-, sondern auch in Südafrika erstmalig auftrat. (Benton 2007, 406) Einige Experten verweisen darauf, dass die Kenntnisse über die frühesten Vertreter der Gattung Homo auf einem „merkwürdigen Sammelsurium“ süd- und ostafrikanischer Fossilien basieren, die 2,4 bis 1,8 Millionen Jahre alt sind. Es habe deutlich mehr bis heute unbekannte Arten des Homo gegeben, weswegen die Festlegung auf Homo habilis und rudolfensis als erste Vertreter der Gattung umstritten ist. (Storch/Welsch/Wink 2013, 479) Um das Verhältnis beider zwischen Australopithecinen und den späteren Homo erectus bestimmen zu können, reichen die gefundenen Fossilien nicht aus. (Schrenk 1997, 66-71) Wegen der unsicheren Zuordnung gibt es auch Vorschläge, Homo habilis und Homo rudolfensis den Australopitheciden zuzuordnen. (Benton 2007, 405) Ernst Probst bezeichnet Homo habilis bereits als Australopithecus habilis. (Probst 1986, 335) Die Meinungsunterschiede rühren daher, dass Homo habilis „zwischen unzweifelhaften Cousins unserer Spezies und den mehr affenartigen Australopithecinen“ lebte. (Fortey 2002, 388) Die meisten Forscher aber sehen in Homo habilis unseren Vorfahren. Mit ihm hatte, so Karl-Heinz Ludwig, die Evolution eine Stufe erreicht, die dem Menschen eine „Sonderstellung unter den Lebewesen“ verschaffte. (Ludwig 2006, 96f.) Er zählt daher wohl mit einiger Sicherheit zur Roten Linie unserer Evolution. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass Homo habilis vor etwa 1,3 Millionen Jahren aus den Fossilberichten verschwand. (Coppens 2011a.) Schon vorab hatte er den Staffelstab der Evolution an seine Nachfolger abgegeben.
Waffen und Werkzeuge des frühen Homo vor zwei bis 1,4 Millionen Jahren
Wie muss man sich das Leben unserer Ahnen vorstellen? Bekannt ist, dass sie auf den Klimawandel reagierten, indem sie mehr Fleisch verzehrten. Vor zwei Millionen Jahren begannen sie zu jagen. Anatomische Anungen an das Leben als Jäger gingen Hand in Hand mit der Herstellung von Waffen, mit denen sie die Beute aus sicherer Entfernung töten konnten. Ein Unterscheidungsmerkmal gegenüber anderen Primaten ist bis heute die Fähigkeit, mit großer Kraft weit und gezielt werfen zu können. (Wong 2018, 37f.) Der Speerwurf unserer Ahnen schaffte es später sogar zur olympischen Disziplin. Mit effektiven Waffen konnten die Jäger ganz nach Bedarf Beute machen. (Reichholf 2008a, 136) Auch bei der Zerkleinerung der harten Pflanzennahrung war der frühe Homo bald im Vorteil gegenüber anderen Homininen. Steinwerkzeuge aus Äthiopien und Tansania belegen, dass es vor rund 2,5 Millionen Jahren, seit dem Entstehen von Homo rudolfensis, bereits eine erste einfache Werkzeugkultur gab, die Oldowan-Kultur. Unsere Vorfahren entwickelten vor 1,8 Millionen Jahren den Faustkeil. Er blieb über 1,6 Millionen Jahre das meistgenutzte Steinwerkzeug (Pringle 2013, 48) und war in etwa so verbreitet wie heute Smartphones. Die ältesten doppelseitig behauenen Steine stammen aus Ostafrika und sind über 1,5 Millionen Jahre alt. (Coppens 2011b) Scharfkantige Abschläge als Schneidewerkzeuge revolutionierten die Fleischbearbeitung und die Zerlegung der Beute. Vor 1,4 Millionen Jahren folgte in Afrika die Acheuléen-Industrie mit größeren, sorgfältigen bearbeiteten und deutlich symmetrischeren Geräten. (Tattersall 1997, 64f.) Erstmals wurde im frühesten Abschnitt der Altsteinzeit (Altpaläolithikum) Feuer genutzt, was die Besiedlung kälterer Regionen erlaubte und die Nahrung bekömmlicher machte. Die ältesten gesicherten Feuerstellen in der Wonderwerk-Höhle von Südafrika werden auf die Zeit vor 1,7 Millionen Jahren datiert. Viele Wissenschaftler vermuten, dass die Gattung Homo monophyletisch entstand, also in einer geschlossene Abstammungsgemeinschaft, die den letzten gemeinsamen Vorfahren und seine Nachfahren umfasste. (Storch/Welsch/Wink 2013, 479f.) So oder so ist Yves Coppens zuzustimmen: Die Gattung Homo als „Blüte dieser Lebenswelt“ verwandelte die Erde in eine
„denkende Welt“. (Coppens 2002, 39) Raimund Popper lässt grüßen.
Australopithecus, Paranthropus und Homo habilis bis vor einer Million Jahren
Homo habilis lebte in Afrika nicht allein, vielmehr existierten noch andere VorMenschen wie die „Nussknackermenschen“ (Paranthropus boisei). Dieser ging aus grazilen Australopitheciden hervor, die ebenfalls weiterlebten und neben Paranthropus und Homo die gleichen Gebiete in Südost-Afrika bevölkerten. (Eldredge 1994, 249) Wie bei der Trennung der Linien zum Schimpansen und Menschen lebten mehr oder weniger veränderte Vertreter ihrer Art nebeneinander und paarten sich. Von einer klaren Trennung über Nacht kann keine Rede sein. Fossilienfunde zeigen, dass verschiedene Arten von Paranthropus, Australopithecus und vier oder fünf andere, verschiedene Menschenarten gleichzeitig lebten, interagierten und sich fortpflanzten. (Benton 2007, 405) Dadurch begegneten sich die Reiche der absterbenden Prähominiden und des im Entstehen begriffenen Menschen. Frühe Menschen jagten Paranthropus oder Australopithecus, „um sie zu verzehren“. Ein Kind von ihnen „schmeckt nicht schlecht, und das Fleisch ist zarter als das eines ausgewachsenen Tieres“. Die ersten Menschen aßen alles, was sie an „Wild“ zu fassen bekamen. (Reeves 1996, 138-141) Die robusten Australopithecinen starben vor einer Million Jahren aus, als Homo erectus und Homo rudolfensis bereits große Teile der Erde bevölkerten. (Bromage/Schrenk 2000, 46f.) Die Australopithecinen hatten der Dynamik der Gattung Homo nichts entgegenzusetzen. Sie blieben „zu sehr ihrer Umwelt verhaftet“. Dadurch wurden „ihre Arten unfruchtbarer“ und sie starben schließlich aus. Homo war größer, ernährte sich von Pflanzen und Tieren, war „sehr opportunistisch“ und „immer besser mit Werkzeugen ausgestattet“. (Reeves 1996, 140)
Die Gattung Homo und ihre Ausbreitung in Eurasien vor zwei Millionen Jahren
Von Homo habilis über Homo ergaster zu Homo erectus vor zwei bis 1,5 Millionen Jahren
Homo rudolfensis entwickelte sich vor zwei Millionen Jahren zu Homo ergaster. Dieser gilt als Vorläufer „letztlich aller weiteren Arten der Gattung Homo“. Hier ist die Rote Linie gut bestimmbar. (Storch/Welsch/Wink 2013, 483) Mit ihm wurde die Schwelle zu dem Lebewesen überschritten, das „zweifelsfrei als vollentwickelter Mensch anzusehen“ ist. (Richter, J. 2018, 34) Homo ergaster benutzte nicht nur Steinwerkzeuge der Oldowan- und späteren AcheuléenIndustrie, sondern beherrschte auch den Umgang mit Feuer. Einige Experten zählen ihn deswegen bereits zum Homo erectus. (Storch/Welsch/Wink 2013, 481-423) Andere sehen in ihm eine eigene oder afrikanische Art von Homo erectus. (Fortey 2002, 388) Begründet wird dies mit morphologischen Unterschieden zwischen afrikanischen und asiatischen Funden, die nach Meinung einiger Paläoanthropologen eine Aufspaltung in zwei Arten rechtfertigen. (Auffermann/Orschiedt 2006, 29) Homo erectus ging vermutlich aus Homo ergaster hervor. Etwa gleichzeitig entwickelte sich nach Meinung einiger Experten aus Australopithecus africanus Homo habilis, weswegen Homo erectus nicht von Homo habilis abstammen kann. Beide Arten lebten wohl über 500 000 Jahre nebeneinander. (Stanley 2001, 624) Die besterhaltenen Fossilien stammen vom Turkana-Jungen, der vor 1,6 Millionen Jahren in Kenia lebte, über einen modernen Körperbau verfügte und aufrecht ging. Sein Hirn war mit 900 cm³ doppelt so groß wie das der Menschenaffen, sein Skelett schon „erstaunlich menschenähnlich“. (Sawyer/Deak 2008, 100-106) Es zeigt eine Mischung aus Merkmalen moderner Menschen und des Australopithecus africanus sowie eine „bemer-kenswerte Ähnlichkeit zwischen Homo erectus und dem modernen Menschen“. (Stanley 2001, 624) Homo erectus war wohl die erste Homininenart, deren Gruppen aus mehr als fünfzig Individuen bestanden und die Faustkeile nach der AcheuléenTechnik anfertigten. (Christian 2018, 189f.) In Olduvai fand man an einem vor 1,8 Millionen Jahren besiedelten Ort ein erstes menschliches Bauwerk aus kleinen Basaltblöcken, die wohl als Halt für ein Dach aus Ästen dienten. (Coppens 2011a) Thorwald Ewe verweist auf die „Uneinheitlichkeit“ von Homo erectus, die „den
herkömmlichen Artbegriff verschwimmen“ lasse. Homo erectus nahm demnach „die unangefochtene Pionierrolle in unserer Ahnenreihe“ ein und war „eine Menschenform der Superlative“. Er war der Erste, der in seinen Körpermaßen und Proportionen dem Menschen der Gegenwart ähnelte und der erste Hominine, der in der Savanne vom Gejagten zum Jäger wurde. Vermutlich nutzte er als Erster das Feuer. (Ewe 2021, 65f.) Auch nach Meinung von Friedemann Schrenk macht es „keinen Sinn, die unterschiedlichen Populationen des Homo erectus als eigene Arten zu führen“. Sie hätten alle „einen gemeinsamen Ursprung und sind durch ihre weltweit verbreitete Kultur verbunden“. Es handele sich um „eine ungeheuer vielfältige Art, mit der höchsten Variabilität innerhalb sämtlicher Homininen“. (Schrenk 2021, 69)
Die Ausbreitung von Homo außerhalb Afrikas vor zwei Millionen Jahren
Vor mehr als zwei Millionen Jahren verließen Vertreter der Gattung Homo Afrika und breitete sich über den Nahen Osten nach Eurasien aus. Es handelte sich nicht um eine Migration im heutigen Sinn, sondern um ein „Verlagern der Schweifgebiete über hunderte Generationen hinweg“. (SdW 2 2019, 76) Homo bewegten sich entlang des Niltals und der Küste des Roten Meeres in den Nahen Osten und von hier aus nach Georgien, Südwest- und Ost-Europa sowie nach Südostasien. (Storch/Welsch/Wink 2013, 483) Als Generalist überlebte er in nahezu allen Klima- und Vegetationszonen. Er verlor sein Fell und entwickelte Schweißdrüsen, womit er bei Hitze und körperlicher Anstrengung leistungsfähiger wurde. (Schrenk 1997, 89-93) Fossilien aus Dmanisi in Georgien sind 1,8 Millionen Jahre alt. Das dort gefundene Typus-Exemplar erhielt den Namen Homo georgicus. (Coppens 2011a) Ein Typus-Exemplar ist in biologischen Nomenklaturen ein Individuum oder Taxon, das die Grundlage zur Definition und Benennung eines übergeordneten Taxons bildet. Die Funde deuten darauf hin, „dass die fast endlose Geschichte der immer wieder neuen Auswanderungen aus Afrika vielleicht schon mit Homo rudolfensis begann und nicht erst mit seinem erfolgreichen Nachkommen Homo erectus.“ (Schrenk 1997, 79) Kennzeichnend für die „ältesten Eurasier“ ist das geringe Hirnvolumen von 700 cm³. Es gilt als Beleg dafür, dass die frühesten Auswanderungen schon mit den Vorfahren von Homo erectus begannen. (Schrenk 1997, 88f.) Es gibt aber auch Vermutungen, Homo georgicus könnte zu einer über die Grenzen Afrikas hinaus verbreiteten frühen Menschenart gehört haben. (Dönges 2018, 26) Die Fossilien in Georgien wurden durch Funde in der Höhle Kozarnika am Nordrand des Balkans ergänzt. Beide zeigen die Ausdehnung des Habitats der frühen Menschen von Afrika bis zum Kaukasus und zum Balkan. (Richter, J. 2018, 49f.) Funde aus Pakistan und China lassen vermuten, dass er Afrika in mehreren Schüben verließ. Im chinesischen Landkreis Lantian wurden 2,1 Millionen Jahre alte Steinwerkzeuge gefunden, die wegen des Fehlens von Fossilien keiner bestimmten Art der Homininen zugeordnet werden können. Andere Funde aus
China und Java deuten jedoch auf ein Alter von bis zu 1,9 Millionen Jahren hin. Ein Kieferbruchstück aus Longuppo in Mittelchina ist 2,1 Millionen Jahre alt. (Picq 2003) In der Provinz Shaanxi fand man Steinwerkzeuge und Tierknochen, die vermuten lassen, dass sich auch hier schon vor 2,1 Millionen Jahren Frühmenschen aufhielten. Diese Funde sind mit Abstand die ältesten Hinweise auf Homininen außerhalb Afrikas. (Willems 2018) Auf Java wurden zwei Millionen Jahre alte Fossilien von Homo ergaster gefunden. Der Schädel eines Kindes aus Surabaya auf Ostjava ist 1,8 Millionen Jahre alt. Ein anderes Fossil in Trinil wurde auf 1,7 Millionen Jahre datiert. (Picq 2003) Auf der Insel Luzon fand man 700 000 Jahre alte Fossilien des Homo luzonensis. Beide waren kleinwüchsig, was ihnen den Spitznamen „Hobbits“ einbrachte. Anatomisch unterschieden sich beide allerdings so deutlich, dass sie nicht derselben Art angehört haben können. Wie beide Funde in unsere Rote Linie einzugliedern sind, ist unklar. Manche Skelettmerkmale en eher zu Homo sapiens, was nicht sein kann, sie en aber genauso wenig zum Homo erectus. Sie „verweisen auf einen noch viel urtümlicheren Ursprung“ als Homo erectus, nämlich auf Australopitheciden. Ebenso gibt es demnach Parallelen zu robusten vormenschlichen Paranthropus-Arten sowie zum Homo habilis. Zwar gilt der Flores-Mensch „als evolutionäre Rückentwicklung“, wie sie auf isolierten Inseln mitunter vorkommt, es hieße aber, so Matthew Tocheri, den Zufall übermäßig in Anspruch zu nehmen, würde man diese Erklärung nun auch für Homo luzonensis heranziehen. Für Jan Dönges deutet alles darauf hin, dass ein weiterer früher Vertreter der Gattung Homo Asien erreichte. Vielleicht handelte es sich sogar um „einen unbekannten Spross der AustralopithecusLinie“. Dessen Nachfahren könnten sich in der Abgeschiedenheit der südostasiatischen Inselwelt entwickelt haben. (Dönges 2019a, 24f.) Homo wanderte in dieser Zeit bereits bis nach Australien. Homo ergaster gelangte womöglich über die Straße von Gibraltar nach Südwesteuropa. Darauf verweisen 1,8 bis 1,6 Millionen Jahre alte Werkzeuge, die in Algerien (Ain Hanech) und Südost-Spanien (Orce) gefunden wurden. (Storch/Welsch/Wink 2013, 483) Zu den ältesten Spuren von Homo erectus in Europa gehören auch 1,8 Millionen Jahre alte Fossilien aus Frankreich. (Probst 1986, S. 344) Funde im British Museum belegen, dass sie auch schon nach Norden vorstießen. (SdW 9/2010) 1,2 Millionen Jahre alte Fossilien von Homo erectus fand man auch in Sima del Elefante in Spanien und in Vallonet in Südfrankreich. Die rasche Ausbreitung zeigen auch 1,3 Millionen Jahre alte Funde in `Ubeidiya im Jordantal und im türkischen Kocabaş, die etwa eine Million Jahre alt sind.
Fossilien vergleichbaren Alters wurden im spanischen Atapuerca gefunden. (Condemi/Savatier 2020, 30) Ian Tattersall deutet die ältesten europäischen Hominiden-Fossilien als „eine Reihe fehlgeschlagener Streifzüge“ nach Europa. (Tattersall 2008, XXII) Tatsächlich scheiterten Vorstöße in Richtung Europa auch später immer wieder an Eiszeiten.
Eis- und Warmzeiten in Europa vor 1,7 bis einer Millionen Jahren
Vor etwa 1,6 Millionen Jahren begann in Europa die Eburon-Kaltzeit. Sie dauerte 480 000 Jahre und lag zwischen der Tegelen- und der Waal-Warmzeit. Noch reichten skandinavische Gletscher nicht bis nach Norddeutschland. Während der Zeitdauer des Protoacheuléen vor 1,5 Millionen bis 600 000 Jahren kam es in Mitteleuropa mehrfach zum Wechsel von Kalt- und Warmzeiten. Erste Jäger und Sammler erschienen und verschwanden wieder. An die EburonKaltzeit und die Donau-Eiszeit schloss sich vor 1,4 Millionen Jahren die WaalWarmzeit an. Damals schwammen in der Werra Flusspferde, in den Laubwäldern weideten Elefanten. Vor 1,1 Millionen Jahren begann in Norddeutschland die Menap-Kaltzeit, gefolgt vom Bavel-Komplex aus verschiedenen Warm- und Kaltzeiten. In der Eifel brachen wieder einmal Vulkane aus. Während der LingeKaltzeit vor 900 000 Jahren wandelte sich die Flora erneut. Klimatisch wenig anspruchsvolle Bäume wie Kiefern und Birken breiteten sich aus. Während Südeuropa von Afrika aus besiedelt wurde, lebten nördlich der Pyrenäen und der Alpen keine Vertreter der Gattung Homo. (Richter, J. 2018, 55) Strittige Debatten über frühe Homo-Formen widerspiegeln durch seltene Fossilfunde bedingte Unsicherheiten. Sicher scheint zu sein, dass vor einer Million Jahren Frühmenschen in Gran Dolina in Spanien und im italienischen Ceprano lebten. (Storch/Welsch/Wink 2013, 483, 490)
Homo antecessor vor 800 000 bis 600 000 Jahren - Ausgangspunkt der eurasischen Menschheitsgeschichte?
Viele Paläoanthropologen ordnen Funde aus der Zeit von 800 000 und 600 000 Jahren Homo antecessor zu. (Auffermann/Orschiedt 2006, 29-32) Dessen Einstufung als eigenständige Art der Gattung Homo ist jedoch (wie alles) unter Experten umstritten. Sollte es sich um eine eigene Art handeln, dann wäre Homo antecessor ein sehr früher Vertreter der Gattung Homo in Europa. (Storch/Welsch/Wink 2013, 490) Möglicherweise war Homo antecessor aber auch ein Vertreter von Homo heidelbergensis, dem letzten gemeinsamen Vorfahren von Homo neanderthalensis und Homo sapiens. (Pringle 2013, 48). Dann hätten wir den letzten gemeinsamen Ahnen vor uns. (Tattersall 2008b, 153) Homo sapiens ließe sich dann von Homo ergaster und Homo antecessor herleiten. Einige Experten vermuten, dass es sich bei ihm um einen Vorfahren aller späteren Menschen europäischer Abstammung handelt. (Sawyer/Deak 2008, 139-145) Homo antecessor wäre in diesem Fall der „Ausgangspunkt der europäischen Menschheitsgeschichte“. (Auffermann/Orschiedt 2006, 29) Nach neuesten genetischen Untersuchungen handelte es sich bei Homo antecessor jedoch nicht um unseren direkten Vorfahren, sondern um eine Schwestergruppe der frühen Menschen. (Homo antecessor. In: Spiegel Wissenschaft vom 3.4.2020)
Von Homo erectus über Homo heidelbergensis zum Homo neanderthalensis und die Besiedlung Europas vor 800 000 bis 200 000 Jahren
Die Trennungslinien zwischen Homo erectus, Homo heidelbergensis und Homo neanderthalensis sind fließend. Manche Forscher deuten einen Teil der Neandertaler-Funde als Varianten von Homo erectus. Homo heidelbergensis zugeordnet werden in Afrika und Europa Fossilien, die eine morphologische Weiterentwicklung von Homo erectus erkennen lassen. Als sicher gilt, dass sich Homo heidelbergensis vor 800 000 Jahren aus Homo erectus entwickelte. (Sawyer/Deak 2008, 153-158) Das bedeutet, dass sich damals unsere Rote Linie in die von Homo neanderthalensis und Homo sapiens aufteilte. (Bräuer 2003, 38) Umstritten ist die multregionalistische Hypothese, wonach Homo heidelbergensis nicht nur eine Zwischenstufe zum Neandertaler darstellte, sondern sich danach zum anatomisch modernen Menschen weiterentwickelte. Homo heidelbergensis wäre dann „in manchen Aspekten ein plausibler Vorfahre unserer eigenen Art“. (Tattersall 2008, XXII) Sein Name basiert auf einem Fund bei Heidelberg, dem mit 700 000 bis 500 000 Jahren frühesten Hinweis auf die Besiedlung Mitteleuropas nördlich von Alpen und Pyrenäen. An einigen Stellen in Europa wurden Faustkeile aus dieser Zeit gefunden. Während der Eiszeiten dienten Südeuropa und Südeurasien Homo erectus als Refugien, aus denen heraus sie während der Warmzeiten immer wieder in nördliche Gefilde vorstießen. (Richter, J. 2018, 57, 66) Im englischen Happisburgh fanden Archäologen die mit 780 000 Jahren ältesten menschlichen Fußspuren außerhalb Afrikas. Zur selben Zeit kam es durch eine Inversion des Erd-Magnetfeldes zu verstärkter kosmischer Strahlung. Die Veränderung der Feldstärke zog sich über Jahrhunderte hin. In der Evolution bewirkte sie eine Selektion des Lebens. (Rezanov 1985, 115) Die ersten Europäer, Ahnen der Neandertaler, überlebten die Auswirkungen der kurzzeitigen Umkehrung des Magnetfeldes vor 789 000 Jahren jedoch unbeschadet. (Condemi/Savatier 2020, 175) Vor 750 000 Jahren begann der Cromer-Komplex mit mehreren Warm- und Kaltzeiten. Während der Günz-Kaltzeit vereisten die Alpen. In der Eifel brachen
erneut Vulkane aus. Zeitweilig war es so warm wie in der Serengeti. Im Rhein schwammen Flusspferde, an Land lebten Affen, Säbelzahnkatzen, Löwen, Jaguare, Geparden, Hyänen, Südelefanten, Waldelefanten und Nashörner. Nördlich der Alpen gab es jedoch nur vereinzelt menschliche Siedlungen. In Přezletice nördlich von Prag fand man Reste einer 600 000 Jahre alten Winterhütte. Zu den ältesten Belegen der Präsenz von Frühmenschen zählen Funde in Kärlich und Gondorf in Rheinland-Pfalz. Steinwerkzeuge aus Winningen an der Mosel und Weiler bei Bingen. Faustkeile aus Quarzit, die zwischen Bottrop und Dorsten geborgen wurden, sind zwischen 700 000 und 600 000 Jahre alt. Ähnliches gilt für Geröllgeräte aus Kronach in Oberfranken. Auf ein Alter von 500 000 Jahre werden Steinwerkzeugen aus dem AltAcheuléen geschätzt, die in Münzenberg in Hessen gefunden wurden. (Probst 1991, 35, 44-51) Die Besiedlungen ab der Zeit vor 500 000 Jahren beschränkten sich in Mitteleuropa auf die Warmzeiten innerhalb des Cromer-Interglazial-Komplexes und die letzte altpaläolithische Warmzeit, das Holstein-Interglazial. Dazwischen lagen jeweils 100 000 Jahre dauernde Kälteperioden, in denen Mitteleuropa menschenleer war. Einige Funde lassen vermuten, dass Homo heidelbergensis in Mitteleuropa regional mehrfach für jeweils 80 000 bis 100 000 Jahre ausstarb bzw. das Siedlungsgebiet verließ. (Richter, J. 2018, 135) Möglicherweise entstand Homo heidelbergensis aus Populationen von Homo erectus, den Eis und Schnee gefangen hielten. (Coppens 2011a) Als gesichert gilt, dass sich Homo heidelbergensis vor etwa 350 000 bis 200 000 Jahren in Europa zum Homo neanderthaliensis weiterentwickelte. Offen bleibt, ob dies für alle Populationen von Homo heidelbergensis gilt. Diese Evolution führte über Zwischenformen wie Ante-Neandertaler, Prä-Neandertaler und weitere Denominationen bis hin zum klassischen Neandertaler. (Auffermann/Orschiedt 2006, 33) Unterschiede zwischen Homo heidelbergensis und Homo neanderthalensis deutet man am besten als „zeitlichen Wandel einer Abstammungslinie“. Funde wie die in Biache Saint-Vaast in Frankreich kann man „ohne weiteres beiden Arten zuordnen“. Auch andere Fossilien in Ehringsdorf, Reilingen, Steinheim, Montmaurin und Sima de los Huesos zeigen Merkmale des Neandertalers. (Sawyer/Deak 2008, 153-158) In Swanscombe bei London wurden 390 000 Jahre alte Fossilien gefunden. Ihre Schädel sind 1 250 cm³ groß. (Storch/Welsch/Wink 2013, 493) Fossilien aus der Höhle von Arago in Südfrankreich datieren um 450 000 Jahre.
(Auffermann/Orschiedt 2006, 31) Funde aus Petralona und Apidima in Griechenland sind 450 000 bis 200 000 Jahre alt. Ein fast vollständiges Skelett in Altamura in Südostitalien hat ein Alter von 400 000 Jahren und zeigt morphologische Anklänge des Neandertalers. In der Terra Amata in Italien fand man eine 380 000 Jahre alte Feuerstelle. Eine der ältesten Siedlungen aus der Zeit des Alt-Acheuléen wurde in Kärlich in Rheinland-Pfalz freigelegt. Ihr Alter liegt bei 440 000 Jahren. (Probst 1991, 50f.) In der süditalienischen Region Campania fand man aus der Zeit vor 385 000 bis 325 000 Jahren Abdrücke von Individuen der Gattung Homo. Der Altersbestimmung nach handelt es sich um europäische Vertreter des Homo erectus. (SdW 5/2003, 64) Ein Schädelfragment aus Vértesszőlős bei Budapest wurde auf die Zeit vor 400 000 bis 185 000 Jahre geschätzt. Homo erectus wanderte in der Holstein-Warmzeit erneut nach Mitteleuropa ein und jagte Nashörner, Wildpferde, Wildschweine, Biber, Löwen sowie Bären. Im thüringischen Bilzingsleben erlegten vor 400 000 bis 350 000 Jahre Vertreter von Homo erectus mit Speeren Waldelefanten, Wald- und Steppennashörner, Wildpferde und Auerochsen. Hier fand man einfache Wohn-bauten, einen zentralen, gepflasterten Platz sowie einen Elefantenknochen mit regelmäßigen geritzten Mustern. Dieses Artefakt wird als Hinweis auf eine differenzierte Sprache und abstraktes Denken gedeutet. Möglicherweise handelt es sich um einen Mondkalender. Die Funde zeugen nach Meinung von Emanuel Vlček vom „erwachenden Geist“ und von „vielleicht ersten Ansätzen einer ideellen Weltsicht“. 400 000 Jahre alte hölzerne Wurfspeere aus Schöningen nördlich des Harzes gelten als hochspezialisierte Waffen des Homo heidelbergensis. (Mania 2004, 38-47) Das Jägerlager bei Schöningen existierte in der ReinsdorfWarmzeit zwischen der Elstereiszeit vor 350 000 Jahren sowie den Saale- und Riß-Kaltzeiten vor 300 000 Jahren. (Haarmann 2019, 13f.) Schöningen veränderte das Bild vom Homo heidelbergensis erheblich, handelte es sich bei den dort lebenden Menschen doch bereits um hocheffektive Jäger, die „offensichtlich über ein differenziertes Verhalten und eine komplexe Sprache, vergleichbar mit den Fähigkeiten des modernen Menschen“ verfügten. (Brandt 2017, 109-114)
Die Entstehung und Ausbreitung der Denisova-Menschen
Bis heute geheimnisumwittert ist eine andere Menschenart, deren Fossilien in einer Höhle im Altai gefunden wurde, einem mittelasiatischen Hochgebirge im Grenzgebiet von Kasachstan, Russland, der Mongolei und China. Ihren Namen erhielt sie vom Einsiedler Denis, der dort im 18. Jahrhundert lebte. Denisovaner entstanden, nachdem sich die Entwicklung von Homo erectus vor 600 000 Jahren in Linien zum Homo sapiens und zum Neandertaler geteilt hatten. (Krause, Johannes 2019, Pos. 322-339) Die Denisova-Menschen spalteten sich vor 450 000 bis 430 000 Jahren von der Linie des Neandertalers ab. (Hublin 2020, 13-23) Womöglich gehen sie aber auch direkt auf Homo heidelbergensis zurück. Darauf deuten Fossilien nordspanischer Homininen hin, die sowohl eine enge Verwandtschaft zu den Denisova-Menschen als auch zum europäischen Neandertaler zeigen. (Callaway 2016, 14-16) Eine DNS-Sequenzierung des Genoms der Neandertaler, die vor 430 000 Jahren in der Sima de los Huesos in Nordspanien lebten, ergab ein hohes Maß an Gemeinsamkeiten. Womöglich besaß die spanische Population des Homo heidelbergensis Vorfahren, aus denen später sowohl die Neandertaler als auch die Denisova-Menschen hervorgingen. Vielleicht handelte es sich aber auch um letzte Vertreter von Homo heidelbergensis oder um Angehörige der asiatischen Linie von Homo erectus. Am plausibelsten, so Chris Stringer, könnten Szenarien sein, in denen es mehrfach zu einem Gentransfer mit „einem Dritten im Bunde“ kam. Immer wieder unterhielten Angehörige benachbarter Gruppen über Artgrenzen hinweg sexuelle Kontakte. (Dönges 2018, 48f.) Irgendwann aber trennten sich ihre Wege. Während die Vorfahren der Neandertaler vor allem ins westliche Eurasien bzw. Europa gelangten, zogen die Denisova-Menschen in Richtung Asien. (Marshall 2014, 50f. u. 76-78) Dabei teilten sie sich vor 350 000 Jahren in zwei geografisch getrennte Gruppen. Zur nördlichen Gruppe zählen Fossilien aus der Denisova-Höhle und aus dem heutigen China; von der südlichen Gruppe gibt es bis auf einige Zähne keine fossilen Nachweise. Die Gruppe ist aber durch die Auswertung von Genomen heutiger Melanesier und australischer Ureinwohner erkennbar. Diese weisen durchschnittlich vier Prozent DNS der Süd-Denisovaner auf. Da sich beide
Gruppen lange getrennt voneinander entwickelten, unterschieden sie sich äußerlich ebenso wie beide ihrerseits von den Neandertalern. Auch räumlich lebten sie getrennt. Die Denisova-Höhle befand sich am nördlichen Rand ihres Lebensraums. (Hublin 2020, 13-23) DNS-Vergleiche zeigen, dass DenisovaMenschen im eurasischen Raum ein größeres Verbreitungsgebiet hatten als Neandertaler. (Marshall 2014, 50f. u. 76-78) Bis vor etwa 40 000 Jahren lebten Neandertaler im Westen und DenisovaMenschen im Osten des eurasischen Raums. Als das Klima in Zentralasien vor 130 000 Jahren feuchter wurde, das Kaspische Meer schrumpfte und im Winter mildere Temperaturen herrschten, drangen Neandertaler aus ihrem westasiatischen Verbreitungsgebiet nach Osten vor und erreichten schließlich das Altaigebirge. Dort verdrängten sie zeitweilig die Denisovaner, vermischten sich aber auch mit ihnen. Ein 90 000 Jahre alter Röhrenknochen aus der DenisovaHöhle stammt von einer jungen Frau, deren Mutter eine Neandertalerin war. Ihr Vater war ein Denisova-Mann, der seinerseits bereits Spuren von Neandertalervorfahren in seinem Genom trug. (Hublin 2020, 13-23) Erbgutvergleiche zeigten, dass es sich nicht um die erste Vermischung beider Menschengruppen handelte, diese aber wohl insgesamt eher eine Ausnahme blieben. Thomas Higham und Katerine Douka meinen, dass es sich um „Hybride der ersten Generation“ handelte. (Higham/Douka 2019, 34-41) Es kann als sicher gelten, dass Denisovaner sexuelle Kontakte mit Neandertalern hatten, lange nachdem sich beide Evolutionslinien getrennt hatten. (Marshall 2014, 76-78) Die Denisovaner vermischten sich aber auch mit anderen, aus Afrika stammenden Homo. (Dönges 2018, 48f.) Für unsere Rote Linie ist von Bedeutung, dass vor nicht allzu langer Zeit mindestens drei verschiedene Menschenarten nebeneinander lebten, die wechselseitig genetische Spuren aufweisen und von denen nur unsere Art, wenn auch bestückt mit Genen der anderen, überlebte und die Erde besiedelte. Wieder einmal spaltete sich unsere Rote Linie, um sich später wieder zu vereinen. Von nur einer durchgängigen Roten Linie einer Menschenart kann keine Rede sein. Es waren vor allem genetische Mischungen, die unsere hybride Spezies prägten und überlebensfähig machten.
Ante-, Pro-, archaische und frühe Neandertaler sowie Steinheim-Menschen
Der unterschiedliche, teils konträre Gebrauch der Bezeichnungen von Zwischenstufen der Evolution erschwert dem Laien das Verständnis der Prozesse. Die Unterteilung in Ante-Neandertaler, Pro-Neandertaler, archaische oder frühe Neandertaler bzw. Steinheim-Menschen scheint eine Folge schwer zuzuordnender Funde zu sein. Oft ist nicht einmal erkennbar, welchen Zeitabschnitt sie betreffen. Da die Bezeichnungen Ante-Neandertaler und PräNeandertaler umstritten sind, bezeichnet Ernst Probst die Menschen aus der Zeit vor etwa 300 000 Jahren bis zum Beginn der letzten Eiszeit vor etwa 115 000 Jahren als frühe Neandertaler und als frühe Angehörigen der Art Homo sapiens. (Probst 1991, 32f.) Als Prä-Neandertaler gilt ein 250 000 Jahre altes Fossil aus Steinheim an der Murr. Es stammt wahrscheinlich aus einer Warmphase vor 250 000 Jahren. (Storch/Welsch/Wink 2013, 494) Hinterlassenschaften von Ante-Neandertalern wurden in Bad Cannstatt, Mönchengladbach-Rheindahlen, im Elbe-Saale-Gebiet und in Markkleeberg bei Leipzig gefunden. 230 000 Jahre alte Schädel- und Unterkieferfragmente barg man bei Weimar-Ehringsdorf. Friedemann Schrenk zählt sie zur Gruppe der Ante-Neandertaler. (Schrenk 1997, 107f.) Laut Bärbel Auffermann und Jörg Orschiedt traten Prä- oder Proto-Neandertaler vor 200 000 bis 100 000 Jahren in Erscheinung. Fundorte sind Ochtendung, Krapina und Saccopastore. (Auffermann/Orschiedt 2006, 38f.) Schädelfragmente, die bei Biache-Saint-Vaast in Frankreich gefunden wurden, sind 175 000 Jahre alt. Der Schädelrest eines Prä-Neandertalers aus der Mugharet el-Zuttiyeh (Höhle der Räuber) in Galiläa wird auf 250 000 Jahre geschätzt. Von Prä-Neandertalern stammen auch 250 000 Jahre alte Fossilien aus Reilingen bei Mannheim. (Storch/Welsch/Wink 2013, 493f. u. 498)
Von der Holstein-Warmzeit vor 340 000 bis 325 000 bis zur Saale-Eiszeit vor 280 000 bis 126 000 Jahren
Die Holstein-Warmzeit wird auf die Zeit vor 340 000 bis 325 000 Jahren datiert. Sie wurde vor 280 000 Jahren von der Saale-Kaltzeit abgelöst und korreliert mit dem Mindel-Riß-Interglazial im Alpenraum. In der Osteifel wurden erneut Vulkane aktiv. Im Riedener Kessel gab es verheerende Ausbrüche. In Mitteleuropa lebten neben Affen auch Waldelefanten, Säbelzahnkatzen, Löwen, Waldnashörner und Waldwisente. Aus Asien wanderten Wasserbüffel und Auerochsen ein. Im Jung-Acheuléen vor 350 000 bis 150 000 Jahren wuchsen menschlichen Populationen an. Fossile Funde verweisen auf den Gebrauch des Feuers und auf Kannibalismus. Während dieser Zeit drangen skandinavische Gletscher fast bis nach Düsseldorf, Krefeld und Geldern vor. Parallel zur SaaleEiszeit in Norddeutschland kam es in Süddeutschland zur Riß-Eiszeit, in der Rheingletscher bei Sigmaringen die Donau stauten. Weitere Gletscher reichten bis nach Wörishofen, Landsberg, Merching und München. Der Inn-ChiemseeGletscher begrub Schwaben, Erding, Isen, Bierwang und Trostberg unter einer mächtigen Eisschicht. Die Saale-Eiszeit wurde vor 250 000 Jahren durch die Hoogeven-Warmzeit unterbrochen. Diese entspricht zeitlich der Wacken- und Dömnitz-Warmzeit in Schleswig-Holstein und Ostdeutschland. (Probst 1991, 43, 52f.)
Die Entstehung des Homo sapiens in Afrika vor 700 000 bis 200 000 Jahren
Die Entstehung von Homo sapiens archaicus aus Homo erectus in verschiedenen Regionen Afrikas vor 700 000 Jahren
Homo sapiens trat früher als bislang vermutet an mehreren Orten Afrikas in Erscheinung. (Wong 2019, S. 30-35) Der afrikanische Homo erectus war der Vorfahr von Neandertaler und Homo sapiens. Vor 700 000 Jahren ging aus Homo erectus zunächst ein archaischer Homo sapiens hervor. (Hammer, 2018) So werden alle Vorfahren des anatomisch modernen Menschen (Homo sapiens) bezeichnet, die morphologisch nicht mehr zu Homo erectus gehörten. Fossilien der jüngsten Vertreter des Homo sapiens sind „noch recht ursprünglich“, wenn auch vom Homo erectus unterscheidbar. (Bräuer 2003, 38f.) sco CavalliSforza spricht von Homo sapiens archaicus, der anfänglich „noch ein bisschen affenhafte Merkmale“ aufwies. (Cavalli-Sforza, Luici 1996, 76) Der archaische Homo sapiens war jedoch bereits erkennbar „auf dem Weg zum heutigen Menschen“. (Richter, J. 2018, 188) Inzwischen ist die lange Zeit vorherrschende Meinung, Homo sapiens sei vor rund 200 000 Jahren innerhalb eines kleinen Gebiets in Ostafrikas entstanden und habe sich von dort nach Eurasien ausgebreitet, hinfällig. (Paál 2017) Lange bevor der Homo sapiens vor etwa 100 000 Jahren Afrika verließ, hatte er sich hier bereits ausgebreitet. Die bisherige „Garten-Eden-Theorie“ des Ursprungs unserer Art in Ostafrika wird heute weiter gefasst und gilt hinsichtlich aller archaischen Formen in Afrika. (Richter, J. 2018, 186) In Jebel Irhoud in Marokko fand man 300 000 Jahre alte Knochen, die als die ältesten sicher datierten fossilen Belege unserer Art gelten und 100 000 Jahre älter sind als Funde von Homo sapiens in Äthiopien. Aus der Übergangszeit zum archaischen Homo sapiens vor 300 000 bis 200 000 Jahren fand man auch in Laetoli in Tansania einen entsprechenden Schädel. (Gunz 2017) In Äthiopien wurden 280 000 Jahre alte Steinspitzen ausgegraben. Sie ähneln den bei Schöningen gefundenen Wurfspeeren und bedeuteten eine technologische Revolution. Mit ihnen konnte man Tiere aus geringerer Distanz jagen, ohne sich selbst zu gefährden. Zur Fertigung war eine Vielzahl an Entwicklungsschritten unterschiedlichster Art notwendig. (Tattersall 2008, XXII) Am Turkana-See wurde der 270 000 Jahre alte Ileret-Schädel gefunden. (Bräuer 2003, 38f.) Ein 259.000 Jahre alter Zahn aus Südafrika gehörte einem
Hominiden der gleichen Entwicklungsstufe. Beide standen „dicht an der Schwelle zum modernen Menschen“. (Bräuer 2003, 38f.) Auch 220 000 Jahre alte Fossilien aus dem griechischen Petralona könnten von archaischen Homo sapiens stammen. (Storch/Welsch/Wink 2013, 493) Im Tal des Flusses Omo im Süden Äthiopiens fand Richard Leakey 200 000 Jahre alte Fossilien der Gattung Homo, die bereits in wesentlichen Punkten wie anatomisch moderne Menschen aussahen. (Tattersall 2008, XXII)
Unbekannte Zwischenformen bei der Evolution zum Homo sapiens
Das Erbgut des Homo sapiens zeigt, dass zu unseren Vorfahren auch bisher unbekannte Gruppen gehörten. (Hammer, 2018). Wahrscheinlich gingen aus verschiedenen Formen des Homo erectus ebenso unterschiedliche Populationen von Homo sapiens und Homo heidelbergensis sowie unbekannte Arten hervor. Neben dem archaischen Homo sapiens gab es zwischen 700 000 und 125 000 Jahren weitere eigenständige Evolutionslinien. (Wood 2018, 32) Einige davon weisen ein Mosaik von Merkmalen sowohl des Homo erectus als auch von Homo sapiens auf. (Fortey 2002, 393f.) Die Entwicklung zum modernen Menschen wurde durch sexuelle Kontakte zwischen verschiedenen Arten geprägt, wobei Homo sapiens auch Merkmale von Übergangsformen annahm, die später ausstarben. Friedemann Schrenk spricht von einer „Verflechtung unterschiedlicher geographischer Varianten“ der Ursprungspopulationen der Homininen. (Schrenk 1997, 30-32) Etwa zwei Prozent unseres genetischen Materials stammt von einer ausgestorbenen Population, deren Vorfahren sich vor rund 700 000 Jahren von der Roten Linie abspalteten, die zum modernen Menschen führte. (Hammer, 2013, 8) Bei den Menschengruppen der Khoisan, Mbuti-Pygmäen und Mandinka finden sich Gene einer Menschenart, deren Linie sich früh vom modernen Menschen trennte bevor sie verschwand. Die Forscher sprechen von „Geistervorfahren“. Das Szenario von Gruppen, die sich auf komplexe Weise miteinander vermischten, ist für Kai Stoppel „nur die Spitze des Eisbergs der menschlichen Evolution“. Sie sei von Anfang komplexer gewesen als bislang angenommen. (Stoppel 2019) In der Sequenz des Y-Chromosoms von 6 000 Afroamerikanern entdeckte man eine unbekannte Erblinie, die sich vor mehr als 300 000 Jahren vom Stammbaum der heutigen menschlichen Y-Chromosomen trennte. Gefunden wurden elf übereinstimmende Sequenzen von Männern aus einem kleinen Gebiet in Westkamerun. Demnach ist der letzte gemeinsame Vorfahr aller modernen Varianten des menschlichen Y-Chromosoms rund 100 000 Jahre älter als bislang angenommen. Forscher vermuten, dass sich Homo sapiens und eine noch unbekannte archaische Menschenart einst im Westen Zentralafrikas vermischten. (Hammer, 2013, 8) Sriram Sankararaman und Arun Durvasula fanden heraus, dass sich acht Prozent des genetischen Erbes der Yoruba-
Bevölkerung in Westafrika auf eine noch unbekannte archaische Spezies zurückführen lassen. (Wong 2019, 30-35)
Homo naledi: Zeitgenosse des archaischen Homo sapiens vor 335 000 bis 236 000 Jahren
Es gab aber nicht nur Geistervorfahren, sondern auch heute bekannte Arten der Gattung Homo, die sich nicht nur vor, sondern auch parallel zum Homo sapiens entwickelten. Eine Art war Homo naledi. Seine Fossilien aus der Rising-StarHöhle in Südafrika sind zwischen 335 000 bis 236 000 Jahre alt (Berger 2015). Er war ein Zeitgenosse des archaischen Homo sapiens, von dem er sich jedoch durch sein kleineres Gehirn unterschied. (Berger 2017) Beide Menschenarten unterhielten Kontakte. Homo naledi zeigt, dass in Afrika eine Variante der Gattung Homo hunderttausende Jahre trotz einer geringen Gehirngröße überlebte. (Thompson 2017) Der zierliche Homo naledi mit seinem Gemisch aus archaischen und modernen Merkmalen wirkt wie ein „evolutionäres Mosaik“. Unklar ist seine Verbindung zu anderen Früh- oder Vormenschen wie Homo habilis oder Homo ergaster. (Dönges 2018, 26)
Der Iwo-Eleru-Schädel in Nigeria als Nachweis regionaler Sonderentwicklungen von Homo sapiens
Neue Erkenntnisse brachte der Fund des zwischen 16 300 und 11 700 Jahre alten Iwo-Eleru-Schädels in Nigeria. Er verweist auf eine „intermediäre Gestalt zwischen archaischen Homininen (Neandertaler und Homo erectus) und modernen Menschen“. Seine Merkmale liegen „außerhalb der Bandbreite für die Variabilität heute lebender Populationen des anatomisch modernen Menschen“. Einige Forscher sehen in dem Schädel einen Beleg für das langfristige Überleben einer Population des Homo sapiens, die sich bereits Jahrzehntausende zuvor von den Vorfahren der heute lebenden Menschen abgetrennt hatte. Sollte dies stimmen, wäre es ein weiterer Hinweis darauf, dass die Evolution des modernen Menschen „ein vielschichtiger Vorgang war und Populationen archaischer Homininen in Afrika länger fortbestanden als bisher gedacht“. (Havarti 2011) Die für die Zeit vor 15 000 bis 10 000 Jahren unerwartete Kombination archaischer und moderner anatomischer Merkmale wurde im Zusammenhang mit einer Analyse des Genoms von 500 Afrikanern untersucht, bei der sich zeigte, dass es vor rund 35 000 Jahre in Afrika eine Kreuzung anatomisch moderner Menschen mit archaischen Verwandten gab. (Hammer 2011) Chris Stringer hält es für möglich, dass der Iwo-Eleru-Schädel ein Beleg für das langfristige Überleben einer Population des Homo sapiens ist, die sich bereits Jahrzehntausende zuvor von den Vorfahren der heute lebenden Menschen abgetrennt hatte. (Stringer 2011) Diese Interpretation wurden durch eine weitere Studie bestätigt. (Stojanowski 2014) Die Anatomie des Schädels verweist entweder auf eine genetische Vermischung mit archaischen Menschen oder auf das Überleben einer Population mit archaischen Schädel-Merkmalen bis ans Ende des Pleistozäns.
Vom Stammbaum zum Stammbusch: Afrikanische Regionalismus und Homo sapiens vor 500 000 bis 200 000 Jahren
Bei der Evolution des Homo sapiens gab es ein Durcheinander mehrerer Zwischenformen verschiedenen archaischen oder modernen Grades. (Bräuer 2003, 38f.) Vor 200 000 Jahren lebten zwischen Marokko und Südafrika unterschiedliche Menschengruppen, die aufgrund der Größe des Kontinents und durch sich verändernde Umweltbedingungen nicht nur geografisch, sondern auch genetisch voneinander getrennt lebten. Diese Komplexität spielt für unsere Rote Linie eine wichtige Rolle. Sie macht klar, dass der gesamte afrikanische Kontinent als „Wiege der Menschheit“ anzusehen ist. (Gunz 2017) Unklar ist allerdings, wie sich die Gattung Homo und ihre Arten von den nächsten Verwandten trennten. Bei dieser Geschichte sind die Lücken und Zweifel größer als das gesicherte Wissen. (Langaney 2003) Forscher am Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte in Jena haben das Modell eines afrikanischen Multiregionalismus entwickelt. Sie fanden heraus, dass sich die ersten Repräsentanten unserer Art in in Marokko, Äthiopien und Südafrika untereinander wesentlich stärker unterschieden als dies bei heutigen Menschen der Fall ist. Einige Forscher halten die Unterschiede für so groß, dass sie von verschiedenen Arten oder Unterarten sprechen. Möglicherweise, so Eleanor Scerry, ist die Suche nach einem einzigen Ursprung unserer Spezies ein fruchtloses Unterfangen. Der Ursprung des Homo sapiens erweise sich immer mehr als gesamtafrikanisches Phänomen. Statt sich als kleine Population irgendwo in Afrika zu entwickeln, „kristallisierte sich unsere Spezies aus einer umfangreichen Bevölkerung heraus, die in Grüppchen aufgeteilt war und sich über den ganzen riesigen afrikanischen Kontinent verteilte“. Diese „Subpopulationen blieben häufig Jahrtausende lang durch große Entfernungen und ökologische Schranken wie etwa Wüsten mehr oder weniger isoliert“. In solchen Phasen „entwickelte jede Gruppe eigene biologische und technische Anungen an die jeweilige ökologische Nische, sei es eine trockene Savanne, ein tropischer Regenwald oder die Meeresküste“. Hin und wieder gab es Kontakte, was sowohl „einen genetischen als auch kulturellen Austausch
ermöglichte, der zur Triebkraft für die Evolution unserer Abstammungslinie avancierte“. Die archaischen Menschenformen, auf die Homo sapiens bei seinen Wanderungen innerhalb Afrikas und jenseits davon traf, waren, so Kate Wong, „nicht nur Konkurrenten, sondern auch Paarungspartner“. Den Beweis liefere das Erbgut heutiger Menschen. Die Kreuzungen mit anderen Frühmenschen könnten „ein entscheidender Faktor für seinen Erfolg gewesen sein“. Wir wissen von zahlreichen Tieren, dass Hybridisierungen eine wichtige Rolle spielen können. Manchmal entstehen dadurch neue Populationen oder Arten, die deswegen besser als ihre Vorläufer an eine sich wandelnde Umwelt anget sind, weil sie über neuartige Merkmale oder Merkmalskombinationen verfügen. Auch bei den Vorfahren des Menschen entstand durch Kombination „die anungsfähige, vielgestaltige Art, die wir heute sind“. Wir sind „das Produkt eines komplizierten Wechselspiels verschiedener Abstammungslinien“. Unsere Spezies ist „gerade deshalb so aufgeblüht, weil daraus so viele Variationen“ hervorgingen. Wie oft es Vermischungen gab und in welchem Maß sie die Evolution des Homo sapiens und anderer Homininen vorantrieb, ist bislang nicht hinlänglich geklärt. (Wong 2019, 30-35) Ein weiteres Mal bleibt die Suche nach unserer Roten Linie vergeblich. Es scheint, als habe es in dieser Phase unserer Evolution weder eine durchgängige Rote Linie noch parallele Entwicklungen gegeben. Möglich wurden wir heutigen Menschen durch das bunte Mit- und Gegeneinander unterschiedlicher Unterarten der frühen Menschen.
Die Gefahr des Aussterbens von Homo sapiens vor 195 000 Jahren, die afrikanische Eva und das Überleben unserer Vorfahren in Südafrika
Genetischer Flaschenhals und Gefahr des Aussterbens von Homo sapiens in Afrika vor 195 000 Jahren
Unsere Rote Linie ist für die Zeit vor 195 000 Jahren wieder recht gut erkennbar. Die vielfältigen Entwicklungen von Homo sapiens bis dahin bleiben unübersichtlich, eine Klärung bleibt späteren Forschern vorbehalten. Es war wieder einmal ein Massensterben, das dank der Erkenntnisse des Ausschließlichkeits- und Anthropischen Prinzips erkennen ließ, wie die Linie weiterlief. Nur wer übrigblieb, kann unser Vorfahr gewesen sein. Infolge der Saale-Kaltzeit vor 190 000 bis 123 000 Jahren herrschte in Afrika ein kühles, trockenes Klima. Die Wüstenzonen waren ausgedehnt, und es war weniger Land bewohnbar. Ostafrika litt unter extremer Trockenheit. Die Populationen der Gattung Homo sapiens schrumpften und teilten sich in kleine, isolierte Gruppen auf. Die Zahl unserer Vorfahren sank „fast bis zu ihrer Auslöschung“. Lebten zuvor über 10 000 Erwachsene im fortpflanzungsfähigen Alter, so waren es nach der Kaltzeit kaum noch einige hundert. Die Folge war ein „genetischer Flaschenhals“, das ist die starke genetische Verarmung einer Art, in deren Folge es zu Inzucht kommen kann. Bis heute haben wir Menschen eine geringere genetische Vielfalt als mit uns verwandte Arten wie Schimpansen und Bonobo. Dies lässt sich vielleicht mit dem damaligen Populationsrückgang erklären. Unsere Rote Linie wird wieder erkennbar, weil alle heutigen Menschen von einer relativ kleinen Bevölkerungsgruppe abstammen, die irgendwo in Afrika die Kaltphase überlebte. (Marean 2013, 46-65) Die gesamte Weltbevölkerung bestand damals aus fünf- bis zehntausend fortpflanzungsfähigen Individuen. Eine Pandemie oder Hungersnot hätte sie hinwegraffen können. „Das wäre es dann gewesen“. (Langaney/Clottes/Guilaine/Simonnet 2000) Wegen der geringen genetischen Variabilität gehen Wissenschaftler sogar davon aus, dass mehrere Menschengruppen in verschiedenen Regionen Afrikas mehrere Flaschenhälse überlebten. Aber nur von einer Gruppe, das zeigen Ergebnisse der Genforschung deutlich, stammen alle heutigen Menschen ab. (Marean 2013, 52f.)
Die Eva der Mitochondrien und der Adam des Y-Chromosoms
Schon 1987 sprachen Rebecca Cann und Allan Wilson von einer schwarzen Eva aus Afrika und meinten, alle heutigen Menschen würden von einer kleinen Population abstammen. Sie verfolgten die Linie unserer genetischen Vorfahren bis zu „einem Weibchen“ zurück, das vor rund 150 000 Jahren in Afrika lebte. Sie gehörte einer Population aus etwa 10 000 Individuen an, war also „keine einsame Eva“. Richard Leakey bestätigte 1999, dass der moderne Homo sapiens „als singuläres evolutionäres Ereignis irgendwo in Afrika“ entstand. (Leakey 1999, 133-336) Inzwischen gibt es kaum noch Zweifel, dass aus der mtDNS der „Eva der Mitochondrien“ alle heute lebenden Menschen hervorgegangen sind. (Ingman 2000) Mitochondriale DNS (mtDNS) ist die doppelsträngige DNS im Inneren (Matrix) der Mitochondrien. Es handelt sich um Organellen, die man oft zu Zentausenden in allen Zellen höherer Lebewesen findet. Bei der Befruchtung gibt nur die Mutter dem Kind die Mitochondrien weiter; deren Übertragung ist also rein matrilinearen Typs. Ein Mitochondrium besitzt zahlreiche Kopien eines einzigen Chromosoms. Die Mitochondrien sind Bakterien, die vor einer Milliarde Jahren oder noch früher eine Symbiose mit Eukaryotischen Einzellern eingingen. Das MitochondrienChromosom besteht aus DNS, und zwar insgesamt aus 16 000 Nukleotiden, d. h. ungefähr dem 200 000sten Teil derjenigen, die in der Gesamtheit der KernChromosomen vorhanden sind. Die Weitergabe durch nur ein Elternteil vermeidet eine Schwierigkeit, mit der man bei der Untersuchung der Chromosomen des Zellkerns zu kämpfen hat, nämlich das Faktum, dass jedes Individuum einen Anteil von beiden Eltern erhält (mit Ausnahme des YChromosoms, dass nur von männlichen Individuen weitergegen und nur bei ihnen angetroffen wird). Beim Zellkern vermischen sich die vom Vater bzw. der Mutter kommenden Anteile und es kommt zu dem als Rekombination bekannten Phänomen, dem Austausch von Elementen beider Anteile, wenn diese an die nächste Generation weitergegeben werden. Bei den Mitochondrien ist das anders. Das Mitochondrien-Chromosom verhält sich wie ein genetisch starres Segment, und alle Gene, aus denen es besteht, werden als einheitlicher Block an die folgenden Generationen weitergegen. Vergleicht man verschiedene Individuen, so lässt sich aus den dabei
beobachteten Mutationen ein genealogischer Stammbaum der Individuen erstellen. (Cavalli-Sforza, Luici 1996, 98f.) Lange wurde die Hypothese der schwarzen Eva angezweifelt. Kritiker aus dem Forschungslager der Regionalisten meinten, die Theorie lasse sich weder anatomisch noch genetisch begründen. Die Analyse der mtDNS lege in Wirklichkeit ein Modell nahe, das kaum zu den Fakten e. Genetische Befunde seien fehlinterpretiert worden. (Thorne/Wolpoff 6/1992, 86f.) sco Cavalli-Sforza räumt ein, der Begriff „afrikanische Eva“ sei irreführend“, da er suggeriere, dass „unsere Art eine einzige Stammmutter“ gehabt habe. Das sei „eine Vorstellung, die den christlichen Fundamentalisten sehr entgegenkommt“ aber nicht stimmen müsse. (Cavalli-Sforza, sco 1994, 106) Luigi Luca Cavalli-Sforza sah keinerlei Beweis dafür, dass die „menschliche Population auf eine einzige Frau reduziert war, oder dass es zur Zeit der sogenannten Eva eine besonders niedrige Populationsdichte“ gab. (Cavalli-Sforza, Luici 1996, 100) Ungeachtet dessen gab es Versuche, das Alter der „Eva der Mitochondrien“ zu bestimmen. Dies wurde einerseits aufgrund der Zahl der Mutationen berechnet, die die Menschen von den Schimpansen trennen, und andrerseits aufgrund der Zahl derjenigen, die durchschnittlich Afrikaner von Nichtafrikanern trennt. Zwischen beiden besteht ein Verhältnis von etwa 26 zu ein. Kennt man die Zeit, zu der Menschen und Schimpansen sich trennten, also vor etwa fünf Millionen Jahren, so muss die der Trennung zwischen Afrikanern und Nichtafrikanern 26mal kleiner sein, Das ergibt ein Alter von 190 000 Jahren. Das Geburtsdatum der Frau fällt zeitlich nicht zusammen mit dem Datum der Trennung von afrikanischen und nichtafrikanischen Populationen. Ihre Geburt muss eine unbestimmte Zeitspanne vor der Trennung dieser Populationen gelegen haben. In der Tat liegt das Datum 190 000 Jahre für die Pseudo-Eva vor dem Datum von 100 000 Jahren, das nach den verfügbaren archäologischen Quellen den Zeitpunkt der Trennung von Afrikanern und Nichtafrikanern bezeichnet. (Cavalli-Sforza, Luici 1996, 100) Die Erblinien aller anderen urzeitlichen Frauen sind zwischenzeitlich ausgestorben. (Ingman u. a. 2000) Evas Partner, der „Ur-Adam“, der die Y-Chromosomen an seinen Sohn weitergab, lebte fast 200 000 Jahre vor Eva. Beide waren „mit Sicherheit kein Paar“. (Krause, Johannes 2019, Pos. 303). Der Adam des Y-Chromosoms bezeichnet jenen Mann, der mit allen zu einem bestimmten späteren Zeitpunkt lebenden Männern über eine ununterbrochene Abstammungslinie ausschließlich
männlicher Nachkommen verwandt ist. Ein „Adam des Y-Chromosoms“ ist also der gemeinsame Stammvater aller zu einem bestimmten Zeitpunkt lebenden Männer. Das Y-Chromosom rekombiniert über 95 Prozent seiner Länge nicht mit dem X-Chromosom. Die DNS aller Männer muss daher in diesem Bereich auf einen einzigen Vorfahren zurückgehen, also monophyletisch sein. Dieser Mann war zwar nicht der Urvater aller Menschen, aber er ist der historisch letzte Mann, der mit allen zu einem bestimmten Zeitpunkt lebenden Männern über eine ununterbrochene Linie ausschließlich männlicher Nachkommen verwandt ist. Dieser Mann vererbte sein Y-Chromosom weiter, aber im Laufe der Generationen kamen immer mehr Mutationen hinzu, so dass sich das Profil immer weiter veränderte. So entstanden Haplogruppen, an deren Anfang immer ein einziger Urvater steht, also der erste Mann, der diese Mutation trug.
Flucht vor der Dürre: Südafrika vor 165 000 bis 55 000 Jahren
Eine Folge der Dürre waren Wanderungsbewegungen innerhalb Afrikas. Richard Leakey sieht in frühesten Fossilien von Homo sapiens in Südafrika Belege für die „Wiege-Afrika-Hypothese“. (Leakey 1999, 123f.) Nach heute verbreiteter Überzeugung wanderten Nachkommen der „Eva-Gruppe“ sowohl nach Südafrika als auch nach Norden. (Ward/Kirschvink 2016) In Südafrika fand man Spuren von Homo sapiens aus der Phase des genetischen Flaschenhalses und der späteren Zeit, als sich die Populationen wieder erholt hatten. Es ist durchaus möglich, dass die frühen Bewohner von Pinnacle Point die Vorfahren aller heutigen Menschen sind und damit auf unserer Roten Linie liegen. Während Populationen in anderen Gegenden zugrunde gingen, fanden sie hier ausreichend Meeresfrüchte und kohlenhydratreiche Gewächse. Archäologen entdeckten Zeugnisse menschlicher Aktivitäten seit der Zeit vor 164 000 Jahren (Marean 2013, 44-53), darunter zweischneidige flache Spitzen, die wegen ihrer feinen Machart zur Stillbay-Kultur mit entwickelter innovativer Technologie zugerechnet werden. (Jacobs/Roberts 2013, 54-57) Andere Funde in Südafrika belegen, dass Homo sapiens vor 90 000 Jahren Knochenwerkzeuge benutzten, die Toten mit einer Zeremonie bestatteten und sich erster grafischer Symbole bedienten. (Palmer 2006, 45) In der BlombosHöhle fand man in 80 000 bis 70 000 Jahre alten Schichtungen eine Plakette aus Ockergestein mit einem geometrischen Muster. Es ist wohl das älteste symbolische Objekt der Welt (Tattersall 2008, XXII) und wird als „schlagender Beweis“ für die Höhe der geistigen Entwicklung der Menschen in der afrikanischen Mittleren Steinzeit gewertet. (Wong 2005, 38-46) „Unsere Art“, so Curtis W. Marean, „beherrschte moderne Kognition von Anfang an. Weil sich die Menschen in Südafrika mit Meeresfrüchten, Knollen und Wurzeln hochwertig ernährten, mussten sie nicht mehr als Nomaden umherziehen. Sie bekamen mehr Kinder. Die wachsenden Gruppengrößen „förderten symbolisches Verhalten wie auch komplexere Technologien“. (Marean 2013, 52f.) Diese Entwicklung wiederholte sich an anderen Stellen Südafrikas. In Diepkloof fand man eingeritzte Muster an Schalenstücke von 60 000 Jahre alten Straußeneiern. (Wong 2005, 38-46) Höhlenmalereien, Schmuck oder verzierte Werkzeuge kündeten von der
beginnenden Fähigkeit der Menschen zum symbolischen und abstrakten Denken. Viele Funde zeigen „Anzeichen für raffiniertes Verhalten“. Zweifellos, so Curtis W. Marean, spielte Intelligenz beim Überleben unserer Spezies eine entscheidende Rolle. (Marean 2013, 44f.) Die Nutzung des Meeres als Nahrungsquelle führte zur „Etablierung von Territorialität“. Wahrscheinlich stritten sich Gruppen „heftig und wiederholt um den exklusiven Zugang zu besonders günstigen Muschelbänken“. Der fortwährende gemeinsame Kampf gegen fremde Gruppen könnte „nach innen eine Selektion auf prosoziales Verhalten vorangetrieben haben“, zumindest aber die Bereitschaft, bei Auseinandersetzungen auch mit nicht verwandten Gruppenmitgliedern zu kooperieren. Damit war eine der Voraussetzungen erfüllt, die Homo sapiens später prädestinierten, die Erde zu erobern. (Marean 2016, 48-55) Die Vermutung liegt daher nahe, dass unsere Rote Linie über Vorfahren in Südafrika verlief.
Die Auswanderung von Homo sapiens aus Afrika vor 220 000 bis 45 000 Jahren
Exodus aus Afrika vor 220 000 bis 150 000 Jahren
Nicht nur in Afrika suchten Homo sapiens nach Regionen zum Überleben. Wann immer es möglich war, breiteten sie sich auch über Afrika hinaus aus. Sie wussten nichts von der heutigen Unterteilung der Kontinente, sondern folgten allein dem Nahrungsangebot und reagierten auf sich wechselndes Klima. Es gab auch keine Absprachen darüber, wann oder wohin man ziehen wollte. Die Gruppen folgten einfach den Tieren, von denen ihr Überleben abhing. Es gab auch nicht etwa den einen großen Exodus, vielmehr verließen permanent Menschen Afrika und kehrten dorthin zurück. Abhängig vom Klima kam es dabei auch zu regelrechten Auswanderungswellen. (Paál 2017) Die wichtigste Route verlief über die arabische Halbinsel. Hier wurden 190 000 Jahre alte Steinwerkzeuge gefunden. In der Misliya-Höhle am Westhang des Karmel-Gebirges entdeckte Israel Hershkovitz fossile Schädel- und Kieferfragmente eines frühen Homo sapiens, dessen Alter auf 194 000 bis 177 000 Jahre geschätzt wurde. Er verließ Afrika früher als bislang ange-nommen. (Paál 2017) Der Kiefer aus der Misliya-Höhle ist das älteste bislang gefundene Fossil eines modernen Menschen außerhalb Afrikas. Er verschiebt den Zeitraum ihrer Anwesenheit im Nahen Osten um 50 000 Jahre in die Vergangenheit. Misliya, so Rolf Quam, liefert den Beleg dafür, dass moderne Menschen früher aus Afrika auswanderten als bislang angenommen. Das Fossil bestätigt GenUntersuchungen, wonach es bereits vor rund 220 000 Jahren eine Auswanderungswelle gab. (Quam 2018)
Zusammentreffen von Homo neanderthalensis und Homo sapiens im Nahen Osten vor 145 000 bis 130 000 Jahren
Bevor Homo sapiens in das von Neandertalern besiedelte Europa gelangten, gab es so etwas wie einen Testlauf ihrer Beziehung. Die ältesten Funde von Homo sapiens außerhalb Afrikas sind 100 000 bis 90 000 Jahre alt und stammen aus den Höhlen Qafzeh und Skhul im Karmel-Gebirge im Norden Israels. (Leakey 1999, 123f.) In unmittelbarer Nachbarschaft, in der Höhle von Tabun und in Kebara, wohnten sowohl Neandertaler als auch Homo sapiens. (Schrenk 1997, 118f.) Unklar ist, ob sie dort Seite an Seite lebten. Nachgewiesen ist lediglich, dass im Moustérien keine der Menschenform die andere verdrängte. (Tattersall 1999, 198) Die Fossilien von Homo sapiens sind 40 000 Jahre älter als die dort ebenfalls gefundenen Knochen von Neandertalern. Demnach konnten die „Neandertaler nicht die Vorväter der heutigen Menschen“ sein, wie die Befürworter der Hypothese einer multiregionalen Evolution annehmen. (Leakey 1999, 119f.) Auffällig ist, dass Homo sapiens und Neandertaler im Nahen Osten mehr als 60.000 Jahre lang einen ähnlichen Lebensstil pflegten. Ihre Geräte waren von mittelpaläolithischer Art und nach dem Levallois-Konzept angefertigt. (Richter, J. 2018, 188) Beide Populationen gehörten dem Moustérien an, der Kulturepoche der mittleren Altsteinzeit. (Picq 2003) Die Tatsache, dass anatomisch moderne Menschen im Nahen Osten Werkzeuge wie im Moustérien herstellten und nicht die vielfältigen und neuartigen Werkzeuge des Jungpaläolithikums, zeigt, dass „sie nur in ihrem Erscheinungsbild, nicht in ihrem Verhalten modern waren“. (Leakey 1999, 130) Einige Forscher weisen darauf hin, dass es so gut wie keine Anzeichen gab, dass sie sich mit Neandertalern genetisch mischten. (Allen/Cann 6/1992, 79) Vereinzelt kam es aber wohl doch zu hybridem Nachwuchs. (Christian 2018, 205f.) Möglicherweise bestand die Koexistenz beide Populationen nur scheinbar, weil sie die Region abwechselnd bevölkerten. Vielleicht konnten sie hier aber auch deswegen nebeneinander leben, weil Homo sapiens noch nicht auf dem geistigkulturellen Niveau stand wie nach seiner späteren kulturellen Revolution in Europa. Anatomisch gesehen repräsentierten sie zwar den modernen Menschen, doch moderne Denk- und Verhaltensmuster erwarben sie erst später.
(Leakey 1999, 133-135)
Die Auswanderung vor 130 000 bis 115 000 Jahren
Eine zweite Auswanderungswelle setzte vor 130 000 Jahren ein. Da eine neue Eiszeit auch in Afrika Temperaturen und Niederschlagsmengen schwanken ließ, war ein Überleben von Homo sapiens im nördlichen Eurasien „mit der kulturellen Ausstattung des Altpaläolithikums“ nicht möglich. Es ist davon auszugehen, dass es wegen der Kaltzeiten zu Rückwanderungen nach Afrika kam. (Richter, J. 2018, 56-58) Inwieweit auch Neandertaler nach Afrika zogen, ist unbekannt. Homo sapiens siedelten jedenfalls auch südlich der Sahara. Im Omo-Tal in Äthiopien fand man 130 000 Jahre alte Fossilien moderner Menschen. (Bräuer 2003, 38) Während der Eem-Warmzeit vor 126 000 bis 115 000 Jahren kam es erneut zu Wanderungen. Laubwälder bedeckten Mitteleuropa. Elefanten und Nashörner breiteten sich bis nach England aus. (Richter, J. 2018, 138 u. 190) Genau weiß man nicht, wann die Wanderungen begannen; es könnte auch vor 120 000 Jahren gewesen sein. (Rötzer 2017) Die Route führte durch die heutige Bab al-Mandab-Straße am Roten Meer zur Arabischen Halbinsel. Dabei musste ein Seeweg zwischen vier oder fünf Kilometern überwunden werden. (Storch/Welsch/Wink 2013, 150f., 502f.) Neue Forschungsergebnisse zeigen, dass Seewanderungen aus Nordafrika lange vor der Ära der Seefahrerzivilisationen des östlichen Mittelmeers begannen und in mehreren Teilen des Mittelmeers stattfanden. (Pinhasi 2020)
Homo sapiens in Asien und Australien vor 70 000 bis 60 000 Jahren
Genetische Forschungen zeigen, dass alle heute außerhalb Afrikas lebenden Menschen auf Vorfahren zurückgehen, die vor 70 000 bis 50 000 Jahren Afrika verließen. (Richter, J. 2018, 183) Die letzten gemeinsamen Ahnen der NichtAfrikaner lebten vor etwa 50 000 Jahren. Einzelne Gruppen verließen Afrika jedoch schon früher. (Besiedlung Europas 2016) Die Expansion setzte ein starkes Bevölkerungswachstum voraus, sonst hätte die Ausbreitung zu einer drastischen Verminderung der Populationsdichte geführt. Eine solche Verdünnung der Population lässt sich aber nicht nachweisen, vielmehr war die Expansion begleitet von einem Bevölkerungswachstum. (Cavalli-Sforza, Luici 1996, 106) Archaische Homo sapiens breiteten sich über Eurasien auch auf den indischen Subkontinent aus. (Petraglia 2011, 16-18) Sie zogen entlang der Küsten bis zum südöstlichen Teil Asiens. (Cavalli-Sforza, Luici 1996, 80) Hinweise auf die Besiedlung Sibiriens durch Homo sapiens wurden im Altai-Sayan-Gebirge und in der Region des Baikalsees gefunden. Südsibirien war das Tor nach Nordostasien und in die Neue Welt. (Jeong/Balanovsky/Krause 2019, 966-976) Beim Auszug aus Afrika teilten sich die Roten Linien der Afrikaner, Europäer, Asiaten und Australier teils vorübergehend, teils andauernd. Jane Qiu meint, Homo sapiens habe Asien bereits vor 70 000 und Tibet bereits vor 60 000 Jahren erreicht. (Qiu 2017) In mehreren Migrationswellen breitete sich Homo sapiens jedenfalls in Asien und Australien sehr viel eher aus als in Europa. (Besiedlung Europas 2016) Wann genau moderne Menschen Australien erreichten, ist strittig. Das Skelett vom Mungo Man, dem ältesten Fossil eines Homo sapiens in Australien, wird auf 40 000 Jahre geschätzt. Genetische Untersuchungen zeigen, dass die Aborigines von Populationen abstammen, die vor 70 000 Jahren Afrika verließen. (Wie der Mensch die Welt eroberte. ZDF, Teil 2 vom 22.7.2013) Nach Erkenntnissen australischer Forscher lebten moderne Menschen in Nordaustralien vor 65 000 Jahren. (Marean 2017) Andere Wissenschaftler meinen, Homo sapiens habe Neuguinea und Australien vor 52 000 Jahren erreicht. (Langaney/Clottes/Guilaine/Simonnet 2000) Nach Alan Cooper wanderten die Vorfahren der Aborigines vor 50 000 Jahren in einer einzigen Gruppe nach Australien ein, als Neuguinea noch über eine Landbrücke mit dem Vorläufer-Kontinent Sahul verbunden war. (Dönges 2017b) Tasmanien wurde
vor etwa 40 000 Jahren erreicht, ebenfalls über eine damals noch vorhandene Landbrücke. (Marean 2016, 48-55)
Besiedlung Sibiriens und Westeurasiens vor 46 000 Jahren
Heute weiß man, dass Populationen von Homo sapiens nicht nur direkt nach Europa zogen, sondern auch über den eurasischen Raum. (Besiedlung Europas 2016) In West- und Südsibirien lebten seit der Zeit vor 46 000 Jahren einige wenige Populationen aus Gruppen von hundert oder wenigen tausend Menschen. Alle Bevölkerungsgruppen weisen auf „eine umfassende und zutiefst komplizierte Beimischung“ hin. Die Abstammungslinien lassen sich auf mehrere Ahnenquellen zurückführen. Besonders vielfältig ist der mtDNS-Pool der Südsibirier. Die meisten Bevölkerungsgruppen Sibiriens, auch jene, die weiter nördlich siedelten, hatten einen südlichen Ursprung. Die europäische Abstammung ist eine der ältesten Komponenten der Beimischungsgeschichte der sibirischen Bevölkerung. (Jeong/Balanovsky/Krause 2019, 966-976) Es gab eine genetische Verwandtschaft zwischen den Völkern der eurasischen Waldtundra, der Wald- und südlichen Steppe. (Bading 2019) Ein Fund in der Bacho-Kiro-Höhle in Bulgarien zeigt, dass Homo sapiens hier vor 45 000 Jahren lebte. Die Entdeckung dokumentiert den frühesten bekannten Homo sapiens aus dem Jungpaläolithikum und verschiebt den Beginn dieses bedeutenden kulturellen Übergangs in Europa in die Vergangenheit. Die Steinwerkzeuge am Fundort „verbinden die Bacho-Kiro-Höhle mit Funden in ganz Eurasien, bis in die Mongolei im Osten“. Homo sapiens bewohnte die Höhle vor 45 820 bis 43 650 Jahren, möglicherweise sogar bereits vor 46 940 Jahren. Bis jetzt, so Nikolay Sirakov, wurde das Aurignacien als Beginn des Jungpaläolithikums in Europa angesehen, aber die Bacho-Kiro-Höhle ergänzt Stätten in Westeurasien, an denen eine frühe Präsenz des Homo sapiens nachweisbar sind. Das IUP in der Bacho-Kiro-Höhle ist das früheste bekannte in Europa. IUP ist die Abkürzung für „Intrinsisch unstrukturierte Proteine“ mit keiner definierten dreidimensionalen Struktur. Sie helfen in der Archäologie bei der Alterstbestimmung von Fossilien. Nach Meinung von Tsenka Tsanova haben die IUP ihren Ursprung in Südwestasien. Forscher fanden sie an verschiedenen Orten, von Bulgarien bis in die Mongolei. Die Funde zeigen, dass sich Homo sapiens rasch über Eurasien ausbreiteten, wo er auf bestehende archaische Populationen von Neandertalern und Denisovanern traf, „sie beeinflusste und
schließlich ersetzte“. (Ältester Homo sapiens Europas 2020)
Hybridisierungen von Neandertalern und Homo sapiens in Westasien und Osteuropa
Bislang fokussiert die Forschung vor allem auf die Einwanderung von Homo sapiens aus Afrika über den Nahen Osten nach Süd-, West- und Mitteleuropa. Heute weiß man, dass es nicht nur diese eine Rote Linie unserer Evolution gab, die selbst schon parallele Varianten aufweist. Eine andere Linie verlief über Osteuropa und Westsibirien, wo Homo sapiens ebenfalls auf Neandertaler traf, die im Gebiet östlich des Kaspischen Meeres lebten. (Cavalli-Sforza 1994, 81, 95) Wie in Westeuropa mischten sich moderne Menschen in Osteuropa bzw. Westasien mit dort lebenden Neandertalern. Dabei besiedelten bis vor 45 000 Jahren entstandene Populationen Europa von Norden und Osten her. Der „Mann aus Ust`-Ishim“ lebte vor 45 000 Jahren in Westsibirien. Er war das Ergebnis einer Vermischung von Homo sapiens mit Neandertalern. Etwa zwei Prozent seiner Gene entstammten von ihnen. Zur Vermischung kam es vor 58 000 bis 52 000 Jahren. Sein Schädel weist die anatomischen Merkmale einer Hybriden aus Neandertaler und Homo sapiens auf. Seine Form ist derjenigen sehr ähnlich, die man bei den Fossilien der Homo sapiens findet, die in Europa vor 29 000 bis 14 000 lebten. Das Genom eines Homo sapiens, der vor 37.000 Jahren in Kostenki am Don lebte, enthält die älteste jemals sequenzierte DNS eines Homo sapiens, in der auch ein kleiner Prozentsatz Neandertaler-DNS gefunden wurde. Auch in der Altai-Region scheinen Homo sapiens und Neandertaler koexistiert zu haben (Jeong/Balanovsky/Krause 2019, 966-976) Als moderne Menschen vor 43 500 Jahren nach Europa kamen, waren sie zum Teil „bereits das Produkt mehrere Hybridisierungen von Neandertalern und Homo sapiens im Vorderen Orient und in Westasien“. (Condemi/Savatier 2020, 197-200)
Out-of-Africa-Hypothese versus Multiregionale Hypothese
Es kann kaum verwundern, dass hinsichtlich unseres Ursprungs konträre Meinungen aufeinanderprallen. In Europa betrifft dies unter anderen die Frage, ob und in welchem Maße wir auch von Neandertalern abstammen. Dabei geht es darum, aus dem „bunten Gemisch“ anatomischer Formen ein „evolutionäres Muster zu konstruieren, das die Entstehung der Anatomie und des Verhaltens des heutigen Menschen beschreibt“. Dazu gibt es, so Richard Leakey, „zwei höchst unterschiedliche Modelle“, die „kaum gegensätzlicher“, (Leakey 1999, 116-121) und Folgerungen, die „nicht tiefgreifender“ sein könnten. (Benton 2007, 411) Kern des Streits ist die Frage, ob der moderne Mensch vor rund 200 000 Jahren in Afrika entstand, sich vor 100 000 Jahren innerhalb weniger zehntausend Jahre über die Erde ausbreitete und alle älteren Populationen vollständig verdrängte, oder ob sich alteingesessene Menschheitsgruppen in ihren Regionen eigenständig zum Homo sapiens entwickelten, wobei sie sich mit neueren Populationen vermischten, die aus Afrika einwanderten. Während die Anhänger der Out-of-Africa-Modelle die grundsätzlichen Unterschiede zwischen modernen Menschen und älteren Menschenformen betonen, verweisen die Multiregionalisten auf regionale Kontinuitäten über die Sapiensschwelle hinaus. In morphologisch-statistischen Analysen zeige sich, so Andreas Vonderach, „tatsächlich ein großer Abstand aller Homo sapiens sapiensFunde von den früheren Menschenformen Eurasiens“. Am deutlichsten sei die regionale Kontinuität in Ost- und Südostasien zu erkennen. (Vonderach 2008, 54) Angesichts neuer Erkenntnisse der Gen-Forschung setzt sich mehr und mehr das Out-of Afrika-Modell durch. Die mitochondriale DNS (mtDNS) aller Menschen, egal ob sie in Asien, Australien oder Europa siedelten, weist eine hohe Ähnlichkeit auf, so dass es trotz offener Fragen kaum noch Zweifel an der Outof-Africa-Hypothese und am einheitlichen Ursprung in Afrika gibt. (Storch/Welsch/Wink 2013, 499) Von den drei Milliarden Nukleotiden unserer DNS stimmen 99,9 Prozent überein. (Stix 2009, 60) Auch die ältesten Linien von Y-Chromosomen weisen auf einem afrikanischen Ursprung hin. Somit geht die Geschichte heute lebender, „moderner“ Männer auf afrikanische Vorfahren
zurück. (Schrenk 1997, 116f.) Das „Ein-Ursprungs-Modell“, wie die Out-ofAfrica-Hypothese auch genannt wird, wurde mehrfach bestätigt und das Modell des multiregionalen Ursprungs des Homo sapiens „endgültig als falsch“ zurückgewiesen. (Benton 2007, 411) Selbst in China, wo bislang Homo erectus als Vorfahr des Peking-Menschen galt, geben sich Vertreter der Multiregionalismus-Hypothese geschlagen. Öffentlich bestätigte der hochrangige Vertreter der Multiregionalismus-Hypothese Jin Linie von der Universität Schanghai, dass auch die Chinesen vor afrikanischen Einwanderern abstammen und mit allen Menschen auf der Erde eng verwandt sind. (Wie der Mensch die Welt eroberte, Teil 3, ZDF vom 22.7.2013) Die GenForschung lässt kaum Zweifel daran, dass „die Hypothese von der multiregionalen Evolution sich wohl kaum bewahrheiten dürfte“. Tatsache sei, dass „Horden von modernen Homo sapiens“ aus Afrika auswanderten und sich in der übrigen Alten Welt ausbreiteten, „wo sie die dort lebenden prämodernen Populationen verdrängten“. (Leakey 1999, 119f., 135f.) Bei einigen Aspekten sind sich Befürworter wie Gegner des Multiregionalen Modells jedoch einig. Ein wichtiges Argument der Vertreter der Multiregionalismus-Hypothese ist die „regionale Kontinuität in der Evolution etlicher Skelettmerkmale von den frühesten menschlichen Populationen zu den heutigen Bevölkerungen“. (Thorne/Wolpoff 6/1992, 85) Auch Forscher im Lager der Out-of-africaHypothese stimmen zu, dass sich Homo sapiens bei ihrer Ausbreitung mit den ansässigen archaischen Bevölkerungen kreuzten und Genfluss stattfand. (Bräuer 2003, 38) Günter Bräuer geht zwar von einem afrikanischen Ursprung des Homo sapiens mit Expansion nach Eurasien aus, bestätigt aber Vermischungen zwischen dortigen Neandertalern und Homo erectus. (Vonderach 2008, 53f.) Im Zuge der Ausbreitung sei es, so auch Richard Leaky, „bis zu einem gewissen Grad zu einer Vermischung mit den bereits existierenden prämodernen Menschen“ gekommen, die sich in vielen verschiedenen Populationen überall „in kleinen Wellen“ fortsetzte. (Leakey 1999, 116, 130-133) Die Theorie der Multiregionalität entwickelte sich dadurch zum Assimilationsmodell weiter. Die Rede war nun davon, dass Homo sapiens auf ihrem Zug von Afrika nach Eurasien auf Humanpopulationen in allen Teilen der Alten Welt trafen. Diese wären den Sapiens-Einwanderern genetisch nahe genug gewesen, um sich mit ihnen zu vermischen. Demnach wären die verschiedenen Typen des modernen Menschen das Ergebnis der Verbindung der aus Afrika kommenden Spezies des Homo sapiens mit den Menschenformen, denen sie auf ihrem Weg begegneten. Für Europa würde diese Version des
Assimilationsmodells bedeuten, dass „die Europäer Abkömmlinge sowohl der Neandertaler als auch des Homo sapiens sind“. (Condemi/Savatier 2020, 191f.) Yuval Noah Harari beschreibt ein Gegenüber von Vermischungs- und Verdrängungshypothese. Die Verdrängungshypothese spricht demnach von Unverträglichkeit, gegenseitiger Ablehnung und Völkermord. Demnach fanden die Afrikaner „die alteingesessenen Menschen alles andere als attraktiv“. Homo Sapiens und Neandertaler unterschieden sich nicht nur hinsichtlich ihres Körperbaus, sondern auch hinsichtlich ihres Paarungsverhaltens und ihres Körpergeruchs. „Selbst, wenn ein Neandertaler-Romeo und eine Sapiens-Julia sich unsterblich ineinander verliebt hätten, oder wenn ein Sapiens-Pascha sich einen Harem von Neandertaler-Frauen gehalten hätte, dann wären ihre Kinder vermutlich unfruchtbar gewesen.“ Der genetische Graben zwischen beiden Arten sei bereits zu groß gewesen. Möglicherweise „schlachteten die Einwanderer ihre fremd aussehenden Konkurrenten ganz einfach ab“. Die Vermischungshypothese erzählt hingegen „eine pikante Geschichte von gegenseitiger Anziehung, Vermischung und Sex“. Nach dieser Theorie, „trieben es die afrikanischen Migranten auf ihren Wanderungen mit allen, die ihnen über den Weg liefen. Daher verdankten die verschiedenen Gruppen von Homo sapiens in aller Welt ihre Gene und damit ihre körperlichen und geistigen Eigenschaften zum Teil auch den Angehörigen älterer Menschenarten.“ Homo Sapiens und Neandertaler kreuzten sich, bis beide Arten ineinander aufgingen. Nach dieser Theorie verschwanden die Neandertaler nicht, vielmehr tragen heutige Europäer und Asiaten ihn genetisch in sich. In der Diskussion zwischen beiden Hypothesen steht mach Meinung von Yuval Noah Harari „einiges auf dem Spiel“. Stimme die Verdrängungshypothese, hätten „alle Menschen mehr oder weniger dasselbe genetische Material und die Unterschiede zwischen den verschiedenen ethnischen Gruppen von heute sind vernachlässigbar“. Stimme hingegen die Vermischungshypothese, könnte es zwischen Afrikanern, Europäern und Asiaten beachtliche genetische Unterschiede geben, die Hundertausende von Jahren zurückreichen. „Rassisten würden es sicher gern hören, dass Indonesier einmalige floresiensis-Gene mitbringen und Chinesen klar unterscheidbare erectus-Gene.“ Da de Beweislage unklar sei, neige sich die Expertenmeinung mit jeder neuen Entdeckung und jedem neuen Experiment „mal zu der einen und mal zu der anderen Hypothese“. In den vergangenen Jahrzehnten sei die Forschung von der
Verdrängungshypothese beherrscht gewesen. Sie schien durch archäologische Beweise untermauert zu werden und „vor allem war sie politisch korrekt“. Die Wissenschaftler hatten demnach kein Interesse daran, „ein rassistisches Fass aufzumachen und von großen genetischen Unterschieden unter den modernen Menschen zu sprechen“. Das änderte sich jedoch im Jahr 2010, als nach vierjähriger Arbeit Teile des Neandertalergenoms entschlüsselt worden waren. Genforscher hatten ausreichende Mengen von intaktem Erbgut aus den Fossilien von Neandertalern gesammelt, um einen Vergleich zwischen modernen Menschen und ihren stämmigen Vorläufern anstellen zu können.“ (Harari 2015, 25-27) Seitdem gibt es Streit, ob wegen der Unterschied-lichkeit der Menschen von Rassen gesprochen werden sollte oder nicht. (Schär 2018)
19. Neandertaler (Homo neanderthalensis) in Eurasien
Die Neandertaler vor der Besiedlung Eurasiens durch Homo sapiens
Im Streit geht es auch darum, welche Rolle Homo neanderthalensis bei der Evolution zum heutigen Menschen spielte. Läuft unsere Rote Linie über ihn oder handelt es sich um eine gänzlich andere Menschenart? Werfen wir zunächst einen Blick auf die Zeit vor der Migration von Homo sapiens nach Eurasien vor ca. 45 000 Jahren. Laut Harald Haarmann gab es vor der Ankunft des modernen Menschen in Europa drei Spezies des Frühmenschen, den älteren Homo erectus, den Homo heidelbergensis und den Homo neanderthalensis. Der moderne Mensch sei nur noch auf den späten Neandertaler gestoßen. Seine Vorgänger waren bereits ausgestorben. (Haarmann 2019, 15) Das erste Skelett, das 1856 in Deutschland gefunden wurde, war pathologisch deformiert. Es wurde nach seinem Fundort Neandertaler benannt und prägte die Vorstellungen vom Höhlenmenschen, der grobschlächtig sowie haarig war und nur über wenig Verstand verfügte. Angeblich verständigten Neandertaler sich mit Grunzlauten, bissen rohes Fleisch von den Knochen und zogen ihre Frauen an den Haaren hinter sich her. (Benton 2007, 401) Zum Bild des „minderbemittelten Affenmenschen“ trug auch ein in La Chapelle-aux-Saints gefundenes Skelett bei. Die Fossilien stammen von einem älteren Mann, der an Knochendeformationen litt. (Wong 2018b, 56f.) Friedrich Mayer behauptete noch im späten 19. Jahrhunderts, die Skelettreste stammten von einem „rachitischen Kosaken“, der von seinen Kameraden davongekrochen sei, um allein zu sterben. (Zit. b. Dredge 1994, 225) Die Neandertaler waren untersetzt, muskulös, hatten robuste Knochen und kurze Extremitäten. Ihre Schädel waren flach, die Überaugenwülste traten deutlich hervor. Ihre Hirnkapazität betrug 1 350 bis 1 750 Kubikzentimeter und lag damit im Variationsbereich heutiger Menschen. Ob ein rasierter Neandertaler in moderner Kleidung auf einer belebten Straße in der Stadt auffallen würde, ist laut Michael J. Benton schwer zu sagen. (Benton 2007, 408) Auch gab es Merkmalsunterschiede zwischen europäischen und nahöstlichen Populationen. Bei einigen osteuropäischen und nahöstlichen Gruppen waren die typischen Neandertalermerkmale weniger stark ausgeprägt. (Vonderach 2008, 50) Was wissen wir heute über das Leben der Neandertaler? Bekannt ist, dass sie
hunderttausende Jahre die Bedingungen wechselnder Kalt- und Warmzeiten überlebten. Sie bewohnten Höhlen, Felsvorsprünge sowie zeltartige Behausungen, jagten mit Lanzen und Wurfspeeren große Säuger, nutzten Feuer und führten kultische Rituale durch. War es warm, standen Waldelefanten oder Flusspferde auf dem Speiseplan, wurde es kälter, Mammuts, Bisons und Rentiere. Sie ernährten sich fast ausschließlich von Fleisch, das nur hin und wieder durch Wurzeln ergänzt wurde. (Bojs 2018, 54) Sie aßen auch Menschen. In der Krajina-Höhle in Kroatien zeugen von Feuer angesengte und bei der Gewinnung von Mark aufgeschlagene Menschenknochen von Kannibalismus. Auch in der Grotte El Sidrón im Hochland von Asturien fanden sich versteinerte Überreste von Neandertalern, die hier vor 43 000 Jahren wohnten und auch ihresgleichen verzehrten. (Hall 2008, 140) Das Leben der Neandertaler war von Krankheit und Tod geprägt. Infektionen setzten ihnen zu. Skelette weisen Verletzungen und Wucherungen auf. Schwerkranke Neandertaler wurden jedoch offenbar versorgt. Die Lebenserwartung lag bei maximal 40 Jahren, und es herrschte eine hohe Kindersterblichkeit. Unterernährung war die Regel. (Condemi/Savatier 2020, 173) Tote wurden mit Beigaben für ein Leben danach bestattet. (Stanley 2001, 626f.) In Le Moustier fand man Fossilien eines Jugendlichen, der mit einem Kissen aus Feuersteinen und einer schön geformten Axt beigesetzt wurde. (Benton 2007, 408f.) Funde belegen mystische Vorstellungen und Tänze. Ulrich Lüke meint, beim Neandertaler fände sich die „Projektion von übersinnlichen Kräften auf Tiere, die als Totem-Tiere verehrt wurden“. Schädelbeisetzungen von Bären deuteten demnach auf entsprechende Bärenkulte hin. Sie werden öfters als Primitialopfer und die Höhlen als altpaläolithische Kultstätten gedeutet. Diese Opfer bestanden aus einer ihrer Gottheit dargebrachten Gaben der aktuellen Beute. (Lüke 2014, 217) Archäologen teilen das Mittelpaläolithikum in das Moustérien mit westeuropäischem und das Micoquien mit mitteleuropäischem Verbreitungschwerpunkt ein. Moustérien bezeichnet eine Abschlagindustrie bei Faustkeilen. (Richter, J. 2018, 120f.) Die ältesten Werkzeuge sind 200 000 Jahre alt und überlappen sich mit späteren Industrien wie dem Aurignacien. Moustérien-Artefakte wurden überall dort gefunden worden, wo auch die Acheuléen-Kultur verbreitet war. Haupthersteller waren Neandertaler. Sie fertigten Werkzeuge sowie Pfeilspitzen, Beile und Schaber aus Holz, Knochen
und Steinen. (Coppens 2011a) Nach neueren Forschungen kannten Neandertaler vor rund 200 000 Jahren ein Rezept zur Herstellung eines Kunststoffs, ein aus Rinde erzeugtes Birkenpech. (Patrick Schmidt 2020, 78-84) Sie waren lange vor Kontakten mit Homo sapiens in der Lage, ästhetisch zu empfinden und abstrakt zu denken. Ein in der Bruniquel-Höhle verstecktes Bauwerk aus Stalagmiten wird entsprechend interpretiert. Es entstand vor 176 000 Jahren. Funde in Frankreich und Italien zeigen, dass vor 90 000 Jahren symbolhaft Adlerkrallen verwendet wurden. (Wong 2018b, 56f.) Die älteste figürliche Steinzeitkunst, ein Tierbild aus der spanischen Höhle La Pasiega, ist rund 65 000 Jahre alt und stammt von Neandertalern. Höhlenwände mit in rotem Ocker aufgebrachten Formen und Figuren zeigen Striche, eine Reihe von Punkten und Negativabdrücke von Händen. (SdW 1 2019, 8 u. 4 2010) Durchbohrte Tierknochen und rote Farbe wurden in Gräbern in La ChapelleauxSaints, in La Quina, in Quafzeh in Israel und in Bocksteinschmiede im Lonetal gefunden. (Probst 1991, 38) In der Gorham-Höhle im Küstengebirge von Gibraltar deuten Ritzmuster und die Verwendung von Vogelfedern als Schmuck auf Kunstfertigkeit hin. Auch in der Grotta di Fumane in Venetien fand man entsprechende Hinweise. Ein Schneckengehäuse wurde hier vor 47 600 Jahren rot gefärbt, auf einen Faden gezogen und als Anhänger getragen. Auch Schalen von Meeresmuscheln aus der Cueva de los Aviones und der Cueva Antón in Südostspanien weisen Reste von Farbpigmenten auf. (Wong 2 2018, 56f.) Dank einer wachsenden Zahl an Funden änderte sich angesichts künstlerischer Fähigkeiten der Neandertaler deren Bewertung. Früher dachte man „wenig schmeichelhaft“, sie hätten weder Kunst noch Symbolik gekannt. (Wong 2018b, 56f.) Noch 1991 war Stephen Jay Gould überzeugt, dass Eiszeit-Kunst wie Höhlenmalereien, Venusstatuen, Pferdekopfschnitzereien oder RentierFlachreliefs, alles „ein Werk unserer Art“ war. (Gould 1991, 361f.) Inzwischen weiß man es besser. In der Grotte du Renne, einer der Arcy-sur-Cure-Höhlen, fanden Wissenschaftler neben Neandertaler-Fossilien Körperschmuck und verzierte Objekte. Sie gehörten zur Kultur des Châtelperronien, die auch von anderen französischen Fundorten, vom Kantabrischen Gebirge in Nordspanien und aus den Pyrenäen bekannt ist. (Errico/Zilhão 2000, 46f.) Seit den Funden „avancierte die französische Höhle zum zentralen Beweisstück der Vertreter einer Gleichstellung vom modernem Menschen und Neandertaler“. (Appenzeller, 2013, 19) Die Zuordnung der Kultur des Châtelperronien ist allerdings schwierig, gilt sie doch als eine Mischform von Neandertalern und
Homo sapiens. Kontrovers diskutiert wird auch die Frage, ob Neandertaler sprechen konnten. Laut Ernst Probst besaßen sie keine Sprache. (Probst 1986, 360) Auch Niles Eldrege geht davon aus, dass es ihnen ihre Anatomie unmöglich machte, eine Vielfalt von Lauten zu bilden. (Eldredge 1994, 250f.) Douglas Palmer meint, sie konnten zwar sprechen, ihre Sprache sei aber „nicht sehr komplex“ gewesen. (Palmer 2006, 42) Sie sprachen, so Ian Tattersall, „in einem allgemeinen Sinn“, kannten aber keine Sprache in der heutigen Form. (Tattersall 2002, 56) Nicht nur Vertreter der Regionalismus-Hypothese gehen inzwischen von einer voll entwickelten Sprachfähigkeit aus, sehen sie in den Neandertalern doch unsere Vorfahren. (Auffermann/Orschiedt 2006, 104) Ulrich Lüke deutet ein fossiles Zungenbein aus der Kebara-Höhle in Israel als Hinweis auf Sprachfähigkeit. (Lüke 2014, 215f.) Yuval Noah Harari meint, die Besonderheit der Sprache des Homo sapiens gegenüber der des Neandertalers sei es nicht allein gewesen, Informationen weiterzugeben, sondern sich über Dinge auszutauschen, „die es gar nicht gibt“. Nur Homo sapiens verfügte über die Fähigkeit zu spekulieren und Geschichten zu erfinden (Harari 2015, 37), womit er Poppers Meinung teilt, dass das „offene Universum“ durch die intellektuellen und künstlerischen Fähigkeiten des Menschen ein anderes geworden ist. Sind dabei auch entsprechende Fähigkeiten der Neandertaler berücksichtigt? Muss nicht nur wegen uns Homo sapiens auch wegen der Neandertaler und Denisovaner das Universum als offenes Universum mit kreativen Menschen gedeutet werden?
Die Koexistenz von Neandertalern und Homo sapiens
Vor rund 45 000 Jahren begann die finale Migration des afrikanischen Homo sapiens nach Eurasien und von dort über Asien nach Australien und Amerika. Trotz geringer Populationsdichte kam es in Eurasien immer häufiger zu Kontakten mit Neandertalern. Über die Art des Mit-, Neben- und Gegeneinanders gibt es vor allem Vermutungen. Neandertaler und Homo sapiens dürften nicht einmal ansatzweise geahnt haben, wen sie da vor sich hatten. Weder wussten sie, wo sie sich makrogeografisch befanden, noch dass verschiedene Menschenarten existierten. Die jeweils Anderen waren halt die kleinen Stämmigen und langen Dünnen. Vertreter beider Spezies wohnten auch gemeinsam in Gruppen. Fossilien aus der Vindija-Höhle zeigen, dass dort Neandertalern und Homo sapiens nebeneinander lebten. (Smith 2000, 48f.) Für Homo sapiens waren Neandertaler keine fremden Wesen. „Sie waren selbstverständlicher Bestandteil ihrer Welt und ihnen sicherlich nicht so fremd wie uns.“ (Auffermann/Orschiedt 2006, 142f.) Entscheidend dürfte es gewesen sein, ob sie zur eigenen, oder zu einer fremden feindlichen Gruppe gehörten. Kontakte führten zum kulturellen Austausch und lösten Innovationen aus. Wahrscheinlich ahmten nicht nur die Neandertaler „die erfindungsreichen Neuankömmlinge“ nach, vielmehr sorgten die Beziehung zwischen beiden Gruppen für „eine gegenseitige kulturelle Befruchtung“. (Wong 2019, S. 30-35) Radiokarbondatierungen bestätigen, dass Neandertaler Homo sapiens nachahmten. Von den Migranten inspiriert, begannen sie Schmuck, Schminke und Wurfpfeile zu benutzen. Bis heute, so Karin Bojs gibt es jedoch keine eindeutigen Beweise dafür, dass sie selbst Kunstwerke schufen oder Musikinstrumente verwendeten. „Vermutlich konnten sie nicht in gleichem Maße in Symbolen denken wie wir. Sie hatten zwar ganz offensichtlich ein Gefühl für Symmetrie, jedoch nicht für Kunst und Ästhetik nach unseren Maßstäben.“ (Bojs 2018, 52f., 57) Dennoch ist davon auszugehen, dass Neandertaler kulturell weiterentwickelter waren als bisher angenommen. (Picq 2003) Beide Populationen bestatteten ihre Toten rituell, nutzten Werkzeuge und erreichten zur selben Zeit die gleiche Kulturstufe. (Langaney/Clottes/Guilaine/Simonnet 2000) Objekte der Kleinstkunst von Neandertalern gab es vor der Besiedlung durch
Homo sapiens nicht. Trotzdem halten einige Forscher die Neandertaler für einen Motor der kulturellen Entwicklung. Gerd-Christian Weniger schließt das nicht aus, betont aber, dass so etwas „zum aktuellen Zeitpunkt keiner der Kollegen ernsthaft behaupten“ würde, schließlich wolle sich „niemand den Mund verbrennen“. (Weniger 2004, 22) Heutzutage, so David Frayer, bringe jeder neue Monat „erstaunliches zu Tage“. Jeder Fund zeige, dass „die Neandertaler nicht blöd waren, sondern ganz schön pfiffig“. Es bestehe, so Kate Wong, kein Zweifel, dass Funde von ihren „ausgeprägten mentalen Fähigkeiten zeugen“. Darunter befänden sich „beachtliche Kunstwerke und komplizierte Werkzeuge“. (Wongb 2018, 56f.) Vielleicht, so Jean-Jacques Hublin, tauschten sie gelegentlich Waren aus. Das würde erklären, warum Perlen der Neandertaler dem Schmuck moderner Menschen ähneln. Auch in der Waffentechnik schauten sie sich Neuerungen beim Homo sapiens ab, etwa die Nutzung von Pfeilen bei der Jagd. (Zit. b. Bojs 2018, 53f.)
Die mentale Überlegenheit von Homo sapiens
Die Neubewertung von Kunst und Kultur der Neandertaler lässt jedoch keine Zweifel an der generellen Überlegenheit von Homo sapiens in den verschiedensten Lebensbereichen. Sie waren den Neandertalern in der Werkzeugtechnik überlegen, nutzten die Ressourcen der Umwelt besser, die Form ihrer sozialen Organisation war komplexer, sie tradierten Sitten und Gebräuche, litten seltener unter Mangelernährung, Gelenkverschleiß und anderen Erkrankungen, ihr Skelett- und Muskelbau war weniger energieaufwendig, ihr schlankerer Körper bei Nahrungsknappheit vorteilhaft. Mit ihren feingliedrigeren Händen waren sie handwerklich geschickter. Die Kindersterblichkeit war geringer. Sie trugen dank moderner Waffentechnik weniger Verletzungen davon und lebten insgesamt weniger gefahrvoll. Sie verstanden sich mit genähter Kleidung sowie der Art ihrer Behausungen und Feuerstellen warm zu halten. Auch ihr wahrscheinlich besseres Vorstellungsvermögen und die stärkere Überlappung der Generationen mit entsprechend intensiverer Tradierung half ihnen, sich zu behaupten. (Bräuer 2003, 38f.) Neandertaler benötigten für die Fortbewegung 32 Prozent mehr Energie als Homo sapiens. Der tägliche Energiebedarf lag um 100 bis 350 Kalorien über dem von modernen Menschen. Diese waren auch überlegen, weil sie ihre Nahrung effizienter nutzten. Sie wurden älter und vermehrten sich schneller. Die Zahl moderner Menschen, die alt wurden und Enkel hatten, stieg vor etwa 30 000 Jahren steil an. Dank der längeren Lebenserwartung konnten sie mehr Spezialkenntnisse erwerben und an die nächste Generation weitergeben. Eine längere Lebensdauer schuf das Potenzial für größere soziale Netzwerke und einen größeren Wissensfundus. Bei den kurzlebigen Neandertalern gingen Kenntnisse häufig wieder verloren. (Wong 2009, 69-73)
Der Rückgang der Neandertaler-Bevölkerung
Homo sapiens kam vor 45 000 bis 43 000 Jahren über den Nahen Osten und Eurasien nach Europa. Letzte Gruppen von Neandertalern lebten vereinzelt noch bis vor 30 000 Jahren. Das heißt, dass beide Menschenarten rund 15 000 Jahre koexistierten. Das ist sieben- bis achtmal länger als die zwei Jahrtausende von der Zeitenwende bis heute. In geologischen Zeiträumen gerechnet, ist es ein Klacks, gemessen an unseren heutigen Maßstäben eine Ewigkeit. Von einer raschen Verdrängung, wie sie sich Anhänger der „Blitzkriegstheorie“ ausmalen, kann angesichts der Zeiträume keine Rede sein. (Wong 2009, 69-73) Aber auch ohne Gemetzel verschwanden die Neandertaler mehr und mehr. Berechnungen ergaben, dass schon eine um zwei Prozent höhere Sterblichkeit gereicht hätte, um sie aussterben zu lassen. (Bräuer 2003, 38f.) Übernommene Techniken verlängerten ihr Dasein zwar, dennoch waren sie „dem Untergang geweiht“. (Bojs 2018, 54) Der wichtigste Grund für für den Rückgang ihrer Populationen war die Spezialisierung auf die Jagd von Großwild, das durch Bejagung beider Menschenarten immer seltener wurde.
Populationsdichte von Homo sapiens und Neandertaler: Ein Vergleich
Das Verhältnis zwischen Homo sapiens und Neandertaler wurde auch durch deren Populationsdichte bestimmt. Als Homo sapiens nach Eurasien kam, traf man ihn eher selten. Seine Vertreter waren gering an Zahl und genetisch nicht sehr vielfältig. (Stix 2009, 64) Allerdings verzehnfachte sich die Population von Homo sapiens in der Zeit vor 55 000 bis 35 000 Jahren. (Storch/Welsch/Wink 2013, 498) Anders war der Trend bei den Neandertalern. Sie wiesen ebenfalls eine geringere Bevölkerungsdichte aus und lebten „an der Grenze zur Überlebensfähigkeit“. Es scheint wie ein Wunder, dass sie sich überhaupt fortpflanzten, begegneten sie sich doch kaum. Das Siedungsgebiet ihrer kleinen Populationen reichte von der nordwestlichen Atlantikküste bis „an die Pforten Asiens“. Die Gesamtzahl der Neandertaler lag bei höchstens 70 000 Individuen, das entsprach einer Siedlungsdichte von 0,02 Bewohnern pro Quadratkilometer. Durch ihre geringe genetische Vielfalt sank die Population in Kaltperioden unter 10 000 Individuen. Nur 300 Clans verloren sich in den zehn Millionen Quadratkilometern Europas. (Condemi/Savatier 2020, 174, 122f.)
Inzucht bei den Neandertalern
Eine Folge der geringen Besiedlungsdichte war Inzucht innerhalb der Gruppen. Die genetische Diversität war erheblich geringer als die von Homo sapiens, obwohl auch diese schon nicht sehr hoch war. (Condemi/Savatier 2020, 136f.) Es kam zu schädlichen Mutationen. (Krause, Johannes 2019, Pos. 584) Die Gruppen der Neandertaler waren „vor ihrem Ende massiv von Inzucht geprägt“. Das Fossil einer Neandertalerjungen in der Denisova-Höhle wies eine so geringe genetische Variation auf, dass seine Eltern Halbgeschwister gewesen sein oder zumindest einen ähnlichen Verwandtschaftsgrad gehabt haben müssen. Die Eltern waren bereits das „Resultat vieler Generationen von Inzucht in einer kleinen, in sich geschlossenen Gruppe“ gewesen. (Bojs 2018, 55) Die kurze mitochondriale DNS-Sequenz aus dem 100 000 Jahre alten Backenzahn eines Kindes aus der Höhle von Scladina in Belgien veranschaulicht die genetische Verarmung. Die Folge der „Erosion der Biodiversität“ war ein drastischer Bevölkerungsrückgang. (Condemi/Savatier 2020, 122f.)
Die Rolle des Klimas beim Aussterben
Inwieweit das kalte Klima zum Aussterben beitrug, ist umstritten, schließlich lebten moderne Menschen unter denselben Bedingungen, und die Neandertaler hatten bereits Jahrtausende der Kälte getrotzt. In der Zeit zwischen 50 000 und 30 000 Jahren gab es mindestens 20 Wechsel zwischen warmen Perioden und Eiszeiten. Dies stellte sowohl für Neandertaler wie für Homo sapiens eine erhebliche Belastung dar. (Auffermann/Orschiedt 2006, 142f.) Vor 43 000 Jahren wurde eine gemäßigte Klimaphase abrupt durch eine Kaltphase auf der nördlichen Halbkugel abgelöst. (Richter, J. 2018, 137) Die mit dem klimatischen Wandel verbundenen Wanderungsbewegungen führte zu Fluktuationen der einzelnen Gruppen. In den Kaltzeiten mieden sie die nördlichen Regionen, in den Warmphasen besiedelten sie diese erneut. Die Zuwanderung des Homo störte dieses Gefüge, was zum Abwandern von Neandertalern führte. Das Klima war jedoch nicht die alleinige Ursache für ihr Verschwinden. Schließlich starben die Neandertaler auch in den südlichen Regionen Eurasiens aus, wo es keine Gletscher gab. Die Neandertaler könnten durch Viren oder Bakterien getötet worden sein, die Homo sapiens eingeschleppt hatte. (Condemi/Savatier 2020, 173) Vergleichbar ist dies mit den Windpocken und anderen Epidemien der europäischen Invasoren, die in jüngster Vergangenheit indigenen Völkern z. B. in Amerika zum Verhängnis wurden. (Storch/Welsch/Wink 2013, 498) Allerdings geht es bei den Neandertalern um wesentlich größere Zeiträume.
War es ein Genozid? Die Rolle von Gewalt
Lange Zeit dominierten Vorstellungen einer friedlichen Koexistenz von Neandertalern und Homo sapiens. Inzwischen hat jedoch, so John Hands, „die Forschung frühere romantische Vorstellungen zerstreut, wonach die Jäger und Sammler wie im Garten Eden friedfertig und in Einklang mit der Natur lebten“ und nur zur Gewalt griffen, wenn sie verfolgt wurden. (Hands 2018, 628) Auch Bert Hölldobler meint, wir sollten „nicht zu romantisch“ sein. Es habe Gruppenselektion, mörderische Konflikte und Genozid zwischen konkurrierenden Gruppen gegeben. „Diskriminieren des Fremden, des nicht Dazugehörenden“ sei „in unserer Naturgeschichte tief verwurzelt“. (Hölldobler 2009, 414-416) Gewalt gab es nicht nur im Verhältnis zwischen Homo sapiens, sondern auch zwischen Gruppen der Neandertaler wie von Homo sapiens. (Condemi/Savatier 2020, 172f.) Die Wurzeln von Krieg und Völkermord reichen aber noch weitere hunderttausende Jahre bis zu unseren jagenden und sammelnden Urahnen zurück, wahrscheinlich sogar bis zu unseren gemeinsamen Vorfahren mit den Schimpansen. (Ferguson, R. Brian 2019, 83-87) Schon immer galt das Prinzip „fressen und gefressen werden“. Arten, die nicht in einem festen Revier, also eurytop leben, konkurrieren naturgemäß miteinander. (Eldredge 1994, 249f.) Die Tatsache, dass Homininen-Arten ausstarben, wann immer Homo sapiens Land und Ressourcen in Besitz nahmen, zeigt, „wie gefährlich wir sind“. (Christian 2018, 185) Angesichts der Art, wie Menschen mit fremden Bevölkerungen und Arten umgingen und immer noch umgehen, legt auch aus Sicht von Ian Tattersall die Vermutung nahe, dass „Begegnungen zwischen Homo neanderthalensis und Homo sapiens nicht sehr friedlich“ waren. (Tattersall 1999, 202) Wo immer moderne Menschen die Bühne betraten, waren die Neandertaler „zum Untergang verdammt“. Das Muster wiederholt sich an vielen Orten im Nahen Osten, im Kaukasus, in Sibirien und Europa. Die Neandertaler lebten dort Jahrtausende lang, „dann kamen wir und sie verschwanden“. (Bojs 2018, 50) Die Cro-Magnon-Menschen als früheste Vertreter von Homo sapiens in Europa hatten neben künstlerischen Fertigkeiten also auch militante „Schattenseiten“. Ihre Ankunft leitete nicht nur das Ende der Neandertaler ein, sondern auch das
Aussterben vieler Säugetierarten. (Tattersall 1999, 202) Noch gab es keine „moderne“ Kriege zwischen Völkern und Territorien. Die Menschen lebten als Sammler und Jäger in kleinen Familiengruppen und kämpften gegen andere Gruppen und Raubtiere ums Überleben. (Hands 2018, 654.) Wahrscheinlich spielte es überhaupt keine Rolle, ob gegnerische Gruppen sich aus Neandertalern oder modernen Menschen zusammensetzten. (Eldredge 1994, 252f.) Das Leben war ohnehin von Kampf und Gewalt geprägt. Steven A. LeBlanc fand in Ausgrabungsstätten Belege für gewaltsame Todesfälle bei Sammlern und Jägern und für das Erbeuten von Trophäen, besonders von Köpfen. Nach Meinung von Lawrene Keely waren Überfälle und Massaker in vorgeschichtlicher Zeit weitaus häufiger und forderten mehr Opfer als die Kriege, die heute zwischen Nationen geführt werden. (Zit. b. Hands 2018, 628f.) Möglicherweise bekämpften sich Gruppen so lange, bis die unterlegenen Neandertaler ausgestorben waren. (Langaney/Clottes/Guilaine/Simonnet 2000), 48f.) Glaubt man Ulrich Kutschera, dann wurden sie regelrecht „ausgerottet“. (Kutschera 2006, 125) Beispiele für Genozide sind seit mehreren Tausend Jahren überliefert, und erreichten mit dem Versuch eines Genozids der europäischen Juden durch die deutschen Nationalsozialisten im 20. Jahrhundert einen makabren Höhepunkt. Aber auch danach und bis heute gibt es immer wieder Massenmorde an fremden Ethnien. Die Verdrängung der Neandertaler könnte, so Niles Eldregde, „durchaus als ausgesprochene Vernichtung abgelaufen“ sein. (Eldredge 1994, 252f.) Auch Curtis W. Marean findet die Erklärung plausibel, wonach moderne Menschen die Neandertaler als Konkurrenz und Bedrohung wahrnahmen und sie töteten: „So hatte die Evolution sie gemacht.“ (Marean 2016, 48-55) Yuval Noah Harari hält es ebenso für „denkbar, dass der Konkurrenzkampf in Gewalt und Blutvergießen ausartete“. Homo sapiens sei „nicht gerade für seine Toleranz bekannt“. Oft reiche schon „ein winziger Unterschied in Hautfarbe, Dialekt oder Religion, damit eine Gruppe von Sapiens eine andere ausrottete. Warum sollten die frühen Sapiens mit einer gänzlich anderen Menschenart zimperlicher umgesprungen sein? Es ist gut möglich, dass die Begegnung zwischen Sapiens und Neandertalern mit der ersten und gründlichsten ‚ethnischen Säuberung‘ der Geschichte endete.“ Vielleicht, so Yuval Noah Harari, rotteten unserer Vorfahren die Neandertaler aus, weil sie „zu ähnlich waren, um sie zu ignorieren, und zu anders, um sie zu dulden“. (Harari 2015, 29) Silvana Condemi und François Savatier halten die Hypothese, Homo sapiens
habe die Neandertaler gezielt ausgerottet, für „eine vom Sozialdarwinismus inspirierte Deutung“. Nach dieser Theorie hätte der Homo sapiens eine Art „paläolithische ethnische Säuberung“ durchgeführt und systematisch in den Weiten Eurasiens „Jagd auf die harmlosen Neandertaler gemacht, um sie allesamt auszulöschen.“ (Condemi/Savatier 2020, 172)
Das Verschwinden der Neandertaler vor 50 000 bis 28 000 Jahren
Angesichts üblicher Gewalt, wie wir sie auch heute noch überall und immer wieder erleben, bleibt es plausibel, dass die Migration durch Homo sapiens das Verschwinden der Neandertaler einleitete und deren Zahl signifikant reduzierte. (Leakey 1999, 129) Ablesen lässt sich dies auch an der abnehmenden Variationsbreite der DNS. Daten zahlreicher europäischer Fundorte zeigen, dass das Aussterben der Neandertaler vor etwa 42 000 Jahren abgeschlossen war. Der gesamte Prozess lief in einem Zeitfenster zwischen 2 500 und 5 000 Jahren ab. Neben Gewalt war das allmähliche Aufgehen in der großen Menge moderner Menschen einer der Gründe des Verschwindens. Der Genfluss war für die Neandertalerlinie nachteilig, „denn das Y-Chromosom des Neandertalers führte offenbar zu einer Abstoßung des Fötus durch das Immunsystem der SapiensMutter; umgekehrt lösten die Y-Chromosomen des Homo sapiens keine solche Abstoßung des Kindes im Leib der Neandertalerin aus. Die Folge war, dass die Neandertalermänner ihren Clan nicht vergrößern konnten, indem sie sich mit Sapiens-Frauen mischten, wogegen die Sapiens-Männer den ihren verstärkten, indem sie sich mit Neandertalerinnen fortpflanzten.“ (Condemi/Savatier 2020, 199-202) Neuere Datierungen bestätigen, dass die Neandertaler überall etwa zeitgleich ausstarben. (Wong 2018b, 56f.) Das Erbgut von Neandertalern aus den Höhlen von Goyet und Spy in Belgien, der Les Cottés-Höhle in Frankereich und der Mezmaiskaya-Höhle im russischen Kaukasus ist 47 000 bis 39 000 Jahre alt. (Hajdinjak 2020) Vereinzelt lebten Neandertaler jedoch noch später. In der Höhle von Zafarraya in Spanien fand man den 32 000 Jahre alten Unterkiefer eines Neandertalers. (Schmitz/Thissen 2008, 208f.) Fossilbruchstücke aus Vindija in Kroatien wurden mit der Radio-Karbon-Methode auf ein Alter von 30 000 bis 28 000 Jahren datiert. (Schmitz/Thissen 2008, 208f.) In Gibraltar lebte noch vor 28 000 Jahren eine kleinere Population. (Wong 2009, 69-73) Nach neuesten Messungen gibt es jedoch keine Neandertaler-Fossilien, die deutlich älter als 42 000 Jahre sind. (Neandertaler starben doch früher aus, 2017) Fehlende Funde heißen aber nicht per se, dass es nach dieser Zeit keine Neandertaler mehr gab.
Der Vulkanausbruch in den Phlegräischen Feldern vor 37 280 Jahren und die Umkehrung des Erdmagnetfeldes
Neandertaler, welche die Konkurrenz von Homo sapiens seit der Zeit vor 40 000 Jahren überlebten, waren wie diese durch eine Naturkatastrophe gefährdet. Als ihnen ohnehin schon das Aussterben drohte, kam es zu einer gewaltigen Eruption der Phlegräischen Felder bei Neapel. Der Vulkanausbruch war der stärkste in Europa während der letzten 200 000 Jahre. Die Eruptionswolke stieg bis in eine Höhe von 40 Kilometern. Es trat 80mal so viel Lava aus wie beim Ausbruch im Jahr 79 n. Chr., der die Stadt Pompeji unter sich begrub. Der Ausbruch der Phlegräischen Felder setzte gewaltige Aschemengen frei, die sich vor allem in nordöstlicher Richtung, über das heutige Griechenland, Bulgarien, das Schwarze Meer und Russland erstreckten. Bis zu 300 Kubikkilometer Asche verteilten sich über Südosteuropa und bedeckte ein Gebiet, das mehr als zehnmal so groß war wie Deutschland. In Teilen dieser Region war die Ascheschicht so dick, dass Tiere nicht mehr grasen konnten. Schwefel, Chlor und Fluor aus der Eruptionswolke führten im östlichen Mittelmeer und im Kaukasus zu einem intensiv sauren Regen. Fluorvergiftete Pflanzenfresser wie Auerochsen, Bisons, Pferde, Mammuts und Elche führte bei ihren Jägern zu Schäden an den Zähnen, Augen und Knochen. In Osteuropa und Asien, aber auch in Teilen Mittel- und Westeuropas, sanken die Temperaturen für ein bis zwei Jahre um zwei bis vier Grad. Die Umweltschäden versetzten möglicherweise letzten Neandertalern den „Todesstoß“. Die Ankunft des modernen Menschen, die Kälteperiode sowie der Vulkanausbruch waren „die Sargnägel für eine bereits stark gefährdete Gruppe“. Der Ausbruch betraf natürlich Neandertaler und Homo sapiens gleichermaßen. Offenbar überstanden Gruppen moderner Menschen die härteren Bedingungen nach der Katastrophe jedoch besser. Es war wohl kein Zufall, dass unsere Ahnen genau in dieser Zeit Nähnadeln aus Knochen erfanden. Dank dieser „revolutionären Technik“ konnten sie Fellkleidung fertigen, um die Kälte zu überstehen. (Bojs 2018, 4955) Zum Aussterben der Neandertaler könnten auch die Folgen der Umkehrung des Erdmagnetfeldes vor etwa 41.000 Jahren beigetragen haben, die 440 Jahre andauerte. Damals verlor die Erde vorübergehend ihr schützendes Magnetfeld.
Die Feldstärken sanken bis auf unter sechs Prozent des Normalwerts. Die Erde hatte zu dieser Zeit kein Magnetfeld mehr, der Schutzschirm gegen die kosmische Strahlung war „komplett weg“. Es kam zu Veränderungen der großräumigen Luftströmungen und des Klimas. Auf der Nordhalbkugel rückten die Gletscher vor. Nach Meinung australischer Experten löste das Ereignis „einen bedeutenden klimatischen, ökologischen und archäologischen Umbruch“ aus und könnte „sogar die Entwicklung der Menschheit beeinflusst haben“. „Zur gleichen Zeit begannen Menschen plötzlich, vermehrt Höhlen aufzusuchen und deren Felswände zu bemalen. In Europa starb ungefähr zu dieser Zeit der Neandertaler aus.“ (Cooper/Turney/Palmer/Hogg 2021) Dagegen spricht allerdings, dass die Ahnen der Neandertaler schon vor 789.000 Jahren die Auswirkungen einer kurzzeitigen Umkehrung des Magnetfeldes überlebt hatten. (Condemi/Savatier 2020, 175)
Das genetische Erbe der Neandertaler und Denisovaner
Gehören Neandertaler zu unseren Vorfahren?
Die Suche nach der Roten Linie unserer Evolution wirft die Frage auf, ob die Neandertaler zu unseren Vorfahren zählen. Die Bezeichnung „Homo sapiens sapiens“ bringt die Auffassung zum Ausdruck, dass der anatomisch moderne Mensch eine Unterart der Art Homo sapiens ist, zu der auch die Subspezies Homo sapiens neanderthalensis gehört. Die Vertreter der Auffassung, dass der Neandertaler eine eigene Art darstellt, sprechen nur von Homo sapiens. (Vonderach 2008, 52) Dies ist freilich nicht genau zu fixieren, weil der Begriff Homo sapiens dem allgemeinen Sprachgebrauch entspricht. Die diesbezügliche Forschung ist stark in Bewegung. Angesicht weniger fossiler Funde und der Entwicklung der Gentechnik kann heute schon Makulatur sein, was gestern noch aktuell war. Antworten auf die Frage, ob und inwieweit Neandertaler und Homo sapiens gemeinsame Nachkommen zeugten, deren Gene bis heute in unserer DNS zu finden sind, gleicht einer Fahrt auf der Achterbahn. Vor allem zwei Auffassungen stehen sich gegenüber. Schließt die Out-of-AfricaHypothese eine Herleitung von Homo sapiens aus Neandertalern aus, betonen die Verfechter der Multiregionalen Hypothese genau dieses. Generell wird davon ausgegangen, dass Populationen verschiedener Arten sich nicht fortpflanzen können. Alle heutigen Menschen, egal ob Tutsi oder Eskimos, können trotz zahlreicher Unterschiede gemeinsame Kinder zeugen. Es gibt heute eine große Vielfalt unterschiedlicher Menschen, aber alle sind Homo sapiens. (Langaney/Clottes/Guilaine/Simonnet 2000) Werfen wir einen Blick auf den Forschungsverlauf seit Anfang der 1990er Jahre. 1992 meinten Alan G. Thorne und Milford H. Wolpoff, zwei renommierte Vertreter der Multiregionalen Hypothese, die Entwicklung zum modernen Menschen sei „nicht ohne Vermischung“ vonstatten ggangen. (Thorne/Wolpoff 6/1992, 84f.) 1997 verglich Svante Pääbo die mitochondriale DNS des modernen Homo sapiens mit der des Neandertalers, fand aber keine Hinweise auf eine Vermischung. Ian Tattersall wies darauf hin, dass „der für uns nächste Verwandte von allen Menschenvorfahren“, angesichts der frühen Trennung der Erblinien „nicht einfach eine Variante unserer Art“ sei. Es gebe „keinen vernünftigen Grund, anzuzweifeln, dass der Neandertaler eine eigene Art war“. Wenn es überhaupt genetische Vermischung gegeben habe, dürfte dies iert sein, als
Homo sapiens Neandertaler-Gruppen angriffen und Frauen entführten. (Tattersall 1999, 202) sco Cavalli-Sforza meint, in Europa lebte seit ungefähr 300 000 Jahren „ein Typus des archaischen Homo sapiens, der sich von dem afrikanischen beziehungsweise dem chinesischen unterscheidet“. Er gehörte zur Untergliederung „Homo sapiens neanderthalensis“, und ihm gebühre „ein Platz am Ende unserer Ahnengalerie“. (Cavalli-Sforza 1994, 85) Eine wichtige Rolle im Disput spielte „das Kind von Lagar Velho“, das vor 24 500 Jahren lebte und vier Jahre alt wurde. Der Leichnam war bei der Bestattung mit rotem Ocker bestreut worden. Grabbeigaben waren vier durchbohrte Eckzähne vom Rothirsch und eine ebenfalls durchlochte Muschel. Die Auffassung, dass es sich um ein Mischlingskind handelt, macht sich vor allem daran fest, dass zwar die Schädelreste Hinweise auf Zugehörigkeit zum anatomisch modernen Menschen bzw. in einem Merkmal auf eine Zwischenstellung zwischen Neandertalern und Homo sapiens geben, die Langknochen der Beine jedoch mit den Proportionen der Neandertaler übereinstimmen. Für John Maynard Smith zeigt der Fund, dass der biologische und kulturelle Transfer zwischen Neandertalern und frühmodernen Menschen sehr vielschichtig war. (Smith 2000, 48f.) Für Vertreter der Vermischungshypothese handelt es sich bei Neandertalern und modernen Menschen um Unterarten, was die Zeugung fruchtbarer Nachkommen ermöglichte. Das Kind von Lagar Velho zeige, dass die Neandertaler nicht ausstarben, sondern durch Vermischung mit anatomisch modernen Menschen in diesem aufgingen. (Auffermann/Orschiedt 2006, 142) Steven M. Stanley sieht hingegen so viele Unterschiede, dass er beide Formen keiner gemeinsamen Art zuordnen kann. (Stanley 2001, 624f.) Zwar stecke, so Günter Bräuer, in uns auch etwas Erbgut von Neandertalern, dennoch seien sie nicht unsere Ahnen, denn diese kämen „eindeutig aus Afrika“. (Bräuer 2003, 38) Laut einer Studie der Harvard Medical School beträgt der Anteil des Neandertaler-Genoms in den Autosomen der heute lebenden Europäer 1,15 und in denen der Ostasiaten 1,38 Prozent, in den X-Chromosomen beider Bevölkerungsgruppen hingegen nur rund 0,2 bis 0,3, also nur rund ein Fünftel des Anteils in den Autosomen. Als Autosomen werden in der Genetik Chromosomen bezeichnet, die nicht zu den Gonosomen (GeschlechtsChromosomen) gehören. Daraus wurde geschlossen, dass die Fruchtbarkeit der männlichen Mischlinge reduziert war. Gestützt wurden diese Befunde durch die Studie einer Forschergruppe der University of Washington, die Hinweise auf
eine reduzierte Fitness der Mischlinge erbrachten. In einer weiteren Studie wurde nachgewiesen, dass das Y-Chromosom des männlichen Neandertalers ein mutiertes Gen aufweist, das die Wahrscheinlichkeit einer Fehlgeburt erhöht. (Auffermann/Orschiedt 2006, 134-136) Es gab, so Douglas Palmer, bei Neandertalern einige genetische Kennzeichen, die sie als eigene Spezies ausweisen und die im Genbestand der heutigen Europäer nicht vorkommen. (Palmer 2006, 45) Ian Tattersall und Jeffrey Schwartz weisen darauf hin, dass es sich beim Kind von Lagar Velho „eindeutig um einen anatomisch modernen Menschen“ handele. Auch Bärbel Auffermann und Jörg Orschiedt, beide Anhänger des Multiregionalen Hypothese, meinen, das Kind sei nicht das Ergebnis einer direkten Paarung zwischen einem Neandertaler und einem anatomisch modernen Menschen, es handele sich vielmehr um den Nachfahren einer Mischlingspopulation. Die Körperproportionen und das Mosaik verschiedener Merkmale des Neandertalers und des Homo sapiens könnten demnach nur das Ergebnis einer Vermischung beider Menschenformen sein. (Auffermann/Orschiedt 2006, 134-136) Angesichts der Debatte über die Fortpflanzungsfähigkeit von Neandertaler und Home sapiens gewannen Analysen von Nachkommen beider Arten an Bedeutung. Wenn es erfolgreiche Kreuzungen gab, müssten diese sich anhand von Fossilien zeigen lassen. Im Jahr 2007 wurden DNS-Daten des Max-PlanckInstituts für evolutionäre Anthropologie in Leipzig so interpetiert, dass sich Neandertaler nicht mit dem modernen Menschen vermischt hatten. (Benton 2007, 409) Nach der DNS-Untersuchung eines in der Vindija-Höhle in Kroatien gefundenen 45 000 Jahre alten männlichen Neandertaler-Fossils schien sich diese Sicht zu bestätigen. Das Ergebnis lautete „No Sex with Homo sapiens“. Es gab laut Mitteilung einer Schrift des Max-Planck-Instituts kaum Vermischungen anatomisch moderner Menschen mit Neandertalern. (Benton 2007, 409) Die mitochondriale DNS unterscheide sich zu deutlich. Für viele Forscher war damit die Frage nach unserer Roten Linie geklärt. (Hammer, 2018, 7f.) Ian Tattersall sprach 2008 davon, dass die Funde im Neandertal und in der Mezmaiskaya-Hähle im Kaukasus die „artliche Selbstständigkeit“ der Neandertaler zeigten. (Tattersall 2008b, 153) Ralf W. Schmitz und Jürgen Thissen meinten noch im selben Jahr, die späten Neandertaler seien ohne Beitrag mitochondrialer DNS zum menschlichen Genpool ausgestorben und gehörten
„somit nicht zu den Vorfahren der jetzt lebenden Menschen“. (Schmitz/Thissen 2008, 206) Svante Pääbo bestätigte noch einmal, das Y-Chromosom des Neandertalers unterscheide sich klar von dem des modernen Menschen. „Bei keinem heutigen Menschen sieht es so aus wie beim Neandertaler“. (Zit. b. Stix 2009, 64) Weitergehende genetische Forschungen führten jedoch zu neuen Erkenntnissen, welche die bisherigen Deutungen falsifizierten. Verbesserte Analysemethoden zeigten, dass Genfluss doch stattfand und zwar mit einem Beitrag von bis zu vier Prozent Neandertaler-Genen im Genpool heutiger Europäer und Asiaten. Mehrere unabhängige Analysen bestätigten dieses Ergebnis. Das überzeugendste Argument war der Befund, dass die bisher entzifferten individuellen Genome aller Nichtafrikaner, egal ob sie aus Europa, Asien oder Papua-Neuguinea stammten, dem Neandertalererbgut stärker ähneln als die der untersuchten Afrikaner. Allerdings wurde Genfluss bislang nur in eine Richtung nachgewiesen, nämlich Paarung von Neandertalermännern mit Frauen des Homo sapiens. (Groß 2010, 12-14) Durch weitere Vergleiche gelang es, den Zeitraum der genetischen Vermischung auf die Zeit vor 90 000 bis 65 000 Jahren einzugrenzen. (Callaway 2011, 12-14) Als die Forscher um Svante Pääbo und Jens Reich die erste Sequenz eines Neandertalergenoms publizierten, war die eigentliche Sensation, dass die heutigen Menschen doch Erbgut vom Neandertaler in sich tragen, im Durchschnitt 1,7 Prozent - mit Ausnahme von Afrikanern. In grauer Vorzeit musste es folglich Sex zwischen Neandertalern und modernen Menschen gegeben haben. (Marshall 2014, 78f.) Im Fossil des Homo sapiens-Mannes, der vor 45 000 Jahren in Ust-Ischim in Sibirien lebte, fand man zwei Prozent Neandertaler-DNS. Es wurde deutlich, dass bereits die Vorfahren des Mannes mit Neandertalern Sex hatten. (Dönges 2014, 33f.) Ein zweiter relevanter Fund stammt aus der Höhle von Peștera Muierii in Rumänien, wo die Überreste eines rund 40 000 Jahre alten Homo sapiens entdeckt wurden, unter dessen Ur-Ur-Großeltern sich ein Neandertaler befand. Im Frühjahr 2015 gelang dem Team von Svante Pääbo der Nachweis, dass der Unterkiefer große Mengen Neandertaler-DNS enthält, und zwar zwischen fünf und elf Prozent des gesamten Erbguts. Außerdem schien das genetische Erbe der Neandertaler nur vier bis fünf Generationen zurückzuliegen, da die DNS in langen, ungebrochenen Sequenzen vorliegt. Das Individuum in Pestera cu Oase hatte also einen Neandertaler zum Ur-Ur-Großvater oder in
einem ähnlichen Verwandtschaftsgrad. (Bojs 2018, 56) 2015 meinte Yuval Noah Harari, Homo Sapiens, Neandertaler und Denisovanern seien keine grundsätzlich verschiedenen Arten gewesen, wie etwa Pferde und Esel, aber es handele sich auch nicht um verschiedene Unterarten derselben Art. Die biologische Wirklichkeit sei selten eindeutig. Zwei Arten, die aus einem gemeinsamen Vorfahren hervorgehen, waren irgendwann einfache Varianten wie bei Hunden Doggen und Cockerspaniel. Im Laufe der Evolution wurden die Unterschiede immer größer, bis sich die Wege trennten. Im Verhältnis zwischen Neandertaler und Homo sapiens müsse es einen Punkt gegeben haben, an dem sich die Arten zwar schon deutlich unterschieden, aber hin und wieder noch zeugungsfähige Nachkommen hervorbringen konnten. Zwei oder drei Genmutationen später wurde die Verbindung dann für immer gekappt. An diesem Punkt müssen sich Homo Sapiens, Neandertaler und Denisovaner vor etwa 50 000 Jahren befunden haben. Die beiden Arten verschmolzen nicht, „es gelang lediglich ein paar Neandertalergenen, als blinde agiere auf den Sapiens-Express aufzuspringen“. (Harari 2015, 28f.) 2016 wurde bei Untersuchungen des Gen-Kerns eines Fossils moderner Menschen in einer Höhle im sibirischen Altai-Gebirge nachgewiesen, dass es vor rund 100 000 Jahren eine Vermischung gab. Die Kreuzungen konzentrierten sich in der Zeit vor 65 000 bis 47 000 Jahren. (Hajdinjak 2020) Ewen Callaway meinte daraufhin, unsere Vorfahren hätten „offensichtlich ein umtriebiges Sexualleben“ geführt. Sie hatten Kinder mit Neandertalern, mit Denisovanern und anscheinend auch mit anderen archaischen Menschen. Erbgutuntersuchungen würden zweifelsfrei die weit zurückliegenden Kontakte offenlegen. (Callaway 2016b, 16-18) Bei modernen Menschen, die zwischen 45 000 und 7 000 Jahren in Sibirien lebten, nahm der Anteil der Neandertaler-DNS im Genom von drei bis sechs Prozent auf rund zwei Prozent ab. (Fu/Posth/Reich 2016) Das Team um Svante Pääbo erklärte nun, Vermischungen habe es möglicherweise gegeben, dies sei aber extrem selten gewesen. Moderne Menschen und Neandertaler trafen demnach zuerst im Nahen Osten aufeinander, und dieser Vorgang wiederholte sich zu anderen Zeiten an anderen Stellen. Sicher nachweisen ließen sich aber nur Kreuzungen im Nahen Osten vor ungefähr 54 000 Jahren und in Asien. (Bojs 2018, 56) Das Neandertaler-Genom ähnelt dem von heutigen Asiaten und Westeuropäern stärken als dem von Afrikanern, was darauf schließen lässt, dass diese Kreuzungen im Nahen Osten
stattfanden, nachdem die Menschen Afrika verlassen hatten, aber noch vor ihrer Ausbreitung in Eurasien und Asien. (Hands 2018, 616) Es zeigte sich aber auch, dass die vom anatomisch modernen Menschen stammenden DNS-Abschnitte eher Fossilienfunden aus Asien ähneln und nicht den späteren Funden aus Europa oder den heute lebenden Menschen. Daraus wurde geschlussfolgert, dass die Population eine „Sackgasse“ repräsentiert, deren Gene nicht Teil des heutigen Homo sapiens wurden. (Bojs 2018, 56) Nun ging man davon aus, dass alle Nicht-Afrikaner rund zwei Prozent Neandertaler-Gene in sich tragen, die Neandertaler also einen kleinen Teil zu unserem Erbgut beigesteuert haben. Einige müssen sich sogar schon mit unseren afrikanischen Vorfahren gepaart haben. (Richter, J. 2018, 185) Offenbar waren Kontakte zwischen modernen Menschen und Neandertalern nicht nur feindlicher Art. Sie zeugten gemeinsam Kinder und sorgten dafür, dass im Genom der heutigen Menschen nichtafrikanischer Herkunft noch bis zu drei Prozent Neandertaler-DNS steckt. (Wong 2018, 24f.) Insgesamt blieb sogar viel mehr von diesem Erbgut erhalten, nach aktuellen Schätzungen nämlich 35 bis 70 Prozent verteilt auf verschiedene Menschen, die unterschiedliche Abschnitte der Neandertaler-DNS aufweisen. (Wong 2018, 24f.) Ein Neandertaler, der vor 100 000 Jahren im Altai-Gebirge lebte, trug bereits zu diesem Zeitpunkt, 50 000 Jahre vor der Besiedelung Eurasiens, einige Gene des Homo sapiens in seinem Erbgut. (Hajdinjak 2020) Genfluss vom Home sapiens zum Neandertaler gab es nach Meinung von Mateja Hajdinjak aber offenbar so gut wie nicht. Es kam also selbst in der Zeit, in der beide Menschenarten gemeinsam in Eurasien lebten, zu wenig Kreuzungen, und wenn, dann wurden Gene vor allem in eine Richtung übertragen, vom Neandertaler zum Homo sapiens. (Hajdinjak 2020) Maya Wei-Haas meint hingegen, der Genfluss sei in beide Richtungen verlaufen. „Ein Teil der Gensequenzen in modernen Menschen, die wir Neandertalern zuschreiben, ist eigentlich eine Sequenz von modernen Menschen im Neandertaler-Genom.“ (Wei-Haas 2020) Silvana Condemi und François Savatier halten es für schwierig, das Ausmaß der Vermischung exakt zu bestimmen. Mathematische Modelle zeigten, dass die Hybridisierung kaum ins Gewicht fiel, da es nur alle 180 Jahre einen solchen Fall gab. Sie verweisen auf die überraschende Erkenntnis der Paläogenetiker hinsichtlich der Kreuzung von Neandertaler und Homo sapiens, „dass zwar das Y-Chromosom des Homo sapiens eine Hybridisierung von Neandertalerin und Sapiens-Mann erlaubt, aber das Neandertaler-Y-Chromosom dies in umgekehrter
Richtung zu verhindern scheint. Das heißt, eine Verbindung von NeandertalerMann und Homo Sapiens-Frau war praktisch unfruchtbar, anders als eine Verbindung von Neandertaler-Frau und Sapiens-Mann. Die Vermischung war also nur erfolgreich in der Richtung, in der sie die männliche Sapiens-Linie begünstigte.“ All das lege nahe, „dass die kulturellen und biologischen Vermischungen häufig vorkamen, doch von vornherein ungleich waren - zum Vorteil der männlichen Sapiens-Linien - und mit der Zeit verdünnt und verwischt wurden“. (Condemi/Savatier 2020, 200f.)
Das Erbgut der Denisovaner
Nicht nur der Neandertaler, auch die dritte Menschenart, die Denisovaner, gibt es nicht mehr. Allerdings hat auch ihr Erbgut die Zeit überdauert. Sequenzen ihrer Zellkern-DNS finden sich im Genom verschiedener heutiger Bevölkerungsgruppen. In Afrika und Europa fand man nichts, bei den Menschen des asiatischen Festlands etwa 0,2 Prozent. (Marshall 2018, 50f.) Einige Populationen Melanesiens und Australiens haben einen Anteil von drei bis fünf Prozent Denisova-DNS. Die Vorfahren der heutigen Papuas und der australischen Aborigines, die vor mehr als 50 000 Jahren aus Afrika einwanderten, müssen auf Denisovaner getroffen sein und sich mit ihnen vermischt haben. Aber nicht alle Asiaten tragen die gleichen Genvarianten der Denisovaner in ihrem Erbgut. Im Genom der heutigen Südostasiaten finden sich keine Spuren der Denisova-DNS aus der namengebenden Höhle. Wahrscheinlich stammt ein großer Teil der chinesischen Menschenfossilien von der nördlichen Gruppe der Denisovaner ab. Die eingekreuzten Genvarianten sind in Asien ungleich verteilt. Bei heutigen Japanern und Chinesen finden sich Spuren beider DenisovaGruppen von jeweils 0,1 Prozent. (Hublin 2020, 13-23) Vermutlich profitierte Homo sapiens bei seiner Ausbreitung in Eurasien von einigen Genen seiner archaischen Vettern. Eine von Denisovanern stammende Genvariante könnte es den heutigen Tibetern ermöglichen, in großer Höhe zu leben. (Wong 2018, 24f.)
Neandertaler-Gene bei heutigen Afrikanern
Neu ist die Erkenntnis, dass auch heutige Afrikaner Neandertaler-DNS in sich tragen. (Chen 2020) Lange Zeit war man davon ausgegangen, dass dies unmöglich sei. Neue Studien offenbaren aber ein deutlich komplexeres Bild von den Wanderbewegungen und Genflüssen. Demnach haben heutige afrikanische Populationen mehr Abschnitte von Neandertaler-DNS in sich, als man bislang annahm, nämlich etwa ein Drittel der Menge wie bei Europäern und Asiaten. Bisher dominierte die Vorstellung, dass Menschen Afrika verließen, aber keiner davon zurückkehrte. Inzwischen weiß man, dass die Wege zwischen Afrika und Europa keine Einbahnstraßen waren. Einige Homo sapiens begaben sich aus Eurasien nach Afrika. Sie trugen bereits Sequenzen von Neandertaler-DNS in sich. Dadurch gelangten Neandertaler-Gene nach Afrika. Etwa 17 Millionen Basenpaare der afrikanischen Genome stammen von Neandertalern. Modelle zeigten, so Joshua Akey, dass schon ein kleiner Zufluss dieser DNS in den letzten 20 000 Jahren die aktuelle Verteilung in den Genomen erklären kann. Wann es zum DNS-Zufluss kam, lass sich schwer sagen. Ein kleiner Teil könnte beispielsweise von der Invasion durch das Römische Reich oder vom Sklavenhandel herrühren. (Zit. b. Wei-Haas 2020) Kate Wong verweist darauf, dass Studien an sehr alten Genomen bestätigen, dass „nicht nur Neandertaler, sondern auch andere archaische Populationen zum Genpool der heutigen Menschheit“ beigetragen haben. (Wong 2019, S. 30-35)
Gingen die Neandertaler in Homo sapiens auf? Haben die Anhänger der Multiregionalismus-Hypothese doch Recht?
Für die Vertreter der Multiregionalen Hypothese ist die Frage nach der Existenz von Mischlingen, so genannten Hybriden, von zentraler Bedeutung. Die Antwort könnte zeigen, dass die Neandertaler durch Vermischung mit den anatomisch modernen Menschen verschwunden bzw. in diesem aufgegangen sind. (Auffermann/Orschiedt 2006, 134-136) Für Johannes Krause gibt es „heute keine Neandertaler mehr in der Gestalt, wie sie vor Zehntausenden Jahren in Europa lebten“. Doch wenn sie mit den modernen Menschen zeugungsfähige Nachkommen hatten und wir deswegen heute Neandertaler-DNS in uns tragen, könne man auch davon sprechen, dass „die Neandertaler in uns aufgegangen“ sind. (Krause, Johannes 2019, Pos. 616) Harald Haarmann meint, der Neandertaler sei „ein zeitlicher und damit entwicklungsmäßiger Vorläufer des anatomisch modernen Menschen“, während der Heidelberger Mensch entwicklungsmäßig vor beiden Spezies rangiert. Nach seiner Meinung ist Homo neanderthalensis der archaische Mensch. (Haarmann 2019, 15-17) Für Kay Prüfer sind die Neandertaler genetisch nicht ausgestorben. Sie waren vielmehr sehr erfolgreich und wurden „integriert, nicht eliminiert“. So gesehen lebten sie in uns fort. (Zit. b. Czepel 2020) Verläuft ein Seitenstrang unsere Rote Linie also über die Neandertaler?
Was bedeuten Neandertaler-Gene für uns heute?
Nachdem zunächst bezweifelt wurde, dass aus Kreuzungen „wirklich lebensfähiger Nachwuchs“ entstehen könne, (Tattersall 1999, 202) ist heute nachgewiesen, dass wir Gen-Anteile des Neandertalers besitzen. Laut Joshua Akey sind 15 Gen-Abschnitte, die besonders häufig vorkommen, ein Hinweis auf vorteilhafte Wirkungen. Etwa die Hälfte davon beeinflussen die Immunität. Als der moderne Mensch sich unter neuen Umweltbedingungen ausbreitete, musste er sich mit neuen Krankheitserregern und Viren auseinandersetzen. Durch Paarung „konnte er Anungen vom Neandertaler aufnehmen, mit denen sich diese Krankheitserreger besser bekämpfen ließen“. (Zit. b. Wong 2019, S. 30-35) Aus einer Studie mit mehr als 112 000 Personen ergaben sich Hinweise darauf, dass Haut- und Haarfarbe sowie die Schnelligkeit der Hautbräunung von Neandertaler-DNS beeinflusst werden. Auch Stimmungen, manches Verhalten wie Rauchen oder der Biorhythmus könnte durch Neandertaler-DNS geprägt sein. Neandertaler waren, weil sie Jahrtausende in Europa lebten, besser an wechselnde Mengen ultravioletter Strahlung anget. (Rötzer 2017) Eine andere Genvariante hilft, eine Schwangerschaft mit weniger Komplikationen zu durchlaufen. Familien, in denen das Neandertaler-Gen häufig auftritt, sind im Schnitt kinderreicher. Andere Neandertaler-Gene wurden im Lauf der letzten Jahrtausende aus dem Erbgut der heute lebenden Menschen allmählich ausgesondert, vermutlich weil sie Nachteile brachten. (SdW 8/2020, 10) Wir verdanken den Neandertalern also wichtige Immun-Gene. Sie verliehen unseren Vorfahren die „vielfach von Hybriden bekannte Vitalität“, die sie „befähigte, die ganze Welt zu erobern“. Das heißt, „etliche von uns verdanken den Neandertalern einen Teil ihrer immunologischen Widerstandskraft für die Lebensbedingungen in nördlichen Breiten“. Nach Meinung von Ewen Callaway hatten die „Techtelmechtel unserer Vorfahren“ mit Neandertalern allerdings vor allem unvorteilhafte Folgen. (Callaway 2016, 12-18) Negativ sei, so auch Michael Marshall, dass einige Gene bestimmte Krankheitsrisiken, etwa für Altersdiabetes, erhöhen. (Marshall 2014, 78f.) Manche Gene stehen im Verdacht Depressionen oder andere Krankheiten
auszulösen. Fragwürdig sind Überlegungen, einen Neandertaler aus dessen Genen zu clonen. „Welche Rechte hätte ein Neandertaler?“, so fragt Kate Wong rhetorisch, „Wo würde er leben, im Zoo oder in einer Wohnung?“ (Wong 2009, 30-35, 71)
Was wäre, wenn Neandertaler überlebt hätten? Eine kontrafaktische Spekulation über unsere andersirdische Verwandtschaft
Yuval Noah Harari geht der Frage nach, was iert wäre, wenn die Neandertaler nicht im Home sapiens aufgegangen wären, sondern als eigene Spezies neben Homo sapiens überlebt hätten: „Welche Kulturen, Gesellschaften und politischen Strukturen wären in einer Welt entstanden, in der mehrere Menschenarten friedlich nebeneinander existierten? Wie hätten sich beispielsweise die Religionen entwickelt? Könnten wir heute in der Bibel lesen, dass die Neandertaler von Adam und Eva abstammten? Wäre Jesus auch für die Sünden der Neandertaler ans Kreuz genagelt worden? Würde der Koran allen Rechtgläubigen einen Platz im Paradies versprechen, egal welcher Art sie angehören? Hätten die Neandertaler in den Legionen des Römischen Reichs und in der ausufernden Bürokratie der chinesischen Kaiser gedient? Hätte Karl Marx die Proletarier aller Arten aufgerufen, sich zu vereinigen?“ (Harari 2015, 29f.) Wann, so könnte man ergänzend fragen, wäre der erste Neandertaler USPräsident geworden? Es gab auf der Erde dank Emergenz Entwicklungen hin zu verschiedenen Formen und Graden menschlicher Intelligenz in verschiedenen Ausformungen, nämlich -soweit wir wissen - bei Neandertalern, Denisovaner und Homo sapiens. Auch unsere Vorfahren bei den Homininen und sogar bei den Hominiden waren bereits intelligent. Zwar malten sie keine Tiere an Höhlenwände, aber sie arbeiteten mit Werkzeugen. Sicher waren Urmenschen schon Beobachter des Universums, wenn sie nachts am Lagerfeuer saßen und hoch zu den Lichtern am Firmament schauten. Es ist zu konstatieren, dass es in einer bestimmten Zeit verschiedene Menschenarten mit unterschiedlicher Intelligenz gab, ungeachtet dessen, ob es sie heute noch gibt oder nicht bzw. ob sie in uns aufgegangen sind. Sie besaßen schon vorher ein bestimmtes Maß an Intelligenz. Anders als in der Neuen Welt brachte die Welt der Homininen in der Alten Welt mehr als eine intelligente Form hervor. Das gilt auch dann, wenn sich der Grad ihrer Intelligenz unterschied. Niemand käme heute auf die Idee, das Menschsein einer Person vom IQ abhängig zu machen. Das Anthropische Prinzip kann nicht länger nur auf Homo sapiens sapiens bezogen werden. Es gilt auch für unsere
andersirdische Verwandtschaft, egal ob oder wie unsere Rote Linie über sie führt.
20. Abstraktes Denken, Kultur und Kunst vor 40.000 bis 15.000 Jahren
Die Herausbildung von Intelligenz und Bewusstseins bei der Gattung Homo
Laut Evolutionärer Erkenntnistheorie entwickelte sich der Verstand in Anung an die äußere Umwelt. Daher sind unsere Vorstellungskraft und unsere Erkenntnisfähigkeit auf drei Dimensionen begrenzt. Zudem prägen weder Mikrophänomene noch der Makrokosmos unser Anschauungsvermögen. Noch vor ca. 100 Jahren wussten wir nicht einmal, dass das Universum aus mehr besteht als aus der Milchstraße. Der dem Menschen sinnlich zugängliche Bereich von Millimetern bis zu Kilometern, mit Zeiten von Zehntelsekunden bis zu Jahren, mit Gewichten von Gramm bis Tonnen liegt im Bereich des Mesokosmos. Unsere Sinnesorgane sind auf diese „kognitive Nische“ zugeschnitten, außerhalb von ihr versagen sie. Sie sind nur für Geschwindigkeiten, Beschleunigungen oder Gravitationskräfte ausreichend, bei denen relativistische Effekte vernachlässigt werden können. (Eidemüller 2017, Pos. 8404, 9138, 9319-9343) Grundlage des menschlichen Bewusstseins ist das Gehirn. Auffällig ist dessen schneller Zuwachs bei allen Linien der Gattung Homo. Da es bereits vor der Trennung der Entwicklungslinien bei allen Angehörigen eine bedeutende Hirnzunahme gab, ist davon auszugehen, dass dies schon früh beim Überlebenskampf half. (Tattersall 2018, 64ff.) Dessen Masse nahm bei allen Homo-Gattungen zu, beim Homo sapiens jedoch überdurchschnittlich. Damit entstand bei ihm die materielle Grundlage von Bewusstsein, Erkenntnisfähigkeit und symbolischem Denken. (Coppens 2011a) Strittig ist, wann genau unser „moderner Verstand aufleuchtete“. Klar ist nur, dass sich unser symbolisches Denken in einem längeren Prozess entwickelte. Grundlage dafür waren Herstellung und Nutzung von Werkzeugen sowie das Verfolgen von Zeitabläufen anhand von Mondphasen. Mit Kunst und Kultur zog symbolisches Denken in die Köpfe ein. Curtis W. Marean meint, in der PinnaclePoint-Höhle in Südafrika erste Anzeichen symbolischer Handlungen gefunden zu haben. 110 000 Jahre alte Ablagerungen enthielten roten Ocker. Aus Schalen von Muscheln und Schnecken wurde Schmuck gefertigt. Die Menschen begannen ihr Verhältnis zum Meer in ihre Weltanschauung und ihre Rituale einzubeziehen. (Marean 2013, 51f.) Da der Ursprung unserer Intelligenz nach Meinung von Jonathan B. Losos „einzigartig und nicht-konvergent“ ist, lässt
sich nicht feststellen, ob es sich um einen Zufall oder eine zwangsläufige Entwicklung handelte. (Losos 2018, S. 337) Dabei gilt es aber zu bedenken, dass in der Zeit, als sich die Intelligenz von Homo sapiens entwickelte, es andersirdische Intelligenzen in Eurasien gab, nämlich die der Denisovaner und des Homo neanderthalensis. Auch wenn sie nicht an die Gedankenkraft des frühen Homo sapiens heranreichten, ist ihr Vorhandensein bei Überlegungen über die Konvergenz menschlichen Denkens einzubeziehen.
Ruhender Intellekt des modernen Menschen bis zur Entwicklung der Landwirtschaft
Bemerkenswert ist, dass das größere Hirn mehr Intelligenz zur Verfügung stellte, als im täglichen Leben notwendig war. Es bildeten sich Fähigkeiten heraus, die bei natürlicher Auslese „keinen sichtbaren Überlebenswert“ hatten. Paul Davies nennt es „eine der Ungereimtheiten menschlicher Intelligenz“, dass sie „in ihrer Verfeinerung weit über das Ziel hinaus“ schoss. Zwar hatte „ein gewisses Maß an Intelligenz Überlebenswert“, doch es ist bis heute „alles andere als klar, wie die Fähigkeit, höhere Mathematik zu betreiben, komplexe Musik zu komponieren oder reich strukturierte Sprachen zu entwickeln, je das Ergebnis einer natürlichen Auslese sein konnte“. Diese Funktionen des Intellekts lagen „Welten entfernt vom Überleben im Dschungel“. Ihr Aufkommen beweist „einen nichtdarwinistischen progressiven Trend“ in der Entwicklung. Über Jahrzehntausende schlummerte diese Intelligenz ungebraucht. (Davies 1996, 107f.) Vor 50 000 Jahren kam es plötzlich zu „einen Schub“. (Tattersall 2008b, 154f.) Richard G. Klein meint, eine genetische Mutation habe vor 50 000 Jahren womöglich „etwas Grundlegendes im Gehirn“ verändert. Seitdem konnten Menschen symbolisch denken. (Zit. b. Wong 2005, 38-46) Sein reflektierendes Bewusstsein verwandelte den Menschen aber nicht über Nacht. Bis heute haben wir „mit mächtigen Instinkten zu kämpfen“. Spätestens im Neolithikum fand die schlummernde Intelligenz Anwendungsfelder im Ackerbau als einer effektiven Art der Nahrungsbeschaffung und bei der Entwicklung von Waffen. Die Menschen hatten in Dorfgemeinschaften mehr Gelegenheit, nachzudenken und Ideen mittels Zeichnungen, Sprache und Schrift weiterzugeben. Sie arbeiteten mit anderen Siedlungen zusammen und trieben Handel mit Gütern und Ideen. Das ermöglichte es, ihren Siedlungen größer und komplexer werden zu lassen. (Hands 2018, 628, 654.) Forscher fragen heute nach dem, was uns vom Tier unterscheidet. Lange galt der Gebrauch von Werkzeugen als Kriterium. Heute finden sich immer neue Gegenbeispiele. So nutzen Darwin-Finken Dornen, um mit deren Hilfe nach Nahrung zu stochern. Schimpansen stellen durch das Zurechtbeißen von Stöcken Termitenangeln her und verwenden Steine als Hammer und Amboss. Die
wachsende Anzahl bekannter vergleichbarer Fälle zeigt, dass „hier kein unüberschreitbarer Rubikon mehr auszumachen“ ist. (Lüke 2014, 206-210) Angesichts heutiger Kenntnisse über den Homo neanderthalensis und die Denisovaner ist ohnehin kein Rubikon zu überschreiten. Auch wenn sie in mancherlei Hinsicht anders tickten, so handelte es sich doch um ausreichend intelligente Menschen. Heute kann man sich nicht mehr mit der Entwicklung des menschlichen Denkens befassen, ohne unsere andersirdischen Artgenossen ins Kalkül einzubeziehen.
Die Rolle von Glauben und Religion bei der Menschwerdung
Ulrich Lüke thematisiert die Rolle von Religion bei der Menschwerdung. Ab wann ist der Mensch ein Mensch? Und ist er auch als Mensch „nichts als ein Primat“? Wer aus dieser „biologiegestützten Perspektive nach dem Rubikon der Hominisation“ frage, so meint er, stoße irgendwann auf das Phänomen von Religiosität als „Verhaltensrepertoire des Primaten und Hominiden, den wir Mensch nennen“. Bei den Australopithecinen und Homo habilis wurden noch „keine artifiziellen Hinweise auf Religiosität im weitesten Sinne“ gefunden. Das schließt allerdings nicht aus, dass auch sie bereits über ein sich am kosmischen Geschehen und an Naturzyklen orientierende, „präartifizielle Form von Transzendenzbewusstsein“ verfügten. Religiosität könnte in der Erklärungsbedürftigkeit solcher zyklisch geordneter und den Hominiden selbst orientierender Vorgänge seinen Ausgangspunkt genommen haben. Bei Homo erectus, Homo neanderthalensis und erst recht beim Homo sapiens finden sich unter den Fossilfunden und Artefakten Besonderheiten, die „Anhaltspunkte für ein über das Ichbewusstsein hinausgehende zusätzliche Kriterium für Menschsein liefern könnten, das im Verbund mit dem Ichbewusstsein möglicherweise wirklich trennscharf zwischen Tier und Mensch unterscheidet“. Auch wenn bei Homo erectus keine „rituell ausgestaltete Ganzkörperbestattung“ nachgewiesen werden konnte, sind viele Forscher von dessen Religiosität überzeugt. Aufgrund seiner kognitiven Leistungsfähigkeit sei „religiöses Denken auch für ihn wahrscheinlich“. Es gebe gute Gründe, bereits für den Homo erectus ein „über das Ichbewusstsein hinausgehendes Transzendenzbewusstsein“ anzunehmen“. Hinweise auf Religiosität und ein „möglicherweise noch sehr schlicht ausgestattetes Transzendenzbewusstsein“ finden sich auch bei Neandertalern. Wir Menschen wurden zu dem was wir heute sind, als „zum Ichbewusstsein, also einem expliziten Selbstbezug, eine Art von Transzendenzbewusstsein“ hinzutrat. Dies könnte sich „in der Annahme übersinnlicher Kräfte und Mächte und in der Konkretion eines Gottes- oder Götterbezugs geäußert“ haben. Ein solches Transzendenzbewusstsein „wäre so etwas wie die Konstruktion „eines Koordinatensystems, in dem das sich zum Objekt und zur Frage gewordene Ich seinen Ort und seine Zeit sowie einen die Welt und das Ich mythologisch
deutenden Referenzrahmen findet“. (Lüke 2014, 203-217)
Die Dominanz von Homo sapiens sapiens nach seinem intellektuellen Erwachen
Homo sapiens sapiens wird in Abgrenzung vom Neandertaler und archaischen Homo sapiens oft als moderner Mensch bezeichnet. Das liegt daran, dass er, so sco Cavalli-Sforza „von uns nicht mehr zu unterscheiden und der einzige Vertreter der Gattung Homo“ war und ist, „der bis heute überlebt hat“. Homo sapiens sapiens weise gegenüber seinen Vorgängern wichtige Veränderungen auf, „in denen wir uns selbst immer mehr wiedererkennen“. (Cavalli-Sforza 1994, 85) Seine Intelligenz hatte nicht nur Auswirkungen auf das symbolische Denken, sie führte auch zur Überlegenheit über alle anderen Spezies der Gattung Homo, die er in einer Art „geistigen Wettrüstens“ verdrängte. (Tattersall 2018, 64f.) Neandertaler hatten ihm gegenüber keine Chance. (Wong 2009, 69-73) Er hatte „etwas ganz Besonderes, Ungewöhnliches an sich“, das ihn zu einem Konkurrenten von „einzigartiger Gefährlichkeit“ machte. (Tattersall 2008b, 142) Zwar wuchs die Kooperationsfähigkeit innerhalb seiner Gruppe, aber die Kehrseite war die Bereitschaft, Konkurrenten auszuschalten. Sein „unbedingtes Voranstreben“ war das letztlich entscheidendes Attribut, das seine Vorrangstellung begründete. (Marean 2016, 48-55) Das reflektierende Denken blieb seit seiner Entfaltung nicht gleich, sondern veränderte sich graduell und qualitativ. „Die Evolution des Menschen vollzog sich nicht vorwiegend morphologisch oder genetisch, sondern noetisch.“ (Hands 2018, 793) In Folge seiner Potentiale hatte die Dominanz menschlichen Bewusstseins langfristig „verheerenden Einfluss auf biologische, atmosphärische und geologische Prozesse“. (Kusserow 2018, S. 425) Durch ihn bildete sich eine „humanistische Religion“ heraus, in deren Zentrum die Menschheit die Rolle spielt, welche Gott im Christentum und im Islam sowie die Naturgesetze im Buddhismus und im Taoismus einnehmen. „Gab traditionell der große kosmische Plan dem Leben der Menschen einen Sinn, so kehrte der Humanismus die Rollenverteilung um und ging davon aus, „dass die Erfahrungen der Menschen dem großen Kosmos einen Sinn verleihen“. (Harari 2017, 302) Der Humanismus wurde zur ideologischen Doktrin einer menschlichen Monokultur.
Den modernen Menschen blieb es gänzlich unbewusst, dass sie die einzig verbliebene Menschenart auf der Erde waren. Sie wussten nichts über Planeten, Kontinente, Staaten und ihre eigene Evolution in der Welt. Ihr Erfahrungshintergrund war die Sippe, die Sexualität oder die Jagd. Die Erinnerung an ein Mit- und Gegeneinander mit Neandertalern schlug sich bestenfalls kurzzeitig in Erzählungen am Lagerfeuer nieder. Aber auch hier wurde sicher nicht über den Sieg gegenüber anderen Arten gesprochen, sondern über Scharmützel mit anderen Gruppen, die wir erst heute genetisch unterscheiden können. Zwar gab es nach dem Verschwinden von Neandertaler und Denisovanern keine Kämpfe mit anderen Menschenarten mehr, die Auseinandersetzungen zwischen den Gruppen des Homo sapiens, die es so ja immer auch gegeben hatte, gingen jedoch weiter. Sie leiteten in eine Zeit über, in der moderne Kriege die bisherigen Stammesfehden ablösten und die Gewalt moderne Formen annahm. Zu bewundern ist diese Modernität heute bei jährlichen Waffenmessen.
Das abstrakte Denken der Cro-Magnon-Menschen und die Erfindung der Kunst vor 40 000 Jahren
Erste Populationen von Homo sapiens in Westeuropa wurden nach einer Fundstelle in der Halbhöhle Abri de Cro-Magnon im Département Dordogne benannt. Die Cro-Magnon-Menschen besaßen einen zierlichen Körperbau und ein hochentwickeltes Gehirn. (Reeves 1996, 152f.) Als erste Vorboten von ihnen in Südwesteuropa ankamen, brachten sie das „Repertoire von Verhaltensweisen“ mit, welches moderne Menschen von jeder anderen Spezies unterschied: „Plastiken, Gravuren, Malerei, Körperschmuck, Musik, der Gebrauch abstrakter Zeichen, der kundige Umgang mit verschiedenen Materialien, ausgeklügelte Bestattungsrituale und filigrane Verzierungen von Gebrauchsgegenständen, dies und vieles mehr waren integrale Bestandteile des täglichen Lebens beim frühen Homo sapiens.“ (Tattersall 2002, 56) Steinwerkzeuge, die zuvor über Jahrtausende gleichgeblieben waren, zeigten plötzlich „radikale Unterschiede“. (Ofer 1993, 32.) Die Cro-Magnon-Menschen schufen Kunstwerke, fädelten Muscheln zu Ketten, zeichneten und malten auf Höhlenwände Tier-und Jagdszenen und schnitzten Flöten sowie kleine Figuren, darunter viele „von erstaunlicher Schönheit und Ausdruckskraft“. (Pringle 2013, 48) Die Kultur der mittleren Altsteinzeit (Paläolithikum), das Gravettien, fiel vor 35 000 bis 24 000 Jahren in eine Abkühlungsphase vor dem Einsetzen der maximalen Vereisungen der letzten Kaltzeit. Im kühlen Europa breiteten sich plötzlich an verschiedenen Orten Kunst und Kultur aus. Schon vor 35 000 Jahren erklang auf der Schwäbischen Alb Musik, als ein Höhlenbewohner auf einer aus dem Flügelknochen eines Gänsegeiers geschnitzten Flöte musizierte. Neben der Knochenflöte wurde hier auch eine Frauenfigur gefunden, die „Venus vom Hohle Fels“. Die in Europa zur Entfaltung gekommene Kulturstufe basierte zweifelsfrei auf der Fähigkeit zu abstraktem, symbolischem Denken. (Tattersall 2002, XXII, 56) Zu den ältesten Kunstwerken gehörten Elfenbeinschnitzereien aus der Zeit von 39 000 bis 32 000 Jahren in einer Höhle bei Brynzeny in Bessarabien und in Sungir nordöstlich von Moskau. Das bereits erwähnte Skelett eines jungen Mannes in Kostenki war mit rotem Ocker bedeckt. Mitmenschen hatten seinen Leichnam mit Schmuck aus Eckzähnen von Polarfüchsen und aus Schneckenhän drapiert, die vom 500 Kilometer entfernten Schwarzen Meer stammten. Sie fertigten Perlen aus Fuchs- und Vogelknochen mit spiralförmigen
Rillenmustern. In Abri Castanet in der Dordogne produzierte „eine regelrechte Fabrik“ Perlen aus Mammutzähnen, Rentiergeweihen und Speckstein. (Bojs 2018, 47-51) Die württembergischen Höhlen Vogelherd, Hohlenstein-Stadel und Geißenklösterle verbargen über Jahrtausende Plastiken aus der Zeit vor etwa 30 000 Jahren, die alle „echte Kunstwerke“ sind. (Probst 1986, 362) Sie gelten als älteste Belege figürlicher Kunst in Europa.
Höhlenzeichnungen in Frankreich vor 36.000 und 30.000 Jahren
Lascaux in der Region Nouvelle-Aquitaine birgt die wohl schönste und am reichsten bemalte Höhle. „Was wir in Lascaux erblicken“, so schwärmte der Schriftsteller Georges Bataille, „ist die Morgendämmerung des Menschengeschlechtes“. Vom Menschen von Lascaux könne man „mit Sicherheit und zum ersten Male sagen, dass er, indem er Kunstwerke schuf, unseresgleichen war“. Während wir heute auf Grundlagen aufbauen können, habe er „aus dem Nichts die Welt der Kunst“ erschaffen, mit welcher der Geist begann, sich mitzuteilen. Auf diese Weise stellte er die Verbindung zwischen der Gegenwart und „einer sich in der Tiefe der Zeiten verlierenden Vergangenheit“ her. Davon legten die Malereien Zeugnis ab, „die eine unendlich lange Zeit nicht hat auslöschen können“. Seine Botschaft gehe uns nahe, weil sie „die Ganzheit des Menschenwesens in uns anruft“. Die Kunst sei „die Vision eines Fernsten, einer unbekannten Tiefe“. Die „animalische Wesenheit“ des tierischen Reigens an den Höhlenwänden sei für uns Menschen „das erste stumme und doch fühlbare Zeichen unserer Gegenwart im Universum“. Die Fresken von Lascaux zeigten den Übergang zum Homo sapiens, „physisch gesehen also der von der Anlage zum fertigen Wesen“. (Bataille 1986, 11, 18) Von den Neandertalern ist in diesen Zusammenhängen keine Rede. Auch in der Chauvet-Höhle im Südosten Frankreichs entdeckten Forscher Tierdarstellungen von hoher ästhetischer Qualität. Die Künstler zeichneten bereits perspektivisch, beherrschten verschiedene Maltechniken und waren in der Lage, das Verhalten von Tieren naturgetreu darzustellen. (Clottes 2003, 1f.) In der Höhle fanden sich 31 000 Jahre alte gemalte oder geritzte Figuren von Tieren. Der Mensch wurde maskiert, in Gestalt eines Zwitterwesens, halb Bison, halb Mensch, dargestellt. Die altsteinzeitliche Kunst brachte eine Reihe großer Malschulen hervor. (Coppens 2011b) Die Menschen, die die Wände bemalten, waren wie wir: „Sie dachten über die Welt und ihren Platz in ihr nach, sie hatten ein Bewusstsein.“ (Al-Khalili/McFadden 2015, 287f.) Viele der Malereien und der Schmuckstücke in verschiedenen Höhlen wurden von Frauen geschaffen. (Omphalius/Tanner 2020) Berühmt ist auch die Höhle von Altamira im spanischen Kantabrien. Stephen Jay Gould meint, Pablo Picasso sei „mit seiner geistigen Komplexität um keinen Deut weiter“ gewesen „als diese Vorfahren“. (Gould 1999, 270)
Waffentechnik im Gravettien vor 35 000 bis 24 000 und das Solutréen vor 26 000 bis 18 000 Jahren
Neben der Kunst entwickelte sich auch die Waffentechnik. Der eiszeitliche Homo sapiens schuf eine „grandiose Jägerkultur“. Aus der Zeit des Gravettien fand man Speerspitzen aus Feuerstein, die an hölzernen Schäften befestigt waren. Die Menschen jagten Mammuts, Wildpferde und Rentiere. Gegen Ende der Altsteinzeit erschienen Pfeil und Bogen, Speerschleudern und Harpunen. Durch sie war die Jagd weniger riskant. Vor allem Projektil-Waffen, wie etwa Speerschleudern, machten die Jäger „unaufhaltbar und unbezwingbar“. (Marean 2016, 48-55) Die mittlere Jungsteinzeit war geprägt durch die Weichselkaltzeit und durch das nur in Süd- und Westeuropa auftretende Solutréen. Dies war eine Kultur, die während des letzten Kältemaximums der Weichseleiszeit vor etwa 22 000 bis 18 000 Jahren verbreitet war. In dieser Zeit erfanden die Menschen Speerschleudern und perfektionierten die Feuersteinbearbeitung. Die Erfindung der Knochennadel mit einer Öse ermöglichte das Nähen von Lederkleidung. (Schrenk 1997, 119) In Nord- und Mitteleuropa erreichten die Weichsel- und Würm-Eiszeiten vor 26 000 bis 18 000 Jahren ihre maximalen Ausdehnungen. Die Landstriche nördlich der Alpen waren „ziemlich menschenleer“. (Rahmstorf 2001, 12f.) Das Eis drang bis in die Nähe Hamburgs vor, zugleich bedeckten Gletscher das Alpenvorland bis nach Rosenheim. Im eisfreien Korridor machten Dauerfrostböden und Tundren das Überleben unmöglich. (Rahmstorf 2001, 12f.) Neandertaler gab es längst nicht mehr, wohl aber ihr genetisches Erbe in den Homo sapiens, die sich vor 25 000 bis 20 000 Jahren ins wärmere West- und Südeuropa zurückzogen.
Das Magdalénien in der späten Jungsteinzeit vor 20 000 bis 14 000 Jahren
Trotz dramatischer Klimaschwankungen gab es eine genetische Kontinuität aus der Vor-Eiszeit zu den vor 19 000 bis 14 500 Jahre lebenden Homo sapiens in Süd-Westeuropa. Sie besiedelten nach dem Abklingen der letzten Eiszeit Mittelund Nordeuropa erneut. Die späte Jungsteinzeit war durch das Magdalénien charakterisiert, eine Kulturstufe im Jungpaläolithikum Mittel- und Westeuropas. Benannt wurde es nach der Halbhöhle La Madeleine im Département Dordogne. Meist herrschte kaltes und trockenes Wetter. Als es wärmer wurde, wanderten immer mehr Menschen in das fast unbewohnte Europa. Die früheste bekannte Siedlung stammt aus der Zeit vor 18 000 Jahren in Südwestdeutschland, das wegen seines warmen Klimas nicht umsonst „Toskana Deutschlands“ genannt wird. (Hamel/Vennemann 2002, 32) Die Nachfahren der Aurignacien-Kultur verbreiteten von Südwesteuropa ausgehend die Kultur des Magdalénien. In Westdeutschland finden sich seine Spuren im westlichen Niederrheingebiet und in einigen südwestfälischen Höhlen. (Richter, J. 2018, 203f.) Vor 9 500 Jahren waren die skandinavischen Gletscher etwa 800 Kilometer von der Ostseeküste entfernt. Die Küste der Nordsee befand sich weiter nördlich. Zwischen Südbritannien und Jütland erstreckte sich ein Festlandsband. Vor 18 000 bis 8 000 Jahren wanderten endpaläolithische Jäger aus dem Süden in eisfrei gewordene Gebiete des nördlichen Europas ein, im Osten nach Mähren und Thüringen. (Walkowitz 2004, 17f.) In Norddeutschland entwickelten sie eine Rentierjägerkultur, die sich nach Pommern und Britannien ausdehnte. (Hamel/Vennemann 2002, 32) Die Menschen lebten in großen Gruppen und folgten den Herden von Pferd und Rentier. Aus der Zeit stammen reich verzierte Knochenartefakte sowie Schmuck und Kleinkunstwerke. In Frankreich und Spanien war dies die Hauptzeit bemalter und gravierter Höhlenräume. (Richter, J. 2018, 203f.) Die Höhlenmalerei erlebte vor 17 000 Jahren einen „grandiosen Höhepunkt“. (Probst 1991, 27) Der namengebende Fundort von Höhlenkunst aus dieser Zeit befindet sich bei Solutré-Pouilly in Burgund. Im Solutréen und im Magdalénien entstanden Malereien in tiefen Höhlen, wie denen von Lascaux, Gabillou und Pech-Merle. (Clottes 2003, 1ff.) Die Temperatur stieg innerhalb von hundert
Jahren um über zehn Grad Celsius, fiel aber wenig später wieder, um danach erneut in die Höhe zu schnellen. (Reichholf 2008a, 27f.)
Die Neubesiedlung Europas vor 14 500 Jahren durch Homo sapiens aus dem Nahen Osten und Eurasien
Der eurasische Raum samt dem westasiatischen Sibirien wurde nach der extremen Kälte des letzten Gletschermaximums von „Völkern mit neueren gemeinsamen Vorfahren neu bevölkert“. (Jeong/Balanovsky/Krause 2019, 966976) Zu ihnen gehörten Jäger und Sammler aus Osteuropa. Sie stammten von Mammutjägern ab, die seit der Zeit vor 15 000 Jahren am Jennissei in Sibirien gelebt hatten. (Bading 2019) Die europäischen Jäger und Sammler, die vor etwa 45 000 Europa besiedelt hatten, wurden nun teilweise durch eine Bevölkerungsgruppe aus einer anderen, jüngeren Abstammungslinie überlagert. Johannes Krause vermutet, dass diese Gruppe die Eiszeit in Südosteuropa überdauert hatte und nach Nordwesten wanderte, als sich die Gletscher zurückzogen. (Besiedlung Europas 2016) Ihr Genom zeigt, dass ihre Entwicklung „mit den heutigen Nahostlern zusammenhängt“. (Fu/Posth/Reich 2016) Seit 14 000 Jahren bestand demnach „zwischen Europäern und den heute im Nahen Osten lebenden Menschen eine genetische Verwandtschaft“. Bislang war die Forschung davon ausgegangen, dass erst mit der Einführung der Landwirtschaft vor 10 000 bis 8 000 Jahren, als Bauern aus dem Nahen Osten nach Mitteleuropa einwanderten und die Gene der Jäger und Sammler überlagerten, eine Durchmischung erfolgte. Neue genetische Daten deuten jedoch, so Cosimo Posth, auf wesentlich frühere Einwanderungen hin. Es gibt zwei Hypothesen zur Klärung der „dramatische Veränderung in der Genetik der frühen Europäer“. Entweder wanderten Menschen aus dem Nahen Osten nach Europa ein, oder die Menschen aus dem Südosten Europas wanderten zu dieser Zeit sowohl nach Mitteleuropa als auch in den Nahen Osten ein, so dass die Populationen eine größere genetische Verwandtschaft aufwiesen. (Das genetische Geschichtsbuch der Steinzeit 2016) Jedenfalls war die Bevölkerung, die Nord- und Nordwesteuropa in Besitz nahm, genetisch nicht homogen, verschmolz aber kulturell „weitgehend zu einer Einheit“. Ihr äußeres Erscheinungsbild war schon zum Zeitpunkt der Migration vielfältig. „Zwar gehörten die Einwanderer so gut wie ausnahmslos dem
Großkreis der Europiden an.“ Aber deren Varianten waren auch im damaligen Nord- und Nordwesteuropa schon in ähnlicher Weise unterschiedlich wie heute. „Die nachhaltige Vermischung der verschiedenen eingeströmten Bevölkerungsgruppen in der folgenden Zeit änderte daran nichts.“ (Boettcher 2000, 27) Die Zeit der spätpaläolithischen Jägerkulturen endete vor 13 000 Jahren mit Naturkatastrophen. Der Laacher Vulkan in der Eifel brach aus. Ungeheure Bimsmassen bedeckten die Umgebung mit einer meterdicken Schicht. Der Rhein staute sich bei Andernach zum See. Als die Staumauer brach, überlebte im Umkreis von einigen 100 Kilometern kaum ein Lebewesen. (Richter, J. 2018, 205) Bis heute erinnert der Kaltwassergeysir bei Andernach im Landkreis Mayen-Koblenz mit seinen bis zu 60 Meter hohen Wassersäulen an die vulkanische Vergangenheit der Eifel. Rheinländer haben immer wieder einmal mit leichteren Erdbeben zu tun. Große Grabenbrüche der Erde wie der Oberrheingraben und die ostafrikanischen Gräben rissen weiter auf. Die Alpen und der Himalaja erreichten ihre heutige Höhe. Auch in Frankreich und in den Sudeten gab es Vulkaneruptionen. (Probst 1991, 30) Forscher fanden Hinweise auf einen Meteoriten, der vor etwa 13 000 Jahren möglicherweise alle Großsäuger im Aufprallgebiet auslöschte. Als Nachweis gilt eine in Nordamerika gefundene „schwarze Matte“, oberhalb derer keine Fossilien bisheriger Tiere zu finden sind. (Lesch/Kamphausen 2017, 92f.) Klimatologen nehmen an, dass einer der Tsunamis des nordamerikanischen Agassizsee über die Großen Seen und den Sankt-Lorenz-Strom in den Atlantik vor etwa 13 000 Jahren den Golfstrom unterbrach und für eine etwa Tausend Jahre andauernde Abkühlung sorgte. Die Nadelwaldzone schrumpfte, und in der nordeuropäischen Tiefebene breiteten sich Tundren- und Steppenlandschaften aus. (Gronenborn 2005, 57-61) Aber vor etwa 12 500 Jahren, kurz vor Ende der letzten Eiszeit, zogen im Sommer wie im Winter wieder Pferdeherden durch das Rheintal. (Reichholf 2008b, 49f.) Vor 12 000 Jahren begann die dauerhafte Besiedlung Nord-Eurasiens. Die Rentierjäger der nordwesteuropäischen „Ahrensburger Kultur“ folgten ihrem Jagdwild bis in die Polarregion. (Boettcher 2000, 28)
Das Ende von Eiszeit und Altsteinzeit sowie die Entstehung verschiedener Kulturzonen klimatisch angeter Homo sapiens
Vom Beginn der Mittelsteinzeit vor 10 000 bis vor etwa 9 000 Jahren herrschte in Mitteleuropa ein kühl-kontinentales Klima, das jedoch im Vergleich zur letzten Eiszeit milder ausfiel. Die Lebensbedingungen für Jäger und Sammler verschlechterten sich jedoch, weil es immer weniger Mammuts, Wisente, Hirsche, Wildpferde und andere Großtiere gab. (Reichholf 2008a, 32) Wo immer Homo sapiens auftauchten, starben ganze Tierarten aus. Die Menschen waren sich dessen nicht bewusst. Das Verschwinden ihrer Nahrungsgrundlage ging nach evolutionären Zeitmaßstäben rasch vonstatten, nach menschlichem Ermessen langsam und allmählich. „Die alten Sapiens merken vermutlich nicht einmal, dass eine Verbindung zwischen der jährlichen Mammutjagd“ und „dem Verschwinden dieser wuscheligen Riesen bestand.“ (Harari 2017, 106) Im mesolithischen Kulturgebiet Nord- und Mitteleuropas trafen nach dem Ende der Eiszeit mehrere Kulturströme aufeinander. Sie kamen aus dem Westen wie aus dem Südosten Europas und aus der eurasischen Steppe. Die Nordhälfte Europas wurde zum „größten kulturellen und biologischen Schmelztiegel der Geschichte“. (Boettcher 2000, 15, 23) Der Übergang zur neolithischen Lebensweise fand in verschiedenen Erdregionen unabhängig voneinander statt. Zentren waren der Nahe Osten, das Tal des Indus, Ostasien und Nordamerika, möglicherweise auch Neuguinea und Afrika südlich der Sahara. (Vonderach 2008, 66) Ein Symbol der kulturellen Entfaltung ist das vor 12 000 Jahren errichtete Göbekli Tepe in Anatolien. Es handelte sich um ein steinzeitliches Bergheiligtum, dessen Nutzung bis in die Zeit vor über 10 000 Jahren zurückreicht. Es zeigt, dass Religionen nicht die Folge von Landwirtschaft und eines sesshaften Lebens waren, sondern bereits von Jägern und Sammlern an der Schwelle zum Neolithikum praktiziert wurden. (Schmidt, K. 2006, 151) Göbekli Tepe nahm mit seiner monumentalen, megalithischen Kultur „die architektonische Wucht des südenglischen Stonehenge um mehr als sechs Jahrtausende vorweg“. (Reichholf 2008a, 275) In dieser Zeit umfasste die gesamte Menschheit auf der Erde schätzungsweise 500 000 Individuen, vor 10 000 Jahren waren es bereits fünf Millionen. (Coppens 2011a, unpag.)
21. Das Ende der Mittelsteinzeit und die Verbreitung der Landwirtschaft zu Beginn der Jungsteinzeit vor 12 000 bis 6 000 Jahren
Der Übergang von Jägern und Sammlern zu Ackerbauern und Viehaltern
Die „Neolithische Revolution“, bei der es sich eigentlich um eine evolutionäre Entwicklung der Landwirtschaft handelte, markierte den Beginn der Jungsteinzeit (Neolithikum) und die Epoche des Übergangs von Jäger- und Sammler- zu Hirten- und Bauernkulturen. Während der Entwicklung und Ausbreitung der ersten Landwirtschaft in Mesopotamien kam es vor 10 000 bis 6 000 Jahren zu einem Klimaoptimum, (Rasmussen u. a. 2008, S. 57-60) welches die Entwicklung sesshafter Landwirtschaft begünstigte. In der Sahara erstreckten sich grüne Savannen- und Waldlandschaften mit Seen und Flüssen. Im Nahen Osten breiteten sich Wälder und Grassteppen aus, auf denen Wildgetreide wuchs. Dörfliche Gemeinschaften gingen jagen, fischen und sammelten Wildpflanzen. Sie bauten Getreide sowie Hülsenfrüchte an und domestizierten Schafe und Ziegen. Vor 10 000 Jahren wurden aus Einkorn Dinkel und Kamut kultiviert. Wildbeuter wurden sesshaft und entwickelten landwirtschaftliche Geräte und Bewässerungstechniken. Von Mesopotamien breitete sich die neue, sesshafte Lebensform in den südwestsowie südasiatischen Raum einschließlich Indiens aus und gelangte schließlich auch nach Süd-, Mittel- und Westeuropa. (Ludwig 2006, 112f.) Lennart Palmqvist nennt die damalige Erfindung der Landwirtschaft die wichtigste und einzig wirkliche Innovation bis zur Industriellen Revolution im 20. Jahrhundert. (Palmqvist 2004, 229) Der fruchtbare Halbmond, in dem vor 13 000 Jahren die Neolithische Revolution begann, liegt zum Teil auf anatolischem Gebiet. Hier verschwanden die Jäger-und-Sammler-Kulturen. Vor 10 300 Jahren begann die Ausdehnung der dörflichen Lebensweise nach Westen. Boncuklu und Pınarbaşı sind die ältesten Fundorte Anatoliens, an denen sich vor 10 500 bis 10 000 Sesshaftigkeit und eine lange bewohnte Siedlung nachweisen lassen. Ein wichtiges Zentrum war vor 9 400 bis 8 200 Jahren auch Çatalhöyük. (Curry 2019) Die türkische Bevölkerung gelangte erst im 11. Jahrhundert durch Eroberungen der Seldschuken nach Anatolien.
Die Sintflut vor 8 700 bis 8 600 Jahren
Im Gilgamesch-Epos, in der Hebräischen Bibel und im Koran ist die Rede von einer Sintflut. (Laske 2015) Tatsächlich durchbrachen Wassermassen des Mittelmeers vor 8 700 bis 8 400 Jahren die Landbrücke am Bosporus. Dabei trafen Salzwassermassen aus dem Mittelmeer „mit solcher Wucht auf das Reservoire des Sees, dass sich meterhohe Wellen aufbauten, die sich wie riesige Wälle bewegten, auf die Küstensäume zurasten und dort gewaltige Zerstörungen verursachten“. (Haarmann 2011, 20, 27, 29) Als Folge entstand das Schwarze Meer. Ursache des Ereignisses war wohl eine Flutwelle aus Gletscherwasser, die sich wieder einmal vom nordamerikanischen Agassizsee über die Hudson Bay in den Atlantik ergoss. Große Mengen Süßwasser ließen die Warmwasserzufuhr des Golfstroms in den nördlichen Atlantik zusammenbrechen. Die Temperatur sank um drei bis sieben Grad Celsius. (Weninger 2005, 86, 104) Vor 8 200 Jahren begann eine „kleine Eiszeit“. (Haarmann 2011, 10, 32) Die drastischen Veränderungen der Lebensverhältnisse setzten einen Prozess in Gang, in dessen Verlauf es zur Akkulturation der einheimischen (alteuropäischen) Bevölkerung an agrarische Lebensweisen kam. Die Menschen wanderten in andere Regionen aus. Auf Zypern und in Anatolien gaben sie mehrere Dauersiedlungen auf. Die Flutwelle führte tausende Kilometer von ihrer Ursache entfernt zu irreversiblen Umbrüchen der Lebensweise in Teilen Südosteuropas und Westasiens. (Weninger 2005, 103f.)
Die Ausbreitung der neolithischen Landwirtschaft nach Europa vor 10 000 bis 7 000 Jahren
Diffusionisten und Migrationisten streiten sich, ob Bauern die neolithische, von Landwirtschaft geprägte Lebensweise aus dem Nahen Osten nach Europa mitbrachten oder ob europäische Jäger und Sammler selbst für deren Verbreitung sorgten. (Soinney 2021, 16) Die meisten Wissenschaftler gehen davon aus, dass die Entwicklung von Nahost über Anatolien nach Europa übergriff. Erste Migranten gelangten vor 10 000 Jahren über die Landbrücke am Bosporus, durch die Europa damals noch mit Kleinasien verbunden war. (Marler/Haarmann 2006). Sie verließen ihr anatolisches und zyprisches Zuhause und gründeten in Thrakien, Makedonien, Thessalien, Bulgarien und Nordmesopotamien neue Siedlungen. (Weninger 2005, 103f.) Dabei brachten sie auch ihr domestiziertes Vieh und ihre Kulturpflanzen mit. Früheste Spuren von Pflanzenanbau auf europäischem Boden stammen aus Thessalien in der Zeit vor 9 000 Jahren. (Haarmann 2012, 19) Es entstandene Siedlungen wie Sesklo, Achilleion oder Larissa. (Cunliffe 2008, 101f) Ihre kulturellen und landwirtschaftlichen Errungenschaften breiteten sich von dort über die griechischen Inseln und den Balkan aus. Die Erwärmung des Klimas vor 7 800 Jahren begünstigte die Expansion. Vor 7 500 und 7 400 Jahren entstanden Siedlungen im Karpatenbecken. Die Bauern fertigten Keramikgefäße, die wegen ihrer Dekormotive als Linienbandkeramik bezeichnet werden. (Soinney 2021, 20) Johannes Krause nennt die Migration „eine echte Zeitenwende in der Geschichte Europas“. (Krause, Johannes 2019, Pos. 90-102) Andere Experten bezeichnen die Migranten als „so etwas wie Missionare der Kultur des Nahen Ostens“. (Langaney/Clottes/Guilaine/Simonnet 2000, S. 140f.) Sie breiteten sich aber nicht nur in Richtung Karpaten und zum Schwarzen Meer aus, sondern bewegten sich entlang der Mittelmeerküste über Italien und Frankreich bis zur Iberischen Halbinsel. (Soinney 2021, 21) Vom Mittelmeer zogen sie bis ins Rhein- und Moseltal sowie weiter nach Osten. (Gronenborn 2005, 57-61) Vor 7 400 bis 5 500 Jahren erreichten sie Mähren, Böhmen, Polen sowie Mitteldeutschland und verbreiteten ihre bandkeramische Kultur. (Boettcher 2000, 35)
Nicht alle Experten folgen dieser Sichtweise. So bezweifelt Alexander Hä, dass anatolische Landwirte die Bandkeramik in Europa verbreiteten. Aus der Zeit vor 5 000 Jahren liegen seines Erachtens für die Region zwischen Nordsee und Kaspischem Meer und für weilte Teile Nordeurasiens keine archäologischen Anzeichen für die Entstehung von Kulturen Europas „als Ergebnis der Addition verschiedener Kulturen bzw. Kulturtraditionen“ vor. (Häusler 2002, 58) Auch Harald Haarmann bestreitet eine Migration. Für ihn war die Kultur der Bandkeramiker eine innereuropäische Bewegung. Nachkommen alteuropäischer Jäger und Sammler hätten sich zwar akkulturiert, dies aber nur in Wirtschaftsform und Lebensweise. Sie nahmen die landwirtschaftliche Lebensweise an, verständigten sich aber weiter in ihren vorindoeuropäischen Sprachen. (Haarmann 2012, 20; 2016, Pos. 543, 559, 1602-1617)
Die Anatolische Hypothese
Kaum noch diskutiert wird die „Anatolische Hypothese“ von Colin Renfrew, nach dessen Meinung die Urheimat der Indoeuropäer in Anatolien lag. Mit der Expansion des neolithischen Ackerbaus von Anatolien über den Balkan nach Europa sei auch die indoeuropäische Sprache verbreitet worden Demnach lag die Urheimat der Indoeuropäer in Anatolien. (Renfrew 1987, 75-98). Eine modifizierte Hypothese integriert neue Erkenntnisse der Genetik europäischer Populationen. Die „Kaukasus-Iran-Hypothese“ ist im Zusammenhang mit der Anatolien-Hypothese zu sehen, baut aber auf linguistischen sowie genetischen Daten aus den Jahren 2018 und 2019 auf. Demnach erfolgte ab der Zeit vor 8 500 Jahren die neolithische Expansion aus Anatolien über den Balkan. (Haarmann 2012, 31f.) Vor 7 000 Jahren folgte mit der Ausbreitung kupferzeitlicher Kulturen eine Dreiteilung indogermanischer Sprachen auf dem Balkan. Es kam zur Aufspaltung in einen nordwesteuropäischen Zweig (Donauraum) und einen östlichen Steppenzweig (Vorfahren der Tocharer). Erst später kam es demnach zur Aufspaltung der Sprachfamilien vom Proto-Indogermanischen in die griechische, armenische, albanische, indo-iranische und baltisch-slawische Sprache. Keine der HerkunftsHypothesen ist allerdings bisher auf allgemeine Akzeptanz gestoßen. (Day 2001).
Beziehungen zwischen jungsteinzeitlichen Ackerbauern sowie steinzeitlichen Jägern und Sammlern
Erste Begegnungen mittel- mit neusteinzeitlichen Gruppen dürften, so Laura Soinney, eher spannungsreich verlaufen sein. Zwar waren beide Gruppen Nachfolger von Homo sapiens aus Afrika, aber es waren ca. 40 000 Jahre vergangen, in denen sich die Gruppen physisch, kulturell und sprachlich weit auseinanderentwickelt hatten. Auch wenn es keine direkten Belege für gewalttätige Auseinandersetzungen gibt, begegneten sich die Gruppen wahrscheinlich feindlich. Die Ungleichheit zwischen Bauern und Wildbeutern führte wohl auch dazu, dass anatolische Siedler europäische Jäger und Sammler versklavten, vielleicht sogar opferten, „um ihre Herren ins Jenseits zu begleiten“. Erst im Laufe der Zeit entwickelte sich ein Austausch. In Friedberg in der Wetterau lebten vor 7 300 Jahren Bauern und Wildbeuter gemeinsam in einer, so Detlef Gronenborn, „multikulturellen“ Siedlung und handelten miteinander. Die Bauern erwarben fein bearbeitete Pfeilspitzen aus Stein. An einigen Orten vermischten sich Individuen beider Gruppen, andernorts blieben sie auf Distanz. Mit der Zeit wuchs die Zahl der Bauern, und ein Teil der Jäger und Sammler ging in der neuen Bevölkerung auf. Wer sich nicht ante, wurde in Randbereiche verdrängt. (Soinney 2021, 17f., 23f.) Funde zeigen aber auch, dass es geschlossene Jäger-Sammler-Gesellschaften noch lange nach Ankunft der Bauern gab. (Massive migration 2015) Sie erzählen etwas über das Zusammentreffen der Bandkeramiker mit Gruppen der zwischen 7 100 und 6 100 Jahren in Dänemark und Norddeutschland beheimateten Ertebølle-Kultur. Für Carl-Heinz Boettcher löste dieses Zusammentreffen einen „Prozess von zukunftsträchtiger Bedeutung“ aus. Nach Auseinandersetzungen folgten Überschichtungen und Verschmelzungen. Das Ergebnis war die Trichterbecherkultur. (Boettcher 2000, 20)
Die genetische Vermischung mesolithischer Jäger und Sammler mit neolithischen Landwirten
Die Suche nach der Roten Linie bliebe in diesem Abschnitt der Evolution ohne die Genforschung erfolglos. Danke ihrer Hilfe lassen sich jedoch Zusammenhänge erkennen, die sich freilich nicht immer mit Kulturen und Sprachen deckten. So zeigen heutige Genanalysen, dass die Bedeutung der anatolischen Landwirte größer als bislang angenommen war. Deren Gentransfer nach Europa war für die Entwicklung zum heutigen Menschen von größerer Bedeutung als die sich wandelnde Kultur. (Walkowitz 2004, 18) Anatolische Gene breiteten sich in Europa schnell aus und beeinflussten den Geschichtsverlauf. (Curry 2019) Die Gene der Migranten bewirkten bei den europäischen Jägern und Sammlern eine Veränderung des Phänotyps. Bisher waren Jäger und Sammler eher dunkelhäutig, hatten aber meist helle, manchmal blaue Augen. (Keck 2019) Das begann sich nun zu ändern. Schon entlang der Südroute am Mittelmeer vermischten sich Einwanderer mit Wildbeutern. Aus den ersten beiden Jahrhunderten, in denen anatolische Bauern Europa erreichten, fand man sterbliche Reste von Menschen, die genetisch zu 55 Prozent Jäger und Sammler waren. Die Funde lassen keinen Zweifel daran, dass Bauern und Jäger bereits kurz nach Ankunft der Siedler in Westeuropa gemeinsamen Nachwuchs zeugten. (Soinney 2021, 27) Von Boncuklu bis Britannien lassen sich, so Andrew Curry, die „genetischen Spuren Anatoliens“ überall dort finden, „wo die Landwirtschaft erstmals aufblühte“. So entsprechen in Boncuklu gefundene Fossilien dem Genom der Ackerbauern, die Jahrhunderte später und hunderte Kilometer weiter nordwestlich lebten. (Curry 2019) Da sie „genetisch nahezu identisch“ mit denen der Jäger und Sammler waren, (Haak/Lazaridis 2015) gab es keine Probleme wie bei Hybriden von Homo neanderthalensis und Homo sapiens Jahrtausende zuvor. Im österreichischen Brunn fanden Archäologen Gräber aus der Zeit vor 7 700 und 7 400 Jahren. In einem war das Kind einer Wildbeuterin und eines Bauern beigesetzt worden. (Soinney 2021, 24f.) Iosif Lazaridis geht davon aus, dass die Gene der Jäger und Sammler nicht komplett verschwanden. Menschliche Überreste in ganz Europa bestätigen, dass es vor 6 700 Jahren zu einem „Wiederanstieg des Jäger- und-Sammler-Anteils
im Genom der Bauern“ kam. (Soinney 2021, 24) Jäger und Sammler, so auch Ute Keck, steuerten bis zu 20 Prozent der Gene der heutigen Europäer bei, die Gene der anatolischen Ackerbauern machen heute im Durchschnitt rund 50 Prozent unseres Genoms aus. (Keck 2019) Einige Experten bezweifeln eine solche Rolle der Anatolier. Für Alexander Häusler gab es seit dem Mesolithikum eine „kontinuierliche Weiterentwicklung ein und derselben Bevölkerung“. Kelten, Germanen, Slawen, Balten, Italiker und Griechen waren demnach keine Nachkommen von „Neueinwanderern aus der Fremde“, auch nicht das Ergebnis der Vermischung einer autochthonen Vorbevölkerung mit Zuwanderern oder gar Eroberern von außerhalb, sondern die Nachkommen der in den jeweiligen Territorien spätestens seit der Mittleren Steinzeit ansässigen Bevölkerung. (Häusler 2002, 58) Ähnlich interpretiert Harald Haarmann die Forschungsergebnisse so, dass „unser genetisches Erbgut zum überwiegenden Teil autochthon ist“. Für die Populationen in Europa sei demnach „ein hohes Maß an Stabilität der DNA des Y-Chromosoms festzustellen, was dafür spricht, dass in den Adern der modernen Europäer überwiegend das Blut ihrer paläolithischen Vorfahren fließt, also nicht das Blut von Einwanderern aus Anatolien“. (Haarmann 2016, Pos. 543, 559, 1602-1617)
„Alteuropa“ und „Alteuropäer“
Um es „klar von dem indogermanisierten Europa der darauffolgenden Epoche zu unterscheiden“, führte Marija Gimbutas den Begriff „Alteuropa“ für das neolithische und kupferzeitliche Europa vor 8 500 bis 5 500 Jahren ein. Für die Expertin stellte die frühe Kultur Europas die „Antithese all dessen“ dar, was heute unter indoeuropäisch verstanden wird. Die „höchsten Errungenschaften der alteuropäischen Zivilisation“ manifestierten sich ihres Erachtens im 5. Jahrtausend in Ostmitteleuropa. In ihrer „höchsten Blüte“ sei diese Kultur „eine Beute von Hirtennomaden aus der Dnjepr-Wolga-Steppe“ geworden. (Gimbutas 1992, 5f.) Die Bewohner waren demnach bis zur Migration der osteuropäischen Indoeuropäer „Alteuropäer“. Alteuropa umfasste die Zeitspanne von der Migration anatolischer Ackerbauern bis zum Einwandern indoeuropäischer Steppenreiter. Alteuropäer stellten demnach eine Zwischenstufe des Homo sapiens zwischen der Zeit des Aussterbens der Neandertaler und dem Beginn der Ausbreitung der Landwirtschaft dar. In den Alteuropäern fusionierten steinzeitliche europäische Jäger- und Sammler-Gene mit den weitgehend gleichen Genen der Ackerbauern aus Anatolien bzw. dem Nahen Osten. Zu den vorindoeuropäischen Völkern des Alten Europa zählten Basken, Etrusker, Pelasger, Leleger, Altiberer, Ligurer, Räter und Sikanen. Viele wurden später von keltischen und anderen Stämmen assimiliert. Heute gibt es nur noch zwei Ethnien, die ziemlich direkt von der vorindoeuropäischen Urbevölkerung abstammen. Es sind dies die Samen im nördlichen Skandinavien und die Basken in Westeuropa. Die Basken gelten als Nachfahren der Cro-Magnon-Menschen und unterscheiden sich genetisch stark von Spaniern und Franzosen. Ihr Genom weist eine andere Haplogruppe auf. „Baske-sein“ definiert sich demnach nicht nur durch Sprache und Kultur, sondern vor allem genetisch. Die Lappen sind zwar heute genetisch Europäer, tragen aber dennoch einen hohen Prozentsatz an Genen in sich, die sich von denen übriger Europäer unterscheiden. Ihr Genom zeigt, dass ihre Vorfahren Uralier waren, die sich später mit indoeuropäischen Skandinaviern vermischten. (Cavalli-Sforza, Luici 1996, 132) Es ist schwer, in der Übergangsphase von der biologischen Evolution zum Menschen über die Entstehung primär kultureller Strukturen bis zur
Herausbildung erster Staaten einen Roten Faden zu erkennen. Er wurde mit anderen Linien zu einem kunstvollen genetischen Teppich verwoben, in dem die Farbe Rot zwar erkennbar ist, aber nicht ohne Beachtung verschiedener farblicher Muster gedeutet werden kann. Unser Roter Faden teilte sich in die Linien der steinzeitlichen Jäger und Sammler Europas einerseits, ab dem Neolithikum aber anderseits auch in die Linien von Populationen in Mesopotamien und Anatolien.
22. Die Besiedlung Zentraleuropas durch Indoeuropäer aus der pontischen Steppe vor 7 000 bis 4 400 Jahren
Entstehung und Entwicklung der Indoeuropäer am Ural seit der Zeit vor 8 000 Jahren
Unsere Vorfahren: Steinzeitliche Jäger und Sammler, jungsteinzeitliche Ackerbauern, indoeuropäische Steppenreiter und weinanbauende Kaukasier
Wir wissen heute, dass wir nicht allein von steinzeitlichen Jägern und Sammlern sowie in Folge der Einführung der Landwirtschaft von Ackerbauern aus Anatolien, dem Nahen Osten oder Balkan abstammen, sondern auch von Indoeuropäern und Kaukasiern. Alle Ahnenlinien entstammen den Populationen des Homo sapiens, die in mehreren Schüben Afrika über den Nahen Osten verlassen hatten. Das trifft auch auf die bereits erwähnten Siedler zu, die Eurasien bereits ab der Zeit vor ca. 15 000 Jahren überall dort besiedelt hatten, wo der Eispanzer geschmolzen war. So waren die Gene früherer Europäer bereits modifiziert, als in der Zeit ab vor 8 000 Jahren neue Migrationswellen Zentraleuropa erreichten. Luici Cavalli-Sforza weist darauf hin, dass „die Steppenvölker genetisch mit großer Wahrscheinlichkeit von den Neolithikern des Mittleren Ostens abstammen, die auf ihrer Wanderung nach Norden westlich oder östlich am Schwarzen Meer vorbei in die Steppenregion“ gelangt waren. Irrigerweise habe sich die Meinung festgesetzt, die indoeuropäischen Steppennomaden seien „Okkupanten einer fremden Macht“ gewesen, „die uns ihre Kulturen, Sprachen und Gene aufzwangen“. Die Humangenetik erzähle eine andere Geschichte, nämlich die, „dass es sich bei den pontischen Steppenvölkern der Kupfersteinzeit genetisch um ein und dieselbe Spezies“ wie die Jäger, Sammler und Ackerbauern handelte. Der einzige Unterschied bestand darin, dass ihre Gruppen nicht direkt nach Zentraleuropa gewandert waren, sondern zuvor über die Levante westlich oder östlich am Schwarzen Meer vorbei in die Steppenregion Osteuropas und bis nach Asien zogen. (Cavalli-Sforza, Luici 1996, 177f.) Von dort bewegten sie sich dann auch nach Zentraleuropa. Diese Zusammenhänge sind kaum bekannt, um wieviel weniger konnten Menschen damals wissen, dass sie alle zur gleichen Familie afrikanischer Migranten gehörten und nahezu identische Gene besaßen. Zu eng war ihr Horizont und zu kurz reichte der Blick zurück. Diesen Teil unserer Geschichte verdeckten über Jahrtausende Nebelschleier, die sich dank moderner Gentechnik erst heute zu lüften beginnen.
Im deutschen Sprachraum ist für die pontischen Nomaden traditionell, vor allem bei Sprachwissenschaftlern, der Begriff „Indogermanen“ bzw. „indogermanisch“ üblich. Außerhalb dessen ist meist von „indoeuropäisch“ die Rede. Beide Begriffe werden synonym gebraucht. Da die Bezeichnung „Indogermanen“ aber so missdeutet werden kann und wurde, als handele es sich allein um Vorfahren der Germanen, ist im Folgenden, außer in Zitaten, die Rede von „Indoeuropäern“. Konsequenterweise müsste man auch auf die Bezeichnung „Indo“ verzichten, denn die Indoeuropäer waren weder germanisch noch indisch. Bei Einführung des Begriffs „indogermanisch“ sollten insbesondere die Grenzen des weiten Sprachraums betont werden. Nicht nur die Nationalsozialisten reklamierten den Begriff „Indogermanen“ für ihre Rasse-Ideologie und behaupteten, Mitteleuropa sei die Urheimat der Indogermanen gewesen. Einige indische Wissenschaftler verorten die „indogermanische Urheimat“ in Indien. Die Harappa-Kultur wird von ihnen oft als „indogermanisch“ bzw. „indoarisch“ bezeichnet. Sie bestand vor 4 800 bis 3 800 Jahren und ist auch als Sindhu-Sarasvati-Zivilisation bekannt. Sarasvati ist eine der populärsten hinduistischen Göttinnen. Dahinter steckt wohl der Versuch, das Indogermanische mit den Trägern der vedischen Kultur in Verbindung zu bringen. „Es scheint“, so Elisabeth Hamel, „eine Vorliebe mancher Sprachwissenschaftler zu sein, ihre jeweils eigene Heimat als das Ursprungsland der Indoeuropäer anzusehen.“ (Hamel 2007, 223) Bis nach Indien also führt die Suche nach unserer Roten Linie, und sei es auch nur, um zu zeigen, wer zwar nicht zu unseren Vorfahren zählt, wohl aber zu unseren Verwandten. Inzwischen weisen Forscher auf die Rolle von Kaukasiern bei den genetischen Überlagerungen Europas hin. Auch ihr Code ist in unseren Genen festgeschrieben. Alfons Nehring meint, „am Fuße des Kaukasus“ sei der Ort gewesen, wo „sich eine uralische oder innerasiatische Bevölkerungsschicht (des Ur-Indogermanentums) mit einer kaukasischen bzw. mediterranen Bevölkerung verband“. (Zit. b. Gaitzsch 2008, 40) Andrea Manica sieht in der „SteinzeitPopulation aus dem Kaukasus“ den „vierten Hauptstrang der europäischen Ahnenreihe“. Zwei 13 000 und 10 000 Jahre alte Fossilfunde in Georgien zeigen auch nach Meinung von Nadja Podbregar „auffallende Übereinstimmungen mit dem Erbgut der Jamnaja“. Kaukasier haben sich demnach mit Vorfahren der Jamnaja gemischt. Die Träger der Jamnaja-Kultur waren demnach auch kaukasischer Herkunft und unterschieden sich äußerlich kaum von anderen Europäern. (Podbregar 2019)
Laut David Anthony gelangten kaukasische Jäger-Sammler-Gene vor 8 500 Jahren zu den osteuropäischen Jägern und Fischern in die Steppen der Mittleren Wolga zwischen Samara und Saratow. Im Kaukasus gab es schon eine neolithische Kultur, bei der in großen Bottichen Wein verarbeitet wurde. Ingo Bading meint hingegen, die „Kaukasus-Genetik“ sei vor 7 500 Jahren noch nicht bis nach Samara an der Mittleren Wolga vorgedrungen. Dort habe es derzeit nur „osteuropäische Jäger und Fischer-Genetik“ gegeben. Erst vor 7 000 Jahren kam es zu genetischen Vermischungen von Kaukasiern und Anatoliern, wie etwa bei der Maikop-Kultur nördlich des Kaukasus. Die „Kaukasus-Jäger-SammlerGene“ breiteten sich demnach in Richtung Norden entlang der Wolga aus. Kaukasische Jäger und Sammler trennten sich vor 7 000 Jahren genetisch von ihrer Ursprungsregion im Kaukasus und mischten sich mit osteuropäischen Jägern und Sammlern. Das mit den Trägern der Samara-Kultur genetisch verwandte Volk der Chwalynsk-Kultur kreuzte sich vor etwa 6 700 Jahren mit kaukasisch-neolithischen Rinderzüchtern, die sich von Süden, vom Kaspischen Meer aus entlang der Wolga ausbreiteten. In dieser Zeit kam es zur „50/50Vermischung“ zwischen osteuropäischen Jägern und Fischern und kaukasischen Herdenhaltern. Nicht die Samara-Kultur, so Bading, sei daher die Urheimat der Indoeuropäer gewesen, sondern die Chwalynsk-Kultur. (Bading 2019) Es ist den Hinweis wehrt, dass es auch in Afrika zur Hybridisierung einheimischer Populationen mit Kaukasiern kam. Nordafrikaner unterhielten über die Suez-Halbinsel und das Mittelmeer Kontakte mit Europäern. In Ostafrika handelten Europäer mit Arabern. Joachim Burger meint, dass vor 3 000 Jahren Bevölkerungsgruppen aus Vorderasien nach Afrika einwanderten. (Besiedlung Europas 2016) So entstammten die Berber-Populationen wahrscheinlich Kaukasiern, die sei dem Neolithikum in der Region lebten und über den Mittleren Osten nach Afrika vorstießen. Sie besiedelten sogar die Kanarischen Inseln. Als die Spanier diese im 15. Jahrhundert eroberten, trafen sie auf teils blonde, hochgewachsen und blauäugige Menschen. Ähnliche Merkmale lassen sich bei Berbern in Marokko finden. (Cavalli-Sforza, Luici 1996, 136f.)
Proto-Uralier und Proto-Indoeuropäer vor 8 000 Jahren
Welche Rolle spielten im genetischen Durchdringungsprozess Osteuropas und Westsibiriens die Proto-Uralier, die vor 8 000 Jahren auf die Bühne der Ur- und Frühgeschichte traten? Gehören auch sie zu unserer Rote Linie? Sie waren mit mongoliden Populationen in Nordasien verwandt; es gab aber auch Übereinstimmungen der uralischen mit der tschuktschischen Sprachgruppe und den Sprachen der Inuit. (Collinder 1965, 110) Ilse Schwidetzky meint, die „uralische Rasse und ihre Varianten“ stellten eine „Zwischenform zwischen Europiden und Mongoliden“ dar. Die Gruppen der Mansi und Chanti waren demnach die Hauptvertreter des uralischen Typus, während es sich bei der Mehrheit der Wolgafinnen um eine abgeschwächte „sub-uralische“ Variante handelte. (Schwidetzky 1986, 375) Die uralische Sprachfamilie gliederte sich in das Finnisch-Ugrische auf europäischer Seite und das Samojedische in Sibirien. Indoeuropäisch und Uralisch waren Verwandte des Altaischen bzw. der Turksprachen, des Mongolischen und des Tungusischen. Ein ugrischer Zweig wanderte aus seinem westsibirischen Siedlungsgebiet in süd-südöstliche Richtung und siedelte wie die Proto-Indoeuropäer westlich des Ural. Die „Epizentren beider Populationen“ befanden sich somit im äußersten Osteuropa. (Cavalli-Sforza 2000, 114-117) Die Proto-Uralier unterhielten Kontakte zu Proto-Indoeuropäern. Es gab enge Nachbarschaften und geschlechtliche Beziehungen. Die Proto-Uralier wurden dabei graduell indoeuropäisiert. Umgekehrt hinterließen auch sie genetischen Spuren bei den Indoeuropäern. Später trennten sich ihre Wege. Die ProtoIndoeuropäer zogen nach Süden in die pontische Steppe, die Proto-Uralier setzten ihre Jäger-, Fischer- und Sammlerkultur in den nördlichen Wäldern des Urals fort, (Kausen 2012, 51f.) bevor sich ihre Wege und Gene später in Nordeuropa erneut kreuzten.
Gab es eine indoeuropäische Ursprache?
Vor Beginn der Gen-Forschung konnten Ethnien nur aufgrund ihrer Kultur und Sprache zugeordnet werden. Beides spielt trotz aller Gentechnologie auch weiterhin eine wichtige Rolle. Werfen wie einen Blick auf den Ursprung der indoeuropäischen Sprachen, vielleicht finden sich hier Hinweise auf den Verlauf unsere Roten Linie. Die Meinungen über Rolle und Entstehung indoeuropäischen Sprachen gehen weit auseinander. (Kuckenburg 2006, 48f.) Einige Experten meinen, die Proto-Indoeuropäer seien weniger eine Ethnie oder Kultur gewesen, sondern wurden durch ihre sprachwissenschaftlich rekonstruierte Sprache definiert. Alle indoeuropäischen Sprachen gingen auf eine gemeinsame Ursprache zurück, die von einem möglicherweise im Kaukasus, später in Ostmitteleuropa beheimateten Volk, gesprochen wurde. (Indogermane 2020) Andere meinen, die Ursprache sei im heutigen Kurdistan zuhause. Die indoeuropäischen Sprachen wären erst nach Umrunden des Kaspischen Meere durch die Steppe Turkmenistans, Usbekistans und Kasachstans, also durch Zonen, in denen stets Nomaden lebten, in die nordpontischen Gebiete und von dort nach Mittel- und Osteuropa gelangt. (Walkowitz 2004, 17) Unklar ist, wie die Sprache der Proto-Indoeuropäer zuzuordnen ist, die in Osteuropa am Ural siedelten und von dort in die pontische Steppe wanderten. Einige Experten sehen den südlichen Kaukasus als Ausgangspunkt der indoeuropäischen Ursprache. Von hier aus breitete sie sich demnach ostwärts um das Kaspische Meer aus, erfuhr dort ihre tocharische bzw. nordindische Abspaltung und verlief dann westwärts in den nordpontischen Raum. (Gamkrelidse/Iwanow 2000, 50-57) Theo Vennemann vermutet, dass das Indoeuropäische zeitgleich mit dem Vaskonischen entstand. Die vaskonische Hypothese ist eine hypothetische Annahme zur Frühgeschichte Europas. Sie geht davon aus, dass vor 7 000 Jahren in weiten Teilen Europas Sprachen der vaskonischen Sprachfamilie gesprochen wurden, deren letzte überlebende Vertreterin die baskische Sprache sei. Die indoeuropäischen Sprachen hätten sich hingegen erst vor 5 000 Jahren in Europa verbreitet und dann die Sprachlandschaft dominiert. (Vennemann 1995, 39-115) Halten wir fest, dass der kurze Exkurs in die Geschichte der indoeuropäischen
Sprache bei der Suche nach unserer Roten Linie wenige hilfreich ist, im Gegenteil. Bekannt ist zwar, dass indoeuropäische Migranten in Zentraleuropa indoeuropäische Dialekte sprachen, wie sie zu dieser Sprache gekommen waren, bleibt jedoch unklar.
Die pontische Steppe: Urheimat der Indoeuropäer
Sagt die Suche nach der Urheimat der Indoeuropäer mehr über den Verlauf unsere Rote Linie aus? Als Urheimat wird ein abgrenzbares Gebiet bezeichnet, in dem ein Volk seine typischen Kulturmerkmale ausprägt. Die erste Abwanderung des Urvolks aus seiner Urheimat wird Primärablösung genannt. Das erste erreichte Gebiet einer Wanderungsbewegung gehört demnach nicht mehr zur Urheimat. (Gaitzsch 2008, 5) Ernst Kausen unterscheidet zwischen Proto-Indoeuropäern und Indoeuropäern. Proto-Indoeuropäer zogen demnach vor 9 000 Jahren von der Gegend westlich des Urals südwärts in die pontische Steppe. Hier vollzog sich ihre eigenständige kulturelle und sprachliche Entwicklung. In ihrem Siedlungsgebiet legten Archäologen verschiedene indoeuropäische Kulturschichten frei. Sie gehörten zur Elschan-Kultur vor 9 000 Jahren, zur Samara-Kultur vor 8 000 bis 7 000 Jahren, (Vasilev/Matveeva 1979) zur Chwalynsk-Kultur im Steppen- und Waldgürtel der mittleren Wolga zwischen 7 000 und 6 500 Jahren und zur Sredni-Stog-Kultur vor 6 500 bis 5 350 Jahren. (Kausen 2012, 51-55) Laut Harald Haarmann befand sich die Urheimat in der südlichen Steppe und in der Wald-Steppe zwischen Wolga und Don. (Haarmann 2016, Pos. 433) Alexander Häusler meint, es habe keine „eng begrenzte Keimzelle“, keine „Urheimat der Indogermanen“ gegeben, von der aus sich die Bevölkerung mit der indoeuropäischen Sprache ausbreitete. (Häusler 1998, 1) Einige Prähistoriker und Archäologen setzen die indoeuropäische Ursprache mit prähistorischen Kulturgruppen bzw. einem Urvolk gleich. Sie meinen, dass nur so die enge Verwandtschaft vieler europäischer, indischer und iranischer Sprachen erklärbar sei. Bloße Sprachbünde reichten nicht aus, um eine enge Verwandtschaft nachzuvollziehen. Für wieder andere ist die Existenz eines ethnisch einheitlichen indoeuropäischen Urvolks gänzlich unbewiesen. Sie vermuten dahinter lockere Stammesschwärme oder verschiedene Ethnien. (Die Evolution des Menschen. Indogermanen 2020) Andere meinen, bei den indoeuropäisch Sprechenden handelte es sich um eine mehr oder weniger geschlossene Ethnie. Auch hier wird schnell deutlich, dass Erkenntnisse rar sind, die helfen könnten, Pflöcke zur Markierung unserer Rote Linie einzuschlagen.
Die Expansion der Indoeuropäer in Richtung Asien seit der Zeit vor 7 600 Jahren
Wegen klimatisch bedingter Verödungen der pontischen Steppe kam es zu Hungersnöten, die vor 7 600 bis 7 000 Jahren Wanderungen der Indoeuropäer nach Asien auslösten. Im Norden der Taklamakan-Wüste lebten vor 4 000 bis 3 800 Jahren Menschen mit teils blonden oder rötlichen Haaren. (Haarmann 2019, 88-96) Sie sind womöglich identisch mit Völkern in Ost-Turkestan, die in frühen chinesischen Quellen erwähnt wurden und keinem mongolischen Phänotyp entsprechen. Als Indoeuropäer in Ost-Turkestan lebten, entstand die tocharische Sprache. Sie ist bis zur zweiten Hälfte des ersten Jahrtausends n. Chr. in China als Schriftsprache belegt. Im Tocharischen gibt es „arische Sprachreste“, sie soll aber auch mit westlichen Sprachen wie dem Baltischen und Slawischen verwandt sein. (Derakhshani 1998, 140f.) Die indoeuropäischen Tocharer waren nicht autochthon. Sie wanderten von Osteuropa bis in das Tarimbecken. (Gaitzsch 2008, 37) Reiternomaden gelangten bis zum Altai (Keck 2019) und zogen über Mittelasien nach Persien, Pakistan und Indien. (Cavalli-Sforza, Luici 1996, 177f.) Im Altai ließen sich Träger der Jamnaja-Kultur nieder und begründeten die Andronovo-Kultur. (Keck 2015) Durch sie gelangte vor 5.000 Jahren die Milchwirtschaft in die Mongolei. (DNA-Spuren 2021) Der kurze Exkurs nach Asien macht deutlich, in welchem Maß sich unsere Rote Linie aufgliederte und von anderen Entwicklungen trennte. Es zeigt sich, dass zu keinem Zeitpunkt feststand, wohin die Reise geht. Selbst innerhalb Asiens, das ja bereits zuvor von Gruppen des Homo erectus und des archaischen Homo sapiens besiedelt worden war, gab es erneut eine breite Radiation und Entwicklungen, über die auch wegen der Restriktionen während der kommunistischen Sowjetherrschaft wenig bekannt war und die erst heute erschlossen werden.
Die indoeuropäische Kurgan-Kultur seit der Eroberung der pontischen Steppe vor ca. 6 500 Jahren
Von der indoeuropäischen Kurgan-Kultur wird seit der nomadischen Besiedlung der Steppenregion nördlich des Schwarzen Meeres ab der Zeit vor 6 500 Jahren gesprochen. Die Bezeichnung wurde von Marija Gimbutas als Sammelbegriff für die Kultur halbnomadischer Hirtenvölker eingeführt, die runde Grabhügel anlegten. Die meisten Forscher verorten die Träger der Kurgan-Kultur in der ukrainisch-russischen Steppe nördlich des Schwarzen und Kaspischen Meeres. Sie umfasst verschiedene neolithische und kupferzeitliche Kulturen Ost- und Mitteleuropas, deren Gemeinsamkeit in Bestattungen unter großen, aus Erde oder Steinen aufgeschütteten Grabhügeln bestand. Lebensgrundlage der Menschen waren domestizierte Pferde. Grabfunde zeigen, dass die mit den Indoeuropäern gleichgesetzten Urheber der Kurgan-Kultur europid waren. (Die Evolution des Menschen. Indogermanen 2020) Viele Archäologen lehnen den Begriff Kurgan-Kultur allerdings mit der Begründung ab, er werde den kulturellen Verschiedenheiten und Entwicklungen innerhalb eines weiträumigen Gebietes während einer Dauer von rund 2 000 Jahren nicht gerecht und suggeriere einen nicht bestehenden Kontext. Sicher ist nur, so Marija Gimbutas, dass mit der indoeuropäischen Besiedlung der pontischen Steppe „ein unaufhörlicher Fluss in Gang“ kam, der sich über zwei Jahrtausende hinzog. (Gimbutas 1994, 13-15) Von ihrem Siedlungszentrum aus zogen indoeuropäische Jamnaja-Reiter nach Moldawien, an den Unterlauf der Donau, nach Nordost-Bulgarien und SüdUngarn. Laut Elke Kaiser handelte es sich um Bevölkerungsgruppen mit geringer gesellschaftlicher Differenzierung. Im östlichen Balkan und im Karpatenbeckens kamen sie in Kontakt mit Einheimischen. Es gab wechselseitige Einflüsse, von einer „einseitigen, überlegenen Wirkmächtigkeit der Gemeinschaften der Migranten“ könne aber keine Rede sein. (Kaiser, Elke 2019, 205, 285) Aus der Dobrudscha zwischen dem Unterlauf der Donau und dem Schwarzen Meer stießen sie südlich bis Varna vor. Eine berittene Kriegerkaste übernahm die Kontrolle über die Stadt und baute eine hierarchische Ordnung auf. (Hamann 2021) Von Varna bewegten sie sich weiter bis zum Bosporus. Einige setzten über die Meerenge nach Kleinasien über. (Haarmann
2016, Pos. 1248)
Die Chwalynsk-Kultur vor 6 700 bis 5 800 Jahren
Werfen wir einen Blick auf die Chwalynsk-Kultur, die vor 6 700 bis 5 800 Jahren in der Kupfersteinzeit an der Wolga existierte und als Weiterentwicklung der Kurgan-Kultur gilt. Sie ging aus der Samara-Kultur hervor, die JamnajaKultur folgte ihr. Das Gebiet der Chwalynsk-Kultur reichte von Saratow im Norden bis zum Nord-Kaukasus im Süden und vom Asowschen Meer im Westen bis zum Ural im Osten. Vor etwa 6 500 Jahren vereinigte die Chwalynsk-Kultur die archäologischen Stätten der Unteren und Mittleren Wolga in einer variablen Kultur, deren Träger Schafe, Ziegen sowie Rinder domestizierten und Pferde hielten. Diese Ethnie breitete sich bis zu den nordkaukasischen Steppen aus, wo eine 6 300 Jahre alte Grabstätte gefunden wurde. Für Ingo Bading erscheint hier „derselbe Chwalynsk-artige Vorfahrentyp“, der „eine Mischung aus KaukasusJäger-Sammlern und Osteuropäischen Jäger-Sammlern ohne anatolischneolithische Bauern-Herkunft, jedoch mit Ychromosomalen Haplogruppen R1b“ war. Der Anteil der kaukasischen Jäger-Sammler-Genetik bei Menschen der Chwalynsk-Kultur lag seines Erachtens mit 20 bis 50 Prozent beträchtlich unter dem Anteil bei den späteren Jamnaja. Er verweist auf David W. Anthony, der nach Badings Meinung nach „die endgültige Lokalisierung und Datierung der Ethnogenese der Indogermanen“ gefunden hat und den Ursprung der Indoeuropäer in der Chwalynsk-Kultur ausmacht. Nach Anthonys Einschätzung repräsentierte Chwalynsk die älteste Phase des Ur-Indoeuropäischen. Das so Bading, seien „entscheidende Worte von einem der besten Kenner der Archäologie der Indogermanen“. (Bading 2019) Verlief unsere Rote Linie also möglicherweise über ein Volk, von dem kaum jemand etwas weiß und dessen Namen wir nicht einmal richtig aussprechen können?
Die Abspaltung indoeuropäischer Arier vom indoeuropäischen Stamm und ihre Einwanderung in Indien
Bei Ariern denken viele sofort an die Rassenideologie der Nazis. Diese baute auf der Behauptung auf, Indogermanen seien aus Ariern hervorgegangen. (Childe 1926) Mit der Realität hat dies nichts zu tun. Es stellt sich Frage, worauf die Nazis ihre Vorstellungen stützten. Mit uns Deutschen haben die hier behandelten Arier nichts zu tun. Ein Zusammenhang besteht nur insofern, als zur protoindoeuropäischen Ursprache indoarische Sprachen gehörten, die vor 6 000 oder 5 000 Jahren in den Steppen Südrusslands gesprochen wurden. Die Träger der indoarischen Sprache nannten sich selbst Arier. (Masica 1993, 36) Vor 3 500 Jahren fielen indoeuropäische Arier in Kleinasien, Iran und Nordindien ein. Die Iraner entstanden demnach aus einer Abspaltung der Arier, die das Gebiet besiedelten, auf dem später das Persische Reich der Achämeniden entstand. (Hamel 2007, 228) Die Indoiraner ließen sich im bergigen Nord- und West-Iran nieder, die Indoarier fielen vor 3 500 Jahren in mehreren Wellen in den indischen Subkontinent ein, (Masica 1993, 36) wo sie sich mit dort ansässigen Völkern vermischten. (Hamel 2007, 226) Die mit der arischen Kultur einwandernden indoeuropäischen Sprachen verdrängten in Iran, Pakistan und Nordindien beinahe völlig die Drawida-Sprachen. (Cavalli-Sforza, Luici 1996, 178) In Indien erinnert der Rigveda an „die Invasion dieses Herrenvolks“, das sich selbst „Arier“ nannte. (Schär 2018) Im Rigveda, dem ältesten Teil der vier Veden, der zu den wichtigsten Schriften des Hinduismus zählt, sind sie als hellhäutige Rasse gegenüber den dunklen Dasyhu-Ureinwohnern Indiens erwähnt. In einer Darius-Inschrift galt Arier als Oberbegriff für Perser und Achaemeniden. Das altpersische Reich der Achaemeniden erstreckte sich vor 8 000 bis 6 000 Jahren über die Gebiete der heutigen Staaten Türkei, Zypern, Iran, Irak, Afghanistan, Usbekistan, Tadschikistan, Turkmenistan, Syrien, Libanon, Israel, Palästina und Ägypten. Bis heute bilden indoarische Sprachen eine Unterfamilie des indoiranischen Zweiges der indoeuropäischen Sprachfamilie. Es gibt über hundert gesprochene indoarische Sprachen mit rund einer Milliarde Sprechern. Sie leben vorwiegend in Nord- und Zentralindien, Pakistan, Bangladesch, Nepal, auf Sri Lanka und auf den Malediven. Zu den wichtigsten
indoarischen Sprachen gehören Hindi-Urdu, Bengali und Sanskrit. Auch das von den Roma in Europa gesprochene Romanes zählt dazu und ist mit dem indischen Sankrit verwandt. Indoeuropäische Genanteile finden sich bis heute vor allem in der nordindischen Bevölkerung. (Podbregar 2019)
Stammen die Indoeuropäer von iranischen Ariern ab?
Wenn uns die Suche nach der Roten Linie schon nach Indien führt, so sei auch eine Interpretation erwähnt, laut der die indoeuropäische Sprachfamilie aus Persien bzw. dem Iran stammt. Der Sprachforscher Jahanshah Derakhshani lehnt die Theorie einer Einwanderung von Indoariern in den Iran ab. Für ihn ist Iran „der Mittelpunkt des arischen Volkes“, um welchen sich andere Länder des Altertums gruppierten. Laut der von ihm abgelehnten Einwanderungstheorie gelangten indoeuropäische Arier vor 4 000 bis 3 000 Jahren in den West-Iran. Diese Theorie, so Derakhshani, gehe von der „irrigen Annahme einer europäischen Urheimat der Arier“ aus, wonach sich die Iraner samt den Vorfahren der arischen Inder in einer unbestimmten Vorzeit von den mit ihnen verwandten indorgermanischen Stämme Europas abgesondert und nach Asien gewandert seien. Richtig sei es hingegen, von einer urarischen Sprache auszugehen, aus der sich die indoeuropäischen Sprachen abzweigten. Er teilt das Urarische in eine Ost-Gruppe, die Ost-Iranisch und Nordost-Iranisch umfasst. Eine West-Gruppe umfasste demnach nur das West-Iranische. Zum WestArischen zählt er eine Südwest-Gruppe und eine Nordwest-Gruppe. Zur Nordwest-Gruppe gehörten demnach das Arisch-Tugrische und das „ArischBalto-Slawisch-Germanische“, das sich in das Balto-Slawische und das Germanische verzweigte. Viele Lehnwörter der finno-ugrische Sprachgruppe entstammten demnach aus dem Indoiranischen und nicht aus dem Protoindoeuropäischen. Die sprachliche Verwandtschaft der frühen Phasen des Indoiranischen mit dem Baltischen und Slawischen vor 7 000 Jahren sowie die Präsenz indoiranischer Lehnwörter im Finno-Ugrischen ließen sich durch „die frühe Nachbarschaft dieser beiden Völker - vermutlich Finno-Ugriern und Balten-Slawen mit den West-Ariern erklären“. (Derakhshani 1998, 10, 19-21, 161-163) Harald Haarmann bestätigt, dass iranischen Kulturen und Sprachen auf europäischer Seite ein Eigenprofil herausbildeten. Iranische Gruppen bevölkerten die Steppenregion Osteuropas bis zum Einbruch türkischer Reiternomaden im 4. Jahrhundert n. Chr. (Haarmann 2016, Pos. 2496) In der mittleren Bronzezeit vor rund 3 500 Jahren kamen offenbar auch viele Menschen nach Sizilien, deren Vorfahren aus den Gebieten des heutigen Irans stammten. (Prähistorische Wanderungen 2020) Die Beispiele bezeugen zwar den
unbestritten großen Einfluss Persiens auf Europa, bestätigen aber nicht, dass die indoeuropäischen Sprachen aus dem Urarischen hervorgingen.
Die drei Kurgan-Wellen vor 6 400 bis 4 200 Jahren
Nach erneuten Klimaverschlechterungen vor 6 400 bis 4 200 Jahren zogen Indoeuropäer in mehreren Wellen west-, süd- und ostwärts. Es kam zu massiven Migrationen nach Nordeuropa und in Richtung der Altai-Sajan-Region. Bei den indoeuropäischen Steppenreitern handelte es sich keineswegs um friedliche Bauern, sondern um „Krieger-Nomaden auf einem Eroberungszug“. Mit zehn Männern, so Johannes Krause, kam nur eine Frau mit - und das über mehrere Generationen. (Krause, Johannes 2016; 2020) Ihr Ziel war neuer Lebensraum im Westen. Für die Indogermanen waren die eher friedfertigen Ackerbauern Alteuropas eine leichte Beute. Die nomadische Jamnaja-Kultur trägt ihren Namen vom russischen Wort für Grubengrab. Sie hatte ihren Ursprung in Osteuropa. Ihre Träger lebten vor 5 600 bis 4 500 Jahren. Die auch Grubengrab- oder Ockergrab-Kultur genannte Kultur der späten Kupferzeit und frühen Bronzezeit war im Gebiet der Flüsse Bug, Dnister und Ural in der pontischen Steppe verbreitet. Ihre Träger waren mit denen der Afanasiewo-Kultur in Mittelasien verwandt, die in Südsibirien zwischen den Hochgebieten Tien Shan und dem Altai lebten. (Novembre 2015) Saisonale Lagerplätze der Viehnomaden gab es von der mittleren Wolga bis ins nördliche Vorland des Kaukasus. Im Nordwesten reichte die Jamnaja-Kultur bis in das Gebiet der Cucuțeni-Tripolje-Kultur, im Südwesten bis nach Moldawien. In der südwestlichen Kontaktzone von Steppennomaden und Alteuropäern wurden erste Wagen mit vier Rädern gebaut. (Podbregar 2019) Die Witterungsbedingungen lösten vor 5 800 Jahren eine zweite Kurgan-Welle aus. Indoeuropäer drangen weit ins Gebiet der Ackerbauern-Kultur Europas vor. (Haarmann 2012, 34f.) Die Vorstellungen von dieser Migrationswelle sind bis heute von Marija Gimbutas geprägt. Die Migranten „überschwemmten“ demnach Europa „mit indoeuropäischer Sozialstruktur und indoeuropäischer Ideologie“. Mitteleuropa wurde nun von befestigten Höhensiedlungen aus mit Waffen aus Hartmetall regiert. Als die zweite Welle einsetzte, war Mitteleuropa bereits von der ersten Welle „kurganisiert“ worden. Die Kultur Alteuropas wurde nun weiter „entwurzelt“, und es begann die Hybridisierung zweier unterschiedliche Kultursysteme. Waren zunächst die Küstengebiete des Schwarzen Meeres in der Region um Varna erobert worden, drangen Reiter der
Jamnaja-Kultur nun in Richtung Westeuropa vor. (Gimbutas 1994, 47f., 133) Die Erbauer der größten Megalithanlagen der Jungsteinzeit bei Stonehenge im Südwesten Britanniens, verschwanden vor 5 600 Jahren von der Landkarte. Die genetischen Vorfahren der neolithischen Briten wurden fast vollständig verdrängt und die ansässige Bevölkerung zu 90 Prozent durch Glockenbecherkultur-Migranten ersetzt, die über die Niederlande auf die Insel kamen. (Callaway 2018) Auch in anderen Regionen entstanden Hybrid-Kulturen, so die Baden-EzeroKultur im mittleren Donaubecken und die Kugelamphoren-Kultur in Nordmitteleuropa. Die Zunahme halbnomadischer Viehzucht, das Auftreten indoeuropäischer Götter und Symbole, von Hügelfestungen, von halbunterirdischen oder überirdischen kleinen Holzhän mit zentraler Feuerstelle, belegen den erfolgreichen Verlauf der Indoeuropäisierung. Bald gab es in Mitteleuropa Gebieten, die gänzlich oder teilweise indoeuropäisch besiedelt waren. Die „kurganisierten Territorien“ wurden zur „sekundären Heimatbasis“ der Indoeuropäer, von denen aus sie neue Wanderungen unternahmen. (Gimbutas 1992, 8f.; 1994, 133) Im Südwesten der Ukraine und in Moldawien entstand vor ca. 5 300 bis 4 900 Jahren die Ussatowe-Mischkultur, deren vorindoeuropäische Basis von kulturellen Eigenschaften überformt wurde, die mit Zuwanderern der JamnajaKultur kamen. In den Siedlungen fand man Spuren zweier Kulturen; KurganBestattungen und flache Erdgräber nach alteuropäischer Art liegen im selben Areal. Die traditionellen Kunstformen Alteuropas, deren Manifestationen sich bis in die Trypillya-Region verbreitet hatten, sprechen dafür, „dass die einwandernden Chiefs aus der Steppe nicht beabsichtigten, die Tripyllya-Kultur zu zerstören, sondern vielmehr, daran teilzuhaben und sie zu kontrollieren“. (Parpola 2008, 37). In der frühen Bronzezeit, vor etwa 5 000 Jahren, wanderten Jamnaja-Reiter erneut in Richtung Nord- und Mitteleuropa. (Keck 2015) Sie bewegten sich in die nordkaukasischen Steppen und wie ihre Vorfahren in die Gebiete an der unteren Donau bis nach Bulgarien. Größere Gruppen drangen ins östliche Karpatenbecken vor. Überall entstanden regionale Gruppen. (Parzinger 2006, 241) Auch die Indoeuropäer der dritten Welle verstärkten die schon früher nach Mitteleuropa gelangten Migranten. Von der Ussatowe-Region am Schwarzen Meer aus bewegten sie sich in Richtung der mittleren Donau und nach
Südungarn. (Haarmann 2012, 38) In Folge der dritten Welle wichen Bewohner Mitteleuropas, die schon die Nachfahren früherer indoeuropäischer Wellen waren, nach Mittelrussland, Südskandinavien und Griechenland aus. (Gimbutas 1994, 133) Das Gebiet der Kurgan-Völker erweiterte sich bis in die Regionen jenseits des Rheins, nach Skandinavien und ins nördliche Russland. Einzelne Gruppen erreichten die Ägäis, Anatolien, Georgien, Armenien, Aserbaidschan, den nördlichen Iran, Syrien, Palästina und Ägypten. (Schmoeckel, 1999)
Die Rolle der Pest bei der Indoeuropäisierung
Eine Rolle bei der in einigen Gegenden fast vollständigen Ersetzung der alteuropäischen Bevölkerung durch Jamnaja-Nomaden spielte die Pest. In der Zeit der dritten Welle sank die Bevölkerungsdichte der jungsteinzeitlichen Bauern Mitteleuropas deutlich. Ein „seuchenbedingter Zusammenbruch der Ackerbauern-Population Europas“ könnte „ein Vakuum verursacht haben, in das die Steppennomaden vordringen konnten“. (Krause, Johannes 2016) Sie konnten sich in verwaisten Landstrichen ungehindert niederlassen. (Podbregar 2019) Forscher fanden Pesterreger aus 5 200 Jahre alten Skeletten der zentralasiatischen Steppe. Dort könnte die Krankheit ihren Ursprung genommen und sich nach Westen ausgebreitet haben. Möglicherweise kam es vor 5 000 Jahren zu einer ersten großen Pestepidemie, die sich mit den Steppenbewohnern nach Westen ausbreitete und die Ackerbauern Europas stärker beeinträchtigte als es bei den Nomaden der pontischen Steppe der Fall war. Letztere besaßen möglicherweise eine höhere Immunität. Wie die Pocken und andere Krankheiten die amerikanischen Ureinwohner dezimierten, könnte sich die von den Jamnaja mitgebrachte Pest über die neolithischen Siedlungen verbreitet haben. Das würde die rasante Ausbreitung der Jamnaja-DNS von Russland bis zu den britischen Inseln erklären. „Pestepidemien“, so der Evolutionsbiologe Morten Allentoft, „ebneten den Weg für die Expansion der Jamnaja“. Ob sie nun die Pest mitbrachten haben oder nicht, „die Jamnaja brachten domestizierte Pferde und mit ihren Wagen auch eine mobile Lebensweise in das steinzeitliche Europa“. Mit ihren innovativen Waffen und Werkzeugen aus Metall trugen sie dazu bei, „die Bronzezeit in Europa einzuläuten.“ (Zit. b. Curry 2019)
Die Migration der Uralier und Finno-Ugrier in Nordost-Europa vor 5 000 Jahren
Nicht nur indoeuropäische Stämme eroberten Europa, im nördlichen Skandinavien fanden neben ihnen auch finno-ugrische Völker uralischer Herkunft eine neue Heimat. Ilse Schwidetzky meint, die Zuwanderer aus dem Osten stammten aus stark mongolid geprägten transuralischen Gebieten und seien am Aufbau der finno-ugrischen Völker beteiligt gewesen. (Schwidetzky 1986, 375, 387) Andreas Vonderach hält diese Sicht für überholt. Heute gehen viele Experten davon aus, dass die Finno-Ugrier „weitgehend autochthon“ waren. (Vonderach 2008, 143) Die Finnen waren von der Indoeuropäisierung stark betroffen. Durch Hybridisierung wuchs der Anteil europider Gene bei ihnen im Lauf der Zeit auf 80 Prozent an, was den Phänotyp nachhaltig veränderte. (Hamann 2021) Die Wolga-Finnen teilten sich in Samen und Ostseefinnen. Letzteren entsprangen die Vorfahren der Finnen und Esten. Heute leben die bevölkerungsreichsten finno-ugrischen Gemeinschaften außerhalb Russlands in Ungarn, Finnland und Estland. Eine kleinere Ethnie sind die Sami mit heute 60 000 bis 100 000 Angehörigen. Hier ist das uralische Genom zu mehr als 45 Prozent erhalten. Laut Johannes Krause sind sie die letzte authentische Jägerund Sammler-Population Europas: „Die Hinweise häufen sich, dass sie die Ureuropäer sind. Die Menschen vor 10 000 Jahren haben den Sami geähnelt und hatten dasselbe Genom. Sie haben sich kaum mit anderen Populationen gemischt.“ (Krause, Johannes 2019b) Die heute im größten Teil Nordosteuropas gesprochenen Sprachen gehören zur uralischen Sprachfamilie und unterscheiden sich stark vom Indoeuropäischen. (Cavalli-Sforza, Luici 1996, 130) Ungarisch ist eine der Hauptsprachen des finnisch-ugrischen Zweiges. Nach vorherrschender Meinung stammen die Ungarn von den Uraliern ab. Genetische Analysen zeigten jedoch, dass sich inzwischen auch die Bevölkerung Ungarns mehrheitlich aus einem indoeuropäischen Grundstock zusammensetzt und die finno-ugrische Komponente verdrängt wurde. (Die Evolution des Menschen. Indogermanen 2020)
Die Schnurkeramik-Kultur indoeuropäischer Jamnaja vor 4 800 bis 4 200 Jahren
Schnurkeramik bezeichnet eine Kultur der Kupfersteinzeit am Übergang vom Neolithikum zur Bronzezeit. Sie ist nach einer charakteristischen Gefäßverzierung benannt. Merkmale sind Bestattungsriten und Streitäxte. In Europa gab es entsprechende Kulturen vor 4 800 bis 4 200 Jahren. Sie erstrecken sich bis in das nordmitteleuropäische Flachland und den südlichen Ostseeraum. Lange ging man davon aus, dass die Schnurkeramiker eng mit neolithischen Farmern aus Anatolien verwandt waren. (Curry 2019) Nach heutiger Kenntnis waren Streitaxtleute und Schnurkeramiker jedoch Jamnaja-Reiter. Nicht mit den anatolischen Ackerbauern standen sie in Verbindung, sondern mit den Indoeuropäern aus der pontischen Steppe. (Krause, Johannes 2016) Gentechnische Analysen erlauben einen völlig neuen Blick auf unsere Rote Linie. Vor 4 500 Jahren wurde die genetische Signatur der Bevölkerung Mitteleuropas neu gemischt. Das ist bekannt, weil die Gene von Fossilien der Schnurkeramik-Kultur sich völlig von denen der Frühbauern unterscheiden, die aus Westanatolien nach Mitteleuropa kamen. (Migration in der Frühzeit 2019) Fossilien aus der Mittel-Elbe-Saale-Region zeigen, dass mehr als 75 Prozent der gefundenen Ackerbauern-Gene durch die mit der Schnurkeramik assoziierten Gene aus der Pontischen Steppe verdrängt wurden. Es gab damals „ganz massive Veränderungen“. Mit der Schnurkeramik veränderte sich alles. In der Region Halle (Saale) etwa wurden im Gegensatz zu anderen Regionen, die lokale Ackerbauern komplett verdrängt. (Krause, Johannes 2016; 2019b)
Die Glockenbecher-Kultur vor 4 700 bis 4 400 Jahren
Der Schnurkeramik-Kultur folgte die endneolithische Glockenbecher-Kultur. Sie war bis in die Bronzezeit verbreitet. Ihre Träger kamen aus dem östlichen Mittelmeergebiet. (Vonderach 2008, 82f.) Sie benutzten Keramikgefäße, Pfeilspitzen, Kupferdolche, steinerne Armschutzplatten für Bogenschützen und V-förmig durchbohrte Knöpfe. Sie breitete sich in West- und Mitteleuropa mit der dritten Kurgan-Welle aus. (Walkowitz 2004, 17f.) Die „kriegerischen, berittenen Glockenbecherleute“ entstammten einer „Mischkultur von VučedolLeuten und Jamna-Kolonisten“, die sich von Ostmitteleuropa nach Westeuropa, bis zum westlichen Mittelmeerraum und zu den britischen Inseln erstreckte. (Gimbutas 1994, 99, 134) Auf die Iberische Halbinsel gelangte diese Kultur vor 5 000 Jahren. (Spaniens Geheimtipps 2018) Es ist bekannt, dass die Besiedlung nicht friedlich verlief, denn es gab keine Vermischung des Genmaterials. Womöglich töteten JamnajaReiter alle einheimischen Männer. 100 Prozent der Y-Chromosomen der spanischen und portugiesischen Bevölkerung in der Bronzezeit stammen von ihnen. (Spaniens Geheimtipps 2018) Die Glockenbecher-Kultur verschwand vor 4 200 Jahren. Aus der nachfolgenden Aunjetitzer-Kultur entstanden später germanische, keltische und italische Kulturen. Vor 3 600 Jahren wurde sie durch die Hügelgräberbronzezeit abgelöst. In Griechenland findet sich ein ausgedehnter Brandhorizont aus der Zeit vor 4 200 Jahren, der mit dem Einbruch indoeuropäischer Proto-Griechen in Verbindung gebracht wird, die sich bis vor 3 600 Jahren mit der mediterranen Vorbevölkerung vermischten. Aus diesem Prozess gingen die frühen Griechen bzw. Achäer und die mykenische Kultur hervor. Auch Troja erlebte vor 4 200 Jahren eine Brandkatastrophe. (Die Evolution des Menschen. Indogermanen 2020) Die Ereignisse erreichten hier während der dritten Welle der Kurgan-Völker „eine bis dahin unbekannte Dynamik, als deren Fusionsprodukte das Griechentum, dessen Kulturtraditionen und das Altgriechische entstanden“. (Haarmann 2016, Pos. 2146)
Die Indoeuropäisierung Alteuropas samt Verbreitung der indoeuropäischen Sprachen
Jede einzelne Welle hatte nach Meinung von Marija Gimbutas eine „kurganisierende indoeuropäisch“ Wirkung auf die einheimische Bevölkerung, die sich in einem beträchtlichen Kulturwandel niederschlug. Gimbutas konnte sich noch kaum auf genetische Erkenntnisse stützen und meinte daher, der Prozess der Indoeuropäisierung sei „im Wesentlichen ein kultureller, nicht physischer Transformationsprozess“ gewesen. (Gimbutas 1992, 6f.) Zwar setzten sich die „eindiffundierten Kulturträger“ zunächst kulturell und sprachlich durch, sie mischten sich aber auch mit der Altbevölkerung. (Walkowitz 2004, 18) Vor 5 500 Jahren hatte „das neue Regime alle Reste der alten sozialen Ordnung eliminiert oder transformiert“. Dabei stand die Kurgan-Kultur nach Gimbutas Meinung „in krassem Gegensatz zu Alteuropa, einer Zivilisation, die vorwiegend friedlich, sesshaft, matrifokal und matrilinear ausgerichtet“ gewesen sei und auf der „Gleichheit der Geschlechter“ beruhte. Die Kurgan-Leute seien hingegen kriegerisch, patriarchalisch und hierarchisch organisiert gewesen. (Gimbutas 1994, 8, 13f., 60) Mit der Jamnaja-Kultur verbreiteten sich auch das Indoeuropäische. Es wurde zur Grundlage hunderter Sprachen. (Krause, Johannes 2016) Die gravierende kulturelle und sprachliche Wende ist mit der Kolonisierung Amerikas durch Europäer vergleichbar. (Keck 2015)
Mitteleuropa-Theorien im Abseits: Indogermanen als Urbevölkerung Europas
Anhänger der Mitteleuropa-Theorien gingen im Gefolge Gustaf Kossinnas davon aus, dass Indogermanen auf die mesolithische Bevölkerung Mitteleuropas zurückgehen und somit die Urbevölkerung bildeten. Ausgangspunkt war demnach der Raum zwischen Weser, Ostsee, Ostpolen und Karpaten. Etwa vor 6 000 Jahren hätten diese Frühindogermanen die Trichterbecherkultur ausgebildet und vor 4 500 Jahren ihre Wanderungen auf den Balkan, nach Vorderasien und Indien angetreten. Eine Invasion aus dem asiatischen oder südrussischen Raum gab es demnach nicht. Ab dem späten 19. Jahrhundert vertraten zahlreiche Wissenschaftler diese Ansicht. Sie folgten der Ideologie vom „nordischen Herrenmenschen“. Ihre größte Blütezeit erlebten Mitteleuropatheorien in der NS-Zeit. Die Nationalsozialisten behaupteten, dass „von deutschem Boden aus, der Strom der indogermanischen Kulturbringer nach Europa und in die Welt ging“. (Schmoeckel 1982, 63) Deutsche Wissenschaftler, so Colin Renfrew, hätten den Ursprung der indoeuropäischen Sprache noch „bis vor wenigen Jahrzehnten vorzugsweise nach Nordeuropa“ verlegt. Manche ihrer Arbeiten dienten der Untermauerung des Arguments, Indogermanisch sei die Sprache der „arischen Herrenrasse“ im nachmaligen Deutschland gewesen. (Renfrew 2000, 42) Nach 1945 wurden in Deutschland Mitteleuropatheorien wegen ihrer rassistischen Instrumentalisierung mehrheitlich abgelehnt. Im deutschen Sprachraum geriet die gesamte Forschung zur Indoeuropäisierung in Verruf. Inzwischen gibt es wieder vereinzelt deutsche Wissenschaftler, die Europa als Kern- und Ausgangsraum der Indoeuropäer für denkbar halten. So zählt Alexander Häusler die indoeuropäischen Sprachträger zur autochthonen Bevölkerung Europas, die dort ohne größere Invasionen oder Migrationen von außerhalb seit dem Mesolithikum lebten. Die weite Verbreitung der indoeuropäischen Sprachen erfolgte demnach allein durch Kulturkontakte. (Die Evolution des Menschen. Indogermanen 2020) Für Kristian Kristiansen führen heutige DNS-Forschungen „das nationalistische Paradigma“ ad absurdum,
wonach „wir schon immer hier gelebt haben und uns nicht mit anderen Völkern vermischt“ haben. „So etwas wie einen Dänen, einen Schweden oder einen Deutschen gibt es nicht“, resümiert er. „Wir sind alle Russen, wir sind alle Afrikaner.“ (Curry 2019) Schon der allererste Urahn der Europäer war, so auch Jan Osterkamp, ein „Mischling mit Vergangenheit“. „Rasse“ wird heute als klassifizierende Ordnungskategorie kaum noch verwendet. Der Grund ist nicht allein Political Correctness, vielmehr ist die genetische Variabilität menschlicher Ethnien zu groß, um Rassen sinnvoll abzugrenzen. Das bedeutet allerdings nicht, dass zwischen einzelnen Menschengruppen nicht deutlich wahrnehmbare Unterschiede im Phänotyp bestehen. (Osterkamp 2013)
Das genetische Erbe der Indoeuropäer
Die Haplogruppen der DNS: Möglichkeit der genetischen Bestimmung unserer Herkunft
Dank moderner Methoden der Genforschung sind heute Erkenntnisse möglich, an die noch vor kurzer Zeit nicht zu denken war. Ohne sie wären belastbare Aussagen über die Entwicklung der Menschen nicht möglich. Wie auch die Quantentheorie wirft sie langjährige Einsichten anderer Disziplinen über den Haufen und ermöglicht zugleich bislang ungeahnte Erkenntnisse über die Geschichte. Dabei stellt die bisherige Genforschung nur den Anfang eines neuen Forschungszweiges dar. Da zeigt schon die Tatsache, dass im Jahr 2020 Wissenschaftler um Peter Ebert 64 neue Referenzgenome entdeckten, die einen vollständigeren Vergleich der verschiedenen Populationen des Menschen ermöglichen und Aufschluss darüber geben, welche Genanteile ein Mensch von seinen beiden Eltern geerbt hat. Die Referenzgenome bestätigen auch, dass Afrika die Wiege der Menschheit ist. Denn dort sind sich die Genome in Bezug auf ihre Strukturvarianten am ähnlichsten, was auf die Herkunft aus einem gemeinsamen ursprünglichen Genpool hindeutet. Gleichzeitig aber finden sich in der afrikanischen Population die meisten anderswo nicht vorkommenden Genvarianten. „Unsere Ergebnisse“, so Ebert, „zeigen klar, dass das aus Afrika stammende Erbgut das tiefste Reservoir noch unerforschter genetischer Strukturvarianten umfasst“. Im Gegensatz dazu zeugen die Genome der meisten anderen Populationen von einer langen Geschichte der Wanderungen und Vermischungen. (Ebert/Audano/Zhu/Rodriguez-Martin 2021) Zur Bestimmung unserer Evolutionslinien können wir Analysen der verschiedenen Gen-Anteile nutzen, die eine entscheidende Rolle bei der Bestimmung der Haplogruppen der DNS sowie die SNP (Single Nucleotide Polymorphism) spielen. SNP sind Variationen eines einzelnen Basenpaares in einem komplementären DNA-Doppelstrang. Sie werden vererbt und stellen ca. 90 Prozent aller genetischen Varianten im Genom dar. Sie sind die Folge von Mutationen. Anhand charakteristischer SNP-Muster können Populationen in Haplogruppen zusammengefasst und unterteilt werden. Dadurch sind Verästelungen der Ahnenlinien erkennbar.
Im menschlichen Genom gibt es Haplogruppen für das Y-Chromosom (Y-DNS) sowie für die mitochondriale DNS (mtDNS), die bei der Entstehung des ersten eukaryotischen Einzellers vor Milliarden Jahren entstand. Sie repräsentieren verschiedene Stämme des Homo sapiens und zeigen Ursprünge und Wanderungen. Jede Haplogruppe umfasst Menschen mit einem ähnlichen genetischen Profil und einem gemeinsamen Vorfahren. Ältere Haplogruppen sind größer und verbreiteter. Ihnen nachgeordnet sind jüngere Untergruppen. Es gibt zwei große Hauptgruppen. Zur Haplogruppe der mtDNS gehören Männer und Frauen als Nachfahren eine Vorfahrin in rein mütterlicher Linie, das heißt, die mtDNS wird immer von der Mutter an deren Kinder weitergegeben. Der Haplogruppe des Y-Chromosoms gehören Männer an, die einen gemeinsamen Vorfahren in rein väterlicher Linie haben. Das Y-Chromosom wird immer vom Vater an den Sohn weitergegeben. Die Haplogruppen verteilen sich wiederum in Unterordnungen. Die männliche Haplogruppe R des Y-Chromosoms geht auf sibirische Jäger und Sammler zurück, die vor 25 000 bis 18 000 Jahren lebten. Dort spalteten sie sich und stellten die Basis der häufigsten Haplogruppen dar. Man findet sie außer in Europa auch in Süd- und Zentralasien, im Kaukasus, in Australien, bei amerikanischen Ureinwohnern, in Ägypten und Kamerun. Sie wird in die Untergruppen R1 und R2 geteilt. Die Haplogruppe R1 verbreitete sich ab der Zeit vor 5 000 Jahren aus der Region der pontischen Steppe in Richtung Westen. Vor dieser Zeit wies nur eins von 70 westeuropäischen Individuen eine R1-Gruppe auf. Ihr gehört die Mehrheit der Träger von Haplogruppe R an. Die Haplogruppe R2 entstand vor ungefähr 25 000 Jahren im südlichen Zentralasien. Ihre Träger wanderten in einer großen Welle nach Süden. 90 Prozent der R2-Träger lebten in Indien, im Kaukasus und in Zentralasien. Die Haplogruppe R1 teilte sich in die Haplogruppen R1b und R1a. Sie gelangte in mehreren Migrationswellen der Jamnaja-Kultur nach Westeuropa. Die regionalen Varianten weisen eine unterschiedliche Verteilung der R1-Gruppen auf. Südliche Ethnien zeigen vorwiegend die Haplogruppe R1b, die der nördlichen Wald-Steppen-Kultur vorwiegend R1a. Wahrscheinlich trafen sich R1a und R1b, beziehungsweise Glockenbecher- und Schnurkeramiker, von zwei Richtungen kommend in der Mitte Europas. Genetisch ist die R1a/b-Scheidelinie bis heute erkennbar.
Die Untergruppe R1a des Y-Chromosoms entstand vor 20 000 bis 15 000 Jahren. Heute finden sich die höchsten Konzentrationen entlang der Eurasischen Steppe, in der Mongolei, bei den Kirgisen, Tadschiken, Süd-Altaiern sowie Ostindien. Hinzu kommen die Populationen in den Gebirgen des Pamir, Karakorum und im westlichen Himalaya. Auch in Teilen des Iran, Irak und der Türkei ist sie zu finden. Stark vertreten ist sie bei Kurden um den Vansee. Zwischen dem ausgehenden Neolithikum und der beginnenden Bronzezeit vor 5 000 Jahren wanderten R1a-Träger von Osten her nach Westeuropa. Diese Schnurkeramiker der nördlichen Jamnaja-Kultur brachten die Haplogruppe R1a nach Deutschland, Skandinavien und in die Niederlande. Vermutlich waren sie direkte Vorfahren skandinavischer, nord- und ostgermanischer sowie slawischer und baltischer Menschen. Die Haplogruppe R1b der Y-DNS entstand vor ca. 18 500 Jahren in Asien. Sie geht auf sibirische Jäger und Sammler-Kulturen zurück und ist die häufigste Haplogruppe in Europa. Bei den Y-Haplogruppen, also der väterlichen Vererbungslinie, ist der Anteil der Gene der Haplogruppe R1b in Deutschland am stärksten, gefolgt von R1a, I und J. Männliche Proben der in den kaukasischen Steppen heimischen Jamnaja-Kultur verfügen alle über R1b. Diese Haplogruppe gelangten mit der ersten Kurgan-Migrationswelle vor 6 200 Jahren in die Donau-Region, auf den Balkan und nach Ungarn. Die größte Konzentration findet sich in Westeuropa. Im Süden Englands sind es etwa 70 Prozent, im nördlichen und westlichen England, in Wales, Schottland und Irland bis über 90, in Spanien 70, in Frankreich 60, in Portugal über 50, bei den Basken 88,1, bei den West-Deutschen 47 Prozent, bei den Italienern 40 und bei den Norwegern 25,9 Prozent. In Mitteleuropa ist die Haplogruppe R1b erst mit der Glockenbecherkultur vor 5 000 Jahren nachweisbar. Im Osten Deutschlands ist die Verbreitung erheblich geringer, da die Region die Schnittmenge eines OstWest- und Nord-Süd-Gefälles ist. Bei den Völkern Osteuropas tritt sie noch seltener auf. Bei Tschechen und Slowaken sind es 35,6 Prozent, bei Polen 16,4, bei Letten 15 und bei Ungarn 13,3 Prozent. Im europäischen Teil Russlands gibt es sie nur noch vereinzelt. Das West-Ost-Gefälle zieht sich bis zur Wolga hin und steigt im östlichen Ural bis zum Altai wieder an. Außerhalb Europas gibt es eine vergleichsweise hohe Konzentration der Haplogruppe R1b bei den Baschkiren. Nachgewiesen wurde sie auch in der Wolga-Ural-Region, bei den Udmurten und Komi, den Mordwinen, Bessermenen und Tschuwaschen. In Iran tragen die Assyrer ca. 55 Prozent R1b in sich. Gefunden wurde die Haplogruppe auch in Kamerun, auf São Tomé, Príncipe sowie in der Bevölkerungsgruppe der Forros auf Sardinien. Funde unter den Bewohnern Ägyptens gibt es wegen der
Rückwanderung einer alten protoeurasischen Bevölkerung nach Afrika. (YHaplogruppen 2005)
Ausbreitung der Gene der Indoeuropäer ab der Zeit vor 4 500 Jahren
Frühe Vermutungen über die Ausbreitung indoeuropäischer Nomaden in Richtung Westeuropa gab es schon vor den Erkenntnissen moderner GenForschung in den 1980er Jahren. Damals meinte Reinhard Schmoeckel: „Denn wenn es auch viertausendfünfhundert Jahre her ist, seit die Kurgan-Leute anfingen, unsere Heimat zu besiedeln, und wenn sie sich inzwischen auch tausendfach mit Angehörigen verwandter Rassen vermischten - ein wenig von ihren körperlichen und geistigen Eigenschaften haben auch wir in uns. Wir - das sind alle Europäer, nicht etwa nur bloß die Deutschen oder Germanen allein.“ (Schmoeckel 1982, 24f.) Den Grad des Gen-Transfers konnte man vor fünfzig Jahren noch nicht bestimmen. Ebenso wenig war erkennbar, dass die indoeuropäischen Steppennomaden der pontischen Steppe nicht etwa „unsere Heimat“ eroberten, sondern wir selbst ihre Nachfahren sind. Sowohl die steinzeitlichen Jäger und Sammler als auch die Alteuropäer sowie die einwandernden Indoeuropäer und Kauskasier sind unseren Ahnen. „Wir“ Homo sapiens aus Afrika standen auf allen Seiten der genetischen Neuordnung Eurasiens. Es ist kein Wunder, dass unsere Rote Linie keinen klaren Verlauf zeigt. In den letzten Jahren nahm der Kenntnisstand rasch zu, wie ein chronologisch geordneter Überblick über einige exemplarische Forschungsergebnisse der Genforschung verdeutlicht. Andreas Vonderach meinte noch 2008, die Forschung zeige, dass „unser genetisches Erbgut zum überwiegenden Teil autochthon“ ist. Für die heutigen Populationen in Europa stellte er ein „hohes Maß an Stabilität der DNA des Y-Chromosoms“ fest. In unseren Adern fließe „das Blut einer ununterbrochenen Kette von Vorfahren, deren Anfänge bis in die Zeit der paläolithischen Jägerkulturen zurückgehen“. Wenige genetische Beimischungen seien „regional begrenzt“. (Vonderach 2008, 65f.) Unter Experten fanden Vonderachs Hypothesen kaum Zustimmung. Stattdessen häuften sich angesichts der rasant voranschreitenden Gen-Forschung Auffassungen, die eher Reinard Schmoeckels Vermutungen bestätigten. Jan Osterkamp meint, in heutigen Europäern habe das Genom der Cro-MagnonMenschen, also der Jäger und Sammer, keine Spuren hinterlassen, dafür aber von „Gruppen, die in Asien, Australien und Amerika sehr verbreitet sind“. (Osterkamp 2015)
Wolfgang Haak spricht davon, dass die heutigen Mittel- und Nordeuropäer einen hohen genetischen Anteil der damaligen Steppenbewohner in sich tragen und deren indoeuropäische Sprache sprechen. „Ein deutlicher Beitrag der Steppe“ zu unseren Genen sei nicht auszuschließen. Für Anastasia Danae Lazaridis zeigt die Genforschung, dass etwa ein Drittel der Gene indoeuropäischer Steppenreiter in jedem fossilen Individuum zu finden sind, welches jünger als 4 500 Jahre ist und in keiner der älteren Proben aus Mitteleuropa. (Massive migration 2015) Die prähistorischen Genome zeigen, so auch andere Experten, dass „die ersten modernen Menschen, die Europa besiedelten, keine direkten Vorfahren der heutigen Europäer sind“. (Das genetische Geschichtsbuch der Steinzeit 2016) Qiaomei Fu, Cosimo Posth und Savis Reich sehen zwar keine Hinweise, dass die frühesten modernen Menschen in Europa zur genetischen Zusammensetzung der heutigen Europäer beigetragen haben; jedoch stammten alle, die zwischen 37 000 und 14 000 Jahren lebten, „von einer einzigen Gründerpopulation ab, die „Teil der Abstammung der heutigen Europäer ist“. (Fu/Posth/Reich 2016) Plötzlich, so Johannes Krause, entdeckten die Forscher „diese Steppengenetik, diese neuen Gene“ und konnten daraus schlussfolgern, dass es vor 4 800 Jahren einen „ganz ganz krassen Einschnitt“ gab. Immer mehr verdichte sich seitdem das Bild, wonach die Europäer sowohl Erbmaterial von steinzeitlichen Jägern und Sammlern, von Ackerbauern aus Anatolien, indoeuropäischen Nomaden aus der pontischen Steppe als auch von Kaukasiern in sich tragen. (Krause, Johannes 2019b) Kristian Kristiansen betont, vor 4 500 Jahren habe sich „etwas sehr Dramatisches“ ereignet. Die entsprechenden Erkenntnisse der Gen-Forschung seien „bahnbrechend“. Die gesamte Geschichte müsse umgeschrieben werden zu „einer Geschichte der Mobilität und Migration“. (Zit. b. Curry 2019) Auch andere Forscher weisen auf den Genfluss aus der eurasischen Steppe bei Schnurkeramikern hin, die aus Jamnaja-Viehhirten hervorgingen. (Müller/Kirleis/Hofmann 2020, 25f.) Die moderne Genforschung zeigt aber auch, dass es nicht nur einen Genfluss in Richtung Westen gab. Die Indoeuropäer waren, bevor sie sich westwärts ausbreiteten, schon keine homogene Gruppe mehr. (Hamann 2021) Seit ihrer Entstehung brachten osteuropäische Jäger und Fischer bereits 50 Prozent in die Ethnogenese des mittelneolithischen Volkes an der Wolga ein. (Bading 2019) Sie waren somit schon keine reinen Indoeuropäer mehr, sondern trugen auch Gene europäischer Ackerbauen, die von Süden in ihr Gebiet eingewandert waren. Hinzu kommt bei den Vertretern der Jamnaja eine große genetische Komponente, die nicht zugeordnet werden kann. (Podbregar 2019)
Die Bevölkerung, die Nord- und Nordwesteuropa in Besitz nahm, war genetisch nicht homogen, verschmolz aber kulturell zu einer Einheit. Ihr äußeres Erscheinungsbild war schon zum Zeitpunkt der Migration vielfältig. „Zwar gehörten die Einwanderer so gut wie ausnahmslos dem Großkreis der Europiden an.“ Aber deren Varianten waren auch im damaligen Nord- und Nordwesteuropa schon in ähnlicher Weise unterschiedlich wie heute. „Die nachhaltige Vermischung der verschiedenen eingeströmten Bevölkerungsgruppen in der folgenden Zeit änderte daran nichts.“ (Boettcher 2000, 27) Schon die Bevölkerung, die nach dem Zurückweichen der eiszeitlichen Gletscher vor 14 500 Jahren Nord- und Nordwesteuropa in Besitz nahm, war genetisch nicht homogen. Zwar gehörten schon diese Einwanderer so gut wie ausnahmslos dem „Großkreis der Europiden“ an. Aber ihre Varianten waren schon ähnlich unterschiedlich wie heute. „Die nachhaltige Vermischung der verschiedenen eingeströmten Bevölkerungsgruppen in der folgenden Zeit änderte daran nichts.“ (Boettcher 2000, 27) So wenig wie bei der Entstehung der Gattung Homo in Afrika gibt es auch hier einen deutlichen Verlauf der Entwicklung. Stattdessen verweisen Forschungen darauf, dass es einen Genfluss in verschiedene Richtungen und teils durcheinander gab. Die Hypothese einer Roten Linie taugt hier nur zur Betonung der Tatsache, dass keine durchgehende Linie erkennbar ist, was aber auch eine wichtige Erkenntnis ist.
Regionale Unterschiede des genetischen Erbes
Heute wissen wir, dass der Genpool der Europäer durch die Träger der JamnajaKultur nachhaltig verändert wurde. Die Bevölkerung auf dem Gebiet des heutigen Deutschlands wurde zu 70 bis 100 Prozent ersetzt. Auf der britischen Insel verdrängten Indoeuropäer die bis dahin heimische Bevölkerung, zu denen auch die Erbauer von Stonehenge gehörten, zu fast 90 Prozent. (Podbregar 2019) In Spanien hatten „nach der Invasion der Jamnaja alle Nachfahren fortan nur noch Jamnaja-Väter“. Die einheimischen Männer wurden „entweder versklavt oder im Kampf getötet“. Sardinien blieb von den Migranten unbehelligt. Die Sarden sind bis heute mit den im Neolithikum aus dem Nahen Osten eingewanderten Bauern genetisch verwandt. (Keck 2019) Ötzi, dessen Gene ihn als Sardinier ausweisen, zeigt, dass das Genom der Sarden dem früher Ackerbauern ähnelte. Die Sardinier hatten, so Johannes Krause, „nicht so viel Genfluss wie die anderen Europäer.“ (Krause 2019b) Auch nach Sizilien und ins Baskenland gelangten nur wenige Träger der Jamnaja-Kultur. Einige Experten meinen hingegen, die nomadischen Reitervölker hätten genetisch gesehen nur einen geringen Beitrag zum Genpool der heutigen Europäer beigetragen. Die waffentechnisch überlegenen halbnomadischen Indoeuropäer verbreiteten sich demnach „trotz ihres geringen genetischen Beitrags über Europa und überschichteten die alten neolithischen Kulturen“. Sie läuteten den Beginn der Bronzezeit vor etwa 4 000 Jahren ein. (Die Evolution des Menschen. Indogermanen 2020) Das Genom heutiger Europäer setzt sich, so Johannes Krause, im Wesentlichen aus drei Komponenten in unterschiedlicher Verteilung zusammen: Erstens dem Erbmaterial der Jäger und Sammler, zweitens dem der Ackerbauern aus dem Zweistromland, die über Anatolien nach Westeuropa gelangten und drittens dem Genom der indoeuropäischen Einwanderer aus der pontischen Steppe. (Krause, Johannes 2019b) Alle Europäer tragen demnach im Schnitt „die genetische Dreifaltigkeit der Vorgeschichte“ in sich. Zu 30 Prozent sind sie Jäger und Sammler, zu 30 Prozent anatolische Frühbauern und zu 40 Prozent „SteppenViehhirten“. (Migration in der Frühzeit 2019) Der Anteil der Steppen-DNA ist im Nordosten Europas am höchsten und nimmt
in Richtung Südwesten graduell ab. Die größte „genetische SteppenKomponente“ findet sich heute bei den Einwohnern Estlands, die niedrigste bei den Sarden. (Krause, Johannes 2016) Generell aber sind alle heutigen Europäer ein Potpourri von Genen aus unterschiedlichen Teilen Eurasiens, weswegen sich eine genetische Abgrenzung zwischen den heutigen Einwohnern Europas als schwierig erweist. Aus genetischer Sicht lassen sich jedenfalls keine eigenständigen Populationen erkennen. Die heutigen Europäer sind nicht die Nachfahren jener Menschen, die dort vor langer Zeit lebten, meint der Paläogenetiker David Reich. Es gebe keine Ureinwohner Europas. Egal in welchem Land wir leben, sind wir „eine genetische Mischung von Einwanderern aus Afrika, dem Nahen Osten und der russischen Steppe“. (Zit. b. Curry 2019) Europäer, Afrikaner und Asiaten ähneln sich genetisch so stark, dass sie „nicht sinnvoll in klar umrissene Großgruppen eingeteilt werden können“. Die Vorgeschichte hat die europäischen Ethnien ständig neu durchmischt, weswegen alle Europäer viele gemeinsame genetische Vorfahren haben. In Europa lebt „gewissermaßen eine Großfamilie mit nahen Vettern auf allen Erdteilen“. (Die Ursprünge des Menschen 2013, 37) Ohne die vielen genetische Anungen „wären wir derzeitigen Menschen nicht das, was wir heute sind“. So gesehen bleibt die Frage eines Einzelnen, ob er womöglich in der eigenen Ahnenlinie Gene der Kelten, Wikinger, Goten oder Römer hat, zwar spannend, aber er hat sehr wahrscheinlich alles gleichzeitig in sich. Wer sich heute noch auf „rassische Reinheit“ berufe, werde, so David Reich, „zwangsläufig mit der Bedeutungslosigkeit dieses Konzeptes konfrontiert“. (Zit. b. Curry 2019)
Veränderungen des Phänotyps der Europäer
Betrachtet man die unterschiedlichen Gruppen des Homo sapiens, so sind freilich Unterschiede nicht zu leugnen. Es stellt sich die Frage, wie diese zu deuten sind. Lange wurde aus den Phänotypen auf Rassen geschlossen. Heute sind sich die Experten weitgehend einig, dass sich die Begrifflichkeit von Rassen zur Beschreibung menschlicher Unterschiede nicht eignet. Vielmehr sind sie „fast alle auf klimatische Unterschiede zurückzuführen, wie sie die Menschen bei ihrer Ausbreitung von Afrika in die ganze Welt antrafen“. In der seitdem verstrichenen Zeit von 50 000 oder 60 000 Jahren „konnte sich eine ausgeprägte genetische Differenzierung entwickeln“. Deren Spuren sind deutlich sichtbar an der Hautfarbe, der Behaarung, der Nasen- und Augenform und am Körperbau. Dabei handelt es sich jedoch nicht um rassische Merkmale. Vielmehr sind die morphologischen Unterschiede zwischen den ethnischen Gruppen auf klimabedingte natürliche Selektion zurückzuführen. (Cavalli-Sforza, Luici 1996, 24) Vor 8 000 Jahren sahen, so Johannes Krause, alle aus wie Afrikaner, auch die Neandertaler. Sie hatten noch keine helle Haut. Auch bei den Ackerbauern gab es nur dunkelhäutige Menschen. Allerdings hatten sie blaue Augen. Diesen Phänotyp gibt es heute kaum noch. Für die Blauäugigkeit gebe es keine plausible biologische Erklärung. Vielleicht war die Ursache eine Mutation, vielleicht aber auch „ein Flaschenhals während der Eiszeit“, den nur wenige überlebten. Die Überlebenden waren vielleicht die Blauäugigen gewesen. Ein spezielles Gen, das eine helle Augenfarbe bewirkte, trugen alle Jäger und Sammler vom Ende der letzten Eiszeit vor etwa 14 500 Jahren bis zum Beginn des Neolithikums vor etwa 7 500 Jahren in sich. Die für Europäer typische helle Haut breitete sich erst mit der Einwanderung anatolischer Ackerbauern und von Steppenreitern aus. (Krause, Johannes 2019b) Die Träger der Jamnaja-Kultur waren vor allem kaukasischer Herkunft. Obwohl sie sich bis nach Zentralasien verbreiteten, unterschieden sie sich äußerlich kaum von anderen Europäern. (Podbregar 2019) Sie waren „keine phänotypischen Asiaten“. Durch Mutationen und regionale Anung wurden sie hellhäutiger. Entsprechende Mutationen setzten sich vor etwa 7 000 Jahren durch, nachdem dunkelhäutige Neu-Europäer aus dem Süden in den Norden gewandert waren.
Der Phänotyp „Kaukasier“ war demnach eher der „Europäer-Prototyp“. (Osterkamp 2013) Das Aussehen heutiger Europäer zeigt, dass wir „ein genetischer Mischmasch“ sind. Die blauen Augen haben wir von den noch dunkelhäutigen Jägern und Sammlern, die helle Haut von den anatolischen Frühbauern und die blonden Haare von den Jamnaja aus der Steppe. (Migration in der Frühzeit 2019)
23. Die Menschheitsgeschichte zwischen Zufall, Chaos und Notwendigkeit
Der Übergang von der biologischen über die kulturelle Evolution zur Menschheitsgeschichte
Die schnellen Übergänge von der biologischen über die kulturelle Evolution hin zum geschichtsmächtigen Menschen können überraschen. Gerade noch, vor weniger als 40 000 Jahren, war vom Neandertaler die Rede, wenige Jahrtausende später geht es um das Römischen Reich oder die antike Kultur; heute fliegen Menschen zum Mond und planen eine Besiedlung des Mars. All dies wird eher selten aufeinander bezogen. Wir betrachten Geschichte von unserer Gegenwart aus und setzen sie nicht ausreichend mit unserem biologischen und kulturellen Erbe in Beziehung. (Cavalli-Sforza, Luici 1996, 20) In der Zeit des Übergangs von der biologischen zur kulturellen Evolution und zur Menschheitsgeschichte hatten unsere Vorfahren längst alle bewohnbaren Erdregionen erschlossen. Es ging nicht länger um das Überleben unserer Spezies, sondern um das Schicksal des Teils der Menschheit, dem man per Zufall angehörte. (Demandt 2011, 62) Eine Katastrophe, die in der Lage gewesen wäre, die Menschheit komplett auszulöschen, hätte globaler Natur gewesen sein müssen. Zwar ließen die Eruptionen der größten Vulkane und die gefährlichsten Tsunamis hin und wieder ganze Kulturen untergehen, man denke nur an das sagenumwobene Atlantis oder die Minoische Kultur, sie hatten aber nie die Kraft, die gesamte Menschheit auszulöschen. Bis zum Beginn der Geschichte hatten die Menschen von ihrer Vorgeschichte oder gar der biologischen Evolution nicht die geringste Ahnung. In die Vergangenheit zurückzublicken ist eine kulturelle Fähigkeit, für die alle Voraussetzungen fehlten. Erst mit den Aufzeichnungen griechischer, römischer und anderer Geschichtsschreiber begann die Vergegenwärtigung des Vergangenen, das damit wirkmächtig wurde. Dank moderner Naturwissenschaften können wir uns heute, allerdings erst seit wenigen Jahrzehnten, nicht nur auf der Zeitschiene verorten, sondern auch im beobachtbaren Universum. Es ist unser Privileg, zu fragen, wer wir sind, woher wir kommen und wohin wir gehen. Allerdings bleibt dabei immer die subjektiv wahrgenommene Realität der Rahmen unserer Sicht auf die Wirklichkeit in ihrer gesamten Potenzialität.
Im Folgenden geht es nicht mehr darum, wie die Evolution zum Menschen auf unserer rückwärts mehr oder weniger erkennbaren Roten Linie verlief. Die „Menschwerdung war abgeschlossen, bevor der Mensch in die Geschichte eintrat“. (Fischer 2003, 126) Die kognitive Revolution war „der Moment, an dem die Geschichte ihre Unabhängigkeit von der Biologie erklärte“. Von diesem Zeitpunkt an wurde „die Entwicklung der Menschen nicht mehr durch biologische Theorien erklärt, sondern durch die Geschichtsschreibung“. (Harari 2015, 54) Aber weiterhin hatten biologische und klimatische Faktoren Einfluss auf die Geschichte. Man denken nur an die Folgen mehrerer Pestepidemien. Es gibt bis heute Versuche, die Geschichte biologistisch zu deuten. Darwins Hypothese des Survival of the Fittest half zwar, die Evolution des Lebens besser zu verstehen, hinsichtlich der Geschichte der Menschheit aber versagt sie. Die Geschichte menschlicher Zivilisation setzte da ein, wo die biologische in die kulturelle Evolution überging, die in der Geschichtsschreibung festgehalten und untersucht werden kann. Seit diesem Übergang gab es, so Richard Fortey, „historische Dokumente, bescheidene Stelen und prunkvolle Denkmäler, die von der Unmenschlichkeit des Menschen und seinem Bestreben zeugen, gottähnlich zu sein“. (Fortey 2002, 415) Wenn wir, so Richard Leaky, nur ein paar tausend Jahre in der Geschichte zurückblicken, erkennen wir die Anfänge der Zivilisation: „In sozialen Organisationen von zunehmender Komplexität treten an die Stelle vereinzelter Gehöfte größere Dorfsiedlungen, die im Lauf der Jahrhunderte von Stadtstaaten und schließlich von Nationalstaaten verdrängt werden.“ Die Triebkraft dieser „zwangsläufigen Steigerung der Komplexität“ lag in der kulturellen Evolution begründet, nicht mehr in biologischen Prozessen. „So wie die Menschen des vorigen Jahrhunderts dieselbe biologische Ausstattung hatten wie wir, aber eine Welt ohne Elektronik bewohnten, so waren die Dorfbewohner vor siebentausend Jahren wie wir, nur dass ihnen die Infrastruktur der Zivilisation gefehlt hat.“ (Leaky 1999, 111f.) Alexander Pope beschrieb den Übergang wie folgt: „Dies sprach die mächtige Natur; der Mensch gelehrig, folget ihr. Es wurden Städte aufgeführt, wodurch Versammlungen entstunden, Ein kleiner Staat erhob sich hier, Ein andrer dort. Die wurden bald, durch Lieb, auch durch die Furcht, verbunden, da aller Absicht einerley. Die Geschichte konnte beginnen.“ (Zit. b. Fortey 2002, 406)
Zufall und Chaos in der Geschichte
Ist es schon schwierig, die kosmische, biologische und kulturelle Evolution von Homo sapiens zu verstehen, so gilt dies im besonderen Maß für unsere Geschichte. Woran erkennt man hier die Auswirkungen des Anthropischen Prinzips? Was musste geschehen, damit es uns gibt und was durfte dabei nicht ieren? Wie ist das Verhältnis von Zufall und Notwendigkeit? Wo verläuft unsere Rote Linie? Gibt es sie in der Geschichte verschiedener Staaten und Kulturen überhaupt? Wann kann die Rede von „Uns“ sein? Auf wen bezieht sie sich, wen schließt sie aus? Welche Alternativen gab es zu dem, was realiter geschah? Stephen Jay Gould spricht von „alternativen Welten, die es nicht gegeben hat, die aber bei geringfügigen, vernünftigen Abwandlungen einiger früher Ereignisse hätten entstehen können“. Diese nicht verwirklichten Welten „wären genauso geordnet und erklärbar wie die uns bekannte Welt, wenn sie auch noch so von ihr abwiche, in einer Weise, die wir nicht beschreiben können“. Die Auflistung unrealisierter Welten nennt er ein „Gesellschaftsspiel ohne Ende“, denn niemand könne alle Möglichkeiten benennen. Veränderungen der Topographie oder Umwelt, das Auftreten und Verschwinden von Gruppen oder einzelner Arten veränderten unwiderruflich die weitere Entwicklung des Lebens: „Der Tummelplatz der Kontingenz ist unermesslich.“ (Gould 1991, 348) Ist die Geschichte des kreativen Menschen, wie Raimund Popper meint, offen wie das Universum? (Popper 2002) Robert Cowley sieht einen Zusammenhang zwischen dem historischen Interesse an faktennahen spekulativen Analysen nicht geschehener historischer Ereignisse und Prozesse und dem Aufkommen einer „dramatisch neuen Sichtweise in der Physik komplexer Systeme“ in der Chaostheorie. In beiden Fällen lautet demnach der Schlüsselgedanke, dass jede komplizierte Ereigniskette äußerst anfällig für kleine Veränderungen in den Ausgangsbedingungen war und ist. (Cowley 2004, 273) Auch Temple Smith und Harold Morowitz sehen ein „Spannungsfeld zwischen dem Determinismus physikalischer Systeme und dem scheinbar wirren Durcheinander, das wir Geschichte nennen“. „Die zahllosen Zufälle der Geschichte und die endlose Verkettung durcheinander wirbelnder Umstände lassen“, so Simon Conway, „jeden Versuch, in den evolutionären
Prozessen eine Ordnung ausfindig zu machen, absurd erscheinen.“ (Zit. b. Morris 2008, 26, 217) Durch kleine, aber schwerwiegende Eingriffe in die Wirklichkeit, so Frank Omeda ergibt sich ein völlig anderer Weg der Geschichte. „Das entscheidende Moment an dieser Fiktion“ sei „die hohe Wahrscheinlichkeit, mit der die geschilderten Ereignisse hätten eintreten können“. (Omeda 2016, 8f.) Alexander Demandt schlussfolgert aus zahlreichen Doppelerfindungen, „dass die Entwicklung kaum verändert weitergegangen wäre, wenn Leibniz oder Darwin, Helmholtz oder Einstein aus dem Buch der Geschichte gestrichen worden wären“. Die Wissenschaft erreiche „immer wieder Punkte, wo der nächste Schritt gleichsam in der Luft liegt“. (Demandt 2011, 45)
Die Bedeutung gravierender Ereignisse und mächtiger Akteure
Im Bereich menschlichen Handelns gibt es für Robert Cowley nur wenige Gebiete, die Chaos und Zufall stärker ausgesetzt sind als Kriege. Diese seien „Brennpunkte für faktennahe spekulative Analysen“. Hier gebe es viele Hinweise darauf, dass kleine Veränderungen der Ausgangslage enorme Konsequenzen haben können. Kriege seien Schlüsselereignisse der Geschichte. Nur wenig andere Ereignisse können die Dinge so fundamental zum Guten oder zum Schlechten ändern wie sie. (Cowley 2004, 273) Dies gilt auch für Entscheidungen mächtiger Frauen und Männer mit politischen, sozialen, gesellschaftlichen, wirtschaftlichen oder sonstigen Folgen. Jede Entscheidung setzt auf allen Ebenen des Geschehens eine Springflut an Impulsen in Gang. Kleine Schwankungen in den Entscheidungen einzelner Führungspersönlichkeiten hatten und haben unübersehbar große Folgen auf die weitere Entwicklung. Dies gelte, so Bernulf Kanitscheider, sowohl in absolutistisch oder totalitären Regimen, ebenso aber auch in freiheitlichdemokratischen Rechtsstaaten. Auch hier kann eine knappe Abstimmung durch eine grundsätzlich nicht vorhersehbare Verhinderung eines Abgeordneten das Geschehen in eine völlig andere Richtung drängen. Historische Prozesse setzen sich aus zahllosen individuellen, absichtsvollen Handlungen zusammen. Der Geschichtsverlauf selber aber besitzt weder Ziel noch Richtung. (Kanitscheider 2008, 33) Auch in der Religionsgeschichte hing vieles vom Wirken einzelner Personen und vom Zufall ab. In der Frühgeschichte und in Umbruchphasen kam es auf das Wirken einzelner Religionsstifter, Propheten und Organisatoren an. Die Entwicklung ist schwer vorstellbar, wenn man sich das Wirken von Mose, Buddha, Konfuzius, Jesus und Mohammed und die von ihnen ausgehenden Bewegungen wegdenkt. (Demandt 2011, 49) Die Bedeutung großer Entdeckungen als Zäsuren im Geschichtsverlauf hat Stefan Zweig beschrieben. In den „Sternstunden der Menschheit“ sieht er „eine unermessliche Fülle von Geschehnissen zusammengedrängt in die engste Spanne von Zeit“. Was ansonsten gemächlich nacheinander und nebeneinander ablaufe, komprimiere sich „in einem einzigen Augenblick, der alles bestimmt und alles entscheidet: ein einziges Ja, ein einziges Nein, ein Zufrüh oder ein Zuspät macht diese Stunde
unwiderruflich für hundert Geschlechter und bestimmt das Leben eines einzelnen, eines Volkes und sogar den Schicksalslauf der ganzen Menschheit.“ (Zweig 1990, 5f.)
Kontrafaktische Überlegungen bezüglich der Zeit vom Römischen Reich bis zur Gegenwart
In der Geschichte ist es unmöglich, eine Rote Linie zum jeweiligen Wir oder Ich zu bestimmen. Zwar können zwei Zeitpunkte definiert und eine verbindende Rote Linie postuliert werden, es ist aber praktisch unmöglich, deren genauen Verlauf nachzuvollziehen. Das liegt auch daran, dass sich ein solches Erklärungsmodell mit einer unzähligen Menge wirkender Faktoren konfrontiert sieht. Die Geschichte ist wie die biologische Evolution geprägt vom Wechselspiel der Vorherbestimmungen des Anthropischen Prinzips, des Zufalls und von Chaos. In der Geschichtswissenschaft befassen sich viele Autoren damit, was iert wäre, hätten andere Entscheidungen oder Ereignisse zu anderen Entwicklungen geführt. In dieser kontrafaktischen oder virtuellen Geschichte, die auch als Uchronie bezeichnet wird, geht es um die „objektiven Möglichkeiten ungeschehener Geschichte“. (Demandt 2011, 71) Vorausgesetzt es gäbe uns nicht, welche Konstellationen wären dann möglich gewesen? Wegen dieser Frage übt die kontrafaktische Geschichtsschreibung eine „unheimliche Faszination auf uns“ aus. (Morris 2008, 63) Kontrafaktische Aussagen im deskriptiven Sinne widersprechen der Wirklichkeit nicht, sondern stellen eine mögliche andere Wirklichkeit dar. Kontrafaktische Annahmen werden benutzt, um Hypothesen über mögliche Ereignisabläufe aufzustellen. Es wird dabei ein so nicht eingetretenes Ereignis postuliert und es werden die möglichen Folgen diskutiert. Nicht nur Raimund Poppers offenes Universum, auch die Geschichte ist, so Karl Jaspers, nach vorne offen. Allein deswegen lohnt es sich überhaupt, so Michael Salewski. darüber nachzudenken, wie die Geschichte verlaufen wäre, wenn sich jeweils die andere Möglichkeit oder eine von vielen Möglichkeiten durchgesetzt hätte. (Salweski 1999, 7) Je weiter man in der Geschichte oder Evolution zurückgeht, desto lohnender wird das Feld kontrafaktischer Überlegungen. Das liegt daran, dass Auswirkungen von Ereignissen gravierender sind, je weiter sie zurückliegen. Zu beachten ist bei jedem Ereignis aber auch, dass es im Fall einer abweichenden Konstellation gar nicht geschehen wäre. Kontrafaktische Geschichtsschreibung verdeutlicht am besten die Zufälligkeit der Ereignisfolge die zu jedem von uns führte, indem sie aufzuzeigen versucht, wie die Geschichte
anders hätte verlaufen können. Was musste in der Geschichte der Menschheit ieren und was durfte nicht ieren, damit es jeden von uns kurzzeitigen Bewohnern des blauen Planeten gibt? Finden sich im Geschichtsprozess Hinweise auf das Wirken des Anthropischen Prinzips und von Zufällen? Blicken wir auf einige exemplarische Ereignisse der Geschichte und beginnen im 5. Jahrhundert v. Chr., der Blütezeit des Hellenismus und des Endes des antiken Griechenlands. Was wäre geschehen, wenn Perikles den für 447 ausgerufenen panhellenischen Friedenskongress zustande gebracht hätte? Wäre der Peloponnesische Krieg damit verhindert und Hellas so gestärkt worden, dass es Makedonien standgehalten hätte? „Kein Alexander, kein Hellenismus?“ fragt Alexander Demandt. Wie wäre die Geschichte verlaufen, hätte die Pest in Athen 429 v. Chr. schlimmer gewütet und einen Friedensschluss erzwungen? Wäre Sparta der mächtigste Staat in Hellas gewesen? (Demandt 2011, 63, 125f.) Nach Meinung von Victor David Hansen hätte die gesamte abendländische philosophische Entwicklung nicht stattgefunden, wäre Sokrates 424 v. Chr. in einer der Schlachten des Peloponnesischen Krieges gefallen. Er hätte seine Gespräche nicht geführt und wäre Platon nie begegnet. Die westliche Philosophie und das politische Denken des Westens hätten einen radikal anderen Verlauf genommen. (Hanson 2004, 18) Wie hätten sich Asien und später die gesamte Welt ohne die Überzeugungskraft des Begründers der taoistischen Weisheitslehre Laozi im 6. Jahrhundert, ohne das Werk von Konfuzius im 6. und 5. Jahrhundert oder ohne den ironischen Agnostizismus von Zhuāngzĭ im 4. Jahrhundert entwickelt? Wäre der Hunnensturm ausgefallen und die römische Donaugrenze festgeblieben, hätten ostgermanische Stämme im 4 Jahrhundert v. Chr. den Schwarzmeer-Donau-Raum dauerhaft germanisieren können. (Demandt 2011, 71) Was wäre iert, wenn Alexander der Große gegen Rom gekämpft hätte? Wäre er besiegt worden? (Livius 2002, 37) Und wie wäre die Entwicklung gelaufen, hätte er länger gelebt? Immerhin wurde er nur 33 Jahre alt. (Toynbee 2000, 43-102) Das Leben und Sterben des Jesus von Nazareth bietet reichlich Stoff für kontrafaktische Spekulationen. Was wäre geschehen, wenn Jesus durch Pontius Pilatus im Jahre 33 begnadigt worden wäre? Ein Ja statt eines Nein des römischen Regional-Regenten, und die Welt wäre eine andere geworden. Der Kreuzestod wäre kein zentrales Symbol des christlichen Glaubens an den
Stellvertretertod Christi geworden. In keiner Kirche, vorausgesetzt, es gäbe überhaupt welche, würden Kreuze hängen. Die Hinrichtung am Kreuz hatte enorme Auswirkungen auf die gesamte globale Entwicklung. Weder hätte es Kreuzzüge gegeben, noch gewaltsame Christianisierungen, weder die Reformation Martin Luthers noch den calvinistischen „Geist des Kapitalismus“. Ohne Kreuzigung wäre die christliche Religion monotheistisch geworden und wohl ein Zweig des jüdischen Glaubens geblieben. Für Rom wäre ein Christentum ohne Kreuzestod „ein Segen gewesen, denn eine solche Staatsreligion hätte dem Römischen Reich vielleicht dazu verholfen, bis in die Gegenwart zu überleben.“ (Eire 2004, 78) Heinrich Heine fragte, wie die Entwicklung ohne Sieg über die Römischen Legionen im Jahre neun im Teutoburger Wald verlaufen wäre: „Gottlob! Der Hermann gewann die Schlacht, „Die Römer wurden vertrieben, Varus mit seinen Legionen erlag, Und wir sind Deutsche geblieben! Wir blieben deutsch, wir sprechen deutsch, Wie wir es gesprochen haben; Der Esel heißt Esel, nicht asinus, Die Schwaben blieben Schwaben.“ (Heine 2000, 117f.) Wie hätte sich Europa und die gesamte Erde entwickelt, wäre Kaiser Konstantin nicht Mitte des 4. Jahrhunderts zum Christentum konvertiert? Die Folgen sind kaum auszudenken. Durch die Konvertierung setzte sich das Christentum im gesamten Heiligen Römischen Reich durch. Neben der Religion hätte sich das gesamte soziale und gesellschaftliche Geschehen völlig verändert. Nach dem Untergang des Weströmischen Reiches begannen Völkerwanderungen verschiedener Gruppen des Homo sapiens. Germanische Stämme bewegten sich vom heutigen Dänemark und dem Nordwesten Deutschlands nach England. Sie wurden so dominant, dass ihre angelsächsischen Dialekte die früheren keltischen Sprachen verdrängten und zur Grundlage der englischen Sprache wurden. Im Jahr 536 n. Chr. verursachte ein Vulkanausbruch den Fimbulwinter. Er ist in der nordischen Mythologie die erste der vier eschatologischen Katastrophen, die den Untergang der Götter, Ragnarök genannt, einleiteten. Im Wafthrudnirlied der Lieder-Edda wurde der Begriff als Synonym zum Weltuntergang gebraucht. Mehrere Sommer wurden erheblich kälter als gewöhnlich. Nach dem Fimbulwinter kam es zum Ausbruch der Pest. (Bojs 2018, 328) Das 7. Jahrhundert war geprägt vom aufkommenden Islam. Hier stellt sich die Frage, ob es an Mohammed lag, dass seine arabischen Anhänger so expansiv wurden. „Reicht eine große Idee, ein einigender Glaube dazu aus, um Reiche zu
versetzen?“ (Reichholf 2008b, 54-58) Die Missionserfolge des Judentums in den Jahrhunderten nach Christus sind im Westen durch das Christentum, im Osten durch den Islam abgeblockt worden. „Ohne diesen äußeren Widerstand hätten sich die Juden vermutlich weiter ausgebreitet.“ Die europäische Geschichte wäre ebenfalls völlig anders verlaufen, hätten Araber im Jahr 675 n. Chr. Byzanz erobert und sich in Kleinasien niedergelassen. (Demandt 2011, 65, 71) Hätten nicht fränkische, lamgobardische, sächsische und friesische Heere unter Führung des fränkischen Hausmeiers Karl Martell die Muslime in der Schlacht von Tours und Poitiers besiegt, würde das Christentum im eroberten Europa wohl weiter existiert haben, aber wahrscheinlich wäre Latein durch das Arabische als Hochsprache ersetzt worden. (Kiesewetter 2002, 78f.) Was wäre iert, hätte Kaiserin Irene 802 den Heiratsantrag Karls des Großen angenommen? Möglicherweise wäre ein fränkisch-byzantinisches Großreich entstanden, in dem germanische, griechische und römische Traditionen zusammengefunden hätten. (Demandt 2011, 125f.) Welche Folgen hätte es gehabt, wenn der Wikinger Leif, der Sohn Eriks des Roten, der im Jahr 1000 n. Chr. Amerika entdeckte, dort dauerhaft gesiedelt und den gesamten nordamerikanischen Subkontinent erobert hätte? Im Jahr 1206 n. Chr. nahm Temudschin den Titel Dschingis-Chan an. 1241 eroberte er mit seiner Goldenen Horde den gesamten Großraum zwischen Korea und der Mandschurei im Osten, westwärts bis nach Mitteleuropa und Vorderasien mit den Städten des Seidenhandels und kultivierter Lebenskunst. Das größte zusammenhängende Reich aller Zeiten entstand für kurze Zeit auf der größten Landmasse der Erde. (Reichholf 2008b, 54-58) Im Jahr 1240 zerfiel die skandinavisch geführte Kiew Rus, 1241 wurden die Ungarn geschlagen, und das deutsch-polnische Ritterheer unter Herzog Heinrich II. von Schlesien unterlag in der Nähe von Liegnitz den Mongolen. Der Feldzug wurde abgebrochen, weil Ögedei Khan starb. Gemäß dem Gesetz mussten sich seine Nachkommen zur Wahl eines neuen Groß-Chans im Karakorum-Gebirge versammeln. Es ist schwer vorstellbar, wie die europäische Entwicklung verlaufen wäre, hätten die Mongolen in Europa Fuß gefasst. (Demandt 2011, 24) Nicht nur von Mongolen wurde Europa besucht, im 14. Jahrhundert folgte eine Pestepidemie. Sie kam aus den Weiten Eurasiens, erreichte 1346 die Krim und breitete sich in den folgenden Jahren in Europa aus. Sie flammte über Jahrhunderte hinweg immer wieder einmal auf. Karin Boys spricht von einem biologischen Prozess. „Im Laufe vieler Generationen starben die Menschen,
deren Immunsystem am schlechtesten anget war, um gegen die Pestbakterien anzukämpfen, während diejenigen, deren Immunsystem gut mit den Pestbakterien zurechtkam, überlebten und Nachkommen zeugten. Diese Anung hat im Erbgut der Europäer dauerhafte Spuren hinterlassen.“ (Bojs 2018, 329f.) Bei der Schlacht in Dornach am 22. Juni 1499 siegten die Truppen der Eidgenossenschaft über die Truppen des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation unter König Maximilian I. Infolge des Sieges blieben die eidgenossenschaftlichen Kantone unabhängig und die Schweiz wurde nicht ins Reich integriert. Zu Beginn der Ming-Dynastie am Anfang des 15. Jahrhunderts n. Chr. wurde China zur vorherrschenden Seemacht. Kaiser Cheng Tsu schickte Flotten von mehreren hundert Schiffen mit bis zu 37 000 Seeleuten aus. iral Cheng Ho befehligte zwischen 1405 und 1433 sieben Expeditionen über den Indischen Ozean. Sie erreichten Madagaskar und die afrikanische Ostküste und unternahmen Abstecher in den Persischen Golf und ins Rote Meer. Einige seiner Schiffe könnten Australien erreicht haben. Die ersten Kaiser der Ming-Dynastie, die China von 1368 bis 1644 regierten, bemühten sich, Chinas Präsenz über die Landesgrenzen hinaus zu etablieren. Spätere Ming-Kaiser zogen sich jedoch immer mehr in die Verbotene Stadt zurück. Unter dem Einfluss einer Kaste Hofbeamter wurden Kontakte mit dem Rest der Welt weitestgehend unterbunden und kostspielige Expeditionen eingestellt. Mit Hilfe geeigneter Schiffe, von Navigationskenntnissen, der einschlägigen Technologie sowie der Erfahrung bei der Ausbreitung seines Einflusses und seiner Zivilisation hätte China jene Teile der Welt beherrschen können, die bald darauf in die Herrschafts- und Einflusssphäre des Westens gerieten. Möglicherweise wären Nord- und Südamerika Jahrzehnte vor Kolumbus von einem chinesischen iral entdeckt worden. Hier wie an der Ostküste Afrikas wären chinesische Flotten gelandet und hätten dort ihre Zivilisation verbreitet. (Coox 2004, 125-127) Heutige Versuche Chinas, Einfluss in Afrika und im eurasischen Raum zu dominieren, fallen im Vergleich zu dem gering aus, was damals folgenreich hätte geschehen können. Anlass zur Spekulation bietet auch der deutsche Protestantismus. 1517 nagelte Martin Luther seine 95 Thesen an die Tür der Schlosskirche zu Wittenberg. Was wäre iert, wenn er 1521 nicht vor den Reichstag zu Worms zitiert und aufgefordert worden wäre, seine Ansichten zu widerrufen? Welche Folgen hätten
sein Verbrennen auf dem Scheiterhaufen gehabt? Welche Form hätte der Protestantismus ohne Luther angenommen? Was bewirkte die Übersetzung der Bibel ins Deutsche? In welche Richtungen wäre die Entwicklung Europas im 16. Jahrhundert gelaufen, hätte es nicht die große Konfessionsspaltung gegeben? Was wäre geschehen, wenn der deutsche Bauernkrieg 1525 zu einem Erfolg geführt hätte? Wie wäre die Geschichte verlaufen, hätten die Truppen des osmanischen Sultans Mehmed II. nicht im Jahr 1453 Byzanz erobert? Der Absicht Josephs II., so Alexander Demandt, Bayern für Habsburg zu gewinnen, trat Friedrich der Große 1785 mit dem Erfurter Fürstenbund entgegen, „anderenfalls hätte Joseph Erfolg haben können“. Was wäre geschehen, wenn Napoleon bei Waterloo gesiegt hätte? „Wäre damit sein Stern wieder gestiegen oder hätte sich sein Untergang nur verzögert, statt um hundert um zweihundert Tage?“ Welche Folgen hätte es gehabt, wäre die Mutter Napoleons ertrunken oder es seinem Vater nicht durch Betrug gelungen, seinen Sohn auf die Kriegsschule von Brienne zu schicken? Hinsichtlich der Ursachen der Französischen Revolution 1789 wird spekuliert, wie die Entwicklung bei einem wirtschaftlichen Aufschwung des Bürgertums verlaufen wäre. Hätte es dann keine Revolution gegeben? Welche Entwicklung hätte es gegeben, wäre die deutsche Revolution von 1848/49 erfolgreich gewesen? Wäre es dann zur Bildung eines Großdeutschen Reiches unter Einschluss Österreichs gekommen. Welche Rolle spielte Bismarck? Was wäre iert, wenn er 1871 Deutschland nicht vereinigt hätte? Jedem Besucher des Leuchtturms von Biarritz wird erzählt, wie Bismarck hier 1865 beinahe ertrunken wäre und nur durch einen aufmerksamen Wärter gerettet wurde. (Demandt 2011, 42, 64, 125f.) Bei der Bildung der USA kann darüber spekuliert werden, was geschehen wäre, hätten die Südstaaten den Sezessionskrieg gewonnen. Welche Folgen hätte es gehabt, wenn Friedrich der III. nicht schon 1888 an Kehlkopfkrebs gestorben wäre? Denkbar wären liberale Reformen, die das Deutsche Reich in eine parlamentarisch-konstitutionelle Monarchie nach englischem Muster verwandelt hätten. Wie wäre die Geschichte verlaufen, hätte es das Attentat von Sarajevo 1914 nicht gegeben? Hätte Zar Nikolaus II. 1916 Rasputin fallen gelassen und sich mit der Opposition in der Duma verständigt, wäre es möglicherweise nicht zur Russische Revolution gekommen.
Mit wenigen, plausiblen Veränderungen der Ereigniskette im Ersten Weltkrieg hätten einige der schlimmsten Folgekrisen des vergangenen Jahrhunderts vermieden oder abgemildert werden können. Zurecht meint Richard Cowley, der Erste Weltkrieg sei das Schlüsselereignis des 20. Jahrhunderts gewesen. Eine Folge war, dass das Deutsche Reich Wladimir I. Uljanow, der sich später Lenin nannte, mit einem plombierten Waggon aus der Schweiz nach Sankt Petersburg reisen ließ, um den Kriegsgegner Russland zu schwächen. Die unabsichtlichen Folgen waren der bolschewistische Oktoberputsch, der Aufstieg des Weltkommunismus, der Zweite Weltkrieg und der Kalte Krieg. (Cowley 2004, 273) Wie wäre die Entwicklung in der Weimarer Republik verlaufen, hätten nicht der Versailler Vertrag und die Weltwirtschaftskrise den Weg der Nationalsozialisten an die Macht geebnet? Vor allem hinsichtlich des NS-Regimes kursieren diverse Zukunftsfiktionen. Meist drehen sie sich um das Szenario, was geschehen wäre, hätte HitlerDeutschland den Krieg gewonnen. (Evans 2014, S. 110f.) Was wäre geschehen, wenn „der Führer“ in der Zeit zwischen dem Anschluss Österreichs und dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges umgekommen wäre? Zweiundvierzig Attentate auf ihn scheiterten. Wäre nur ein Anschlag erfolgreich gewesen, hätte ein konservativ-nationalistisches Großdeutsches Reich entstehen können und die Landkarte Europas total verändert. (Demandt 2011, 122f.) Auch die verbreitete These, der deutsche Überfall auf die Sowjetunion 1941 hätte zur Einnahme Moskaus und zu einem Sieg des Deutschen Reiches im Zweiten Weltkrieg geführt, wenn er nur früher im Jahr begonnen worden wäre, bleibt Spekulation. Bekannt sind Pläne Hitlers im Fall eines „Endsiegs“. Mit Hilfe von Italien und Japan sollte zuerst Europa unterworfen werden, danach ein „Großgermanisches Weltreich“ entstehen, in dem das „deutsche Herrenvolk“ das Sagen haben sollte. Länder wie Schweden, Dänemark, Flandern, Luxemburg und die Niederlande sollten ganz oder teilweise in das Dritte Reich eingegliedert werden. Für Großbritannien hatte Hitler eine unterstützende Rolle beim Weg Deutschlands zur Weltherrschaft vorgesehen. Nach der Besetzung der Sowjetunion und der Vernichtung von etwa 30 Millionen Slawen wollte er das Land bis zum Ural besiedeln und „Lebensraum im Osten“ schaffen. In Teilen der Sowjetunion sollten Städte erbaut werden, in denen neben Deutsche auch „arische“ Völker wie Dänen, Schweden, Norweger und Niederländer leben. Hinter einem Ring von 30 bis 40 Kilometern Ausdehnung sollten die Russen siedeln und als Arbeitssklaven dienen. Der Katholizismus sollte zurückgedrängt
und eine eigene Glaubenslehre eingeführt werden, die auf einer Mischung aus germanischer Wotans-Verehrung und indisch-persischen Glaubenssätzen basierte. Berlin sollte acht Millionen Menschen Platz bieten, in „Germania“ umbenannt und die Hauptstadt eines „Germanischen Weltreichs“ werden. Heinrich Himmler träumte davon, mithilfe „reinrassiger“ SS-Männer „Herrenmenschen“ zu züchten. Sie sollten Doppelehen eingehen können, um möglichst viele hellblonde, blauäugige Menschen zu produzieren. Spekuliert wird vor dem Hintergrund dieses Horror-Szenarios, war geschehen wäre, wenn der „kleine Adolf“ entweder nie gezeugt, oder als Kind verstorben wäre. Hätte Christian Griepenkerl von der Wiener Akademie der bildenden Künste Hitlers Bewerbung im Jahr 1907 trotz mangelnder Talente angenommen, sähe die Welt heute anders aus. Kontrafaktischen Spekulationen enden nicht mit dem Zweiten Weltkrieg. Es gibt Überlegungen, wie sich Europa entwickelt hätte, wäre der Morgenthau-Plan umgesetzt und die deutsche Industrie dauerhaft vernichtet worden. Wie hätte sich Europa ohne den Schuman-Plan 1951 und ohne Europäische Union entwickelt? Wäre es zur Wiedervereinigung gekommen, wenn Konrad Adenauer nicht den Weg des Westbindung durchgesetzt hätte? Was wäre aus Deutschland ohne den Mauerbau 1961 geworden? Dass die russischen Raketen auf Kuba verblieben wären, wenn John F. Kennedy 1962 nicht ihren Abtransport erzwungen hätte, ist „geradezu apodiktisch gewiss“. (Demandt 2011, 59) Was hätte sich ereignen können, wenn Kennedy das Attentat von Dallas überlebt hätte? Was wäre iert, wenn es Michail S. Gorbatschow nie gegeben hätte? Wäre es trotzdem zur deutschen Einheit gekommen? Wie hätte sich Deutschland entwickelt, wäre Angela Merkel nicht Bundeskanzlerin geworden? Wie wirkt sich der Austritt Großbritanniens aus der EU auf die europäische Geschichte aus? Welche Auswirkungen hätte es gehabt, wäre Donald Trump nicht Präsident der USA geworden? Welche Auswirkungen werden Pandemien wie die von Covid 19 auf unsere künftige Entwicklung haben? Jedes historische Ereignis vor unserer Zeugung war notwendig, damit es unser jeweiliges Ich geben konnte und es auf der Erde heute so aussieht wie es ist. Unendlich viele Varianten hätten zu unendlich vielen abweichenden Realitäten geführt. Es gibt keine feststehende Zukunft. In jedem Augenblick entsteht sie neu und jedes Mal ist sie anders. Sicher ist nur, dass sie immer auf dem basiert, was schon geschehen ist. Wirklichkeit und Potenzialität formen auf der Erde mit
unserem und ohne unser Zutun unterschiedliche Realitäten. Wir befinden uns in der Realität, die sich dank unserer Sinne und Vernunft selbst beobachten kann.
24. Vom Wir zum Ich: Ein methodischer Perspektivwechsel
Wer waren und sind „Wir“?
Mit Beginn des Lebens trat die Evolution in eine neue Phase ein. Unser ältester Ahn betrat die irdische bzw. die Bühne des Universums. Diese erste biologische Lebensform war das konstituierende „Wir“ unserer Evolution. Es war noch kein Säuger, geschweige denn in irgendeiner Weise ein Mensch. Aber trotzdem fing mit ihm alles an. Ihn als unseren Ur-Ahnen zu definieren ist verhältnismäßig leicht, schließlich agierte er als einzige Lebensform noch völlig konkurrenzlos. Einsam stand dieser prokaryotische Einzeller an der Startlinie unserer biologischen Evolution. Er war der Vorfahr allen Lebens, nicht nur des unsrigen. Durch ihn sind sind alle Lebewesen auf der Erde miteinander verwandt. Erst Milliarden Jahre später bildete sich ein prokaryotischer Mehrzeller. Ab diesem Zeitpunkt wird die Bestimmung unserer Roten Linie schwieriger. Es geht nun darum, zu bestimmen, welche Mehrzeller zu „unseren Leuten“ gehörten oder nur zur mehr oder weniger entfernten Verwandten. Es gab fortan „Uns“ und die Anderen. Diese von uns postulierte Einteilung blieb für die gesamte biologische Evolution gleich. Sie ermöglicht es, zwischen unseren Vorfahren und Verwandten zu unterscheiden. Miteinander verwandt waren fortan alle Lebewesen, die nicht durchgängig bis zur Entstehung der Menschen auf unserer biologischen Roten Linie zu verorten sind. Sie waren und sind in absoluter Überzahl. Zu ihnen gehören sämtliche Pilze, Pflanzen und Tiere, deren Linien nicht bis zu uns Menschen führte. Unter ihnen gleicht unsere schmale Rote Linie eher einem Pfad durch eine überbordende und brodelnde Lebenswelt des Kommens und Gehens als einer Hauptstraße, an deren vorläufigem Ende der Mensch steht. Heute wissen wir, dass unsere Evolution eine absolute Ausnahme ist, die jede Wahrscheinlichkeitsrechnung ad absurdum führt. Unsere Rote Linie ist deswegen so interessant, weil es uns statistisch gesehen eigentlich nicht geben dürfte. Wir scheinen wider jede Logik der Natur entstanden zu sein. Das ist der Grund, warum es so aufregend ist, sich mit unserem Herkommen zu befassen. Wie die Suche nach Exoplaneten so ist auch die Suche nach den Quellen unseres Lebens dem Wunsch geschuldet, zu erfahren, wie wir wurden, wer wir sind, warum es uns gibt und wohin die Reise geht. Eines zeigt die Analyse unserer
Roten Linie deutlich: Wir waren genauso kontingent wie alle anderen Lebewesen. Unser Erscheinen war weder notwendig noch unmöglich und stand zu keinem Zeitpunkt fest. Nur weil die Entwicklung offen war, konnten wir überhaupt entstehen. Das einzig Gewisse ist, dass nur geschehen konnte, was sich auf Grundlage der feinabgestimmten Naturgesetze und Konstanten aus dem bereits Geschehenen ergab. Eine Rote Linie zu postulieren, um dann Beweise oder Indizien für deren Verlauf zu sammeln, ist nicht etwa ein Privileg von uns Menschen. Vielmehr kann jedes intelligente Wesen, egal ob auf der Erde oder sonst irgendwo im Universum versuchen, seine eigene Rote Linie finden und beschreiben. Auf der Erde verläuft unsere Rote Linie vom ersten prokaryotischen Einzeller ist bis zur Herausbildung menschlicher Ethnien und Völker. Erst im Prozess der beginnenden Geschichte beginnt das Konzept zu versagen. Die Entwicklungen wurden so komplex und ineinander verwoben, dass sich keine Linie mehr erkennen lässt. Ähnlich war schon die Situation beim Durcheinander der Entwicklung von Hominiden und Homininen. Die Vor- und Frühgeschichte lässt sich mit dem Modell der biologischgenetischen Roten Linie nicht mehr beschreiben. Die handelnden Subjekte waren genetisch immer weniger miteinander verbunden. Bestenfalls bestimmten noch verschiedene Phänotypen das Miteinander, nicht aber genetische Dispositionen. Zwar gab es während der Völkerwanderung um das 6. Jahrhundert n. Chr. noch einmal einen großen genetischen Austausch unter den Europäern, es ereignete sich aber „keine grundsätzliche genetische Verschiebung“ mehr. (Krause, Johannes 2019, Pos. 402-417) Die Geschichte wurde nun von einem anderen Wir-Verständnis bestimmt. Der letzte historische relevante Versuch, die Gen-Profile zur Grundlage einer ideologischen Politik zu machen, verbindet sich mit dem NS-Regime und lässt sich an SS-Chef Heinrich Himmler festmachen. Zum Glück scheiterte dessen biologistischer Versuch, die Welt auf Grundlage von „Rassen“ zu gestalten. Das gilt aber ebenso wie der Versuch, die Welt nach historisch fixen „Klassen“ zu definieren, unter denen das „Wir“ der „Arbeiterklasse“ der zukunftsträchtige Faktor einer sozial-darwinistische Weltordnung sein sollte. Ein Blick auf Neonazis und kommunistische Staaten zeigt, dass noch nicht alle Menschen das rettende Ufer freiheitlicher Systeme erreicht haben.
Tatsächlich changiert unser „Wir“ heute zwischen Gruppen, Familien-Clans, sozialen Gemeinschaften, Nationen, Staaten, Religionen, Sprachen und Kulturen. Am intensivsten wird das „Wir“ allerdings nicht mehr bei ideologischen Massendemonstrationen zelebriert, sondern beim Fußball. Die Anfeuerung der eigenen Mannschaft basiert auf dem Zugehörigkeitsgefühl der eigenen Gruppe aus vorkulturellen Zeiten, und ist zugleich ein Ausgleichsventil für testosterongesteuerte Aggressionsfreisetzungen. Genetisch aber lässt sich nicht mehr erkennen, wer ein Spieler oder Fan von Hannover 96 oder Manchester United ist. Nur unsere Zugehörigkeit zur Gattung von Homo sapiens ist erkennbar, wenn auch mit genetisch wenig relevanten phänotypischen Modifikationen.
Vom „Wir“ zum „Ich“
Schon bei der Analyse der entstandenen Stämme und Völker rückt das „Ich“ aus methodischen Gründen stärker in den Vordergrund, weil das genetisch bestimmbare „Wir“ als Instrument zur Beschreibung der Menschheitsgeschichte versagt. Natürlich lässt sich die Geschichte von Völkern, Nationen sowie von sozialen, religiösen oder anderen Gruppen weiterhin beschreiben, und auch eine Analyse der Menschheit als handelndes Subjekt ist wichtig und erhellend; es sind jedoch Geschichten, die sich weniger an unseren Genen festmachen, die uns hier interessieren. Schon beim Eintritt in die Geschichte waren unsere jeweiligen „Wir“ und „Ich“ genetisch völlig durcheinandergeraten. Nun spielten Kategorien eine Rolle, die wenig über unsere Gene aussagen. Mit dem Ende der biologischen Evolution und dem Beginn der Geschichte ist es sinnvoller, die Rote Linie bis zum vorläufigen Ende der Evolution als zum jeweiligen „Ich“ führend zu beschreiben. „Ich“ ist exakter bestimmbar als das chaotisch anmutende Durcheinander aller möglichen Gruppen unterschiedlichster Individuen. Unsere Rote Linie lässt sich also besser als eine jeweilige Ich-Linie fortführen. Sie lässt sich weiterverfolgen, wenn man „von sich ausgeht“ und das jeweilige „Ich“ in Beziehung mit dem „Du“ und „Wir“ setzt. Ohne „Wir“ und „Du“ ist menschliches Leben nicht denkbar. (Bauer 2019, 8) Das „Ich“ spielt spätestens seit René Descartes „Cogito, ergo sum“ (Ich denke, also bin ich) eine zentrale Rolle in der Philosophie. Er hob die Existenz des „Ich“ als Subjekt von Gedanken zur einzig zweifelsfreien Grundlage philosophischen Denkens und jeglichen Wissens überhaupt. Das „Ich“ wurde zum Ausgangspunkt der Philosophie der Subjektivität. Die Rationale Psychologie sieht in der Gewissheit der Existenz des „Ich“ als Subjekt der Gedanken den Nachweis der Existenz einer immateriellen Seele. Bei Johann Gottlieb Fichte werden „Ich“ und „Nicht-Ich“ zu Prinzipien einer metaphysischen Letztbegründung der Welt. Hans-Georg Gadamer zufolge zeigt sich mit dem „Ich“ die „Lebensbewegung des Seins selber“. Er verweist auf Friedrich Wilhelm Joseph Schelling, der meint, dass „die Ichheit in der Natur selber sich als der Schlüssel für alle Naturerscheinungen denken lässt“. (Zit. b. Gadamer 2000)
Seit Beginn der Quantenphysik rückte die Rolle des „Ich“ als Beobachter der Welt ins Blickfeld. Aber auch an der Betrachtung der Geschichte kann „Ich“ als ein subjektiver Beobachter teilhaben, der so die historische Messung beeinflusst. Jede Arbeit über die Geschichte sagt viel über den Schreiber aus. Zeit, Raum, Sprachstil, Religion, soziale, ethnische und kulturelle Zugehörigkeit sowie andere Muster sind meist schnell zu erkennen. Durch unsere Interpretationen werden wir zudem Mitgestalter der im Augenblick beginnenden Zukunft. So gesehen ist es sinnvoll und geboten, zu sagen, wie und wo wir uns als Individuen verorten und welches unsere Fragen an Wirklichkeit, Potentialität und Realität sind.
Meine ethnischen Vorfahren und deren Verflechtungsgeschichte im OstseeRaum
Meine Ahnen vor rund 1 000 Jahren
Wäre die Frage danach, wer ich bin, woher ich komme, wohin ich gehe und wozu das alles gut sein soll, nicht eine der interessanten und umstrittensten Fragen der Menschheitsgeschichte, könnte man es bei dieser per se interessanten Herkunftsgeschichte belassen. Den meisten Menschen ist die Zugehörigkeit zu einer Nation, einem Volk oder einer Fußballmannschaft wichtiger als die Frage nach der eigenen Rolle im Universum. Bis zum Beginn der Genforschung gab es auch keine Möglichkeit, mehr als dies zu wissen. Kulturen, Ideologien und Religionen geben uns sozialen Wesen bis heute Sicherheit und Zugehörigkeit. Was es mit jedem einzelnen Menschen genetisch auf sich hat, bleibt so allerdings ein Geheimnis. Heute gibt es dank der Genforschung Möglichkeiten, etwas Licht ins Dunkel unserer genetischen Ahnen zu bringen. Hier interessiert die Fragestellung, ob es sinnvoll ist, zur Frage nach der Wirkkraft des Anthropischen Prinzips die Linie vom Urknall bis zum jeweiligen „Ich“ zu ziehen. Dank der Analyse der Haplogruppen der DNS kann jeder in etwa erfahren, wer seine Vorfahren waren und woher sie kamen. Die ideologisch motivierte Suche danach, ob unser Blut rot, blau oder arisch ist, hat sich zum Glück gerade noch rechtzeitig erledigt. Es gibt jedoch auch weiterhin Tendenzen, die Genforschung für die Suche nach den Stärksten, Schönsten und Klügsten zu nutzen. Schon befassen sich Institute und Forscher mit der Idee, unsere Gene im entstehenden Leben so zu verändern, wie sich jeder dies bei seinem eigenen Nachwuchs wünscht. Pudel, Barby und Superman lassen grüßen. Hier geht es hingegen um die Frage, zu welchen Stämmen und Völkern meine persönlichen Ahnen gehörten. Ohne die Genforschung wäre meine Antwort sicher die, dass ich ein Deutscher mit verschiedenen unbekannten Ahnenreihen bin. Eine solche Feststellung hilft bei der hiesigen Fragestellung jedoch kaum weiter. Wer Familienforschung betreibt, weiß, dass sich die Linie unserer UrUreltern oder Ur-Ur-Ur-Ureltern schon nach wenigen Jahrhunderten im Dunkel der Geschichte und der Menge der Ahnen verliert. Eltern haben wir zwei, Ureltern vier, Ur-Ureltern acht und Ur-Ur-Ur-Eltern 16. Das sind nur die letzten vier Generationen aus vielleicht zwei Jahrhunderten. Am Ende aber stammen wir alle von denselben Ahnen ab. Für das Erkennen unserer jeweiligen Roten
Linie taugen diese Informationen nur bedingt. Inzwischen bieten verschiedene Dienstleister an, die Ahnen durch eine Analyse des Speichels und mittels ständig wachsender digitaler Datenbänke zu bestimmen. Dadurch weiß ich in etwa, zu welchen Völkerschaften meine Vorfahren vor ca. 1 000 Jahren gehörten. Sie lebten prozentual gesehen in folgenden Siedlungsräumen: 31 in deutschsprachigen Regionen Europas, 30 in Osteuropa und Russland, 26 in den baltischen Staaten, 12 in Schweden. Zu einem Prozent bin ich europäisch-jüdischer Abstammung. Um zu verstehen, was die genetische Herkunft für mich bedeuten könnte, habe ich mich etwas näher mit dem Ostseeraum befasst, um den herum meine Vorfahren vor allem lebten. Ich wollte herausfinden, was die regionale Herkunft meiner Vorfahren für mich konkret bedeutet. Kann mir ein Blick auf die genannten Völkerschaften helfen, die Rote Linie nach Jahrhunderten Geschichte wiederzufinden? Fortan ist zu bedenken, dass es nun nicht mehr um unsere Geschichte geht, sondern um meine ganz persönliche. Jeder, der sich mit dem Thema befasst, kann sich die Frage stellen, wie seine Rote Linie nach Jahrhunderten Menschheitsgeschichte wieder erkennbar wird, wie sie verläuft und was dies für jeden von uns bedeutet. Erkenne ich mich beim Blick auf meine genetischen Vorfahren wieder? Was bedeuten die Menschen, die vor 1 000 Jahren lebten, für mich und den Fortgang meiner persönlichen Roten Linie? Wie die Suche nach Bernstein an den Küsten des Baltikums, so war dies für mich einen Versuch wert.
Die Besiedlung des Ostseeraums durch Indoeuropäer
Das Baltische Meer entstand am Ende der Weichsel-Kaltzeit vor etwa 12 000 Jahren nach dem Abschmelzen riesiger Gletschermassen. Der Meeresspiegel stieg um 200 Meter. Die vom Gewicht des Eises in die Erdkruste gedrückte Landscholle der skandinavischen Halbinsel stieg, Nordsee und Ostsee entstanden. Noch während des Rückgangs der Gletscher erschienen vor 14 000 Jahren in Norddeutschland und Südskandinavien Rentierjäger der Hamburger Kultur und mit ihnen verwandte Jäger der Federmessergruppe. (Boettcher 2000, 28) Die Hamburger Kultur vor 15 700 bis 14 200 Jahren gehörte zu den letzten jungpaläolithischen Kulturgruppen am Ende der Weichsel-Kaltzeit. Nach einem kältebedingten Rückzug siedelten vor 10 000 bis 9 000 Jahren hier erneut Jäger, Sammler, Fischer und Bauern. (Schmoeckel 2000, 29) Vor 7 800 bis 6 000 Jahren breitete sich in Nordeuropa das Neolithikum aus. Balten aus dem oberen Dnepr-Gebiet erreichten vor 5 000 bis 4 500 Jahren die Ostsee und assimilierten dort bereits ansässige Indoeuropäer der Streitaxtkultur, die hier seit der dritten Kurgan-Welle lebten. Aus ihren indoeuropäischen Sprachen entwickelten sich baltische Dialekte. Auch das Proto-Germanische, das in Südskandinavien und Norddeutschland gesprochen wurde, bildete sich als eigene Sprache aus dem Indoeuropäischen heraus. Das Territorium der Balten reichte von der Ostsee bis zur oberen Wolga und zum Dnepr. Schätzungen gehen von einer Bevölkerung von etwa 500 000 Menschen aus. (Jaskanis 1987, 12f.)
Die Expansion finno-ugrischer Völker nach Nordeuropa
Parallel zu den Kurgan-Wellen der Indoeuropäer expandierten finno-permische bzw. proto-finnische Völker seit der Zeit vor 5 000 Jahren über Nordosteuropa nach Skandinavien und ins Baltikum. Sie migrierten im Norden bis nach Fennoskandien und im Osten nach Nordsibirien. (Haarmann 2016, Pos. 771) Vor 5 000 Jahren entwickelte die ostseefinnische Bevölkerung ihre eigene Kultur und Sprache. Vor 4 000 Jahren gab es Kontakte zwischen der ostseefinnischen Bevölkerung im Norden und baltischen Stammesgruppen im Süden. Die Folge war eine Überschichtung finno-ugrischer Angehöriger der Kammkeramischen Kultur durch indoeuropäische Schnurkeramiker. (Ozols 1986, 341-348) Zu den Balten gehörten auch die Träger der Memelland-Kultur, die vor 4 500 Jahren entlang der Küste lebten. Während der Bronzezeit in Finnland vor 3 700 bis 2 500 Jahren begannen Siedler an der Ostseeküste Ackerbau und Viehzucht zu betreiben. Im Norden und Osten dominierten weiterhin Jägerkulturen. Zwischen der vorrömischen Eisenzeit und dem Beginn unserer Zeitrechnung war Finnland durchgehend besiedelt. Finno-ugrische Elemente stellten den Hauptteil der Bevölkerung dar. Sie lebte vom Südwesten bis in die Region Ladoga-Karelien im Norden. Die dort lebenden Samen wurden verdrängt oder vermischten sich mit indoeuropäischen Zuwanderern. In dieser Zeit gab es intensive Kontakte zwischen Schweden und Finnland. Vor 3 000 bis 2 000 Jahren entstand das Volk der Esten. Sie gehörten ursprünglich nicht zu den Balten, sondern wie die Samen und Finnen zu den finno-ugrischen Völkern.
Der Ursprung von Kelten und Germanen in Nord- und Osteuropa
Zu meinen Ahnen gehören auch Germanen und Kelten. Der Ursprung der Kelten liegt „weitgehend im Dunkel der Vorgeschichte“. (Meid 2007, 9) Ihre Ausgliederung aus dem „indoeuropäischen Komplex“ erfolgte vor 4 000 bis 3 000 Jahren; die Ethnogenese setzte aber bereit lange vorher ein. Keltisches Kernland war das Alpengebiet. Von hier aus expandierten sie nach Ostfrankreich, Süddeutschland und Ungarn. Von der Phase keltischer Hallstatt Kultur vor ca. 2 400 Jahren bis zur Zeitenwende, der La Tène-Kultur, weitete sich ihr Siedlungsgebiet bis auf die Pyrenäenhalbinsel und nach Britannien aus. (Haarmann 2016, Pos. 3925-3954) Vor 2 200 Jahren entstanden zentrale Orte als Mittelpunkte für Wirtschaft, Handel und Kultur. Der Hauptort der keltischen Vindeliker lag beim heutigen Manching an der Donau. Ein großer Teil Europas wurde von keltischen Stämmen bewohnt. 45 Prozent aller männlichen Deutschen sind vor allem keltischen Ursprungs. Noch größer sind die Zahlen in Österreich. Die drei größten Haplogruppen der österreichischen Bevölkerung sind 1. Kelten, Basken, Italer, Friesen und Sachsen, 2. Slawen, Kurgan, Arier und 3. Germanen. (45 Prozent der Deutschen haben genetisch gesehen keltische Wurzeln 2016) Die Kelten zeichneten sich zwar durch eine geschlossene kulturelle Tradition aus, da sie aber keine Staatlichkeit entwickelten, wurden sie von der römischen Macht und später von den Germanen zurückgedrängt. Daher endete die keltische Vorherrschaft in Mitteleuropa, ihre Traditionen überdauerten jedoch die nächsten Jahrhunderte nicht nur in Britannien und Irland. (Griesa 1998, 90f.) Vor ca. 3 500 Jahren entwickelten sich in Norddeutschland und Skandinavien aus kulturell und ethnisch heterogenen Stämmen die Germanen. (Kausen 2012, 105) Sie gingen im Ostseeraum aus der Verschmelzung von Angehörigen der Trichterbecher-Kultur und der Schnurkeramik hervor. Vor 2 500 Jahren entwickelte sich eine germanische Ursprache. Sie gliederte sich in das Ost-, Nord- und Westgermanische. Vor 2 500 Jahren erstreckte sich germanisches Siedlungsgebiet über Dänemark, Süd-Norwegen, Süd-Schweden sowie an den Küsten von Nord- und Ostsee, von Flandern im Westen bis ins Flusstal der Weichsel im Osten. Sie standen jahrhundertelang mit den Ostseefinnen in Kontakt. (Haarmann 2016, Pos. 4105) Eine Kontinuität in der Entwicklung der Germann gab es in Regionen, die von Völkerwanderungen und kulturellen Impulsen weniger tangiert wurden. Im Norden Europas gab es „eine starke
Kontinuität des später als germanisch belegten nördlichsten Deutschland und südlichen Skandinavien seit dem Beginn der Bronzezeit“. (Narr 1975, 702) In römischer Zeit gerieten die frühgermanischen Stämme in Bewegung und dehnten sich in baltische und slawische Siedlungsgebiete aus. Seit der Zeit vor 2 200 Jahren kam es immer wieder zu germanischen Wanderungsbewegungen und zur Bildung von Territorien. (Kausen 2012, 105) Gaius Julius Caesar meinte, die Germanen würden sich von den Kelten durch „ein höheres Maß an barbarischem Wesen“ unterscheiden. Sie seien „ungesittet, faul und zügellos“, andererseits aber „gesund an Leib und Seel, tapfer, kriegstüchtig und stark im Ertragen von Entbehrungen“. (Zit. b. Ament 1986, 247) Tacitus schrieb, die Völker Germaniens seien ein „durch keine Ehen mit fremden Stämmen verfälschter, eigentümlicher, unvermischter und nur sich selbst ähnlicher Menschenschlag“. Ihre körperliche Erscheinung sei bei allen dieselbe: „trotzige blaue Augen, rötlichblonde Haare, mächtige Leiber“. (Zit. b. Vonderach 2008, 120)
Balten, Slawen und Finnen seit Beginn der Eisenzeit vor 2 500 Jahren
Da der Meeresspiegel der Ostsee stark schwankte, verließen immer wieder Siedler Skandinavien. Vor 2 500 Jahren drangen germanische Kimbern aus dem nördlichen Jütland bis weit nach Süden vor. (Schmoeckel 2000, 26) Zur gleichen Zeit erreichte die Hallstadtzeit das Baltikum. Das Memelland wurde besiedelt. Es gab Verbindungen in die Dnjepr-Region, und die Teilung zwischen West- und Ostbalten setzte ein. Mit der Einführung des Eisens und der Einwanderung baltischer Völker entstand in Ostpreußen, im Narewgebiet und an der litauischen Küste, die westbaltische Hügelgräberkultur. Ihre Träger lebten an der Bernsteinstraße, über die wertvolle Material nach Westeuropa und in den Mittelmeerraum befördert wurde. Dank des Handels erlebte das westliche Baltikum eine Blütezeit. (Jaskanis 1987, 34-36) Die baltische Strichkeramik-Kultur erstreckt sich von der Beresina, einem Nebenfluss des Dnepr, bis nach Kurland. In Litauen zeugen hunderte befestigte Siedlungen von der Strichkeramik-Kultur. Die Vorfahren der westlichen Balten waren die Aestier, die Tacitus um 100 erstmals erwähnte. Laut dem gotischen Geschichtsschreiber Jordanes waren die Balten friedfertige Bauern, die vom Fischfang und Bernsteinhandel lebten und nur mit Keulen bewaffnet waren. Von den baltischen Pruzzen leitete sich der Name Preußen ab. Bis auf das Litauische und Lettische starben alle Sprachen im 16. und 17. Jahrhundert aus. (Ozols 1986, 341) Die Kuren sind am nächsten mit den Stämmen verwandt, die zur Ethnogenese der Letten führten. Der selbständige baltische Stamm siedelte von der Rigaer Bucht bis nach Lettland und Litauen. Das im nördlichen Baltikum gesprochene Estnische und Livische waren Zweige finno-ugrischer Sprachen. Etwa zur Zeitenwende gab es eine Differenzierung in Ost- und Westbalten. Die Westbalten verbreiteten sich in Richtung Memel, Masuren und in nördliche Gebiete wie das Samland und Natangen in Ostpreußen. (Jaskanis 1987, 12f.) Slawische Sprachen bildeten einen weiteren Zweig der indoeuropäischen Sprachfamilie. (Struve 1986, 297) Wie Germanen und Kelten gehören Slawen zu unseren Vorfahren. Ihre Entstehung ist umstritten. Verfechter der Hypothese einer slawischen Urheimat gehen von homogenen urslawischen Gruppen aus.
Demnach wanderten bereits homogene Verbände in später slawisches Siedlungsgebiet ein. Nach anderer Auffassung bildeten sich slawische Völkerschaften erst auf der Wanderung oder am Ankunftsort aus wandernden Proto-Slawen heraus. Nach einer weiteren Theorie stellen sie „als ethnischpolitische Kategorie eine byzantinische Entdeckung in Form einer Fremdbezeichnung, also einer Kategorisierung von außen“ dar. (Slawen 2021) Als in der Zeit vor 2 450 Jahren bis zur Zeitenwende in Mitteleuropa die LaTène-Kultur dominierte, entstanden in der Urheimat der Slawen einige Gruppen als Nachfolgekulturen der Lausitzer Kultur. Die Urheimat lag wohl in der Gegend zwischen Oder und Weichsel und östlich davon. (Stloukal 1986, 323) Zwischen dem Beginn unserer Zeitrechnung und dem Jahr 700 drangen finnische Stämme ins heutige Süd- und Westfinnland vor. Ackerbauern verdrängten samische Rentierzüchter nach Norden. (Wahl 1999, 72f.) Der finnische Stamm der Tavasten wanderte nach Mittelfinnland. Auf dem Seeweg über den Finnischen Meerbusen kamen diese „eigentlichen Finnen“ von Estland nach Südwest-Finnland. Die den Tavasten auf nördlicher Route folgenden Karelier ließen sich in Südost-Finnland nieder. (Haarmann 2004, 127) Tavasten und Karelier kämpften um Jagdreviere, Fischgründe und Acker- bzw. Weideland sowohl gegeneinander als auch gegen Schweden, Russen und Samen.
Goten, Vandalen und Slawen seit der Zeitenwende
Zwischen dem Jahr 150 und der Mitte des 3. Jahrhunderts n. Chr. dehnten sich die germanischen Goten von Skandinavien und Gotland entlang bis zum Schwarzen Meer aus. Sie siedelten im Gebiet der Weichselmündung, in der pontischen Steppe, an der Nordküste des Schwarzen Meers, auf der Halbinsel Krim, in Dakien, Pannonien und in angrenzenden Gebieten auf dem Balkan, in Norditalien, im Südwesten Frankreichs und im Norden Spaniens. Sie pflegten ihr germanisches Kulturerbe und eine „aristokratische Kultur“, die viele Eigenheiten der indoeuropäischen Gesellschaft widerspiegelte. Als Gotones, so Tacitus, traten sie in Quellen des 1. Jahrhunderts in Erscheinung. Ihre Ausbreitung bedeutete keine komplette Abwanderung aus dem Weichselgebiet. Ein Teil von ihnen blieb hier zurück. (Haarmann 2016, Pos. 4123-4140) Die Ursprünge der Vandalen werden in der Forschung konträr diskutiert. Nach Plinius dem Älteren und Tacitus siedelten sie in den ersten Jahrhunderten nach der Zeitenwende östlich der Oder und südlich der damals dort lebenden Burgunder. Nach ungesicherten Quellen entwickelten sie sich auf Jütland und zogen von dort über die Mündungsgebiete von Oder und Weichsel zunächst nach Schlesien. Möglicherweise gehörten sie zum Kulturverband der Lugier, mit denen die frühen Vandalen in einigen Quellen gleichgesetzt werden. Dabei handelte es sich um eine ostgermanische Stammesgruppe, die im 1. Jahrhundert in Schlesien entlang der Oder und im angrenzenden Raum siedelte. Der griechische Geschichtsschreiber Strabon bezeichnete sie als großes Volk mit mehreren Stämmen. Im 2. Jahrhundert lebten die Silinger in Schlesien und die Asdinger oder auch Hasdinger im späteren Ungarn und Rumänien. Sie waren Teilstämme der Vandalen. Die Zeit zwischen dem 2. bis 5. Jahrhundert gilt als „Goldenes Zeitalter der Balten“. Es gab keine Abwanderungen, Bevölkerungsverschiebungen oder Invasionen fremder Stämme. Tacitus nannte sie Aestii (Ästier). Der Name wurde später auf die stärker finno-ugrischen Esten übertragen. In der ersten Hälfte des 1. Jahrtausends siedelten Slawen geschlossen im Gebiet der Ukraine und Polens. Hier lebten sie in Gemeinschaft oder Nachbarschaft mit Germanen. Goten traten zeitweilig als Herrscher auf. Die slawische Sprache entstand zwischen Weichsel, Bug und Dnjepr. Die Wanderungen und
Assimilation von Menschen verschiedener Herkunft führte zu Slawisierung Ostmittel- und Osteuropas. Ab dem 6. Jahrhundert dominierten slawischsprachige Gruppen das Gebiet zwischen Elbe und Wolga. Vor ihrer Aufspaltung gab es eine Verbindung zwischen slawischer- und baltischsprachiger Bevölkerung. Beide hatten zuvor ältere, miteinander verwandte indoeuropäische Dialekte gesprochen. Slawen stießen bis in die Karpaten und an die oströmische Grenze vor und errichteten Herrschaften. Dalmatien war der Ausgangspunkt der hochmittelalterlichen slawischen Staatsbildungen in Serbien. Im Nordosten war die Südexpansion des Bulgarischen Reiches eine Voraussetzung für die erste slawisch-byzantinische Synthese, die Serbien und Russland kulturell prägte. Seitdem gehörte die slawische Welt zwei Kulturen an, der byzantinisch geprägten Orthodoxie und dem mitteleuropäisch geprägten Katholizismus. Ältere Stammesgruppen gingen oft „ethnische Fusionen“ mit anderen Gruppen ein. Dabei bildeten sich verschiedene slawischen Völker heraus. Vor allem in Gebieten mit slawischer Mehrheitsbevölkerung kam es zur Assimilation mit nichtslawischen Ethnien wie den Protobulgaren in Bulgarien und finnischugrischen Völkern, deren Siedlungsgebiet im Mittelalter von Slawen regelrecht „übervölkert“ wurde. (Stloukal 1986, 323) Im 9. Jahrhundert lässt sich ein reger Handel mit slawischen Kriegsgefangenen nachweisen, die an Sklavenhändler im Kalifat von Córdoba verkauft wurden. Im Hochmittelalter spielten „Sklavenjagden“ im Zusammenhang mit der deutschen Ostsiedlung eine Rolle. Es gab Razzien bei Balten und Slawen. Mit der Christianisierung der slawischen Gebiete und des Baltikums endete der Menschenfernhandel in Mitteleuropa. (Zeuske 2019, S. 138, 517, 581f., 596, 818)
Die Völkerwanderung nach dem Einbruch der Hunnen in den Jahren 375 bis 568
Bis zum Beginn der Völkerwanderung erstreckte sich das baltische Siedlungsgebiet von der unteren Weichsel im Westen bis zu den Flüssen Oka, Pripet und Sejm im Süden. Es kam zur Slawisierung baltischer Ethnien. Während der Völkerwanderung gelangten die finnischen Küstenregionen durch den Ostseehandel zu Wohlstand, der in der Zeit der Wikinger ab dem 8. Jahrhundert noch wuchs. Um die Jahrtausendwende verdichteten sich über den Handel die Beziehungen Ostfinnlands zur Herrschaft von Nowgorod. Dadurch kam die Bevölkerung in Kontakt mit dem Christentum. In der mittleren Eisenzeit zwischen dem 5. und dem 9. Jahrhundert standen baltische Stämme durch die Expansion der Slawen unter Druck. Zugleich drängten Schweden und Wikinger in das Samland und das Memelland vor. Es entwickelte sich ein schwungvoller Handel. Im Delta der Memel fanden Wikinger einen sicheren Hafen, von dem aus sie über die Flusswege weiter nach Osten vordrangen. Die nordgermanische Sprache beschränkte sich während dieser Zeit auf Norwegen und Schweden. In Dänemark siedelten Sprecher des Westgermanischen. Mit der Abwanderung von Angeln, Jüten und Sachsen nach Britannien und der Langobarden nach Süden wurde Dänemark weitgehend entvölkert. Erst in der zweiten Hälfte des 1. Jahrtausends besetzten Nordgermanen die Region. Die Oder war dabei die ungefähre Trennlinie zwischen Westgermanen und Ostgermanen. (Haarmann 2016, Pos. 4105) Während der Völkerwanderung und der anschließenden Vendelzeit vor 550 bis 800 Jahren wurden Germanen im Raum des heutigen Schweden sesshaft. Benannt ist diese Epoche nach der Region Vendel in der schwedischen Provinz Uppland. Der Vendelzeit folgte in Dänemark und Skandinavien die Wikingerzeit. Sie erreichte ihre höchste Blüte in Uppland und auf Gotland. Auch slawische Stämme aus dem Dnister- und Pripjat-Gebiet siedelten im 6. bis 7. Jahrhundert im Gebiet zwischen Oder, Weichsel und Ostsee. Ihre Wanderungen wurden durch den Einfall der Hunnen zu Beginn der germanischen Völkerwanderung ausgelöst. (Schmidt-Rösler 1996, 14) Im Gebiet Polens bewirkten die Wanderungsbewegungen „eine große ethnische Vielfalt“, die damals „eines der Kennzeichen der Bevölkerung Polens“ war. (Mühle 2011, 10) Im 6. und 7. Jahrhundert gliederten sich die slawischen Sprachen in einen
östlichen, südlichen und westlichen Zweig. Seit Mitte des 6. Jahrhunderts drangen westslawische Gruppen in mehreren Schüben nach Mitteleuropa vor. Lausitzer Stämme und die Vorläufer der Wilzen wanderten ein. Seit dem 7. Jahrhundert bildeten sich die Stammesverbände der Milzener und Lusitzi in der Lausitz, der Heveller an der Havel, die Wilzen/Liutizen in Vorpommern und im nördlichen Brandenburg, sowie die Abodriten in Mecklenburg. Auf Rügen und dem angrenzenden Festland lebten die Ruganen. Weiter westlich siedelten die Wagrier im östlichen Holstein und die Drewaner in der Lüneburger Heide. Die Elbe bildete meist die natürliche Westgrenze der slawischen Gebiete. An der mittleren Elbe lebten Elbslawen und Sachsen friedlich miteinander. An der unteren Elbe dagegen standen sie sich jedoch meist feindlich gegenüber. Bis ins 12. Jahrhundert sahen deutsche Herzöge und Fürsten ihre Aufgabe darin, die Slawen zu unterwerfen und zu christianisieren. Im Zuge der deutschen Ostsiedlung wurden die meisten slawischen Kleinvölker zwischen Elbe und Oder assimiliert. Die Polaben pflegten noch bis zum Beginn des 18. Jahrhunderts im Lüneburgischen Wendland ihre Kultur und Sprache. Danach gingen sie in der deutschen Mehrheitsbevölkerung auf. (Stloukal 1986, 323) Die Wenden oder Sorben sind die einzige westslawische Ethnie, die ihre Identität bis heute bewahren konnte.
Schweden zwischen dem 6. und 13. Jahrhundert
Im 6. Jahrhundert schlossen sich in Skandinavien mehrere nordgermanische Stämme zu größeren Einheiten zusammen und drängten die zuvor eingewanderten Samen und Finnen nach Norden ab. Bei der Entstehung Schwedens spielten die am Mälarsee bzw. in Svealand in Mittelschweden ansässigen Svear und die in Götaland (Västergötland, Östergötland und Småland) ansässigen Gauten die wichtigste Rolle. Die nordgermanischen Stämme unterhielten in Alt-Uppsala ein gemeinsames politisches und kulturelles Zentrum. (Bohn 2001, 39-48) Zu Beginn des 7. Jahrhunderts besiegte Svear von Uppsala die Gauten. Das politische und wirtschaftliche Zentrum Schwedens verlagerte sich dadurch nach Birka. Die Verschmelzung beider Völker begann im 8. bzw. 9. Jahrhundert und zog sich wegen anhaltender Kämpfe zwischen den christianisierten Gauten und den an ihrer alten nordischen Religion festhaltenden Svear bis ins 10. Jahrhundert hin. Die selbständigen schwedischen Regionen gingen um das Jahr 1000 in einem neuen Reich auf, dessen Schwerpunkt in Västergötland und Östergötland lag. Zwischen dem 11. und dem 16. Jahrhundert bildete sich schließlich Schweden heraus. (Bohn 2001, 39-48) 1153 begann Finnlands fast 700 Jahre andauernder Verbindung mit dem Königreich Schweden. Die schwedische Expansion nach Finnland beunruhigte die Herrscher der Republik Nowgorod, die Karelien kontrollierte. Es kam zu ständigen Auseinandersetzungen. Die schwedische Expansion nach Osten im 12. und 13. Jahrhundert führte schließlich dazu, dass Finnland dem schwedischen Reich zufiel. Während der Wikingerzeit bestand die finnische Bevölkerung aus Finnen, Tavastianer, Karelier und Samen. Die Ålandinseln gehörten zu Schweden.
Die Wikinger und die Kiewer Rus vom 6. bis 11. Jahrhundert
In der Wikingerzeit zwischen 800 und 1050 gingen von Schweden regelmäßig Raubzüge und Handelsexpeditionen nach Osten aus. Die skandinavischen Waräger benutzten das Flusssystem Russlands für ihre Handelsrouten und errichteten ein Stützpunktsystem, das von der Ostsee über die Düna und den Dnepr reichte. Hier trafen sie auf Ostslawen, Wolgabulgaren und Chasaren. Im Gebiet des Ladoga-Sees setzte sich 862 der Wikinger-Stamm der Waräger durch. Stammesvater in Nowgorod wurde Rjurik, dessen Nachfolger Igor 882 Kiew eroberte, es zu seiner Residenz machte und dortige ostslawische Stämme unterwarf. Der Wikinger-Staat „Kiewer Rus“ entstand in der ersten Hälfte des 9. Jahrhunderts und hielt sich ca. 300 Jahre. Das Wort „Rus“ leitete sich von einem schwedischen Warägerstamm ab, der finnisch „Ruotsi“ genannt wurde. Zwischen 850 und 1230 gehörte auch Litauen zum Herrschaftsgebiet der Kiewer Rus. Kiew wurde zu einem bedeutenden Handelsplatz mit Verbindungen über Byzanz bis nach Spanien und Bagdad. Das Kiewer Reich gilt als erster Großstaat der ostslawischen Geschichte und gelangte in der Folgezeit zu hoher Blüte. So entstand zur ersten Jahrtausendwende aus der Verschmelzung von Skandinaviern und Ostslawen mit byzantinischer Kultur und Religion die Bevölkerung der Kiewer Rus, aus der später Russen, Ukrainer und Weißrussen hervorgingen. Die ansässigen Skandinavier waren bis zum Ende des 10. Jahrhunderts vollständig slawisiert. Bald schon avancierte „Rus“ zur Bezeichnung der Bewohner dieses Bereiches. So übertrug sich der Name der eingewanderten skandinavischen Führungsschicht auf die Alteingesessenen. Die Großfürsten von Kiew hielten bis zur Mitte des 11. Jahrhunderts engen Kontakt zum Mutterland Schweden. Beziehungen Russlands zu westeuropäischen Staaten entwickelten sich besonders seit Anfang des 11. Jahrhunderts unter der Herrschaft von Jaroslaws I. Die Fürsten von Kiew waren zu dieser Zeit mit den Herrscherhän in Norwegen, Schweden, Frankreich, England, Polen, Ungarn, dem Byzantinischen Reich und dem Heiligen Römischen Reich verwandt. Unter Jaroslaw I. erreichte die Kiewer Rus eine Blütezeit und den Höhepunkt ihrer Macht. Er befestigte seine Herrschaft, erschloss Verkehrswege und dehnte die Tributherrschaft aus. Nach dem Tod des letzten Großfürsten von Kiew zerbrach die Herrschaft im Jahr
1132 in mehrere unabhängige Fürstentümer.
Der Beginn polnischer Geschichte im 10. Jahrhundert und die Entstehung baltischer Völker ab dem 2. Jahrtausend
Die Entstehung des Staates Polen fällt ins 10. Jahrhundert. Zwischen 880 und 960 vereinigten sich verschiedene westslawische Stämme zwischen Oder und Weichsel zu einem Staatsgebilde. Die bedeutendsten waren die Opolanen, Slenzanen, Masowier und Wislanen. Ein weiterer Stamm, die Polanen, errichteten im späten 10. Jahrhundert ein Herzogtum in der Region um Posen und Gnesen. (Mühle 2011, 10) Die geschriebene Geschichte Polens begann 963 mit Herzog Mieszko. (Rhode 1965, 8f). Dessen Taufe führte zur Christianisierung. Aus seinem Herzogtum ging gegen Ende der Epoche der Piasten vor 960 bis 1386 das Königreich Polen hervor. Nach der ersten Jahrtausendwende bildeten sich die baltischen Stämme der Pruzzen, Schemaiten, Jotwinger, Nadrauer, Skalwen, Kuren, Semgallen, Selonen, Galinden, Latgallen, Letten und Litauer. Letztere siedelten im Gebiet zwischen dem Oberlauf der Memel und der Neris. Die Balten lebten unter lokalen Fürsten, verfügten aber über keinen einheitlichen Staat. Die fehlende militärische Schwäche lockte in der Vendelzeit skandinavische Kiewer, später Polen und Deutsche, an. Die Kuren siedelten im 10. Jahrhundert an der gotländischen Küste sowie bei Klaipėda und Kretinga. Funde auf Gotland und Öland sowie im mittelschwedischen Uppland deuten auf Handelsbeziehungen zu den Balten im 10. und 11. Jahrhundert hin. Die Geschichte Litauens ist eng verbunden mit der Kiewer Rus, der Geschichte Russlands und Deutschlands sowie insbesondere der Geschichte Polens sowie von Belarus. Die erste Erwähnung Litauens stammt aus dem Jahr 1009. Zwischen 1201 und 1236 fielen litauische Stämme auf Beutezügen ständig in benachbarte Länder ein. Im 9. und 10. Jahrhundert verloren die Pruzzen durch veränderte Handelswege an Bedeutung. Der Dnepr wurde erschlossen, und der wichtigste Handelsweg umging nun baltische Gebiete. Mit der Gründung des polnischen und des altrussischen Staates änderten sich die politische Großwetterlage. Die pruzzischen Handelsstädte Truso und Wiskiauten erfuhren einen Niedergang, dagegen gab es im ostbaltischen Bereich eine beschleunigte Entwicklung, die bald das Niveau der westbaltischen Region erreichte. (Haarmann 2016, Pos. 4123-4140)
Deutsche und Juden seit dem 11. Jahrhundert
Unter Historikern ist umstritten, ab wann von Deutschland und vom deutschen Volk die Rede sein kann. Im 11. Jahrhundert tauchte der Begriff „Rex Teutonicorum“ für den ostfränkischen römisch-deutschen Herrscher auf. Eine deutsche Identität entwickelte sich aber erst gegen Ende des 13. Jahrhunderts. Während in England und Frankreich nationale Königreiche entstanden, verhinderte im partikularistisch geprägten Römisch-Deutschen Reich die universale Reichsidee eine zentrale Staatsbildung. Wegen der Prozesshaftigkeit der Ethnogenese wird die Frage, ab wann vom deutschen Volk gesprochen werden kann, von der mediävistischen Forschung nicht eindeutig beantwortet. Sind wir, die in leben, auch Germanen? Nein. Wir Deutsche sind nur eines von vielen Völkern, die aus den „alten Germanen“ hervorgingen. Die Deutschen setzten sich aus unterschiedlichen genetischen, sprachlichen und kulturellen Komponenten zusammen. Schon der Althistoriker Thomas Lenschau meinte, die Deutschen seien ein „Mischvolk aus germanischen, keltischen und slawischen Bestandteilen“. (Lenschau 1923) Für eine Studie unter dem Titel „Die Zusammensetzung der Bevölkerung Deutschlands hinsichtlich der genetischen Abstammung“ verglichen Schweizer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler 19 457 Genanalysen und kamen zum Ergebnis, dass die Hälfte der Deutschen mütterlicherseits überwiegend germanischer Abstammung sei, bei den Männern seien es nur sechs Prozent. Laut der Studie stammen etwa 30 Prozent der Deutschen von Osteuropäern ab, und jeder zehnte Deutsche hat mindestens einen jüdischen Vorfahren. Hingegen haben 45 Prozent der deutschen Männer keltische Ahnen der Haplogruppe R1b. 15 Prozent der Deutschen gehören zur indoeuropäischen Haplogruppe R1a, die unter anderem Wikinger und Die Genanalysen zeigten, dass jeder Mensch viele verschiedene Wurzeln hat und in jedem ein „genetischer Mischmasch“ steckt. Keltische Bestandteile haben demnach vor allem die Deutschen in Süd- und Südwestdeutschland und in den Alpenländern, slawische hingegen östlich von Unstrut, Saale und Elbe bis in die sorbische Lausitz. (45 Prozent der Deutschen 2016) Wie Deutsche, so betraten in der Ostseeregion auch Juden erst spät die Bühne
der Geschichte. Nach der Inbesitznahme und Christianisierung durch deutsche Kreuzritter war es Juden verboten, das Gebiet der Livländischen Konföderation zu betreten. Die ersten Juden wanderten wahrscheinlich von Südosten ins Gebiet des späteren Großfürstentums Litauen ein. Ihre Existenz ist für das Jahr 997 bezeugt. Südlich von Wilna wurden jüdische Grabsteine aus dem späten 11. Jahrhundert gefunden. (Eliach 1998) Juden wanderten vielleicht im 9. und 10. Jahrhundert aus Babylonien und anderen Gebieten des Vorderen Orients nach Litauen ein. Wahrscheinlich ließen sich Juden nasch dem Untergang des Chasarenreichs ab dem 10. Jahrhundert in den befestigten Städten Litauens als Händler nieder. Sie standen unter dem Schutz der Fürsten. (Greenbaum 1995, 2f.) In größerer Zahl wanderten aschkenasische Juden ab dem Ende des 11. Jahrhunderts zuerst in die slawischen und dann auch in die baltischen Länder ein. Die religiös ausreichend toleranten polnischen und litauischen Herrscher förderten ihre Ansiedlung, um deren Kenntnisse und Kontakte für die wirtschaftliche Entwicklung zu nutzen. Im Königreich Polen und im Großfürstentum Litauen nahm die Zahl jüdische Gemeinden zu. In Lettland begann die Geschichte der Juden im 16. Jahrhundert mit ihrer Ansiedlung in Kurland und Lettgallen. Im frühen 16. Jahrhundert lebten in Osteuropa etwa 50 000 Juden vor allem in Polen, Litauen, in Moldawien und der Bukowina. Ihre Gemeinden entstanden im Mittelalter oft parallel und in Konkurrenz zu christlichen Siedlungen. In Posen, Krakau, Lublin, Lemberg und Wilna besaßen sie Privilegien für eine autonome Gemeindeverwaltung. In Folge dessen entstanden Ballungszentren der jüdischen Bevölkerung. Im 13. bis 15. Jahrhundert flohen zahlreiche aschkenasische Juden aus West- und Mitteleuropa, hauptsächlich aus Deutschland und Böhmen, nach Polen und Litauen.
Der Deutsche Orden im 13. bis 15. Jahrhundert
Die Niederlage des Schwertbrüderordens in der Schlacht von Schaulen gegen Litauen 1236 führte zur Übernahme Lettlands durch den Deutschen Orden und zur Angliederung Livlands an den Ordensstaat. Einige Landesteile verblieben in der Hand des Bischofs von Riga. Nach der Unterwerfung der Liven, Kuren und Semgallen kamen deutsche Einwanderer nach Livland. Seitdem stellte die deutsche Oberschicht das Stadtbürgertum und die Großgrundbesitzer. 1251 wurde Fürst Mindaugas getauft. Im 13. Jahrhundert bildete sich durch die Fusion verschiedener lokaler litauischer Stämme ein Staatswesen, das bald Macht und Einfluss gewann. Die Entstehung dieses Staates fand seine Motivation im Widerstand gegen die Ausdehnungsbestrebungen des Deutschen Ritterordens. Dessen Eroberung Ostpreußens folgte 1283. Nach längerem Widerstand wurde das Siedlungsgebiet der Pruzzen in das Territorium der Deutschen Ordens eingegliedert. Bis zum Beginn des 14. Jahrhunderts war die Christianisierung der Westbalten im Wesentlichen abgeschlossen. Wie wäre die Geschichte wohl verlaufen, hätte nicht der legendäre muslimische Sultan Saladin bis 1189 weite Teile der Kreuzfahrerstaaten Jerusalem, Tripolis und Antiochia erobert? Durch die Vertreibung der Kreuzritter aus ihren Reichen in Heiligen Land richtete der Kreuzfahrerorden seine Eroberungsbestrebungen in Richtung Osteuropa. Dadurch wurde die Geschichte des Baltikums mit der des Nahen Osten verbunden. Was wäre wohl geschehen, hätten sich die Templer dauerhaft in der Levante festgesetzt? In den folgenden Jahrhunderten förderte der vom Deutschen Ritterorden gegründete Ordensstaat den Zustrom deutscher Ritter, aber auch von Bauern und Bürgern aus aller Herren Länder. Im 13. Jahrhundert rottete der Orden die westbaltischen Völker der Pruzzen, Sudauer, Galinder fast vollständig aus. Im Mittelalter wurden sie schließlich assimiliert. Im 13. Jahrhundert trat erstmals Litauen als geeintes Staatswesen in Erscheinung. Der Deutsche Orden erlitt 1410 bei Tannenberg eine schwere militärische Niederlage gegen die PolnischLitauische Union. Durch langwierige Konflikte mit den preußischen Ständen in der Mitte des 15. Jahrhunderts beschleunigte sich der um 1400 einsetzende Niedergang sowohl des Ordens als auch seines Staatswesens. Nach dem Ende
seiner Herrschaft 1561 übernahmen hanseatische Städte und Ritterschaften die öffentlich-rechtliche Selbstverwaltung. Diese Landesprivilegien, eine Art Autonomiestatut, wurden von der schwedischen Oberherrschaft bestätigt und blieben auch nach der russischen Eroberung Estlands im Großen Nordischen Krieg im Jahr 1710 unberührt. Die Oberschichten der Stadtbürger und Gutsbesitzer waren deutschsprachig, bis 1885 war Deutsch Unterrichts- und Behördensprache.
Der Krieg zwischen Schweden und Nowgorod sowie Entwicklungen im Baltikum im 14. Jahrhundert
Infolge eines Krieges zwischen Schweden und Nowgorod in den Jahren 1321 und 1322 erhielt Schweden West-Karelien, an Nowgorod fielen Ingrien und Ladoga-Karelien. Ungeachtet der Vereinbarungen kam es in den folgenden Jahrhunderten jedoch immer wieder zu Auseinandersetzungen. Dadurch bewegte sich die finnische Ostgrenze ständig vor und zurück. Insgesamt kam es jedoch zu einer langsamen schwedischen Expansion, die erst durch den Großen Nordischen Krieg gestoppt wurde. Seit 1386 bestand eine Personalunion des Großfürstentums Litauen mit dem Königreich Polen, die 1569 erneut bestätigt wurde. Seit dem 14. Jahrhundert lebten an der Küste Ostpreußens die Kuren, nach denen die Halbinsel Kurland und die Kurische Nehrung benannt wurden. Seit dem Frühen Mittelalter beteiligten sich Kuren am Ostseehandel. Das Baltikum teilte sich bis ins Mittelalter kulturell in zwei Zonen auf. Ostpreußen und die litauisch-lettische Küste wurden durch Bernstein zum wirtschaftlichen Einzugsgebiet Mitteleuropas und erhielten durch den Handel zahlreiche Impulse. Litauen und Lettland verharrten dagegen in archaischen Lebensformen. Estlands Geschichte war seit 1219 von wechselnden Fremdherrschaften der Dänen, des Deutschen Ordens, von Polen-Litauen und Schweden und schließlich von Russland geprägt. Im Verlauf des 16. Jahrhunderts wurde die kurische Bevölkerung in Litauen vollständig assimiliert. Kurz vor Flucht und Vertreibung der deutschen Bevölkerung nach dem Zweiten Weltkrieg sprachen Bewohner in den Fischerdörfern noch vereinzelt kurisch. Der Schnelldurchgang durch die Geschichte der Ostsee-Anrainer zeigt die laut meiner Gen-Analyse relevanten ethnischen Gruppen als über Jahrhunderte handelnde Akteure. Es besteht kein Zweifel, dass die aus der pontischen Steppe stammenden Indoeuropäer und Uralier die Geschichte Nordosteuropas maßgeblich formten. Dabei gestatten wechselnden Kontakte und Allianzen verbunden mit ständigen Bevölkerungsbewegungen nicht, meine Rote Linie genauer zu bestimmen. Wie schon zuvor verdeutlich das Bild eines Teppichs die Situation besser als die einer Roten Linie. Soviel aber bleibt festzuhalten: Meine Ahnen stritten und konstituierten sich im Umfeld der Ostsee. Vielleicht rührt daher meine Vorliebe für Urlaub auf Rügen, Usedom und Hiddensee. Da sich die
genetische Analyse allein auf den Zeitraum in etwa um die Zeit 1.000 n. Chr. bezieht, bleibt offen, wie meine Rote Linie sich danach fortsetzte. Der Momentaufnahme folgten erneut Jahrhunderte, in denen sie nicht erkennbar ist. Sie scheint erst in der Zeit wieder auf, in der meine direkten Vorfahren lebten und die persönlichen Daten von zwei drei Generationen ihren Niederschlag in Geburts- und Sterbedaten fanden.
25. Meine Vorfahren, die Zufälligkeit meiner Zeugung und Existenz
Meine statistischen und persönlichen Vorfahren
Jeder hat zwei Eltern, vier Großeltern, acht Urgroßeltern und 16 Ururgroßeltern. Geht man die Ahnenreihe 20 Generationen zurück, also 400 bis 500 Jahre, hat man bereits etwas mehr als eine Million Urahnen. Bei 30 Generationen sind es schon über eine Milliarde, also weit mehr Menschen, als vor 650 Jahren lebten. (Krause, Johannes 2020) Es ist leicht zu berechnen, dass jeder Mensch maximal vor N Generationen 2N Vorfahren hat. Vor 30 Generationen wären dies 230, also über eine Milliarde. Dies ist weitaus mehr als die gesamte Weltbevölkerung vor zirka 750 Jahren betrug. In 100 Jahren hat eine Person innerhalb von vier Generationen rechnerisch 30 Vorfahren: 2+4+8+16 (2×24-2). In 250 Jahre hat eine Person rechnerisch innerhalb von 10 Generationen 2 046 Vorfahren: 2+4+8+16+32+64+128+256+512+1024 (2×210-2). In 1 000 Jahren hat eine Person rechnerisch Innerhalb von 40 Generationen 2 199 023 255 550 Vorfahren: rund 2,2 Billionen (2×240-2). Diese Zahl liegt weit über dem Tausendfachen der damaligen Weltbevölkerung, die bei weniger als einer Milliarde betrug. Damit ist rechnerisch nachgewiesen, dass innerhalb dieser Zeitspanne jeder Mensch von einem Ahnenverlust (Implex) betroffen war. Dies bezeichnet in der Genealogie den Unterschied zwischen der möglichen und tatsächlichen Gesamtzahl der Vorfahren einer Person. Zum Ahnenverlust kommt es, wenn Verwandte miteinander Kinder haben, zum Beispiel durch Cousinen-Heirat, durch die ein und dieselbe Person zwei Positionen in der Ahnenliste einnimmt. Starke Ahnenverluste treten bei lange isoliert lebenden Populationen auf. Der Ahnen-Baum ist ein von Zyklen freier gerichteter Graph, aber kein Baum im Sinne der Graphentheorie. Äste und Zweige vereinen sich zwangsläufig wieder. Die Tatsache, dass die Zahl der Vorfahren größer ist als die der Gesamtbevölkerung, führt Adam Rutherford darauf zurück, dass sich die Linien unserer Vorfahren nicht nur trennten, sondern auch wieder zusammengingen. „Sie bildeten verschlungenen Zweige und verschmolzen miteinander.“ Dadurch waren alle Menschen, die jemals gelebt haben, „weniger der Teil eines Stammbaums als vielmehr eines komplizierten Netzes aus Ahnen“. Es gebe nicht immer nur numerische Zunamen; gehe man nur ein paar Dutzend Jahrhunderte zurück, werde man feststellen, dass der größte Teil der heute lebenden Menschen „von einer Handvoll Personen abstammt, etwa der
Bevölkerung eines Dorfes entsprechend“. (Rutherford 2018, S. 11f.) Das erinnert an die Gruppe der Eva der Mitochondrien.
Meine persönlichen Vorfahren
Die Überlieferung mir namentlich bekannter Vorfahren setzt im 19. Jahrhundert ein. Meine Vorfahren mütterlicherseits lebten in Ostpreußen und im Baltikum. Das deckt sich mit dem Ergebnis meiner Gen-Analyse. Meine Urureltern zogen Ende des 19. Jahrhunderts nach Berlin. Dort kam meine Großmutter zur Welt. Ihr Mann stammte ebenfalls aus Ostpreußen. Beide starben nach Kriegsende 1945 in sowjetischen Internierungslagern. Mein Vater wurde 1898 in Köpenick bei Berlin geboren. Meine Großeltern väterlicherseits starben ebenfalls 1945 und 1947. Aus Erzählungen meiner Mutter, die 1920 in Berlin geboren wurde und ihre Ferien oft bei Verwandten in Gumbinnen und Goldap verbrachte, habe ich einen kleinen Einblick in das dortige von Pietismus und Landwirtschaft geprägte Leben bekommen. Laut Aussage meiner Mutter, deren litauischer Geburtsname Naujoks war, kam später ein Teil ihrer protestantischen Vorfahren aus dem Salzburger Land, von wo sie nach der Rekatholisierung im Habsburger Reich vertrieben wurden. Sie fanden in Ostpreußen eine neue Bleibe. Der preußische König Friedrich Wilhelm I. erließ 1732 ein „Einwanderungspatent“, so dass sich etwa 16 000 Salzburger in Ostpreußen mit Schwerpunkt Gumbinnen ansiedeln konnten. 1752 wurde hier sogar eine „Salzburger Kirche“ errichtet. Mein Vater, der nach seinem Kriegsdienst in der Kaiserlichen Armee im Ersten Weltkrieg an der Universität Danzig sein Diplom als Bergbau-Ingenieur erhielt, arbeitete danach zunächst in der Möbelfirma meines Großvaters in BerlinKöpenick. Dessen Vorfahren lebten schon länger in der Berliner Region. Der Tod all meiner Großeltern kurz nach Ende des Zweiten Weltkriegs ist Teil des großen Massensterbens, das die Nationalsozialisten zu verantworten haben. Jeder Soldat, egal auf welcher Seite der Front, jeder ermordete KZ-Insasse, Kriegsgefangene und Zivilist, sie alle haben die Welt durch ihre Nichtexistenz mitgeprägt. Am schwersten waren die europäischen Juden betroffen, deren Auslöschung erklärtes Ziel der NS-Führung war. Zu denen, die ihr Leben wegen der Nazi-Herrschaft verloren, kommen jene, die infolge der Zeit der Kriege und Unterdrückung keine Chance hatten, gezeugt zu werden. Mit den Männern, die an der Front starben, wurde unendlich vielen potentiellen Kindern die Chance
auf ein Leben genommen. Was wäre geschehen, wenn sie geboren wären? Keiner weiß es. Sie hätten wieder andere Kinder gezeugt, und die menschliche Entwicklung wäre von einer anderen Erd-Mannschaft gesteuert worden. Es gäbe die Erde, aber auf ihr gäbe es andere Menschen und alles wäre anders verlaufen.
Zeugung und Geburt
Als meine Großeltern starben, war von mir noch keine Rede. Meine Aussichten, das Licht der Welt zu erblicken, war statistisch gesehen denkbar gering. Wären die schicksalhaften Ereignisstränge, die zur Begegnung meiner Eltern führten, nur etwas anders verlaufen, wäre ich „aus der Liste der Lebenden“ gestrichen worden. (Demandt 2011, 19) Als meine Mutter, die in einer Buchhandlung am Potsdamer Platz in Berlin arbeitete, ins Büro meines Vaters bei der SauerstoffSpreng-Gesellschaft Berlin/München zwangsverpflichtet wurde und nach dem Krieg ihren Chef heiratete, stiegen meine Chancen auf Leben. Die Wahrscheinlichkeit, dass es mich so wie ich bin einmal geben würde, wuchs, wenn auch die Wahrscheinlich weiterhin gegen Null tendierte. Meine Mutter brachte zunächst zwei Mädchen zur Welt. Mich konnte es noch nicht geben, denn mein „Ich“ ist das Resultat einer einmaligen Raum-Zeit-Konstellation. Die Tatsache, dass es mich geben wird, entschied sich erst im Moment der Zeugung. Bis dahin stand nichts fest. Es war ein bisschen wie beim Russischen Roulett, bei dem niemand weiß, wann der entscheidende Schuss fällt. Vielleicht rauchte mein Vater noch eine Zigarette. Ich bin zwar Nichtraucher, aber ich wäre in diesem Fall froh, dass dadurch ich und nicht einer meiner ungezeugten Geschwister ins Leben treten durfte. Wäre eines meiner potentiellen Geschwister entstanden, wäre das Universum ein klein wenig anders geworden. Irgendwann im Dezember 1952 wurde ich in Berlin geboren. Auf die Welt kam ich nicht, dort war trotz gegenteiliger Behauptungen noch niemand von uns. Meine ungeborenen Geschwister konnte ich nicht kennenlernen, und ich werde ihnen nie begegnen. Sie bleiben im Quantenschaum der Potenzialität als Varianten irdischen Lebens geborgen. Meine Zeugung machte zugleich das Leben unendlich vieler anderer unmöglich. Aber wer denkt schon an die, welche es nicht ins Leben geschafft haben? Lorenz Marti zitiert Erwin Schrödinger mit den Worten: „Was ist‘s, das dich so plötzlich aus dem Nichts hervorgerufen, um dieses Schauspiel, das deiner nicht achtet, ein Weilchen zu genießen?“ (Marti 2017, 169f.) Hat schon der Blick auf unsere Rote Linie gezeigt, dass zahlreiche extreme Unwahrscheinlichkeiten notwendig waren, um menschliches Leben
hervorzubringen, so zeigt nun ein Blick auf den Vorgang der Zeugung ebenso, dass die Entstehung eines jeden von uns eigentlich auszuschließen ist. Jede Frau wird mit allen Eizellen geboren. Während ihres Lebens kommen keine weiteren hinzu. Ein 20 Wochen alter weiblicher Fötus besitzt etwa sieben Millionen. Bei der Geburt der Frau sinkt die Anzahl der Eizellen auf ungefähr zwei Millionen. Mit Beginn der Menstruation besitzt die Frau noch 300 000 bis 500 000. Ab dem Beginn der Periode der Frau gehen ungefähr 1 000 davon monatlich zugrunde. Im Laufe Ihres Lebens setzen die Eierstöcke etwa 500 ausgereifte Eizellen frei. Jeweils eine reift während der Menstruationszyklen heran und wird beim Eisprung vom Eierstock zur Vorbereitung der Befruchtung abgestoßen. Ein Mann produziert im Leben viele Milliarden Spermien. Nach einer Reifungsdauer von etwa zehn Wochen kann ein Spermium bis zu einem Monat im Spermadepot des Mannes überdauern. (Lüllmann-Rauch 2003, 404) Alle Spermien unterscheiden sich und tragen verschiedene genetische Informationen in sich. Im männlichen Hoden werden täglich Millionen von Spermien produziert. Sie alle haben nur eine Aufgabe, nämlich die Erbinformationen des Vaters in die Eizelle zu bringen. Die Chancen für jedes Spermium sind undenkbar schlecht. Besser werden sie erst beim Geschlechtsakt. Von etwa 250 Millionen Spermien pro Samenerguss erreichen 500 bis 800 die Eileiter, nachdem der Zervixschleim nicht schwimmfähige Spermien ausgefiltert hat. Nach 15 bis 30 Minuten verdünnt sich die Flüssigkeit und die Spermien bewegen sich Richtung Eileiter. Für den zwölf bis 15 Zentimeter weiten Weg durch die Gebärmutter brauchen gut bewegliche Spermien bis zu drei Stunden. Die Gebärmutter unterstützt sie durch unmerkliche Muskelkontraktionen. Auf ihrem Weg greifen Immunzellen die körperfremden Samenzellen an, sodass nur wenige hundert in den richtigen Eileiter und zum Ei gelangen. Durch den Ausgleich der pH-Werte von Vagina, Zervixschleim und Sperma können diese im „feindlichen“ Milieu unter optimalen Bedingungen bis zu sieben Tage überleben. (Gruber 2007, 72) Sie sind meist schon vor Ort, wenn die Eizelle springt. Für die Spermien ist dies sicherer, als zu versuchen, genau den richtigen Zeitpunkt des Eisprungs zu treffen. Außerhalb des Eies durchlaufen die Spermien noch eine Reifung von etwa sechs Stunden, bevor eine Samenzelle in die Eizelle eingelassen wird. Bis dahin vergehen einige Stunden, in denen noch nicht klar ist, welcher Samen ins Ei gelangen wird. Beim Kontakt mit der Eizelle setzt das erfolgreiche Spermium eine chemische Substanz frei, mit der es die Membran der Eizelle auflöst und sich ins Innere bohrt. Sobald das Spermium sich im Ei befindet, errichtet die
Eizelle eine unüberwindliche Barriere, die das Eindringen weiterer Spermien verhindert. Spermien und Eizellen sind Unikate. Aus einmaligen Kombinationen entstehen alle „Ichs“. Auch die Eintrittsstelle für das erfolgreiche Spermium ist einmalig. Die Eizelle ist annähernd rund, sodass das Spermium überall andocken könnte. Den zufällig bestimmten Punkt, an dem es eindringt, macht es zu etwas Besonderem. Von diesem Punkt aus wandern chemische Substanzen in Wellen durch die befruchtete Eizelle und den Embryo und legten den Bauplan für dessen Körper fest. Wäre das erfolgreiche Spermium auf der anderen Seite der Eizelle eingedrungen, hätte dies womöglich zur Entwicklung eines seitenverkehrt orientierten Embryos geführt. (Rutherford 2018, 15) Das Erbgut eines Kindes besteht aus einer jeweils einzigartigen Mischung väterlicher und mütterlicher Anteile. Jede Keimzelle enthält nur den halben Chromosomensatz einer normalen Körperzelle, also 23 Einzelchromosomen statt 23 Paare. Bevor die Paare getrennt werden, tauschen sie noch Gene und längere DNS-Abschnitte untereinander aus. Dadurch tragen Spermium und Eizelle bereits einen vorgemischten Cocktail des väterlichen oder mütterlichen Erbguts in sich. So entsteht eine riesige genetische Vielfalt potenzieller Kinder. Erst im allerletzten Moment der Befruchtung entstand ich. Die Voraussetzungen für mich wie für alle Individuen, egal welche Art oder Gattung, bildeten sich während der Zeit seit dem Urknall heraus. Die Entscheidung für mich fiel aber nicht vor Milliarden Jahren, sondern im Moment der Zeugung. Wie alle Mitbewerber hatte ich nur diese unendlich kleine Chance. Schon bei der nächsten Ejakulation drängten andere Spermien zum Ei. Nicht für alle gilt das Geburtstagslied von Rolf Zuckowski: „Wie schön, dass du geboren bist, wir hätten dich sonst sehr vermisst.“ Auch empfindet es nicht jeder als Gewinn, geboren worden, ohne vorher gefragt worden zu sein. Emil M. Cioran spricht gar „vom Nachteil, geboren zu sein“. Auch Alfred Polgar meint, das Beste sei es, nicht geboren zu sein, „doch wem iert das schon“? (Zit. b. Marquard 1986, 128f.) Nicht jeder wurde in Verhältnisse hineingeboren, die ein erfülltes Leben versprechen. Ein Blick auf Hunger, Flucht, Völkermord und Elend zeigt deutliche Bilder. Aber wenn, so Odo Marquard, wir „es einmal sind, können wir das alles nicht mehr annullieren: selbst ein Suizid erfolgt ex suppositione nativitatis“ (unter der Annahme, dass sie geboren wurde). (Marquard 1986, 129) Aber nicht jeder, der in Armut, Krankheit und Kriminalität hineingeboren wird, findet sich damit ab. Wichtig ist deswegen
auch, wie die Leben nach der Geburt weiterverlaufen.
Der Zufall des Augenblicks
Jeder Mensch hat ein Leben. Ursache dafür sind die Zufälligkeiten, durch es keine zwei Biographien desselben Menschen gibt. (Fortey 2002, 411f.) Wir sind unsere einzige Chance. Max Frisch zitiert die Romanfigur Werschinin aus Anton Tschechows „Drei Schwestern“: „Ich denke häufig; wie, wenn man das Leben noch einmal beginnen könnte, und zwar bei voller Erkenntnis? Wie, wenn das eine Leben, das man schon durchlebt hat, sozusagen ein erster Entwurf war, zu dem das zweite die Reinschrift bilden wird! Ein jeder von uns würde dann, so meine ich, bemüht sein, vor allem sich nicht selber zu wiederholen.“ In Anlehnung daran beschreibt Max Frisch in seinem Roman „Biographie ein Spiel“ einen todkranken Verhaltensforscher, der die Möglichkeit erhält, sein Leben mehrmals neu zu beginnen. Er glaubt, sein Leben würde dadurch anders verlaufen. Es bleibt aber alles im Wesentlichen wie beim ersten Leben. (Frisch 1969, 5) Derartige Uchronien sind in der Literatur häufig. Ursache dafür, so Johannes Dillinger, ist die von Ulrich Beck als „Risikogesellschaft“ charakterisierte Realität der Gegenwart, in der jeder Mensch Konfrontationen mit schwer überschaubaren Risiken erlebt. Arbeitsmarkt und private Situationen können ein Gefühl der Gefährdung vermitteln. Das führt bei vielen zur Frage, wie es wohl ausgesehen hätte, wäre das Leben anders verlaufen. Das Gefühl, sich „von einem schwer beherrschbaren Risiko zum nächsten hangeln zu müssen“, macht, so Dillinger, „uchronische Spekulationen fast zur Notwendigkeit“. Besonders Misserfolge verlangten ein entsprechendes Nachdenken über das eigene Verhalten. Die Möglichkeit einer weiteren Chance oder sogar der Anspruch darauf können demnach zum beherrschenden Gedanken werden. „Der Wunsch, in der Vergangenheit etwas zu ändern und dann neu anfangen zu können, wächst mit dem Gefühl sozialer Gefährdung.“ (Dillinger 2015, 166-173) Auch Filme wie „Zurück in die Zukunft“ oder „Und täglich grüßt das Murmeltier“ reflektieren die Möglichkeit, die aktuelle Situation durch Zeitreisen neu gestalten zu können.
Impulse im Leben
In Evolution und Geschichte waren unendlich viele Geschehnisse notwendig, um „unsere Situation jetzt und hier zustande zu bringen“, aber auch ebenso viele Einzelheiten, die dies hätten verhindern können, aber nicht eingetreten sind. Durch beides gewinnt, so Alexander Demandt, „das gewisseste, was wir kennen, nämlich unsere Situation jetzt und hier, einen abenteuerlichen Grad an Unwahrscheinlichkeit“. Da aber „die gesamte Geschichte aus derartig zufälligen Situationen besteht, geraten wir ins Bodenlose“. (Demandt 2011, 20) Ständig lenkten und lenken unendliche viele Impulse auf verschiedenen Ebenen das bisherige und künftige Geschehen. Jeder Aspekt unseres Lebens und Sterbens löst eine Kaskade an Effekten aus, die wir auch dann nicht verhindern können, wenn wir nichts tun. Bertold Brecht hat dies in seinem Werk „Die Gewehre der Frau Carra“ aus dem Jahr 1937 treffend beschrieben. Irgendjemand könnte durch einen Impuls auf andere Gedanken kommen, die andere Handlungsfolgen bewirken. In diesem Käfig der Zufälligkeit sind wir unentrinnbar eingesperrt. Streuimpulse treten immer und überall auf. Sie sind ein immanenter Bestandteil des Lebens. Jede Aktivität führt zu anderen Aktivitäten oder ivität. Impulse verlieren an Kraft, aber sie haben bis dahin zwangsläufig Folgen hinterlassen. Jeden Augenblick schlägt die Entwicklung einen Weg ein, der ein anderer wäre, sollte dies oder jenes nicht iert sein. Ständig haben selbst kaum merkbare Ereignisse Einfluss auf das Geschehen. Was allein Blicke auslösen, ist kaum zu fassen. Das Auge sieht nicht nur nach Beute, sondern zwei Augenpaare schauen sich an. Nicht nur zu jedem tatsächlichen, sondern auch zu jedem gedachten Ereignis gibt es eine unendliche Vielzahl an Varianten. Die Alternativen verästeln sich in der Potenz. Laut Quantenphysik können Impulse sogar in die Vergangenheit zurückwirken. Es gibt unbeabsichtigte Impulse, gezielte Impulse, soziale Aktionen durch Durchsetzung von Gruppeninteressen und, so Niklas Luhmann, Impulse durch Sprache. Durch die Globalisierung gibt es eine permanente Flut von Impulsen weltweit. Verschleifen frühere Impulse im Lauf der Geschichte oder gehen sie auf eine lange Wanderschaft bis in die Gegenwart? Wie viele Geburten oder Nichtgeburten lösten Impulswellen bis in unsere persönliche Situation hinein
aus? Leben wir, weil vor uns viele früh starben oder besonders alt wurden? „Position und Bewegung jedes Teilchens auf Erden vor hundert Millionen Jahren, als die Dinosaurier noch durch die Landschaft streiften“, führten, so Bernard Haisch, „unausweichlich dazu, was Sie heute Morgen nach dem Frühstück gemacht haben.“ Nicht nur alle unsere Handlungen sind „aus der Urgeschichte hervorgegangen - im Prinzip bis ganz zurück zum Urknall“, sondern auch unsere Gedanken. (Haisch 2018, 217) Machtzentren sind Ballungszentren gesteuerter Impulse. Politiker lieben die Macht, weil sie wissen, dass sie Dinge bewegen und den Verlauf von Entwicklungen beeinflussen können. Das Leben ist ein einziger Kampf um Geld und Macht. Die Politik greift tief in das Schicksal vieler Menschen ein, der hiesigen und heutigen wie in das der Kommenden. Ein Wort in der Kirche macht sich auf den Weg durch die Gedankenwelt der Gläubigen und löst Handlungen aus. Ebenso wirken Erfindungen und Entdeckungen. Was allein ein Fußballspiel an Impulsen auslöst! Kunst, Kultur und Musik sind regelrechte Impulsschleudern. Man denke nur an die Musik der Rolling Stones oder den Kuschelrock als Sex-Auslöser. Wie viele Menschen entstanden dadurch? Unser Leben ist die Folge eines chaotischen Durcheinanders zufälliger Impulse. Impulse und Zufälle sind Kooperationspartner des Anthropischen Prinzips. Neben eher seltenen, streng determinierten Ereignissen, spielen zufällige Vorkommnisse im Leben, z. B. ein Lottogewinn, eine große Rolle. Das Leben besteht aus einer unzählbaren Abfolge von Zufällen. Diese entstehen bei der nicht vorhersagbaren Überkreuzung zweier oder mehrerer Kausalketten. Determinierte wie zufällige Vorkommnisse sind in aller Regel die Folge anderer Vorgänge und stehen zueinander in einem Ursache-Wirkungs-Verhältnis. (Kutschera 2009, 60f.) Zufälle entstehen durch nicht erwartete Zusammentreffen zweier durchaus erwartbarer Handlungen. Zufall ist hier das Überraschende, das Nichtvorhersehbare, dasjenige, über das wir keine Macht haben. (Treml 1993, 10f.) Bemühungen, das eigene Schicksal zum positiven zu verändern, haben manchmal Erfolg; aber nicht nur das eigene Tun ist wichtig, es sind auch viele Fügungen, die unser Leben formen, und zwar im positiven wie im negativen Sinn. Die Zufälle, die uns am meisten betreffen, sind nicht von der Art des Zufalls beim Würfelspiel, sondern es sind Zufälle, die wir Schicksal, Fügung oder Wunder nennen. Unser Leben besteht aus „Handlungs-WiderfahrnisGemischen“, in den das „Schicksalszufällige“ unser Leben bestimmt. „Das
Schicksalszufällige ist die Wirklichkeit unseres Lebens“, weil wir Menschen stets „in Geschichten verstrickt“ sind. (Marquard 1986, 129) Unsere Lebenswege sind in allen Wirrungen und Irrungen durch eigentümliche Fügungen und „von tiefem Sinn begleitet - in religiöser Sprache: geführt.“ (Benz/Vollenweider 2003, 217) Nicht nur, dass es mich nach jeder Wahrscheinlichkeitsrechnung nicht geben dürfte, hinzu kommt noch, dass ich ausgerechnet in diesem Augenblick lebe, der, kaum erschienen, schon wieder im Begriff ist, zu verschwinden. Wie kann es sein, dass es mich gerade jetzt und hier gibt? Salvatore Quasimodo schreibt: „Ein jeder steht allein auf dem Herzen der Erde getroffen von einem Sonnenstrahl und schon ist es Abend.“ Schon die Entstehung der Welt, des Lebens und der Menschen erscheinen wie Wunder. Aber noch viel wundersamer ist es, dass es dich und mich, uns alle, gerade jetzt und hier gibt. Liegt die Antwort im Charakter des Raum-Zeit-Blocks? Sind wir eigentlich immer da oder potentiell möglich? Ist jeder Augenblick ewig und wir finden unser momentanes Dasein nur aufgrund unseres getäuschten Bewusstseins zufällig? Wir wirken in meinem Leben Gesetz und Zufall zusammen? Bin ich die Folge einer Absicht oder allein dem Zufall geschuldet? Welche Rolle spielt der Zufall bei der Ausformung fixer Naturgesetze? Sind auch diese Ergebnisse von Zufällen? Ist schon mein Dasein praktisch unmöglich, so ist die Wahrscheinlichkeit, dass ich dieses Buch geschrieben habe, noch unendlich viel unwahrscheinlicher. Dass es dennoch möglich war, ist dem offenen Universum geschuldet, wie es Raimund Poppers postliert. Für ihn ist das Universum offen, weil es menschliche Erkenntnis enthält, Aufsätze und Bücher, wie das vorliegende, die fehlbare menschliche Erkenntnis auszudrücken oder zu beschreiben versuchen. (Popper 2001, 135) Bliebe es beim Schreiben, gäbe es dennoch die unglaubliche Unwahrscheinlichkeit, dass es in dieser Region des Universums, auf diesem kleinen Planeten entstand. Es würde sich um den singulären und kuriosen Versuch einer erkenntnisfreudigen Kreatur handeln. Aber nun, da du genau in diesem Augenblick das Buch und noch genauer gerade diesen Satz liest, geschieht etwas vollkommen Ausgeschlossenes. Wir begegnen uns. Nicht nur musste in meinem Dasein alles hundertprozentig so laufen wie es seit dem Urknall lief, auch bei dir musste alles haargenau so geschehen, wie es geworden ist. Irgend etwas hat bewirkt, dass du dich mit diesem abwegigen Thema beschäftigst und deswegen dieses Buch liest. Die Linien unserer unwahrscheinlichen Existenzen vereinen sich beim Lesen zu einem Ereignis
gänzlich unvorstellbarer Art. Es kommt es zu einer Gleichzeitigkeit an sich ungleichzeitiger und räumlich getrennter Situationen. Lesen und Schreiben finden im selben Augenblick statt. Zwischen unserem Denken tut sich, egal zu welcher Zeit und wo auch immer, so etwas wie ein Wurmloch auf, dass uns unabhängig von Zeit und Raum verbindet. Da du hoffentlich nicht der einzige Leser, die einzige Leserin bist, wiederholt sich dies bei jeder Lektüre. Solltest du in Zukunft, wenn ich bereits tot bin, in deinem Jetzt diesen Satz lesen, wird eine Verbindung zwischen meiner und deiner Zeit geschaffen. Wie bei der „spukhaften Fernwirkung“ der Quantenphysik, bei der es eine von Zeit und Raum unabhängige Verbindung zweier Geschehnisse gibt, treffen deine und meine Gedanken jenseits zeitlicher Zwänge aufeinander. In diesem Augenblick haben wir alle Zeit der Welt.
26. Die Rote Linie der Evolution: Ein Resümee
Gibt es eine durchgängige Rote Linie der Evolution und wenn ja, warum nicht?
In Anlehnung an Ephraim Kishons ironische Kontralogik möchte ich die Frage so formulieren: „Gibt es eine Rote Linie, und wenn ja, warum nicht?“ Die Ausgangsfrage war, ob in Auslegung des Anthropischen Prinzips eine fiktive, erdachte Rote Linie von uns Menschen bis zum Urknall erkennbar ist. Diese Linie beginnt nicht mit dem Urknall, sie endete vielmehr mit ihm, da wir Ausgangspunkt der Überlegungen sind. Weiter zurück reicht unser retrospektives gedankliches Konstrukt nicht. Im Sinn des Anthropischen Prinzips beginnt die Rote Linie mit ihrem vermeintlichen Ende, mit dem Urknall und mit dem, was davor oder jenseits davon gewesen sein könnte. Bei ihrer Entfaltung im Laufe der Evolution zeigt sie den Zusammenhang zwischen dem Beginn der Welt und deren augenblicklichen vorläufigen Endzustand. Ein Problem ergibt sich dadurch, dass sich die Rote Linie im Sinn der Quantenphysik nur auf unsere Realität bezieht. Diese versuchen wir durch unsere vielfältigen Wahrheiten zu verstehen, die sich jedoch untereinander widersprechen und gegenseitig als Halbwahrheiten abtun. Ohne unsere Wahrheiten und Ideologien aber hätten wir kein Maß in der Hand, die Realität überhaupt zu erfassen. Sie sind die Grundlage unseres Erkennens und zugleich dessen Begrenztheit. Was die Rote Linie nicht leisten kann, ist, die grundlegende Wirklichkeit und Potenzialität der Welt widerzuspiegeln. Wie in Platons Höhlengleichnis sehen wir die Schatten an der Wand, nicht aber die Quelle des Lichts. Wir sehen die reale Welt, die sich von der möglichen Wirklichkeit unterscheidet wie ein Urlaubsfoto vom Urlaub. Uns bleibt nur die Wahl, in der Entwicklung unserer Realität nach Hinweisen auf den Verlauf der Linie zu suchen, ohne dabei in der Lage zu sein, Wirklichkeit und Potenzialität des Prozesses zu erfassen. Wie der Beobachter in der Quantenphysik, so gehe ich beim Postulat einer Roten Linie von mir aus. Alles Erkannte ist subjektiv kontaminiert, meine Linie „Marke Eigenbau“. Ohne mich gäbe es sie in der vorliegenden Form nicht. Sie ist ein Konstrukt meines Denkens, ausgelöst durch Anteilnahme an den Diskussionen von Experten über das Wirken des Anthropischen Prinzips und die
Evolution zum Menschen. Sie wurde formuliert, weil es mich zufällig gibt und ich noch zufälliger an einer solchen Erkenntnishilfe interessiert bin. Jeder Mensch kann sich eine solche Linie denken, hypothetisch und durch Forschungsergebnisse bestimmen, wie sie verlaufen sein könnte und versuchen, sie an den den Eckdaten der Evolution sowie an der je eigenen Ich-Realität festzumachen. Es gibt immer nur die Roten Linien, die wir postulieren, es gibt sie nicht an sich. Im von Naturgesetzen, Konstanten und Kontingenz geprägten Universum war vor dem Erscheinen des Menschen niemand da, der sie hätte denken können. Es stand ja noch nicht einmal fest, dass es überhaupt einmal denkende Menschen geben würde. Im offenen Universum waren unterschiedliche Verläufe von Linien der Evolution immer möglich. Wohin die Wege geführt oder nicht geführt hätten, bleibt offen. In jeden Augenblick entsteht eine neue reale Welt, die sich aus dem ergibt, was bis jetzt geschehen ist. Indem selbstbewusste Intelligenz entstand, hat sich das Universum neu erfunden. Wir können es im Sinne Raimund Poppers nicht länger anders verstehen, als dass das Universum durch das mitgeprägt ist, was wir Menschen im Mesokosmos an Gefühlen, Wissen, Erkenntnissen, Mythen, Kultur etc. beisteuern. In jedem Kaffeekränzchen älterer Damen mit Schokoplätzchen und Vanilleeis realisiert sich die Welt dank ihrer unbegrenzten Potenzialität ebenso wie in den mörderischen Konzentrationslagern der Nazis. Es ist schier unvorstellbar, was in diesem kleinen Nichts alles steckte, als es beim Urknall irgendwie auseinanderflog. Seitdem hat sich die Welt über Jahrmilliarden hinweg ständig verändert. In dem von uns wahrnehmbaren Teil des Universums ist die Welt schon dadurch eine andere geworden, weil jeder Mensch nicht nur Beobachter, sondern Mitgestalter der Realität wurde. Daran ändert auch die Tatsache nicht, dass unser Tun nur die Erde verändert und schon ein paar Parsec weiter keine Rolle mehr spielt. Es geht um die grundsätzliche Tatsache, dass wir als denkende Wesen im Universum möglich waren und Realität wurden. An dieser Aussage lässt sich nicht rütteln. Die Menschheit ist als Ansammlung unendlich vieler mesokosmischer Singularitäten vielleicht das fehlende Bindeglied in der Theoriebildung zwischen Relativitätstheorie im Makrokosmos und Quantenphysik im Mikrokosmos.
Außerirdisches intelligentes Leben im All und andersirdisches intelligentes Leben auf der Erde
Da es uns gibt, wissen wir, dass intelligentes Leben im Universum grundsätzlich möglich ist. Überall in den unendlichen Weiten des Alls können Feinabstimmungen und regional bedingte Zufälle zu verschiedenen intelligenten Lebensformen geführt haben. Seit dem Urknall gab es getrennte Entwicklungen hin zu unterschiedlichen Konstellationen von Sternen, Galaxien und Planeten. Es ist also grundsätzlich plausibel, dass intelligentes Leben auch andernorts entstand und man auch dort die Tatsache für erklärungswürdig hält, dass das Universum so gebaut wie notwendig ist, intelligentes Leben entstehen zu lassen. Vielleicht leuchten vielerorts Lebewesen mit kleinen roten Taschenlampen hinauf zu ihren Sternen und fragen sich, ob es vergleichbare grüngelb gestreifte Wesen gibt wie sie. Uns jedenfalls treibt die Frage um, ob wir einzig im All sind oder ob da draußen noch andere nachdenklich Wesen leben, die das Universum beobachten und nicht so richtig verstehen. Nicht umsonst suchen Kosmologen nach Exoplaneten, um unsere Situation besser einschätzen zu können. Uns treibt der Umstand an, dass wir nicht wissen, was unser Dasein bedeutet. Ist es wichtig, belanglos oder absurd, wie Albert Camus meint? Klar ist nur, dass es auf die Dauer nervt, nicht zu wissen, was es mit uns auf sich hat. Bis wir das herausgefunden gaben, könnten noch geraume Zeiträume vergehen. Bislang ist noch nicht einmal nachgewiesen, dass andernorts selbst einfachste Lebensformen existieren. Dieses Defizit gilt selbst für unsere Nachbarplaneten und die Monde des Sonnensystems. Fast alle Experten halten die Entstehung intelligenten Lebens im All für äußerst unwahrscheinlich und meinen, dergleichen habe sich nirgendwo anders als auf der Erde ereignet. Unter den führenden Evolutionsbiologen herrscht „Konsens, dass die Entwicklung zu einer dem Menschen vergleichbaren Intelligenz so unwahrscheinlich“ ist, dass sie „kaum auf einem zweiten Planeten in unserem sichtbaren Universum stattgefunden“ haben könne. (Walter 2008, 231) Aber ungeachtet der Häufigkeit intelligenten Lebens ist es wenig plausibel das universell wirkende Anthropische Prinzip allein auf die Erde und uns Menschen
zu beziehen. Wie die Sonne nicht nur auf die Erde, sondern nach allen Seiten scheint, so wenig gilt das Anthropische Prinzip allein für uns. Es ist ein auf physikalischen Gesetzen und Naturkonstanten basierendes Wirkungsprinzip im gesamten Universum, dessen Wirkmächtigkeit wir mit Hilfe der Roten Linie anschaulicher machen können. Würde es nur für uns Menschen gelten, hieße dies, es gebe eine singuläre physikalische Sondergesetzgebung nur für die Erde und für uns. Es liegt auf der Hand, dass dem so nicht sein kann. Und tatsächlich gab es ja auf der Erde andere Menschenformen, die zwar noch kein Abstraktionsvermögen wie wir hatten, aber ebenso denkende Menschen auf dem Weg zu höheren intellektuellen Potentialen waren. Sie zeigen, dass auch für uns die Möglichkeit dank intellektueller Fähigkeiten zum Beobachter des Universums zu werden, nicht über Nacht vom Himmel fiel, sondern sich in einem komplexen Evolutionsprozess entwickelte. Auf der Erde entstanden aus denselben Vorfahren drei Menschenarten. Ihre Intelligenz unterschied sich nicht generell, sondern graduell. Damit steht fest, dass es im Universum nicht nur uns Homo sapiens als denkendes Wesen gab und gibt, sondern mehrere Denominationen - und dies gleich um die Ecke. Alle drei Arten sind eng verwandt, seitdem sie oder ihre Vorläufer sich auf den Weg nach Eurasien machten. Sie sind heute nicht mit Hilfe eines Teleskops als Leben auf fremden Planeten wahrnehmbar, sondern unter dem Mikroskop bei der Analyse unseres Genoms. Wir suchen den Himmel nach Lebensformen ab, während wir auf der Erde für das größte Massensterben der Erdgeschichte verantwortlich sind. Es ist außerirdischen Zivilisationen nicht zu wünschen, von uns entdeckt zu werden. Wir haben ja vor Augen, was dies zu Folge hätte. Wer weiß, wie die Erde aussehen würde, wären Neandertaler und Denisovaner nicht von der Bildfläche verschwunden, sondern wir. Es ist verständlich, dass und warum nicht erst mit Blick auf die Geschichte der Menschen kontrafaktische Überlegungen einsetzen. Zwar zeigen sie nicht, wie die Entwicklung anders verlaufen wäre, aber sie helfen uns, begründet zu vermuten, warum alles tatsächlich so gewesen sein könnte, wie es uns scheint. Jede noch so kleine Änderung der Faktoren hätte zu anderen Ergebnisse und anderen Menschen geführt. Tatsächlich realisiert sich von den verschiedenen Menschenarten auf der Erde letztendlich nur eine, nämlich die, aus der wir hervorgegangen sind und auf die sich unsere Rote Linie bezieht, den Homo sapiens.
Probleme bei der Bestimmbarkeit des Verlaufs unserer Roten Linie
Grundsätzlich wissen wir dank des Anthropischen Prinzips, dass uns eine hypothetische Rote Linie mit dem Urknall verbindet. In ihrer Betrachtung aber zeigen sich Faktoren, welche die Bestimmung ihres Verlaufs erschweren oder unmöglich machen. Sie zeigen, dass es unterschiedliche Möglichkeiten gab, wie und wo unsere Rote Linie verlief. Zu bedenken ist, dass viele Informationen fehlen, die manches oder alles in einem anderen Licht erscheinen lassen würden. Sie sind entweder nicht erhalten oder noch nicht gefunden worden. Vielfältigen Entwicklungen in den Zeiten ohne nennenswerte Fossilien erschweren die Suche nach der Linie. Je tiefer man in die Vergangenheit eindringt, desto unsicherer werden die Aussagen. Oft treffen die Forscher, wie z. B. bei Höheren Säugetieren oder Plazentatieren der Oberkreide, auf schwer unterscheidbare Gruppen. Ebenso lassen sich Insektenfresser wie Spitzmäuse von Primaten der Oberkreide kaum unterscheiden. Bei vielen Fossilien kann niemand mit Bestimmtheit sagen, ob sie repräsentativ oder Randerscheinungen sind. Bei quantitativ kleinen Populationen ist die Wahrscheinlichkeit einer Fossilierung gering, „um nicht zu sagen: null“. (Coppens 2002, 26) Das führt zu Fehlinterpretationen. Oft sitzen Forscher vor Schädeln ihrer Ahnen und können nur versuchen, daraus zu lesen wie Wahrsager aus einer Glaskugel.
Kontinuität und Diskontinuität der Evolution
Vermeintliche oder tatsächliche Evolutionsbrüche machen es unmöglich, unsere Ahnenlinie durchgängig zu beschreiben, auch wenn aus logischen Gründen klar ist, dass es eine Kontinuität gegeben haben muss. Schließlich ist die Rote Linie so etwas wie ein Maßband, welches sich nicht dadurch verändert, dass sich das Untersuchte auf diese Weise nicht oder schlecht vermessen lässt. Zu erfahren, ob es schwierig oder unmöglich ist, die Linie der Evolution erkennbar zu machen, ist dabei selbst eine wichtige Information. Oft ist unsere Rote Linie eine Weile nicht und dann erst nach bestimmten Konstellationen wieder erkennbar. So war sie für ein paar Jahrmillionen schwer auszumachen, bis unsere nächsten sicheren Ahnen, die Chordatiere, vor 600 Millionen Jahren erschienen. Dank der Logik des Anthropischen Prinzips ist es möglich, nach schwer nachvollziehbaren Verzweigungen dort wieder anzusetzen, wo eine Rote Linie erneut zu verorten ist. Bezüglich ihrer Kontinuität ist nicht auszuschließen, dass der Eindruck einer einheitlichen und andauernden Roten Linie gelegentlich nur deswegen entsteht, weil wir nicht über ausreichend viele Informationen verfügen. Vor dem Hintergrund des schwer erklärbaren Auftauchens bestimmter Formen und von Unterbrechungen der Roten Linie ist die Kambrische Explosion ein interessantes Objekt der Forscherbegierde. Beim Beginn des Kambriums tauchten plötzlich Vorläufer der heutigen Fauna mit ihren Grundelementen auf. Hier ist es problematisch, unsere Rote Linie zu verfolgen. Wir wissen nicht, welche Lebewesen der damaligen Zeit unsere Vorfahren waren. Es ist bislang unklar, wie und warum in vergleichsweiser kurzer Zeit, anscheinend übergangslos und nahezu gleichzeitig, alle Grundentwürfe oder Baupläne auftraten. Die Makroevolution machte so große Sprünge, dass sie sich mit Darwins Konzept einer Mikroevolution durch viele kleine Punkt-Mutationen im Genom kaum erklären lässt. Mit dem Beginn des Kambriums war „die heutige Fauna mit ihren Grundelementen plötzlich da: schlagartig, hochorganisiert, weltweit“. Tiere mit Skeletten erschienen „wie mit einem Paukenschlag“ plötzlich und unangekündigt auf der Erde. (Hubmann/Fritz 2015, 171) Die Radikalität der Umwandlung zeigt, dass es sich um einzigartige Ereignisse
handelt. Um ihre Überlebenschancen zu verbessern, schützten sich z. B. mehrere Metazoen-Gruppen durch plötzlich auftauchende Exoskelette, die, „wie vom Zauberstab berührt“ plötzlich erschienen (Pálfy 2005, 46-50) Es besteht kaum ein Zweifel, dass das gleichzeitige Auftauchen vieler Stämme der Normalgeschwindigkeit des genetischen Wandels, der molekularen Uhr widerspricht. Richard Fortey hält allerdings dagegen, man könne auf Grund von DNSVergleichen davon ausgehen, dass die Aufspaltung in die großen Tiergruppen schon tief in präkambrischer Zeit erfolgte. Es habe eine ziemlich lange „Evolutionszündschnur“ gegeben, die Jahrmillionen brannte, ehe es zur Explosion kam. (Fortey 2008, 30-31) Auch Rachel A. Wood meint, die Entwicklung komplexer Tiere habe lange vor dem Kambrium im Ediacarium begonnen. Der Übergang zum Kambrium ist demnach „keine plötzliche dramatische Wende“. Die Evolution von Skeletten und der Riffbau begannen deutlich früher als lange angenommen. Gepanzerte Tiere gab es schon seit 550 Millionen Jahren. Die „Selektionsdrücke“ waren demnach schon lange vorher wirksam. (Wood, Rachel A. 2020, 32-39)
Die Rote Linie und das Durcheinander von Zwischenformen des Homo sapiens
Die Entstehung der Gattung Mensch hatte keinen Anfang. Zu keinem Zeitpunkt stand fest, wohin die Reise geht. Es ierte nicht irgendwann etwas Wichtiges, eine Art Urknall der Menschwerdung, vielmehr reagierten alle Lebewesen im Rahmen ihrer Möglichkeiten auf Änderungen. (Matternes/Tattersall 2000, 46f.) Die lange verbreitete Vorstellung, wir stammten in gerader Roter Linie von einem affenähnlichen Vorfahren ab, der allmählich immer menschenähnlicher wurde, hat ausgedient. (Palmer 2006, 42) Heute wissen wir, dass unsere Rote Linie „nicht gleichmäßig, immer in derselben Richtung“ verlief, sondern „eher sporadisch mal hierhin, mal dorthin“. Gefundene Fossilien veranschaulichen, „wie die Natur herumgebastelt hat“. (Matternes/Tattersall 2000, 46f.) Hominiden- und Affenarten vermischten sich immer wieder und kombinierten dabei ein ganzes Set prähistorischer Eigenschaften stets aufs Neue. (Sentker/Willmann 2008, S. 157) Immer lebten verschiedene Arten von Hominiden gleichzeitig und brachten gemeinsamen Nachwuchs zur Welt. (Wood 2015, 27-33) Es gab ein Durcheinander mehrerer Zwischenformen verschiedenen archaischen oder modernen Grades. (Bräuer 2003, 38f.) Die Geschichte der Hominiden war ein dramatischer Kampf verschiedener Arten. Sie hatten „mal mehr, mal weniger Erfolg, breiteten sich mal aus, mal verschwanden sie wieder“. (Matternes/Tattersall 2000, 46f.) Zur Bestimmung des Verlaufs der Evolution der gemeinsamen Vorfahren von Affen und Menschen reichen die gefundenen Fossilien nicht aus. (Storch/Welsch/Wink 2013, 473) Über welche Menschenarten und Vormenschen die Rote Linie unserer direkten Vorfahren verlief, ist umstritten. (Wood 2015, 27-33) Tatsache ist, dass es uns nicht so gäbe, wie wir sind, hätte es nur eine der verschiedenen Hominiden-Arten nicht gegeben. Gerade diese komplexe Vielfältigkeit spielte für die Entwicklung zum Menschen eine wichtige Rolle. (Gunz 2017) Fast alle Linien der Hominiden wie Homininen und ihre Verflechtungen untereinander waren in dieser Phase für die Evolution zum Menschen notwendig. Wie oft es Vermischungen gab und in welchem Maß sie die Evolution des Homo sapiens und anderer Homininen vorantrieb, wissen wir nicht genau. (Wong 2019, 30-35) Ein exakter Verlauf unserer Roten Linie ist für
die Zeit der Menschwerdung kaum nachzuvollziehen. Das änderte sich nach verschiedenen genetischen Flaschenhälsen wieder. Dank der begrenzten Gruppe von Homininen um Eva, die „Mutter der Mitochondrien“, können wir unsere Ahnen und unsere Linie zu diesem Zeitpunkt wieder besser bestimmen als im Durcheinander der Zeit davor. Allerdings dauerte es nicht lange, bis sich die vorübergehend gemeinsame Linie wieder in zahlreiche Äste und Zweige trennte. Ein Teil der nicht sehr zahlreichen Menschheit setzte seine Evolution auf dem afrikanischen Kontinent fort, ein anderer teilte sich im Prozess der Auswanderung aus Afrika in verschiedene Gruppen und Völkerschaften auf. Die Populationen trennten sich mehrfach, kamen aber häufig auch wieder zusammen. Einige wanderten über Osteuropa und Westsibirien bis nach Asien und zum indischen Subkontinent, andere Gruppen gelangten direkt oder auf Umwegen nach Europa. Das macht es erneut schwierig, den Verlauf der Roten Linie zu bestimmen.
Genetische Linien der Europäer seit Beginn der Geschichtsschreibung
Zu uns europäischen Homo sapiens führten verschiedene Linie. Neben Sprachen und Kulturen lassen sich die Entwicklungen heute mit Hilfe der Genforschung recht präzise bestimmen. Dadurch wissen wir, dass die genetische Signatur der europäischen Bevölkerung bis vor 4 500 Jahren weitgehend ausgewechselt wurde. Europäer können nach dem jeweiligen Anteil des Erbgutes steinzeitlicher Jäger und Sammler, neolithischer Ackerbauern aus Mesopotamien bzw. Anatolien, indoeuropäischer Nomaden aus der pontischen Steppe Osteuropas samt dem der Kaukasier, eingeteilt werden. Alle gehören zu unseren Ahnen, weil ihre Linien nach langer Trennung wieder zusammenführten. Homo sapiens aus Afrika waren überall Grundlage der genetischen Neuordnung Eurasiens. Das jeweilige Herkunftscocktail war unterschiedlich geschüttelt, wenn auch die Zutaten überall dieselben waren. „Wir“, so Reinard Schmoeckel, „das sind alle Europäer, nicht etwa nur bloß die Deutschen oder Germanen allein.“ (Schmoeckel 1982, 24f.) Unser kreatives genetisches Durcheinander setzte sich in der Vor- und Urgeschichte fort. So wenig wie bei der Entstehung der Gattung Homo in Afrika gab es hier einen deutlichen Verlauf. Es gab Genfluss in verschiedene Richtungen und durcheinander. Das genetische Bild, wie auch die Kulturen und Sprachen, gleichen eher einem Teppich, der mehrere Fäden zu einem komplexen Muster verknüpft. Ohne ihre Verwandtschaft zu ahnen standen sich die Nachkommen der afrikanischen Migranten oft als Feinde gegenüber, wenn sie um geeignete Siedlungsplätze und das Überleben ihrer Sippe kämpften. Egal bei welchem Konflikt, unsere Großväter standen immer auf beiden Seiten der Front. Erst durch unendlich vielen Kämpfe oder dank deren Vermeidung, zog sich der Kreis meiner Vorfahren peu à peu immer enger zusammen. Der Ausbreitung des Erbguts folgte die Herausbildung von Urvölkern und politisch-kultureller Strukturen, die sich überlagerten, gegenseitig verdrängten und auslöschten. Beim Eintritt in die Geschichte waren unsere jeweiligen „Wir“ und „Ich“ kulturell wie genetisch völlig durcheinandergewürfelt. Nun spielten Kategorien eine Rolle, die wenig über unsere Gene aussagen. Wir-Formen definierten sich nach politischen, wirtschaftlichen, nationalen, kulturellen oder religiösen Kategorien. Individuen spielten vor allem als politische wie religiöse
Herrscher samt Stammbäumen ihre Rollen. In der Geschichte ist es daher genetisch kaum möglich, eine klare Rote Linie auszumachen. Die Geschichte war, wie die biologische Evolution, geprägt vom Wechselspiel der Vorherbestimmungen des Anthropischen Prinzips, des Zufalls und von Chaos. Einige Geschichtswissenschaftler versuchten zu erkunden, was iert wäre, hätten andere Entscheidungen oder Ereignisse zu anderen Entwicklungen geführt. In dieser kontrafaktischen oder virtuellen Geschichte, die auch Uchronie genannt wird, geht es um die „objektiven Möglichkeiten ungeschehener Geschichte“. (Demandt 2011, 71) Dieses Denkmodell kann helfen, die Beliebigkeit oder Einmaligkeit von uns Individuen zu verstehen. Die Tatsache, dass es uns infolge der realen Geschichte tatsächlich gibt, ist nicht zu bestreiten. Dies ist ein Grundgedanke des Anthropischen Prinzips. Wir wissen, dass wir sind, also sind wir. Aber wären wir auch in anderen Konstellationen denkbar? Wo verläuft unsere Rote Linie? Gibt es sie in der Geschichte verschiedener Staaten und Kulturen überhaupt? Wann kann die Rede von „Uns“ sein? Tatsache ist, dass es schwierig ist, in der Geschichte der Menschheit ein genetisches „Wir“ zu bestimmen, über das unserer Roten Linie bis zu uns bzw. mir heute und hier verläuft. Sind wie Deutsche identisch mit den Germanen, nach denen die Bundesrepublik im Englischen benannt wird? Waren die Römer Italiener? Die Geschichte zeigt, dass wir nicht das Ergebnis einer einzelnen Linie sind, sondern vieler Linien mit immer mehr feinen Mäandern. Nur indem diese wieder zueinander fanden, sind wir so geworden wie wir sind. Andere Konstellationen hätten zu einem anderen „Wir“ oder „Ich“ geführt. Uns hätte es so, wie wir sind, nicht gegeben.
Gilt das Anthropische Prinzip auch in Zukunft?
Feinabstimmungen und Anthropisches Prinzip wird es auch nach uns geben. Das Anthropische Prinzip gilt auch für alle, die nach uns kommen, wer oder was sie auch sein mögen. Deren künftige Rote Linie wird über uns verlaufen sein. Der größere Teil der Zukunft ist noch offen, und es hängt von uns im jetzigen Augenblick ab, wie es weitergeht. Sind wir nur Streckenposten auf dem Weg in eine unbekannte Zukunft? Erst die Entwicklung nach uns wird denen nach uns zeigen, ob wir Träger einer Entwicklung waren, die über uns hinausweist, oder ob unser Schicksal dasselbe sein wird, wie das der Dinosaurier, dass wir also nur eine Spezies sind, die durch ihr Verschwinden neuen Lebensformen Platz macht. Vieles verweist auf eine vorübergehende Existenz des Menschen. Erst zerstören wir unsere Umwelt, dann möglicherweise uns selbst. Manches deutet auf ein solches Finale hin. Erfahrung im wechselseitigen Töten haben wir reichlich. Vielleicht also bleibt irgendwann nach dem atomaren Erstschlag nicht mal ein strahlender Sieger übrig. Nach Aussage des internationalen Direktors des WWF Marco Lambertini haben die Menschen bis zum Jahr 2016 bereits 60 Prozent aller Tierarten ausgerottet, 2020 waren es bereits fast 70 Prozent. Dieser Zeitraum ist „ein Augenblick“ im Vergleich zu den „Millionen von Jahren, die viele Arten auf unserem Planeten gelebt haben“. (Tagesschau vom 10.9.2020) Oswald Spengler hat in seinem Werk „Der Untergang des Abendlandes“ nach dem Ersten Weltkrieg eine Theorie der Hochkulturen vorgelegt, in welcher deren Lebensdauer begrenzt ist. Die Lebenszeit einer Hochkultur beträgt demnach etwa tausend Jahre. (Spengler 1922) Wir sind also mit unserem kollektiven Suizid durch die Vernichtung unserer Lebensgrundlage schon spät dran. Frank Drake ging der Frage nach, wie viele Zivilisationen es in der Milchstraße gibt und wie lange diesen existieren könnten. Mit der nach ihm benannten „Drake-Formel“ versuchte er, die Anzahl intelligenter Zivilisationen annährend zu berechnen. Sie operiert mit einer Reihe von Faktoren, etwa dem Anteil von Sternen in unserer Galaxie, die ein Planetensystem besitzen, und dem Anteil bewohnter Planeten mit intelligentem Leben. Der letzte Faktor in der Gleichung steht für die durchschnittliche Lebensdauer einer technologischen Zivilisation. Demnach ist diese von der Intelligenz der sie tragenden Lebewesen abhängig. Es
gibt eine ganze Liste möglicher existenzieller Bedrohungen wie den Klimawandel, Atomkriege, Pandemien, Kollisionen mit Asteroiden und möglicherweise die künstliche Intelligenz. Es stellt sich die Frage: Wie intelligent sind wir? (Milner 2017) Tom Westby und Christopher Conselice schätzen die mittlere Lebensdauer einer kommunizierenden Zivilisation auf gerade einmal 100 Jahre. Wenn festgestellt werden könnte, dass intelligentes Leben im All häufig vorkommt würde dies zeigen, dass unsere Zivilisation deutlich länger als ein paar Jahrhunderte existieren kann. Wenn aber festgestellt wird, dass es keine aktiven Zivilisationen in unserer Galaxie gibt, wäre dies ein schlechtes Zeichen für unsere dauerhafte Existenz. (sueddeutsche.de vom 16.6.2020) Viele Experten meinen, die Zeit des Menschen sei noch lange nicht vorbei. So ist für Frank J. Tipler menschliches Leben keine Epsode, sondern konstitutiv für den Kosmos und daher ewig. Mit seiner Hypothese einer „Physik der Unsterblichkeit“ versucht er, die eschatologische Perspektive von Teilhard de Chardin mittels moderner Kosmologie zu verbinden. Um im Kosmos, und insbesondere im Inferno eines schließlich kollabierenden Universums, überlebensfähig zu sein, müsse sich das Leben von jeder materiellen Grundlage lösen. Nur als „Quantenzustand eines informationsverarbeitenden Systems“ könne es weiter existieren. Die Vollendung der Kosmogenese und Biogenese sieht auch er im „Punkt Omega“ als der „Zukunftssingularität eines kollabierten, räumlich endlichen Kosmos ohne Ereignishorizont“. (Tipler 1994f.) Auch andere suchen nach entsprechenden Hinweisen. Martin Rees verweist darauf, dass das Universum feiner abgestimmt ist, „als es unsere Anwesenheit erfordert“. (Rees 2004, 54) Für Stephen Hawking ist die Evolution ein „kurzes Zwischenspiel zwischen der Darwinschen Phase und einer biologischen oder mechanischen Eigenkonstruktionsphase“, deren Folge es sein könnte, dass sich menschliches Leben selbst zerstört oder in einer Sackgasse landet. Jedenfalls trete die Menschheit in eine neue Phase der „selbstgestalteten Evolution“ ein, deren Folge „Supermenschen“ seien. Die „nicht verbesserten Menschen“ werden dabei nicht mithalten können, aussterben oder an den Rand gedrängt. An ihre Stelle könnte „eine Rasse selbst gestaltender Wesen“ treten, die sich selbst optimiert. Falls diese neuen Menschen es schaffen, sich so umzuwandeln, dass sie das Risiko der Selbstvernichtung verringern oder eliminieren, könnten sie sich ausbreiten und andere Planeten und Sterne besiedeln. (Hawking 2005, 2224)
Solche Vorstellungen greifen den Ansatz Friedrich Nietzsches auf, wonach der Mensch nicht nur ein Individuum, sondern das fortlebende Gesamt-Organische in einer bestimmten Linie ist. Vielleicht schlummert in uns ja tatsächlich die Anlage zu künftigen höheren und komplexeren Eigenschaften, „deren Emergenz im Rückblick zweifellos unausweichlich wirken wird, die uns heute aber noch unvorstellbar ist“. (Morris 2008, 26) Wird aus uns ein „transhumaner Mensch“ hervorgehen? (Bahnsen 2008, 281f.) Denkbar ist ein Telos, welches mit uns nur indirekt zu tun hat und von dem wir prinzipiell nichts wissen können. Ist diesem Fall wäre zu fragen, auf welche Weise dies in den feinabgestimmten Zahlen und Relationen des Kosmos bzw. dem Anthropischen Prinzip verankert ist. So oder so endet alles Leben oder dessen Nachfolgestrukturen. Die Sterne werden in 15 Milliarden Jahren erloschen sein und das Universum gemäß der im Zweiten Hauptsatz der Thermodynamik formulierten Entropie einem Stadium vollständiger Strukturlosigkeit entgegenstreben. (Hawking 2005, 22-24) Damit wird eine teleologische Ausrichtung des Anthropischen Prinzip, wonach denkende Wesen wie der Mensch im Fokus der Naturgeschichte stehen und konstitutiv für die Struktur des Universums sind, obsolet. (Bloom/Zaun 2004, 82) Tatsache ist aber auch, dass kein Mensch, egal ob er gegenwärtig oder in Zukunft lebt, die finale Apokalypse erleben wird, sondern jeder nur seinen eigenen, kleinen Weltuntergang. Nicht uns heutigen Menschen, aber der Menschheit bleibt nicht mehr viel Zeit, Wege zu finden, sich gemeinsam mit Flora und Fauna auf unserem wunderblauen Planeten dauerhaft häuslich einzurichten. Menschen werden leben, solange sie als mesokosmisches Mittelmaß aller Dinge nicht damit aufhören, gegen die Entropie anzuleben.
27. Literatur ¹
Achtner, Wolfgang: Die theologische Bedeutung des anthropischen Prinzips. In: Evangelische Zentralstelle für Weltanschauungsfragen, Materialdienst, 7. Jg. 56, vom 1.7.1993.
Afshordi, Niayesh/Mann, Robert B./Pourhasan, Razieh: Das Schwarze Loch am Beginn der Zeit. In: SdW 2/2015, S. 18-25.
Agnew, Neville/Demas, Martha: Rettung der Hominiden-Spuren von Laetoli. In: SdW 1/1999, S. 62ff.
Al-Khalili, Jim, Schwarze Löcher, Wurmlöcher und Zeitmaschinen, Berlin/Heidelberg 2004.
/McFadden, Johnjoe: Der Quantenbeat des Lebens. Wie Quantenbiologie die Welt neu erklärt, Berlin 2015.
Allamandola, Louis J./Bernstein, Max P./Sandford, Scott A.: Kamen die Zutaten der Ursuppe aus dem All? In: SdW 10/1999, S. 26ff.
Alley, R. B.: The Younger Dryas cold interval as viewed from central Greenland. In: Quaternary Science Reviews 1/2000.
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